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18. Capitel.
Das Kriegszeichen.

Am 4. October.

Als ob Starke jeden Meter seines Weges noch im Kopfe hätte und genau angeben könnte, in welcher Secunde er passirt würde, so wusste er es wiederum einzurichten, dass Punkt acht Uhr zur Frühstückspause ein kleiner Steppenfluss erreicht wurde, dessen mit Bäumen bestandenes Ufer zur Ruhe einlud.

Nach der Fahrt in einem fast eiskalt zu nennenden Morgen begann Ellen erst jetzt warm zu werden. Desto gesünder war ihr Appetit; mit Hassan wurde der letzte Rest des Bärenschinkens getheilt.

»Dort vorn, etwa in einer Stunde, werden Sie zum ersten Male den Platteriver sehen,« erklärte ihr Mentor, »dort stösst er an die Strasse. Aber sein sumpfiges Wasser ist kaum trinkbar, deshalb habe ich lieber diesen Bach zum Lager gewählt.«

»Eine Eisenbahn!« rief Ellen, die hinter sich geblickt hatte.

»Die Pacific! hier folgt sie immer dem Strome.«

Der Zug war deutlich erkennbar, die lange, seltsam gebaute Locomotive, die langen Wagen, hinten daran Pullmanns Schlafsalonwagen, zuletzt noch der Aussichtswagen, oben fast ganz aus Glas gebaut. Sie fährt nicht allzuschnell, die Pacificbahn, wenigstens nicht so schnell, wie man manchmal erzählen hört; das lassen schon die überaus leicht gelegten Schienen nicht zu. Ein Bummelzug ist es freilich nicht.

Jetzt strebte der Zug dem Süden zu, entfernte sich seitwärts von den Beobachtern, er folgte ja dem Strome.

»Was kostet eigentlich die Fahrt von New-York nach San Francisco?«

»Gegenwärtig zweiundsechzig Dollars, ein sehr hoher Preis, manchmal sinkt er bis auf fünfzig herab. Er richtet sich nämlich nach den Kohlenpreisen, nicht minder können Concurrenzkämpfe zwischen den Bahngesellschaften grosse Unterschiede hervorrufen.«

Nach 20 Minuten glich der Zug nur noch einem niedlichen Spielzeuge.

»Er hält,« sagte Ellen.

»Oh nein, Sie irren sich, Sie glauben nur bei solcher Entfernung, dass er sich nicht mehr bewege.«

»Er hält, gewiss, der Zug steht!«

Starke blickte schärfer hin.

»Wahrhaftig, Sie haben Recht. Ja,« er hatte auch noch sein Taschenfernrohr an das Auge gelegt, »es ist ein Passagier ausgestiegen – jetzt fährt der Zug wieder – sehr weit reicht mein Glas auch nicht, ich kann nur einen dunkeln Punkt unterscheiden, welcher sich über die Prairie bewegt – es ist der ausgestiegene Passagier, vielleicht ein Jäger – richtig, dort ist gerade die Furth ...«

»Hält denn der Pacific-Zug, wenn ein Passagier aussteigen will?«

»Gewiss, wenn Sie bezahlen. Es giebt ja tagelang keine Station. Sie können ihm auch winken, wenn Sie einsteigen wollen, er hält und wartet auf Sie, wie ein Omnibus. Aber das kostet Geld, schweres Geld, es wird nach der Secunde berechnet.«

Sie unterhielten sich noch länger über derartige Verhältnisse, bis der Stundenplan die Weiterfahrt forderte.

Nach einer halben Stunde sah Ellen den Platteriver, breit, aber flach, sumpfig, man konnte durchwaten, zum Theil trockenen Fusses, es wimmelte von Schilf-Inselchen, belebt von zahllosen Wasservögeln.

Und da, mitten in der wilden Prairie, da sass eine Dame, eine moderne Dame, und hatte neben sich im Grase ein Fahrrad liegen.

»Starke – Starke – was ist denn das?!« rief Ellen förmlich bestürzt.

