Theodor Kirchhoff
Eine Reise nach Hawaii
Theodor Kirchhoff

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebentes Kapitel.

Die Stadt Hilo und ihre Umgebung. – 20 Fuß Regen im Jahr. – Der große Lavastrom dicht vor Hilo. – Die Beschwörung der Prinzessin Ruth. – In Keauhou. – Ein Ritt über ein Lavafeld. – Ein tropischer Regensturm. – Der Yankee-Agent in seinem Heim. – Im Karren nach dem Vulkan.– Ohiabäume und Pulu-Farne. – Ankunft im Volcano-House. – Erster Blick in den Krater des Kilauéa.

Hilo, 192 engl. Meilen (309 km) von Honolulu, ist der zweitgrößte Ort auf den Sandwichinseln, hat aber mehr das Aussehen eines großen Dorfes als das einer Stadt. Mit dem in seiner Nähe liegenden gleichnamigen Zuckerdistrikte hatte der Platz bei der letzten Volkszählung (27. Dezbr. 1884) 7988 Bewohner, von denen die Landbevölkerung aber weitaus die Mehrzahl bildet. Landungsbrücken oder irgend welche Bequemlichkeit und Sicherheit für die Schifffahrt giebt es in Hilo nicht; doch könnte die Bucht durch das Fortsprengen eines Korallenriffs, das bei schwerer See eine mächtige Brandung verursacht, leicht in einen guten Hafen umgewandelt werden. Da Hilo auf der am weitesten gegen Osten vorgeschobenen Hauptinsel des hawaiischen Königreichs liegt, und die Entfernung nach San Francisco von dort 150 Seemeilen geringer ist, als von Honolulu, so ist Aussicht vorhanden, daß sich jene Stadt einst zu einem ansehnlichen Hafenplatz emporschwingen wird, zumal sich viele große Zuckerpflanzungen in der unmittelbaren Nähe des Ortes befinden. Bis jetzt werden alle Landeserzeugnisse über Honolulu nach auswärts verschifft, und es nehmen sowohl die Wareneinfuhr als der Personenverkehr denselben Weg. Eine Dampfschiffslinie zwischen Hilo und San Francisco wurde bereits geplant; aber mit der Ausführung eines solchen Unternehmens hat es vorläufig gute Wege, da für die Verbesserung des Hafens noch gar nichts gethan ist.

Die Lage und die Umgebung von Hilo sind echt tropisch. Palmen und Brotfruchtbäume stehn vor jeder Thür der hölzernen Häuser, die sich in einem Halbkreise an das Ufer lehnen. Die tropischen Waldungen in der unmittelbaren Nähe des Ortes, die großen Zuckerpflanzungen, der prächtige »Regenbogen«-Wasserfall, die Kokosinsel, die Aussicht auf die felsige Küste und das blaue Meer, die mächtigen Lavafelder u.s.w. gewähren dem Fremden eine Fülle von neuen Eindrücken. Er braucht auch gar nicht, wie die Eingeborenen es zu thun pflegen, dort die halbe Zeit zu verschlafen, – wenn nur nicht der für einen civilisierten Menschen kaum zu ertragende ewige Regen da wäre! Der Regenfall sollte dort nach Fuß, nicht nach Zoll berechnet werden. Vom 1. Januar bis zum 1. November 1887 fiel in Hilo z.B. 14 Fuß Regen! und da die Monate November und Dezember die regnerischsten Monate im Jahre sind, so wird das Jahr 1887 ohne Zweifel die Durchschnittsziffer von 20 Fuß Regen erreicht haben. Infolge des fast unaufhörlichen Regens ist der Pflanzenwuchs im Hilo-Distrikt außerordentlich üppig, und es mag wenige Gegenden auf der Erde geben, wo sich jener so dicht zeigt wie hier. Wer sich zu Pferde ins Innere der Insel begeben will, der kann nur auf Saumpfaden fortkommen, selbst nicht über die Ebenen, die von dem mannshohen sogenannten Hilo-Gras so dicht überwuchert sind, daß kein Pferd hindurchschreiten kann.

