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Durch Empfehlungsbriefe war ich in eine angenehme Familie eingeführt, dort alsbald recht bekannt geworden und zu jeder Zeit freundlich empfangen. Die liebenswürdige Tochter des Hauses war älter als ich. Und so oft sich ein junger Mensch in eine Frau verlieben wird, die der Jahre mehr zählt als er, ebenso selten wird er sich einem Mädchen zuneigen, bei dem dasselbe Mißverhältniß zutrifft. Dennoch hatte ich mich in sie höchst unsterblich und sehr gewaltsam verliebt. Die Zeichen dieser Liebe beschränkten sich jedoch etwa auf einige Verse, die mir in größter und lustigster Zartheit entdufteten; oder ich gab ihr den Arm, wenn wir über Land gingen; ich überreichte ihr gefühlvoll und pathetisch genug diverse unschuldige Wiesenblumen, die ich bei solchen Gängen pflückte und sinnig zusammenstellte; ich verlangte lachend und mit möglichstem Affect ein Bouquet, welches sie bei einer fête champêtre trug, sie verweigerte es zuerst eben so lustig und leidenschaftlich und warf es mir endlich neckend zu. Kurz, solcher Zeichen gab es noch viele, und ihr werdet wohl begreifen, daß dem allen heitre Lust und herzliches Wohlwollen, keineswegs aber ein wirklicher Ernst zu Grunde lag. Auch wußten wir beide selbst und ihre Eltern gleichfalls, woran wir waren, man störte uns nicht, sondern lachte über uns und wir amusirten uns vortrefflich.

Nun gab eine geschlossene Gesellschaft, zu der ihre Familie gehörte und in welche auch ich eingeführt war, in den ersten Tagen des November ihren ersten Winterball, und Abends vorher besuchte ich die Familie, um mich und sie mit unsäglichen Artigkeiten auf ein so unschätzbares Glück gebührend vorzubereiten. Ich weiß nicht mehr, was für einen Tanz sie mir zugesagt hatte. Und wir waren lustig und guter Dinge, plauderten und die Damen arbeiteten bereits an den Weihnachtsgeschenken.

Mittlerweile brachte das Mädchen einen Carton herein, den die Putzmacherin geschickt. Antoinette, so hieß die von mir Verehrte, fuhr empor, warf die Arbeit zur Seite, riß den Deckel des Cartons auf und schlug das verhüllende Tuch zurück. »Fertig!« rief sie, »fertig! – Und nun, mein schöner Herr, großer Modenkenner und Held des guten Geschmacks,« fuhr sie fort und nahm das leichte Kleid heraus, welches zierlich genug aus dem leichtesten, rosa gefärbten Stoff mit doppelten Röckchen gemacht war, und hielt es mir vor die Augen, »wie finden Sie das, und werd' ich nicht reizend sein?« – »Natürlich, noch mehr als immer, wenn das anders möglich ist!« entgegnete ich mit lachendem Enthusiasmus, während ich rund um das Kleid herum ging und endlich eine Ecke davon wie zur genauern Betrachtung aufnahm, – »aber –.« – »Was aber, ewiger Pedant und Mäkler?« rief sie lustig und eifrig. – »Hm! es gehören doch sehr hübsche Blumen dazu, im Haar und auf dem Kleide selbst.« – »Je nun, mein Vortrefflichster, ich habe auch einen sehr präsentablen Rosenkranz.« – »O um Gotteswillen, doch nicht Rosen allein! Oben Rosen, auf den Wangen Rosen –.« – »Ah!« unterbrachen sie mich lachend. – »Ja,« fuhr ich fort, »und unten Rosen! Sie wären ja die personificirte couleur de rose!« – »Das ist richtig. Also was dann, mein Weiser? Lassen Sie hören.«

»Nehmen Sie einen grünen Blätterkranz,« sprach ich mit vieler Gravität, »mit ein paar Rosenknospen allenfalls dazwischen, und fassen Sie dies obere Röschen mit ähnlichen Bouqueten auf. Leider werden wir jetzt und in dieser unglücklichen Stadt nicht so viel natürliche Rosen finden. Sie müssen daher gemachte Blumen und fabricirte Blätter nehmen. Und so schlag' ich Ihnen Rosen und Reseda vor. Ein tiefes Grün würde zu scharf hervortreten, aber die sanfte Reseda, glaub' ich, wird recht passend abstechen von der zarten Nuance des Kleides.«

