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Vierzehntes Capitel.
Betrachtungen und Besuche.


Die Besorgniß des Ministers und seiner Gemahlin um Hermann war nicht unbegründet. Der junge Freund hatte sich von der liebenswürdigen Cecile und durch die schmeichelhafte Behandlung, die er in den Abendkreisen der Madame Simeon erfuhr, nur allzu sehr einnehmen lassen. Sein gutes Glück selbst bereitete ihm Gefahren. Denn die leichte Förderung, die er von allen Seiten fand, die guten Aussichten, die sich für seine Zukunft darboten, setzten nicht blos seine strebsamen Kräfte in Schwung, sondern stimmten auch sein Gemüth empfänglicher, sein Herz vertrauender. Das Schöne reizte ihn lebhafter, dem Seelenvollen gab er sich unbefangener hin.

In so günstigem Licht erschien aber Cecile wirklich – jeden Tag eine Andere, stets interessant, oft reizend, zuweilen hinreißend und immer ein Geheimniß. Denn selbst wo sie am meisten aus sich herausging, blieb, für Hermann wenigstens, die Kunst ein Räthsel, womit es geschah. Sie las nicht blos mit ihrem eigenthümlich bedeckten, aber höchst biegsamen Organ, in reinstem Accent, einen Act oder zwei aus einer französischen Tragödie lebhaft und ausdrucksvoll vor, sondern besaß auch, für ein Mädchen aus der Gesellschaft in ungewöhnlichem Grade, das Talent und die Unbefangenheit lebendiger Darstellung von Scenen aus solchen Tragödien, besonders von Racine. Ja, wenn an stillen Abenden kein Besuch, außer etwa Marinville's, da war, ließ sie sich von Madame Simeon bewegen, selbst im Costüm aufzutreten, und in graziösen Bewegungen, in ausdrucksvollen Pantomimen, die Leidenschaft einer Kleopatra, die Zärtlichkeit einer Gabrielle d'Estrées, die klösterliche Reue einer Aebtissin von Bourbon darzustellen, oder als Fee Urgèle mit Zaubergeberden heranzuschweben, und aus dieser von Blangini componirten Oper die schöne Arie, nicht ausgezeichnet, aber wundersam gedämpft zu singen: »Pour un baiser faut-il perdre la vie.« Man hätte glauben sollen, sie hielte sich von der großen Gesellschaft, für die sie soviel voraus hatte, nur zurück, um eine eigene poetische Welt zum Mitgenuß für wenig Auserwählte um sich her zu schaffen. Für gewöhnlich, in den prosaischen Stunden, oder wenn sie an kleinen Abenden sich um die Anwesenden bemühte, erschien sie mit Anmuth gefällig, mit heiterm Lebensverstand unterhaltend. Eine liebenswürdige Theilnahme an Allem, das verbindlichste Zuhören, wenn Hermann sprach, gab ihr den Anschein, unterrichteter zu sein, als es der Fall war, und zum Ueberflusse verstand sie es, tactvoll zu fragen. Daß Marinville, der leichtfertige, neckische Mensch, ihr stets mit besonderer Hochachtung begegnete, flößte dem Freund unvermerkt eine günstige Meinung von der würdigen Persönlichkeit des mysteriösen Mädchens ein. Und wenn derselbe gar manchmal auch eine kurze vertraute Besprechung mit ihr hatte, so geschah es doch immer mit zartem Anstand. Hermann vermuthete anfangs eine Bewerbung Marinville's um die liebenswürdige Cecile, und bestärkte sich darin, als er Beide wiederholt auf verstohlenem, schalkhaftem Lächeln ertappte. Er war aber soweit entfernt, einen Argwohn gegen Cecile zu fassen, oder das Mindeste vorauszusetzen, was sie irgend in Schatten gestellt hätte, daß er vielmehr eine kleine Unruhe empfand, die wie Eifersucht aussah. Doch über diesen heimlichen Verkehr kam ihm unerwartet ein beruhigender Aufschluß.

