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Vendetta

(1911)

Der Medizinalrat an die Professorin.

»Heute Abend, theure Freundin, muß ich Ihnen leider untreu werden. Ein berühmter Berliner College, seit den Universitätsjahren mir befreundet, trat heut Nachmittag auf der Durchreise bei mir ein, und da er morgen weiterzieht, muß ich ihm meinen Abend widmen. Um Sie aber für unsre Schachpartie zu entschädigen, schick' ich Ihnen etwas Lectüre, eine Novelle, die mir eine meiner Patientinnen empfohlen hat. Sie werden mir sagen, ob ich sie lesen soll, obwohl ich sonst so selten zu etwas Belletristischem komme.

»Herzlich grüßend

Ihr ältster getreuster
R. W.«

– – – – – –

In der Nähe von Faenza, kaum weiter als anderthalb Miglien von der Stadt entfernt, liegt ein großes Landgut, das sich seit mehr als hundert Jahren im Besitz der Grafen Salimbeni befindet. Das ansehnliche alte Herrenhaus erhebt sich auf einer Anhöhe, zu deren Füßen die Hütten der Bauern verstreut liegen, einer armen Gemeinde, die von dem Ertrag ihrer Mais- und Kornfelder die größere Hälfte dazu verwenden muß, den Pachtzins für die Herrschaft aufzubringen. Diese, die ohnehin reich ist, braucht ihn dazu, in den Wintermonaten ein verschwenderisches Leben in der Stadt oder in Florenz und Rom zu führen und läßt sich nur in den heißen Monaten auf ihren Landsitz hinauslocken, die Kühle in dem großen Garten hinter ihrem Hause zu genießen. An diesen stößt ein Olivenwald, der sich weit über den Hügelzug erstreckt, bis an die Station der Eisenbahn, eine Viertelstunde von dem gräflichen Gut entfernt.

Die Bewohner des Dorfes führen ihr dürftiges Leben heute noch wie vor langen Jahren in stumpfsinniger Genügsamkeit, als sei es eben der Rathschluß Gottes, daß sie von Polenta und saurem Wein leben sollen, während die Herren sich keinen üppigen Lebensgenuß versagen. Die aufwiegelnden Lehren der Sozialisten sind bis in diesen abgelegenen Winkel der Welt noch nicht vorgedrungen, das Klima ist selten rauh, und der Steuereinnehmer hat von der gräflichen Herrschaft die Weisung, beim Eintreiben der Pacht nicht die äußerste Strenge walten zu lassen. So bestand zwischen den Bewohnern des Herrenhauses und denen der Lehmhütten ein patriarchalisches Verhältnis, und gewisse gräfliche Familienfeste wurden von den Dorfleuten mit Böllerschüssen mitgefeiert, während sie hinter der niederen Parkmauer sich schaarten, um sich am Feuerwerk und der Musik kostenlos zu ergötzen.

Mehr noch als die früheren Gutsherren war der gegenwärtige, Graf Carlo Salimbeni, beliebt, ein schöner, stattlicher Herr von einigen dreißig Jahren, der, wenn er zur Villeggiatur herausgekommen war, sich mit Vorliebe dem Jagdvergnügen ergab, allein oder in Gesellschaft seiner adeligen Nachbarn und Freunde aus der Stadt. Dann ging es hoch her in den reichen Sälen des Schlößchens, wie die Bauern das Haus auf dem Hügel nannten, aber Graf Carlo verstand es nicht bloß zu leben, sondern auch leben zu lassen, ein Faß Wein wurde hinuntergerollt und die Überbleibsel der Tafel an die Ärmsten ausgeteilt.

Auch die Frau Gräfin ließ es an Beweisen ihrer milden Gesinnung nicht fehlen. Sie war eine reiche Erbin aus dem Hause Camponuovo, schön wie eine blonde Madonna, und hatte noch sehr jung ihren Vetter geheirathet, obwohl er im Ruf eines unverbesserlichen Weiberverführers stand. Doch die Weissagung, ihr Gemahl werde es in der Ehe nicht sittsamer treiben als vorher, erfüllte sich nicht. Wenigstens konnten die bösesten Zungen nichts aufbringen, was der jungen Gräfin hätte Kummer machen können, und nur Eines trübte zuweilen ihre großen veilchenblauen Augen, daß sie schon fünf Jahre verheirathet war und dem Hause Salimbeni noch keinen Stammhalter geschenkt hatte, während die Luft dieser Gegend dem Aufblühen eines jungen Geschlechtes günstig genug war, so sehr, daß es in der Dorfstraße von schwarzäugigem kleinen Gesindel wimmelte, was die Gräfin manchen Seufzer kostete, wenn sie einmal genöthigt war, zu Fuß oder im Wagen an den niederen Häusern vorüberkommend, zu sehen, wie gerade den Ärmsten oft ein Schatz beschert war, den sie entbehren sollte.