Lachend waren sie meinen Worten gefolgt. Nun brach ein Sturm von Beifall und Gelächter aus. »Kostbar!« rief Antoinette. »Vortrefflich!« die Mutter und Cousine. »Nur schade,« sprach die Letztere, »daß die Reseda bei Licht ziemlich matt und farblos ist und gänzlich nichtig dreinsehn wird. Das hat der arme Herr nicht bedacht.« – »Oho« entgegnete ich, »da behaupten Sie zu viel. Haben Sie diese Zusammenstellung schon einmal gesehn? Nicht? Nun, da bitte ich mir zu vertrauen, Fräulein Antoinette.« – »Schon recht!« erwiderte sie, »so thät ich sehr gern. Aber woher diese Blumen nehmen? Reseda ist gar nicht zu haben oder doch nur selten und in kleiner Quantität.« – »Doch!« rief ich. – »Nein!« antwortete sie. – »Ja doch!« – »Nein, nein!« – »Wollen Sie wetten?« – »Ja!« – »Schön!« sprach ich, »verliere ich, so will ich Ihnen von jetzt bis zur Weihnacht die Bonbons verleiden.« – »Angenommen!« rief sie lustig. – »Das Verleiden möchte ich bezweifeln,« meinte die Mutter. »Aber weiter, wenn Sie gewinnen?« – »Dann nehmen Sie die Blumen von mir zum Geschenk.« – »Das wäre mir eine ehrliche Wette!« rief sie eifrig. »Nein, mein schöner Herr, daraus wird nichts.« – »Doch!« – »Nein!« – »Ich eile –« sprach ich, aufspringend. – »Laufen Sie in Gottesnamen, aber ich nehme sicher nichts.« – »Damit geben Sie also zu, daß diese Blumen dennoch hier zu finden sind?« – »Ei behüte!« – »Dann geh' ich und Sie nehmen.« – »Nein doch!« – »Gut, Sie nehmen also die Blumen –.« – »In Ewigkeit nicht!« – »Lassen Sie mich doch ausreden! – und Sie entsagen von jetzt bis zur Weihnacht den Bonbons.« – »Das fehlte noch. Aber es ließe sich doch bedenken.« – »Nun? Wollen Sie oder wollen Sie nicht?«

»Ihr seid beide wahrhaftig närrisch,« sagte die Mutter, die endlich aus dem Lachen kam. »Laß ihn, Antoinette. Er verliert doch.« – »Aber wenn er gewinnt, Mutter?« – »Dann kann man noch immer weiter über die Sache reden, liebes Kind.« – Und ich sprang fort, ziemlich sicher, daß ich siegen werde, denn noch am heutigen Morgen hatte ich in einem Ladenfenster einen sehr hübschen Kranz von Moosrosen und Reseda bemerkt.

Den Kranz hatte ich nun zwar bald in Händen, damit war aber auch die Herrlichkeit zu Ende, wie man wohl zu sagen pflegt, denn weiter fand sich in allen Cartons nicht eine einzige weitere Blüthe. Herstellen ließen sich die begehrten Bouquete bis zum folgenden Abend nicht mehr, versicherte mich die Besitzerin des Ladens, denn Reseda sei schwer und langsam zu verfertigen. Sie wisse keinen Rath und keine Hülfe, es müsse denn sein, setzte sie zu ihren Arbeiterinnen gewendet gleichsam fragend hinzu, daß die »Kleine« etwa dergleichen zu ihrem Vergnügen und zur Uebung gearbeitet und bei sich im Haus habe. Der »Kleinen« Hände nämlich lieferten hauptsächlich diese Büschel; sie sei sehr geschickt und recht thätig. Ja, meinten die Mädchen, das möge wohl sein; etwas habe die »Kleine« noch ganz bestimmt. So ward denn alsbald eine Arbeiterin abgesendet, um nachzusehn, während ich aufgefordert wurde, gütigst nur einen Augenblick im Laden zu verweilen.

