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Hildegard

Wenn die Frau des Apothekers Reinelt Besuchern gegenüber den lächelnden Seufzer des Mutterglücks tat: »Aber was man für Arbeit hat mit einem solchen Kinde!« dann sagte ihr Mann immer in halb begütigendem, halb neckendem Ton: »Dafür hast du aber auch ein freiwilliges Kindermädchen!« Natürlich hatte das immer zur Folge, daß diese sonderbare Bezeichnung den Fremden aufgeklärt werden mußte, die neugierig waren, was für eine Bewandtnis es mit dem also benamsten Fräulein, dieser Bonne oder diesem Mädchen vom Land habe. Nach einem strafenden Blick auf ihren Gatten pflegte sohin Frau Reinelt zu sagen: »Das ist so ein stehender Witz von meinem Mann. Er meint damit den jungen Beamten von der chemischen Fabrik, der oben im ersten Stock wohnt und mit unsrer Kleinen manchmal, wenn es ihm Freude macht, im Garten auf und ab spaziert. Ein paar Minuten in der ganzen Woche. Das ist alles.« Über diese Berechnung kicherte Herr Reinelt jedesmal ziemlich rücksichtslos in sich hinein, aber sagte nichts weiter mehr.

Ein solches Gespräch hatte sich einmal in gleicher Art zwischen den Reineltschen Eheleuten und einem würdigen Paar, dem Herrn Hauptkasse-Kontrolor Nitschmann und Gemahlin, die nach dem Befinden der anderthalbjährigen Rosi zu sehen gekommen waren, abgespielt, und die alte Dame faßte ihre Meinung in die Worte zusammen: »Der junge Mann ist eben ein Kinderfreund,« worauf der Herr Hauptkasse-Kontrolor die philosophische Betrachtung anstellte: »Die Melancholiker sind Kinderfreunde, die Sanguiniker haben das nicht notwendig.«

»Warum sollte er melancholisch sein?« warf der Hausherr dazwischen.

»Das macht die Jugend, die ihren Lebensweg noch nicht deutlich vorgezeichnet sieht,« klärte ihn Herr Nitschmann auf.

Das Wort Lebensweg gefiel der Frau Reinelt. Sie war ein Weilchen still, und der Ausdruck ihres klugen Gesichtchens ließ die Annahme zu, daß sie soeben einen Entschluß gefaßt habe, mit dem sie zufrieden sein konnte. Und wirklich sagte sie in diesem Augenblick auch zu sich selber: »Ja, das will ich tun!« –

Zur gleichen Zeit saß der, von dem diese Erörterungen handelten, droben an seinem Studiertisch und war nicht weniger zufrieden mit einem langen Satz, den er als letzte, nach reiflichem Bemühen gewonnene Fassung eines Einfalles soeben reinlich zu Papier gebracht hatte. Es lautete dieser Satz:

 

»Wir weihen dem Vater und Großvater unsere Liebe, dem Urgroßvater liebendes Gedenken, den Früheren pietätvolle Erinnerung, die mit Stolz gepaart ist. Aber dieser Ahnenstolz, auf die Taten der Vorfahren – und sei es auch nur, daß sie den Pflug durch die Scholle führten, auf der wir noch immer fußen – gegründet, kann eigentlich nichts anderes sein als Dankbarkeit für eine Liebe, die von Geschlecht zu Geschlecht durch die Jahrhunderte auf uns herabgeflossen ist, ein heiliger Strom aus Urzeiten, den wir nicht hemmen dürfen: Ahnenkult ohne die Bereitwilligkeit, sich selber als Glied in die unendliche Kette einzureihen, ist sinnlos, und indem wir so die Liebe, die wir überkommen haben, weiterleiten in die Zukunft, sprießt uns, was wir den Alten gaben, verjüngt aus den Herzen der Neuen und Kommenden entgegen.«

 

Gustav Mölzer, Mitte der Zwanzig, dunkles Schnurrbärtchen, der nicht aufhören konnte, immer wieder Brücken von seinen chemischen Tabellen zur schöngeistigen Welt zu schlagen, überlas das ernste Gedankengebilde, das auf dem Bogen vor ihm stand, ein ums andere Mal, wog zum zehnten Male das Gleichgewicht des Baues, prüfte Laut und Ausklang und merkte erst allmählich, wie dieser Spruch nicht nur eine Denker- und, wegen seiner Ausformung, auch eine Künstlerfreude in ihm ausgelöst hatte, sondern noch anderswo in seinem Innern herumkrabbelte und herumspürte. Diese letztere geheimnisvolle Tätigkeit trug aber durchaus nicht zur Erhöhung seiner Schöpferfreude bei, vielmehr begann sein Behagen nun wie ein krümeliger Kuchen auseinanderzufallen. Er mußte im Zimmer auf und ab schreiten und einer Stimme aus den Tiefen Gehör schenken, die ihn hämisch mahnte: »Was soll das? Gilt jene Wahrheit nicht auch für dich, oder willst du deine eigenen Worte Lügen strafen? Hängst du nicht selber an den kleinsten Dingen der Überlieferung, ja hast für dein Leben und alles um dich eine Pietät, als ob du dein eigener Urenkel wärst? Hier zum Beispiel dieses Fragment von einem Radiergummi auf dem Schreibtisch! Was soll man dazu sagen? ,…«

Wahrhaftig, dieser Radiergummi, den er nun schon an die zwölf Jahre mit sich führte! Da war einstens im Zeichensaale seiner Realschule ein Kautschukstück von unbestimmter Form, vielleicht von einem Maschinenbetriebe stammend, auf dem Boden gelegen, das hatte ihm's angetan. Ein Schüler einer anderen Klasse, der es beim Zeichnen benützte, hatte es wahrscheinlich verloren, er aber verheimlichte den Fund und trug ihn als ein Erinnerungsstück mit nach Hause. Seitdem begleitete dieser Gummi ihn durchs Leben. Durch Abnützung war er kleiner geworden, später in ein paar Teile zerfallen, aber ein letztes Stückchen war noch immer vorhanden und genoß als eine Art Reliquie seit Jahren sorgfältigster Schonung. War auch nimmer zu verwenden. Doch für Gustav Mölzer knüpfte sich noch ein besonderes Erlebnis daran, das er sich gern in der Form folgender Anekdote erzählte: Eines Tages besuchte mich eine stattliche Kusine aus Chikago, sah frisch und munter um sich, mir aber fiel nichts Gescheiteres ein, als ihr den schäbigen Gummi zu weisen und seine sentimentale Geschichte zu berichten. Da sagte sie scharf: »Sonst hast du mir nichts zu zeigen!« – und ich wußte, sie wollte mein Herz sehen, verlor aber alle Fassung und ihre Liebe und ihre Millionen. Nun, das ist freilich etwas übertrieben, und die Kusine war nicht aus Chikago, sondern aus Linz, und Millionen hat sie gewiß nicht gehabt. Aber stattlich war sie sicher!

Somit knüpfte der Ausgang der Geschichte vom Radiergummi wieder an jene Frage der inneren Stimme an: »Willst du deine eigenen Worte Lügen strafen und was nun weiter!« Kurz, Gustav Mölzer war von der künstlerischen Freude an seinem schönen Satz weltenweit abgekommen. Er brauchte Luft, warf sich ans Fenster und schaute hinaus ins Grüne.

