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Nubien bietet nichts. So liest man's in den gedruckten Anweisungen zur geistigen Fortbildung im Umherziehen. Nubiens Wüsteneien seien von Nomaden bewohnt, die zum Teil noch heimlich dem Räuberhandwerk huldigen. – Stimmt. – Stimmt. Karawanenüberfälle à la Karl May sind noch heute in der Glanzepoche technischen, kulturellen Aufschwungs durchaus keine Seltenheit. Nur daß sie sich etwas weniger romantisch abspielen, als der Erfinder des Hadschi Halef Omar dies dem Papier anvertraute. Was und wie Nubien ist, schrieb ich vor Monaten in unserer Oase nieder, im bequemen Zelt, an einem Steinschreibtisch, der so alt war, daß man mit Jahrtausenden rechnen mußte.

Heute?!

… Auch ein Zelt … Aus stärkstem Tropenleinen … Dazu ein Klapptisch, geliefert von Broderson, London, Großfirma für Afrikabedarf. Klappstuhl dito. Sogar Füllfederhalter, Reginalds Eigentum.

Und wenn ich vom Papier aufblicke, sehe ich zuerst Lizzies feines Profil im Liegestuhl und dann durch den offenen Zelteingang die ostafrikanische Steppe … In endloser Ferne dunkelt am Horizont ein Gebirgsmassiv … In der Steppe bewegen sich Pünktchen – – alles Tiere, Antilopen, Gnus, Hartebeeste … Es ist das große, große Wildschonrevier, in das man mit der Eisenbahn so bequem hineingondelt und das doch noch völlig unberührte Natur geblieben.

Lizzie liest. Reginald, Sussik und die meisten Safari-Leute sind drüben am Sumpfrande und versuchen das Flußpferd aus dem zähen Schlamm herauszuziehen. Es duftet schon, und sein Leib gleicht einem prallgefüllten Ballon. Ich kenne das schon. Wenn der Kadaver nachher abgehäutet werden soll und der riesige Somali Afra den Speer in den Ballon stößt, entweichen die Gase unter scheußlichem Brozeln, und alles reißt vor dem Parfüm aus …

Lizzie schielt zuweilen zu mir herüber und seufzt sehr diskret. Ich fühle ihren Blick, aber ich meide ihn. Unser Onkel-Nichten-Verhältnis verdient manches Fragezeichen. Mir bleibt es unbegreiflich, daß Lizzie an den alten guten Onkel Olaf, der doch schon an den Schläfen Eselshaare trägt, ihr blutjunges Herzchen verlieren konnte.

Es ist leider so. Alle Anzeichen sprechen dafür, und es gibt Stunden, in denen ich meine Onkelrolle beinahe hasse.

Wieviel tausend Kilometer zwischen »unserer« Oase im Lande der hammelfettliebenden Bischarin und dieser Oase im Gebiet der reinblütigen Neger liegen, habe ich bisher nicht nachgemessen. Aber es muß eine ganze Menge sein.

Lizzie hüstelt …

»Onkel Olaf – hörst du bald auf?«

»Hm, ich habe eigentlich soeben erst angefangen, Kind …«

»Hast du schon den Brief erwähnt?« – Ihr Interesse für mein Tagebuch ist rührend, aber zweifellos nicht ohne Selbstsucht.

»Es war ja gar kein Brief, Kind … Es war doch nur …«

»Ich weiß schon, du … du redest um die Sache immer herum, und Sir Forrester und der gute Mehmed behandeln mich erst recht als Küken, das noch in die Brutmaschine gehört …«

»Am Tage ist es ja auch sehr heiß«, werfe ich ein.

Oh – sie hat Temperament …

Diesmal fährt sie aus der Haut – bildlich.

Ihre graublauen Augen funkeln mich böse an. Ihre kleine braune Faust schlägt auf den Deckel des unschuldigen Buches.