Als ich bei Tagesanbruch aufstand, um Hilo vom Verdeck des Dampfers zu betrachten, goß es dermaßen vom Himmel herab, daß ich nur einige Kokospalmen und wenige Häuser am Ufer zu erkennen vermochte. Den Riesenvulkan Mauna Loa hatte ich bis jetzt noch gar nicht gesehn. Derselbe steht, obgleich er 30 engl. Meilen (48 km) landeinwärts liegt, mit Hilo in unmittelbarer Verbindung, weil mehrere seiner gewaltigsten Lavaströme die Richtung nach dieser Stadt nahmen und ihr sehr nahe kamen. Der Ausbruch, welcher unter allen, die sich bis jetzt ereigneten, für Hilo weitaus der gefährlichste war, fand im Jahre 1880 statt, als ein neun Monate lang ununterbrochen fortfließender, fast 50 engl. Meilen (80 km) langer Lavastrom jenen Platz beinahe erreichte.

Langsam wälzte sich die ungeheure Glutmasse vom Mauna Loa herab, gerade auf Hilo zu. Es war ein feuriges Ungeheuer, das mit einem wahren Schneckengang vom Berge herunterkroch. Ohne sich zu übereilen, gleichsam Schritt vor Schritt, drang der gewaltige Feuerstrom vorwärts. Er füllte Thäler und Flußläufe aus, zerstörte die auf seinem Pfade liegenden Urwälder, die spurlos in ihm verschwanden, und überschüttete das Land weit und breit mit schwarzen Steintrümmern und Lavaschollen. Ungefährdet konnte man an seinem Ufer stehn, oder vor ihm herspazieren und einen Stock in die dicke glühende Masse hineinstecken; seine Oberfläche erkaltete so rasch, daß man schon nach einem Tage über sie hinwegzuschreiten vermochte. Aber der Kopf des höllischen Ungeheuers schob sich viele Monate lang unausgesetzt weiter vorwärts, als wäre dieses darauf erpicht, Hilo zu erreichen.

Sämtliche erwachsene Bewohner des Hilo-Distrikts waren mit Hacken, Schaufeln und eisernen Brech- und Hebestangen dem nahenden Verderben mehrere Meilen entgegengerückt und errichteten, schräge gegen den Lavastrom, einen langen und hohen mächtigen Steinwall, um die lebendige Glutmasse womöglich seitwärts von der Stadt in das Meer zu leiten. Alles umsonst! Die Lava kümmerte sich nicht im geringsten um den großen Steinwall, sondern sie spazierte, ohne von ihrer Richtung abzuweichen, darüber hinweg, gerade auf Hilo los. Da erschien als Retterin in der Not die Prinzessin Ruth aus Honolulu. Die volle 300 Pfund wiegende Schwester Kamehamehas V. opferte der Göttin Pele mit einer grausigen Beschwörung ein lebendiges schwarzes junges Schwein, einen lebendigen schneeweißen Hahn und ein rotes baumwollenes Taschentuch, welche Opferstücke sie eigenhändig in den Lavastrom warf – und siehe da! dieser gelangte, nur 300 Schritt von den Thoren Hilos, plötzlich zum Stillstand. Die Stadt, aus welcher bereits alle Einwohner geflüchtet waren, wurde auf diese Weise vor einem schrecklichen Schicksal bewahrt. Daß die seitdem selig entschlafene Ruth als Schutzheilige von Hilo gilt, ist nach jenem offenbaren Wunder gewiß ganz in der Ordnung.Die Lavaströme des Mauna Loa in den Jahren 1852 und 1855 standen ebenfalls in ihrem Lauf ungefähr 6 engl. Meilen (10 km) von Hilo plötzlich still. Dies läßt sich dadurch erklären, daß die Landschaft in der Umgebung jener Stadt eine weite Ebene bildet, auf welcher sich die allmählich dicker werdende flüssige Lava bei dem nahezu erschöpften Druck des weit entlegenen Ausbruchskraters nicht mehr fortzubewegen vermochte.

