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10

Gewohnt, Schritte und Gang einem Verfolgten anzupassen, wurde es ihm nicht schwer, den Ausgang des Saales eher zu erreichen als die beiden.

Aber an der Saaltür selbst hielten ihn Maxe, der Pierrot, und Orlando, den er einmal nach langer Arbeit eines Banküberfalls wegen festgemacht hatte, auf. Die beiden, schon in sehr gehobener Stimmung, ließen ihn nicht von der Stelle. Besonders Orlando hätte den Detektiv am liebsten umarmt. Ob er wollte oder nicht, er mußte ein Glas Portwein mit den beiden trinken. Aus dem einen Glase wurden zwei, eine Unterhaltung entspann sich, interessant für alle Teile.

Splittericht wandte sich nach einem sehr starken, breit gebauten und großen Mann an seiner Seite um.

Es war Holtbuer, der unter dem Namen »Husaren- Albert« bekannt und der Vorsitzende des Klubs »Teddy I« war.

Husaren-Albert war mit seinen vierzig Jahren älter als die meisten seiner Freunde. Er trug nichts weiter als ein Ringertrikot und Trainingschuhe. Außerdem war er maskiert.

Er schob die Maske ein wenig hoch, so daß man sein brutales, aber auffallend geradliniges Männergesicht sehen konnte, und sagte:

»Kann ich Sie mal sprechen, Herr Doktor?«

Splittericht nickte:

»Ich stehe jederzeit zu Ihrer Verfügung. –

Und sie setzten sich an einen abseitsstehenden kleinen Tisch, auf dem ein rotes Schirmlämpchen brannte.

Der wegen seiner Stärke von jedem respektierte Holtbuer, ein Westfale, der ehemals Steinschläger gewesen war, verlangte vom Wirt zwei Zigarren und zündete, da Splittericht dankte, die seine an. Wie er dabei die Arme hob, sah der Detektiv das Spiel der gewaltigen Muskeln.

»Sie wissen doch schon, Herr Doktor?«

Splittericht nickte.

»Ja, ich war's aber nich! ... Ich war dabei, aber ich war's nich!«

»Ich weiß«, sagte der Doktor-Kommissar.

»Nicht wahr, Sie glauben mir, daß ich's nicht war?«

Und Husaren-Albert hielt dem Detektiv über den Tisch seine mächtige Hand hin.

Splittericht legte die seine hinein und sagte:

»Ich glaub's Ihnen nicht nur, ich weiß, daß Sie es nicht gewesen sind.«

»Gott sei Dank«, sagte der Riese, »hier denken sie alle, ich habe den Leutnant machulle gemacht ... und wenn sie nich so 'ne Angst hätten vor mir, würden sie mich schon längst ... erledigt haben.« Er machte eine Bewegung mit der flachen Hand unter seinem Kinn vorbei.

»Aber dabei waren Sie?« fragte Splittericht.

»Ja, Herr Doktor, ich war dabei.«

»Von wem hattet ihr den die ›Annonce‹?«

Der andere hob seine breiten Schultern.

»Keine Ahnung ... ich habe Gott weiß wie rumgekniet auf dem Zalewski ... er wollt's durchaus nicht sagen ...« Der starke Mensch nahm jetzt seine Larve ab und blickte nachdenklich in den roten Schein der kleinen Lampe. »Ich wollte ja nicht mitmachen, Herr Doktor. Mir war das ungemütlich ... die Winde stand schief, und ich bin immer für klare Sachen gewesen. Mir schwante, daß da irgendwas faul wäre ... aber an so'n Schlamassel habe ich nich gedacht.«

»Haben Sie den Kasten aufgeschnitten. Holtbuer?«

Der zuckte wieder die breiten Achseln:

»... war doch gar nicht drin ... den Gang habe ich gegraben ... den Stollen vorgetrieben ... war doch mal 'ne Zeitlang im Bergwerk Knappe.. übrigens ein gefährliches Stück Arbeit ... immer so mit dem kleinen Puppeneimer. Dann hat der Leutnant die Anker im Luftschacht weggefräst, is rein und hat den Geldschrank aufgeschnitten ... ich war gar nich drin! Mußte ja schon einer so'n Schlangenmensch sein wie der Zalewski, um da reinzukommen durch das enge Loch. Und nun stehe ich immer draußen und warte und warte und leck' mir die Lippen, sollte ja ein Riesen-Point fallen ... anderthalb Millionen! Und kommt keiner und kommt keiner ... ich rufe, erst leise, dann immer lauter, und schließlich stecke ich den Kopf durch das Loch, wobei ich mir noch das ganze Genick aufgerissen habe ... und da sehe ich ... da sehe ich den Leutnant auf der Erde liegen ... und ist tot und rührt kein Glied ... bloß eine Taschenlaterne brennt weiter. Ich bin nicht abergläubisch, Herr Doktor, aber da bin ich jerannt wie'n Kaninchen! Immer durch den Stollen und durch das Mauerloch wieder ins Haus, durch den Heizkeller über'n Hof! Hab' mich gar nicht mehr vorgesehen und nicht dran gedacht ans Verschüttgehen oder so ... bloß weg!«

Der Westfale schwieg. Er sah stumm vor sich hin. Der Detektiv ließ ihm Zeit, ehe er sagte:

»Und nun, was werden Sie jetzt machen?«

»Ich weiß nicht ... ich weiß wirklich nicht. Das wollte ich Sie fragen, Herr Doktor.«

Ruhig, als sei es die selbstverständlichste Sache von der Welt, sagte Doktor Splittericht:

»Sie müssen sich sofort der Behörde stellen.«

Holtbuer zuckte zusammen.