»Das ist – die Person, welche vorhin den Pacific-Zug verlassen hat, und sie muss den Strom durchquert haben, um uns hier zu erwarten.«

In Deutschland freilich steigt man nicht ab, wenn man unterwegs einer radelnden Dame begegnet. Hier aber war Staunen und Absteigen gerechtfertigt.

Die Dame war aufgestanden, sie nestelte an ihrem Kleide.

» Good morning, Miss. Hier,« plötzlich flog ihr Rock herunter, »hier haben Sie Ihren Rock wieder, ich bitte mir von Ihnen meine Hosen zurück.«

»Mister Schade!!« schrie Ellen mit mehr Entsetzen als Staunen.

Jetzt freilich erkannte sie ihn sofort wieder, es war noch ganz derselbe Carrirte, hatte sich auch wieder eine andere carrirte-Hose zugelegt, die er unter dem Rock getragen, auch sein Photographen-Apparat fehlte nicht. Starke schien ihn übrigens sofort wiedererkannt zu haben, er stützte sich gar zu gleichmüthig auf sein Rad.

»Pardon, Adam Noah Abraham Isaac Jacob ist mein Name,« verbesserte der Reporter, ihr immer den Rock hinhaltend. »Hier ist Ihr Kleid unverletzt zurück, nun ziehen Sie auch meine Hosen aus.«

»Wie kommen Sie denn hier her?!«

»Ich bitte um meine Hosen,« wiederholte der Reporter mit unverwüstlichem Ernst, jetzt energischer, und Ellen wurde wirklich irre.

»Ich habe sie – habe sie – ich habe Ihre Hosen ja gar nicht mehr an,« stammelte sie verwirrt.

»Nein? Schade. Was haben Sie denn mit meinen Hosen angefangen?«

»Die habe ich – habe ich – fortgeworfen, als ich mir neue kaufte.«

»Lassen Sie die Dame zufrieden, werfen Sie den Rock weg und erklären Sie uns, wie Sie hierher kommen,« mischte sich jetzt Starke ein.

Der Reporter, dessen Kopf ganz voll Albernheiten zu stecken schien, ballte denn auch den Rock zu einem Knäuel zusammen, gab ihm wie einem Fussball einen Tritt, dass er in weitem Bogen davonflog, und erstattete kurzen Bericht.

In jeder Stadt, wo er über die beiden auffallenden Radfahrer mit dem langhaarigen Windhund Erkundigungen einzog, war er zu spät gekommen, obgleich er immer die Eisenbahn benutzte, zuletzt in Omaha City. Jetzt aber konnten sie ihm nicht entgehen, er kannte ja ihren Weg, so wollte er mit der Pacific bis nach Fort Lamarie fahren, dort mussten sie passiren, bis dahin musste er sie auch auf alle Fälle überholen. Vorhin hatte er die beiden Radfahrer in der Prairie fahren, sie sogar lagern gesehen. Schnell war sein Entschluss gefasst, Erkundigungen beim Conducteur eingezogen; der Strom war dazwischen, dort aber gleich an der Landstrasse eine Furth, also ausgestiegen, hinüber, und nun war er eben hier, die Weltreisenden wieder per Rad zu begleiten. Den Damenrock hatte er natürlich nicht immer getragen, wenn er es zuerst auch behauptete. Schliesslich musste er doch zugeben, dass er ihn nur mitgenommen habe, immer in der Erwartung, beim Wiedersehen mit der Dame eine seiner Albernheiten auszuführen, was jetzt geschehen war, und Ellen lachte denn auch herzlich. Das war die sehr einfache Erklärung.

»Wieviel haben Sie dafür bezahlt, dass sie den Zug halten liessen?«

»Nur fünfzig Dollars,« erwiderte der Reporter, sein Notizbuch ziehend. »Nun wollen Sie mir mittheilen, was Sie unterwegs Alles ...«

»Nun wollen wir weiterfahren,« sagte aber Starke, und flugs steckte Mr. Schade das Notizbuch wieder ein und sprang auf' seine Rennmaschine.

