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Vierzehntes Kapitel.
N'Gumbos Schatz


Wieder verlangte der Körper seine Rechte. Müdigkeit und Hunger machten sich geltend und zwangen zu einer Ruhepause, die allen sehr not that. Einige Hölzer, die zwischen den Steinen herumlagen, ermöglichten die Entfachung eines Feuers, das zur Bereitung von Thee benutzt wurde.

Kaltes Gnufleisch und Brot waren die Hauptbestandteile der Mahlzeit, die allen Teilnehmern prächtig mundete.

Parrs letzte Entdeckung hatte Durand mit solcher Zuversicht erfüllt, daß er sich zum erstenmale seit seinem Aufenthalte in der »Unterwelt«, wie er's nannte, nach dem Essen eine Cigarette drehte. Pieter, den der Verlust seines Tabaks recht ärgerte, erbat und erhielt von Durand Tabak für seine Pfeife, was George, der, wie alle gebildeten Amerikaner seinen Goethe kannte, zu der Variante veranlaßte:

»Ein braver Deutscher mag keinen Franzmann leiden,
Doch seinen Tobak raucht er gern!«

Auch Parr ließ sich sein Pfeifchen schmecken und so war über den kleinen Kreis eine Stimmung ausgebreitet, wie sie noch nicht geherrscht, seit die verhängnisvolle Fahrt auf dem Bergsee angetreten worden war.

»Es ist noch früh am Tage, deshalb wollen wir ein Stündchen ordentlich ruhen und dann, neugestärkt, unsere Wanderung aufnehmen, die uns hoffentlich ins Freie bringt,« sagte Parr und streckte sich als erster behaglich aus, eine der Decken unter den Kopf schiebend. Freudig folgten die anderen seinem Beispiele und bald waren alle entschlummert, bis auf George, der mit geschlossenen Augen dalag, und träumte, ohne zu schlafen. Schon wollte der Halbschlaf in festen Schlummer übergehen, als ein Geräusch an sein Ohr drang, das ihn erbeben machte und rasch alle Müdigkeit verscheuchte. Es klang, gedämpft zwar und noch undeutlich, wie die Schritte eines sich nähernden großen Tieres oder eines Menschen.

Vorsichtig zwischen den halbgeschlossenen Augenlidern hervorblinzelnd, konnte George die Ursache des Geräusches nicht entdecken und glaubte schon, sich geirrt zu haben, als ein scharfer, menschenähnlicher Schlagschatten ihn eines besseren belehrte.

Die Gestalt des Schwarzen, der Pieters Tabak an sich genommen, trat in den Lichtkreis, schleichend wie eine Katze.

Starres Entsetzen lähmte George für den Augenblick, so daß er keines Wortes, keines Lautes mächtig war, als er das Antlitz des Negers erblickte. Der Ausdruck des ingrimmigen Hasses, des satanischen Lächelns auf dem abschreckend rohen, tierischen Gesichte raubte George alle Fassung und versteinert, wie der Vogel die ihm nahende Schlange, blickte er den Unhold an. Schließlich raffte er alle Willenskraft zusammen, fast mechanisch nach dem schußbereiten Revolver im Gürtel fassend, sprang er empor und trat mit den Worten auf den Neger zu: »Wer bist du, woher kommst du?«

Ein kurzes scharfes Lachen war die Antwort des Unholdes.

»Verstehst du mich nicht, dann will ich verständlicher sein,« rief George, den Revolver ziehend.

»Lassen Sie das Feuerzeug in Ruhe, ich will Ihnen nichts Böses thun,« sprach der Neger plötzlich in schlechtem Englisch.

»Du sprichst Englisch, gut. Was willst du, wenn nichts Böses?«

»Rum!«

»Sollst du auch haben. Doch, wer bist du eigentlich?«

»Ich bin N'Gumbo,« klang es stolz zurück.

»N'Gumbo, der den Rum stehlen wollte.«

»Stehlen? nein. Euer Eigentum gehört ohnehin mir, da ihr niemals aus diesen Höhlen herauskommen werdet.«

»Das lasse uns abwarten!«

»Warten, warten, das sagte auch der Weiße vor vielen, vielen Jahren, als ihn N'Gumbo nicht führen wollte. Hahaha, drüben liegt sein schon ganz gebleichtes Gerippe,« hohnlachte der Unhold.

