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Sechstes Kapitel.

Wiedersehen und neue Thätigkeit in der Heimat. – Besteigung des Vesuv 1805. – Berlin. – Politische Sendung nach Paris und dauernder Aufenthalt daselbst. – Ansichten der Natur. – Das große literarische Reisewerk über Amerika. – Ablehnung des Rufes zum preußischen Staatsdiener. – Neue Reisepläne. – Zerstörung von Caracas. – Bonpland's Schicksal. – Humboldt's Studien in Paris.


Als Alexander von Humboldt seine große Reise antrat, lebte sein Bruder Wilhelm mit Familie in Paris, und wir haben bereits früher gemeldet, wie Alexander's Briefe aus Spanien auch den Bruder angeregt hatten, dieses Land zu bereisen. – Während Alexander's Reise hatte sich aber Manches im Leben seines Bruders geändert, denn Wilhelm von Humboldt war 1802 zum preußischen Kammerherrn, geheimen Legationsrathe und Ministerresidenten am päpstlichen Hofe ernannt und lebte deßhalb zu Rom. Seine sehr leidend gewordene Gemahlin war im Mai 1804 zu einem Besuche in Weimar gewesen und reiste von hier nach Paris, da sie immer noch, trotz betrübender Gerüchte, die mögliche Ankunft ihres Schwagers Alexander hoffte. – Es war nämlich am 28. März dieses Jahres zu Rom bei Wilhelm von Humboldt ein Brief aus Havanna von Alexander eingetroffen, worin er seine nahe Rückkehr nach Europa ankündigte. Bald darauf aber hatte sich das Gerücht verbreitet, daß er kurz vor seiner Einschiffung am gelben Fieber gestorben sei, und diese, obwol unbestätigte Nachricht brachte in die brüderliche Familie zu Rom große Trauer und Aufregung.

Wie groß und überraschend mußte deshalb aus die leidende Frau von Humboldt, während sie sich im August 1804 zu Paris befand, die plötzliche Kunde einwirken, daß der, mit zaghaftem Zweifel an der Wahrheit seines Todes, schon still beweinte Weltreisende so eben mit allen seinen amerikanischen Schätzen in die Garonne eingelaufen sei. – Die Depesche, welche diese glückliche Nachricht von Bordeaux nach Paris an das National-Institut daselbst berichtete, wurde vom Sekretär desselben sogleich an die Frau von Humboldt gemeldet, und eben so groß wie deren Erstaunen, war auch Alexander von Humboldt's Ueberraschung, als er, schnell von Bordeaux nach Paris eilend, seine Schwägerin schon hier traf, während er darauf gerechnet hatte, seines Bruders Familie erst im Anfange des nächsten Jahres zu Rom aufsuchen und begrüßen zu können. – Da er die Absicht hegte, sich ganz in Paris niederzulassen, indem wol keine Stadt so viele wissenschaftliche Hülfsmittel und persönliche Anregungen darbot, wie Paris, und Humboldt überhaupt nur erst daran dachte, seine Sammlungen zu ordnen, seine Manuskripte auszuarbeiten und einem umfassenden literarischen Reisewerke zu Grunde zu legen, – so war es ihm sehr angenehm, daß die Gemahlin seines Bruders, welche im Spätjahre 1804 eine Niederkunft abhielt, bis zum Anfange des nächsten Jahres in Paris weilte, um dann zu ihrem Gatten heimzukehren, welcher unterdessen in Albano eine glückliche Einsamkeit durchlebte und die schon längst von Jena her im Geiste mit sich herum getragene Uebersetzung des Agamemnon von Aeschylus nun vornahm und vollendete, so wie auch im September seinen Freund Wolf, den Herausgeber des Homer, einlud, seine genußreiche Einsamkeit in Albano zu theilen und mit ihm Natur und geistigen Verkehr zu genießen.

Es lebte Alexander von Humboldt in Paris eigentlich nur in den Erinnerungen seiner großen Reise, indem er täglich mit dem treuen Gefährten seiner Freuden und Gefahren, Bonpland, an dem Ordnen der mitgebrachten Sammlungen arbeitete und den lebhaftesten, auf die Reiseerfolge begründeten Verkehr mit den angesehensten Gelehrten der Hauptstadt unterhielt, die, wie z. B. Cuvier, Gay-Lussac, Arago, Vauquelin, Oltmann, Laplace u. A., sich an der literarischen Bearbeitung seines riesigen Reisematerials bethätigten. – Beinahe ein ganzes Jahr ging darüber hin, ehe Humboldt Zeit fand und sich aus den Vorarbeiten seines Reisewerkes und aus dem Laboratorium der polytechnischen Schule, wo er mit Gay-Lussac chemische Untersuchungen über die Bestandtheile der atmosphärischen Luft veranstaltet hatte, loszureißen vermochte. Im Mai 1805 trieb ihn die Sehnsucht nach seinem älteren Bruder von Paris nach Rom, um der Familie einen längeren Besuch zu machen, und sein Freund Gay-Lussac, der durch seine chemischen Arbeiten einen nachhaltigen Einfluß auf ihn ausgeübt hatte, wurde sein Begleiter auf der Reise nach Italien. – Wilhelm von Humboldt lebte zu Albano in einem höchst glänzenden Zirkel des Wohlstandes und des Umganges mit den ausgezeichnetsten Menschen, welche sich zur Zeit in Rom befanden, und Alexander's Eintreffen mußte diesem geistigen und gemüthlichen Kreise einen neuen Reiz und Glanz verleihen. – Die Freude des Wiedersehens beider, von frühesten Jahren an so zärtlich in Liebe verbundener und im geistigen Leben verwandter und sich ergänzender Brüder war eine an erhabenen Empfindungen und glücklichen Eindrücken reiche; denn während Wilhelm mit Sehnsucht und Sorge den Bruder Alexander zurückerwartet hatte, brachte dieser, nach allen überstandenen Gefahren, neben der Liebe und gemüthlichen Erregung, noch die großartigsten Anschauungen einer neu entdeckten Welt, mit unmittelbarster Frische der Eindrücke, in das Haus seines Bruders, diesen Mittelpunkt eines geistigen Lebens im klassischen Alterthume. Wie lebendig mußte der Austausch ihrer Gedanken und Empfindungen sein, wie mußte Alexander, als Entdecker einer neuen wissenschaftlichen und realen Welt, der strahlende Mittelpunkt werden, um welchen sich Alle drängten, welche diesem geistreichen Kreise des Humboldt'schen Hauses angehörten; wie mußten sie seinen Mittheilungen, für welche ihm die Natur eine hinreißende Macht der Rede verliehen hatte, erstaunt zuhorchen, wenn er aus dem reichen Schatze seiner neuen Erfahrungen und Weltanschauungen die Bilder neuer Gegenden, eines neuen Natur- und Menschenlebens darstellte! Wie mußte namentlich Wilhelm v. Humboldt dadurch erregt werden, da er des Bruders neue Anschauungen vor allen Andern so richtig zu fassen, ihm in die neuen Gebiete des Wissens zu folgen und seine bisherigen Anschauungen, sein klassisches Studium, seinen politischen Blick – durch Alexanders Schilderungen auf einen höheren, allgemeinen Weltstandpunkt zu stellen vermochte!

Alexander hatte seinem geistesverwandten Bruder aber auch eigentlich für ihn bestimmte Schätze aus der neuen Welt mitgebracht. Es wurde schon früher angedeutet, daß Wilhelm von Humboldt neben dem Studium des griechischen und römischen Alterthums auch sprachwissenschaftliche Forschungen trieb; diese erhielten durch Alexander's Rückkehr eine neue, kräftige Anregung, denn in dem fernen Welttheile hatte dieser nicht versäumt, geistige Nahrung für den Bruder zu sammeln und vielmehr, nicht ohne manche große Mühe, in den Missionen und Klöstern, die er auf seinen gefahrvollen Wanderungen besucht hatte, eine bedeutende Anzahl bisher ganz unbekannter Sprachlehren amerikanischer Mundarten aufgefunden und eingesammelt. Diese brachte er dem erfreuten Bruder mit und machte nur die Bedingung, daß diese sprachlichen Schätze für die nächsten Jahre dem Professor Vater in Königsberg und Friedrich Schlegel zum zeitweiligen Gebrauche geliehen würden, dann sollten sie als Geschenk gänzlich in die Hände seines Bruders überliefert werden.

Werfen wir einen Blick auf die Persönlichkeiten, welche um diese Zeit zum Humboldt'schen Kreise gehörten, oder denselben vorübergehend berührten, so müssen wir gestehen, daß Alexander in Rom eine volle Quelle geistiger und gemüthlicher Freuden vorfand. Außer mehreren Prinzen und hohen Staatspersonen erwähnen wir nur Frau von Staël und A. W. Schlegel, die so nahe neben Humboldt wohnten, daß sie fast ein Haus bildeten; ferner: Schinkel, Graf Moltke, Tiedge mit Frau v. d. Recke, Gebrüder Riepenhausen, Rumohr, Rehfues, Sismondi u. A.

Eine neue Naturerscheinung rief Alexander von Humboldt im Sommer 1805 von Albano weg. Der Vesuv deutete auf eine nahe bevorstehende, größere vulkanische Thätigkeit hin, ein Ausbruch war sehr wahrscheinlich. Humboldt reiste mit Gay-Lussac nach Neapel, fand hier seinen alten Freund Leopold von Buch wieder und bestieg mit beiden gemeinschaftlich den Vesuv, wo sie am 12. August ankamen, gerade zu der Zeit, als dieser in einer merkwürdigen Eruption begriffen war. Mit den Erfahrungen und Anschauungen, welche Humboldt auf seiner Weltreise von den vulkanischen Erscheinungen der Erde sich erworben hatte, wurde diese Besteigung des Vesuvs, in Begleitung berühmter Naturforscher, eine lehrreiche neue Quelle wissenschaftlicher Aufklärung, und indem Humboldt auch eine Reihe magnetischer Beobachtungen mit Gay-Lussac anstellte, knüpfte er wieder neue Erfahrungen und Vergleichungen an seine schon im Jahre 1798 zu Paris gemachten Beobachtungen an der Magnetnadel, indem er namentlich die magnetischen Eigenschaften gewisser Gebirgsarten, besonders des Serpentins (eines schwarzgrünen, schlangenähnlich gefleckten Talksteins) untersuchte.

Nun erst, nachdem Alexander von Humboldt die glücklichen Gemüthseindrücke des brüderlichen Wiedersehens mit neuen geistigen Forschungen vereinigt hatte, kehrte er aus Italien zurück und traf jetzt in Berlin ein, wo er 1806 und 1807 verweilte und freilich die betrübende Katastrophe der politischen Erniedrigung seines preußischen Vaterlandes erleben mußte. Der Tilsiter Frieden hatte Preußen in eine schlimme Lage versetzt und um die schweren Lasten, welche Napoleon demselben auferlegt hatte, durch neue Unterhandlungen einigermaßen zu erleichtern, war die Regierung auf den Gedanken gekommen, den Prinzen Wilhelm von Preußen, den 25jährigen, durch Sittenanmuth und persönliche Tapferkeit ausgezeichneten, jüngsten Bruder des Königs, im Frühjahre 1808 zum Kaiser Napoleon nach Paris zu senden. A. v. Humboldt lebte damals, während der französischen Besatzung Berlins, in einem einsamen, entlegenen Garten, eifrig beschäftigt, stündliche Beobachtungen an der Magnetnadel und deren Abweichungen von der Nordrichtung zu machen. Die Magnetnadel war es besonders, welche ihn in dieser Zeit lebhaft beschäftigte, und durch die zahlreichen Beobachtungen, die er sowol auf seinen Reisen, wie hier und zu späteren Zeiten an einer und derselben Magnetnadel anstellte, regte er nicht nur viele andere, tüchtige Naturforscher zu gleichen Messungen an, sondern er lieferte auch die Elemente, welche später der Naturforscher Biot benutzte, um danach den magnetischen Aequator zu berechnen. Humboldt hatte nämlich im Vereine mit Gay-Lussac, mit dem er zu Paris in dem nächsten, freundschaftlichen und geistigen Verkehre stand, namentlich seine magnetischen Beobachtungen fortgesetzt und gefunden, daß die großen Gebirgsketten, selbst die thätigen Vulkane, keinen merkbaren Einfluß auf die magnetische Kraft haben, sondern daß diese sich allmählich mit der Entfernung vom Aequator verändert.