War seine Gesellschaft auch durchaus nicht angenehm, so nahm Ellen diesen Fall jetzt doch von einer ganz anderen Seite. Er wollte sie also wirklich um die ganze Erde begleiten? Schön. Einmal hatte man ihn zurückgelassen, weil seine Rennmaschine die Steigung nicht nehmen konnte. Das zweite Mal hatte sich Starke seiner zu entledigen gewusst. Nun wollte sie einmal diesem degenerirten Reporter einen Possen spielen, sie lachte innerlich, wie sie bereits ihren Kopf anstrengte, welche Falle sie ihm bauen könne, etwas ganz Schlaues, etwas ganz Ausgefallenes müsse es sein, dass auch Starke seine Freude daran hätte.

Heute stand ihr auch noch etwas Besonderes bevor. Heute Abend würden sie den Dacotah erreichen, wo die vorausgeschickten Männer das Boot bereit hielten, um noch heute über den Strom zu setzen. Dort würde sie also auch wieder mit Sir Munro zusammentreffen.

Die Reiter mussten ihre Pferde tüchtig ausgreifen lassen und durften sie wenig schonen, wenn sie bei einem Vorsprung von nur 24 Stunden den Radfahrern, welche täglich gegen 50 Meilen zurücklegten, bei drei Tagen noch zuvorkommen wollten. Aber Starke hatte seine Berechnung gemacht, es musste gehen, er kannte diese mageren Prairiegäule, welche für gewöhnlich nur dürren Grases bedürfen, dann aber, wenn sie einmal Hafer bekommen, auch Erstaunliches leisten; ausserdem waren sie nur leicht bepackt, und standen unter der Leitung eines bewährten Prairieführers.

Es war noch nicht Zeit zur Mittagsrast, als Hassan unsichtbare Menschen anmeldete, sie wurden sichtbar, ein Reitertrupp sprengte ihnen entgegen.

»Das sind ja die Unseren!« rief Ellen erstaunt, als sie darunter Sir Munro erkannte.

Starke war vom Rad gestiegen und verzog wie gewöhnlich keine Miene.

Die sechs gemietheten Männer waren sämmtlich Mestizen, auch ihrer Kleidung und ihrem ganzen Aussehen nach halb Indianer, halb civilisirte Europäer, freilich noch abenteuerlich genug erscheinend. Der eine näherte sich durch seine Gesichtstätowirung, dadurch, dass er das lange, straffe Haar unbedeckt trug und dass er ohne Sattel, nur auf einem Pantherfell ohne Steigbügel ritt, noch mehr einem Indianer, eine kleine, hagere Figur, scheinbar nur aus Knochen und Sehnen bestehend. Jeder Reiter hatte hinter sich den Hafersack, fünf führten noch je ein lediges Pferd, nur leicht bepackt, man erkannte Fahrrad- und Bootstheile.

Grafik21

Sir Munro war voraus gesprengt.

»Die Yanktoanons haben den Haknagohras den Krieg erklärt!« rief er, die doch nicht eben gebräuchlichen Namen mit geläufiger Zunge aussprechend, ein Zeichen, dass er sie in letzter Zeit häufig gehört und selbst im Munde geführt hatte.

Starke wandte sich einfach dem Mestizen zu. »Was ist, Somaja?«

Dieser schilderte in ziemlich gutem Englisch, auf welches Hinderniss sie gestossen waren, aus nichts weiter bestehend, als aus einem bemalten Fell, mit einem blutigen Pfeil mitten auf der Landstrasse in den Boden gesteckt, zwei Stunden Carriereritt von hier.