»Dann wirst du uns führen!«

»Und wenn ich Nein sage?«

»Schieße ich dich einfach nieder!«

»Dann ist jede Rettung für euch vorüber, denn ohne mich könnt ihr wochenlang herumirren, ohne den versteckten Ausgang zu finden.«

»Du willst also nicht unser Führer sein?«

»Nein!«

»Dann wirst du bei uns bleiben und mit uns Hungers sterben.«

»Oho, wer will mich halten?« fragte N'Gumbo höhnisch.

»Ich!« ließ sich Pieters Stimme vernehmen, und mit einem Satze sprang der Beherzte an den Hals des Negers, an den er, einen Bogen beschreibend, von hinten herangeschlichen war.

Pieters Fäuste konnten fest fassen und unter ihrem Griffe wand sich der Neger, in dessen dürrem Körper nur wenig Kraft war.

»Laßt los,« stöhnte er, »ich will euch Rede stehen. Laßt los, sonst stirbt N'Gumbo.«

»Uns entkommt er doch nicht, deshalb lockre deine Hand,« sagte George. Parr und Durand schliefen ruhig weiter, da bis jetzt in halbleisem Tone gesprochen wurde, der nicht bis zu ihnen drang.

Ganz erschöpft von dem Schmerze, den er ausgestanden, glitt der Neger auf einen Stein nieder, als Pieters Hand den Hals losließ.

»Warum sucht ihr hier nach Gold?« begann der Neger nach einer kleinen Weile.

»Nach Gold?« entgegnete George, »das fiel uns gar nicht ein!«

»Der Kerl ist verrückt!« warf Pieter dazwischen.

»Was wolltet ihr sonst in diesem meinem Reiche?«

»Nichts als den Ausgang finden.«

»Lassen Sie mich mal mit dem schwarzen Zeitgenossen sprechen, Herr George. Also, Herr N'Gumbo, wenn Sie vielleicht glauben, daß wir hierher gekommen sind, dann irren der geehrte Herr. Wir sind hierher gekommen worden!« und ausführlich erzählte er dem aufmerksamen Zuhörer ihre Abenteuer in langgezogener bilderreicher Sprache. Als dies beendet, fügte er hinzu:

»Jetzt weißt du, was los ist und hast nun die Wahl: entweder uns aus dieser Hölle zu führen und vom Kapitän Parr, der sehr reich ist und dein Gold nicht braucht, belohnt zu werden mit Rum und anderen schönen Dingen oder mit uns unterzugehen. Ein drittes giebt's nicht, damit Punktum!

»Parr, der lange Mann dort, nicht?« fragte N'Gumbo.

»Er kommt zu uns.«

»Desto besser, jetzt kann er dich Mores lehren,« war Pieters Antwort.

»Er thut dir nichts, N'Gumbo, sei unbesorgt,« beschwichtigte George.

»N'Gumbo fürchtet sich nicht, er ist Herr dieser Räume,« sagte der Neger, sich in die Brust werfend.

Während George sich weiter mit ihm beschäftigte, wurden Parr und Durand von Pieter von dem Vorfall unterrichtet. Parr trat auf N'Gumbo zu:

»Nach dem, was ich eben gehört und selbst gesehen, sind wir in einer verlassenen Goldmine, deren Hüter du bist.«

»Bin ich, bin König dieser Mine.«

»Du wirst uns aus deinem Reiche ans Tageslicht bringen und keiner von uns wird jemals wieder hierher zurückkehren, noch das Vorhandensein dieser Minen, gegen wen es auch sei, erwähnen.«

»Ich glaube diese Worte nicht. Alle Weißen sind Betrüger, wenn es sich um Gold handelt,« sagte der Neger abweisend.

»Dann werden wir uns den Weg selbst bahnen. Finden wir den Ausweg, dann kehren wir wieder, um deine Schätze mit uns zu nehmen. Müssen wir aber hier umkommen, dann droht dir das gleiche Schicksal; denn Pieter wird dich wie seinen Augapfel bewachen.«

»Und wenn's sein muß, manchmal ein bißchen würgen, alter Knabe,« ergänzte der Matrose.

Der Neger schüttelte noch immer ablehnend den Kopf.

Da trat George auf ihn zu und ergriff, trotz dessen Widerstreben, des Negers Hand.

»Glaubst du mir auch nicht, N'Gumbo?« fragte er, dem Schwarzen fest in die Augen sehend.