Aus dieser stillen Gelehrtenthätigkeit wurde Humboldt plötzlich und unerwartet herausgerissen, um durch seinen Namen und seine Persönlichkeit dem Vaterlande zu nützen; die Regierung hatte darauf gerechnet, daß Humboldt, als ein in beiden Welttheilen gefeierter Gelehrter und in den höheren Kreisen der Gesellschaft beliebter und geachteter Mann, sowol durch seine genaue Bekanntschaft mit den einflußreichsten Personen in Frankreich, als durch seine große Lebenserfahrung, den Absichten der Sendung des Prinzen Wilhelm nützlich werden könne, als er ganz unvermuthet den königlichen Befehl erhielt, sich in Frankfurt mit dem Prinzen zu vereinigen und sich der Gesandtschaft nach Paris anzuschließen. Humboldt folgte dem Rufe des Vaterlandes freudig, reiste nach Frankfurt ab, wo er zugleich den Adjutanten des Prinzen, einen Herrn A. von Hedemann fand (später Wilhelm von Humboldt's Schwiegersohn) und vom Prinzen nach Paris vorausgeschickt wurde, um durch seine Kenntniß der dortigen Personen und Verhältnisse den schwierigen Boden und die günstige Stimmung vorzubereiten, welche den Prinzen bei seiner Ankunft empfing und seine Missionszwecke erleichterte. Der Aufenthalt des Prinzen in Paris währte bis zum Herbste 1809. Humboldt hatte sich in Paris wieder heimisch gemacht, und da er mit Sehnsucht an die Bearbeitung seiner Reise- und Wissenschaftserfahrungen dachte, der politische Zustand Deutschlands aber die Herausgabe eines so großen Werkes, das, ohne irgend eine Unterstützung von Seiten einer Regierung, ganz auf eigene Mittel hingewiesen war, unmöglich machte, so suchte Humboldt um die Erlaubniß beim Könige Friedrich Wilhelm III. nach, in Frankreich bleiben zu dürfen. Der ihm persönlich wohlwollende König gestattete ihm, als einem der acht auswärtigen Mitglieder der Pariser Akademie der Wissenschaften, diesen Wunsch und so lebte er denn, mit kleinen Unterbrechungen, dauernd und beinahe 20 Jahre lang, von 1808-1827, in der französischen Hauptstadt, während welcher Zeit die Franzosen gewohnt und geneigt wurden, ihn ganz als den Ihrigen zu betrachten.

Nun begann aber Humboldt's literarische Thätigkeit. – Schon in Berlin mußte er das Manuscript eines von den wenigen Werken, die er in deutscher Sprache herausgegeben hat, bereits ausgearbeitet oder doch begonnen haben, da dasselbe schon im Jahre 1808, als er von Berlin nach Paris zurückgekehrt war, erschien. – Jetzt aber war er in der französischen Hauptstadt wieder mit seinem treuen Reisegefährten Bonpland vereinigt und nun eifrig bethätigt, das mit ihm gemeinschaftlich und unter Beihülfe ausgezeichneter Gelehrter begonnene, riesenhafte Reisewerk zu fördern.

Die » Ansichten der Natur« – ein in lebendiger deutscher Sprache, unter den Eindrücken frischer Erinnerungen geschriebenes und durch sinnige Naturauffassung sowol, wie reiche Aufschlüsse des Erdlebens berühmtes Werk, worin er die durchwanderten, tropischen Gegenden, Steppen und Gebirgslandschaften meisterhaft schildert, eine Physiognomie der Pflanzen, eine Darstellung von dem Baue und der Wirkung der indischen Vulkane u. s. w. liefert – war in engerer Bestimmung eine Gabe der Liebe an seinen Bruder Wilhelm, dem er dieselbe öffentlich dedicirte.

Wilhelm von Humboldt, welcher bis Ende 1808 noch als Gesandter in Rom lebte, erwiederte dieses literarische Geschenk der Bruderliebe durch ein Gedicht, das er von Albano aus im September nach Paris an Alexander sandte und welches dieser bis zu Wilhelms Tode verborgen gehalten hat; – dieses Gedicht zeugt recht lebhaft von den Empfindungen der Sehnsucht und Sorge, welche Wilhelm um seinen damals so lange im fremden Welttheile umherwandernden Bruder gehabt hat und läßt uns einen Blick in das Glück thun, welches er 1805 im ersten Wiedersehen empfunden haben muß. – In diesem Gedichte heißt es unter Anderem:

»»Ach! Alle, die Dich liebend hier empfingen,
Vertrauten ungern Dich des Meeres Pfaden,
Als ab Du stießest von Iberiens Strand.
– »O Wind!« – so flehten sie – »mit leisen Schwingen
Geleite den, den ferne Küsten laden,
Die Welt der Welt tiefspähend abzuringen!
O Meer, laß sich in stillen Fluten baden
Sein Schiff – und Du empfang' ihn mild, o Land,
Das ihn, wenn er von Flut und Sturm befreiet,
Mehr noch, als Sturm und Flut, mit Tod bedräuet!« –

· · · · · · · · · · ·

Glücklich bist Du gekehrt zur Heimaterde,
Vom fernen Land und Orinoco's Wogen. –
O wenn – die Liebe spricht es zitternd aus –
Dich andern Welttheils Küste reizt, so werde
Dir gleiche Huld gewährt – und gleich gewogen
Führe das Schicksal Dich zum Vaterherde,
Die Stirn von neu errung'nem Kranz umzogen.
Mir g'nügt, im Kreis der Lieb', ein stilles Haus,
Daß mir den Sohn zum Ruhm Dein Name wecke,
Mich einst ein Grab mit seinen Brüdern decke.
Geh' jetzt, o Lied! – dem Theuren anzusagen,
Daß von Albano's Hügeln
Schüchtern zu ihm sich diese Töne wagen.
Empor ihn werden feiernd And're tragen,
Auf höh'rer Dichtkunst Flügeln. –««

Dieses Gedicht, von dem wir hier nur die beiden letzten Strophen mittheilten, wirft den gewaltigen Eindruck zurück, welchen die »Ansichten der Natur« Tübingen, erschienen bei Cotta, 1808. – Zweite Auflage in 2 Bänden, 1826. – In das Französische übersetzt 1808, von Eyriès., diese großartigen Schilderungen einer fremden Welt, auf Wilhelm von Humboldt gemacht hatten, zumal er schon 1805 von dem Bruder die Wirkung mündlicher Darstellung desselben Gegenstandes empfangen haben mußte. In diesem Gedichte versetzt sich Wilhelm, nach Lesung des ihm gewidmeten Buches, in dieselbe wilde und erhabene Natur, mitten in das unentwickelte höhere Dasein, aber auch zugleich mit dem Bewußtsein und den Hoffnungen dieser neuen Welt; – er vergleicht die Armuth, aber auch die Größe derselben mit der alten Welt, stellt die Pelasger und Griechen den amerikanischen Indianern gegenüber und enthüllt – so wie Alexander große Naturgesetze für beide Welten auffand – die großen Gesetze des geschichtlichen Lebens.

In der Vorrede zu den »Ansichten der Natur« sagt Humboldt: »Sie sind im Angesichte großer Naturgegenstände, auf dem Ocean, in den Wäldern des Orinoco, in den Steppen von Venezuela, in der Einöde peruanischer und mexikanischer Gebirge entstanden. Einzelne Fragmente wurden an Ort und Stelle niedergeschrieben und nachmals nur in ein Ganzes zusammengeschmolzen. Ueberblick der Natur im Großen, Beweis von dem Zusammenwirken der Kräfte, Erneuerung des Genusses sind die Zwecke, nach denen ich strebe. Ueberall habe ich auf den ewigen Einfluß hingewiesen, welchen die physische Natur auf die moralische Stimmung der Menschheit und auf ihre Schicksale ausübt. Bedrängten Gemüthern sind diese Blätter vorzugsweise gewidmet. Wer sich herausrettet aus der stürmischen Lebenswelle, folgt mir gern in das Dickicht der Wälder, durch die unabsehbaren Steppen und auf den hohen Rücken der Andeskette.« –

Der Reiz dieser Naturgemälde, die lebendige Sprache, die Unmittelbarkeit des Eindrucks, die meisterhafte Vereinigung von Wissenschaft und malerischer Kunst, die Bereicherung des Geistes mit Ideen, die zugleich die Phantasie beschäftigen – Alles hat zusammengewirkt, um diese deutsche Schrift Humboldts allen Gebildeten schnell zugänglich zu machen. Im Jahre 1826 erschien eine zweite, 1849 eine dritte Auflage; – zur Zeit will die neue Cotta'sche Volksbibliothek dieses Werk vollends zum Eigenthume des gesammten Volkes machen.

Nachdem Humboldt in Paris seinen Wohnsitz genommen hatte, begann vorzugsweise seine größere literarische Thätigkeit, indem er die Bearbeitung und allmähliche Herausgabe seines großen Reisewerkes leitete. Indessen waren die Ergebnisse seiner Reise so bedeutend, manchfaltig und in so viele Gebiete des Wissens einschlagend, seine Studien und Sammlungen waren so anregend für weitere Forschung und Vergleichung, daß er sich mit anderen Gelehrten verbinden mußte, um durch sie die jedesmaligen Fächer des Wissens spezieller ausarbeiten zu lassen. Die bedeutendsten Männer der damaligen Zeit rechneten es sich als eine Ehre an, Mitarbeiter dieses riesenhaften Werkes zu sein, sie wetteiferten mit einander in der Gediegenheit des Inhaltes und in der genauesten Benutzung des dargebotenen Materiales; Künstler und Techniker suchten ein Verdienst darin, die artistischen Beigaben, den Atlas, die Naturbilder, die typographische Ausstattung musterhaft und glänzend herzustellen. – Obgleich dieses Riesenwerk vieler Jahre bedurfte und in seiner endlichen Vollendung in die neueste Zeit, selbst noch in die Zukunft hineinreicht, so ist es doch hier der Ort, über dieses große, schriftstellerische Unternehmen einen Gesammtüberblick zu werfen.

Das ganze Werk, welches in französischer Sprache geschrieben ist, zerfällt in verschiedene Reihen von Schriften, die den verschiedenen speziellen Gebieten der Wissenschaft angehören. Für die gesammelten astronomischen Beobachtungen und barometrischen Höhenmessungen arbeitete unter Humboldt's Aufsicht und Mithülfe besonders Oltmann; für Chemie und Meteorologie standen Humboldt bereitwillig die berühmten Männer Arago und Gay-Lussac mit ihren Kenntnissen bei; dem zoologischen Theile des Werkes widmeten Cuvier und Latreille ihre Kräfte; für die Mineralogie wirkten Vauquelin und Klaproth mit; für die Botanik fand das Unternehmen an dem Berliner Professor Kunth einen Bearbeiter. Diese Mithülfe berühmter Gelehrten in besonderen naturwissenschaftlichen Fächern war durchaus nothwendig, wenn während eines langen Menschenlebens dieses Riesenwerk irgend Aussicht auf Vollendung gewähren sollte. – Die Materialien, welche Humboldt jedem mitwirkenden Freunde lieferte, glichen einem Bergwerke, in welchem jeder Mitarbeiter neue Schätze und reiches Gold für die Wissenschaft zu Tage fördern mußte. – Es war zu erwarten, daß die nach und nach erscheinenden Abtheilungen bald Uebersetzer und Bearbeiter finden würden, und so geschah es denn auch, daß die einzelnen Fächer in deutscher und andern Sprachen von tüchtigen Männern bearbeitet und nicht selten vortheilhaft mit neuen Erfahrungen und vergleichenden Darstellungen bereichert wurden.

Eben weil das Original in fremder Sprache geschrieben wurde, nur in langen Zeiträumen erscheinen konnte und in der strengen Form der Wissenschaft gehalten war, blieb das riesige Werk mehr den eigentlichen Fachgelehrten eine schätzbare und bedeutungsvolle Erscheinung, während das deutsche Volk im Allgemeinen wenig Einsicht davon gewann und eigentlich nur die deutsch geschriebenen, lebendig dargestellten »Ansichten der Natur« in den Händen des gebildeten Volks zu finden waren. – Indessen fanden sich auch Männer, welche die Humboldt'sche Reise dem Standpunkte der größeren Menge populär anzupassen und in interessanten Auszügen darzustellen wußten, aber im Allgemeinen gewann doch, wie gesagt, das deutsche Volk wenig Einsicht in die ganze, große Bedeutung der Humboldt'schen Reiseresultate für Wissen und Leben; unzähligen Menschen bleibt noch heute Humboldt nur eine angestaunte merkwürdige Person, um welche das Gerücht von ungewöhnlichen Lebenserfahrungen einen Schein des Wunderbaren wirft.

Das große Werk führt den Titel: » Voyage aux régions équinoxiales du Nouveau Continent, par A. de Humboldt et A. Bonpland.« (Reisen in die Aequinoctialgegenden des neuen Welttheils.) – Es erschienen davon eine große und eine Oktav-Ausgabe, erstere zu 3 Bänden in Folio (1809-1825), und 12 Bänden in Quartformat, nebst einem » Atlas géographique et physique ,« und einer Sammlung pittoresker Zeichnungen, – letztere dagegen auf 23 Bände berechnet (1816-1831). – Vier Quartbände enthalten den eigentlichen Reisebericht: » Rélation historique « – von dem die Ausgabe des vierten Bandes eine lange Verzögerung erlitt. (Eine deutsche Bearbeitung erschien in 6 Bänden zu Stuttgart in den Jahren 1815-1832.) Welchen gewaltigen Umfang dieses kolossale Werk hat, das läßt sich schon oberflächlich aus der langen Zeit schließen, welche trotz der bedeutenden, daran mitwirkenden Arbeitskräfte die Vollendung desselben erforderte, denn obgleich schon vor beinahe fünfzig Jahren der Anfang erschien, reicht dessen Vollendung doch in die neuere Zeit hinein.

Um eine Uebersicht über das Ganze nach seinem Inhalte zu erlangen, wollen wir (einstweilig ohne Rücksicht auf die Zeitfolge des Erscheinens der einzelnen Bände und Lieferungen) dieselben nach den behandelten Stoffen ordnen.