Nachdem der Kinau die letzten Japaner und deren wunderbares Gepäck endlich in Böten glücklich an das Land befördert hatte, verstummte der Aufruhr im Schiff; nur der Regen prasselte nach wie vor auf das Verdeck. Froh war ich, als der Dampfer den Anker aufhißte und seine Weiterreise nach dem Landungsplatze Keauhou antrat, der 60 engl. Meilen (96 km) von Hilo an der Südostseite der Insel Hawaii liegt. Mit Ausnahme einiger hübschen Wäldchen von Kokospalmen war während der Fahrt dorthin am Ufer nichts Bemerkenswertes zu sehn. Um acht Uhr morgens hielten wir in geringer Entfernung vom Strande vor Keauhou (250 engl. Meilen == 402 km von Honolulu), wo wir vier Vulkanreisenden nebst einem uns als Diener begleitenden Kanaken in Böten bei einem bis an das Meer reichenden alten Lavafelde an das einsame Ufer gesetzt wurden. Der Kinau fuhr bald darauf nach Hilo zurück, von wo er in zwei Tagen wiederkommen und uns zur Weiterfahrt abholen sollte.

Der Regen hatte zeitweilig aufgehört, so daß wir mit trockener Haut über das zerrissene Lavafeld nach dem einzelnen Hause gelangten, welches den lediglich für die Bequemlichkeit der Vulkanreisenden eingerichteten Landungsplatz Keauhou bildet. Im Stationshause waren nur einige Kanakamädchen anwesend. Der Agent der Dampfschiffsgesellschaft, ein Yankee aus Neu-England, dessen Familie im Halbweghaus zwischen Keauhou und dem Vulkan wohnte, kam bald darauf im Galopp vom Gebirge herunter und quer über die Lavafelder nach der Station gesprengt. Er hatte auf der Höhe, wo er einige dort umherirrende Ponies einfangen wollte, unseren Dampfer kommen sehn und empfing uns herzlich. Vorerst mußten Reitpferde herbeigeschafft werden, weil man auf unsere Ankunft nicht vorbereitet war. Eine Kanakadirne schwang sich auf einen ungesattelten Pony, der giftig hinten und vorne ausschlug, und jagte über die rauhen Lavaschollen in die Wildnis hinaus, um Reitpferde zu holen. Bis diese anlangten und während ein einfaches Mal zubereitet wurde, erzählte unser Wirt uns von Erdbeben und Lavaausbrüchen, von seiner Vergangenheit und von seinem Thun und Treiben in dieser einsamen Gegend. Jahrelang hatte er als »cowboy« in Colorado und Arizona gelebt. Hier gefiel es ihm ganz gut. Schlecht zu sprechen war er eigentlich nur auf die vielen Haifische, die sich in der Nähe des Landungsplatzes in der See herumtrieben. Das Baden wäre ihm ganz verleidet worden, seit ein gefräßiger Hai dort vor kurzem einem Kanaken beide Hände und eine Ferse abgebissen hätte. Zu sehen gab es nicht viel in Keauhou. Wir betrachteten das große schwarze Lavafeld und das steile Gebirge, welches wir erklimmen sollten, nahmen einen Imbis ein und waren froh, als das Kanakamädchen eine Schar Ponies herbeitrieb, das Gepäck auf dem Rücken der Tiere mit Stricken festgeschnallt war und wir die Weiterreise antreten konnten.