»Ich bin kein Kind mehr – ich bin achtzehn, ich könnte längst verheiratet sein und ein …«

Sie wird feuerrot und beendet den Satz sehr geschickt …

»… und ein anderer Onkel würde mich nicht dauernd an der Nase herumführen und mir endlich erklären, weshalb Lady Jane mit ihren Bischarin bis in diese Wildnis vordringen sollte und …«

Sie sieht mich noch böser an, und sobald sie dieses kitzlige Thema anschneidet, gibt es nur ein Mittel, sie hinzuhalten …

Lügen!

Es sind fromme Lügen. Entschuldbar …

»Ich weiß nichts«, sage ich mit dem demütigen Bewußtsein eines frechen Stümpers im Schwindeln.

Ihr Buch fliegt in den Sand, und ihre helle Gestalt entschwindet. Jetzt klettert sie drüben die Felsen hinan – ich kenne das schon – und sitzt hoch oben auf der Klippe und starrt nach Südwest in die bläuliche Ferne.

Mit einer mißmutigen Miene greife ich zu Zigarre und Feder – Zigarre links, Feder rechts –, jeder Hand das Ihre …

Nein, ohne Engelchen hätte ich Lizzie nie gefunden, und es war allerhöchste Zeit, daß jemand ihr beisprang. Die Dibs hatten bereits einen engen Kreis um sie geschlossen, und das tote Dromedar und das bewußtlose Mädchen hätten den Wüstenwölfen kaum Widerstand leisten können.

Das Engelchen war ausgepumpt, als ich tief unter mir in einem steinigen Wadi das spitzschnäuzige, vierbeinige Parlament und in diesem Kreise futtergieriger Parlamentarier das Opfer bemerkte.

Ein Zügelruck …

Engelchen stand wie ein Lamm. Ein paar Schieferfelsen deckten uns, ich stieg aus dem Sattel und zählte die Gruppe, es waren an die zwanzig Dibs, mehr im Hintergrund lauerte als Galeriebesuch eine Unmenge Fenneks. Dieser Überzahl von nagenden Bestien gegenüber war friedliches Paktieren ein Wagnis. Eine Kugel machte Beine … Aber Mehmeds Remington-Geschenk litt an der so häufigen Krankheit danebenzuschießen. An mir lag das nicht. Die zweite Bleiinjektion saß … Der Dib heulte, strampelte – vier, fünf der Seinen packten ihn, und im Nu war das Wadi leer. Daß die Dibs den Genossen gesundgepflegt haben, nehme ich nicht an. Im Gegenteil.

Da lag sie nun vor mir, die bleiche, aschblonde junge Fremde in ihrem bereits etwas schäbigen Reitanzug … Neben ihr der Tropenhelm, zerbeult, beschmutzt – neben ihr auch das arme Tier … Der Bauch bereits gedunsen … Auf der Seite lag sie … Vor ihr ein flaches großes Stück grauen Schiefers … Die Schieferfelsen, die die Sandschicht durchdringen, sind ja derart verwittert, daß die einzelnen Schichten, zumeist dünne Platten, sich leicht mit dem Jagdmesser lösen lassen.

Um die Schieferplatte neben der Bewußtlosen kümmerte ich mich zunächst nicht. Das Mädchen – ihre Jugend sprach gegen die Annahme, daß sie verheiratet sei – war zweifellos halb verdurstet. Die drei Wasserschläuche des Dromedars waren leer. Die Spuren erzählten mir die tragische Geschichte einer Wanderung zu Fuß mit dem Dromedar am Leitseil und ein Zusammenbrechen von Mensch und Tier infolge gänzlicher Erschöpfung. Wahrscheinlich waren beide gestern mittag an dieser Stelle umgesunken und liegengeblieben.

Mein Engelchen hatte ich trotz des eiligen Aufbruchs mit einem sehr großen Wasserschlauch belastet. Niemand wird sich in diesen wasserarmen Gegenden ohne das lebensnotwendige Naß ins Ungewisse hinauswagen.