Die » Vues des Cordillerès et Monumens des Peuples indigènes de l'Amérique (Ansichten der Cordilleren und Denkmale der eingebornen amerikanischen Völker), 1810 zu Paris erschienen, geben uns in zwei Foliobänden nebst 60, theils schwarzen, theils illuminirten Kupfertafeln in prächtigster Ausstattung ein Bild von der reichen Natur der Tropenländer, den Gebirgsformationen, der Anden-Gegenden, so wie lichtvolle Darstellungen von Lebensweise, Ursprung, Wanderungen, Sprachen, Sitten, Natur- und Kulturverhältnissen der Menschen, und zugleich Forschungen und Gemälde von den alterthümlichen Bauwerken und Denkmalen der alten mexikanischen und peruanischen Völker.

»Dieses Werk« – sagt Humboldt in der Einleitung seines historischen Reiseberichtes – »soll einmal dazu dienen, einige große Naturscenen aus der hohen Andeskette darzustellen, dann auch, über die alte Civilisation der Amerikaner Licht zu verbreiten, welches durch das Studium ihrer architektonischen Monumente, Hieroglyphen, ihres Kultus und ihrer astrologischen Träumereien geschieht.« – Man findet darin die Beschreibung von der Bauart der Teocallis oder mexikanischen Pyramiden, verglichen mit der Architektur des Belustempels, ferner die Arabesken, womit die Ruinen von Mitla bedeckt sind, Idole (Götzenbilder) aus Basalt mit der Calantica (Kopfbedeckung) der Isisköpfe geziert; endlich eine große Anzahl symbolischer Gemälde, welche die Frau mit der Schlange (die mexikanische Eva), die Sündstut von Coxcox und die ersten Wanderungen der Völker von aztekischer Race vorstellen. – Humboldt war bemüht, die auffallenden Aehnlichkeiten zu zeigen, den theils der Toltekische Kalender und die Uebereinstimmungen des Toltekischen Thierkreises mit der Zeitrechnung der tatarischen und tibetanischen Völker, theils die mexikanischen Ueberlieferungen über die vier Erdgenerationen mit den Pralayas der Hindu's und den vier Weltaltern des Hesiod haben. Außer den hieroglyphischen Gemälden, die Humboldt mit nach Europa brachte, theilt er auch Bruchstücke mexikanischer Handschriften mit, deren Originale sich jetzt in den Archiven zu Rom, Wien, Dresden etc. befinden. Neben diesen merkwürdigen Monumenten amerikanischer Völker befinden sich auch in diesem Werke malerische Ansichten der von ihnen bewohnten Gebirgsländer, sowie die Abbildungen der Wasserfälle von Tequendama, des Chimborazo, der Vulkane Jorullo und des mit seiner von ewigem Schnee bedeckten Pyramidenspitze gerade unter dem Aequator liegenden Caymbé. – Aus allen Schilderungen dieses Werkes geht hervor, daß die Bodenbildung, der Pflanzenausdruck, die Anschauung der freundlichen oder wilden Natur in allen Zonen von Einfluß auf die Künste und den Charakter ihrer Produkte gewesen sind und zwar um so mehr, je weiter der Mensch von der Civilisation entfernt war.

Das in zwei Bänden erschienene Werk: » Essai politique sur le royaume de la nouvelle Espagne « (Politische Abhandlung über Neu-Spanien) mit dem dazu gehörigen Atlas, so wie: » Essai politique sur l'isle de Cuba « (Politische Abhandlung über die Insel Cuba), 2 Bände – geben ein klares Bild von Mexiko und Cuba in politischer und statistischer Hinsicht und bieten, trotz der, mit der Zeit daselbst stattgefundenen großen Veränderungen, noch immer eine reiche Quelle zur Kenntniß jenes Landes dar. Die politische Abhandlung über Neu-Spanien (zuerst 1811 erschienen, dann 1825 neu aufgelegt) enthält in sechs Abtheilungen zunächst Bemerkungen über den Umfang und die physische Macht von Mexiko, über die Bevölkerung und Sitten der Einwohner, ihre alte Civilisation und die politische Eintheilung des Landes, sowie über dessen Ackerbau, mineralische Reichthümer, Manufakturen, Handel, Finanzen und Militärvertheidigung. Humboldt suchte alle diese national-ökonomischen Gegenstände unter einen gemeinsamen Gesichtspunkt zu bringen, verglich Neu-Spanien nicht nur mit den übrigen spanischen Kolonien und den Vereinigten Staaten von Nordamerika, sondern auch mit den englischen Besitzungen in Asien, ebenso den Ackerbau der heißen Zone mit dem der gemäßigten und untersuchte die Massen von Kolonialwaaren, welche das civilisirte Europa zur Zeit nöthig hatte. Bei der Schilderung der Gebirgsbezirke Mexiko's erforschte er den Ertrag an Materialien, die Aus- und Einfuhr vom ganzen spanischen Amerika in Hinblick auf die Bevölkerung, und gab interessante Aufschlüsse über Ebbe und Fluth metallischer Reichthümer im Allgemeinen, über die allmähliche Anhäufung derselben in Europa und Asien, über die Menge des Goldes und Silbers, das seit der Entdeckung Amerikas bis auf die Zeit, wo Humboldt sein Werk schrieb, aus Amerika in den alten Kontinent geflossen ist.

Es dürfte für unsere Leser von Interesse sein, den gegenwärtigen Stand der Metallgewinnung kennen zu lernen, und wir schalten vergleichsweise unsere Berechnung der jährlichen Menge, die zu Tage gefördert wird, hier ein.

???tabelle

Namen des Metalls. Menge. Werth eines Werth Raummaß Zollcentners. der Masse. in Kubikfuß.

Eisen (Roheisen.) 95,000,000 Ctr. 2 Thlr. 190,000,000 Thlr. 26,390,000.
Kupfer 1,050,000 Ctr. 40 Thlr. 42,000,000 Thlr. 245,000.
Zink 700,000 Ctr. 7½ Thlr. 5,250,000 Thlr. 203,000.
Zinn 190,000 Ctr. 42 Thlr. 7,980,000 Thlr. 52,800.
Blei 2,600,000 Ctr. 7 Thlr. 18,200,000 Thlr. 465,000.
Gold 5,150 Ctr. 46,000 Thlr. 236,900,000 Thlr. 534.
Silber 21,000 Ctr. 3,000 Thlr. 36,000,000 Thlr. 4,000.
Platin 46 Ctr. 12,000 Thlr. 552,000 Thlr. 4½.

Alles Gold jährlicher Gewinnung giebt eine Kugel von nur 10 Fuß Durchmesser.

Die Zoologie (die Beobachtungen an Thieren, welche Humboldt auf seiner Reise gemacht hat) ist in einem zweibändigen Werke: d'Observations de Zoologie et d'Anatomie comparées, faites dans un voyage aux Tropiques (Gesammelte Beobachtungen über Thierkunde und vergleichende Anatomie auf einer Reise in die Tropenländer) enthalten, woran Cuvier und Latreille thätig mitwirkten, und das eine genaue Beschreibung und sinnreiche Vergleichung einzelner Thiergattungen, so wie viele neue Kenntnisse von der Erde, als Wohnplatz der Thiere, enthält. Dieses Werk erschien zuerst 1805 und wurde 1832 vollendet; es umfaßt zwei Bände, in denen die Geschichte des Condors (Vogel Greif's), dann Beobachtungen über die elektrische Macht der Zitteraale (Gymnoten), eine Abhandlung über den Luftröhrenkopf der Krokodile, der tropischen Vögel und Vierhänder (Affen), ferner die Beschreibung von mehreren neuen Arten von Reptilien (Amphibien), Fischen, Vögeln, Affen und anderen noch wenig bekannten Säugethieren, sowie Abbildungen von mexikanischen, peruanischen und aturischen Schädeln (zur Zeit im Originale im Pariser Museum befindlich) enthalten sind. – Die wissenschaftliche Ausbeute in der Botanik rief eine Reihe von Schriften hervor, wobei Humboldt's Reisegefährte Bonpland ganz besonders thätig war, und während dieser die neuen Formen einer bisher unbekannten Pflanzenwelt darstellte, indem er über 6000 Arten neuer Pflanzen mit aus Amerika heimgeführt hatte, erweiterte Humboldt den Blick über die Gesetze des Pflanzenlebens und dessen Verhältniß zur Erde selbst. – Das große Werk: » Essai sur la géographie des Plantes « (Abhandlung über die Pflanzengeographie), welches sich an Humboldt's Abhandlung: »Ideen zu einer Physiognomik der Gewächse« – in den früher bereits erwähnten »Ansichten der Natur« – anschloß und eine größere Ausführung in der Schrift: » Prolegomena de distributione geographica plantarum secundum coeli temperiem et altitudinem montium « (Einleitung in die Lehre von der geographischen Vertheilung der Pflanzen nach Klima und Berghöhe) fand – weiset auf eine geniale Weise und auf reiche Erfahrungen gegründet nach, wie wichtig der Einfluß der Geographie auf die Botanik ist, wie die Pflanzengeographie in nächster Beziehung zur Beschreibung der Pflanzen und zur Lehre vom Klima steht, wie die Zahl, das Verhalten und die örtliche Vertheilung der Gewächse nach allgemeinen Gesetzen in den verschiedenen Zonen, vom Pole bis zum Aequator, von den Tiefen der Bergwerke und des Meergrundes bis zu den Berggipfeln des ewigen Schnee's und nach der geographischen Breite des Ortes und der Beschaffenheit der sie umgebenden Landschaften verschieden sein müssen. Dieses Werk eröffnete in Wahrheit eine ganz neue Bahn in der Wissenschaft der Botanik; es wird hier zum ersten Male die Beziehung der mittlern Temperatur eines Ortes zum Luftdrucke, zur Feuchtigkeit und elektrischen Spannung der Atmosphäre erörtert und zwar nach eigenen Messungen und Untersuchungen – und diesem Werke schließt sich das schöne Bild einer » Pflanzengeographie der Tropenländer« an, jenes » Tableau des plantes équinoxiales « vom Niveau des Meeres bis zur Höhe von 15,000 Fuß – worin Humboldt ein geistreich-ästhetisches, ebenso scharf wissenschaftliches, wie gemüthliches Gemälde der Pflanzenwelt darbietet.