Zu diesen gehörte auch ein gewisser Battista Brusco, der einen mäßigen, mit Kohl und Kartoffeln bepflanzten Ackergrund und einen bescheidenen Nebengarten besaß, von deren Ertrag die Familie sich nicht ernähren konnte. Er wanderte deshalb mit jedem Frühjahr nach Norden, um in Deutschland oder der Schweiz als Maurer oder Bahnarbeiter Arbeit zu suchen und den ersparten Lohn dann, wenn es auf den Winter ging, seiner Frau nach Hause zu bringen.

Diese, Orsola geheißen, war eines der schönsten Mädchen des Dorfes gewesen, als er sie mit vierzehn Jahren heirathete. Noch jetzt, nachdem sie ihm drei Kinder geboren, lauter Mädchen, von denen das älteste, Rosa, schon acht Jahre alt und zur ersten heiligen Kommunion gegangen war, konnte ihr Mann stolz auf sie sein, wenn er sie in ihrem Sonntagsstaat, so bescheiden der war, zur Kirche führte. Dabei hatte sie für gewöhnlich einen stillen, gleichmüthigen Ausdruck, da ihr Blut nicht eben lebhaft und ihre Gedanken nur mit der harten Arbeit und der Sorge für ihre Kinder beschäftigt waren. Wenn sie aber einmal lachte oder ein wenig mehr Wein an einem Festtag getrunken hatte, war ihr Gesicht trotz ihrer dreiundzwanzig Jahre so reizvoll wie das des jüngsten Mädchens, und selbst ihr Mann, der für gewöhnlich über sein Weib sich nicht viel Gedanken machte, konnte sie plötzlich umfassen und ein paar heftige Küsse auf die vollen Lippen drücken, hinter denen die kräftigen weißen Zähne glänzten.

*

Nun war's an einem Nachmittage im Spätherbst, daß Gräfin Teresa sich in ihrem Gartensaal befand, auf einer Chaiselongue ruhend, einen französischen Roman in der Hand.

Der große Raum, dessen Decke mit einem alten Freskogemälde geziert war, trug die Spuren einer Ausstattung aus früherer Zeit, das Ruhebett und die Sessel waren mit verblichenem blauen Seidenstoff überzogen und die Vergoldung an den Füßen vielfach angerostet. Der jetzige Hausherr hatte Alles so lassen wollen, wie er es als Knabe bei seinen Eltern gesehen, und nur ein schöner neuer Flügel war aus Paris herbeigeschafft worden. Denn die junge Gräfin war eine leidenschaftliche Musikfreundin und selbst eine treffliche Klavierspielerin. Auch hielt sie sich am liebsten hier auf, da die große Glasthür sich nach der Terrasse öffnete, über die man in den Garten hinunter gelangte. Wenn die Abendsonne in das weite Gemach hereinschien, konnte sie stundenlang hier sitzen, in ihre schwermüthigen Gedanken vertieft, wie anders dies Alles sich ausnehmen würde, wenn lebhafte Kinderfüße über die Gartentreppe heraufkämen und sie Kinderliedchen am Flügel begleiten könnte.

Heute kam kein Sonnenstrahl über die Terrasse herein, Scirocco lag schwer über dem Garten, und obwohl die Glasthür offen stand, war die Luft im Saal beklommen. Man konnte von der Schwelle aus auf den runden Platz hinabsehen, in dessen Mitte sich ein Springbrunnen erhob, ein Triton, der einen kräftigen Wasserstrahl aus gewundener Muschel gen Himmel sandte. Ringsum blühten hochstämmige Rosen, zwischen denen Lilien schimmerten, dahinter öffnete sich eine breite Allee dunkler uralter Cypressen, aus der man in einen großen Obstgarten trat. An den Bäumen dort hingen noch verspätete Orangen, eine Fülle edler Äpfel und was man von der Weinlaube noch nicht abgeerntet hatte. Das Alles aber war wie mit einem zarten fahlen Schleier überzogen, da der Himmel voll grauer Wolken hing.