In diesem Augenblick betrat Frau Reinelt, die ihre Gäste ans Gittertor geleitet hatte, mit dem Töchterlein an der Hand die Veranda.

»Guten Abend, Frau Reinelt!« rief der Herr vom ersten Block hinunter. »Darf Fräulein Rosi mit mir spazieren gehen?«

»Ja. kommen Sie nur geschwind,« antwortete die Mutter, »ich bin froh, wenn ich ein paar Minuten Ruhe habe.«

Wie der Wind war Gustav unten.

»Gut geschlafen, Rosi?«

»Ja,« piepste die Kleine und langte nach seiner Hand.

»Fast gar nichts am Nachmittag,« greinte die Mutter, »sie muß daher heute abends früher ins Bett. Ich werde Sie bald rufen. Also brav sein, Rosi!«

»Zu dienen!« sagte der junge Mann und griff nach dem Abendblatt, das die Austrägerin eben auf den Tisch gelegt hatte. »Komm, jetzt wollen wir miteinander gehen und dabei die Zeitung lesen. Du möchtest dich schön bedanken, wenn du einmal über den augenblicklichen Stand der Weltkrise im unklaren gelassen würdest. Hier gehen wir, nicht? Aber schau, das ist ja viel interessanter und wichtiger als die Prager Frage und die jungtürkische Bewegung. Aus Reichenau wird uns geschrieben: Ihre Hoheit die Frau ,… doch nein, das verstehst du nicht. Den beglückenden Duft solcher höchsten Berichte kannst du heute noch nicht würdigen. Aber du glaubst nicht, wie groß das Entzücken ist, das solche Nachrichten über Jagden, Ausflüge, ja sei es selbst nur, wie heute, eine Jause mit Schlagobers, in die kleinsten Hütten, in die dumpfigste Arbeiterstube tragen. Nicht wahr, du wirst dich auch einmal darüber freuen, wenn du groß bist? ,… und wenn ich nichts mehr mitzureden habe!«

Rosi sagte: »Ja!«, ihr einziges Wort, und Herr Mölzer, der ja nur für sich selber sprach, war schon glücklich darüber, wie sie aus dem Ton seiner Rede das Fragende herausgehört hatte. Eben näherten sie sich auf ihrem Rundgange wieder der Veranda, auf der sich Frau Reinelt mit Flickarbeiten zu schaffen machte.

»Haben Sie noch ein wenig Zeit?« fragte sie das »freiwillige Kindermädchen«. »Ich komme gleich!« Und war schon verschwunden.

»Deine Mutter kommt gleich,« sagte Gustav, seine Hörübungen mit dem Kinde fortsetzend. »Gleich, sogleich sind in ihrer Spannweite nicht so genau umrissene Begriffe wie Sekunde, Minute und Stunde. Einmal dauert es länger, einmal noch länger. Es gibt eben verschiedene Zeitmaße in der Welt. Der Merkur rennt in achtundachtzig Tagen um die Sonne und meint, es sei schon ein Jahr herum. Der Saturn, ein alter, gemächlicher Herr, braucht über zehntausend Tage dazu und behauptet, das erst sei ein richtiges Jahr. Wer will ihm widersprechen? Du?«

»Ja,« sagte Rosi wiederum aus der noch unbeschriebenen Blütenweiße ihrer Kinderköpfchens heraus.

»Wirklich? Also siehst du, das »Gleich« deiner lieben Mutter ist noch immer nicht abgelaufen. Man sagt oft: Einen Augenblick! und es kann eine halbe Stunde, eine Stunde und länger dauern. verstehst du das?«

Rosi sagte: »A–a!«

»Ja, ja! willst du sagen.«

»A–a!«

»Frau Reinelt, Frau Reinelt!« jauchzte Gustav jetzt aus Leibeskräften.

Und da erschien sie auch. »Nein, mich so zu erschrecken! was ist denn?«

»Aber sehen Sie nur!«

»Nun, nun, hat das auch etwas zu sagen! Ihr Männer! Was ihr da gleich für Geschichten macht! Danke übrigens für Ihre Bemühung!«

»Bitte, bitte!« lachte der junge Mann und schwenkte mit seinem Zeitungsblatt ab.

Nach kaum einer halben Stunde aber guckte er schon wieder über die Brüstung, »Wo ist die Rosi?«

»Sie schläft jetzt endlich. Aber haben Sie Zeit, so kommen Sie die paar Stufen herauf und setzen sich hierher. Ich hätte Ihnen etwas Wichtiges zu sagen, Herr Mölzer. Meine Arbeit habe ich hier. Sie stören mich nicht. Etwas sehr Wichtiges! Sie sind ein Kinderfreund, nicht wahr? Na also, hab' ich's erraten. Da möchte ich Ihnen nun einen guten, freundschaftlichen Rat geben.«

»Soll ich umsatteln und Volksschullehrer werden?«

»Machen Sie keine Witze, es ist eine ernste Sache. Es ist mir heute eingefallen: Sie sollten heiraten. Das ist alles.«

Gustav Mölzer war bestürzt. Wie das mit den Gedanken zusammentraf, die ihn erst vor ein, zwei Stunden droben auf seinem Zimmer heimgesucht hatten.

»Haben Sie denn keine Bekanntschaft?«

»Gnädige Frau, Sie werden inquisitorisch.«

Sie hörte nicht darauf. »Wissen Sie keine, die Ihnen gefällt?«

»Mein Gott, was gefällt mir! Das ist schwer zu sagen. Als ich zu Ostern von meiner Heimat zurückfuhr, mußte ich drei verschiedene Züge benützen. In dem ersten saß mir ein nicht mehr ganz junges Mädchen von dem stillen Reize jener gegenüber, deren Herzen schon Erfahrung haben. Sie gefiel mir. In dem zweiten, von ihren Eltern begleitet, ein liebes deutsches Haustöchterchen anheimelndster Art – die gefiel mir auch! Im dritten endlich zwei munter wispernde Backfische, die mir nicht minder ,…«

»Wir halten uns an die im zweiten Zug,« unterbrach Frau Reinelt den Schwärmenden. »Von dieser Art muß Ihre Künftige sein. Sagen Sie mir, was ist es mit Sofie?«

»Die bis vor einigen Wochen unsere Nachbarin war? Hm, ich habe sie einmal geküßt und da war dieses dann ganz reizend: wie ich ein paar Minuten danach über den Hof gehe, sehe ich sie mit erhitzten Wangen beim Brunnen stehen und in vollen Zügen trinken. Das hat mich ganz wunderbar berührt, diese Umsetzung des Psychischen ins Physiologische.«

»Sie Narr! Was ist es mit Hedwig?«

»Diese schlanke Blonde, die sich eine Woche lang bei Ihnen aufhielt und die Lichnowsky-Sonate von Beethoven so himmlisch schön spielte? Ich sagte mir bei diesen himmlischen Klängen: Meine Welt! und fragte mich, inwieweit ein solches blondes, schlankes, klavierspielendes Weiblein hineingehöre in diese meine Welt!«