Aus dem Augenblick wurden inzwischen viele, und obgleich es für meine Wünsche ein gutes Zeichen war, daß die Botin nicht alsbald wiederkam, zuletzt wurde mir das Warten langweilig und ich selbst ungeduldig. Ich forschte nach der Wohnung jener, erfuhr, sie sei in der letzten kleinen Gasse ganz nah' am schwarzen Thor, und so macht' ich mich auf den Weg. Hingelangt fand ich ein ganz kleines Haus, welches nur aus einem niedrigen Geschoß bestand, mit einer kleinen Mansarde darüber, einer engen, niedrigen Thür, einem dunklen Flur. Nachdem ich mich an einen Schrank gestoßen und dann entlang getappt, klopfte ich vorschriftsmäßig an eine Thür links, öffnete und trat in ein mäßig erhelltes Zimmerchen. Zwei Mädchen standen am Tisch über einen ganzen Berg von Cartons gebeugt, unter unzähligen Blumen kramend. Im Eifer des Suchens mochten sie mein Kommen überhört haben, denn sie sahen nicht auf und beachteten mich nicht.

»Das ist alles,« sagte endlich die »Kleine« und ihre Stimme schien mir ganz bekannt zu klingen, – »das ist alles, und wie ich sehe, wird es kaum zu acht Bouqueten hinreichen.« – »Genug!« rief ich vergnügt. Sie stießen beide einen Schrei aus und fuhren herum mich erschreckt betrachtend. Nicht weniger überrascht stand auch ich, denn in der »Kleinen« erkannte ich augenblicklich die hübsche Tänzerin, die uns im Sommer so bald entführt wurde, deren der Leser sich jetzt unzweifelhaft noch erinnert und die er vom Anfang an hier erwartet hat, die ich aber dazumal durchaus vergessen hatte. »Das ist der Herr selbst, der sie bestellt hat,« sagte die Botin endlich. Nun entschuldigte ich mich, es gab Lachen und Lustigkeit über den Schreck und das Wiedererkennen; sie zeigte mir nun selbst das Vorhandene vor und wiederholte: »Rosen für die halbe Welt, Knospen und Blumen, allein Reseda nur zu acht Bouqueten!« und nachdem sie mir versprochen, daß bis zum nächsten Morgen alles fertig sein werde, ging ich munter meiner Wege. Das Fertige holte ich mir selbst, plauderte mit ihr und erneuerte oder eröffnete vielmehr die Bekanntschaft. Sie war die Tochter eines Thoreinnehmers in L. und hatte sich, als die Eltern schnell hintereinander wegstarben, bei dem Onkel Traubenwirth aufgehalten. Doch habe ihr das müßige Leben nicht gefallen, ebensowenig wie die Abhängigkeit und die Launen des Oheims. So sei sie damals nur herübergekommen, um eine Stelle für sich zu suchen! und seit dem Herbst sei sie hergezogen, mache Blumen, ihr Auskommen sei das beste, die »Madame« lobe sie und gebe ihr zu thun, und auf solche Weise lebe sie glücklich und zufrieden. So plauderten wir wohl eine Stunde lang in dem kleinen Stübchen, am grauen trüben Novembermorgen.

Als ich nun mit meinen Blumen zu Antoinette kam, war der Lärm begreiflicherweise groß. Fern aber von abgeschmackter Ziererei nahm man jetzt lustig das Geschenk an, besorgte sogleich, daß es seine Stelle auf dem luftigen Kleide erhielt, und pries lachend meinen scharfen Blick und guten Geschmack. Zugleich aber hatte ich auch eine große Düte voll Bonbons mitgebracht und gab mir Mühe, sie neben Antoinettens Arbeitstischchen auffällig genug zu befestigen. »Da!« sprach ich so ernsthaft, wie es mir möglich war. »Darin sind nun einhundert und fünfzig Bonbons wohlgezählt. Zur Weihnacht sehe ich nach und wehe Ihnen, wenn ein einziger fehlt.« – »Sie sind ganz charmant!« rief Antoinette lachend. »Aber – sind es Frucht- oder Chocolade-Bonbons? Das möchte ich gerne wissen. Nicht wahr, verehrter Herr, drei geben Sie zur Probe heraus, für die Mutter, die Cousine und für mich?« Das gab nun wieder Lust und Gelächter im Ueberfluß. Abends war sie wahrhaftig anmuthig genug, und nicht mit Unlust sah ich mich von ihr bevorzugt. Gott weiß, was daraus noch hätte entstehn können, wenn mir nicht bald von andern Dingen der Kopf voll geworden. So blieb es mit uns jedoch in der alten Weise und davon wüßte ich nichts weiter zu berichten.

Aber die »Kleine« in dem kleinen Hause!

Es wäre sehr überflüssig zu erzählen, wie sich diese erneuerte Bekanntschaft fortspann. Theils ist dergleichen bekannt und wie gewöhnlich, theils weiß ich jetzt nichts mehr davon. Es war zu gleichgültig, zu unbedeutend um nicht vor dem, was darauf folgte, zu verschwinden.