Eines Abends beim Weggehen begleitete ihn Marinville, der vom alten Schloß aus nach Napoleonshöhe zurückzufahren pflegte, über den Elisabether Platz hinab, und sagte in seiner leichten Weise hinwerfend:

Die verdrießliche Angelegenheit, die unsere charmante Cecile nach Cassel geführt hat, zieht mich immer mehr in ihre Wirbel, weil sie hauptsächlich mündlich verhandelt wird. Das wäre nun bei einem so liebenswürdigen Geschöpf so übel gar nicht, wenn man für sie und nicht gegen sie zu handeln hätte. Sie betreibt nämlich eine alte Foderung ihrer Mutter an die französische Krone, eine Zahlung, die der Kaiser bei Simeon's Ernennung zum westfälischen Minister auf den Kronschatz seines Bruders, des Königs Jerôme, verwiesen hat. Simeon betreibt die Foderung, und ich hoffe, die Sache wird in der Kürze günstig erledigt werden. Ich fürchte nur, die liebenswürdige Cecile wird uns dann verlassen, gerade wann die Rücksichten aufhören, die bisher sie den Annehmlichkeiten der Gesellschaft entzogen und ihr freilich eine wenig erquickliche Einsamkeit dictirt haben. Sie gelten etwas bei ihr, lieber Doctor; helfen Sie uns sie festhalten, wenigstens bis sie einen bessern Begriff von dem ihr fatalen Cassel mitnehmen kann. Ich bin gewiß, wenn sie einmal zur Gesellschaft gehörte, sie würde bald gefesselt und gehalten werden. Cassel ist freilich kein Paris; aber es hat dafür seinen eigenen Zauber. Und – Sie werden selbst beobachtet haben, welch' ein empfängliches Herz in dieser reizenden Brust wohnt. Oder – kennen Sie mehr solche begabte junge Damen in Cassel? Ah bah! Wir erleben noch, daß sie unsere junge Welt in Feuer und Flammen setzt, und daß man sich um ihre Hand reißt, die sehr niedlich, aber – nichts weniger als leer ist.

Diese vertrauliche Mittheilung, indem sie für Hermann manches Räthselhafte in Cecile's Verhalten löste, warf doch auch eine neue Unruhe in sein Gemüth. Er mußte sich sagen, daß nach ihrer Entfernung die Abende im Justizpalast, auf die er sich bisher etwas zugut gethan hatte, doch viel von ihrem Interesse verlieren dürften. Madame Simeon und ihre Tochter behielten in seinen Augen wenig Anziehendes übrig, da selbst die Zuthätigkeit, die sie ihm, jede in ihrer Weise, bezeigten, sich unverkennbar um Cecile drehte. Der Minister aber, den er verehrte und auf dessen Wohlwollen er stolz war, erschien gar selten und nur auf Augenblicke bei seiner Familie. Er war, besonders während des Reichstags, überladen mit den Arbeiten zweier durch Bestimmung der Constitution verbundener Ministerien, der Justiz und des Innern, und liebte zu seiner Erholung eine Partie Schach, zu der ihn einige Freunde besuchten oder der er selbst in das literarische Casino nachging. Dies Casino hatte der russische Gesandtschaftsrath von Struve nicht weit vom Palais in der Königsstraße gegründet, besonders auch um zwischen deutschen und französischen Journalen und an gemischten L'Hombre-Tischen die Ansichten beider Parteien und die versteckte Abneigung zwischen dem alten Adel und den neuen Franzosen allmälig auszugleichen.

Jetzt fiel auch dem Freunde die ihm zuerst nur erfreuliche Reise nach Holland aufs Herz. Sollte er es hingestellt sein lassen, ob er bei seiner Rückkunft Cecilen noch anträfe, oder sein Lebewohl auf diesen Fall ausdehnen, wenn er Abschied von ihr nähme? – Abschied? Cecile erschien ihm jetzt doppelt interessant; sie wollte Cassel und Deutschland verlassen, und – sie war frei; Hermann hatte sich in Marinville's Absichten geirrt. Aber nicht blos geirrt: er hatte ihn ein wenig beneidet, und der Gegenstand der kleinen Eifersucht war nun doppelt begehrenswerth.