Die Pflanzengeographie ist ein in der Pflanzenkunde recht eigentlich von Humboldt gegründetes neues Gebiet. Nachdem er die umfassendsten Beobachtungen über die Gesetze der Gewächsverbreitung angestellt und darauf den innigen Zusammenhang derselben mit den Höhen- und klimatischen Verhältnissen nachgewiesen, sowie auch die Hauptpunkte des Zahlenverhältnisses in der räumlichen Vertheilung der Pflanzen auf der Erde hervorgehoben hatte, gründete er für diesen Zweig der Naturwissenschaft einen neuen Boden, auf dessen Weiterbaue von ihm selbst und Andern man allmählich zu einer Höhe der Anschauung gelangte, die sogar auf den Entwickelungsgang der Völkerkultur nicht ohne vielfachen Einfluß geblieben ist. Seine Schriften hierüber und die damit verbundenen ausgezeichneten Bilderwerke enthalten eine feine Unterscheidung des Charakters der verschiedenen Pflanzenformen in der wärmeren Erdzone, und seine Schilderungen der terrassenartig von unten nach oben in den aufsteigenden Bergregionen wachsenden Flora, sowie der gesellig oder einzeln wachsenden Pflanzen, erregten bei allen Gebildeten, weit über die Grenzen der strengen Fachwissenschaft hinaus, ein so lebhaftes Interesse, daß wir mindestens einen kurzen Ueberblick davon geben müssen. – Was wäre eine Gegend ohne Pflanzen? Sie allein beleben und erquicken, sie sind die sinnigen Genossen des Menschen. – Um aber eine Geographie derselben zu schildern, muß man selbst empfänglich für das Leben der Pflanzen sein, und daß dieses bei Humboldt vorzugsweise der Fall war, das erkennen wir nicht nur aus seiner Unterscheidung der Pflanzenmanchfaltigkeit, aus seiner Lehre von der Verbreitung der Gewächse vom Aequator bis nach den Polen und von dem Spiegel des Meeres bis zu der Grenze des ewigen Schnee's, sondern ganz besonders aus seiner Pflanzenphysiognomik, die in der That ein inniges Einverständniß seines erkennenden Geistes mit dem geheimnißvollen Leben der Pflanzen und ihrer Beziehung zur Erde überhaupt bekundet. – Der Teppich, den die blütenreiche Flora über den nackten Erdkörper ausbreitet, ist ungleich gewebt – dichter, wo die Sonne höher am nie bewölkten Himmel emporsteigt, lockerer gegen die trägen Pole hin, wo der wiederkehrende Frost bald die entwickelte Knospe, bald die reifende Frucht zerstört. Ueberall aber findet der Mensch seine Nahrungspflanzen. – Die Pflanzendecke, welche über die Erdoberfläche ausgebreitet ist, hat ihre Geschichte; ihre allmähliche Ausbreitung über die öde Erdrinde hat ihre großen Epochen gehabt, wie die Geschichte des spätern Menschengeschlechts. – Trennt ein Vulkan im Meeresboden plötzlich die aufkochende Flut und schiebt er gewaltsam einen schlackigen Fels hervor an das Licht, oder erheben die Korallen ihren Bau nach tausendjährigen Generationen allmählich über den Wasserspiegel – überall auf dem nackten Felsen, sobald ihn die Luft berührt, sind die organischen Kräfte sogleich bereit, den todten Stein zu beleben. – Was den Samen so plötzlich herbeiführt, ob wandernde Vögel, ob Winde oder Meereswogen – es ist schwer zu entscheiden. Mit farbigem Flecke, der allmählich dunkler grün und sammetartig gefasert erscheint, beginnt die erste Vegetation auf dem Steine, es lagert sich schichtweise ein organisches Gewebe auf das andere – und wie das sich ansiedelnde Menschengeschlecht bestimmte Stufen sittlicher Kultur durchleben muß, so ist auch die allmähliche Verbreitung der Pflanzen an bestimmte physische Gesetze gebunden. – Wo jetzt hohe Waldbäume ihre Gipfel erheben, da überzogen einst zarte Flechten das erdlose Gestein – Laubmoose, Gräser, krautartige Gewächse und Sträucher füllten zwischen damals und jetzt die ungemessenen Zeiträume der Entwickelung aus. – Was im Norden die Flechten und Moose, das bewirken in den Tropenländern die Portulaceen, die Gomphrenen und andere niedrige Uferpflanzen. – Immer verschieden ist diese Entwickelung und fortschreitende Erneuerung nach Verschiedenheit der Himmelsstriche. Plötzlich erstarrt die Natur in der kalten Zone, denn Flüssigkeit ist Bedingung zum Leben; nur solche Pflanzen können sich hier entwickeln, die einer längeren Unterbrechung ihrer Lebensfunktionen und der zeitweisen Entziehung der Wärme zu widerstehen fähig sind; Thiere und Pflanzen liegen hier, mit Ausnahme der Laubmoose und untersten Vegetationsformen, viele Monate lang im Winterschlafe begraben; je näher dagegen den Tropen, desto manchfaltiger werden die Bildungen, die anmuthigen Formen und Farben. Aber bei dieser Vermehrung von den Polen nach dem Aequator hin (abgesehen von der Pflanzenlosigkeit gewisser großer Landstrecken durch frühere Ueberschwemmungen und vulkanische Umwandlungen der Erdrinde) sind doch zugleich jedem Landstriche besondere Schönheiten vorbehalten; den Tropen z. B. Manchfaltigkeit und Größe der Pflanzenformen, dem Norden der Anblick der Wiesen und das periodische Wiedererwachen der Natur im Frühlinge – jede Zone hat ihren eigenthümlichen Charakter, ihre Naturphysiognomie. – Die Zunahme der Pflanzenwelt und ihrer Manchfaltigkeit kann leicht von Denen bezweifelt werden, welche nie unseren Welttheil verlassen, oder das Studium der Erdkunde vernachlässigt haben. Wenn man aus unseren dicklaubigen Eichenwäldern über die Alpen- oder Pyrenäenkette nach Italien oder Spanien hinabsteigt, wenn man gar seinen Blick auf die afrikanischen Küstenländer des Mittelmeeres richtet, so wird man leicht zu dein Fehlschlusse verleitet, als sei Baumlosigkeit der Charakter heißer Klimate. – Aber man vergißt, daß das südliche Europa eine andere Gestalt hatte, als pelasgische oder karthagische Pflanzvölker sich zuerst darin festsetzten; man vergißt, daß frühere Bildung des Menschengeschlechts die Waldungen verdrängt und daß der umschaffende Geist der Nationen allmählich der Erde den Schmuck raubt, der uns im Norden erfreut und der (mehr als alle Geschichte –) die Jugend unserer sittlichen Kultur anzeigt.

Aber es ist auch außerdem in allen, vom Mittelmeere begrenzten Ländern ein großer Theil der Erdoberfläche nackter Fels. – Das Malerische italienischer Gegenden beruht vorzüglich auf dem lieblichen Kontraste zwischen dem unbelebten öden Gestein und der üppigen Vegetation, welche inselförmig darin aufsproßt. Wo aber dies Gestein, minder zerklüftet, die Wasser auf der Oberfläche zusammenhält, wo diese mit Erde bedeckt ist, wie an den reizenden Ufern des Albaner-See's, da hat selbst Italien seine Eichenwälder, so schattig und grün, wie der Bewohner des Nordens sie wünscht. Hat aber eine Gegend durch frühere Ueberschwemmungen oder vulkanische Umwandlungen einmal ihre Pflanzendecke verloren, ist der Sand beweglich und quellenleer, hindert die heiße, senkrecht aufsteigende Luft den Niederschlag der Wolken – dann vergehen Jahrtausende, ehe von den grünen Ufern aus das neue organische Leben in das Innere der Einöde dringt. – Die Schilderungen solcher geographisch verschiedener Landschaften sollen nicht blos dem Gemüthe einen edlen Genuß verschaffen, sondern Humboldt zeigte, wie die Kenntniß vom Naturcharakter verschiedener Weltgegenden mit der Geschichte des Menschengeschlechts und seiner Kultur innig verknüpft ist, wie Richtung der Kultur und Volkscharakter, düstere oder heitere Stimmung größtentheils von klimatischen Verhältnissen abhängen. Der Mensch spiegelt sich in seiner Umgebung und diese wird vorzugsweise von der Pflanzenwelt charakterisirt.

Wenn auch der Charakter der verschiedenen Erdräume von allen äußeren Erscheinungen abhängt, wenn Umriß der Gebirge, Physiognomie der Pflanzen und Thiere, wenn Himmelsbläue, Wolkengestalt und Durchsichtigkeit des Luftkreises den Totaleindruck bewirken, so ist doch die Pflanzendecke das Hauptbestimmende dieses Eindrucks. – Dem thierischen Organismus fehlt es an Masse; die Beweglichkeit der Individuen entzieht sie oft unseren Blicken – aber die Pflanzenwelt wirkt durch stetige Größe auf unsere Einbildungskraft und ihre Masse bezeichnet ihr Alter, in welchem sich ihre Kraft ausdrückt. – Humboldt erkannte in der wunderbaren Menge der verschiedenen Pflanzenarten, von denen circa 56,000 bereits auf der Erde entdeckt sind, doch nur wenige bestimmende Hauptformen, auf die sich alle zurückführen lassen, – er unterschied dabei nicht, wie der botanische Systematiker, nach kleinen Theilen der Blüten und Früchte, sondern nach dem Totaleindrucke, der eine Gegend individualisirt, und auf diesem Wege fand er sechszehn Pflanzenformen, hauptsächlich die Physiognomie der Natur bestimmend, und gewiß werden derer noch mehr gefunden werden, wenn die uns zur Zeit noch größtenteils unbekannte Vegetation im südöstlichen Asien, im Innern von Afrika und Neuholland, in Südamerika vom Amazonenstrome bis zur Provinz Chiquitos enthüllt worden ist. – In unserer gemäßigten Zone herrscht eine gewisse Einförmigkeit; die Physiognomieen unserer Landschaften werden durch wenige Formen charakterisirt, die gegen den Pol hin immer mehr einschrumpfen, dagegen südwärts, dem Aequator zu, immer manchfaltiger und größer werden. So dehnen sich (gleich den Thieren, indem unsere Eidechse dort in Krokodilsgröße – unsere Katze dort im Tiger, Löwen und Jaguar wiederholt wird) die Monokotyledonen unserer Sümpfe (Gräser, Lilien, Schwerteln etc.) dort im Süden zum gewaltigen Bambus, zur Palme und Uranie aus; die eingeschrumpften Nadeln unserer Pinien entfallen sich dort zum ungeheuren Lederblatt, des Brotbaumes, unser deutsches Laubmoos erstarkt zu einer baumartigen Gestalt, unsere Farrnkräuter sind dort Bäume, gleich unsern Erlen und Linden. – Die von Humboldt charakterisirten Pflanzenformen sind folgende: 1. Palmen, die schlanksten und edelsten aller Pflanzengestalten, oft im Stamme 180 Fuß hoch. 2. Pisang- oder Bananenform – beide ersetzen den Bewohnern der heißen Zone unsere nördlichen Getreidearten. 3. Malvenform, wozu der Affenbrotbaum gehört, wahrscheinlich das größte und älteste Denkmal auf unserm Planeten. 4. Mimosenform, 5. Heidekräuterform. 6 Cactusform. 7. Orchideen. 8. Casuarinenform. 9. Nadelhölzer. 10. Pothosgewächse. 11. Lianen- und Nebenform. 12. Aloegewächse. 13. Grasform, die in den Tropen oft die Höhe unserer Erlen und Eichen übertrifft. 14. Farmkräuter, oft 35 Fuß hoch in den heißen Landstrichen. 15. Liliengewächse, und 16. Weidenform. Die Tropengegenden bieten durch ihre vom Meeresspiegel bis zur Bergeshöhe allmählich sich erhebenden Länder alle Naturbedingungen zur Hervorbringung sämmtlicher Repräsentanten der Pflanzenwelt dar. Der Mensch der heißen Zone kann, ohne seine Heimat zu verlassen, alle Pflanzengestalten der Erde sehen, denn ihn umgeben nicht nur Palmen und Pisanggebüsche, sondern auch die Gewächse, welche in weit unedlerer, verkümmerter Form dem Norden angehören, wachsen dort in imposanter Größe und üppiger Kraft. – Diese kurzen Andeutungen werden genügen, um das von Humboldt angebaute Gebiet einer vergleichenden Pflanzengeographie für jeden Gebildeten interessant und anziehend erscheinen zu lassen.

Die spezielle Darstellung der neuen Entdeckungen in der beschreibenden Botanik mußte Humboldt seinen Mitarbeitern überlassen, da er gleichzeitig seine Kraft auf andere Gebiete der Natur zu richten hatte. – So schrieb Bonpland allein zwei Werke, nämlich: » Plantes équinoxiales au Mexique, dans l'Isle de Cuba, dans les Provinces de Caracas, Cumana « etc. – worin er eine methodische Beschreibung der Pflanzen in französischer und lateinischer Sprache lieferte, sammt Bemerkungen über ihre medizinischen Eigenschaften und ihren gewerblichen Gebrauch – und in einem andern Werke: » Monographie des Rhexia et des Melastomes « (Pflanzenfamilien, welche fast nur in Südamerika vorkommen, meist Bäume oder Sträucher sind und von denen alle beerentragenden Arten eßbare, den Mund, anhaltend schwarz färbende Früchte – daher ihr Name – liefern), beschrieb er über 150 Stücke neuer Species dieser Pflanzen.

Es verband sich außerdem Humboldt mit dem Botaniker Kunth und übergab diesem das Material zur Bearbeitung mehrer Werke, welche unter dem Titel: » Familie des Mimosacées et autres plantes légumineuses « (Familie der Mimosen, d. h. Sinnpflanzen, und anderer Pflanzen mit Hülsenfrüchten) – ferner: » Graminées rares de l'Amérique équinoxiale « (Seltene Gräser des heißen Amerikas) und: » Nova Genera et Species plantarum « erschienen sind, und von denen das letztere (7 Bände in Folio stark, mit 700 Kupfertafeln) 4500 Pflanzen beschreibt, welche Humboldt und Bonpland in Amerika gesammelt hatten. – Eine projektirte » Géographie des plantes ,« wozu 20 Kupfertafeln die Erläuterung geben und mehre davon in malerischer Haltung den Charakter der Vegetation darstellen sollten, ist nicht verwirklicht worden.

Für die Physik, Geologie und Astronomie lieferte Humboldt gleichfalls eine Reihe Schriften, indem er entweder das Material aus-seinem Reiseschatze dazu hergab, oder selbst die Arbeit übernahm. – Unter Oltmann's Mitwirkung erschienen zwei Bände: » Observations astronomiques ,« welche die Berechnungen und Beobachtungen Humboldt's zwischen dem 12. Grade südlicher und dem 41. Grade nördlicher Breite, über Durchgänge der Sonne und der Sterne durch den Meridian, Bedeckungen von Planeten und Monden, über Finsternisse, über Strahlenbrechung des Lichtes in der heißen Zone, ferner barometrische Messungen der Anden von Mexiko, Venezuela, Quito und Neu-Granada enthalten und von einer Tafel begleitet sind, auf welcher sich die Angaben von 700 geographischen Ortsbestimmungen befinden. – Eine vergleichende Darstellung aller geologischen Erdformationen der alten und neuen Welt gab Humboldt in der Schrift: » Essai sur le gisement des roches dans les deux hémisphères « (Abhandlung über die Gebirgslagen in beiden Erdhälften), welche von v. Leonhardt in das Deutsche übertragen wurde, während ein: » Tableau physique des régions équinoxiales « eine allgemeine, physische Uebersicht der Grundphänomene des Natur- und Erdlebens darstellt, und eine besondere Abhandlung: » Sur les lignes isothermes ,« eine Lehre vom Klima umfaßt, und namentlich die ersten Grundzüge zu den mittleren Wärmezuständen der Erdoberfläche darbietet, wofür er die Beobachtungen noch in späteren Jahren ausgedehnter fortsetzte. – Auch die schon früher erwähnten » Vues des Cordillères « enthalten viele hierher gehörige Darstellungen aus dem physischen Leben, und ein bedeutend in seinem Entwürfe begonnenes, auf zehn Bände in vier Abtheilungen, berechnetes Werk: » Examen critique de l'histoire de la géographie du Nouveau Continent et des progrès de l'astronomie nautique, aux XV. et XVI. siècles ,« – nebst einer, die dabei benutzten Materialien behandelnden: » Analyse raisonnée ,« – wurde erst im Jahre 1836 von Ideler für die deutsche Literatur bearbeitet.

