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VII.

Getheilte Forschung. 6. August bis Ende September.

Marsch nach Gladman-Landspitze. – König Wilhelms-Land, seine geographischen Verhältnisse, Bodengestaltung und sein Thierreichthum. – Cap Herschel. – Nebel. – Kleine Rationen. – Unsere Eskimos. – Neue Funde. – Adelaide-Halbinsel und ihre Beziehungen zu Franklin's Untergang. – Muthmaßlicher Weg der Unglücklichen. – Eskimo Joe. – Eskimo-Sitten. – Winteranfang. – Eine neue Nahrungsquelle. – Ueberfahrt nach König Wilhelms-Land. – Ankunft der Schwatka'schen Partie. – Beendete Forschung.

Am Morgen des 6. August trennten wir uns in zwei Partien. Lieutenant Schwatka mit Gilder blieben an Ort und Stelle, um die Forschung im westlichen Theile von König Wilhelms-Land zu beendigen, während für mich und Melms die Aufgabe eine doppelte war. Wir sollten auf unserem Marsche südöstlich die Küste begehen, die Simpson-Straße, falls unsere Eskimos nicht auf der Insel selbst wären, kreuzen und dann auf der Adelaide-Halbinsel die Forschung fortsetzen. Tuluak, der unsere Partie begleitete, sollte mit verstärkter Hundezahl und mit den ergänzten Vorräthen an Munition, Tabak und Fußbekleidung nach Terror-Bai zurückkehren.

An ein besonders schnelles Fortkommen war nicht zu denken, da wir einestheils unser Hab und Gut selbst tragen mußten, anderntheils aber die in den ersten Tagen durchzogene Gegend eine sehr wildreiche war, und namentlich die feinen Rennthierfelle mit ihren jetzt noch kurzen Haaren Tuluak zum fleißigen Jagen bewogen. Diese reichen Jagdgründe reichten jedoch östlich nur bis gegen Cap Herschel, von dort an waren trotz der schönen Mooswiesen Rennthiere nur spärlich zu erblicken. Der Uebergang war ein staunenswerther, und insoferne, da wir auf unseren Hunden keine besonderen Vorräthe mitführen konnten, war dieses beinahe gänzliche Ausbleiben der Rennthiere für uns sehr unangenehm.

Karte

Die ganze Zeit hatten wir uns meistens an der Küste selbst aufgehalten und bekamen Gelegenheit, sowohl die horizontale, als auch die vertikale Bodengestaltung der Insel König Wilhelms-Land zu beobachten. Die Küstenentwicklung ist, sowie im nordwestlichen Theile, auch im südlichen eine sehr bedeutende. Terror-Bai allein, welche an ihren in's offene Meer auslaufenden Grenzen von der Fitzjames- bis zur Asaph Hall-Insel in der Richtung von Westen nach Osten blos eine Distanz von 15 Meilen aufweisen kann, hat, wenn man dem Strande nachgeht, eine Entwicklung von 96 Meilen. Alle Punkte von Cap Felix bis Tulloch-Point tragen, mit Ausnahme einiger äußerst kurzen sandigen Strecken und der ganz flachen lehmigen Strände, im südöstlichen Theile von Erebus-Bai und nördlichen Theile von Washington-Bai denselben Charakter.

Aus dem sehr seichten Meere hebt sich in kleiner Thonsteinbildung die Küste in wellenförmigen, zu einander parallelen Terrassen, und erst in der vierten oder fünften Abstufung zeigt sich eine schwache Andeutung vegetabilischen Lebens. In den Buchten steigen die Terrassen höher und bilden sich zu kleineren Hügeln, die in ihrer Formation den der Küste nächstliegenden gleich sind. Auf den verschiedenen Landspitzen, wie z. B. den kleinen Halbinseln in Terror-Bai, namentlich aber auf dem Landvorsprunge zwischen Terror-Bai und Washington-Bai, tritt die Neubildung des Landes noch charakteristischer hervor.

An den der Küste nächstgelegenen Theilen sind die schon erwähnten Terrassenformen wieder vertreten, doch hinter denselben auf nur kleiner Höhe vom Meeresniveau dehnen sich oft ein bis zwei Meilen weit die prächtigsten Mooswiesen aus, auf denen man sehr oft auch Reste von Treibholz findet. Gegen das Innere sind diese Mooswiesen dann durch bastionartige Hügelgürtel begrenzt, die aus Thonsteinen gleichsam erbaut zu sein scheinen. Sie haben eine Höhe von 30 bis 40 Fuß und besitzen gegen die Seeseite eine verhältnißmäßig steile Böschung von 45 bis 60°, ja stellenweise fallen dieselben beinahe senkrecht ab.