Alles dies brachte den Freund unvermerkt auf Betrachtungen über seine Zukunft. Eine neue Sehnsucht des Herzens begegnete seinem in feierlicher Stunde gefaßten Vorsatze, sich vor wiederholter Verirrung in der Liebe zu hüten. Die schwesterlichen Mahnungen Lina's, ja die misverstandenen Warnungen seiner ernsten Freundin Luise kamen dazu, ihm den bisher belächelten Gedanken an ein Bündniß für das Leben näher zu rücken. Ein solcher Bund versprach dauernde Befriedigung für geregeltes Bestreben und für seelenvolles Behagen zugleich – eine Versöhnung zwischen Arbeit und Genuß. Wie innigen Umgang erwartete auch Lina von seiner Heirath, und welch' anmuthiger Verkehr ward dadurch auch mit andern lieben Familien möglich! Und sollte man sich denn nicht eine Einrichtung wünschen, die es erlaubte, selbst auch einmal liebe Freunde zu bewirthen und gute Gesellschaft bei sich zu sehen?

Hermann malte sich eine solche Einrichtung aus, und verrieth dabei durch die Farben seines Gemäldes, daß er doch mit soviel Luxus und Ueppigkeit der höhern Gesellschaft nicht ungestraft in Berührung gekommen war, indem er nun selbst, der sonst die von allem Idealismus abgefallene casseler Jugend hart getadelt hatte, doch einen ganz hübschen Antheil von jenem Realismus mit in die geträumte künftige Einrichtung seines Hauses aufnahm. Die Phantasie war hierbei um so geschäftiger, als das Herz, genau besehen, weniger betheiligt war.

Aber freilich – die Stelle fehlte ihm noch immer, worauf sich ein so anmuthiger Hausstand begründen ließ. Er lachte selbst über das doppelsinnige Wort »Stelle«, das von einem Bauplatz und von einem Staatsamte gilt. Indeß – waren ihm nicht doppelte Zusagen gemacht? Erblickte er nicht in der Perspective links ein Katheder und rechts ein Actenpult, die ihm winkten? Es brauchte nur ein flüchtiges geometrisches Winkelmaß, um zu sehen, welches von beiden ihm näher liege. Und vielleicht brächte eine Wahl des Herzens dies Winkelmaß mit sich. Und wenn sich ein festes Bündniß und eine feste Anstellung zusammenschicken, so verträgt sich doch wol ebenso schön ein abwartendes Verlöbniß mit einem erwarteten Amt – ein Verspruch mit einem Versprechen.

Soviel phantasievoller Witz, als bei diesen Betrachtungen im Spiele war, verrieth ein noch ziemlich freies Herz, wie denn in der That auch Cecile, bei aller Eingenommenheit des Freundes für sie, doch vielleicht weniger den Gegenstand als die Anregung zu jenen Betrachtungen abgab. Allein diese Eingenommenheit konnte doch durch Einwirkung Dritter und im Drang einer Abreise in sehr bedenkliche Verwickelung gerathen. Und so drohte der glückliche Einfall des Herrn von Bülow, den arglosen Günstling durch eine Geschäftsreise einer schmählichen Intrigue zu entziehen, mit einer neuen Gefahr, den ungewarnten, zwischen Scherz und Ernst unruhigen Freund nur desto eher zu einer Uebereilung zu treiben.

 

In dieser Lage dachte Hermann vor allem an seinen Besuch bei den beiden Reichstagsmitgliedern, denen er zur Reise nach Holland beigegeben war. Als er in dieser Absicht von seinem Zimmer herabkam, begegnete er auf der Treppe dem Handelsjuden seiner Hauswirthin. Hermann neckte sich gern mit dem etwas wunderlichen Manne, der zu den eifrigen Altgläubigen gehörte und in bekannten Familien seiner Abneigung gegen neue Einrichtungen kein Hehl hatte.

Guten Tag, Sußmann! sagte er. Ihr kommt mir wie gerufen. Wo wohnt denn der Banquier Jacobson? Ihr wißt das gewiß!

Der Geheime Finanzrath, wollen Sie sagen, Herr Doctor, erwiderte Sußmann. Beschneiden Sie mir den Israel Jacobson nicht an seiner geränderten Würde; er ist kein goldner Louisd'or und kein silberner Laubthaler, aber er ist ein gewaltiger Mann. Wo er wohnt, wollen Sie wissen? Kann ich Ihnen sagen. Sie wissen doch, wo in der Königsstraße der Herr Jordis-Brentano sein Wechselcomptoir hat? Gehen Sie noch ein Halbdutzend Häuser weiter, da wohnt der mächtige Herr Geheime Finanzrath von braunschweigischem Gepräg, der große Mann!