»Die Yanktoanons sagen zu den Haknagohras: euere Pferde haben das Gras von unseren Weiden gefressen; wir werden unsere Pferde mit eueren Scalpen füttern.«

»Und was sagen die Haknagohras?«

»Sie haben Ihr Totem noch nicht niedergelegt.«

»Somaja, Du bist ein Schafskopf,« sagte da Starke in aller Gemüthsruhe. »Habe ich Dir gesagt, dass Du vor einem Kriegstotem umkehren sollst, um mir das zu erzählen? Das Boot sollst Du am Strome bereit halten, dafür wirst Du bezahlt.«

»Caramba!!« stiess der so zurecht gewiesene Mestize grimmig hervor. »Schmäht dann diesen Mann, aber mich nicht! Ihr habt mir gesagt, dass er mich bezahlt, nicht diese Dame; nicht Ihr, also habe ich ihm zu gehorchen, und als ich ihm erklären musste, was das Kriegszeichen bedeutete, hat er darauf bestanden, dass wir sofort umkehrten. Nun macht es mit ihm aus.«

»Es ist gar nicht möglich, mit heiler Haut durchzukommen,« nahm Sir Munro das Wort, »dieser erfahrene Präiriejäger hat mir erklärt ...«

Er wurde sofort unterbrochen; Ellen stampfte heftig mit dem Fusse auf. Zuerst aber wandte sie sich noch gelassen an Starke, wenn sich auch schon ihre Stirn drohend runzelte.

»Haben Sie mit Sir Munro ausgemacht, dass wir umkehren wollen, wenn uns der Weg zwischen im Kampfe liegende Indiänerstämme hindurchführt?«

»Keineswegs,« entgegnete der Mann, welcher immer die Wahrheit sprach.

»Sehen Sie eine besondere Gefahr darin, wenn wir unseren Weg fortsetzen? Ich meine: rathen auch Sie jetzt ab, da zwischen Siouxstämmen Feindseligkeiten ausgebrochen sind, Nebraska zu durchqueren.«

»Nein, abrathen davon thue ich nicht.«

»Ellen, um Gottes Willen, nehmen Sie Vernunft an!« riet Munro, welcher nun schon wusste, welchen Dank er ernten würde. »Es geht viele Tage lang durch ein Gebiet, in welchem sich wilde Indianer mit indianischer Grausamkeit auf Leben und Tod bekämpfen, dann ist die Mordlust erwacht, dann ist der friedliche Reisende nicht mehr geschützt, er wird als Feind behandelt, die Indianer stellen ja selbst ein Zeichen als Warnung aus, und wer es nicht lesen kann, der soll die Prairie eben nicht betreten, Somaja hat mir genauen Aufschluss gegeben ...«

»Verdammt, dass ich's that,« knurrte dieser.

»... Sie werden mindestens ...,« Munro beschrieb nur mit dem Zeigefinger einen Kreis um seinen Schädel, er hatte diese Bewegung schon gut heraus, musste sich darin geübt haben.

Jetzt hatte sich Ellen ihm zugewandt, jetzt brach es bei ihr heraus, wenn sie sich auch, an ihr eiskaltes Ideal denkend, zu beherrschen suchte.

»Herr, was haben Sie sich eigentlich um mich zu kümmern? Wollten Sie mir wirklich als Freund einen Gefallen erweisen, so ständen Sie am Dacotah mit dem Boote für mich bereit, wozu es nun zu spät ist. Statt dessen halten Sie mich hier auf, muss ich Ihretwegen unwiderruflich verlorene Zeit opfern. Sie sind ja mein directer Feind! Deshalb, mein Herr, nun zum letzten Male, verlassen Sie mich, Ihre Begleitung ist mir hinderlich, sie ist mir lästig!«

»Halt, in gewissem Sinne muss ich Sir Munro doch Recht geben,« kam Starke dem Niedergeschmetterten zu Hülfe. »Was Ihnen Sir Munro sagte, beruht auf Thatsachen. Reisen Sie durch ein Gebiet, in welchem Indianer auf dem Kriegsfusse sind, so setzen sie sich der grössten Lebensgefahr aus, und ich kann Sie nicht anders schützen als durch meinen Revolver, vielleicht noch durch List, sonst übe ich auf die Indianer keinen Einfluss aus, und es könnte Ihnen auch noch Schlimmeres passiren als nur Scalp und Leben zu verlieren. Hingegen mussten Sie, als Sie eine solche Wette annahmen, mit derartigen Verhältnissen rechnen. Wer eine Reise um die Erde machen will, auf dem Rade, der darf nicht vor einem indianischen Kriegszeichen zurückschrecken. Wie soll denn das werden, wenn uns der Weg erst durch Gegenden führt, in welcher nur vom Raube lebende Stämme hausen, wo schon die stählernen Radspeichen zum Morde reizen. Haben Sie sich das vorher reiflich überlegt, Miss Howard?«