Die auf Seite 114 beigesetzten Figuren zeigen den Durchschnitt der verschiedenen senkrechten Landgestaltung, während die Zeichnung auf Seite 116 einen solchen Bastionhügel veranschaulicht.

Die Thonsteine selbst sind, ob klein oder groß, stets flach und zeigen eine Unzahl von Ab- und Eindrücken, von denen die drei auf Seite 115 beigefügten Formen am häufigsten vorkommen.

Namentlich die oberste und unterste ist allgemein, und man kann sagen, daß auf jedem zehnten Steine sich eine dieser zwei Formen zeigt. Einen bedeutenderen Thier- noch irgend einen Pflanzenabdruck haben wir weder auf König Wilhelms-Land noch auf Adelaide-Halbinsel zu Gesichte bekommen.

Mooswiesen

Mit der Gestaltung des vertikalen Durchschnittes des Landes selbst steht auch die Anwesenheit des Rennthieres in den verschiedenen Gegenden in engster Verbindung. Die Rennthiere halten sich während der Wurfzeit gerne einzeln und von der Meeresküste entfernt auf und dieses wird ihnen durch die Bodengestaltung des Innern von König Wilhelms-Land mit seinen guten Futtergründen sehr erleichtert. Im Juli und Anfang August dagegen findet man sie in der Nähe des Salzwassers, wo eine salzhaltige Moosgattung wächst und in den niedrigen Wiesenländern häufig vorkommt. Diesem Grunde ist es zuzuschreiben, daß wir bis westlich von Cap Herschel viele Rennthiere sahen, während diese mit dem 13. August, an welchem Datum wir das Cap selbst betraten, gänzlich aufhörten. Die Küstenentwicklung von dort bis Tulloch Point ist keine bedeutende, das Vertical-Profil des Landes entbehrt der breiten moosbewachsenen Niederungen in der Nähe des Salzwassers, und es hat die Gegend für das Wild daher keine Anziehungskraft. Dazu mag sich noch der Umstand gesellen, daß die Netchilliks zeitweise den eben besprochenen Theil bewohnen und die Rennthiere verscheuchen, obzwar, wie wir später sehen werden, letztere oft bis in die nächste Nähe der Ansiedlung von Menschen kommen.

Die gehegten Hoffnungen, unsere Eskimo-Ansiedlung am Cap Herschel zu finden, blieben unerfüllt. Alles was diese dort übrig gelassen war das Kajek, eine große Zahl von Seehunds- und Geflügelknochen, ihre Steinlampen und anderes erst im Winter nothwendige Material. Die Stellung des Kajek zeigte in südsüdöstlicher Richtung nach dem Hauptlande und wir mußten die Küste vor Allem weiter verfolgen, um später die Simpson–Straße an ihrer engsten Stelle zu übersetzen.

 

Die Untersuchung der schon Eingangs erwähnten vermeintlichen Grabstätte auf Cap Herschel war nicht von dem gehofften Erfolge begleitet. Die Steinhaufen waren keine Gräber, sondern Cashes (Verstecke), wie sie die Eingebornen zur Aufbewahrung von Oel- und Fleischvorräthen verwenden. Die in Kreisform gelegten Steine und zahlreich herumliegenden Seehundsknochen bewiesen uns, daß die Eskimos sich hier öfters aufhielten. Auch die Untersuchung des alten Cairn nach einem von Franklin's Leuten allenfalls hier deponirten Documente erwies sich als erfolglos.

Am 15. setzten wir uns zu einer ungewöhnlich frühen Morgenstunde in Bewegung, doch war es nicht Eifer, der Tuluak bewog, zum Aufbruch zu mahnen. Ein fernes Gewitter war es, das ohne Blitzerscheinung mit dumpfem Donner die Familie unseres Begleiters so zeitlich auf die Beine brachte. Ist es die Seltenheit des Donners oder hängt es mit den religiösen Anschauungen der Eskimos irgendwie zusammen, daß sich selbst eines so muthigen Mannes, wie es Tuluak unstreitig war, eine solche Furcht und die sichtlichste Aufregung bemächtigte? Die Antwort darauf muß ich dem Leser schuldig bleiben, doch versichern kann ich ihn, das es keine Minuten dauerte, bis unser Zelt abgebrochen, die Hunde bepackt waren und Tuluak, da sich nächst der Küste eiseshalber kein Fahrwasser befand, sein Kajek am Kopfe tragend, zum Abmarsche fertig stand.

Thonsteinhügel auf König Wilhelms-Land.

