Hugo von Hofmannsthal
Die Frau ohne Schatten
Hugo von Hofmannsthal

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Zweiter Aufzug

Des Färbers Wohnung.
Die Brüder blicken zur Tür herein, bepackt.
Der Färber belädt sich, die Kaiserin, als Magd, hilft ihm dabei.

Die Amme läuft an die Tür, neigt sich bis zur Erde vor dem Färber
Komm bald wieder nach Haus, mein Gebieter,
denn meine Herrin verzehrt sich vor Sehnsucht,
wenn du nicht da bist!

Barak geht.

Die Amme läuft zur Frau hinüber, leise
Die Luft ist rein und kostbar die Zeit!
Wie ruf ich den, der nun herein soll?

Die Frau hat sich gesetzt und das Ruch, mit dem ihr Kopf umwunden war, gelöst; ihr Haar ist mit Perlschnüren durchflochten.
Die Kaiserin kniet vor ihr, hält ihr den Spiegel.

Die Amme
O du meine Herrin seit diesem Tage,
gib mir doch Antwort!
Wie sind deine Bräuche?
Soll diese laufen?
Oder ruf ich ihn?
Mit einem sehnsüchtigen Ruf?
Oder einem fröhlichen?

Die Frau scharf
Auf wen geht die Rede?

Die Amme leise
Auf den, der thronet in deinem Herzen,
und für den du dich schmückest!

Die Frau ruhig
In leerem Herzen wohnet keiner,
und geschmückt hab ich mich
für den Spiegel.

Die Amme verschlagen
Hören ist Verstehen,
o meine Herrin!
So sprech ich von dem Sehnsuchtverzehrten,
dem deines offenen Haares Wehen –
in Träumen geahnt, doch niemals gesehen –
die Knie löst vor Furcht und Bangen:
verstatte, daß ich diesen rufe
zur Schwelle der Sehnsucht und der Erlösung!

Die Frau steht auf
Ich weiß von keinem Manne außer ihm,
der aus dem Hause ging.

Die Amme dicht an ihr
O du Augapfel meiner Träume!
Den flüchtig Begegneten, heimlich Ersehnten,
den du mit niedergeschlagenen Augen
dennoch ansahest – und warst ihm zu Willen
in deinen Gedanken –, erbarme dich seiner!

Die Frau errötend, verwirrt
Wer bist denn du?
Wie nimmst du mich denn?

Die Amme schnell triumphierend
Wir bringen ihn dir,
zu dem du jetzt eben
aus süßem Erröten
dein Denken geschickt!

Die Frau
Lachen muß ich
über dich!
– – – – – – – – – –
Wenn ich dir sage:
ich weiß kaum die Gasse,
wo ich ihn traf,
nicht das Viertel der Stadt,
noch seinen Namen!

Die Amme
Nun schließ deine Augen
und ruf ihn dir!
Und schlägst du sie auf,
steht er vor dir!

Die Frau ihren Gedanken nachhängend
Nur, daß ich auf einer Brücke ging
unter vielen Menschen,
als einer mir entgegenkam,
ein Knabe fast,
der meiner nicht achtete -

Die Amme nimmt verstohlen einen Strohwisch vom Boden auf
Du Besen, leih mir die Gestalt!
Und Kessel du, leih mir deine Stimme!

Die Kaiserin zur Amme
Weh! Muß dies geschehen
vor meinen Augen?

Die Amme leise
Zu gutem Handel
und dir zu Gewinn.
Sie gleitet zu der Frau hin, birgt den Strohwisch hinterm Rücken
Geschlossen dein Aug
und geöffnet dein herz,
du Liebliche, du!
Sie wirft den Strohwisch über die Frau. Es blitzt auf, und nachher bleibt das Licht verändert.

Die Kaiserin vor sich, flüsternd, währenddem die Frau laut denkt
Sind so die Menschen?
So feil ihr Herz?

Die Amme
Kielkröpfe und Molche
sind zu schauen
so lustig als sie!

Die Frau mit geschlossenen Augen, monologisch fortlaufend
– der meiner nicht achtete
und mit hochmütigem Blick –
– – – – – – – – – –
und des ich gedachte
heimlich, zuweilen,
um Träumens willen!

Die Amme entschieden
Es ist an der Zeit,
herbei, mein Gebieter!
Sie klatscht in die Hände.