Es war Mittag geworden, ehe unsere kleine Schar, die aus zwei Amerikanerinnen, einem jungen Amerikaner, einem Kanaken vom Kinau, der uns hilfreiche Hand leisten sollte, dem Agenten und mir – also aus sechs Personen – bestand, endlich im Sattel saß, die Damen, trotz ihres Widerspruchs, auf Herrensätteln, und Reiter und Reiterinnen sich in aufgelöster Reihe vom Stationshause über das entsetzlich rauhe Lavafeld auf dem Saumpfad nach dem Gebirge in Bewegung setzten. Die Packtiere sollten später unter der Obhut eines in der Station beschäftigten Kanaken auf einem kürzeren, aber noch schwierigeren Wege nach dem Halbweghaus getrieben werden. Der gewaltige, ganz nackte Lavastrom, über welchen der Saumpfad, der nicht auf den Namen eines Reitwegs Anspruch machen konnte, hinführte, hatte das Land vom Gebirge bis zum Meere weit und breit überschwemmt. Er rührte von einem unterirdischen Ausbruche des Kilauea her, der sich in vorgeschichtlicher Zeit ereignet hat. Die merkwürdig niedrige Lage dieses Lavafeldes, das sich nur wenige Fuß über dem Meeresspiegel fast in einer Ebene ausdehnt, wird durch eine große und plötzliche Senkung der Küstenlinie erklärt. Die erkaltete Lava lag neben- und übereinander, als wäre hier eine Feuerwoge auf die andere gefolgt. Das Lavafeld bestand zum größten Teil aus der von den Eingeborenen mit dem Namen Pahoehoe bezeichneten Lava, die einigermaßen wegsam ist und aus einer schmutzigen Masse und nicht sehr harten Schlackenhaufen besteht; damit wechselte ab und zu das sogenannte A-a ab, steinartige Trümmer, welche von unseren Ponies sorgfältig vermieden wurden. Daß der Boden an vielen Stellen unterhöhlt war, bewies der dumpfe Schall, den die darauf tretenden Hufe unserer Pferde verursachten.

Bald wurde die Sonne, welche kurze Zeit geschienen hatte, wieder von schweren Wolken verdüstert, so daß wir schleunigst unsere Gummimäntel anzogen. Der Agent erfreute uns mit der Nachricht, daß es bald »Heugabeln« (pitchforks) regnen würde! Einige schwere Tropfen bewiesen die Richtigkeit seiner Behauptung. Als ich vorsichtshalber meinen Schirm, den ich von San Francisco mitgebracht hatte, aufspannen wollte, schrie mir der Yankee zu, dies, falls mir meine Knochen lieb seien, hübsch bleiben zu lassen. Meinem Pony sei ein solches Stück Möbel ganz unbekannt. Sobald ich den Regenschirm aufspannte, würde jener unzweifelhaft Reißaus nehmen und mich aller Wahrscheinlichkeit nach aus dem Sattel werfen, bei welcher Gelegenheit ich in dem Lavafeld leicht Hals und Bein brechen könnte. Auch sei ein Regenschirm auf der Insel Hawaii ganz überflüssig, da nicht zehn Schirme, wenn es hier einmal ordentlich regnete, einen trocken zu halten vermöchten. Daß ich meinen Regenschirm unter so bewandten Umständen nicht aufspannte, sondern denselben lieber als Peitsche benutzte, wird der Leser begreiflich finden.