Auf dem Marsche nach Gladman Point schien sich überhaupt Alles gegen uns verschworen zu haben. Ein dichter undurchdringlicher Nebel lagerte sich über die ganze Gegend und versperrte jede Aussicht, hinderte uns im schnellen Fortkommen und auch unsere Jagd blieb erfolglos. Wir liefen täglich, nachdem wir das Campirungszelt aufgeschlagen hatten, 4 bis 5 Stunden in der Gegend nach Rennthieren suchend umher, sahen aber weder solche selbst, noch die geringsten Zeichen von ihnen. An Nahrung war Mangel eingetreten. So bildete eine Ente und ein Pfund Rennthiertalg für unsere ganze, aus sechs Personen bestehende Partie für 36 Stunden einmal unsere einzige Mahlzeit. Am 17. unternahm es Tuluak, da die Küste eisfrei geworden war, nach dem Hauptlande zu kreuzen und nach unseren Eskimos zu suchen. Er kam zurück, ohne sie gefunden zu haben, doch gelang es ihm drüben ein Rennthier zu schießen, dessen Fleisch er mit herüberbrachte, und da wir auf diese Weise für 2 bis 3 Tage mit Proviant versehen waren, ging er schon am folgenden Tage wieder hinüber.

Die drei Tage seiner Abwesenheit waren für uns sehr unangenehme. Das Wetter war prachtvoll und warm, doch konnten wir es nicht ausnützen, wir waren in des Wortes vollster Bedeutung barfuß. Das letzte Stückchen Seehundsleder war auf der Wanderung zu Grunde gegangen, die Seehundsstiefeln hatten neue Löcher bekommen und zum nochmaligen Flicken fehlte das Material. So mußten wir denn die ganze Zeit – drei lange Tage – im Zelte zubringen. Ich citire hier wörtlich eine Stelle aus meinem Tagebuche:

»30. Juli 1879. Zwei Tage sind erst verflossen, seitdem Tuluak und Arunak (bekanntlich ein Junge) nach dem Hauptlande gingen, um nach unseren Eingebornen zu sehen, doch für uns sind sie eine Ewigkeit.

Der schöne arktische Sommer, von dem wir in den letzten Tagen eine Idee erhalten haben, scheint, nach dem heutigen Wetter zu schließen, wirklich zu existiren, denn die Nebel haben sich verzogen, die See ist wie ein Spiegel und es ist in Anbetracht der hohen Breite fürchterlich heiß. Und doch diese Langeweile! In solch' einer Situation waren wir eigentlich schon lange nicht! Keine Schuhe, daß man herumlaufen könnte, kein Tabak, daß man rauchen könnte und keine großen Vorräthe, daß man sich mit Essen die Zeit vertriebe. Gestern hatten wir zwei Zündhölzchen und ich wollte es den Eskimos nachmachen, welche die Zündhölzchen spalten, um mit einem zweimal Feuer zu machen; doch hatte sie Susy (Tuluak's Frau) zum Anzünden ihrer letzten Tabaksreste aufgebraucht, und so bleibt uns nichts übrig, als nachzugrübeln, ob Tuluak unsere Eskimos finden oder nicht finden werde.

Wenn er nur wenigstens die Munitions- und Tabaksvorräthe fände, dann ginge es noch, wir haben so viel schon fertig gebracht, vielleicht lernen wir auch noch auf König Wilhelms-Land und seinem herrlichen Mosaikpflaster mit bloßen Füßen herumlaufen. Die größte Sorge machen mir unsere Hunde. Hier liegen sie, zwölf an der Zahl, an Steine angebunden, schon sieben Tage ohne Nahrung und viel länger halten sie es nicht mehr aus. Lassen wir sie aber frei herumlaufen, so riechen sie den einen Rennthierschlägel, den wir noch haben und wiederholen, wie verflossene Nacht, die Attaque darauf.«

Mit Niederschreiben ähnlicher Bemerkungen vertrieb ich mir die langen Stunden und als sich Abends wieder Nebel zeigte, feuerte ich, für den Fall, daß Tuluak schon auf dem Wege zu uns wäre, drei Signalschüsse ab.

Noch eine Stunde verging und wir vernahmen die leisen Schläge eines Ruders im Wasser. Freudig sprangen wir aus dem Zelte, doch Tuluak war schon gelandet und brachte am Rücken ein Bündel in's Zelt. Alles war in Ordnung; Eingeborne und Vorräthe waren gefunden und für unsere Uebersetzung an die andere Seite der Wasserstraße war Sorge getragen.

Die Meisterschaft und Zuverlässigkeit unseres Jägers befriedigten am folgenden Morgen auch die Hunde. Gerade als wir im Begriffe waren, der besseren Ueberfahrt halber weiter südlich zu übersiedeln, entdeckte Tuluak's Frau ein einzelnes Rennthier am Kamm des nahen Hügels. Schweigend ergriff Tuluak sein Gewehr und im nächsten Augenblicke war das Rennthier, mit ihm aber auch Tuluak hinter dem Horizonte verschwunden.