Es steht ein Jüngling da, wie entseelt. Zwei kleine dunkle Gestalten stützen ihn, die sogleich verschwinden.

Die Frau mit offenen Augen
Er und der Gleiche!
Und doch nicht!

Die Amme dicht bei dem Jüngling, der allmählich sich belebt
Um ihretwillen
bist du hier,
du Vielersehnter!
Läuft zur Frau hinüber
Wie ist dir
um jede Stunde,
da du diesen
nicht gekannt hast?

Die Frau
Ich will hinweg
und mich verbergen!

Der Jüngling steht gesenkten Kopfes.
Die Frau hebt unwillkürlich die Hände gegen ihn.

Die Amme zwischen beiden
Sei schnell, mein Gebieter!
Und kühn, du Herrin!
Unsagbar fliehend
ist solches Glück!

Stimmen aus der Luft
Sei schnell, mein Gebieter!
Und kühn, du Herrin!
Unsagbar fliehend
ist das Glück!

Die Amme läuft zur Kaiserin hin, zieht sie nach rückwärts.

Die Kaiserin macht sich jäh los, horcht hinaus
Ach! Wehe! Daß sie sich treffen müssen,
der Dieb und der, dem das Haus gehört,
der mit dem Herzen und der ohne Herz!

Die Amme läuft nach vorne
Voneinander!
Ihr ist gegeben,
zu hören, was fern ist,
sie meldet: der Färber
kehrt nach Hause!

Sie wirft ihren Mantel über den Jüngling, der Raum verdunkelt sich jäh, und als es wieder hell wird, ist der Knabe verschwunden.
Zu der Amme Füßen liegt der Strohwisch, den sie aufnimmt und in einer Mauernische verbirgt.

Die Tür geht auf. Barak tritt ein, eine riesengroße kupferne Schüssel mit den Armen tragend, ihm voraus der Einäugige, den Dudelsack spielend, der Bucklige bekränzt und ein großes Weingefäß schleppend, der Einarmige, mit noch einer kleineren Schüssel, Bettelkinder drängen sich ihnen nach zur Tür herein.

Barak stolz und glücklich auf die Frau zu
Was ist nun deine Rede,
du Prinzessin,
vor dieser Mahlzeit,
du Wählerische?

Die Frau kehrt ihm den Rücken

Die Brüder haben sich rechts in eine Reihe gestellt
O Tag des Glücks, o Abend der Gnade!
Das war ein Einkauf!
Schlag ab, du Schlächter, ab vom Kalbe
und ab vom Hammel! Und her mit dem Hahn!
Du Bratenbrater, heraus mit dem Spieß!
Heran, du Bäcker, mit dem Gebackenen,
und du, Verdächtiger, her mit dem Wein!
Wenn wir einkaufen, das ist ein Einkauf!
O Tag des Glücks. o Abend der Gnade!

Die Bettelkinder fallen ein
O Tag des Glücks, o Abend der Gnade!

Die Frau ohne Barak voll anzusehen
Wahrlich, es ist angelegt
aufs Zertreten des Zarten,
und es siegt das Plumpe,
und dem, der Brot will, wird ein Stein gegeben!
Und wer von der Schüssel der Träume kostete,
zu dem treten Tiere
und halten ihm den Wegwurf hin
vom Tisch des Glücklichen,
und er hat nichts,
wohin er sich flüchte,
als in seine Tränen!
Das ist meine Rede,
du glückseliger Barak!
Die Tränen überwältigen sie, sie setzt sich abseits und verbirgt ihr Gesicht in den Händen.

Barak hat die Schüssel auf die Erde gestellt, nach einer Pause der Resignation
Esser, ihr Brüder, und lasset euch wohl sein!
Ihre Zunge ist spitz, und ihr Sinn ist launisch,
aber nicht schlimm –
und ihre Reden sind gesegnet
mit dem Segen der Widerruflichkeit
um ihres reinen Herzens willen
und ihrer Jugend.

Die Brüder lagern auf der Erde und haben sich über die Schüsseln hergemacht, die Bettelkinder um sie; Barak stopft den Kindern gute Bissen in den Mund. In der Tür sammeln sich Nachbarn, alte Weiber, Krüppel, noch mehr Kinder an, auch Hunde

Barak winkt die Magd heran
Komm her, du stillgehende Muhme,
das ist für dich!
Und geh hin zu der Frau:
ob sie nicht will vom Zuckerwerk
oder vom Eingemachten mit Zimmet.