Der wandte seinen Blick ab und sagte flüsternd:

»Die Weißen sind Meister im Lügen.«

»Ich schwöre dir bei meinem Leben, daß wir halten werden, was wir versprechen. Willst du uns nun führen?«

Der Neger rang mit sich, endlich kam er zu einem Entschlusse und sagte:

»Nun gut, so werde ich euch führen. Doch wehe, wenn ihr N'Gumbo betrügt, er würde sich furchtbar rächen.«

»Endlich mal vernünftig, Hoheit N'Gumbo,« rief Pieter aus, »dafür laß uns 'nen ordentlichen Schluck Rum genehmigen, wenn noch einer da ist.

Lächelnd reichte ihm Durand die Kürbisflasche, nach der der alte Neger gierig faßte. Sein Antlitz strahlte vor Wonne, als er sie an den Mund setzte und in langen Zügen trank, bis ihm Pieter das Gefäß ohne Umstände aus der Hand riß.

Kapitän Parr suchte einen Vorwand, den alten Neger, der ihn lebhaft interessierte, auszuforschen, weshalb er Vorschlag, vor Antritt des Rückzuges noch einen Imbiß zu verzehren.

Pieter traute dem Schwarzen noch nicht so recht, weshalb er sich dicht an seiner Seite hielt und George mit Durand das Mahl zurecht machen mußten.

»Weilst du schon lange hier unten?« fragte Parr.

»O sehr, sehr lange.«

»Was trieb dich, hier deine Unterkunft zu suchen?«

»Die Rache!«

»Erzähle uns deine Geschichte, N'Gumbo,« bat George.

»Ja, ihr sollt sie hören, damit ihr wißt, daß N'Gumbo kein Kind ist, das nur droht, ich strafe auch!«

»Hört also! Viele, viele tausend Monde mögen es her sein, da wohnten an diesen Bergen fleißige Menschen in reichen Dörfern und ihr Häuptling hieß N'Gumbo. Da kamen die Weißen in das Land, sie suchten schwarzes Menschenfleisch, Elfenbein, glänzende Steine und Gold, viel Gold. N'Gumbo, der Häuptling, kannte die Berge, die mehr Gold enthalten, als die Weißen ahnten, bot es ihnen und erhielt dafür Dinge, die sein Herz vergifteten. Als die Weißen erst gemerkt, daß N'Gumbo Gold in Fülle haben konnte, wollten sie den Ort wissen, wo er es fände. N'Gumbo war klug, er schwieg. Sie nannten sich seine Freunde, sie schmeichelten ihm, boten ihm schöne Kleider, tausend andere Dinge, an denen N'Gumbos Herz hing, doch N'Gumbo schwieg. Da packten sie ihn eines Tages, sie, die Freunde, quälten ihn, folterten ihn so lange, bis sich seine Zunge löste und er den Zugang zur Schatzkammer seiner Väter verriet. Alle Weißen zogen mit ihm in diese Höhlen, alle, keiner blieb auf der Oberwelt zurück und keiner ist auch jemals wieder zu ihr zurückgekehrt, auch N'Gumbo nicht! Die Dörfer in diesen Bergen wurden volksleer, die Einwohner zogen nach wildreicheren Gegenden, sie vergaßen alle bald die Minen, die jetzt niemand mehr bekannt sind, als dem Nachkommen jenes N'Gumbo, mir, dem Enkel der Enkelkinder seines Sohnes.«

In Erinnerungen versunken, schwieg der Alte geraume Zeit.

»Erzähle uns nun auch deine eigene Geschichte, N'Gumbo,« bat George.

»Die ist bald erzählt: Ich habe Elefanten, Gnus, Strauße und Antilopen gejagt, den Löwen und den Panther getötet; Hunger gelitten, dann wieder im Überfluß gelebt. Ich habe die Tücke der Weißen kennen gelernt in Pretoria, in Port Natal und weiter im Süden, in Kapstadt, ebenso wie die der Neger in den Steppen der Kalahari-Wüste bis an den Sambesi und den großen Seen und habe sie hassen und verachten gelernt. Ich will keine Menschen, ich brauche keine. Hier ist meine Heimat, die mir gehört, sonst niemand, hier lebe ich allein, bin glücklich, hier will ich sterben,. wie der große N'Gumbo, mein Vorfahre. Da überraschte mich, vor vielen Jahren – ein Jahr wohl hatte ich erst in diesem Felsen geweilt – ein Weißer. Er hatte zufällig den Eingang, nach unten gefunden, hatte das Gold glitzern sehen; seine Begierden waren geweckt. Er wollte wiederkehren mit vielen seines Gleichen und N'Gumbos Reich, seine Einsamkeit zerstören. Er irrte umher, war kraftlos vor Hunger und Erschöpfung, fieberhaft suchte er den Ausgang, den er nicht wiederfand, da ich ihn versperrt hatte. Ich folgte ihm auf Schritt und Tritt, bis er verschmachtet war vor Hunger und Durst.«