Lange Minuten banger Erwartung folgten. Es handelte sich um das Leben unserer Hunde; wenn ein Schuß krachte, wußten wir, daß das Thier erlegt war. Ein Schütze wie Tuluak brauchte nur die Gelegenheit, zum Schuß zu kommen – dann war die Beute sein. Eine halbe Stunde war verflossen – noch kein Knall. Jetzt kracht ein einzelner Schuß. Ich und Melms hatten die Leinen zum Heimtragen der Beute schon bereit und liefen jetzt, da uns der einzelne Schuß schon Beweis genug lieferte, daß Tuluak Erfolg gehabt, ihm nach. An Ort und Stelle angelangt, war die Beute schon abgezogen und bald war sie bei unseren Hunden, die auch sogleich gefüttert wurden. Eine Viertelstunde später war außer ein paar Knochen und dem Fell nichts mehr übrig, wir setzten unseren Marsch fort und am Abend übersetzte uns ein Netchillik-Eskimo auf zwei aneinander gebundenen Seehundsbooten über die Simpson-Straße hinüber auf's Hauptland.

Am 24. trafen wir unseren Eskimo Joe. Vor Allem mußte Tuluak nach Terror-Bai gesendet werden, um die von Lieutenant Schwatka gewünschten Sachen zu übergeben. Melms übernahm es freiwillig, die retournirende Partie, der sich auch Netchillik Joe sammt Familie anschloß, zurückzuführen, indem er wußte, daß die Eingebornen ohne Weißen, wenn sie gute Jagdgründe passiren, gerne herumlungern, während die an Terror-Bai befindliche Partie, namentlich der Fußbekleidung wegen, auf deren Rückkehr sehnlichst warten dürfte. Mit der Sendung von Fußbekleidung sah es freilich traurig aus. Die Weiber, wenn sie, wie damals, viel zu essen haben, werden faul, und während der besten Rennthierjagdzeit dürfen dieselben ihrem Aberglauben zufolge nicht an Seehundsfellen nähen. Mir blieb daher nichts übrig, als eine regelrechte Requisition anzustellen und die fertigen Seehundsstiefel, wem sie auch immer gehörten, wegzunehmen. Dieses allerdings ungerechte Mittel war das einzige, meine Leute an Terror-Bai vor dem Barfußgehen zu bewahren.

Einen angenehmeren Platz, wie sich ihn Eskimo Joe mit seinem neu erworbenen Schwiegervater ausgesucht hatte, kann man sich als arktische Sommerresidenz kaum denken.

Auf einem circa 400 Fuß hohen Hügel, der im Norden über die Simpson-Straße, im Süden aber einem großen Theil der Adelaide-Halbinsel dominirte, hatten die Beiden neben einem kleinen Teich ihr Zelt aufgeschlagen. Die Rennthiere sind hier knapp am Meeresufer zu finden und werden erst gejagt, wenn sie in die Nähe des Zeltes kommen, da es zum Anlegen von Fleischvorräthen im August noch etwas zu zeitlich ist und das Fleisch bei dem warmen Wetter leicht verdirbt. Meilenweit in der Runde wohnte jetzt keine Seele, denn die Netchillik-Eskimos sind alle im Inlande, um auf den großen Teichen mit Hilfe ihrer Kajeks Rennthiere zu erlegen. In der Nähe eines kleinen Hügelpasses errichten sie in Reihen Steinhaufen, die von Weitem wie Menschen aussehen und jagen dann die Rennthiere zwischen denselben durch, in den dahinter befindlichen größeren Teich, wo die Thiere von den Verfolgern mittelst Seehundsbooten leicht eingeholt werden.

Gegenden, die solche Jagdarten zulassen, müssen gewiß wildreich sein; um so unbegreiflicher ist es für Jemanden, der mit den Landesverhältnissen bekannt ist, wie Franklin's Leute so hilflos zusammenbrechen konnten. Man könnte wohl die Einwendung machen, daß diese die verschiedenen Gegenden gerade zu einer Zeit besuchten, um welche solche, wie schon oben angedeutet, sehr wildarm sind; doch sollte man glauben, daß über hundert Personen, die zwanzig Monate beinahe unthätig zubrachten, sich während dieser Zeit nicht immer auf den Schiffen befanden, sondern wenigstens im Sommer Jagd- und Recognoscirungs-Excursionen unternahmen, wodurch sie die Eigenthümlichkeiten des Landes hätten kennen lernen müssen, um sich bei ihrem Rückzug darnach einzurichten.

Unsere unter Joe's Aufsicht zurückgelassenen Eskimos waren bis zum Unsicherwerden des Eises auf Cap Herschel, wo wir sie verlassen hatten, geblieben, dann aber mit unseren Vorräthen nach Adelaide-Halbinsel gezogen, um sich dort am Fischfang zu betheiligen.