Der Saumpfad, den der ehemalige Kuhjunge aus Arizona als vortrefflich bezeichnete, ließ nach meiner Meinung an Schlechtigkeit nichts zu wünschen übrig. Nach einem mühsamen Ritt von vier englischen Meilen (6 2/5 km) hatten wir endlich das große Lavafeld überschritten und erreichten den ersten etwa tausend Fuß hohen Abhang (Pali), den wir auf einem Zickzackpfad erklommen. Wir befanden uns gerade zwischen einem wahren Felsgewimmel, durch welches sich unsere Ponies mit Mühe und Vorsicht bergauf bewegten, als ein wolkenbruchartiger Regen vom Himmel herabprasselte. Der Gummimantel schützte nur meinen Oberkörper; meine Beinkleider sahen in kurzer Zeit so aus, als wären sie soeben aus einer Waschbütte hervorgezogen worden, während sich das Wasser in meinen Stiefeln auf eine lästige Weise ansammelte. Der Regen fiel nicht etwa von oben herab, sondern er kam in breiten Lagen wuchtig von der Seite herübergepeitscht. Auf dem zweiten, ebenfalls tausend Fuß hohen Pali begrüßte uns ein womöglich noch heftigerer Platzregen, der mich an ähnliche Regengüsse erinnerte, die ich vor vielen Jahren in Nicaragua und auf dem Isthmus von Panamá, erlebt hatte. Das sich über uns und zu beiden Seiten in langer Linie auftürmende bewaldete Gebirge, die tief hinter uns die Ebene bedeckenden wüsten Lavafelder, die großartige Fernsicht auf das von der weißen Brandung umsäumte Gestade und auf das weite blaue Meer, der peitschende Regen, Sturm und Sonnenschein und ein prächtiger doppelter Regenbogen: dies alles verlor vollständig seinen Reiz für uns ganz durchnäßte Vulkanfahrer. Der mit losen Steinen übersäete, lehmige Saumpfad war durch den Regen so schlüpfrig geworden, daß unsere Ponies nur mit äußerster Mühe vorwärts gelangen konnten. Nicht einmal eine große Herde von wilden Ziegen, die plötzlich in unseren Gesichtskreis trat und einen steilen Abhang eilig emporkletterte, vermochte unsere Aufmerksamkeit zu fesseln. Diese Ziegen werden nur ihrer Felle wegen getötet. Die Kanaken verfolgen die flüchtenden Tiere so lange im schnellen Lauf bergauf und bergab, bis diese vollständig ermüdet sind, von ihnen ereilt und mit Messern niedergestoßen werden. Im Jahre 1886 wurden 4000 wilde Ziegen auf diese Weise im Keauhou-Distrikt getötet.

Nach einem Ritt von sechs engl. Meilen (9 3/5 km), die schier kein Ende nehmen wollten, erreichten wir das Halbweghaus, wo die Packtiere bereits vor uns eingetroffen waren. Eine Stunde lang ruhten wir uns dort aus, gossen das Wasser aus unseren Schuhen und Stiefeln und trockneten, so gut es ging, die Kleider. Der Yankee-Agent, der eine Eingeborene geheiratet hatte, lebte in dieser einsamen Wohnung mit seiner chokoladefarbenen Frau und drei gesunden hellbraunen Kindern nebst einigen Kanaka-Knechten, welche die Stallungen u. s. w. auf der »Ranch« in Ordnung halten mußten, ganz zufrieden. Mit seiner Ehegattin, die kein Wort englisch verstand, redete der Yankee ausschließlich hawaiisch; die Kinder dagegen bedienten sich meistens der englischen Sprache. Nur wenn Reisende in Keauhou eintrafen, und gelegentlich im Gasthaus beim Vulkan, sah der Agent weiße Gesichter. In der Familie ging es hoch her, weil der Papa einige Geschenke für das nahe Weihnachtsfest, die mit dem Kinau aus Honolulu angelangt waren, sozusagen auf Abschlag unter die Kinder verteilte. Ein vierjähriger Junge ließ einen durch eine Springfeder in Bewegung gesetzten Esel mit solchem Jubel in der Wohnstube hin und her laufen, daß es eine Freude war, ihm zuzusehen.

