Jean Paul
Leben des Quintus Fixlein
Jean Paul

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Die Fortsetzung der Vorrede folgt.

Denn nun sanken wir in das grünende Tempe von Berneck hinein, und ich sperrte die Schreibtafel zu: sonst hätt' ich ohne Grobheit weiter darin schreiben können, weil es ja so viel war, als spräch' ich mit dem Kunstrat selber, da ich ihn darin meinte.

Der Kron-, der Elias- und der Sonnenwagen hielt vor der Post, und die Direktrice meines Wegs stieg heraus. Ich sprang an – wer hätt' es gedacht (ich wohl am wenigsten), daß es nichts geringers war als eine Primadonna, die schon einmal in einer von meinen VorredenIn der zum Siebenkäs. agierend aufgetreten war, nämlich die gute, die liebe, bekannte – Pauline, des sel. Hauptmanns und Kaufherrns Oehrmann nachgelassene Tochter.

Ich ward ordentlich ein Kind vor Freuden, wie alle Bernecker wissen. »Herr Jean Paul, wie kommen wir da zusammen?« sagte die Miß, deren Angesicht jetzt im Brautstand ein höheres Rot als im Laden hatte, gleichsam die rote Soldatenbinde des nahen Ehedienstes, die Band- und Vorsteckrose auf dem ehelichen Bande.

Fraischdörfer sott sich gleichfalls rot zu einem warmen Krebs: er hörte nun, ich sei wirklich der Autor selber, den er auf dem Straßendamm rezensiert hatte. Er sagte, es sei nur ein Glück für die Kunst, daß ich bloß in der Wirklichkeit, und in keinem Druck gelogen hätte, wo mehr daran gelegen wäre, den Charakter des wahrhaften Mannes durchzusetzen und zu halten. In drei Terzien war er weg wie Mai-Schnee. Er wird mirs aber gedenken und sich wenigstens in den Busch und Jägerschirm der allgemeinen deutschen Bibliothek stellen und daraus mit Windbüchsen nach seinem Reisegefährten schießen. Ich hielt es daher für nötig, dem Publikum schon vorher davon Nachricht zu geben: es ist nun auf jeden Pfeil seiner Armbrust (wie nach Montesquieu die Tatarn tun mußten) der Name geschrieben, der Schütze heißet Fraischdörfer. Es ist im ganzen ein Mann von Betracht und gut genug, er besieht die bambergischen Kriegstroublen und macht sich, wie ich an seinen FingernNach Buffon geben die zerteilten Zehen uns deutliche Begriffe, und daher ist der ungegliederte Fisch so dumm. sah, seine nötigen deutlichen Begriffe und noch spitzige Einfälle dabei, und wir schätzen einander. – Ich will einen davon hereinsetzen, der zugleich ein Beweis sein mag, wie gern ich seinen Lorbeer aussäe: »Die Feile«, sagte der lose Kunstrat, »welche die Autoren ihren Werken zu geben unterlassen, brauchen ihre Verleger fleißig an den Goldstücken, die sie ihnen dafür zahlen.« Recht gut turniert! –

Ich dinierte froh mit der Jungfer Braut, deren künftiger Ehemann und Ehe-Peischwa oder Ehe-Bey und maitre des plaisirs niemand wird als der uns allen recht gut bekannte Herr Gerichthalter WeyermannSiebenkäs, Tl. 1. . Ich lass' es zu, ich suchte die Braut mehr, als daß ich sie floh, und glich mehr dem weisen Ulysses, der sich mit offnen Ohren an den Mastbaum schnüren ließ und sie dem Sirenengesange gelassen schenkte, als seinen Begleitern, die ihre mit Wachs wie hohle Stockzähne plombierten. Aber sie war auch das leuchtende Christuskind, das die fatale Correggios-Nacht, die der Kunstrat in mein Herz gemalet hatte, mit dem schönsten Widerschein versilberte: sie war doch unschuldig und gut und weich und ohne die poetischen Härten der Empfindelei, und die vielen scharfen zweischneidigen Leiden bei ihrem Vater hatten ihrem Herzen mehr gegeben als ihrem Kopfe genommen; sie duftete gleich dem Rosenholz auf der scharfen Drechselbank des Unglücks so süß wie Rosen selber. Ihr knausernder Vater hatt' ihr freilich nur die Vorgrunds-Kultur, die äußere oder körperliche, nämlich vornehme Kleidung, aber nicht vornehme Bildung verstattet (die gute Gerichthalter abends gratis in biographischen Berichten anboten), und sie glich den meisten Mädchen um mich her, an denen wie in Wien die Vorstädte modern sind, die innere Stadt selber aber mit allen ihren Vierteln verdammt altväterisch. Indes hatten ich und sie doch wie alle Freunde – und wie alle zusammengewachsene Menschen nach Haller – nur ein Herz, obwohl zwei Köpfe. Das tut denn vieles.