»Ich kann noch mit anderen Namen aufwarten: Und Antonie?«

Gustav wurde unruhig. »Mit was kommen Sie mir heute! Es ist so peinlich, davon zu reden, und doch tu' ich es, ja tu' es beinahe gerne. Ich mag die Lampe droben noch nicht anzünden und Sie wollen sich just mit Ihren Nähereien hier in der Dämmerung die Augen verderben. Gut. Aber eigentlich. Sie sind eine junge Frau –«

»Erstens hab' ich Licht genug zu den paar Stichen, die ich noch zu machen habe, zweitens bin ich um sechs oder mehr Jahre älter als Sie. Beichten Sie, wie einer Mutter. Und wenn es interessant wird, lege ich meine Arbeit überhaupt weg.«

»Also von dem Fräulein Antonie. Das war damals ein lustiger Abend gewesen. Sie wissen es. Als die Ersten aufbrachen, machte ich der Gesellschaft, die wir hier beieinander hatten, den Vorschlag, noch einmal im Mondschein zur Donau hinüberzugehen. Aber sie verliefen sich fast alle, nur Antonie blieb und wartete auf die Antwort ihrer Freundin und aus ihren Augen leuchtete das Verlangen nach einem solchen romantischen Unternehmen. Die andere wollte und wollte wieder nicht, schmollt über die Bereitwilligkeit der guten Toni und geht dann widerwillig voran, so daß ich ihr die Teilnahme in etwas kühlen Worten freistellte, worauf sie halb gekränkt abzieht, während wir beiden andern die Planierung überschreiten, am Strom ein Stück aufwärts gehen und uns dann im Vollmond in den Strandblumen lagern. Ich erzählte vom Mond und von fremden Ländern, die ich gesehen oder von denen ich geträumt hatte, – und darauf gingen wir ruhig wieder zurück. Hier gab es inzwischen eine kleine Aufregung und heimliches Getuschel und fröhlichen Spott und ein Hängemäulchen bei dem strengen Jungferchen, der Freundin. Für mich aber war es beinahe das Erlebnis eines Sechzehnjährigen gewesen. Wirklich, es war nichts. Was hatte ich mich gekümmert, ob Bursche oder Mädchen! Da war ein Menschenkind auf dem Lande zu Besuch, das sich rührend wohlfühlt. Es nimmt an dem Behagen eines fremden Haushaltes teil, der ihm bald vertraut wird, sieht alles in rosigstem Lichte und genießt seine Ferienfreuden in doppelter Empfänglichkeit. Wen würde es da nicht reizen, wen würde es nicht beglücken, ein übriges zu tun und noch ein neues Erlebnis ausfindig zu machen? Das aber war mein Fall. Freilich, nachher erst fühlte ich es doch ein wenig: es ist ein Weib und spürte das geheime Fluidum, das in der Einsamkeit von einem aufs andre überströmte.«

»Also doch – genug!« rief die Zuhörerin, »das ist ja eine recht nette Geschichte!«

Sie hatte ihr Leinenzeug längst in den Schoß sinken lassen, nun lehnte sie sich vollends zurück. Gustav mußte wohlig lächeln, wie er jetzt ihre gewölbte Stirn und ihr Stumpfnäschen dunkel in die goldene Himmelsferne eingezeichnet sah. Eben öffneten sich ihre Lippen wieder: »Jetzt komm' ich mit der Hauptfrage. Was meinen Sie?«

Er lachte seltsam: »Ich wüßte wirklich nichts mehr. Ich habe alles gestanden. Und was mir in diesem Augenblick übers Herz huscht, darf ich ja doch nicht sagen.«

Sie sah ihn erstaunt an, errötete leicht und änderte mit einem Ruck ihre Haltung. »Reden Sie keine Dummheiten. Mein Mann wird ohnehin schon ungeduldig sein. Rasch: Was wäre es denn dann mit – ja, wie heißt denn nur dieser verflixte Namen – richtig, was wäre es dann mit – Hildegard?«

Gustav Mälzer erblaßte.

»Was, das wissen Sie? Um Gottes willen, wie ist das möglich!«

Er war aufgesprungen und zog die Schultern zur Höhe. »Frau Reinelt, was wissen Sie von Hildegard?«

Es war erschreckend. »Verzeihen Sie, wenn ich Ihnen wehgetan habe,« rief seine Gesellschafterin betreten. »Es war recht ungeschickt von mir. Tun Sie, als ob ich nicht gefragt hätte!«

Nein, so tat er nicht. Er lachte! Ein krampfhaftes Lachen machte sich aus ihm los, schüttelte ihn wie närrisch und die Apothekersfrau wußte nimmer, was sie über ihn denken sollte. »Ja also, Sie wissen von Hildegard? Woher denn, bitte, sagen Sie mir's!«

»Als im vorigen Jahr Ihre Schwester hier war, habe ich den Namen nennen hören und er wurde sehr bedeutsam ausgesprochen,« sagte Frau Reinelt unsicher.

»Ja, das glaub' ich. Die wissen von ihr mehr als ich und wissen doch nichts. Diese Hildegard besteht ja gar nicht!«

»Daraus soll man klug werden. Sie werden begreifen, daß ich jetzt neugierig bin. Das muß ich schon noch erfahren, das heißt, wenn Sie so weit gefaßt sind.«

»O ja,« beteuerte der junge Chemiker nun schon wieder in ruhig-fröhlicher Laune. »Es ist ja gleich erzählt. Also hören Sie. Ich hatte zu Hause einen kleinen Neffen, der sich in der Unmenge seiner Tanten ersten, zweiten und weiterer Grade nimmer zurechtfinden konnte. Eines Tages machte es mir Spaß, ihm vorzuschwätzen, daß er auch von meiner Seite eine solche Tante zu verehren hätte. Wie sie heiße, fragte er. Ich hatte keinen Namen zur Hand und es sollte doch ein unterscheidender, ungewöhnlicherer, ein dem Kinde recht romantisch klingender sein. So sagte ich: Hildegard. Einer der jüngeren Freunde wurde rasch in Frauenkleidung gesteckt und dem Kleinen als diese Tante Hildegard vorgeführt. Später haben wir ihn im Übermut auf noch manch andere Art getäuscht und der Name, mit dem ich nun bald selber geneckt wurde, lebte sich so ein, daß es mir leid tat, damals keinen mir lieberen, wärmeren gewählt zu haben. Kam ich verspätet nach Hause, so hieß es, ich hätte Hildegard auf meinem Wege getroffen; war ich zu anspruchsvoll und mit der oder jener Sache in Haus und Küche nicht zufrieden, so kündigte man mir an, Hildegard werde mir's einmal heimzahlen; ja, war von meinen künftigen Lebensverhältnissen die Rede, so spielte dieser Name mit wie man von einer Verlobten spricht, die nächstens heimgeführt werden soll. Das ist die Geschichte der Hildegard. Ich habe sie noch nicht gefunden.«

»Sie sollen sie bekommen,« schloß Frau Reinelt feierlich und begeistert, indem sie ihr Zeug zusammenkramte. Es war schon vollends Abend geworden. »Sie sollen sie haben, Ihre Hildegard. Verlassen Sie sich auf mich! Gute Nacht!«

»Was heißt das, gnädige Frau?« bat der plötzlich in Hitze geratene junge Mann. »Sie wüßten wirklich ,…?«

»Ich habe eine Idee und die sind nicht schlecht, das hab' ich heute schon einmal erprobt. Aber nur Geduld! Und gute Nacht!«

Gustav Mölzer sah ihr im Dunkeln nach. Im Kopfe wirbelte es ihm. Dazwischen hörte er die Stimme der kleinen Rosi, die wie im Traume sprach.