Die Kaiserin schickt sich an, zu der Frau hinüberzugehen

Die Frau fährt auf
Meinen Pantoffel in dein Gesicht,
du Schleichende!
Bitternis will ich tragen im Mund
und nicht sie verzuckern!
Was brauch ich Gewürze,
der Gram verbrennt mich!
Um der grausamen Tücke willen
und des erbärmlichen Geschickes!

Die Brüder unter dem Essen durcheinander
Wer achtet ein Weib
und Geschrei eines Weibes?
Aber der Langmütige,
der bist du von je!
Und der Großmütige
vom Mutterleib!
Und der Wohltätige!
Und der Freigebige!
Das bist du!
O unser aller Vater!
Neigen sich, halbtrunken, küssen die Erde vor Barak

Barak zugleich mit ihr und ihnen; fromm, mit ungesuchter Feierlichkeit
Hier ist vom Guten,
lasset euch wohl sein,
meine Brüder,
und freuet euch,
daß ihr lebt!
Es ist euch gegönnt,
und ihr seid mir
anstatt der Kinder!

Die fremden Kinder neigen sich vor Barak
O du Färber unter den Färbern
und unser aller Vater!

Zwischenvorhang fällt.

Das kaiserliche Falknerhaus, einsam im Walde. Mondlicht zwischen den Bäumen. Der Kaiser kommt geritten,steigt leise vom Pferde, nähert sich lautlos, bleibt hinter einem Baum verborgen, von wo er den Eingang und das eine Fenster des kleinen Hauses vor Augen hat. – Die Tür ist geschlossen.

Der Kaiser
Falke, Falke, du wiedergefundener –
wo führst du mich hin, kluger Vogel?
»Das Falknerhaus, einsam im Walde,
soll die drei Tage mir Wohnung sein –
niemand um mich als die Amme allein
ferne den Menschen, verborgen der Welt« –
So schrieb meine Frau – sie gabs dem Boten,
künstlich ihr Haarband umflocht den Brief.
Nun führst du mich über Berg und Fluß
hierher den Weg. Seltsamer du –
Soll ich mich bergen hier im Schatten
als ihr Jäger immerdar?
Hast du darum mich hergeführt?
Schläft sie? Mich dünkt, das Haus ist leer!
Falke, mein Falke, was ist mir das?
Wo ist deine Herrin zu nächtiger Zeit?
Falke, mir ist zur unrechten Stunde
hast du mich hierher geführt.
Er lauscht
Still, mein Falke, und horch mit mir!
Es kommt gegangen, es kommt geschwebt –
ist das die Beute, die du mir schlägst?
Stille -

Die Amme, hinter ihr die Kaiserin, kommen zwischen den Bäumen herangeschwebt und stehen zwischen den Bäumen; sie sind mit wenigen lautlosen Schritten auf der Schwelle, die Amme öffnet, sie schlüpfen ins Haus, das sich von innen erleuchtet.

Der Kaiser
O weh, Falke, o weh!
Wo kommt sie her! Wehe, o weh!
Menschendunst hängt an ihr,
Menschenatem folgt ihr nach,
wehe, daß sie mir lügen kann –
wehe, daß sie nun sterben muß!
Er zieht einen Pfeil aus dem Köcher
Pfeil, mein Pfeil, du mußt sie töten,
die meine weiße Gazelle war!
Weh! da du sie ritztest, ward sie ein Weib! –
Du bist nicht, der sie töten darf.
Er stößt den Pfeil wieder in en Köcher, zieht das Schwert halb aus der Scheide
Schwert, mein Schwert, du mußt auf sie!
Weh, ihren Gürtel hast du gelöst –
du bist nicht, der sie töten darf!
Er stößt das Schwert wieder in die Scheide
– Und meine nackten Hände! Weh!
Meine Hände vermögen es nicht!
Wehe, o weh!
Auf, mein Pferd, und du, Falke, voran!
und führ mich hinweg von diesem Ort,
wohin dein tückisches Herz dich heißt,
führ mich in ödes Felsengeklüft,
wo kein Mensch und kein Tier meine Klagen hört!
Wehe, o weh!
– – – – – – – – – –

Der Zwischenvorhang fällt.


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