Was nun die Zeitfolge der einzelnen Abtheilungen von Humboldt's amerikanischer Reiseliteratur anbetrifft, so erschien sein »Versuch zu der Pflanzengeographie« schon 1805, also zur Zeit, da er in Italien den Bruder besuchte; – seine »Ideen zu einer Geographie der Pflanzen und einem Naturgemälde der Tropen« erschienen 1807, als er in Berlin lebte – eben so zu gleicher Zeit sein »Tableau der Aequinoctialgegenden;« – sein Werk über die »Aequinoctial-Pflanzen« begann 1808 und dauerte bis zum Jahre 1816 – während die von Bonpland verfaßte »Monographie der Melastomen« 1809 begonnen und 1816 beendigt wurde. – Im Jahre 1810 erschien der erste Band der »politischen Abhandlung über das Königreich Neu-Spanien« – woran Humboldt bis 1815 arbeitete; – 1811 gab er seine »Ansicht der Cordilleren« – und 1815 bis 1831 sein »Hauptreisewerk« mit dem großen »Atlas« heraus; – schon 1817 veröffentlichte er seine Schrift über »die isothermischen Linien« – (jene Linien, welche alle Oerter der Erde von gleicher mittlerer Temperatur verbinden); in demselben Jahre 1817 erschien von ihm die »Einleitung in die Pflanzengeographie,« und gleichzeitig legte er der Akademie der Wissenschaften zu Paris seine »Karte vom Orinoco und dessen Verbindung mit dem Amazonenstrome mittelst der Flüsse Cassiquiare und Rio Negro« vor. – Professor Kunth besorgte 1819 die Herausgabe der »Familie der Mimosenpflanzen,« – 1820 eine »Revision der Gräser;« – 1822 bis 1825 die große »Pflanzen-Synopsis,« während Humboldt's »politische Abhandlung über Cuba« 1826 in den Buchhandel, kam. Außerdem lieferte Humboldt eine Anzahl von Beiträgen in Journale und akademische Schriftsammlungen, die man in ihrem Zusammenhänge noch nicht zu überblicken vermag.

Ein Exemplar der Folioausgabe des riesenhaften, in seinen Abtheilungen eng verbundenen Reisewerkes kostete schon im Jahre 1844, wo noch viele Lieferungen nicht erschienen waren, die jetzt vorhanden sind, bereits über 10,000 Franken, 2700 Thaler, also doppelt so viel, als das bekannte Nationalwerk der Franzosen: » Déscription de l'Egypte ,«wozu damals die französische. Regierung 800,000 preuß. Thaler Vorschuß leisten mußte. – Wie hoch die Kosten des Humboldt'schen Reisewerkes kommen müssen, wenn ein einziges Exemplar schon über 2700 Thaler kostet, das leuchtet schon durch eine einfache Berechnung in die Augen, wird aber noch anschaulicher, wenn man erfährt, daß Druck, Papier und 1300 Folio-Kupfertafeln zu dem großen Humboldt'schen Reisewerke allein über 840,000 Franken (42,000 Louisd'or) gekostet haben. Und dennoch ist dieses bedeutende literarische Unternehmen nicht nur durch die Theilnahme des kaufenden Publikums in allen gebildeten Staaten der Erde, sondern auch durch große bereitwillige Geldopfer von Seiten Humboldt's verwirklicht und gefördert worden.

Vom Jahre 1808 an lebte Alexander von Humboldt größtentheils in Paris. – Ende dieses Jahres hatte sein Bruder Wilhelm Rom verlassen müssen, und seine neue politische Stellung im preußischen Staate führte ihn nicht wieder dahin zurück. Er war zum Staatsrathe im Ministerium des Innern, und zwar zum Chef der Section des Kultus und öffentlichen Unterrichts, berufen, und in dieser für ihn so geeigneten Wirksamkeit brachte er es 1809 durch seine Anträge beim Könige dahin, daß die Gründung einer Universität in Berlin beschlossen wurde. Wilhelm von Humboldt war die Seele dieses Unternehmens, obgleich durch Rath und That Großkanzler Beyme, Finanzminister von Altenstein, und von den Gelehrten: Wolf, Schleiermacher, Reil u. A. zur Ausführung mitwirkten. Indem er nun die bedeutendsten Kräfte herangezogen hatte ( Gräfe aus Ballenstedt, als Chirurgen, Reil aus Halle, als Physiologen, Rudolphi aus Greifswalde, als vergleichenden Anatomen, Illiger aus Braunschweig, als Entomologen, Gauß aus Göttingen, als Mathematiker, Savigny aus Landshut, als Juristen, Fichte aus Erlangen, als Philosophen, Niebuhr aus Halle, als Lehrer der Staatswissenschaft, Böckh, De Wette und Marheinecke aus Heidelberg – und Oltmann aus Paris, der die astronomisch-geographischen Beobachtungen Alexander von Humboldt's herausgegeben hatte –), was hätte ihm hier näher liegen können, als der Wunsch, seinen berühmten Bruder ebenfalls aus Paris nach Berlin zu rufen und die Universität mit dessen Namen zu zieren. Allein Wilhelm von Humboldt sollte der Eröffnung der von ihm gegründeten Lehranstalt nicht beiwohnen; am 14. Juni 1810 wurde er zum außerordentlichen Gesandten und bevollmächtigten Minister am Hofe zu Wien ernannt. Sein Nachfolger in der Section des Kultus, Nicolovius, wirkte aber unter dem Ministerium des Grafen Dohna im Humboldt'schen Sinne fort, und der Staatskanzler Freiherr von Hardenberg schrieb an Alexander von Humboldt nach Paris, um diesem die Leitung der Section des Unterrichts zu übertragen. Die große Aufgabe, die sich aber A. v. Humboldt in den Naturwissenschaften vorgenommen hatte, so wie die bedeutenden Arbeiten an seinem Reisewerke und der bestimmte Entschluß, eine zweite große Reise nach Oberindien, dem Himalaya und Tibet zu unternehmen, vielleicht auch die Abneigung gegen ein Beamtenleben, bestimmten ihn, diesen Ruf nach Berlin abzulehnen.

Wilhelm von Humboldt war nach Wien gereist, wohin auch im Herbste 1810 seine, immer noch in Rom zurückgebliebene Gemahlin mit ihm zusammentraf. Auch hier wurde sein Haus abermals der Centralpunkt geistigen Lebens, hier verkehrte er mit Metternich und Gentz, den Grafen Bernstorff und Stadion, mit Friedrich Schlegel, der im österreichischen Dienste stand, mit Arnstein, Karoline Pichler etc. Das nächste Jahr 1811 brachte aber, außer dem jungen Theodor Körner und dem ebenfalls jugendlichen Varnhagen von Ense, – noch einen bedeutenden Gast in das Haus des Gesandten, nämlich den Bruder Alexander, welcher im November, nach dem Erscheinen der ersten Theile seiner amerikanischen Reiseschilderungen, Paris verlassen hatte, um sich von der Familie zu verabschieden, da eine neue große Reise – nämlich eine bedeutende Unternehmung nach Mittelasien und Tibet, von ihm bereits vorbereitet war. Von Rußland aus hatte ihm nämlich das Ministerium Romanzow das Anerbieten gemacht, eine Mission über Kaschghar nach Tibet zu begleiten, welche Kaiser Alexander angeordnet hatte, und Alexander von Humboldt fand sich sogleich bereit dazu, weil er beabsichtigte, die berühmten Berge Indiens zu besuchen und die Verhältnisse derselben im Vergleiche mit den Cordilleren der neuen Welt zu studiren.

Wir sind im Stande, über dieses Projekt einer centralasiatischen Reise nähere und authentische Mittheilungen zu machen und die wichtigsten Stellen eines Briefes zu veröffentlichen, den Humboldt am 7. Januar 1812 zu Paris ( Observatoire Rue St. Jaques) an den Baron Alexander von Rennenkampff, damals in Petersburg, in dieser Angelegenheit schrieb. Der Allverständlichkeit wegen geben wir diesen im Originale ursprünglich französisch geschriebenen Brief mit deutschen Worten größtenteils wieder. Herr Oberkammerherr von Rennenkampff, zuletzt in Oldenburg und leider vor vier Jahren gestorben, ein alter Freund Humboldt's, war durch die früheren Auflagen unserer Biographie seines Freundes angeregt, uns aus eigenem Antriebe und mit großer Wärme für die Sache manche wichtige Originalmittheilungen zu machen, um dadurch eine künftige neue Auflage unserer Schrift zu vervollständigen. Wir haben dieselben treu benutzt und unser geehrter Freund hatte die Rücksicht genommen, den Originalbrief, aus dem wir hier Mittheilungen machen werden, zuvor an Humboldt mit der Anfrage zu senden, ob ihm die Veröffentlichung desselben auch nicht unangenehm sei. A. v. Humboldt hatte unter jenen Brief die Worte geschrieben: » Je ne desavoue aucun des motifs, qui ont guidés ma plume en écrivant au digne Baron A. de Rennenkampff; dix-sept ans plus tard, 1829 j'ai fait d'apres les ordres de l'Empereur Nicolaus l'expedition, décrite dans mon »Asie centrale«. – Cette lettre peut être imprimée avant ou apres ma mort. Elle est l'impression d'une forte volonté! – Berlin le 18. Octbr. 1853. A. de Humboldt.«
Diese Mittheilung diene zum Nachweise unserer Berechtigung bei Benutzung obigen Briefes. Der Verfasser.
Zwischen dem ersten, vom Kaiser Alexander gefaßten Plane und der Verwirklichung der Expedition liegen siebenzehn Jahre; wir müssen aber um so mehr die große Hingebung und die kühnenPläne, sowie die weitreichenden Vorausblicke bewundern, welche Humboldt in die Bedeutung dieser Reise that, deren Idee später Nikolaus wieder auffaßte, indem er ihm die Ausführung auf alleinige Kosten der Krone anbot und zwar mit dem ausdrücklichen Wunsche, den Nutzen, welchen die russische Regierung etwa aus seinen Forschungen für den Bergbau und die Industrie des Landes ziehen könne, ganz und gar als Nebensache zu betrachten und ihn allein nur in der Förderung der Wissenschaft zu suchen.

Herr von Rennenkampff, genau in die Pläne eingeweiht und in Petersburg im nächsten Verkehre mit Spiranski, d'Ouvanof, dem Grafen Nesselrode, dem Ritter von Krusenstern, dem Astronomen Schubert etc. hatte am ???6/18. November 1811 an Humboldt geschrieben und dieser in einem sehr langen Briefe darauf geantwortet, aus welchem wir folgende Stellen in möglichst wörtlicher Übersetzung mittheilen:

»Ich weiß es nicht lebhaft genug auszudrücken, wie mir das Andenken eines Mannes schmeichelhaft ist, dessen Kenntnisse und hohe Ausbildung der Empfindung mir das größte Interesse eingeflößt haben. Ich nehme mir die Freiheit, Ihnen in französischer Sprache zu antworten, weil sie diesen Brief denjenigen Personen mitzutheilen wünschen, denen die deutsche Sprache nicht geläufig ist. Außer der Veröffentlichung meiner Werke über Amerika beschäftige ich mich mit vorbereitenden Studien für meine asiatische Expedition. Ich hatte diesen Plan schon vor meiner Rückkehr nach Europa gefaßt; ich bin gewiß, ihn auszuführen, aber werde nicht eher von Paris abreisen, ehe ich nicht mein Werk geschlossen habe, wovon mehr als zwei Drittel beendigt sind. Ich habe die »Aequinoctialpflanzen«, 2 Bände in Folio; die »Melastomen«, 1 Band in Folio; die »Beobachtungen über Zoologie und vergleichende Anatomie«, 1 Band in Quart; die »Abhandlung über die Pflanzengeographie« 1 Band; die »Monumente der amerikanischen Eingeborenen mit denen des asiatischen Orients verglichen«, 1 Band in Folio; die »politische Abhandlung über Mexiko«, 2 Bände in Quart mit Atlas und 20 Karten; die »astronomischen Beobachtungen und Barometermessungen auf den Cordilleren«, 2 Bände in Quart, bereits veröffentlicht; – man druckt in diesem Augenblicke die »Species der Pflanzen«, welche 1800 neue Arten enthalten und welche wir mitgebracht haben. Ein Band »Beobachtungen über die Abweichung der Magnetnadel und die Stärke des Magnetismus« und 4 Bände des »historischen Berichtes« sind gleichfalls unter der Presse.

Das Ziel meiner asiatischen Reise ist die hohe Gebirgskette, welche von den Quellen des Indus zu den Quellen des Ganges geht. Ich wünsche Tibet zu sehen, aber dieses Land ist nicht der Hauptort meiner Forschungen; es ist wahrscheinlich, daß ich die Reise auf das Kap der guten Hoffnung zu nehme.

