Peter Hille
Skizzen
Peter Hille

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Darum

Es gibt einen Tag, da fragt man sich: »Was haben die Bäume wohl?«

Es ist ganz ruhig. Sommerlich liegt die Flur, noch dicht sind die Wipfel. Da muß ein Gespenst durch die Natur gehen. Nach allen Seiten beugen die Bäume sich. Gewinsel, fast der Schrei einer menschlichen Angst.

Nun bewegen sie sich auch länger eintönig fort – wie die Juden in der Synagoge. Dann kommt der Herbst noch lange nicht. Ein Tag wie der andere: sie spinnen sich hin in der Korpulenz der langsamen Abschräge, des während der Gewohnheit sich verlierenden Lebens.

Noch lange kann alles unverändert bleiben. Tag für Tag wandelt behaglich über die Fluren wie ein Eigentümer über sein Grundstück.

Aber die Natur wird nicht mehr froh. Sie leidet, leidet seit diesem Tage. Ihr widerfährt noch nichts. Alle Blätter sind noch grün. Sie lärmt nicht.

Ich besuchte einen Freund. Er war aus auf seinen Kalkwerken. Ich konnte mir denken, wie er dort umherging: von der roten schwitzenden Stirn schob er die graue Mütze zurück, um sich geschäftig zu krauen, wie man das gewöhnlich tut, über der linken Schläfe.

Er dachte dann lange, sah sich um, sprach ein wenig und ging dann weiter mit steifen, unten ausschlenkernden Schritten, die kleine Steine häufig aus dem Weg schleuderten.

Lauchartig riechende Gase mit dem graudurchsichtigen Rauche, gleich den gesprenkelten, gleichsam plattgeschlagenen Flaschen, welche die Jäger so gern haben, stiegen aus den weißglühenden Kalkmassen.

Wie schwere Lastknechte, die Hand auf dem Gurt, standen die braunen Güterwagen auf dem Zweiggeleise und ließen sich beladen. So empfing mich denn seine Frau. Müde, feierlich und fremd ruhte das Dorf. Denn hier war das Gut, und davon ist ein Dorf getrennt wie ein anderer Stand. Der Stand eines anderen Lebens. Einige Tauben flogen vom Dorfe ab und setzten sich blendend auf die sanft eingewölbten Scheunendächer. Sie fühlten sich hier mehr in ihrem Elemente.

Friedlich träge stand noch das Kaffeegeschirr. Um mich hatte ich die Kinder, die sich schnell mit mir befreundet hatten; eins hatte meine rechte Hand gefaßt, das andere die linke und ein drittes saß auf der Fußbank vor mir. Es hieß auch Maria. Ich aber war nichts weniger als ein Christus.

So ein hohler, blauer, fester, gleichsam gebauter Tag, wie der Sommerherbst sie hat.

Er scheint so leicht einzuschlagen; die Gewitter tun das auch, schlagen ihn ein.

Alles erscheint so nahe, so derb heran, aber auch dem Bruch so nahe.

Über die grünen Formen des Gartens ging das schwarze Gesteck einer Eisenbahnbrücke. Dahinter kletterte eilig dünnkittliger Buchenwald hinan. Wir sprachen ganz heiter, langsam, lebenbeschauend.

Da, ohne Anlaß, mit einemmale ihr Gesicht ganz bestürzt von Tränen. Wo sie hergekommen waren, wußte man nicht. Dann war es auch vorbei. Sie hatte nicht einmal geschluchzt. War wohl selbst bestürzt davon. So sehr hatte sie ein tiefer Grund, der Grund der Vergänglichkeit, das Leid der Welt geregt.

Bestürzt sahen die Kinder auf. Ich aber fragte nicht. Dem Reisenden sieht der Tod ins Gesicht. Ihr Mann hatte wohl nichts davon gespürt. Auch ich habe bis nun kein Zeichen weiter vernommen.

 


 


 << zurück weiter >>