Schon der zweite Becher Wasser mit einem Zusatz von Whisky tat Wunder. Das Mädchen – ich hielt sie bestimmten Anzeichen nach für eine Engländerin – schlug die Augen auf und gähnte krampfhaft. In ihrem matten Blick lag noch keinerlei Verständnis für die Umwelt, sie sah mich wahrscheinlich gar nicht, schloß die Lider und atmete nur kräftiger. Obwohl nun die Nacht keineswegs warm war, griff ich zu einem Mittel, das stets bei Verschmachteten am besten wirkt: ich goß ihr zwei volle Becher Wasser in den Halsausschnitt der grüngrauen Leinenbluse! Diese aufzuknöpfen und Massage anzuwenden, hinderte mich ein Gefühl von vielleicht zu prüder Rücksichtnahme gegenüber diesem knospenden jungen Geschöpf.

Ich legte sie auf meine Decke, hüllte sie ein und gab ihr einen Schluck reinen Whisky. Sie hustete, schüttelte sich, und die tränenden Augen – an Alkohol war sie kaum gewöhnt – dankten mir bereits durch ein lustiges Blinzeln. Dann knabberte sie ein wenig Hartbrot aus einer frischgeöffneten Konservenbüchse und schlief ein.

Ich band Engelchen am langen Weidestrick in nächster Nähe an und begab mich zu dem toten Tiere zurück, um Sattel, Zaum und der Fremden sonstige im Sande verstreute Sachen zu holen. Dabei fiel mir abermals die Schieferplatte auf. Ich sah, daß sie mit einem spitzen Schieferstück beschrieben war.

Ich entzifferte lediglich die Namen Sherman, Durst, Flucht und die Unterschrift Lizzi Neworld. Wichtig erschien mir bei diesen englischen Brocken lediglich das Wort Flucht.

Ich nahm die Büchse und suchte das Wadi im Umkreis nach Spuren ab. Das Tal bog nordwärts in scharfem Winkel ab, verringerte sich hier, hatte steile Wände, und zu meiner Überraschung gewahrte ich in einem Winkel ein paar Palmen, Büsche und Gras. Zierliche helle Fenneks huschten bei meinem Anblick davon, der Boden zeigte vielfache Fährten, Reste von Dromedarunrat, unter den Palmen hatten Zelte gestanden, ich sah noch die Löcher der Pflöcke und die schwarzen Stellen der Lagerfeuer. Nur Bischarin konnten hier gelagert haben. Schafmist gab es überreich, und die eigentümliche Anordnung der Pflocklöcher deutete mit Bestimmtheit auf Schobaken, Bischarinzelte, hin. Die ganzen Fährten mochten drei Tage alt sein, die Zahl der Trupps schätzte ich auf zwanzig Krieger. Die Bischarin pflegen ihre Lanzen mit den breiten Eisenblattspitzen vor den Zelten in den Boden zu stoßen, und ich zählte zwanzig solcher Löcher. Rechnete man die Frauen und Kinder dazu, mußte die Schar mindestens sechzig Personen stark gewesen sein. Daß einige Knaben dabeigewesen, verrieten mir die abseits in den Klippen errichteten Fanghütten für Fenneks. Der Krieger gibt sich mit derlei Spielerei nicht ab. Das ist Knabensache.

Ich habe von den Fenneks in meinen Tagebüchern bereits manches erwähnt. Der Fennek ist klein, zierlich, ockerfarbig oder isabellgelb – seine Hauptmerkmale sind die ungeheuren Lauscher (Ohren), die großen Augen und das zierliche Schnäuzchen und die sehr buschige Standarte. Die Ohren verleihen ihm ein fledermausartiges Aussehen. Die unterhalb des Schwanzansatzes vorhandene Drüse (Viole), bei ihm von einem dunkleren Haarring umgeben, duftet nach Rosen.

Tatsache.