Wer nur den klaren, goldenen Tag will und er hat ihn voll und licht zu Häupten, was wird der daran denken, ob der frühe Morgen auch schon so klar war, oder ob die Wolken ihn beschatteten, oder ob's gar regnete! Was hat das mit seinem Wunsch, mit seinem Glück zu thun? Ich erinnere mich einzig daran, daß ich in jenen Tagen entsetzlich viel Blumen brauchte, daß ich nothwendig selbst und eigenhändig die Blüthen aus den Cartons aussuchen und mir zusammenstellen, und daß sie dann ebenso nothwendig dieselben zusammendrehen oder binden mußte. Denn es geschah bei ihr im Hause; im Laden konnte ich niemals finden, was ich wünschte. Nur sie hatte es. – Beiläufig gesagt, sie war wirklich ein Genie in dieser zierlichen Kunst, das merkte nicht ich allein, das erkannte sogar die »Madame« an. – Bei diesem Aussuchen und Zusammenstellen führten wir dann die ehrbarsten Gespräche von der Welt, über ihre Kunst, über Botanik, kurz nur über zur Sache Gehöriges. Ging ich am Morgen zufällig vorbei, – und das geschah merkwürdigerweise ziemlich häufig, obgleich ich in jener Gegend sonst niemand kannte und nichts zu suchen hatte, – sah ich ihr munteres Gesicht, das goldene Haar am grünumrankten kleinen Fenster, – husch war ich hinein. »Ach Mamsell Lisette, Sie verzeihen mir wohl, daß ich so früh komme. Ich bedarf aber leider ein Bouquet von Stiefmütterchen und Jelängerjelieber. Sie haben gewiß noch von diesen Blumen.« – »Ich glaube fast, Herr Franz, es wird noch davon da sein. Wollen Sie sich nur selbst aussuchen? Ich bin ein wenig pressirt heut Morgen. Im grauen Carton und in dem mit dem gelben Schilde.«

Und da saßen wir dann am kleinen Fenster, zu beiden Seiten ihres Tischchens, sie mit ihren Blumen eifrig beschäftigt, ich mit der Pappschachtel auf den Knien, kramend und zusammenstellend, fragend und plaudernd. Wenn sie dann einmal aufsah, die Hände mit Gummipinsel und Scheere auf dem Tisch ruhen ließ und so innig, herzlich über dies und das, über meine Einfälle und Geschichten lachte, wie war sie allerliebst! Oder wenn sie einmal aufstand, um sich das eine oder andere Requisit zu ihrer Arbeit herbeizuholen, wenn sie dann zufällig meine Mappe erblickte, um Erlaubniß fragte, sich niederhockte, sie öffnete und mit großen Augen, mit lustigem Gelächter die Collegienhefte, die fremden Buchstaben betrachtete und sich komisch Mühe gab, sie zu entziffern, – wie war das alles so zierlich und anmuthig! Und die Sonne des Wintertags fiel durch die verbrannten Scheiben, durch die Myrthen, den Epheu und das Rosenstöckchen klar auf das liebliche Gesicht, in das einfache, reinlich weiße Stübchen, auf die ärmlichen und doch saubern und blanken Möbel, – das bunte Kätzchen spann in gemüthlicher Beschaulichkeit am kleinen, eisernen Ofen, der Kanarienvogel spectakelte in seinem dicht umgrünten und umrankten Bauer oben am Fensterkreuz.

Das hab' ich alles so oft gesehn, daß ich es jetzt, wo ich nur davon schreibe, noch einmal vor mir zu haben glaube. Ich halte die Hand vor die Augen. Denn ist es der klare Tag, der mich blendet, oder ist es nur der Widerschein jener sonnenklaren lieben Zeit, – sie schmerzen mich nicht wenig. Und ich schüttle still den Kopf. Es ist doch schon so lange vorüber.

Als die Weihnacht da war, kam ich täglich in das kleine Haus; wenn sie daheim war, oft schon morgens auf ein Stündchen: war sie im Laden beschäftigt, was zwei oder dreimal wöchentlich zu geschehen pflegte, so holte ich sie Abends um sechs Uhr heimlich ab, blieb dann dort und theilte das leichte Abendessen. Dabei war dann meistentheils die alte Besitzerin des Hauses, eine ehrbare, freundliche Matrone. Dann gab es Lust und Ausgelassenheit und Vergnügen genug. Das war ein Necken und Singen, ein Lachen und Tollen, ein unsinnig Schwatzen und ernsthaft Plaudern. An Zanken dachten wir nicht, und von Sorge und Qual wußten wir nicht, ob dergleichen in der Welt überhaupt existire.