Von Ansehen kenne ich ihn, lächelte Hermann. Ich habe ihn schon gesprochen, und er ist allerdings ein sehr stattlicher Mann.

Sie wollen mich misverstehen, Herr Doctor, erwiderte Sußmann. Kaiser Napoleon und Israel Jacobson haben doch unsern König Jerôme gemacht, wissen Sie: ist das kein großer Banquier, der Geheime Finanzrath? Er hat doch die zwei Millionen vorgeschossen, die der neue König nöthig hatte, um von Paris los- und über Wilhelmshöhe nach Cassel zu kommen, im vorigen December, wo man just Schlittschuh gelaufen ist. Napoleon hat ihn ausgewählt, Jacobson hat ihn gesalbt, wie Samuel den König David. Und wahrhaftig! er wird auch bald ein kleiner Samuel werden. Jerôme will ihn zum Präsidenten des jüdischen Consistoriums machen. Und er hat auch schon über die Kinder Israel's verfügt, der mächtige Mann. Sire, hat er gesagt – damals Herr Doctor – Sie waren noch nicht hier, wo die große Versammlung der Judendeputationen in Cassel das große Geschäft machten, letzten Februar und am 11. ein Dankfest gehalten wurde – Sire, hat er damals gesprochen, die Kinder Israel's werden sich nicht damit begnügen, ihre Hände auf dem Berg zu erheben. Ich weiß nicht, hat er droben den Kratzenberg gemeint; aber unsere Synagoge steht ja unten in der Stadt. Ihre Hände zu erheben, hat er geschmust, um von dem Ewigen die Erhaltung Ihres kostbaren Lebens zu erstehen; die Kinder Israel's werden auch ihrem königlichen Herrn Soldaten liefern. Liefern hat er gesagt. Und, bester Herr Doctor, es wird wahr werden. Mein Lazarus ist mit fünf Schuh zwei Zoll in die Linie gesetzt worden. Sie wissen ja, was die Linie heißt – nicht im Kassabuch bei Levy Feidel, wo er auf dem Comptoir war, – nein, ins Linienregiment, das nach Spanien geht, – in die Ausgab', Herr Doctor! Mein Lazarus ist geliefert.

Ihr scheint eben nicht sehr dankbar dafür, Sußmann, daß der König Euern Leuten das volle Bürgerrecht bewilligt hat, bemerkte Hermann, sonst würdet Ihr vor allem auch die Pflicht des Waffendienstes anerkennen.

Bürgerrecht? wendete achselzuckend und kopfschüttelnd der Jude ein. Allen Respect, wenn's nur nicht in Westfalen wär'! Das Königreich ist zu sehr zusammengestückelt. Ich weiß, es ist die Mode jetzt, und man macht auch kattunene Bettdecken aus allerlei Läppchen. Ob's aber haltbar ist, wie aus Einem Stück? Die Nähte sind überwendlings gemacht; es kann sich alle Tag' wenden. Und wenn's reißt, und der Kurfürst nimmt sein Stück, und der Braunschweiger, und der Preuß, und der Graf Stolberg-Wernigerode und der Graf Rittberg-Kaunitz, und wie sie heißen, nehmen ihre Läpperchen: meinen Sie, Herr Doctor, wir blieben Staatsbürger? Au weh! Wir werden alle wieder Juden, pure Juden, geschlagene Juden. Man nimmt uns die Bürgerrechte und behält unsere Soldäterchen. Oder man zieht ihnen auch die Montur wieder aus; aber was hab' ich davon? Derweil ist mein Lazarus in Spanien geliefert, sag' ich Ihnen, oder ist gar der Inquisition in die Hände gefallen und wird als Jud' verbrannt; er wird geröstet, er wird gemahlen – Autokaffé nennen's die Spötter –, und ich bekomme nicht einmal den Kaffeesatz von meinem Jüngelchen – ich meine die Asche vom christlichen Brandopfer!

Hermann ging lachend weiter. Aber hinter dem drolligen Misverständniß oder verzweifelten Witze des Juden fiel ihm die so verbreitete Meinung von der Unhaltbarkeit des neuen Reichs auf, in welchem er einen Herd für seine Zukunft zu gründen dachte. Auch an einem der vertrauten Abende beim Finanzminister waren, wenn auch aus andern Gesichtspunkten, Bedenken der Art geäußert worden, und Baron Reinhard hatte schon, die spätere Zukunft ins Auge fassend, gesagt: Was Napoleon Verderbliches gestiftet hat, wird in den Händen Derer, die – nach ihm die Gewalt haben werden, reichlich wuchern; was er Großes gewollt, wird mit ihm untergehen.