Die junge Frau im Gartensaal schien das Fieber, das der Scirocco in ihrem Blut erregte, nicht länger in der Ruhe zu lassen. Sie erhob sich mit einem leisen Seufzer von ihrem Pfühl, das Buch glitt ihr aus der Hand, und sie trat mit schlaftrunkenen Schritten an die offene Tür, Kühlung zu suchen. Ihr reiches blondes Haar hatte sich beim Aufstehen gelöst und fiel ihr über die schlanken Schultern hinab, ohne daß sie es achtete. Das wasserblaue Kleid, das sie trug, war mit einem schmalen goldenen Gürtel hoch unter der noch mädchenhaften Brust zusammengehalten, die weißen Arme bis an die Ellenbogen entblößt. Wer sie zum ersten Mal erblickte, hätte ihr kaum mehr als achtzehn Jahre gegeben.

Als sie eine Weile so gestanden und vergebens auf einen erquickenden Hauch von draußen gewartet hatte, trat sie wieder herein und wandte sich zu dem offenen Flügel, der die Fensterseite eines geräumigen Erkers einnahm. Ein Heft Chopin'scher Nocturnes lag aufgeschlagen auf dem Pult. Sie blätterte ein wenig darin, schloß es dann aber und begann einige Passagen auf den Tasten zu greifen, bis sie dann zu einer alten Melodie überging und sich in ein leidenschaftlich bewegtes Improvisieren verlor.

Da öffnete sich die Tür hinter ihr, die ins Innere des Hauses führte. Ein grauhaariger Diener in einer alten Livree trat leise ein, hustete, als die Herrin sein Kommen überhörte, und sagte dann laut: Scusi, Signora Contessa –

Was gibt's, Momo? fragte die Herrin, im Spiel fortfahrend.

Ich möchte nur melden – der Battista ist draußen, Battista Brusco, fragt, ob die Padrona ihn empfangen wolle.

Das Spiel verstummte noch nicht.

Laß ihn kommen, Momo. Er wird mich unterhalten und von draußen erzählen.

Der Diener verschwand. Gleich darauf öffnete er wieder die Tür und ließ den Besucher eintreten, der mit einer unbeholfenen Verbeugung nahe an der Schwelle stehen blieb, seinen verschossenen braunen Filzhut in den Fäusten drehend.

Er trug einen alten, sauber gebürsteten Anzug, in dem er die Reise von der Schweiz heraus gemacht hatte, eine graue Jacke und verschlissene braune Sammethosen, die in weiten Falten die Schenkel umschlossen, dazu graue wollene Strümpfe und verschnürte Schuhe. Aus dem weißen Hemde hob sich der starke braune Hals, auf dem ein ebenfalls sonnverbrannter dicker Kopf saß mit festen, nicht unsympathischen Zügen, die nur durch das verwilderte schwarze Haupthaar und den dunklen Bart, der fast bis zu den Augen reichte, dem stämmigen Menschen einen unheimlichen Ausdruck verliehen.

Von den verbissenen Lippen kam kein verständlicher Laut, nur ein dumpfes Knurren wie von einem bösen Hunde.

Die Gräfin ließ die Hände von den Tasten sinken, stand auf und wandte sich zu dem Eingetretenen um.

Guten Tag, Battista! sagte sie, ihm freundlich zunickend. Das ist schön, daß Ihr wieder nach Hause gekommen seid. Orsola wird sich freuen, Euch wieder zu haben, und die Kinder, denen der Babbo gewiß Spielzeug aus der Schweiz mitgebracht hat. Ich freue mich immer, wenn ich ihnen im Dorf begegne. Die Rosa werdet Ihr gewachsen finden, es ist gut, daß sie so brav und verständig ist mit ihren acht Jahren und ihre kleinen Schwestern behüten kann, wenn die Mama über Tag auf Arbeit ist. Und was Ihr an dieser Frau habt, werdet Ihr selbst am besten wissen. Auch in meinem Hause loben sie Alle, wenn sie herauskommt, so oft es einmal viel Arbeit gibt, etwa bei der Wäsche zu helfen oder wenn wir viel Gäste haben. Und dabei ist sie noch so hübsch und blüht wie eine Rose.