Wir fuhren spät ab, und ich saß ihr im Vis-à-vis – vis-à-vis. Hinter unsern grünen Bergen lag die Wüste der Kinder Israel und vor uns das gelobte Land der sanften Baireuther Ebene. Ich und die Sonne sahen Paulinen immerfort ins Angesicht und mit gleicher Wärme, und mich rührte endlich die kleine stille Gestalt. Woher kam das? Nicht bloß daher, weil ich über das gewöhnliche herrnhutische Ehe-Loseziehen der Mädchen nachsann, die in gewissen Jahren größere Gefühle als Kenntnisse und im leeren Herzen ein anonymes Opfer-Feuer ohne Gegenstand haben – wie im jungfräulichen Tempel der Vesta kein Götterbild, sondern nur Feuer war – und die dann an die erste beste Erscheinung von Maschinengott ihren Altar hinschieben; – auch nicht davon bloß kam meine Rührung, daß sie nun, wie ihre meisten Schwestern, gleich weichen Beeren, von der harten Manneshand zugleich abgerissen und zerdrücket werde; – oder daß ihr weiblicher Frühling so viele Wolken und so wenige Tage und Blumen hatte und daß ich sie wie mehre Bräute mit dem schlafenden Kinde verglich, das Garofalo mit einem Engel, der eine Dornenkrone darüberhält, gemalet, auf das aber, wenn es die Ehe weckt, der Engel die Krone herunterdrückt: – Sondern das machte meine Seele weich, daß ich, sooft ich dieses freundliche rot- und weißblühende zufriedene Gesicht ansah, es gleichsam innerlich anreden mußte: »O sei nicht so fröhlich, armes Opfer! Du weißt nicht, daß dein schönes Herz etwas Besseres und Wärmeres braucht als Blut und dein Kopf höhere Träume, als die das Kopfkissen beschert – daß die duftenden Blumenblätter deiner Jugend sich nun zu geruchlosen KelchblätternWie verschiedene Blumen tun, z.B. die Ährennelke. zusammenziehen, zum Honiggefäße für den Mann, der jetzt bald von dir weder ein weiches Herz noch einen lichten Kopf, sondern nur rohe Arbeitfinger, Läuferfüße, Schweißtropfen, wunde Arme und bloß eine ruhende paralytische Zunge fordern wird. Dieses ganze weite Sprachgewölbe des Ewigen, die blaue Rotunda des Universums verschrumpft zu deinem Wirtschaftgebäude, zur Speck- und Holzkammer und zum Spinnhaus, und an glücklichern Tagen zur Visitenstube – die Sonne wird für dich ein herunterhängender Ballonofen und Stubenheizer der Welt, und der Mond eine Schusters-Nachtkugel auf dem Lichthalter einer Wolke – der Rhein trocknet in dir zur Schwemme und zum Schwenkkessel deines Weißzeugs ein und der Ozean zum Herings-Teich – du hältst in der großen Lese-Gesellschaft aller Zeitschriften den jährlichen Kalender mit und kannst wegen deines kosmologischen Nexus kaum vor Neugier die politische Zeitung erwarten, um in ihrem angebognen Intelligenzblatt den Torzettel unbekannter Herren nachzulesen, die in den drei Perücken logieret haben, und ein Universalgenie stellest du dir um nicht viel, aber um etwas gescheuter vor als deinen Eheherrn. – – – Du bist zu etwas Besserem geschaffen, aber du wirst es nicht werden (wofür dein armer Weyermann nichts kann, dem es der Staat selber nicht besser macht). Und so wird der Tod deine von den Jahren entblätterte Seele voll eingedorrter Knospen antreffen, und er erst wird sie unter einen günstigern Himmelstrich verpflanzenUnter der Bildung, die man den Töchtern »bürgerlicher Herkunft« so grausam entzieht und bei der Hermes und Campe nicht einsehen, wie sie nachher noch die Heloten für uns Sparter bleiben können, versteh' ich nicht elende französische oder musikalische Klemperei, sondern alles, was aus der Naturgeschichte, Physik, Philosophie, Geschichte, aus den schönen Künsten und Wissenschaften und aus der Sternkunde für den ewigen Menschen und nicht für den Virtuosen gehört. Ich lasse über diese Materie ein Werk aus meiner Feder hoffen. . – Warum sollte mich das nicht betrüben? Seh' ichs nicht jede Woche, wie man Seelen opfert, sobald sie nur einen weiblichen Körper umhaben? Wenn dann nun die reichste beste Seele unter der Morgenröte des Lebens mit dem unerwiderten Herzen, mit versagten Wünschen, mit den ungesättigten verschmähten Anlagen eingesenket wird ins übermauerte Burgverlies der Ehe – wobei sie freilich besonders von Glück zu sagen hat, wenn das Verlies keine tausendschneidige Oubliette oder wenn gar der Mann ein sanfter Kanker ist, den die Bastille-Gefangne zähmen kann –: so fühlt sich die Arme ungemein wohl dabei – die goldnen Luft- und Zauberschlösser der frühern Jahre erblassen bald und zerfallen unvermerkt – ihre Sonne schleicht ungesehen über ihren bewölkten und unterirdischen Lebenstag von einem Grade zum andern, und unter Schmerzen und Pflichten kömmt die Dunkle an dem Abend ihres kleinen Daseins an – und sie hat es nie erfahren, wessen sie würdig war, und im Alter hat sie alles vergessen, was sie sonst in der Morgenröte etwan haben wollte: nur zuweilen in einer Stunde, wo ein ausgegrabenes altes Götterbild eines sonst angebeteten Herzens oder eine wehmütige Musik oder ein Buch auf den Winterschlaf des Herzens einigen warmen Sonnenschein werfen, da regt sie sich und blickt beklommen und schlaftrunken umher und sagt: »Sonst war es ja anders um mich her – es ist aber wohl schon lange, und ich glaub' auch, ich habe mich damals geirrt.« Und dann schläft sie ruhig wieder ein ...

Wahrlich, ihr Eltern und Männer, ich stelle dieses quälende Gemälde nicht auf, damit es der wunden Seele, der es gleicht, eine Träne mehr abpresse, sondern euch zeig' ich die gemalten Wunden, damit ihr die wahren heilt und euere Marterinstrumente wegwerft.


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