Daß aber der sonst so kluge Sußmann eine so gefährliche Meinung ausgesprochen, erklärte sich der junge Freund aus dem Aerger, den derselbe offenbar gegen Jacobson in sich trug. Der Banquier galt für aufgeklärt, für einen Mann, der allem talmudistischen und rabbinischen Unsinn feind, seinen Einfluß zu einer religiös-sittlichen Reformation seiner Glaubensgenossen zu benutzen suchte. Die Altgläubigen, mit seinem bisherigen Benehmen unzufrieden, fürchteten, daß er als künftiger Präsident des zu erwartenden jüdischen Consistoriums die alten Gebete abschaffen und ärgerliche Neuerungen einführen werde. Der Ruf eines speculativen Kopfes, eines thätigen und ehrlichen Geschäftsmannes von bedeutendem Reichthum war ihm von Braunschweig vorausgegangen, ehe er zum Reichstage kam und später nach Cassel übersiedelte. Im Uebrigen beurtheilte ihn Hermann nach einer Aeußerung seines Ministers. Dieser hatte jüngst, als von Jacobson die Rede war, gesagt:

Eine Portion Eitelkeit fehlt ihm nicht, aber für mich war dies ganz angenehm: ich wußte doch gleich, womit ich ihn für das misliche Geschäft in Holland gewinnen konnte. Meinen lieben Nathusius faßte ich an seiner treuen Freundschaft für mich. Aber auch überhaupt wird jene kleine Eitelkeit Jacobson's durch seine große Humanität aufgewogen. Er ist so freisinnig, daß er die besten Stellen auf seinem Comptoir mit christlichen Geschäftsmännern besetzt hält, und so wohlwollend, daß er sich in dieser gedrückten Zeit von Gelehrten, Handwerkern und Offizieren mit baaren Vorschüssen stets hülfbereit finden läßt.

 

Mit so guten Vorurtheilen betrat Hermann die Wohnung, wo er dem eben ausgehenden Banquier begegnete. Er wollte sich gleich auf ein andermal empfehlen, aber Jacobson nöthigte ihn auf sein reich und geschmackvoll eingerichtetes Empfangzimmer.

Ein angehender Vierziger von ansehnlicher Gestalt verrieth Jacobson in seinem Anzug und Benehmen den Hofagenten, der beim Herzog von Braunschweig etwas gegolten und ein wohlwollendes Vertrauen genossen hatte. An seinem schwarzgelockten Kopfe mit den freundlichen Augen war der Zwiespalt jüdischer Physiognomie mild ausgeglichen, ja fast gänzlich aufgehoben – jener Gegensatz einer edeln Stirne und seelenvoller Augen zu einem derben, sinnlichen Mund und schlaffen Kinn. In dieser Gesichtsbildung, wo sie noch in ihrer Reinheit vorkommt, scheint sich ein Abbild altjüdischer Geschichte zu vererben. Man denkt an den funkelnden Nachthimmel über dem steinigen Judäa, und im Volksleben an die Gegensätze poetischer Phantasie und glühenden religiösen Glaubens mit rohen, unsittlichen Thaten, des geistigen Hochmuths mit politischer Schwäche, der Idee eines auserwählten Volks mit dem Unmuthe unter den Fußtritten der Nachbarvölker.

Wir haben uns schon gesehen, Herr Doctor, auf Napoleonshöhe, nicht wahr? sagte Jacobson, indem er seinem Besuch mit artiger Geberde einen Sophaplatz anwies. Und wissen Sie – ich habe hernach viel Schönes über Sie gehört. Ich freue mich recht auf unsere Hollandfahrt. Es ist doch ehrenvoll, Herr Doctor, als Abgeordneter des Königreichs nach Holland zu kommen. Die Mynheers kennen den Israel Jacobson, den Banquier; aber sie sollen nun auch den Deputirten sehen, und ich denke, die Firma Jacobson soll eine gute Vorbedeutung für das westfälische Finanzgeschäft abgeben. Dazwischen aber sollen Sie mich auch für wissenschaftliche Unterhaltung empfänglich finden, Herr Doctor!