Eine Arbeit über die Deklination (den senkrechten Abstand vom Aequator) der südlichen Gestirne hat mich lange Zeit gereizt. Ich möchte in Benares weilen, wenn ich nicht nach Batavia oder Tibet gelangen könnte, dann könnte ich die indische Halbinsel, die malakkischen Küsten, die Insel Ceylon, Java oder die Philippinen besuchen. Ich ziehe diese indische Reiseroute vor, weil ich, wenn ich einmal gelandet bin, Gewißheit habe, eine an allen Arten von Entdeckungen reiche Reise zu machen. Die politische Lage Europa's würde mich zur augenblicklichen Abreise bestimmen, wenn ich den Weg über Konstantinopel, Bassora und Bombay nehmen könnte. Da mein Hauptziel Indien und die unter dem 35-38. Breitegrade gelegenen Gebirge Centralasiens sind, so ist mir der Weg, auf dem ich meine Reise beginne, ziemlich gleichgültig.

Das sind, theurer Freund, die Ansichten und Pläne, womit ich mich augenblicklich beschäftige. Ich glaube mir bis zur gegenwärtigen Stunde schmeicheln zu dürfen, daß mir die Mittel zur Verwirklichung derselben nicht mangeln werden. – Ich bin außerordentlich über das Interesse erfreut, welches man in Petersburg dauernd für mich nimmt. Die Namen der Herren Spiranski und d'Ouvanof sind Denen nicht unbekannt, welche sich mit den Fortschritten der Wissenschaft im Norden beschäftigen. Graf Romanzow, der Handelsminister, hat mich während seiner Anwesenheit in Paris mit Vorschlägen beehrt, worauf ich nicht ablehnend geantwortet habe; ich habe ihm im Gegentheil meinen Wunsch ausgedrückt, an dem wahrhaft großen und rühmlichen Ziele mitzuarbeiten, welches den Kaiser Alexander mit Eifer beseelt. Ich werde mit Lust und Fleiß die Vorschläge aufnehmen, welche mir die Regierung auf officiellem Wege machen wird, wenn man geneigt ist, mir geographische Aufschlüsse über jene Gegenden zu geben, deren Untersuchung von mir gewünscht wird.

Es kostet mir viel, die Hoffnung aufzugeben, die Ufer des Ganges mit ihren Banianenbäumen und Palmen zu sehen; ich bin jetzt 42 Jahre alt und wünsche eine Expedition zu unternehmen, welche 7-8 Jahre dauert; aber um die Aequinoctialgegenden Asiens zu opfern, ist es nöthig, daß der Plan, den man mir vorzeichnen wird, ausgedehnt und breit sei. Der Kaukasus zieht mich weniger an, als der Baikalsee und die Vulkane der Halbinsel Kamtschatka. – Kann man nach Samarkand, Kabul und Kaschmir eindringen? Geht die Hoffnung verloren, den Mustag und die Hochebene von Schamo zu messen? Giebt es im Kaiserreiche Rußland einen Menschen, der zu Lassa oder Tibet gewesen wäre, ohne die gewöhnlichen Routen von Teheran, Kaschan und Herat oder Kalkutta zu passiren? – Rußland ist mit allen Völkern an den südlichen Grenzen in Krieg gekommen, und wird man seine Unternehmungen inmitten des Waffenlärms machen können?

Die Geognosie, diese Wissenschaft, welche die Schichtung der Gebirge und die Gleichförmigkeit ihrer Bildungen behandelt, die Pflanzengeographie, die Witterungskunde, die Beobachtungen am Pendel, die Theorie des Magnetismus (Neigung, Abweichung, Kraftstärke, stündliche Wechselungen) werden auf dieser Expedition bedeutend gefördert werden, wegen der großen Ausdehnung, die man durchwandern kann. Die Studien über Menschen, Racen, Sprachen (welche die dauerndsten Monumente früherer Civilisation sind), die Hoffnung, Handelswege gegen Süden zu eröffnen – tausend verschiedene Gegenstände bieten sich unseren Forschungen dar. – Um gleich anfangs eine allgemeine Gesammtanschauung von dem Schauplatze unserer Unternehmungen zu erhalten, möchte ich, daß man mir gestattete, damit zu beginnen, ganz Asien vom 58-60. Breitegrade zu durchreisen, durch Katharinenburg, Tobolsk, Jeniseisk, Jakutsk, bis zu den Vulkanen Kamtschatka's und an die Ufer der Südsee. Das Land ist gegen Norden gehoben, und man könnte hier alle neueren Gebirgsbildungen unterscheiden; oder man könnte sich von Ost gegen West wenden, unter den 48. Breitegrad, nach dem Baikalsee, um hier Untersuchungen zu machen, welche südlich in diesem Parallelkreise begönnen und 4-5 Jahre dauern würden. Diese Reisen sind gar nicht kostspielig, obgleich es nöthig ist, Instrumente anzuwenden von der leichtesten, transportabelsten Construktion und doch dabei sehr genau. Ich möchte wünschen, daß die meisten begleitenden Gelehrten Russen wären; sie sind muthiger und in Mühseligkeiten ausdauernder und werden nicht so sehnlich die Rückkehr verlangen. Ich verstehe nicht ein einziges Wort russisch, aber ich werde mich zum Russen machen, wie ich mich zum Spanier gemacht habe; denn Alles, was ich unternehme, führe ich mit Begeisterung aus.

Mehrere große Zwecke könnten auf einmal erreicht werden. 1. Die Fortschritte der exakten Wissenschaften der allgemeinen Physik, der Geologie und Botanik und aller anderen Theile der beschreibenden Naturgeschichte, der Lehre von der Magnetnadel, der Geschichte der Atmosphäre. 2. Berichtigung der Karten durch astronomische Beobachtungen, ohne sich auf langwierige Trigonometrie einzulassen; ferner: Barometermessungen, Anfertigung von Profildurchschnitten der Erdoberfläche, wie in meinem mexikanischen Atlas. 3. Der Regierung genaue Mittheilungen zu machen über die ökonomischen, politischen und Handelsverhältnisse in denjenigen Theilen des Landes, die noch nicht gehörig bekannt sind. 4. Untersuchungen anzustellen über die Geschichte der Völker und der Sprachen, um das polyglottische Wörterbuch zu erweitern, welches nach einem wenig philosophischen Plane begonnen wurde, weil es die grammatikalischen Analogien (Uebereinstimmungen) ausschließt. 5. Bereicherung der naturhistorischen Sammlungen Sr. Majestät des Kaisers, namentlich geregelte Folgen von geologischen Gegenständen, von den nach den Provinzen abgetheilten Felsgesteinen zu bilden, eine vorzügliche Sammlung, da sie eine Fläche von mehr als 1500 Meilen darstellen würde. So schön und nützlich auch die Arbeiten von Gmelin, Pallas, Krascheninikof, Hermann sein mögen, sie könnten, sehr erweitert werden durch die größeren und allgemeineren Anschauungen, welche man jetzt von der Natur besitzt. – Wenn man über Alles nachdenkt, was durch eine Bereinigung unterrichteter Personen erreicht zu werden vermag, die, von einem guten Eifer beseelt, mit genauen Instrumenten versehen und von einer Regierung geleitet und beschützt sind, welche freigebig, fest in ihren Plänen ist, und den Personen, welche sie beruft, vertraut, so wird man sich leicht überzeugen, daß Weltreisen am meisten geeignet sind, die Wissenschaften zu fördern, namentlich die Seeexpeditionen, welche den Erweiterungen der nautischen Geographie durchaus unterworfen sind.

Ich habe mit größter Sorgfalt die Reiseberichte des Herrn von Krusenstern geprüft. In der Einleitung an der Spitze des ersten Bandes meiner astronomischen Beobachtungen habe ich diesem gelehrten und erfahrenen Seereisenden eine öffentliche Huldigung dargebracht; er dient auf das Schönste dem Reiche des Kaisers Alexander, der von seiner Thronbesteigung an einen edlen Eifer gezeigt hat, die Fortschritte der Aufklärung in seinen weiten Staaten durch zwei große wissenschaftliche Expeditionen, eine zur See, die andere in das Innere des weiten Kontinents, zu ermuntern.

Sie sehen, mein Herr, aus den Hoffnungen, denen ich mich hingebe, daß ich sehr entschieden sein würde, die Anerbietungen anzunehmen, welcher man mich würdigen wollte, wenn die Pläne in einer hinreichend großen Weise aufgefaßt wären, die mir eines Monarchen würdig erscheinen, der einen so großen Theil des alten Erdtheils beherrscht. Die Befürchtungen, welche man wegen eines Krieges im Norden hegt, werden vielleicht etwas die Ausführung dieser großen Pläne verzögern, aber ich halte die Hoffnung fest, daß dieser Theil Europa's die Fortdauer des Friedens genießen wird; wird aber diese Hoffnung nicht verwirklicht, so darf man glauben, daß nach einem Kriege die Regierungen sich bestreben werden, Alles zu thun, was ihr inneres Gedeihen erhält und nur mittelmäßige Geldopfer fordert. – Ich würde vor dem Winter 1814 nicht in Petersburg sein können; dieser Aufschub aber wird der Sache nicht schädlich sein. Es erfordert mehr als ein Jahr, die physikalischen und astronomischen Instrumente herzustellen, welche man bei Fortin, Brequet oder Le Noir in Paris, oder bei Troughton, Rudge, Ramsdon Sohn in London, oder in München bei Reichenbach bestellen könnte; es erfordert Zeit, die Gelehrten und Künstler zu vereinigen, so wie sich von den südlichen Grenzen Europa's und von der Möglichkeit, tiefer gegen Süden vorzudringen, genauer zu unterrichten.

Eine Schwäche, welche ich in Folge der großen Feuchtigkeit am Orinoco im rechten Arme habe, macht meine Handschrift sehr unleserlich. Dürfte ich Sie bitten, so oft, als Sie glauben, diesen Brief abschreiben zu lassen, um ihn einigen ihrer Freunde mitzutheilen? – Ich habe zu Ihnen mit derselben Freimüthigkeit gesprochen, wie ich es 1799 am Hofe zu Aranjuez gethan habe. Ich wünsche sehr, daß Sie fortfahren könnten, mir über diesen wichtigen Gegenstand weitere Nachrichten zu geben; ich fordere keine Gewißheit, aber doch eine gewisse Wahrscheinlichkeit. Ich begreife, daß im gegenwärtigen politischen Zustande der Welt sich die Regierung mit diesem Gegenstande nicht beschäftigen mag, aber ich würde unnütze Unkosten ersparen, wenn ich im Voraus wüßte, daß der Monarch wünscht, daß ich meinen Reiseweg vom asiatischen Rußland aus nehmen solle.

Ich würde mich gegen Nichts weigern, was zu einer siegreichen Verfolgung des so nützlichen Zweckes dienen könnte, und eine Reise von Tobolsk bis zum Kap Comorin unternehmen, selbst wenn ich wüßte, daß von neun Personen nur eine einzige ankommen würde; aber einfach in meinen Bedürfnissen, bewaffnet mit moralischer Unabhängigkeit, unterstützt durch einen starken Willen, verfolge ich ruhig meine eigenen und besonderen Forschungen; ich würde aus meinem Charakter heraustreten, wenn ich, anstatt die Fragen zu beantworten, welche Sie mir vorlegen, von meiner Seite selbst Schritte thun wollte.

Können Sie mir wol genau sagen, welches die Breite des sibirischen Dorfes ist, das, am meisten nördlich gelegen, während des Winters bewohnt ist? – Unter Dorf begreife ich jede Vereinigung von 2-3 Häusern. Es wäre sehr interessant, die stündlichen Veränderungen der Magnetnadel und die Stärke des Magnetismus während des Nordlichts in der dauernden Nacht kennen zu lernen.« – –

So weit dieser Brief, welcher uns Humboldt in seiner geistigen Persönlichkeit, voll Wissensdrang und Muth, treu und klar im Spiegel seiner eigenen Gedanken darstellt.

Dieser große Plan, den der eben mitgetheilte Brief in seinen kühnsten Zielen darlegte, und der sich bereits zu einem Lieblingsgedanken Humboldt's gestaltet hatte, fand aber ein plötzliches Hinderniß am ausbrechenden Kriege Frankreichs mit Rußland. Er kehrte, freilich seine nahe bevorstehende Reise vereitelt sehend, aber den einmal gefaßten Plan darüber nicht aus den Augen verlierend, von Wien, wo er sich bereits bei seinem Bruder verabschieden wollte, da Kaiser Alexander auf die Idee jenes Briefes vom 7. Januar 1812 eingegangen war, nunmehr nach Paris zurück, nicht nur um sein amerikanisches Reisewerk zu fördern, sondern auch zugleich, um sich für den einmal mit Beharrlichkeit ausgebildeten Plan einer Forschung in Asien, in Hoffnung künftiger Gelegenheit zur Ausführung, gründlich vorzubereiten. – Deßhalb beschäftigte er sich mehrere Jahre lang in Paris mit dem Studium der persischen Sprache, um dann auf eigene Kosten sich über Teheran oder Herat nach Indien zu begeben; er machte sich auf literarischem Wege schon damals mit der Struktur der asiatischen Bergketten genau vertraut, so daß er selbst im Stande war, über die Forscher, welche das Himalayagebirge bereist hatten, gründliche Urtheile abzugeben. Der Gedanke an diese Reise hatte einen besonderen Reiz für ihn; die Hochebenen Mittelasiens, wo die alte Überlieferung das Menschengeschlecht ursprünglich in seiner ersten Heimat entstehen läßt, ferner die sagenhaften Riesengebirge Indiens, die merkwürdigen Verhältnisse der Grenze des ewigen Schnee's – alle diese Umstände flößten ihm eine besondere Vorliebe für die asiatischen Studien ein. – Die französische Regierung hatte, im Interesse der Wissenschaft, zu diesem Humboldt'schen Reiseplane ihre Unterstützung angeboten, es hatte sogar der König von Preußen, als er im Oktober und November 1818 in Aachen war, dem berühmten Naturforscher für seinen Reisezweck in Asien eine jährliche Unterstützung von 12,000 Thalern und die Kosten der Ausrüstung bewilligt, aber »besondere Umstände«, über die wir hier keine Rechenschaft zu geben vermögen, brachten dennoch diesen zum »Lieblingsprojekte« gewordenen Reiseplan Humboldts nicht zur Ausführung und er verzichtete damals selbst darauf.