*

Während der nächsten vier Tage huschte die Hausfrau, wenn sie einander sahen, lächelnd, aber abwinkend an ihm vorüber. Am fünften jedoch nahte sie ihm mit bedeutungsvoll strahlender Miene. »Mein Bruder ist nach Wien gekommen, der hat Ihnen was Besonderes zu sagen. Ich treffe ihn nachmittags im Symphonie-Konzert im Saale des Volksgartens: Beethovens Achte! Kommen Sie bestimmt hin!«

»Was hätte mir Ihr Herr Bruder zu erzählen? Ich kenne ihn ja kaum.«

Allein Frau Reinelt verriet nichts. Nur so viel ließ sie nach und nach durchscheinen: Sie habe von einer angesehenen Witwe nach einem Sägewerksbesitzer in ihrem Heimatsorte Neunkirchen gewußt, deren einzige Tochter ,… »Das übrige wird Ihnen mein Bruder sagen!«

Also, das wäre nämlich was für ihn, den Herrn Mölzer. Sie habe ihrer Tante, die in jenem Hause ein- und ausgehe, geschrieben und diese werde ihm die Bekanntschaft vermitteln. »Alles andere werden Sie von meinem Bruder hören.«

Des Mädchens Mutter wisse schon von ihm als einem soliden, jungen Manne in achtbarer und aussichtsreicher Stellung und einem Wiener gebe sie von vornherein den Vorzug vor einem ländlichen Bewerber aus der Provinz. Der Bruder sei heute geschäftlich hier und fahre morgen wieder nach Hause; Gustav solle sich ihm dabei anschließen. »Alles Weitere müssen Sie mit ihm abmachen!«

»Ist sie schön?«

»Das wird Ihnen Hermann sagen!« – –

In der fünften Nachmittagsstunde saß die Gesellschaft im Konzertsaale beieinander. Es hatten sich noch einige andere Herren und Damen eingefunden und so recht vertraulich über seine besondere Angelegenheit plaudern würde sich hier gerade nicht lassen, dachte Gustav Mölzer, als er die vormalige flüchtige Bekanntschaft mit dem Gerbereifaktor Hermann Kiesling, dem Bruder der Frau Reinelt, erneuert hatte. Das war ein schlanker, junger Mann, der gar nichts Provinzmäßiges an sich hatte, vielmehr eine Sicherheit zeigte, die Gustav, trotzdem er fast schon zum Wiener geworden, etwas beklommen machte. Auf Beethovens achte Symphonie freue er sich besonders, sagte Herr Kiesling und sprach dann allerlei Vernünftiges über Musik, Konzertwesen und neuere Strömungen in der Kunst. Inzwischen hatten die Spieler ihre Plätze eingenommen, ihre Instrumente gestimmt und das Orchester setzte ein. Die Eingangsnummern hörte Gustav nur mit halbem Ohr. In den Pausen rückte er unruhig auf seinem Stuhle hin und her, aber immer wieder klopfte der Taktstock zu früh. Dann kam eine größere Unterbrechung vor der Symphonie. Frau Reinelt winkte ihm zu, sich zu gedulden. Ja, das wollte er schon. Und Herr Kiesling machte allem Anscheine nach ohnehin bereits Miene, mit ihm ein Gespräch anzuknüpfen. Aber nun legten seine Bekannten, die Gustav wie Tod und Teufel haßte, los und wußten viel flaches Zeug vorzubringen, bis die Musiker wieder auf ihre Estrade kletterten und alles eine erwartungsvolle Haltung einnahm.

Der erste Satz zog vorüber. Da beugte sich Hermann Kiesling zu Gustav Mölzer zurück und sagte: »Sie fahren morgen mit mir, wie mir meine Schwester gesagt hat? Sehen Sie sich die Gegend an, es lohnt sich, besonders jetzt im Frühjahr!«

Der Angesprochene erwiderte klopfenden Herzens: »Ja! Aber –« da begann der zweite Satz. Es war ein Schweben und Weben, das schimmernd und lockend an ihn herandrang. Als der laute Beifall verhallt war, lehnte sich Frau Reinelt über den Tisch und flüsterte ihrem Bruder rasch und eindringlich zu: »Ihr müßt ihn vorstellen. Macht's gut!«

Hermann zog, als ob er es nicht gehört hätte, ein Blatt Papier aus der Tasche und meinte: »Um zwei Uhr vierzig geht der Zug. Wir treffen uns auf dem Bahnhofe, nicht wahr?«

»Mach's gut!« rief die Schwester nochmals herüber.

Gustav sah, wie sich der Taktstock zur Höhe hob. Er warf der Freundin einen flehenden Blick zu. Da beugte sie sich ein letztes Mal herüber und hauchte ihm zu: »Sie ist schön!« Und dann begann das Tempo di menuetto.

Gustav Mölzer war befriedigt. Nun wußte er eigentlich schon alles. Er lehnte sich lächelnd zurück und das süße Gefühl, daß er in ein Vertrauen gezogen war, das über sein Lebensglück entscheiden sollte, erfüllte ihn mit seligem Bangen. So stand ihm schon der Abschied von seinem bisherigen Sein bevor? Was würde es werden? Was für eine süße Melancholie war das plötzlich? Eine Weise, die schwermütig gleitet, milde tröstet, zog an sein Ohr. Es war ihm auf einmal, als liege er auf weichen Pfühlen, selig matt, wie auf der letzten Rast der Lebensreise – und dort draußen tanzen sie einen Reigen: welch müder, banger Frohsinn auf ihren Zügen! Wollen sie sich's verbergen, daß sie durch die gleiche Tür heraus ins Dunkel treten müssen wie er? Ach, sie wissen's genau und wollen's doch nicht wissen und tanzen ihren Lebensreigen fort in der getragenen, fromm verhaltenen Weise, durch die es wie ein Klagen ruft. Da faßt ihn Mitleid, Sehnsucht: Nichts kann euer Schicksal ändern und doch, wie habt ihr's gut noch! Ach, wie schön, vereint das Letzte noch zu schlürfen, aus treuem Blick süßesten Trost zu trinken! Ich war stets einsam, aber jetzt verström' ich all meine Liebe hin zu euch. Und es tragen jene Töne schwebend von euch die Ersten schon heran. Und meint noch immer, ihr wandeltet wie einst im Licht! Seht doch, wie's um euch schon dämmert, hört, wie leiser schon die tiefen Hörner klingen und die Flöten, leiser, dunkler, so leise jetzt, daß sich mein Ohr schon müht, sie zu hören, wie mein Auge euch auch nimmer sehen kann. – Was ist es mit uns, was wird mit uns bei diesen sanften Flöten, Hörnerklängen und Geigen? ,…

Das lärmende Händeklatschen riß ihn ins Leben zurück. Niemand sprach ein Wort.

Aber jetzt im letzten Satz war es ein Aufbäumen, ein gewaltiges Rütteln und Zerren, das Bedrückende abzuschütteln, ein noch atemloses Aufjauchzen in einer Pause des Kampfes über den ersten Sieg, ein neues Ringen und Überwinden und endlich ein immer breiter werdendes Sicheinfühlen in sichere Geborgenheit und ein machtvolles, herrliches Aufklingen der Befreiung.