Glauben Sie nicht, Herr Geheimer Finanzrath, daß mich Geldgeschäfte nicht interessirten! sagte Hermann. Ich bin sozusagen ein Apostat, ein Abtrünniger der Weltweisheit, und ein Neophyt, ein Neubekenner, der Weltmacht des Geldes, ein Ueberläufer von Minerva zum Merkur, oder, um einfach Cassel'sch zu reden, ich bin ein Finanzpraktikant und hoffe von Ihnen in diesem holländischen Privatissimum etwas zu lernen.

Soll mir zur Ehre gereichen! erwiderte Jacobson. Aber, was Sie vor allem sind – Sie sind ein sinnreicher Mensch, und Sie werden mich kennen lernen als einen Mann, der nicht blos Geld, sondern auch ideelle Werthe zu schätzen weiß. Von der jüdischen Theologie will ich nicht reden, die ich gründlich studirt habe; aber auch Philosophie interessirt mich, und Moses Mendelssohn ist nicht als Jude, sondern als Philosoph mein Mann. Aber geben Sie mir zu, Herr Doctor, die Schritte einer exaltirten Philosophie haben auf die Gemüther der Menschen einen nur allzu großen Einfluß gehabt. Die Philosophie hat sie ihren natürlichen Grenzen entrückt: »Les hommes n'ont pas regardé autour d'eux.« Die ersten Senate Europas, die aufgeklärtesten Männer schienen sich z. B. verschworen zu haben, für die Freiheit der Neger zu stimmen, die keine Freiheit verlangten und für die sie ein trauriges Geschenk war. Aber auf das Flehen um eben diese Freiheit aus dem Munde von Landsleuten gleicher Farbe, gleicher Bedürfnisse, gleicher Gewohnheiten hörte man nicht. Ist das nicht noch in unsern Tagen die Lage der Anhänger des mosaischen Glaubens? Das Genie Friedrichs des Großen vernahm diese Stimme, aber von Deutschlands Lehngebräuchen umgeben, wagte er keinen Ausspruch. Jerôme, unser König, hat ihn gewagt, und ich hatte Gelegenheit, es laut anzuerkennen. » Sire«, habe ich ihm gesagt, » c'est à des héros que l'Éternel a confié le soin de nos destinées, et déjà vous avez égalé les bienfaits de Cyrus dont bientôt vous passerez la gloire.«

Bei diesen etwas declamatorisch vorgebrachten Worten blickte er Hermann mit erwartendem Lächeln an, und als dieser mit artiger Verneigung Beifall ausdrückte, fuhr Jacobson, seine Zufriedenheit unter einen Scherz verbergend, fort:

Gloire, wissen Sie ja, Herr Doctor, ist das mächtige Zauberwort für die Franzosen, das auch das Trommelfell im taubsten französischen Ohr erschüttert. Und ihre Bornirtheit liegt nur darin, daß sie meinen, blos hinter den Trommelfellen her könnte man zur gloire kommen.

Recht gut! lachte Hermann. Allerdings in höherm Sinn eine Bornirtheit, gegen die aber sonst weder Oestreich noch Preußen bisher gescheit genug waren. Sie, Herr Geheimer Finanzrath, haben große Verdienste um Ihre Glaubensgenossen, die nun der bürgerlichen Freiheit froh werden.

Sehr verbunden! entgegnete der Banquier. Aber das Hauptverdienst muß ich mir noch erwerben, durch Reinigung unserer veralteten Gebräuche, durch Wegräumung aller der Unwesentlichkeiten unsers Glaubens, die unsere Annäherung mit den übrigen Staatsbürgern erschweren. Ich hab's auch in der Rede, die ich an der Bundeslade der Synagoge gehalten, voraus angekündigt. Sagen Sie, Herr Doctor, kennen Sie meine damalige Rede?

Ich bin erst später hierher gekommen, antwortete der Freund mit verneinender Bewegung.

Darf ich sie Ihnen geben? Wollen Sie ihr einen freundlichen Blick schenken?

Mit diesen Worten eilte Jacobson an seinen Schreibtisch und brachte einige gedruckte Blätter, die er Hermann mit den artigen Worten übergab:

Sie ist gedruckt worden in beiden Sprachen, und ich habe mir ein Dutzend Abdrücke für Freunde zurückgelegt Nehmen Sie die Blätter in diesem Sinn!