Ehe wir gegen Ende des Jahres 1818 Humboldt's Abreise von Paris weiter verfolgen, kehren wir wieder in das Jahr 1812 zurück, um ein Ereigniß zu besprechen, welches Humboldt, als er es zu Paris erfuhr, heftig erschütterte. Es traf nämlich die traurige Nachricht ein, daß die Stadt Caracas, in welcher Humboldt mit Bonpland zwei Monate gelebt und wo er so herzliche Gastfreundschaft gefunden, hatte, am 26.März 1812 durch ein furchtbares Erdbeben zerstört war; 9-10,000 Einwohner fanden den Tod unter den Trümmern ihrer Häuser, unter dem Einsturze der Kirchengewölbe. Schmerzlich ruft Humboldt aus: »Unsere Freunde sind nicht mehr; das Haus, welches wir bewohnt haben, ist nur noch ein Schutthaufen, die Stadt, welche ich beschrieben habe, ist nicht mehr vorhanden. – Der Tag war sehr heiß, die Luft ruhig, der Himmel wolkenlos; es war Gründonnerstag, das Volk größtentheils in den Kirchen versammelt; nichts schien das drohende Unglück zu verkünden. Es war 4 Uhr Abends. Plötzlich ertönten die an diesem Tage verstummten Glocken, es war Gottes-, nicht Menschenhand, die sie zum Grabgeläute zwang. Eine 10-12 Sekunden lange Erschütterung Die Stöße erfolgten in zwei sich durchkreuzenden Richtungen wellenförmig von Norden gegen Süden und von Osten nach Westen, denen eine senkrechte, von unten nach oben in der Zeit parallel lief. schreckte das Volk, die Erde schien sich wie eine kochende Flüssigkeit zu bewegen. Schon glaubte man die Gefahr vorüber, als sich plötzlich der unterirdische Donner hören ließ. Die Stadt wurde gänzlich zerstört. Die 9-10,000 Todten (von denen gegen 3-4000 unter dem einstürzenden Kirchengewölbe begraben wurden, wo gerade eine große Prozession stattfinden sollte) waren die Glücklicheren, die plötzlich und unvermuthet, zum Theil in Andacht und Gebet begriffen, vom Tode überfallen wurden, – aber hierzu kommen noch die Unglücklichen, welche, an ihren Gliedern zerschmettert, noch Monate lang die Ihrigen überleben mußten und dann aus Mangel an Pflege und Nahrung umkamen. – Die folgende Nacht war ruhig und hell, der Mond leuchtete, die ruhige Gestalt des Himmels bildete einen furchtbaren Gegensatz gegen die mit Trümmern und Leichen bedeckte Erde. Mütter trugen die Leichen ihrer Kinder im Arme, jammernde Familien durchzogen die Stadt, um einen Bruder, Gatten oder Freund zu suchen, dessen Schicksal unbekannt war.«

Die Lebhaftigkeit dieser Schilderung, worin sich Humboldt mitten in das Bild der Zerstörung versetzt und seiner dortigen Freunde und lieben Plätze gedenkt, zeugt deutlich von dem tiefen, schmerzlichen Eindrucke, welchen die Nachricht vom Schicksale Caracas' auf ihn gemacht hat.

Nie hat sich wol das Mitleid rührender und erfinderischer gezeigt, als in den Anstrengungen, welche gemacht wurden, um den Unglücklichen, deren Seufzer man hörte, Hülfe zu reichen. Es mangelte gänzlich an Werkzeugen zum Nachgraben und zur Wegräumung des Schuttes, man mußte sich zur Hervorgrabung der Unglücklichen der Hände bedienen. Die Verwundeten wie die Geretteten wurden an das Gestade des kleinen Guayraflusses gelagert; hier konnte der Schatten der Bäume den Menschen allein Obdach gewähren. Alle Betten, Leinwand, chirurgische Instrumente, Arzneien, alle Gegenstände der ersten menschlichen Bedürfnisse waren unter dem Schutte begraben, es mangelte in den ersten Tagen an allen Nahrungsmitteln; auch das Wasser in der Stadt war selten geworden, die Brunnenleitungen waren zerschlagen, die Quellen verstopft. – Die Bestattung der Todten war sowol durch Religion als die Sorge für die Gesundheit geboten; es war jedoch unmöglich, so viele Tausende zu bestatten, es wurden deßhalb Kommissarien ernannt, die für die Verbrennung der Leichen zu sorgen halten. Mitten zwischen dem Schutte der Häuser wurden Scheiterhaufen für die Bewohner errichtet und dieses traurige Geschäft dauerte mehrere Tage. Unter diesem allgemeinen Jammer vollzog das lebend gebliebene Volk die religiösen Gebräuche, mit denen sie am ehesten den Zorn des Himmels zu besänftigen hofften. Einige stellten feierliche Prozessionen an, bei welchen sie Leichengesänge ertönen ließen, Andere, von Geistesverwirrung befallen, beichteten laut auf der Straße. – Achtzehn Stunden nach diesem schrecklichen Ereignisse erfolgten neue Stöße, von einem unterirdischen Donner begleitet. Die Einwohner von Caracas zerstreuten sich in die Umgegend; weil aber die Dörfer gleichfalls gelitten hatten, so konnten sie nur jenseits der Berge in den Thälern und Savanen ein Obdach finden. Von der Silla, welche Humboldt einst bestiegen hatte, stürzten gewaltige Felsmassen herab, und man wollte behaupten, daß sich die beiden Spitzen des Gebirges um 300-360 Fuß gesenkt hätten.

Die politischen Zustände Europa's, wie sie sich seit März 1814 bis zum November 1815 zwischen dem ersten und zweiten Pariser Frieden gestalteten, wurden für Humboldt Veranlassung zu mehreren Reisen. Er besuchte England, das er seit 1790 nicht gesehen hatte, im Gefolge des Königs von Preußen im Jahre 1814; – dann aber unternahm er mit Arago eine zweite Reise dahin im September 1818, wo er seinen Bruder als Gesandten in London traf. Aber ehe er Paris verließ, mußte er in diesem Jahre eine neue Trennung erfahren, nämlich von seinem Freunde und treuen Reisegefährten Bonpland – eine für diese Erde ewige Trennung. – Das Interesse, welches dieser Begleiter Humboldts auf den gefahrvollen Wanderungen und Stromfahrten in Amerika in Anspruch nimmt, gewinnt uns ebenfalls eine Theilnahme an seinem Schicksale ab. – Bald nach seiner Rückkehr mit Humboldt von Amerika erwarb er sich durch seinen liebenswürdigen Charakter die Achtung und das Wohlwollen aller Personen, mit denen er in nähere oder fernere Berührung kam. Da die Kaiserin Josephine eine leidenschaftliche Zuneigung für Blumen hatte, so ernannte Kaiser Napoleon den ihm bekannt gewordenen Bonpland zum Oberaufseher der Gärten von Malmaison, wo sich, bereits eine prachtvolle Sammlung von exotischen Pflanzen befand. – Nachdem das Napoleonische Kaiserreich gestürzt war, behagte es ihm in Frankreich nicht mehr und er ging im Jahre 1818 als Professor der Naturgeschichte nach Buenos-Ayres. – Man hörte lange nichts von ihm, bis endlich die Nachricht von seinem unglücklichen Schicksale nach Europa und so auch zu Humboldt's Kenntniß kam. – Bonpland war nämlich im Jahre 1820 in das Innere des Staates Paraguay gereist, wo er zu St. Anna, am östlichen Ufer des Flusses Parana, eine indianische Kolonie gegründet hatte, welche er nun zu besuchen wünschte. Kaum aber in St. Anna angekommen, wurde er von Soldaten umzingelt, welche ihn als Gefangenen mit fortnahmen und nach St. Martha brachten, nachdem sie die Pflanzungen der Kolonie zerstört hatten. Diese gewaltsame Gefangennehmung war nämlich eine Rache des Eigennutzes, die auf Befehl des Diktators von Paraguay, des Dr. Francia, geschah. – Dieser hatte schon längst mit eifersüchtigen Blicken die Thee-Anpflanzungen, welche Bonpland an mehreren Punkten Brasiliens angelegt hatte, mißgünstig beobachtet, denn die Theepflanze Es ist hier der sogenannte Paraguai-Thee ( Ilex paraguaysensis) gemeint. ist Paraguay eigenthümlich und bildet den Hauptausfuhrartikel dieses Landes. – Bonpland, den Concurrenten, bei seinem nächsten Besuche auf der Grenze von Paraguay aufgreifen zu lassen, war sein erster Befehl. – So wurde der Gefangene in St. Martha zurückgehalten, wo er frei umhergehen und als Arzt praktiziren durfte. – Sobald Alexander von Humboldt die Kunde von dieser Gewaltthat an seinem Freunde, den er aufrichtig liebte, erhielt, verwendete er sich sogleich und unermüdet bei allen seinen hochgestellten und einflußreichen Gönnern und Freunden; aber seine Bemühungen hatten in Paraguay keinen günstigen Erfolg. Erst im Jahre 1829 erfuhr man, daß Bonpland seine Freiheit wieder erlangt habe und nach Buenos-Ayres zurückgekehrt sei, und in den letzteren Jahren wurde es in Deutschland bekannt, daß er mit seiner Familie in San Borja, einem kleinen Flecken des Staates Paraguay, lebe. Zurückgezogen von der Welt, nur seinen botanischen Studien hingegeben, bedeutende Sammlungen besitzend, hatte er sich außer allen Verkehr mit Europa gesetzt und keine Neigung, jemals nach Frankreich zurückzukehren. Er konnte sich aber dennoch, bei seinem zeitweiligen Briefwechsel mit A. von Humboldt und der Nachricht von seinem Leben und Aufenthalte, nicht ganz der anerkennenden Huldigung Europa's entziehen; Frankreich zahlte ihm eine jährliche Pension, welche ihm von Montevideo aus zufloß, der König von Preußen dekorirte ihn mit dem rothen Adlerorden. – In Jugendfrische, gleich seinem Gefährten Humboldt, machte er in seiner neuen Heimat mit unermüdlichem Forschereifer kleinere und größere Reisen und trat noch im Jahre 1856 eine Wanderung nach Patagonien an. Wir haben Personen, die ihm vor etwa fünf Jahren in Porto Allegre begegnet sind, von hem liebenswürdigen Charakter, dem Jugendfeuer des Greises und der geistigen Regsamkeit des Forschers mit Begeisterung reden hören. Aber auch die neue Welt weiß seine wissenschaftliche Bedeutung zu würdigen und es zeugt von der fortgeschrittenen Bildung des amerikanischen Spaniers und überhaupt der dortigen mittel- und südamerikanischen Bevölkerung, daß man dem Schöpfer einer transatlantischen Pflanzenkunde öffentlich mit Anerkennung huldigt und die dortigen Zeitungen, namentlich in den La Plata-Staaten und Brasilien, genau jeden kleinsten Ausflug verfolgen, seine Ankunft und Gegenwart in anderen Orten begrüßen und ankündigen, und daß ihm oft von der öffentlichen Meinung Ehrenbezeugungen und Beifallsäußerungen zu Theil werden. Die Achtung vor der Naturwissenschaft gab man dort, wie wir in der Verehrung Humboldts, in einer allgemeinen Achtung Bonplands zu erkennen.

Die Zeitung Montevideos » Comercio de la Plata« nennt ihn »einen Mann, ungebeugt von der Last der Jahre, die volle Kraft seines Geistes bewahrend, Pläne denkend und Reisen unternehmend, die in solchem hohen Alter bei Anderen dem Wunsche nach Ruhe weichen würden.« Auf seiner Reise nach Patagonien wünschte ihm jene Zeitung eine glückliche Rückfahrt nach seiner Besitzung Santa Anna, mit dem Zusatze, daß noch lange Jahre dem wunderbaren Genius, der seine Wanderungen so wohl anzuwenden versteht, und der sein Leben dem Wohle der gesummten Menschheit gewidmet hat, vergönnt sein möchten. –

Aber auch in unserm Deutschland hat man den entfernten Gefährten Humboldts nicht vergessen; um ihm ein Denkmal zu setzen, das seinen Namen täglich in den Kreisen der naturkundigen Welt auffrischt, hat das literarische offizielle Organ der Kaiserlichen Leopoldinischen Akademie unter Redaktion von Berthold Seemann, sich selbst » Bonplandia« getauft und sich im Geiste Bonpland's der gesammten Botanik gewidmet.