»Ja«, wiederholte der Doktor-Kommissar, »Sie müssen sich stellen! ...« Und nach einer Pause: »Oder soll man Sie erst suchen, jagen und hetzen?«

Der Westfale schüttelte den Kopf.

»Bei solcher großen Sache bringt die Behörde ihren ganzen Apparat auf die Beine. Und ich werde wahrscheinlich auch bemüht werden. Und Sie wissen doch, lieber Holtbuer, wenn Sie auch sonst keiner findet, ich finde Sie!«

Der Unterweltmann bewegte zustimmend leise seinen mächtigen Schädel.

»Ja, da ist es wohl am besten, ich ziehe mich an und komme gleich mit.«

Splittericht überlegte blitzschnell. Sich hier oder auch an anderer Stelle jetzt noch um Marion Lindström zu bemühen, hatte keinen Sinn. Das blonde Mädchen war sicherlich nach Haus gefahren und lag nun in ihrem Bett. Aber hatte der Erpresser nicht gesagt: er wolle sie heute noch mit fortnehmen? ... hm ... das war wohl eine Drohgebärde ... mit Gewalt fortschleppen konnte er sie doch kaum ... nein, bis morgen konnte man wohl warten.

Und hier war eine Gelegenheit, der Behörde wieder einmal zu zeigen, daß er mehr leistete als die andern. Er stand auf, nickte dem Westfalen zu, der schnell in die Garderobe ging und nach kurzer Zeit im eleganten Sportpelz, einen dunkelgrünen Plüschhut mit der Spielhahnfeder auf dem Kopf, wieder erschien.

Die übrigen »Brüder« waren erstaunt. Aber ihr Leben hatte sie, wo's nötig war, im Schweigen geübt. Sie gehörten nicht zu jenen alten Weibern in Männerhosen, die an jedem Vorkommnis ihr Maul wegen müssen. Sie sahen, daß sich zwischen den beiden dort etwas Ernstes vorbereitete, und daß deshalb ihr alter Freund und Klubgenosse den Ball vorzeitig verließ.

Husaren-Albert grüßte stramm, die Hand am Hut, Splittericht sagte: »Guten Abend«. Orlando hob noch sein Seidel und rief: »Prost, alles Gute!« Dann ging das Fest weiter, und nur hier und da an den Tischen raunte man von dem Anderthalb-Millionen-Einbruch und dem toten Bankräuber.

In der Bankiersvilla läutete um diese Zeit das Telefon. Die Köchin, die gerade in der Nähe war, ging an den Apparat und hörte die Stimme ihrer jungen Herrin.

»Jawohl, gnädiges Fräulein, sofort.«

Sie legte den Hörer auf den Telefontisch und rief: »Annette, Annette!«

Die war bald zur Stelle.

»Das gnädige Fräulein will Sie sprechen!«

Den Hörer mit der Hand abdeckend, fragte die Ältere flüsternd:

»Wo ist denn Fräulein Marion?«

Annette zuckte die Achseln, ging an das Telefon, und während die Köchin, da die Zofe ihr doch nicht antwortete, mit einer höhnischen Gebärde davonging, lauschte das schwarzhaarige Mädchen in den Apparat:

»Packen Sie gleich den kleinen Koffer, Annette, Sie wissen doch, den gelben mit den Nickelbeschlägen. Tun Sie Nachtzeug für uns beide hinein, für mich das blaue Wollkleid und für Sie auch etwas und kommen Sie sofort nach dem Anhalter Bahnhof! An der Billettausgabe erwarte ich Sie ... aber ohne Aufenthalt! Der Zug fährt ein Uhr dreißig. Autos stehen sicherlich noch vor der Tür bei uns ... Die Gäste sind doch noch da, nicht wahr?«

Annette bejahte, tat noch eine schüchterne Frage, hängte ab und eilte nach den Zimmern des Fräuleins. Zehn Minuten später ließ sie den gepackten Koffer aus dem Parterrefenster in die darunter stehenden Sträucher fallen und sprang geschickt nach. Ebenso wie ihre Herrin benutzte sie den Seitenausgang des Villengrundstücks, stieg in eine Taxe und verschwand mit dem Lichtschein des Wagens in der Nacht.


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