Alles erhob sich. Gustav fühlte sich in den Banden einer Zaubergewalt, die er nicht entweiht haben wollte. Er wandte sich um und blind gingen seine Blicke über die bewegte Menge. Dann aber hafteten sie wo. Einige Tische entfernt, ihre Umgebung überragend, stand eine lichte Mädchengestalt, die ihm, er wußte nicht warum, aber er sagte sich's sofort, wie eine Verkörperung des Begriffes Heimat erschien. Sie blickten einander an und ihre Blicke gingen lang, tief und über alle Erde hinweg ineinander.

Frau Reinelt zog ihn neckend am Ärmel: »Mir scheint, Sie werden jetzt schon, wo alles noch ein Vorhaben ist, untreu? Oder ist das Ihre Hildegard?«

Ihr Bruder drückte ihm rasch die Hand und sagte: »Auf Wiedersehen!« – und war verschwunden.

Die Schwester eilte ihm nach.

Gustav stand allein da und konnte die Richtung nimmer finden, in der die fremde Schöne den Saal verlassen hatte. –

Das Stelldichein auf dem Bahnhofe wurde pünktlich eingehalten. Allerdings kam Herr Kiesling nicht allein, sondern brachte einen Landsmann mit, den er zufällig getroffen haben mochte. Gustav Mölzer wurde als Tourist vorgestellt, der sich die Neunkirchner Gegend ansehen wolle, was dem andern zum Anlaß ward, eigene Wanderberichte zum besten zu geben. Er war viel herumgekommen, kannte zahlreiche Schutzhütten in den Ostalpen, wußte ihre Preistarife auswendig und wo man das Bier am besten zu lagern verstände. Damit nahm er den Lustreisenden ganz für sich in Anspruch, der immer unruhiger wurde, fragende Blicke nach seinem Führer warf, die dieser verständnislos erwiderte, und endlich seinen Kopf so mit roten, blauen und gelben Wegmarkierungen angefüllt hatte, daß er die Marke zu dem Herzensgedanken, der ihn zu dieser Fahrt getrieben, schließlich selber nimmer fand. Gut, er war also einfacher Tourist und je mehr er anfangs höflichkeitshalber auf die Anliegen des neuen Bekannten eingegangen war, um so schwerer fiel es ihm jetzt, umzukehren und den Reineltbruder nachdrücklich an die übernommene Verpflichtung zu mahnen. Er mußte tun, als wäre alles in Ordnung und empfand dabei über seine eigene Person ebensoviel Zorn und Ärger als wahrhafte Beschämung.

Der gute Gustav! Er konnte nicht ahnen, was eine gute Seele am Ziele seiner heutigen Fahrt für ihn schon in die Wege geleitet hatte. Diese gute Seele aber war die Frau Amalia Enzinger, die Tante, von der Reinelt gesprochen hatte. Und während er rein ins Blaue zu fahren meinte, hielt sie auf dem Neunkirchner Bahnhofe die Fäden in der Hand und an einem besonderen Schlinglein auch ihren Gemahl, den Herrn Enzinger, der durchaus nicht begreifen wollte, warum er schon eine Stunde vor der Ankunftszeit mit ihr hieher hatte ziehen müssen.

»Was versäumst du denn,« sagte sie zu ihm, »daß dir um die Zeit gar so leid ist? Ins Wirtshaus hättest du wahrscheinlich wieder gehen wollen! Als ob wir dann nicht ohnehin den gleichen Weg hätten! Ja, ja, wir kommen schon noch hin heut, aber halt dich brav! Das ist ein gar wichtiger Tag. Du kannst es gar nicht glauben, wie neugierig die Frau Wegrath schon ist, was wir ihr bringen. Es war schön von Hermann, daß er sich um die Sache so angenommen hat. Ich hab's ja immer gesagt, er ist ein lieber Kerl! Na, wenn's einmal bei ihm drauf ankommt, so werd' ich schon auch das meine tun. Aber der Zug will heut wieder gar nicht kommen! Er kann nicht einmal noch da sein, meinst? Heut könnt' er's schon schneller machen, wo es sich um das Lebensglück von zwei jungen Leuten handelt! Ich dank' unserm Herrgott, daß wir da mithelfen dürfen. Es ist eine schöne Aufgabe, die er uns zugewiesen hat. Du hast nichts anderes zu tun, als den fremden Herrn zu begrüßen. Gehst auf ihn zu und sagst ein freundliches Wort. Alles Weitere mach' dann schon ich selber. Aber deswegen hast hermüssen.«

Und ob es der Herr Enzinger begriff oder nicht, sie sprach weiter, anderes und das gleiche, und als dann der Zug wirklich einfuhr, hätten sie es beinahe beide überhört. Nun sprang sie auf, eilte ihrem Manne weit voraus, erspähte im Nu den erwarteten Geleitsmann, ihren Neffen, und fing ihn ab, als er geradewegs auf den Ausgang zuschreiten wollte. Als er sie sah, sagte Hermann Kiesling bloß: »Ah, richtig ja!«, wies auf Gustav, der hinter ihm folgte, und suchte dann mit seinem Landsmanne das Weite.

Nun, glücklicherweise konnte der unfreiwillige Tourist ihn jetzt entbehren. Da war eine, die sich geradezu mütterlich seiner annahm, daß ihm mit einmal leicht wurde und daß es ihm gleich danach wie ein lächerlicher Traum erschien, wie er sich vor kurzem noch habe einreden lassen, er sei nicht seines in wonnigem Bangen zuckenden Herzens wegen hierhergereist. Nein, er wußte es schon wieder genau, was es galt. Übrigens meinte jetzt Herr Enzinger, der endlich auch zu sprechen anfangen konnte, er, Gustav, werde heute noch einen guten Tropfen kennen lernen, worauf dieser ein munteres Wort zurückgab, und so ward es ihm, während er zwischen den beiden würdigen Alten dahinschritt, ganz heimelig zumute: er fühlte sich in guten Händen. Der Weg indes ging schnurgerade dem Orte der Erfüllung zu, einer Meierei, die ihr Trinkbares aber nicht nur in Kübeln und Zubern, sondern auch in guten, alten Kellerfässern barg.

Dort saß er nun mit dem wackeren Paare, dem sich zwei oder drei andere Gäste zugesellten, an einem Tischchen in der Ecke der Wirtsstube wie ein längst erwarteter, willkommener Besuch, überaus gespannt und nur mit halbem Ohr bei den Gesprächen der Runde, während Frau Enzinger ihm noch ein und das andere aufklärende Wort zuzuflüstern wußte. Seine Blicke aber gingen durch das niedere Doppelfenster der Stube auf die Straße hinaus, die die späte Sonne des kühl werdenden Aprilabends vergoldete. Dort mußte sie kommen. Was würde er sehen? Ging er nicht einer lächerlichen Enttäuschung entgegen? Immerzu! Es war doch ein Erlebnis und –: »Sie ist schön!« hatte Frau Reinelt gesagt.