In mehreren rot angemalten zweirädrigen Karren (breaks) mit sehr niedrigem Sitz und hohen Rädern, welche Gefährte man vermittelst einer Klappthür von hinten besteigt, setzten wir unsere Reise nach dem noch acht engl. Meilen (13 km) entfernten Vulkan fort. Nichts erinnerte uns bei dieser Fahrt daran, daß wir uns hier auf einem Gebirge, fast 4000 Fuß über dem Meere befanden; nicht einmal ein Hügel war zu sehn, und der Fahrweg stieg ganz unmerklich empor. Der mit schwarzem vulkanischem Sand bedeckte Boden war zu beiden Seiten der Straße mit Ohiabäumen, die herbe schmeckende, den wilden Äpfeln ähnliche Früchte tragen, und mit Farnkräutern dicht bewachsen.

Unter den Farnkräutern fielen die prächtigen Pulu-Farne (Cibotium), die auf der Insel Hawaii in Menge angetroffen werden, sowohl durch ihre Größe als durch ihren Blätterschmuck besonders ins Auge. Die Pulu-Farne sind förmliche Bäume, mit acht bis zehn Fuß langen Wedeln (fronds) und einem Stamm drei bis vier Zoll im Durchmesser. Das zarte Grün, in allen Schattierungen von hell- bis dunkelgrün, das die Blätter je nach ihrem Alter in verschiedener Färbung zur Schau tragen, ist wunderschön. In früheren Jahren bildete Pulu, das aus der wolligen Hülle der jungen Triebe (Spreublättchen) gewonnen wird, einen namhaften Ausfuhrartikel der Sandwichinseln und wurde in Kalifornien und Oregon viel dazu benutzt, um Matratzen damit auszustopfen. Die Puluwolle besitzt aber die unangenehme Eigenschaft, daß sich viel Ungeziefer in ihr einnistet; auch zerfällt sie nach längerer Benutzung in Staub. Als man in Kalifornien und Oregon nichts mehr von Pulu wissen wollte, wurde dasselbe eine Zeitlang nach Australien verschifft. Die Antipoden haben aber auch bereits ihre Kenntnisse über Puluwolle erweitert, und es hat der Gebrauch derselben jetzt so ziemlich aufgehört.

Es war Abend geworden, als das langgestreckte niedrige Dach des Volcano-House endlich zwischen den Bäumen vor uns auftauchte. Rings um dasselbe stiegen dichte Dämpfe an vielen Orten aus dem Boden empor. Im strömenden Regen erreichten wir bald darauf das ersehnte Gasthaus, wo wir zunächst uns bemühten, unsere durchnäßten Kleider an einem riesigen Kaminfeuer zu trocknen. Der Wirt erzählte mir, daß hier in zwei Tagen und in einer Nacht 13 Zoll Regen gefallen sei! Da der Regen noch immer fortdauerte, so verzichteten wir großmütig darauf, noch in dieser voraussichtlich stockfinsteren Nacht mit einem Führer in den 500 Fuß tiefen Krater hinabzusteigen, wozu unsere Fahrkarte uns berechtigte. Wir beeilten uns aber, ehe es dunkel wurde, noch einen Blick in den Kilauéa zu werfen, dessen Nordrand kaum fünfzig Schritt vom Gasthause entfernt lag. Gar keine Ähnlichkeit hatte jener mit dem Vesuv, auf dessen Gipfel ich im Mai 1883 stand. Nicht ein Kegelberg lag vor uns, sondern es erstreckte sich in der Tiefe eine wie mit Schlamm bedeckte, von hohen Felshängen ringsum eingeschlossene weite Niederung. An vielen Stellen dampfte der Boden des ungeheuren Kraters. Fernab lag in demselben ein von dichtem Rauch umwogtes kleines Gebirge, welches mitunter unheimlich aufleuchtete. Nach dem Abendbrot traten wir noch oft auf die Veranda hinaus und betrachteten die bald hellere, bald mattere Glut der entlegenen Lavaseen. Nachdem wir unsere Kleider am lodernden Kaminfeuer einigermaßen getrocknet hatten, suchte ich mein Nachtlager auf und träumte von der Göttin Pele und ihrem Feuerschloß bis an den lichten Morgen.


 << zurück weiter >>