Wir glauben Bonpland's Leben und Wirken durch nichts treuer und unmittelbarer zur Anschauung führen zu können, als durch einige Briefe, welche er in den Jahren 1855 und 1856 geschrieben und die bereits genannte Montevideo'sche Zeitschrift » Comercio de la Plata« veröffentlicht hat. Eben durch solche Schriftstücke, die der Königliche Preußische Geschäftsträger Herr Jülich an seinen Freund Seemann gesandt und dieser in der »Bonplandia« abgedruckt hat, erfuhren wir neuerdings vom Leben und Wirken des so lange für Europa fast verschollen gewesenen Mannes.

In einem Briefe vom 13. Saneda 1856 an einen Dr. Alejandro Pesce spricht Bonpland von dessen begonnenem Werke über den menschlichen Magnetismus, das der Verfasser Bonpland öffentlich gewidmet hat. Wichtiger wegen der Andeutungen über Bonpland's äußeres Leben und seine Gemüthsstimmung ist ein Schreiben aus San Borja vom 8. August 1856 an den Herrn von Jülich (das wir auszugsweise der »Bonplandia« entnehmen), und worin Bonpland sich folgendermaßen ausläßt:

»Nach vielen Monaten voll sehnsüchtiger Erwartung bin ich endlich glücklich dazu gekommen, Herrn Kasten zu sehen. Ich danke es Ihnen wahrhaft, mir die Bekanntschaft eines durch sein tiefes mineralogisches Wissen und seine Liebenswürdigkeit ausgezeichneten Mannes verschafft zu haben. – In diesen letzten Tagen habe ich auf dem Wege über Corrientes den Brief empfangen, welchen Sie für Pierre Lacour, meinen alten Jäger und Ausstopfer, an mich gerichtet haben. – Ich bin ganz neuerdings hierher gekommen, um Alles, was ich besitze, mit fortzunehmen und es nach Santa Anna zu bringen, wo ich mein Hauptquartier aufzuschlagen und mich mit meinem ganzen Eigenthume zu umgeben gedenke. Mein Herbarium und meine Mineralien werden mit mir den Weg nach Corrientes einschlagen. Der Herr Gouverneur Pujol ist ein sehr unterrichteter, freisinniger Mann, der sein Land wahrhaft liebt und über Alles wünscht, die Bewohner aufzuklären und ihnen nützliche Einrichtungen zu verschaffen. Herr Dr. Pujol wünscht ein naturwissenschaftliches Museum anzulegen und alle Erzeugnisse von Corrientes darin zu versammeln. Als sein Freund und Bewunderer werde ich ihm die Doubletten der Pflanzen und Gesteinproben schenken, die ich zusammengebracht habe. Ich werde ihn so in seinen gemeinnützigen Plänen unterstützen und in wenigen Tagen den Kern des naturwissenschaftlichen Kabinets bilden, dessen ersten und glücklichen Entwurf wir dem gegenwärtigen Gouverneur von Corrientes verdanken.

Was ich im Museum von Corrientes niederlege, ist, ich darf es wol sagen, die Frucht meiner Arbeiten seit 1817, und viel Lehre und große Kosten waren erforderlich, um etwas Aehnliches zu Stande zu bringen. Dann muß ich noch hinzufügen, daß ich, der so lange Zeit im Lande gelebt hat, im Stande war, die Eigenschaften einer außerordentlich großen Menge von Pflanzen, den Werth der Hölzer etc. zu studiren. Ich verdanke der Freundschaft des Herrn Kasten einige wol bestimmte Mineralien-Exemplare, die ein helles Licht über die mineralogische Beschaffenheit der Banda oriental und dieses Landes verbreiten. Es wird mir eine große Freude und gern erfüllte Pflicht sein, diese Gesteinsproben in dem Corrientes-Museum unter Herrn Kastens Namen zu deponiren.

Nach Beendigung meiner projektirten Arbeiten, und wenn ich mit der Uebersiedelung meiner Sachen nach Corrientes zu Ende bin, wird es an der Zeit sein, mein hinreichend geordnetes Herbarium nach Paris zu schicken. Ich habe, ich gestehe es, große Lust, es selbst dorthin zu bringen, um die Ehre zu genießen, es persönlich dem Kaiser zu übergeben, damit es in den Gallerien des Museums der Naturgeschichte zu Paris niedergelegt werde. Ich könnte dann diese neueren Sammlungen und meine Manuskripte mit denen vereinigen, welche Alexander von Humboldt auf seiner berühmten Gelehrtenreise zusammenbrachte. Der Gedanke an eine solche Reise, an Alles, was Louis Napoleon gethan hat, an den Krieg mit Rußland, an den gegenwärtigen Zustand Europa's, ja der ganzen Welt – das Alles bietet mir ein Bild der verschiedenartigsten Reflexionen dar. Ungeachtet meiner großen Sehnsucht, Europa wieder zu sehen, ehe ich die Augen schließe, Humboldt einmal wieder zärtlich zu umarmen und die wenigen meiner alten Freunde, die noch am Leben sind, zu besuchen, die Eisenbahnen und diese ganze unermeßliche Veränderung des Europa von heute im Vergleich mit dem Europa von 1815-16 zu sehen, veranlassen alle diese Punkte Reflexionen in mir, die mich in der größten Unschlüssigkeit lassen. Zu allerletzt fällt mir oft ein, daß es vielleicht doch das Beste wäre, in meinem St. Anna zu bleiben, wo mir nichts fehlt, was dazu dienen kann, ein ruhiges und glückliches Leben zu führen. Wüßte ich, daß die projektirte und lebhaft ersehnte Reise nach Paris mir nicht mehr als 6 Monate kosten würde, so würde ich sie unternehmen und bis Algier ausdehnen, welches ich seit meinem Austritte aus Paraguay immer zu besuchen Lust gehabt habe.

Ich habe mehrmals an Humboldt geschrieben und werde ihm von Neuem aus Corrientes schreiben. Unterdessen geben Sie mir Nachricht von ihm und rufen Sie mich ihm in's Gedächtniß zurück.«

Am 17. September 1856 befand sich Aimé Bonpland zu Restauracion, wo er einen Brief schrieb, welcher in dem amtlichen, in der Argentinischen Republik erscheinenden Regierungsblatte abgedruckt worden ist und worin Bonpland sich in einer lichtvollen, jugendfrischen und mit wissenschaftlichem Feuer erfüllten Weise ausläßt, daß selbst jenes amtliche Blatt ausruft: »Sollte man wol glauben, daß dieser Brief von einem bereits 83jährigen Greise stammt?« – Da dieser Brief außerdem sehr interessante Mittheilungen über seine Thätigkeit enthält, so glauben wir unsern Lesern einige Stellen daraus schuldig zu sein. Bonpland schreibt: »In Betreff, was Sie mir über das Vorhandensein von Quecksilber in La Cruz mittheilten, will ich Ihnen sagen, was mir geschehen ist. Vor langer Zeit wurde ich nach dieser kleinen Mission gerufen, um den Kommandanten, damals Sennor Pucheta, welcher krank war, zu besuchen. Nachdem er sich gebessert hatte, unternahmen wir Spaziergänge und er führte wich an einen Ort, wo man Quecksilber gesunden hatte. Zwischen zwei Spielkarten konnte ich etwa eine halbe Eau de Cologne-Flasche voll mit reinem Quecksilber füllen. Natürlich war ich sehr erstaunt, da ich aber an derselben Stelle Scherben jener großen Flaschen von schwarzem Glase fand, welche die Jesuiten in allen ihren Magazinen besaßen, so glaubte ich einen Augenblick lang, das Quecksilber könne von dem Zerbrechen einer Flasche herrühren. Ich habe nämlich dieselben Flaschen in Sapua, Santa Rosa und Maria de Fé gesehen. Hierauf that ich alle nöthigen Schritte, um mich von dem Dasein von Minen dieses Metalls zu vergewissern; doch blieben sie vergeblich. – Neulich, als ich mich in Cucuzu-Cuatiá mit dem Herrn Gouverneur Pujol befand, hatten wir Gelegenheit, über das Quecksilber von La Cruz zu sprechen und er bezeugte mir seinen innigsten Wunsch, diese interessante Thatsache bestätigt zu sehen. So bin ich denn vor drei Monaten zweimal hinter einander nach La Cruz gegangen; ich ließ Brunnen graben, besuchte die drei Hügel, befragte die Einwohner, sowol Indianer als Weiße, und befinde mich nichts desto weniger in der Unmöglichkeit, anzugeben, ob wirklich eine Quecksilbermine an jenem Orte existirt oder nicht. An demselben Punkte, wo ich ehemals Quecksilber gesammelt, ließ ich Löcher graben, ohne ein Atom dieses Metalles aufzufinden. – Meine Absicht ist, kommenden Frühling neue Nachforschungen anzustellen und zwar während der trockenen Jahreszeit, und bis zum Felsgrunde hinab zu gehen etc.« –

Wir erfahren aus diesem Briefe, dessen Fortsetzung sich noch über die Möglichkeit des Vorkommens von Quecksilber in jener Gegend weiter ausläßt, so wie über den Vorsatz, seine noch übrige Lebenszeit so viel wie möglich auf dem ihm gehörigen Landgute Santa Anna zuzubringen und zu beschließen – wie rührig der Greis sich noch um praktische Fragen der Wissenschaft bekümmert und selbst Hand anlegt. Alle Nachrichten, welche wir über ihn am Ende des Jahres 1856 erhielten, bezeugen, daß er noch wie ein Jüngling Reisen macht, daß an ihm, gleich seinem einstigen Begleiter Humboldt, die Jahre vorüberfliehen, ohne seine Körper- oder Geisteskraft abzuschwächen, daß der Argentinische Bund stolz auf seinen Besitz ist, da er mit unermüdlichem Eifer, selbst mit Aufopferung seiner Nachtruhe, für Agrikultur und Industrie jenes Landes wirkte. Um so überraschender war für uns im Jahre 1858 die Nachricht, daß Bonpland gestorben sei. Leider bestätigte sich bald die Zeitungskunde und nach einer uns gütigst von A. v. Humboldt mitgetheilten Nachricht ist der 4. Mai 1858 der Todestag seines einstigen treuen Reisegefährten, der, 85 Jahre alt, sein reiches Leben zu St. Anna beschloß.

Zur Zeit sind des Verstorbenen testamentarische Verfügungen noch nicht speziell bekannt geworden, doch hat, dem Vernehmen nach, der französische Gesandte in Parana sich beeilt, den Gouverneur der Provinz zu veranlassen, alle Maßregeln zu nehmen, um die zahlreichen botanischen Sammlungen Bonpland's sorgfältig zu erhalten, und es ist mehr als wahrscheinlich, daß der Verstorbene seine oft geäußerte Absicht, den Jardins des plantes in Paris seine Sammlungen zu vermachen, in seinem letzten Willen ausgesprochen hat. – Damit beschließen, wir unsere Mittheilungen über das Schicksal Aimé Bonpland's, die wir dem wissenschaftlichen Gefährten Humboldt's in dieser Schrift schuldig waren, und zwar an dieser Stelle, wo sich Humboldt von ihm trennte, um ihn nie wieder zu sehen.

Im September 1818 reiste Alexander von Humboldt nach London, wo er seinen Bruder Wilhelm antraf, welcher hier seit einem Jahre preußischer Gesandter war und auf diesem Posten namentlich für Bekämpfung der Seeräuberei der nordafrikanischen Staaten und für Ausrottung des Negerhandels thätig sich zeigte. Alexander v. Humboldts Gegenwart in London war aber nicht allein als ein brüderlicher Privatbesuch zu betrachten (wie vor sieben Jahren in Wien – zumal diesmal Wilhelm's Gemahlin kränklich in Berlin zurückgeblieben war –), sondern es hatten ihm die verbündeten Mächte aufgetragen, eine politische Uebersicht der südamerikanischen Kolonien zu verfassen. Aber schon im Oktober rief ihn der König von Preußen nach Aachen, wo er am 13. dieses Monats von London aus eintraf und in der königlichen Nähe bis zum 26. November verweilte. Der König von Preußen sowol, wie der Staatskanzler, Fürst Hardenberg, wünschten Humboldt während des Aachener Kongresses in ihrer Nähe zu haben. Hier war es auch, wo bei dem Könige sein neuer Reiseplan nach Tibet und dem malayischen Archipelagus zur Sprache kam und der König ihm für die Dauer der Reise, außer den wissenschaftlichen Ausrüstungskosten, jährlich 12,000 Thaler aussetzte. Um diese Zeit war Humboldt noch so lebhaft für seinen Plan entbrannt, daß er schon in wenigen Monaten die Reise antreten wollte, und es ist deshalb auffallend, daß diesem Lieblingsgedanken so schnell entsagt werden konnte. – Auch W. v. Humboldt war später, am 5. November, nach Aachen gekommen, um den letzten Berathungen des Kongresses beizuwohnen.

Von Aachen ging A. v. Humboldt nach Paris zurück, wo er eine Reihe von Jahren nur seinen Studien lebte.


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