Adolph Freiherr Knigge
Geschichte Peter Clausens
Adolph Freiherr Knigge

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Zehntes Capitel

Peter und sein Freund suchen Civil- oder Militairdienste,
müssen aber einen andern Glücksweg einschlagen.

Meine Leser sehen mich nunmehro wieder an der Seite meines Jugendfreundes. Nach einem paar Tagen, die wir noch in Straßburg miteinander verlebten und während welcher so manche kleine Anecdote aus unsrer Lebensgeschichte nachzuholen war, fingen wir jedoch endlich an, ernstlich darauf zu denken, was wir nun wohl in der Zukunft treiben wollten. Es mußte doch ein Plan darüber gemacht werden, und desfalls wurde zuerst der Zustand unsers Oeconomicums untersucht. Wir waren beyde bereit, den ganzen Bettel von Barschaft zusammenzuwerfen, und als das geschehn war, schritten wir zum Werke, zählten, und siehe da! es fand sich, außer einigen Ringen, Tabatieren und andern Kostbarkeiten, eine Summe von zweytausend Gulden an klingender Münze. Hiermit nun beschlossen wir zusammen eine Reise zu machen, welche zugleich Gelegenheit zu künftigem Unterkommen geben sollte. Wir ließen uns Beyde eine Art von Officiersuniform machen, nahmen einen Bedienten an und dachten uns in diesem Aufzuge einem Fürsten Teutschlands als Cavaliere zu verkaufen, die wohlhabend wären und welche man in den Dienst zu ziehn suchen müßte. Unsre Figuren waren (ohne uns zu rühmen) nicht unangenehm. An Welt fehlte es uns auch so wenig wie an einem in Teutschland so sehr geliebten ausländischen Ton; und so zweifelten wir dann nicht, irgendwo zu Hauptleuten bey der Garde oder dergleichen angestellt zu werden. Wir reisten also von Straßburg ab, wirtschafteten mit dem Gelde so sparsam, wie es sich unter Leuten von Stande thun ließ, und besuchten zuerst unter den Namen des Baron Clausfeld und Herrn von Falkenthals die benachbarten teutschen Höfe. Unterwegens gab mir Ludwig Unterricht im Englischen, und der Fleiß dieses Freundes ließ mich in kurzer Zeit viel größere Fortschritte darin machen, wie ich je bey einem Sprachmeister würde gethan haben.

 

Indessen wurde unsre Erwartung nicht so bald erfüllt, wie wir gehofft hatten. Lag es an den schwachen Einsichten der Prinzen, die unsre Verdienste nicht nach Würden zu schätzen verstanden, oder gaben wir uns nicht Mühe genug, solange unsre Cassen gut standen – Genug! wir reisten durch das Badensche, Darmstädtische, die Pfalz, die Wetterau und Fulda nach Sachsen, ohne etwas anderes zu erlangen, als daß unser Geldkasten täglich leichter wurde, so daß uns, als wir nach Leipzig kamen, nur noch hundert Pistoletten übrigblieben.

Zum Unglück war auch hier die Zeit der Messe nahe, folglich vielfache Gelegenheit, sich zu vergnügen und Geld auszugeben. Wir geriethen in die Bekanntschaft eines Mannes, der sich für einen Major ausgab und den Ruf haben wollte, bey viel Höfen in großem Ansehn zu stehn, vermuthlich aber, nicht weniger wie wir, auf gutes Glück lauerte. Wir vertraueten uns ihm (doch, wie sichs versteht, nur dahin, daß wir als fremde Cavaliere Dienste suchten), und er versprach, sich für uns zu verwenden. Doch darüber ging eine Woche nach der andern hin, ohne daß Antwort kam, und unser Schatz wurde sichtbar kleiner. Um das Maß widriger Vorfälle vollzumachen, befiel mich ein hitziges Fieber, das mich nicht nur drey Wochen lang im Bette gefesselt hielt, sondern auch den Geldbeutel gänzlich ausleerte. Mein guter Reyerberg wich nicht von meiner Seite, pflegte Meiner, verkaufte seine kleinen Kostbarkeiten, damit mir nichts abgehn möchte, und das bekümmerte mich dann am mehrsten, daß mein Freund sich von dem Einzigen, was ihm übrigblieb, entblößte, um mir zu helfen, indes er alle Gelegenheit, sonst irgendwo sein Glück zu machen, versäumte.

Als ich nun ungefähr so weit wieder hergestellt war, daß ich im Zimmer auf- und abgehn konnte, fingen wir an, wieder von künftigen Plänen zu reden. Officierstellen zu erhalten, daran war theils nicht zu denken, theils würden wir von dem geringen Gehalte eines Fähndrichs nicht haben leben können. In dieser Zeit aber hatte Ludwig mit einigen von den in jeder Messe nach Leipzig kommenden fünfhundert Buchhändlern Umgang bekommen und sich den Ruf erworben, daß es ihm nicht an Talenten, an Sprach- und Sachkenntnis fehlte. Ein würdiger Mann unter ihnen aus Mannheim hatte ihn kennengelernt, gewann ihn lieb und schlug ihm vor, als er den Zustand erfuhr, darin mein Freund war, ihn mit sich zu nehmen, um ihn zum Übersetzen und zu andern Fabrikgeschäften dieser Art zu brauchen. Reyerberg wollte mir das Opfer machen, da er sich von mir trennen sollte, lieber meine Armuth mit mir zu theilen, als diesen Antrag anzunehmen. Allein ich bestand darauf, daß er mit fortreisen sollte, welches ich dann endlich mit Mühe von ihm erlangte, unter der Bedingung, daß, sobald er an Ort und Stelle seyn, er sich bemühn würde, auch mir eine Aussicht zu eröffnen. Den kleinen Rest dessen, was wir aus unsern Ringen und dergleichen gelöst hatten, behielt ich, behalf mich, so sehr es angehn wollte, und war in wenig Tagen im Stande, wieder auszugehn.