Sie schwieg und wunderte sich, daß er noch immer stumm blieb. Es arbeitete etwas in ihm, das seine stämmige Brust schwerfällig atmen machte. Dann, mit einem kurzen rauhen Lachen, das höhnisch klang, während seine buschigen Brauen sich noch dichter zusammenzogen, brach es aus ihm hervor: Wie eine Rose? Haha! Nur daß ein Wurm in der Rose steckt!

Die Herrin sah ihn verständnislos an. Was meint Ihr, Battista?

Der Mann schien antworten zu wollen, hielt dann wieder inne und warf einen scheuen Blick nach der Tür zurück. Dann, ein paar Schritte der Gräfin nähertretend: Kann uns hier Niemand hören? rannte er.

Niemand, Battista. Sagt um Gottes willen, was ist geschehen? Was ist mit der Orsola? Hat man ihr Schändliches nachgeredet? Wenn Ihr nicht die schwersten Beweise habt –

Wieder das dumpfe, höhnische Lachen.

Beweise? So schwer wie das Kind im Leibe einer Frau, das sie vor drei Monaten empfangen hat!

Battista! rief die Gräfin, heftig erschreckend. Nein, es ist unmöglich!

So wahr ist's, wie ich hier vor Euch stehe, Frau Gräfin! Jawohl, auch ich glaubte erst, ich hätt's geträumt, was sie mir halbtodt vor Angst und Jammer beichtete, das arme Weib, als ich heute früh nach Hause kam und trete in meine Tür und die Kinder stürzen auf mich zu und hängen sich mir an den Hals: Bist du wieder da, Babbo, und gehst nicht wieder fort? – Sie aber, mein Weib, nachdem ich einen langen Sommer mich gesehnt hatte, das sonst, wenn ich heimkam, mir an den Hals flog und mich schier erdrückte vor Freude – am Herd kauerte sie und schluchzte laut auf und regte sich nicht, und wie ich zu ihr trete und hebe sie auf, fällt sie mir aus den Armen wie ein todtes Bündel und wird erst wieder lebendig, als ich sie aufs Bett getragen habe und mit einem Kuß aufwecke – da aber wendet sie ihr Gesicht von mir ab und stöhnt: Laß mich! Ich bin deiner nicht mehr wert – siehst du denn nicht –?

Da sah ich freilich.

Ein Krampf schüttelte, da er dies sagte, seine starke Brust, er ballte die Hände, und seine Knie wankten, so daß er sich suchend umblickte und auf den nächsten Sessel sank. Da blieb er liegen, die Fäuste vor die Augen gedrückt. Daß die Gräfin mitten im Zimmer stand, schien er vergessen zu haben.

Es ist furchtbar! hörte er sie plötzlich flüstern. Armer Battista! Unseliges Weib!

Mit einem Ruck fuhr er vom Sessel auf, strich sich das wirre Haar von der Stirn und trat hochaufgerichtet vor die entsetzt zurückfahrende Frau.

Und es ist noch jemand unglücklich! schrie er, plötzlich alle Vorsicht vergessend, und das seid Ihr! Ein Schurke hat drei Unschuldige ins Verderben gebracht.

Um Gott, Battista – nein, nein, das nicht! Nur das nicht –! brach es von den Lippen der Frau, die ihn entgeistert anstarrte. Nein – nimmermehr –

Mitten in seiner Wut schien ihn ein Mitleiden mit der schönen zarten Dame zu befallen, die tödtlich erblaßt und wankend vor ihm stand. Verzeiht, gnädige Gräfin, sagte er dumpf, daß ich so herausgeplatzt bin. Ich bin ein schlechter Bauer und habe keine Manieren. Aber früher oder später – erfahren habt Ihr's doch müssen, und Ihr – Ihr seid's nicht einmal, die's am Schwersten trifft – hohe Herrschaften haben immer was voraus vor uns niederem Volk, und so geht der ärgste Sünder auch mit der leichtesten Buße aus, während das arme Weib –