»Da sind sie!« Er empfand einen gelinden Rippenstoß und das Herz schlug zur Höhe, während er draußen etliche Gestalten und Damenhüte sich heranbewegen sah. Und die Tür ging auf. Eine ansehnliche Frau in städtischer Kleidung trat ein. Das war die Mutter, er wußte es sofort. Zwei andere Frauen und einige Mädchen folgten, dann noch Knaben und ein älterer Herr, den er schon unter der Türe »Herr Oberlehrer« anreden hörte. Man nickte einander mit freundlichen Grüßen zu und dann nahm die weite Fensternische mit ihrem großen, runden Tisch nach mehrmaligem Wechseln und Vertauschen der Plätze, etlichem Schieben und Rücken die neue Gesellschaft in ihrer vergnüglichen Munterkeit endlich vollzählig in sich auf.

Welches ist sie? Frau Enzinger war angelegentlich bemüht, sie ihm nach Platz, Tracht und Haar kenntlich zu machen, aber die jungen Köpfe dort drüben saßen dicht gedrängt, ein paar der Mädchen trugen gleiche Kleidung, auf die er sich übrigens ohnehin nicht sehr verstand, blondes Haar hatten sie alle und der Abend dunkelte die Stube immer mehr und mehr aus allen Ecken. Doch das gab jetzt ein wunderbares Bild, ein Gemälde in Helldunkel, in dessen Anschauen Gustav seine Vertröstung, beinahe einen vorläufigen Ersatz, zu finden vermochte: den breiten Fensterrahmen füllte überwältigend, herrlich das gleißende Gold des Sonnenunterganges. In der dämmerigen Stube gab es nur mehr ein mattes Leuchten und bloß zwei Dinge spielten in derselben Farbe mit: das waren die vollen blonden Haare der Mädchen und das war das helle Bier, das sie in den Gläsern vor sich stehen hatten. (Denn in Wirtschaften trinken Mädchen nachmittags gerne Bier, während Frauen und von Männern die alten wie die jungen den Kaffee vorziehen.) Das war ein Gold in allen Stufen, goldiges Rot, Braun, Gelb von allen Arten, an dem er sich nicht sattsehen konnte.

Als die Farben verblaßten und die Lampen entzündet wurden, erhob sich Frau Wegrath und kam heran, die Enzingerschen Leute zu begrüßen. Gustav wurde vorgestellt und weil dabei, wie durch Zufall, ein Sitz an seiner Seite frei geworden, nahm ihn die treffliche Frau ein, so daß sich das Gespräch bald vom Allgemeinen loszulösen vermochte und zwischen der verehrten Nachbarin und ihm allein hin und her ging. Halt dich wacker, sagte er sich, jetzt wirst du geprüft! Und er redete von der Frau Reinelt und von der Landschaft hier, die er noch wenig kenne, von Ausflügen und von seinen Verhältnissen, seiner Stellung und Familie, horchte aufmerksam auf alles, was ihm gesagt wurde, und hatte dabei den Eindruck, einer immer freundlicheren Teilnahme zu begegnen.

Dann sagte Frau Wegrath, daß sie nun mit der Wirtin eine Abrechnung zu pflegen habe, stand auf und rief zu der Fensternische hinüber: »Olga, setz dich hieher!« Und Olga kam. Nicht gleich, nach einem Weilchen erst. Aber bei Gott, das war ja die, beinahe die, die er gestern im Konzert gesehen hatte! Hoch, schlank, fein und schön. Und nun saß sie auch schon neben ihm, dem die Rede jetzt freilich nimmer so leicht von den Lippen ging, wie der Mutter gegenüber. Auch bekam er ihre Augen kaum zu sehen. Warte nur, du wirst schon heimlicher werden! dachte er. War es ihm doch, als gehöre sie bereits zu ihm, so wunderbar hatte sich das alles getroffen und gefunden. Daß ihm die Schöne, die, wie von Göttern hergetragen, nun an seiner Seite saß, nicht recht Gehör schenkte, daß sie Gespräche nach der andern Seite und über den Tisch hinüber suchte, machte ihm geradezu Spaß. Die Mutter ist für ihn, das Kind ist noch nicht so ausgereift, bedarf noch einer Lenkung in seinem Fühlen, Denken und Erkennen, aber das wird schon werden! Olga, du bist es, und wenn du jetzt auch noch wegstrebst, ich verliere dich nimmer! Schon hat sich ein leises Kettlein um uns gelegt – ich muß Nachsicht haben, und das kann mir nicht schwer fallen, denn du bist, du bist die Meine!

Er verging ganz in Anschauen, raffte sich zeitweilig wieder auf, an der allgemeinen Unterhaltung teilzunehmen, wie einer, der seine Sache geordnet hat und sich nun auch mit Nebensächlichem abgeben darf, indem er sich gleichzeitig auch zu aufmerksamer Erkenntlichkeit gegen den Kreis der Anwesenden, in deren Mitte er sein Glück gefunden hatte, verpflichtet fühlte. Als dann Frau Wegrath zurückkam, wurde der Vorschlag laut, die beiden Gesellschaften, jenem der Fensternische und die in der Stubenecke, sollten sich in der Mitte des Zimmers an einem großen Tische zusammentun. Olga war die erste, die aufsprang, und als Gustav dann seinen Platz neben ihr suchte, fand er sie schon durch einige Freundinnen so eingekeilt, daß er am fernsten Ende vorliebnehmen mußte. Von dort aber bestärkten ihn seine Blicke in den früheren Empfindungen, und als dann schließlich ein gemeinsamer Ausflug für den morgigen Sonntag vorgeschlagen und erörtert wurde, sah er sich schon ganz am Ziele seiner Hoffnungen.

Bald danach fing man an, sich zu verabschieden und er sah nach seiner Uhr: Das war doch ein glücklicher Tag! So spät schon und er hatte nicht gemerkt, wie die Zeit dahinflog! Eigentlich war es ihm ein paarmal schon am Nachmittage so ergangen: wie von einer Zaubergewalt getrieben, eilten diese Stunden. War das das Zeitmaß des Glücks? Als er dann nach einem allzu raschen Abschied, wie in herzlichem Einverständnis hatte er Olgas Hand gedrückt, allein war und das Zimmer aufsuchte, das für ihn im Hause besorgt worden war, erfuhr er freilich, daß in seiner Taschenuhr etwas nicht in Ordnung sein müsse: sie hatte sich ein eigenes Zeitmaß herausgenommen. Das verstimmte ihn, er wußte selber nicht warum (weil er nun die Erlebnisse dieses Tages nicht mit der Stunde ihres Eintritts in der Erinnerung festhalten konnte?) und im ersten Halbschlummer, nachdem er vorher lange in die immer unruhiger werdende Nacht hinausgeblickt, hörte er das Krachen der Dielen, das Anschlagen der Fensterläden, das Schüttern der Tür und unausgesetzt Schritte gehen irgendwo, doch raffte er sich nicht auf, die Flügel zu schließen und irrte in einer Traumwelt umher, die ihm die Ärgerlichkeiten des Alltags gehäuft darbot: die ungestüm vorauseilende Uhr; sein Augenglas, er trug gar keines, fällt zu Boden und bricht; er redet ungeschicktes Zeug, verspätet sich auf dem Gang zum Dienst, hat mit der kleinen Rosi Haschen gespielt, so daß sie gestürzt ist und sich im Gartenkies blutig geschlagen hat; der Spruch, den er vor einigen Tagen über Ahnenkult geschrieben, ist in die Öffentlichkeit gedrungen und hat ihm heftige Kontroversen und den Spott seiner Freunde eingetragen – eins ums andre in Fülle und Wirrnis, und dahinter lauern die Bitterkeit und der Kummer – – und leuchtet ein Schimmer jenes Glückes, das er heute lächeln gesehen. Wahrhaftig, solche Augen muß sie haben, so tief, so schön müssen sie sein! Wo wird ihn endlich ein Strahl aus ihren Seelentiefen treffen? Ja, einmal hat er sie heute, für das Teilchen eines Augenblickes nur, aufglänzen gesehen, daß es ihm durchs Herz fuhr – wann war das nur? Sinnen muß er darüber, bei welchem Wort es gewesen, angestrengt darüber nachdenken will er im Schlaf, aber ein loses Fantasieren bringt ihn immer wieder ab, Fernes, Fremdes, Vergessenes, Verlorenes drängt sich heran und endlich erlöschen sie ganz, die Lichter dieser unheimlichen, lockenden, schrecklichen, süßen Welt. Die Träume zerrannen und er schlief dann ruhig und fest dem kommenden Morgen entgegen. Ruhig und fest. Er hatte es nötig.