Hatte ich es geahnt, daß wir mit einander bekannter sein, daß mir so mit einander verkehren würden? Ich glaube wirklich, daß das menschliche Herz zuweilen einen gewissen Instinct hat von dem, was es dereinst tiefer durchdringen, ganz und gar erfüllen wird. Ich hatte von vorn herein nicht ein Wort über Lisette gesprochen, ich hatte gegen niemand dieser Bekanntschaft erwähnt, selbst Alsing hatte ich nicht über ihre Wiederfindung geschrieben, obgleich es ihn doch interessiren mußte und ich sonst nie ein Geheimniß vor ihm zu haben gewohnt war. Aber von bewußter Absicht war sicher nichts dabei. Wir verbargen unsern Umgang keinem Menschen, denn es war gar nichts Uebles darin; aber eben, weil wir so frei und ungenirt waren, blieb er doch still und heimlich, und Keiner beachtete oder ahnte ihn.

Und als es Weihnacht war, nannten wir uns du, und wir liebten uns herzlich, ohne daß davon jemals die Rede zwischen uns gewesen wäre. Und am Sonntag Abend, wenn der Wächter die zehnte Stunde abrief, wenn ich ging und sie mir und der Alten, die dann auch ihre Kammer aufsuchte, hinausleuchtete, dann bekam ich wohl, wenn sie mich die ganze Woche hindurch artig befunden, einen flüchtigen, leisen, schämigen Kuß.

Ja es war etwas Wundersames um diese Liebe. Sie brachte uns so wenig und sie beglückte uns doch so sehr. Von Liebe ward, wie gesagt, nie zwischen uns verhandelt, auf die Zukunft kein einziger Plan gebaut. Daß ich zu Ostern hinfort müßte, um vielleicht niemals wieder zu kehren, daß also unser Verkehr unsere Neigung, unsere Liebe meinethalben, keine Zukunft hätten, wußte sie so gut, wie ich selbst. Hatt' ich doch selber keine Zukunft vor mir, in der von Tändeln, Liebe und Glück die Rede sein konnte! Ich hatt' es ihr nie verborgen und sie hatte nie ein Wort dagegen gesagt. Und dennoch wußten wir nichts von Quälerei und Sorge, nichts von Angst und Schmerz. Wir kannten nur Luft und Heiterkeit, wir waren glückselig, und glückselig und gedankenlos lebten wir in die Zeit hinein. Das ist freilich gar nicht klug, nicht vernünftig, nicht motivirt, sondern sehr thöricht, ich weiß das sehr gut. Allein darnach fragt ein junges, heißes Herz auch durchaus nicht. Das ist wie es ist, und fühlt wie es fühlt. Und wenn euch Jemand eine erdachte Geschichte gibt, was man einen Roman nennt, oder eine Novelle, und er euch darin ein junges, liebendes Herz vordemonstrirt und es lieben, schlagen und fühlen läßt, recht zierlich, recht folgerichtig, recht bedacht und ganz und gar motivirt, so deshalb und so um jenes willen, – der, versichere ich euch, hat alle Tage seines Lebens nichts von einem solchen heißen jungen Dinge und seinem unbedächtigen Treiben gewußt, sonst würde er euch ein bischen weniger Kunst und ein wenig mehr Natur geben.

Mich fragte mein Kopf dazumal hin und wider: aber du Menschenkind, was soll denn herauskommen bei all diesen Tollheiten? Und mein Herz antwortete ganz vernehmlich: laß mich doch. Ich glaube jetzt einmal, das dort sei die Sonne. Was nützt es, mir zu beweisen, daß es am Ende nur eine Kerzenflamme ist? Laß mich dumm, toll und blind sein. Hab' ich doch mein Glück daran, mag es auch so schnell vorüber sein, wie es will! – Und da zog sich der Kopf dann brummend zurück. Und das war eben das Seltsame in dieser Liebesgeschichte und das ganz Eigenthümliche derselben. Der Kopf hatte leider nichts damit zu thun und stand klar darüber, wenn das Herz auch noch nicht auf sein Predigen hörte. Und darum war es auch nicht die Liebe, die acht strahlende, die flammend wahre. Denn bei der sind Kopf und Herz gleich betheiligt und der Kopf weiß nicht, ob das Herz in ihm, oder ob er im Herzen sitzt. So war es hier nicht, aber es war doch ein prächtiges, herziges Gefühl.