Die Fanghütten errichten die Knaben aus Zweigen und Gras, lassen an einer Stelle ein kleines Schlupfloch frei, legen als Köder Datteln in das Hüttchen, befestigen vor dem Loch eine Hanfschlinge, die sich nachher gerade nur so weit zuziehen kann, daß der Fennek nicht erwürgt wird, denn tote Fenneks sind kein Handelsartikel. Nur lebende werden in Bir Schikr oder sonstwo in festen Siedlungen von Händlern aufgekauft – für Zoologische Gärten und als Käfiginsassen für die Parks der Reichen in Kairo, Chartum, Assuan und anderen Nilstädten.

Der Fennek ist schlau. Ein satter Fennek meidet die Fanghütten. Selbst die feinsten Datteln locken ihn nicht in die Schlinge.

Hier nun fand ich in einem Hüttchen einen bereits halbtoten Fennek, der wohl erst nach dem Abzug der Bischarin in die Schlinge geraten war. Was er alles versucht hatte, um freizukommen, zeigten der aufgewühlte Boden und das zernagte Holzrohr, das die Knaben über den Hanfstrick schieben, damit der Fuchs die Schlinge nicht zerbeißt. Das zierliche Tierchen lag regungslos da, japste erbärmlich und schnappte nur matt nach meiner Hand, als ich es beim Genick packte und zum Lagerplatz trug. Ich hatte nun zwei Patienten zu versorgen. Das Mädel schlief, der Fennek leckte gierig das Wasser, in das ich Hartbrotbröckchen getan hatte.

Zuweilen folgt man – und man sollte es immer tun – inneren Eingebungen, die man zunächst für sinnlos hält. Der Gedanke, den Fennek (es war ein jüngeres Männchen) zu zähmen, lag ja allerdings nicht so weit fern, denn ganz junge Fenneks werden überraschend schnell zutraulich und besitzen ein starkentwickeltes Anhänglichkeitsgefühl.

Mein Fennek, den ich zur Vorsicht an einen Lederriemen gelegt hatte, mußte ein besonders intelligentes Tier sein. Als ich nachher mit Sussik wieder vereinigt war, wunderte mein Bischarinfreund sich außerordentlich, daß der kleine ockerfarbene Kerl absolut keine Neigung mehr zum Ausreißen zeigte.

Der Morgen graute, Lizzie erwachte, und was sie mir dann berichtete, war so erstaunlich, daß ich darüber Müdigkeit und Freund Sussik und den Schelm Selim vergaß.

Ich hatte über einem Reisigfeuer Tee gekocht. Wir aßen und tranken, und Lizzies frische Lippen strömten von Dankbarkeit über. Ihre Zutraulichkeit setzte mich in Verlegenheit. Sah ich wirklich schon so greisenhaft aus, daß sie mich nur als gütigen, ihr von der Vorsehung in letzter Minute gesandten braven »Onkel« betrachtete?! Sie hatte sich an mich gelehnt, ihr Händchen ruhte in meiner fast kaffeebraunen Pfote, und so erzählte sie … und verschwieg vieles. Mochte sie auch noch so jung sein: sie war vorsichtig, sie hatte wohl mancherlei zu verbergen, ich hörte deutlich heraus, daß sie gewisse dunkle Punkte ihrer Vergangenheit und ihre Pläne ängstlich mied … Als von ihren Lippen die Namen Bir Schikr, Sherman und Sraffon fielen, dazu Selim und noch ein paar Bezeichnungen für bestimmte Dinge, als sie mir Sherman und Sraffon beschrieb, da wußte ich, daß sie ahnungslos ein paar ganz üblen Schuften in die Hände geraten war, und reimte mir bereits den Rest – ihre Flucht – zusammen.

Es war meine Schuld, daß diese Banditen uns dann hinterrücks überfielen. Man soll sich nicht durch ein Paar graublaue freundliche Augen und ein warmes Händchen und eine süße Stimme allzusehr von der Pflicht notwendigster Vorsichtsmaßregeln ablenken lassen.

* * *

 


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