»Bestie,« murmelte Pieter ingrimmig.

»Seine Sachen bewahre ich noch in meiner Behausung auf, darunter eine schwarze Tasche mit mächtig vielen Papieren… ihr könnt sie haben, wenn ihr mir Tabak dafür gebt.«

Unter dem Eindruck von des Negers Erzählung verhielten, sich die Reisenden, eine Zeitlang schweigend, bis sich Parr erhob:

»Halte dein Versprechen, N'Gumbo und wir werden das unsre halten!«

»So folgt mir, kommt!« entgegnete der Neger kurz, sich erhebend.

Er trat in einen dunklen, engen Felsengang, der dem entgegengesetzt lag, den die Gesellschaft zu benutzen beabsichtigte, ging diesen entlang, trat in einen anderen, gefolgt von den Reisenden, kletterte Abhänge hinab, machte allerlei Umwege, umging Felsblöcke, bis man wieder den Unglücksstrom brausen, seine Wasser tosend dahinrollen hörte, die nur durch eine dünne Felswand vom eingeschlagenen Pfade getrennt waren.

Plötzlich blieb N'Gumbo stehen und sagte: »Hier ist meine Wohnung.«

Er wies auf einen Bretterverschlag, der durch einen Riß in der Decke spärlich beleuchtet wurde. In einem Winkel lagen ein Haufen dürrer Blätter und Tierfelle, die dem Neger als Lager dienten. Eine Feuerstelle mit roh gearbeiteten Geschirren und Töpfen nahm die Mitte des Raumes ein, dessen Einrichtung ein kleiner Holzblock und einige Lumpen von Tuch und Leinwand vervollständigten. N'Gumbo kramte einen Augenblick unter diesen und zog dann eine schwarze Ledertasche hervor, die er George einhändigte.

»Geld war auch drin,« sagte er, »das habe ich herausgenommen und ausgegeben, wenn ich Borgfield besuchte, doch die Papiere sind so, wie sie waren, als ich sie dem Umgekommenen abnahm.«

George schauerte, als er des Verschmachteten gedachte und mechanisch nahm er die Tasche an sich.

Längs des Strombettes ging es nun dahin, aus einem Wege, der oft kaum so breit war, daß man ihn trockenen Fußes beschreiten konnte, dann eine Wendung nach links und man befand sich auf der Außenseite des Berges.

Allen Tabak, den man bei sich trug, übergab man dem Neger, auch die Kürbisflasche, die noch ein ganz Teil des feurigen Getränkes enthielt, wurde ihm ausgehändigt. Ohne zu danken entfernte sich N'Gumbo auf dem Wege, den man eben gekommen, indes die anderen, beseligt darüber, frische Luft atmen, den Himmel wieder sehen zu können, aufs Geratewohl vorwärts schritten, mit Pieter, wie gewohnt, an der Spitze.

Die Nacht war im Anzug und es handelte sich darum, einen Lagerplatz zu finden.

»Ich glaube, Herr Kommandant, hier können wir bleiben. Diese Felswand hält den Wind ab und ermöglicht die Anfachung eines Feuers. Genügend Brennholz liegt ja herum. Jetzt fehlt nichts, als eine kleine Nebensache,« sagte Pieter.

»Etwas Eßbares, meint er, Onkel. Doch wo ist Herr Durand?«

Man sah sich um und entdeckte den Franzosen auf einem dem eben verlassenen Felsen nahen Steine stehend und emsig in ein Notizbuch schreibend. In diesem Augenblicke krachte ein Schuß. Ein leichtes Wölkchen wurde an einer Öffnung im Felsen sichtbar und Durand duckte sich blitzschnell und lief der Gesellschaft zu.