Der Salm ist Ende Juni und Ansang Juli an den hiesigen Küstenstrichen sowohl quantitativ als auch qualitativ sehr zahlreich vertreten, denn um diese Zeit wird es ihm möglich, aus den großen Inlandteichen, wo er im Herbst seinen Laich absetzt, zurückzukehren.

Der Fang dieses Fisches ist für die Netchillik-Eskimos eine Hauptnahrungsquelle. Haben sich im Eise Risse und Löcher gebildet, dann stellen sich die Männer um die Zeit der höchsten Fluth an dieselben und bedienen sich gabelförmiger Speere beigedruckte Figur um den Fisch zu harpuniren. Als Lockspeise werden mehrere aus Bein oder Horn gemachte Kügelchen oder auch nur eine Sammlung kleiner Rennthierzähne, Alles aber ohne Fischhaken verwendet. Kommt der Fisch, so wird er mit dem Speer erfaßt. Der oberste lange Dorn dringt durch den Fisch, während die beiden schief eingesetzten Seitendorne, gleich Widerhaken, sein Entkommen verhindern. Auf diese Weise werden zu Beginn des Sommers Tausende dieser Fische gefangen. Die Köpfe werden als Hundefutter aufbewahrt, während der übrige Theil dem Rückgrat nach gespalten und auf über Steinen gespannten Leinen in der Sonne getrocknet wird. Die so conservirbaren Fische werden dann dicht auf- und aneinander geschichtet, in Seehundsfelle eingenäht, unter Steinen verborgen und dienen als Reservevorrath für den Winter.

Die Anwesenheit unserer Eingebornen in Gemeinschaft mit den Netchilliks hatte aber auch noch den Zweck, die Küste der Adelaide-Halbinsel einer Forschung zu unterziehen. Eskimo Joe. der in dieser Beziehung seine volle Schuldigkeit gethan hat. war schon während der ersten Monate seines Aufenthaltes an der Hungerbucht gewesen und hatte im Sande und im Seegrase in der nächsten Nähe der Hochfluth-Grenze nicht nur Gebeine gefunden, sondern auch Kleidungsstücke herausgegraben. welche letztere wahrscheinlich Ossicieren gehört hatten. Schuhe, Stiefel. Uniformbestandtheile, Knöpfe ec., das Alles lag noch hier und in der Nähe fand sich auch eine kleine silberne Gedenkmünze an das Vomstapellassen eines großen englischen Dampfers am 23. August 1843 durch Se. Hoheit den Prinzen Albert.

Außerdem fanden die Eskimos erst im vergangenen Sommer, 5 Meilen von der Hungerbucht entfernt, die Ueberreste eines Kaukasiers, und dieser Fund allein ist es, der als Beweis dienen muß, daß das in der oft genannten Bucht gefundene Boot durch den Willen und die Kraft seiner Insassen und nicht durch die Willkür des Windes und der Strömung dort an den Strand getrieben wurde.

Mit dieser Ueberzeugung wird sich aber auch die Frage auswerfen, was die daselbst gelandete Partie, falls sie noch in thatfähigem Zustande war, an diesem Punkte thun wollte. Ihren Curs nur wenig weiter östlich nehmend, hätten die Leute die Mündung des Backs-Flusses – ihr erstes Ziel – erreicht, denn diesen hatten sie offenbar stromaufwärts zur Reise nach dem ersten englischen Handelsposten benützen wollen. Der Hauptgrund der Landung der Leute hier konnte also in erster Linie nur darin liegen, daß sie entweder vollkommen unfähig waren, ihr Boot zu regieren, oder das erste Land, mit der Hoffnung, jagdbare Strecken zu finden, zum Anlegen wählten.

Einen anderen Zweck konnte ihre Landung nicht haben, denn falls Adelaide-Halbinsel überhaupt eine Wichtigkeit als Rückzugslinie für sie gehabt hätte, so hätte sich ihnen ja weiter westlich an der blos 3 Meilen breiten Simpson-Straße eine bessere Stelle zum Uebersetzen dargeboten. Daß sich eine Partie der verunglückten Expedition je auf der Adelaide-Halbinsel aufgehalten hatte, dafür spricht nicht das geringste Zeichen; vom Gegentheil aber kann man sich leicht überzeugen.