»Aber natürlich! Da sehen Sie, Sir Munro, nicht nur wie überflüssig Sie sind, sondern auch wie direct hinderlich meiner Reise.«

O weh! In dem zweiten Theile seiner Rede hatte der Diener seinem Herrn einen gar schlechten Dienst erwiesen, während es erst schien, als wolle er ihm beistehen. Aber er hatte ganz sachgerecht gesprochen.

Plötzlich stiess Somaja einen Schrei aus und deutete nach Ellen.

»Da – da – da!!« rief er in sichtlicher Erregung, dass vor allen Dingen Ellen selbst erschrak und, an eine Schlange denkend, sich ängstlich umsah. »Wie kann man der weissen Dame sagen, sie solle nicht den Kriegspfad überschreiten, wenn sie die Krallen des grauen Bären trägt?!«

Auch unter den anderen Mestizen entstand eine Bewegung, staunend und ehrfürchtig blickte Alles auf das Mädchen, welches einen Grizlybären erlegt hatte; denn dass ihr die Trophäe geschenkt sein könnte, auf solch' einen Gedanken kamen diese Söhne der Prairie gar nicht, es wäre für sie Wahnsinn gewesen, und das ehrfürchtige Staunen mehrte sich, als Starke das Abenteuer erzählte, allerdings sich eines indianischen Dialectes bedienend. Ellen war nicht wenig stolz, und für Munro schwand nun die letzte Hoffnung, die Geliebte von dem gefährlichen Wege abhalten zu können.

»Vorwärts,« befahl dann Starke. »Bei dem Kriegszeichen werde ich entscheiden, ob wir den Weg zusammen fortsetzen oder ob Ihr wieder vorausreitet, und dann müsst Ihr in der Mittagspause den Vorsprung wieder einholen, dass wir am Strome das Boot dennoch vorfinden.«

Vereint ging es weiter, und die Pferde mussten immer galoppiren, was allerdings der gewöhnliche Gang dieser Prairiethiere ist. Unterwegs sprach Starke sehr viel mit Somaja.

»Er hat nichts bemerkt, dass zwischen uns Männer gewesen sind,« sagte Starke einmal zu Ellen. »Es muss ein mit der Prairie vertrauter Feind sein.«

»Wir werden ihn schon noch fassen,« war Ellen's selbstbewusste Antwort.

Sie radebrechte beständig mit einem und dem anderen Mestizen, lachte, schien sich zu amüsiren, während der arme Munro gar nicht für sie existirte.

So war die festgesetzte Mittagspause schon zwei Stunden im Sattel verbracht worden, als das Kriegszeichen erreicht wurde. Alles sprang ab, aber Starke hiess Alle zurücktreten, nur Ellen winkte er heran.

Ein Pfeil, der befiederte Schaft roth gefärbt, befestigte am Boden ein weissgegerbtes Hirschkalbfell, bedeckt mit rothgemalten Figuren, unter denen Pferde, Scalpe und Tomahawks die Hauptrolle spielten, roh gezeichnet, aber doch Alles deutlich erkennbar.