»N'Gumbo hat den Wortsmann an sein Versprechen erinnert,« sagte Pieter trocken. »Wollen Sie jetzt, bitte, Holz sammeln lassen, Herr Kommandant, während ich etwas für den Magen auftreibe.«

Eine knappe Stunde war seit Pieters Aufbruch vergangen, hell flammte das Feuer zum Abendhimmel empor, als ein Schuß fiel, dem kurz darauf ein zweiter folgte.

George sprang empor, um der Gegend zuzueilen, in welcher geschossen worden war.

»Bleibe nur, das Echo täuscht so sehr, daß du kaum den Platz finden würdest, wo sich unser Jäger befindet,« erklärte Parr.

Es verstrich eine geraume Zeit, ehe Pieter unter dem Gewichte einer Antilope keuchend erschien, die er mit einem Ruck beim Feuer niederwarf.

»Proviant für ein paar Tage wäre nun vorhanden,« sagte er, sich den Schweiß abwischend, und machte sich daran, das Wild zu zerlegen.

Mit gespanntester Aufmerksamkeit verfolgten die Reisenden Pieters Vorbereitungen, auch er selbst beeilte sich so viel als möglich, da auch sein Magen ein förmliches Knurr-Konzert veranstaltete. Pieters Jagdbeute wurde daher auch alle Ehre angethan und mächtige Bissen verschwanden im Handumdrehen.

Als alle gesättigt, lagerte man behaglich um das Feuer herum.

»Wie schön ist's doch, so unter freiem Himmel zu kampieren und die frische Luft in vollen Zügen genießen zu können,« begann Durand, sich eine Cigarette ansteckend. »Ich war nicht weit davon, in der unterirdischen Enge zu ersticken.«

»Ich glaubte schon an keine Rettung mehr,« fügte Parr hinzu.

»Was sie wohl in der Mission zu unserem Verschwinden gesagt haben werden?« fragte George nachdenklich.

»Die Schwarzen, unsere Begleiter, sind jedenfalls dorthin zurückgekehrt, um zu erzählen, wie wir in einem Felsenschlunde ihren Blicken entschwanden,« mutmaßte Parr.

»Dann werden wir entweder als verloren betrachtet, oder man suchte uns, gab dies aber als erfolglos wieder auf,« sagte George.

»Du kannst recht haben, George. Wie dem aber sei, wir müssen den Weg nach der Mission einschlagen, da auch die Zeit zum Aufbruche nach…« schon wollte er die Wahrheit sagen, als ihn ein Blick auf Durand an sein, dem Führer Frantz gegebenes Versprechen erinnerte, »nach der Küste drängt,« schloß er deshalb.

»Und wie wollen wir unsere Abenteuer schildern, nach denen wir unter allen Umständen vom Missionar gefragt werden, ohne unser an N'Gumbo verpfändetes Wort zu brechen?« fragte George.

»Sind Sie, Herr Durand, damit einverstanden, wenn ich allein über unsere Fahrt berichte, damit das Geheimnis der Grube gewahrt bleibt?« fragte Parr. »Wenn mehrere, also Sie oder mein Neffe gleichfalls darüber sprechen, kann leicht ein unbeabsichtigtes Wort fallen, das auf N'Gumbos Reich hindeuten und zu einer Entdeckung führen könnte, was ich um jeden Preis verhindern möchte. Es wäre dies ein schlechter Dank für die Rettung durch den Einsiedler!«

»Ich bin ganz damit einverstanden, Herr Kommandant,« entgegnete verbindlich Durand. »Ich werde meine Zunge ängstlich hüten.«

»Wer's glaubt, zahlt 'n Dreier,« wisperte Pieter George zu. Trotz der gemeinsam durchlebten schweren Tage, war der Franzose dem alten Seemanne unsympathischer denn je und er wäre glücklich gewesen, den Mann nicht mehr sehen zu müssen, ihn nicht um sich zu haben.

»Hört,« mahnte plötzlich George, »hörtet ihr einen Knall?« Richtig, ein Schuß, dann noch einer, und so fünf nacheinander in kurzen Zwischenräumen.

»Hurra, man sucht uns!« rief George freudig aus und ehe es die anderen verhindern konnten, war er aufgesprungen und feuerte alle sechs Schüsse seines Revolvers in die Luft.