Betrachten wir den Rückzug der Leute von Irving-Bai, so finden wir ihre Zahl stets kleiner werdend; zuerst eine Desorganisation der damals noch an 100 Mann zählenden Abtheilung an Erebus-Bai, ihre gänzliche Auflösung als disciplinirtes Commando aber an Terror-Bai. Da die Leute von den Schiffen aus – der Größe der Bootbestandtheile nach zu schließen – nicht mehr als drei Boote mitgenommen haben dürften, zwei aber bekanntlich schon an Erebus-Bai zurückgelassen werden mußten, so wäre ein Boot noch mit der Abtheilung nach Terror-Bai gekommen und dieses findet sich nach der Aussage der Eingebornen mit der von diesen gesehenen Partie nahe Cap Herschel und – ich will dies nicht positiv behaupten, doch ist die Annahme eine sehr wahrscheinlich richtige – schließlich in der Hungerbucht wieder. Der Leser wird sich aber aus den vorhergehenden Seiten aus Alanak's Aussage zu erinnern wissen, daß das Eis damals schon schlecht war (es war also Anfangs Juli), und die Partie durfte sich so lange im Küstenwasser des südöstlichen Theiles der Insel langsam weiter bewegt haben, bis ihnen das Aufbrechen des Eises eine Ueberfahrt gestattete. Von dieser Partie mögen auch die Skelete stammen, die 1869 der Forscher C. F. Holl auf einer der drei Todd-Inseln fand und beerdigte, während die einzelnen an der Küste von König Wilhelms-Land zwischen Washington-Bai und Booth-Landspitze liegenden und vor der Entdeckung unbeerdigten Ueberreste von Weißen aus den letzten Stadien des Elends der Leute, bevor sie dem Hungertode erlegen sind, herrühren. Beinahe schon im letzten Todeskampfe erfaßt den Menschen die Willenskraft noch einmal, er rafft sich mit Aufbietung seiner äußersten Kräfte auf und sucht sich zu erhalten. So mag es bei Franklin's Leuten auch gewesen sein – einzeln, getrennt, blos auf die eigene Rettung bedacht, eilten sie weiter, doch nur kurze Zeit, dann brachen sie zusammen, um ihr Leben zu enden. Daß im Juli und August gerade in dem Theile der Insel kein Wild ist, wissen wir ja aus eigener Erfahrung.

Durch diese Betrachtung über den muthmaßlichen Weg und das Ende der Franklin'schen Leute sind aber auch die Grenzen für eine weitere Aufklärung der Sache gezogen, denn für weitere, besonders für mit genügenden Beweisen belegte Details fehlen jede ferneren Anhaltspunkte. Der Franklin'schen Forschung ist viel Geld gewidmet worden, es haben verschiedene Personen große Energie, Ausdauer und Leistungsfähigkeit entwickelt, doch hat der ganzen Forschung der ersten 20 Jahre nach der Katastrophe selbst die ruhige, überlegende Denkkraft gefehlt und dieser Mangel an Ueberlegung hat sich schwer gestraft. Die Forscher, die vor 20 und auch noch vor 10 Jahren gerade am Schauplatze des Unterganges einer so großen Menschenzahl waren, haben sich mit leichten Errungenschaften zu rasch befriedigt gestellt, anstatt die gefundenen Spuren bis auf's äußerste zu verfolgen. Eine halbwegs genaue Forschung hätte damals gewiß Bedeutendes geleistet, ja vielleicht den ganzen Thatbestand aufgeklärt. Für uns natürlich hat die Zeit von 32 Jahren ihre Einflüsse schon zu sehr zur Geltung gebracht.

In Anbetracht der bereits erfolgten Durchforschung der Adelaide-Halbinsel durch die Netchilliks unter der Leitung Eskimo Joe's war ich denn jetzt zum erstenmale Herr meiner freien Zeit. In der Ueberwachung unserer Depots, die hier und da an einige Meilen von einander entfernten Punkten unter Steinen vergraben waren, bestand meine einzige Pflicht und Schuldigkeit. An Nahrung fehlte es hier nicht, denn für genügende Vorräthe sorgte Joe's Schwiegervater, Joe selbst aber lag beinahe einen Monat an Rheumatismus krank. Zwei Polar- und drei Franklin-Aufsuchungs-Expeditionen macht man, selbst wenn man Eskimo ist, nicht ohne Nachtheil für die Gesundheit mit. Indessen trat in seinen Zustand nach und nach Besserung ein.

Meine Ruhe, der ich mich hinzugeben gedachte, dauerte aber nicht lange, nach zwei oder drei Tagen mußte ich – das Herumwandern war mir nunmehr Bedürfniß geworden – hinaus auf die Jagd. Joe, die Gewohnheiten der Weißen kennend, warnte mich dabei auf das eindringlichste, ich möge doch ja nicht allein solche Ausflüge unternehmen, ich könnte mich leicht verirren. Er hatte schon früher Gelegenheit gehabt, Verirrte suchen zu müssen und seine Besorgnisse waren ganz berechtigte. In einem Lande, welches in seiner Einförmigkeit keine besonderen Anhaltspunkte zur Orientirung bietet, und besonders dann, wenn Nebel, Regen und Schnee die Sonne, Mond und Sterne, die einzig sicheren Wegweiser straßenloser Gegenden, unsichtbar machen, verirrt man sich sehr leicht. Ich hatte mir bald zur Gewohnheit gemacht, stets Richtung und Distanz meiner Marschrichtung im Gedächtnisse zu behalten und mit einem Bilde des gemachten Weges im Kopfe fand ich leicht meinen Weg zurück.