»Das ist der Fehdehandschuh der Yanktoanons, eines nach ihren Begriffen mächtigen Stammes der Sioux, mehr in Form eines Briefes niedergelegt,« begann Starke seine Erklärungen, immer mit scharfen Augen die Zeichen betrachtend. »Die Haknagohras, an welche der Brief gerichtet ist, haben ihn noch nicht aufgehoben, wissen noch nichts von seinem Vorhandensein. Es wäre doch nun sehr einfach: ich nehme jetzt diese Kriegserklärung weg, und wenn ich dadurch auch die Feindseligkeiten nicht verhindern könnte, so doch sie hinausschieben, dass wir in Sicherheit sind, ehe der Kampf beginnt. Das aber wäre eines der todeswürdigsten Verbrechen in der Prairie; nur vergleichbar mit der That, einen Wüstenbrunnen zu vergiften, und erfahren es die Yanktoanons – und natürlich würden sie es sehr bald erfahren – dann allerdings würden Sie kennen lernen, wie diese Indianer eine Spur zu verfolgen verstehen, und wir haben noch zwei Wochen durch Indianergebiet zu fahren, und wir würden trotz aller Anstrengung, und führen wir Tag und Nacht, ihren schnellen Rossen nicht entgehen, und dann wehe uns; sie würden uns ...«

Starke brach ab. Er beugte sich hinab, die Zeichen noch näher zu betrachten, er ging um das Fell herum, schien nach Spuren zu suchen, er hob das Fell, befühlte es, betastete den Pfeil, und als er sich wieder aufrichtete, sah er Ellen lange wie in Gedanken versunken an.

»Der Feind ist zwischen uns und er ist auch vor Somaja,« sagte er leise, »und der Feind calculirt: sollten wir dem Tode auf der Brücke durch einen Zufall entgehen, so hetzt er zur Vorsicht noch zwei Indianerstämme, deren Gebiet wir passiren müssen, gegen einander auf, und missachten wir das Zeichen, so kommt unser Scalp in Gefahr – er ist äusserst vorsichtig und klug, unser Feind – well.«

Und wie Ellen den Sprecher ob solcher dunklen Worte noch erstaunt ansah, bückte sich Starke plötzlich, riss den Pfeil aus dem Boden, wickelte das Fell zusammen, und hielt Beides dem Mädchen hin.

»Nehmen Sie es als Andenken mit, so können Sie dieTotemsprache der Sioux zu Hause studiren, ich will Ihnen den Schlüssel dazu geben.«

So that Starke selbst das, was er eben als das todeswürdigste Verbrechen bezeichnet hatte, welches eine Rache erheische, der man nicht entgehen könne.

Sogleich stiess denn auch Somaja einen gellenden Schrei aus, er sprang vor.

»Dieses Kriegszeichen ist gefälscht,« sagte Starke ruhig, selbst Ellen's Rahmentasche öffnend, um es zu verpacken.

Somaja schien es nicht glauben zu wollen; seine erschrockene Angst, seinem Charakter jedenfalls sonst ganz, fremd, war ersichtlich; er wollte Starke hindern, dieser schien keine genügende Erklärungen zu geben. Da sie einen indianischen Dialect sprachen, verstand Ellen nichts.

»Gefälscht?« rief sie.

»Ja. Von denen, welche es gewissermaassen unterschrieben haben, von den Yanktoanons, stammt es wenigstens nicht, dennoch würden es die Haknagohras als echt anerkennen, der Krieg würde dennoch beginnen. Das ist das allernichtswürdigste Vergehen, welches ein Mensch ersinnen kann. Doch sind in der europäischen Politik nicht ebensolche Fälschungen begangen worden, um zwei Nationen in Krieg zu verwickeln? Und vergebens würde ich diesen Prairiejäger, so erfahren er ist, zu überzeugen versuchen, dass das Totem gefälscht ist. Wohl kann er es lesen, könnte es selbst schreiben, aber ihm fehlt das Studium, welches ich durchgemacht habe. Zwischen Somaja und mir herrscht ein Unterschied wie zwischen einem Manne, welcher geläufig schreiben und lesen kann, eine grobe Fälschung sofort erkennt, und einem Schreibsachverständigen. – Dieser Fehdebrief' ist nicht von den Yanktoanons geschrieben, obwohl so täuschend nachgeahmt, dass sie selbst stutzen würden; ich aber erkenne die Fälschung an einigen kleinen Unterschieden, und indem ich das Schreiben mitnehme, verhindere ich einen Krieg. – In die Sättel! Wir, Miss Howard, lagern in einer halben Stunde am Platteriver, die Anderen müssen durchreiten.«


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