Denn Ihr müßt wissen, Frau Gräfin, sie ist so unschuldig daran wie ein Lamm, das der Wolf überfällt. Sie hatte hier oben gearbeitet, den ganzen Tag, und wollte Abends nach Hause, mit ihren Kleinen die Polenta essen. Und ging durch den Garten, wo noch Alles in Blüte stand– es war Juni, und sie liebt die Blumen, und in unserm armen Gärtchen unten blühen nicht viel. Und von den Rosen brach sie nur eine und steckte sie an ihren Gürtel. Und kam dann ans Ende, wo die Orangenbäume um das Casino stehen und die Respole und Feigen und in dem Rebgang die Trauben, die aber waren noch weit zurück. Und wie sie all den Segen Gottes sieht, kann sie's nicht lassen, ein paar Feigen zu pflücken und für jede ihrer drei Kleinen eine Orange, und sie thut sie in ihre Schürze und will durch die hintere Tür in der Mauer hinaus. Und wer tritt plötzlich hinter der großen Ceder hervor und ihr in den Weg, daß sie zu Tode erschrickt? Kein Anderer als der gnädige Herr und macht eine sehr finstere Miene, als das arme Weib zitternd vor ihm steht und nicht die Augen aufzuschlagen wagt. Orsola! herrscht er sie an, was treibst du hier? Hast du Früchte stehlen wollen? Und sie – kein Wort bringt sie vor – ich wollt', erzählte sie mir, die Erde hätt' sich aufgetan und mich verschlungen! – und steht und rührt sich nicht, läßt aber die Früchte aus ihrer Schürze fallen und hebt die Hände bittend zu dem Herrn auf, daß er ihr verzeihen möchte – mein Gott, eine solche Schuld, drei Orangen aus all dem Segen! Der Herr aber habe den Kopf geschüttelt und nur gesagt: Nichts da! Du bist und bleibst eine Diebin, Orsola, und wenn ich dich anzeige, kommst du ins Gefängnis. Aber deine Kinder dauern mich, und darum will ich ein Auge zudrücken. Doch ganz ohne Buße kommst du mir nicht davon. Sie soll nicht schwer sein und kein Mensch davon erfahren. Aber worin sie besteht, kann ich dir im Freien nicht sagen. Du mußt mit mir ins Casino hinein – sträube dich nicht, Närrin – –

Und damit packte er sie am Arm, der Unmensch, und soviel sie sieht und weint und wehklagt – er kennt kein Erbarmen, schleppt sie, die wehrlose, ins Casino und – oh, alle Martern der Hölle über sein Haupt! In den tiefsten Abgrund mit diesem ewig Verdammten! Erst aber –

Er hob beide geballte Fäuste gen Himmel und rannte mit wildem Stöhnen durch den Saal, in dessen Mitte die bleiche Frau sich mühsam aufrecht gehalten hatte. Jetzt aber versagte ihren Knien die Kraft, und sie brach lautlos zusammen.

Im Augenblick war er bei ihr, hob sie auf und trug sie wie ein Kind nach dem Sofa, wo er sie niederließ. Verzeihung! stammelte er kaum hörbar zwischen den Zähnen. Ich konnt's nicht ändern, Ihr habt's erfahren müssen, so leid Ihr mir thut. Aber Ihr werdet begreifen – so gering und niedrig Unsereins ist gegen einen hochgeborenen Grafen – so lang' ein Gott der Gerechtigkeit im Himmel wohnt, kann eine solche Schandtat nicht ungerächt bleiben, und wenn auch andere Unschuldige darunter leiden müssen.

Sie richtete sich jäh in die Höhe. Das Wort »Rache« schien auf einen Schlag sie aus der Betäubung aufgeweckt zu haben.

Ihr wollt Euch rächen, Battista? hauchte sie. An – meinem Mann? O Battista, bedenkt – Ihr macht ihn und Euch unglücklich – und ich Ärmste, wie soll ich – nein, nein! Es kann – es darf nicht sein. Hier – und sie streifte einen Ring vom Finger, in dem ein großer Brillant gefaßt war zwischen zwei Rubinen – nehmt das – der Ring ist über dreitausend Lire wert – ist es noch zu wenig, macht selbst den Preis, nur schont sein Leben! Um der Barmherzigkeit Gottes willen – nehmt!

Nimmermehr! brauste er auf, mit der Hand die ihre abwehrend. Meine geschändete Ehre, mein Lebensglück kann kein Gold der Welt mir abkaufen. Aber seid ruhig, Gräfin! Ich will Eurem Gemahl nicht ans Leben. Was hätt' ich davon? Wenn ich ihn erwürgt hätte oder mit einem Messerstich vor mich hingestreckt, wär' es auch um mich geschehn. Ich müßte in die Macchia fliehen und als Bandit wie ein gescheuchtes Wild ein elendes Leben führen, er aber schliefe ruhig in seinem Marmorsarg, und sein edles Weib trüge Trauer um ihn. Wo wäre da die gerechte Vergeltung? Indessen hungerte mein armes Weib mit ihren Kreaturen und müßte zu ihnen auch noch den gräflichen Bastard aufziehen. O nein, Contessa, schwerer muß er gezüchtigt werden, an einem Punkt getroffen, wo auch ein Teufel eine menschliche Wunde fühlt – an seiner Ehre, so wie er die meine geschändet hat. Nur dann kann der Bauer sich gegenüber dem adligen Herrn als ein Ebenbürtiger fühlen und den Kopf Abends ruhig auf das Kissen legen, ohne daß Höllenträume seinen Schlaf verscheuchen.