Der Zweck der meisten meiner Spaziergänge war die Aufsuchung alter Campirungsplätze der Eingebornen. In deren nächster Umgebung pflegten nämlich kleine Stückchen Holz zu liegen, meistens Ueberreste der verloren gegangenen Schiffe Franklin's, die vielleicht schon seit langen Jahren bei Verarbeitung der Schiffsbestandtheile zu Geräthschaften und Utensilien durch Eskimos als Abfall liegen geblieben sind. Diese Späne waren für mich ein Schatz, denn Treibholz gab es auf Adelaide-Halbinsel keines, brennbare Moose fanden sich erst weit im Inlande und so blieben diese Holzabfälle unser einziges Brennmaterial. Mit der größten Geduld und Aufmerksamkeit sammelte ich oft stundenlang knieend die kleinsten Späne, um mit gleicher Sparsamkeit und Vorsicht dieselben zum Kochen einer sogenannten warmen Mahlzeit zu benützen.

Das Leben unter Eskimos war mir allmählich fast zur zweiten Natur geworden, ich lebte mich langsam in ihre Gewohnheiten, ja beinahe selbst in ihre abergläubischen Sitten ein.

Gerade wie es während der Zeit der Seehundsjagd dem Eskimo durch traditionell fortgepflanzte religiöse Satzung verboten ist, die Hunde beim Füttern an einem Seehundsknochen nagen zu lassen, so ist es auch bei der Rennthierjagd. Die Hunde, die, gleich den Eingebornen selbst, den ganzen Sommer nichts thuend, fett und wohlgenährt aussehen, sind Alle au Steinen angebunden und erhalten an den Fütterungstagen nur Leber, Herz, Milz ec., während die Knochen der Rennthiere von der Hansfrau mit großer Sorgfalt so lange aufbewahrt werden, bis sich eine größere Menge angesammelt hat. Dann werden dieselben entweder, mit grossen Steinen beschwert, vergraben oder in einen tiefen Bach geworfen, um sie nicht den Hunden zur Beute fallen zu lassen.

Am Salmbach.

Eine andere eigenthümliche Sitte ist die, daß ein erlegtes Rennthier so zerlegt werden muß, daß dabei kein Knochen gebrochen wird. Der Eskimo besitzt daher in Hinsicht auf Rennthiere auch einige anatomische Kenntnisse und die Schnelligkeit, mit der er seine Beute zerlegt, würde unter geübten Metzgern ihres Gleichen suchen.

Das Mark der Fußknochen ist unter den Eingebornen ein äußerst beliebter Leckerbissen und hatte auch für uns einen an Butter erinnernden Geschmack. Nun durften die Eskimos aber zu dieser Jahreszeit keine Knochen zerschlagen und wollten es anfange auch nicht leiden, daß ich es that. Ich zerschlug jedoch die Knochen nun außerhalb der nächsten Umgebung des Zeltes; als die Eskimos dies gewahr wurden, ersuchten sie mich, dasselbe auch für sie zu thun. Und so kam es auch noch bei vielen anderen abergläubischen Sitten zu einem kleinen Compromiß.

Aber das Herkommen, das ihnen verbot, während der Jagdzeit neue Kleider zu machen, besorgten sie stets mit aller Standhaftigkeit.

Mit dem Eintritte der ersten Septembertage meldete der Winterkönig seine Ankunft. Das schöne Augustwetter war vorüber und das nunmehrige Sinken der Temperatur unter den Gefrierpunkt mahnte stark an die bevorstehende Periode, wo Schnee und Eis für neun lange Monate die einzige Hülle für Land und Wasser sein wird. Regen, Hagel und endlich Schnee fingen an, den Aufenthalt im Freien unangenehm zu machen. Zu unserem großen Verdruß fanden wir eines Morgens unsere Seehundsstiefel zum erstenmale gefroren. Selbst die Rennthiere, die sich so zahlreich in der Umgebung der Seeküste eingefunden, wurden spärlicher und hörten nach wenigen Tagen ganz aus, sichtbar zu sein. Unsere Jäger konnten nicht, wie früher, sozusagen vom Zelte aus den nöthigen Wildbedarf für die Hauswirthschaft verschaffen, sondern mußten hinaus, um von Früh bis Abends die Rennthiere aufzusuchen. Doch ihr Erfolg wurde täglich geringer und zuletzt kehrten sie heim mit dem einfachen, lakonischen Ausspruch: tuktuk pikihangitu (d. h. die Rennthiere sind Alle). Eskimo Joe, der nun so weit genesen war, daß er mit einem Stocke wieder herumgehen konnte, hatte jedoch bereits eine neue Nahrungsquelle gefunden.