Hermann hatte sich ebenfalls erhoben, und schied mit einigen herzlichen Worten der Anerkennung und Hochachtung. Jacobson, indem er ihn begleitete, sagte lächelnd:

Später sagen Sie mir einmal, was Sie von meiner Rede denken, und lachen Sie nicht, daß ich die Kleinigkeit habe drucken lassen!

Flüsternd setzte er hinzu:

Die Zeit bringt's so mit sich: es ist französischer Druck ins Deutsche übersetzt! Vor der Hausthüre schieden sie auf Wiedersehen.


Den Fabrikherrn Nathusius traf Hermann nicht zu Hause. Frau Philippine, die ihm auf der Flur begegnete, nahm ihn geheimnißvollen Winks und Lächelns mit ins Zimmer, und eröffnete ihm, daß es gestern Abend mit der bewußten Sache richtig geworden sei, und ihre zweite Tochter, die Therese, sich entschlossen habe, dem edeln Manne Hand und Herz zu geben.

Hermann gratulirte und wollte gleich der lieben Braut seinen Glückwunsch bringen.

Auch nicht zu Haus! lachte die Mutter. Der gute Nathusius thut's nicht anders und läuft schon mit ihr umher, ich fürchte, in die Putz- und Schmuckläden. Er weiß nicht, wie er gegen Theresen und die Schwestern seine Freude und Herzlichkeit genug ausdrücken soll. Ich werde aber dem Paar einstweilen Ihre guten Wünsche ausrichten, und morgen Abend thun Sie's dann selber. Wir wollen nämlich, da Herr Nathusius doch in der Kürze verreist, eine Verlobung, aber blos unter Verwandten und Freunden, halten, und Sie müssen mit Ludwig und Lina ebenfalls kommen. Nicht wahr?

Hermann nahm die Einladung höflich an, und sie fuhr mit schalkhaftem Schmunzeln fort:

Aber denken Sie nur, was so reiche Leute gleich für Prätensionen machen! Der liebe Mann war erst so entzückt und dankbar für sein Glück, wie er's nannte, und heut verlangt er schon meine sechs andern Mädchen auch noch!

Was? Der Sultan? lachte Hermann, und mitlachend sprach sie weiter:

Versteht sich nicht für sich! Aber er habe, sagt er, in seinem weitläufigen Geschäft so manchen jungen, hübschen und rechtschaffenen Gehülfen, die er denn auch für Fleiß und Treue beglücken und sich verpflichten möchte. Und meine Mädchen wären viel zu gut für das lustige, leichtfertige Cassel.

Ich begreife ihn, erwiderte Hermann, und freue mich der Art und Weise, wie er sich beglückt empfindet. Aber was werden Sie thun? Und erinnern Sie sich, daß nun doch Freund Ludwig Recht behält, als er damals fragte, wie's denn in den sieben Wochen zwischen Ostern und Pfingsten dem Mütterchen gehen würde, falls einmal sieben Filialküchen entständen?

O ja, ich erinnere mich! lachte sie. Und auch, daß mein kleiner Schelm Netty Recht behält, die damals behauptete, alle Sieben auf einmal würden Abgang finden. Was doch manchmal der pure Zufall nicht für ein Schalk ist in einer Prophetenkutte! Und nun soll ich etwa der Prophezeiung zu Lieb' alle Sieben ziehen lassen? Nein!

O ja doch! Lassen Sie, lassen Sie! bat Hermann. Aus einer heiligen Zahl allein auszuscheiden, fiele der guten Therese zu schwer. Lassen Sie die sechs Schwestern sie begleiten. Das Uebrige findet sich. Eine nach der andern verschenkt dort entweder ihr Herz, oder sie heben nach und nach das erste Halbdutzend Ihrer Enkel, liebe Frau Räthin, aus der Taufe.

Um Gotteswillen, bester Herr Doctor, rief sie, soll's denn wieder lauter Mädchen geben? Unberufen, unberufen! Aber nein! Ein so großer Fabrikherr braucht Söhne – Commis, Gehülfen. Er wird schon – Nein, Nathusius und Söhne muß es heißen!

Unter so heitern Scherzen empfahl sich der Freund auch hier, wie bei Jacobson, auf Wiedersehen!



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