Und sie, Lisette? Ihr hättet sie kennen, oder nur einmal sie sehen und hören sollen! Sie war nur eine arme Blumenarbeiterin, und keineswegs, was man gebildet nennt, und ich weiß zwanzig Leute, die über sie und meine ganz unpassende Neigung zu ihr, die Nasen rümpfen und es unverzeihlich finden, daß ich mich so weggeworfen. Aber beim allmächtigen Gott, dies arme, junge Kind wog zwanzig der gezierten und verzierten und verbildeten Puppen auf, welche uns die Welt als seine Damen hinstellt! Sie wußte nichts von unseren Romanen und Novellen, sie schrieb nur kümmerlich und gar nicht richtig, sie las zwar fließend, aber mit falscher Betonung, sie sprach nur den Dialekt jener Gegenden in seiner ganzen Eigenthümlichkeit und Naivetät. In ihrer Rede waren weder prächtige Gedanken, noch hochtönende Phrasen, von der Musik verstand sie nur das, was ihr die Natur mitgegeben. Sie hatte ein recht gutes Gehör und sang mit ihrer zwar schwachen und einfachen, aber vollkommen sanften und melodiösen Stimme all' die reizenden, melancholischen Volkslieder, die dort unter dem Volke noch wirklich bekannt und beliebt sind. Kurz, ihre Kenntnisse waren unendlich gering und beschränkten sich fast nur auf Lesen und Schreiben und auf die Kunst, Blumen zu machen. Aber weil sie immer in der Natur und mit derselben gelebt hatte, war ihr Wissen unglaublich groß. Tausenderlei wußte und kannte sie, was wir mit Studien und aus Büchern mühsam und oft falsch erfahren. Sie hatte keine Ader von Sentimentalität, aber eine Fülle von Gutmüthigkeit, Theilnahme und Gefühl. Keck und fröhlich war sie, aber nicht wild; neckisch und ein bischen kokett, aber nie geziert.

Und ihr hättet sie sehen sollen, wenn wir nun Abends beisammen waren, wenn ihre bestellten Arbeiten vollendet und sie dann für sich und mich frei war. Diese Nettigkeit und Geschäftigkeit, womit sie alles in Ordnung brachte, dieser goldene Uebermuth, mit dem sie neckisch die schönste Ordnung wieder zerstörte! Da flatterte sie hin und trug sich Arbeitszeug zusammen, denn sie arbeitete und studirte viel für sich, da leimte sie ihre Blumen mit wundervollster Gravität, mit äußerster Sauberkeit und scheuchte – wie ernsthaft-komisch! – meine Unterbrechungen zurück. Dann fährt sie wieder vom Stuhl, um mir einen Strauß in's Knopfloch zu stecken, der Alten Haube mit einem Kranz zu umflechten. Oder die Katze wird unter ausgelassenem Lachen bekränzt und bebändert und wir wollen uns schier zu Tode lachen, wenn das Thier sich dreht und windet, die tollsten Sätze, die unglaublichsten Anstrengungen macht, des ungewohnten und unbequemen Schmucks ledig zu werden. Oder sie tanzt im Zimmer umher und singt sich dazu einen Ländler; oder sie hockt vor dem Ofen und bereitet zierlich bedächtig das frugale Abendessen. Wieder springt sie auf und zu mir und schmiegt sich mir auf dem Knie zusammen und sieht mir in's Buch, wenn ich vorlese, und lauscht jubelnd oder betrübt den seltsamen Historien vom Ritter von Lusignan und seiner schönen Fee, von den Haimonskindern, vom Fortunat und dem ganzen Anhang dieser wunderbaren, einfachen Geschichtchen. Da lehnt sie auch einmal ermüdet das goldige Köpfchen an meine Brust, bis ein neuer lustiger Einfall sie emportreibt. Und dann dies lustige, gemüthliche Plaudern! Und das alles mit der anmuthigsten Zierlichkeit, mit hinreißender Grazie, und doch wieder so ganz natürlich, so frisch, so durchaus unbewußt! Was sie thut und was sie sagt, es ist kaum jemals etwas Neues und Besonderes, aber es ist immer frühlingsfrisch und rein und gut. So ist Lisette.


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