Am Vormittage regnete es. Nicht so stark, daß sich Mutigere hätten abschrecken lassen. Allein Olga fürchtete für ihr Kleid, und nachmittags würde es besser werden, sagten die Wetterkundigen. Also sie wollte sich schön machen für ihn und weil nun ein Teil der Gesellschaft, die sich verabredet hatte, doch abzog, so blieb Gustav die Aussicht, in dem kleineren Kreise, der nach Tisch folgen wollte, um so eher die Nähe der Geliebten zu finden.

Und es traf sich alles aufs beste. Nachdem er sich die Regenzeit so gut als möglich vertrieben, sah er sie in der dritten Nachmittagsstunde wieder. Er war etwas betroffen. Enttäuscht? Fremder wohl, als er erwartet hatte, mutete ihn ihr festliches Bild jetzt in der hellen Sonne an. Was indes sehr begreiflich ist, wie er sich sagte, indem er zugleich eine innere Gebundenheit, eine innige Bereitwilligkeit zu gleichem Herzschlag, Ausgang und Grundlage aller wahren Liebe, fest und deutlich in sich fühlte. Sie konnte ihm jetzt auch nicht, oder wollte nimmer entwischen. Die Mädchen gingen voran, die Frauen folgten und er merkte, wie es die Mutter gerne sah, daß er sich jenen anschloß. Das Kind, das ihn zuletzt von Olga, auf der andern Seite hatten sich ein paar Freundinnen an sie gehängt, noch trennte, hatte nichts weiter zu sagen. Tatsächlich ging er neben ihr, erzählte und horchte und wirklich, sie ging auf manche seiner Reden ein, stellte selber ein und die andre Frage, wenn er auch eine merkwürdig trockene, eigentlich ohne alle Verbindlichkeit sich gebende Art merkte, in der sie Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm und sich aufzurichten bestrebt war.

Ihr Weg führte einer bewaldeten Anhöhe zu durch fruchtbares Gelände, in dem ab und zu ein Bauerngehöfte lag. Jedes von diesen hatte neben Fruchtfeldern und Baumgärten ausgedehnte Gemüsebeete, deren reinlicher Wohlstand immer wieder zu betrachtendem Verweilen einlud. An einer Stelle gab es ein Spargelbeet und die kleine Zwischennachbarin des seltsamen Paares konnte sich nicht genug darüber wundern, daß hier Blumentöpfe gewissermaßen auf dem Kopf standen und doch dem Wachsen und Knospentreiben dienen sollten. Der immerhin nicht sehr ergiebige Gesprächsstoff war eben wieder versiegt und Gustav hielt es für das beste, nach dem zu greifen, was am Wege lag. So holte er ohne besonderen Aufwand an Geistesschärfe und Witz zu der anregenden Frage aus: »Essen Sie gerne Spargel, Fräulein?«

Vielleicht war der Ton dieser Frage etwas geringschätzig ausgefallen, um so lebhafter erwiderte Olga: »O sehr gerne, leidenschaftlich!«

Nun war er aber selber ein gewaltiger Schätzer dieses delikaten Gerichtes und solche Gemeinsamkeit des Geschmackes erfüllte ihn mit Wohlbehagen, verhieß auch verständnisvolles Genießen zu zweien in der künftigen Häuslichkeit.

»Da passen wir zusammen!« rief er, »ich weiß mir im Sommer beinahe auch nichts Besseres auf dem Tisch als ,…«

»Ja, das heißt,« unterbrach sie ihn rasch, »wenn er, der Spargel ,… Ich kann schon auch leben ohne ihn und eigentlich ist er doch nur fades Zeug.«

Ein Hauskätzchen strich mit gekrümmtem Rücken den Zaun entlang. Gustav spitzte die Lippen, aber vorher mußte er doch wieder fragen: »Fräulein, haben Sie die Katzen gern!«

»Freilich. Miez! Miez!«

»Sehen Sie, ich habe sie auch sehr gern,« sagte Gustav und hob das Tierchen zur Höhe. »Das ist doch ein liebes, zierliches Geschöpf, nicht wahr?«

»Mhm,« machte Olga. »Eigentlich mag ich nur die alten Kater, diese dicken Ofenhocker, die so dumm und gleichzeitig so gerieben in die Welt blinzeln.«

»Ah, beides nicht, nicht dumm und nicht hinterlistig. Durch diesen Allerweltsglauben sollten Sie sich ihre Vorliebe nicht verkümmern lassen. Wer weiß, was für gemütlichen Dingen diese Tiere nachhängen, wenn sie so mit halbgeschlossenen Lidern zur Sonne gucken. Mir sind sie immer als das Urbild beschaulichen Behagens und Genießens erschienen und ich begreife nicht, warum so viele Menschen sie gar nicht leiden können.«

»Weil sie doch nur falsche Bestien sind!« Es war ein kleines Zischen in diesen Worten und zugleich bekam das arme Kätzchen, das sie an sich genommen hatte, einen so unsanften Schlag, daß es erschreckt Reißaus nahm.