Der Gedanke, in einem so fruchtbaren Felde, wie die teutsche Literatur ist, mein Glück zu machen (wäre es auch nur als Handlanger), fing an, mir zu gefallen, und da ich nicht daran verzweifelte, auch hier in Leipzig einen Buchhändler zu finden, der meine geringen Talente in Cours bringen könnte, trug ich mich Einigen an und fand endlich einen Mann, der grade eines Correctors bedurfte. Wir schlossen einen Contract zusammen, und wenngleich die Einnahme, welche mir dies neue Handwerk verschaffte, nicht groß war, so reichte sie doch hin, ein Dachstübchen, ein leichtes Mittagsmahl und ein braunes Röckchen zu bezahlen. Nach und nach, als ich bekannter mit meinem Patron wurde, bekam ich auch etwas einträglichere Arbeiten. Ich mußte Vorreden machen, Pläne zu Vignetten erfinden und in Büchern, welche nachgedruckt oder neu aufgelegt werden sollten, sehr unnöthige Verbesserungen machen, damit man davorsetzen konnte: »Neue und verbesserte Auflage«. Zuletzt wurde ich sogar durch seine Vorsprache ein Critiker und Mitarbeiter an einer schlechten periodischen Schrift. Da schickten mir nun die Buchhändler die Werke zu, welche in ihrem Verlage herauskamen, legten gewöhnlich einen Gulden und ein freyes Exemplar bey und schrieben mir vor, wie und was ich loben, tadeln, verdächtig machen sollte. Zuweilen mußte ich es dahin zu bringen suchen, daß ein Buch in irgendeiner Gegend verbothen wurde, damit es im Preise steigen möchte. Bey dieser Gelegenheit las ich dann viel und wurde recht eingeweyhet in die neueste Literatur. Wenn meinem Schutzherrn Manuscripte geschickt wurden, so mußte ich erst beurtheilen, ob sie des Drucks würdig waren oder nicht – Aber wohl zu verstehn! nicht nach ihrem innern Werthe, sondern nach dem Gepräge, das ihnen die Mode gab. Ernsthafte, der Welt nützliche Werke, die den Verfasser Aufwand von Genie, Studium, Fleiß, manche Nachtwache gekostet hatten und die das Resultat tiefer Nachforschungen, beschwerlicher, kostbarer Reisen und langjähriger Anstrengung waren, wurden schlecht bezahlt oder die armen Schriftsteller wohl gar mit dem Bescheide abgefertigt: »Dieser Artikel geht nicht.« Aber kleine Romane, wie die Geschichte Peter Clausens, Jeremias Bocksprünge, Bücher über den Zweck der Freymaurerey, rosencreuzerische Schriften, Punctierbücher, über alte und neue Mysterien, Vademecums, Blumenlesen und dergleichen – das waren Bücher, die wir gut bezahlten. Bogenweise geschrieben und in die Druckerey geliefert, fand sich oft der erste Theil schon vergriffen, ehe der Plan zu dem zweyten zusammengelogen war –ja! sie wurden ohne Plan geschrieben, und indes der erste Bogen aushing, hing der zweyte noch nicht in des Verfassers Kopfe. Wenn wir uns aber auch noch so viel von einem Buche zu versprechen hatten, so durfte doch das der Verfasser nicht gewahr werden. Wir zuckten die Achseln, klagten, das Papier sey theuer, der Druckerlohn kostbar, der guten Werke dieser Gattung zu viel – Kurz! wir machten uns die besten Talente zinsbar und lebten von dem sauern Verdienste Andrer, die indes bey aller Anstrengung ihrer Kräfte kaum das Brot hatten und zuletzt, wenn sie merkten, wie wir mit ihnen umgingen, auch aus Verzweiflung, um nicht zu verhungern, zu etwas Besserm geboren, handwerksmäßig arbeiteten. Auf diese Art töteten wir manches große Genie und hemmten jeden Fortschritt in großen nützlichen Kenntnissen, weil wir den schätzbarsten Fleiß niederschlugen und nur den Pfuscher belohnten, der nach unsern eigennützigen Absichten arbeitete. Wollte ein Schriftsteller sich dieser Tyranney entziehn und auf seine Kosten ein Buch herausgeben, so verschworen sich alle Buchhändler, Freunde und Feinde, gegen ihn, das Werk nicht zu debitieren, und hätte er fünfzig Procent schwinden lassen. Übrigens, da wir einmal im Besitze waren, den Ton anzugeben, mußten uns alle kleinere Buchhändler huldigen. Da mochte einer von ihnen das herrlichste Werk verlegt haben, wenn nicht wir uns Seiner annahmen, insofern er uns diese Protection bezahlte, so blieb sein Buch Maculatur in alle Ewigkeit, es müßte denn unerwartet so viel Aufsehen gemacht haben, daß wir es nachdrucken und wohlfeiler wie der rechtmäßige Besitzer verkaufen konnten.

Reyerberg hatte inzwischen oft geschrieben. Er war in einer ähnlichen Lage, und wir dachten nur daran, wie wir den Zeitpunct treffen wollten, wiederum an Einem Orte zusammenzuleben, welches aber itzt schwerer wie jemals war, da der Brotneid uns vielleicht, wie es unter Menschen und vorzüglich in der gelehrten Welt gewöhnlich ist, leicht würde getrennt haben, wenn wir auf demselben Schauplatze gestanden wären.


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