Am Fuße des Hügels, auf dem wir wohnten, war ein wohl seichter, aber reißender Bach, der, den darin befindlichen Steindämmen nach zu schließen, schon früher Menschen aus der Verlegenheit geholfen hatte. In den letzten August- und ersten Septembertagen verläßt der Salm das Salzwasser und geht durch die Bäche und Flüsse in die großen Teiche des Inlandes, um seinen Laich zu legen. In kurzer Entfernung vom Strande war der Bach in der stärksten Strömung eingedämmt und durch einen Stein eine Schleuße gebildet, die in der Fluthzeit offen gelassen wird, um die Fische einzulassen. Alle Nebenkanäle sind sorgfältig unpassirbar gemacht und am Ende seewärts aus Steinen Fallen gebaut, die, einem deutschen Fischkorb ähnlich, die Fische hereinlassen, deren Austritt aber unmöglich machen. Hat die Fluth den Culminationspunkt erreicht und beginnt der Wasserspiegel zu sinken, dann wird die Schleuße geschlossen und mit einer Stange die so eingeschlossenen Fische in die Steinfallen getrieben. Auf diese Weise fingen wir in einer Fluth 19 schöne Exemplare.

Diese Art des Salmfanges währt aber nur sehr kurze Zeit und der Eintritt der ersten Kälte, die den seichten Bach gefrieren läßt, macht der weiteren Ausbeute ein Ende. Ich für meine Person war vollkommen befriediget, die Fischkost los zu werden, denn wenn man dreimal des Tages nichts als ein Stück in salzigem Wasser gekochten Fisch erhält und diese Diät acht Tage lang fortsetzen muß, dann läßt man sich einen so langen Freitag gerne aus dem Kalender streichen und sehnt sich nach Abwechslung.

Eine arktische Fähre.

Das Thierleben war aber auch im Inlande spärlich geworden, denn die Netchilliks kamen fleißig an die Seeküste und übersiedelten nach dem südöstlichen Theile von König Wilhelms-Land, um dort durch die massenhaft vorhandenen Rennthiere ihre Nahrung zu gewinnen.

Zu demselben Zwecke übersetzten wir am 17. September die drei Meilen breite Meeresstraße. Das originelle »Ferryboot« war natürlich einheimischer Construction und bestand aus vier aneinander befestigten Seehundsbooten, die das einzige Wasserfahrzeug der hier lebenden Eskimos bilden und für ihre Größe verhältnismäßig bedeutende Lasten tragen. Unsere Partie, im Ganzen aus 17 Personen und 13 Hunden bestehend, wurde mit zweimaliger Fahrt auf das jenseitige Ufer gebracht. Wie viel Raum dabei auf eine Person kam, mag sich Jeder aus den Dimensionen des so gebildeten Flosses vorstellen, das eine etwa 5 Fuß breite und 10 Fuß lange Basis bot. Menschen, Hunde und Bagage lagen, saßen und kauerten da in dichtem Knäuel und während der dreistündigen Fahrt (das Ganze wurde nur mit zwei Rudern fortbewegt) kam mir unter anderen schönen Betrachtungen der Gedanke, was wohl aus uns werden würde, wenn eines oder mehrere der Boote zufällig leck würden.

Einmal übersetzt, bauten wir unsere Ansiedlung auf einem Hügel nahe an der Seeküste, von dem man eine gute Uebersicht auf das Land hatte, und begannen schon am folgenden Tage eine mit Erfolg begleitete Jagd, auf die ich im nächsten Capitel zu sprechen kommen werde.

Einige Tage später, am 21. September, erhielt ich durch einen Netchillik die Nachricht, daß Lieutenant Schwatka's Partie in unserer Gegend angelangt sei und sich circa sieben Meilen westlich von uns in einem permanenten Camp niedergelassen habe, um durch Theilung der Jäger diesen die Jagd zu erleichtern.

Der häufigere Schneefall hatte den Boden weiß bedeckt, die Stürme schufen frische Schneewehen und unsere Arbeit als Forscher beschränkte sich für diesen Monat nunmehr darauf, die Gebeine eines Weißen, die an Tulloch Point lagen, und von denen wir durch Eingeborne Kenntniß erhielten, zu beerdigen. Ein gut erhaltener Schädel sammt Unterkiefer und 17 verschiedene Knochenstücke waren Alles, was wir von dem Unglücklichen nach Verlauf von 32 Jahren endlich der Erde übergeben konnten. Mit diesem Acte schloß unsere Sommerbegehung und Forschung auf König Wilhelms-Land und unsere Gedanken richteten sich nunmehr der Heimat zu.


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