Das war doch merkwürdig. Daraus war nicht klug zu werden. Wie verhielt sie sich nun eigentlich zu den Katzen? Und aß sie Spargel gern oder mochte sie ihn nicht? Beinahe hätte sich ihr Gesellschafter jetzt noch zu einer dritten Ausforschung verstiegen: Da, auf den Stufen des Hauses saß ein kleines blondlockiges Bauernkind mit blauen Augen und lallte ihnen freundlichen Gruß entgegen. Beinahe hätte er jetzt auch noch gefragt: »Sind Sie eine Kinderfreundin?« Allein die Frage stockte und zur gleichen Zeit drängte sich jetzt etwas anderes in ihm hervor, was ihn ganz erfüllte: Er wußte nicht, was zuerst geschehen war, aber auf einmal waren seine Gedanken bei dem heutigen Traum und wie er sich gefragt hatte, wann er ihre Augen für eine Sekunde aufleuchten gesehen. Jetzt wußte er's, genau so war die Helligkeit und Freude in ihnen aufgesprungen: Das war, als er gestern seinen Reisebegleiter Hermann Kiesling genannt hatte, und wahrhaftig, der kam ihnen in diesem Augenblick hier entgegen, dort droben auf demselben Weg kam dieser seltsame Mensch, aus dem kein erwünschtes Wörtlein herauszubringen gewesen war, der ihn im Konzertsaal und dann auf der Eisenbahn so unerklärlich im Stich gelassen hatte, kam daher, schwenkte seinen Hut und war ganz anders anzusehen als an den vorausgegangenen Tagen. Nun schon hatte er Olgas Hand in der seinen, Olga plauderte mit ganz anders klingender Stimme und ehe Gustav seine Sinne zu einem Ausdruck der Verwunderung gesammelt hatte, war jener, nach flüchtiger Begrüßung und nachdem er den anderen, weit Zurückgebliebenen zugewinkt, mit ihr schon weit voran. Da gingen sie nun, die beiden, und obwohl der Weg immer steiler wurde, schritten sie wie beschwingt dahin, daß Gustav die Augen überzugehen drohten. Er hatte auf einmal nur mehr das kleine Mädchen an seiner Seite und dieses sagte jetzt ebenso teilnahmsvoll als schonungslos: »Ist es Ihnen denn hier zu steil? Sie keuchen so!«

Ein Weilchen nur hielt er an und sah zurück. Dann aber gingen seine Blicke gleich wieder den Aufwärtseilenden nach, die ihm im nächsten Augenblick im Grün zu entschwinden drohten.

Da war es dann sehr schön, wie sich auf einmal eine schwere Hand auf seine Schulter legte und eine fette Stimme sagte: »Nicht so schnell, Herr Nachbar, ein bisserl ausschnaufen! Tut uns allen Zweien nicht gut, das Laufen.«

Mölzer kannte den Mann nicht. Aber der hatte sich wahrscheinlich den Ausflüglern angeschlossen und machte nun mit Recht Anspruch auch auf seine Gesellschaft und Begleitung. Und ihn zum Weggenossen zu haben, lohnte sich wirklich. Erstens war da allerlei Wissenswertes über Bergsteigen und Bewegung, Stoffwechsel, Gewichtsveränderung und Transpiration zu erfahren, dann aber hatte der Mann auch vielleicht nicht ganz neue, aber in sehr persönlicher Färbung zum Ausdruck kommende Meinungen und Ansichten über Steuern und Steuerzuschläge und Landesumlagen, worüber bekanntlich nicht auszureden ist, und so redete er fort den ganzen übrigen Weg und auch droben noch, als sich die vollständige Gesellschaft, er und Gustav, Hermann und Olga, Frau Wegrath, die Mädchen und die andern und endlich auch die, die schon vormittags aufgebrochen waren, zusammenfand und an den gedeckten Tischen einer Wirtschaft unter schattenden Bäumen saß. Er mußte Gustav besonders liebgewonnen haben und diesem war es allmählich auch ganz einerlei geworden, ob auf ihn wer einsprach oder ob man ihn stille sitzen ließ. Er sah nur noch Frau Wegrath ein erstauntes, betroffenes Gesicht machen und erregte, leise Gespräche mit ihren Nachbarinnen führen.

Für ihn war es klar, daß er seinen Zug nicht versäumen dürfe. Aber der andere konnte ihn in der drohenden Dämmerung nicht allein gehen lassen und führte ihn einen abkürzenden Weg nach dem Bahnhof hinunter, der sein besonderes Geheimnis war. Dem neuen Freund indes verrate er es gerne, er solle sich's auch künftig zunutze machen, aber niemanden etwas davon erfahren lassen.

Ehe der Zug einfuhr, versicherte er Gustav noch im besondern, wie wert ihm die neue Bekanntschaft sei und wie sehr er sich freue, sie gemacht zu haben. Er sagte schließlich sogar die vertrauensvollen Worte: »Hoffentlich behalten auch Sie diesen Tag in guter Erinnerung!«

Damit fuhr Gustav nach Wien zurück.

*

Frau Reinelt war fassungslos, als sie am andern Tage diesen Ausgang erfuhr.

»Das hätte ich Hermann nie zugetraut,« rief sie ein ums andre Mal.

»Es war so, als ob er von meiner Sache gar nichts gewußt hätte,« meinte Gustav resigniert.

Herr Reinelt kam hinzu: »Nur Kopf hoch, junger Freund! Was heute nicht ist, kann ein andres Mal werden.«

»Wie, Sie wüßten ,…?«

»Na, glauben Sie, meine Frau kann ein Geheimnis behalten? Und was Sie für Erfahrungen gemacht haben, das sieht man Ihnen ja schon auf hundert Schritte an.«

Er ließ sich den Hergang kurz berichten und schnippte dann mit den Fingern: »Das gefällt mir! Muß ein strammer Kerl sein, diese meine künftige Schwägerin Hildegard oder wie das Mädel heißt. Ich bin schon sehr neugierig auf sie.«

»Red' nicht so!« zürnte seine Frau. »Ich werde sie gar nicht anschauen können.«

Aber Herr Reinelt fuhr fort: »Nein, das war nicht der rechte Weg, mein lieber Herr Mölzer. Sie werden das brave Weiblein finden, das Ihnen gebührt, aber da wird es ganz anders hergehen und Ihre Hausfrau und deren Tante und weiß ich wer noch werden damit nichts zu tun haben. Sie werden das reizende Dinglein ganz allein und im geheimen kennen lernen. Und einmal auf einem Hang des Kahlenbergs bei sinkender Sonne werden Sie ihr Köpfchen zwischen den Händen halten und sie küssen, daß ihr Hören und Sehen vergeht. Und werden dazu ganz verrückt immer wieder und wieder stammeln: Liebe Anna, du liebe, liebe Anna! Diesen guten Namen wird sie nämlich führen. Da wird sie sagen: Ach! (Merken Sie auf: Ach!) hast du denn diesen Namen so gern? Ich mag ihn gar nicht! – Wie möchtest du denn heißen? werden Sie fragen. – Ganz anders! Anna ist so gewöhnlich. Etwas wie Adelgunde, Mechthildis, Roswitha, Gunthilde. – Vielleicht nicht auch Hildegard? werden Sie atemlos hervorstoßen. – Ja, auch Hildegard! Da werden Sie jubeln und in einem fort rufen: Du bist sie schon, du bist sie, die rechte und die ich gesucht habe.«

»Was Sie für schöne Geschichten wissen,« sagte Gustav matt lächelnd.

In diesem Augenblick guckte die kleine Rosi aus der Tür.

»Rosi, komm her,« rief der Vater, »sag dem Herrn, er soll kein so saures Gesicht machen, wenn ich ihm von seinem zukünftigen Glück erzähle!«

Aber das wollte das kleine Fräulein just eben nicht. Sie schüttelte den Kopf und fing, da sie der Vater holte, zu strampeln und so gottsjämmerlich zu heulen an, als ob sie auf einem Spieß stecke. Die Mutter verwies ihr diese Bosheit.

Herr Reinelt aber hielt sie, die sich umsonst zu entwinden suchte, vor sich hin und ergötzte sich an diesem elementaren Ausbruch von Kraft und Leidenschaft.

»Sehen Sie, das gehört auch zu den Freuden des Ehestandes!« rief er laut lachend.

*


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