»Das war sehr unbesonnen, George,« verwies Parr streng, »wenn es nun jagende Neger waren, so hat sie uns dein vorschnelles Handeln auf den Hals gelockt und wir geraten, eben einer Gefahr entronnen, in eine neue.«

»Nein, ich irre nicht, Onkel, es sind Leute von der Mission,« beharrte George, indes Pieter aufstand, sein Repetiergewehr ergriff und sich zum Aufbruch fertig machte.

»Wohin denn, Pieter?« fragte Parr ganz erstaunt.

»Den Schießern entgegen, Herr Kommandant,« erwiderte dieser ganz ruhig, seinen Revolver neu ladend und ohne eine Entgegnung abzuwarten, sprang er davon, so rasch es seine Seebeine erlaubten.

»Wir wollen eine kurze Zeit warten, uns jedenfalls aber fertig machen, unserem selbstlosen Pieter zu Hilfe zu eilen,« erklärte Parr, doch wurde er bald jeder Sorge enthoben, denn schon tauchte Pieter wieder auf, eine Fackel schwingend, hinter ihm sechs Schwarze von der Dienerschaft Borgfields.

»Herr George hatte wieder einmal recht,« rief er schon von weitem den Wartenden zu. »Schon seit mehreren Tagen sucht man uns und diese braven Burschen, darunter unser Christian Fledermaus, streiften Tag und Nacht das Gebirge ab. Ein zweiter Trupp sucht drüben auf der anderen Seite der Berge. Herr Borgfield hat sie ausgesendet.«

Zwei Neger warfen breite Bündel, die mit schmerzlich entbehrtem Proviant gefüllt waren, zu Füßen Parrs nieder, wie Brot, frischem Rindfleisch, Früchten und anderen Liebesgaben der Missionarin. Pieter nahm sich gleich der breitbauchigen Rumflasche an, die er zu langem, innigem Kuß an seine Lippen drückte.

Währenddem näherte sich Fledermaus Parr und drückte ihm verstohlen einen Zettel in die Hand, dabei den Zeigefinger an die Lippen führend.

Der Kapitän trat so rasch als möglich abseits, entfaltete das Papier und las beim Mondenlichte:

 

»Mut, nicht verzagen! Folgen Sie mir ungesäumt nach Norden. Ihre Zulus wissen den Weg! Überraschungen harren Ihrer. Glück auf den Weg!

F.«

 

Ein Heer von Gedanken stürmte durch Parrs Kopf, als er den kurz gefaßten Brief des Führers las. Wie viel sagten diese wenigen Worte, welche Hoffnungen weckten sie! Sollte er erreichen, was er suchte, ihn, Paul Werner, den er liebte, ohne ihn zu kennen, den zu finden er freudig Gut und Blut in die Schanze geschlagen hätte? Welche Hoffnungen weckte Frantz! Doch Parr glaubte den ernsten Buren gut genug zu kennen, um überzeugt zu sein, daß er nicht leichtsinnig leere Phrasen geschrieben hätte, die geeignet waren, Aussichten zu eröffnen, welche, wenn sie sich als falsche herausstellten, doppelt schmerzlich enttäuschen müßten.

»Wann hast du das Papier empfangen?« raunte er dem Zulu zu, der sich in seiner Nähe hielt.

»Vor zwei Tagen, durch einen Burenjungen aus dem Norden,« entgegnete dieser verstohlen.

Also erst vor zwei Tagen, dann war Frantz noch zu erreichen, wenn ein rascheres Reisetempo, als bisher, gewählt und sofort aufgebrochen werden würde. Es war ein ungeahntes Glück, auf das Parr schon nicht mehr gehofft hatte, da er es durch den Aufenthalt in der Felsenstadt vernichtet glaubte.

Da es für diesen Abend zu spät war, nach der Mission zurückzukehren, so wurde nur einer der Schwarzen als Bote dorthin gesandt, während die anderen das Lager für die Nacht zurecht machten.

Alles schlief längst, außer der Wache und Parr, der über Frantzens Brief nachgrübelte, bis auch ihn ein tiefer Schlaf umfing, dessen Träume ihn nochmals in N'Gumbos Felsenreich mit seinen Schrecknissen, seinen Abgründen, seinen Lichtöffnungen führte, bis ihn die helle Sonne erweckte und durch ihr belebendes Licht die düsteren Schatten des Traumes verscheuchte.


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