Sie blickte ihn verständnislos an. Plötzlich fuhr sie in die Höhe.

Battista! hauchte sie. Nein, nein – Ihr könnt nicht meinen – –

Er sah düster vor ihr nieder, und eine kurze Minute war Totenstille zwischen ihnen.

Verzeiht, Madonna, sagte er dann, ich habe Euch meinen Preis genannt und kann nicht darum mit mir markten lassen. Es ist kein unbilliger Preis, denk' ich. Drei gestohlene Orangen gegen den für immer vernichteten Seelenfrieden eines armen Weibes und ihres Mannes – ein ehrlicher Handel, sollt' ich meinen. Und niemand soll je davon erfahren. Ihr findet Euch heut Abend im Garten ein, im Casino, um zehn Uhr, ich erwarte Euch, und die Buße, die Ihr zahlt, muß Euch leichter werden, als die unfreiwillige des armen Weibes, da Ihr das Leben eines großen Verbrechers damit erkaufen sollt.

Er sah gespannt in das totenblasse Gesicht der unglücklichen jungen Frau, die mit geschlossenen Augen vor ihm saß. Zwei schwere Thränen quollen unter den blonden Lidern hervor und glitten über die zarten Wangen. Der Mund blieb fest geschlossen.

Auf einmal durchfuhr es den rauhen Mann, der auf Antwort, auch nur ein schwaches Nicken des blonden Hauptes wartete. Er wandte den Kopf nach der Tür, durch die er eingetreten war, und horchte einen Augenblick. Dann mit erstickter Stimme: Er kommt! Ich will ihn nicht treffen. Ich möchte Alles vergessen und mich auf ihn stürzen, ihm mit Fäusten die Kehle zuschnüren. Addio – vergeßt nicht – um Zehn –

Mit einem Sprung, wie eine wilde Katze, hatte er die Schwelle der Gartenthür erreicht und war über die Terrasse verschwunden.

*

Die Schritte draußen im Corridor näherten sich, man hörte eine sonore Männerstimme die bekannte Melodie: La donna è mobile trällern, dann wurde die Tür rasch aufgerissen, und der junge Graf trat ein.

Er war das Bild eines schönen, stattlichen jungen Mannes aus vornehmem Hause, mit einem Gesicht, das übermüthig und selbstgefällig in die Welt sah, all seiner Vorzüge bewußt, die Geburt und Natur ihm mitgegeben hatten, dabei mit einem Zuge von Gutmüthigkeit, der alle Untergebenen an ihn fesselte. Beim Eintritt in den Gartensaal brach er das Singen ab und ließ die munteren schwarzen Augen umherschweifen.

Wo steckst du denn, Teresina? rief er lachend. Dauert die Siesta heute so lang? Verzeih, daß ich sie störe. Aber ich habe ein Billett von Cousin Luigi bekommen, das ich dir doch zeigen muß. Er erzählt von der gestrigen Eröffnung der Stagione im Theater, der alte, sehr abgesungene Rigoletto, aber eine prachtvolle Vorstellung, die Corradini als Gilda vom ersten Rang, der Herzog und Rigoletto selbst weit über Erwarten, kurz, wir sollten kommen, gleich heute, er habe niemand anders in seine Loge geladen. Ich dächt, wir ließen anspannen und führen in die Stadt, äßen erst dort mit Gigi und – aber was hast du, Kind? Du bist so blaß, ich glaube gar, du hast geweint –

Er beugte sich zu ihr hinab, die auf dem Ruhebett sich halb aufgerichtet hatte und mit großer Mühe sich zu fassen suchte.

Es ist nichts, Carlo, flüsterte sie. Nur meine Migräne, heute besonders stark – der Scirocco – sei ganz ruhig, es geht vorüber – nur ein langer Schlaf und mein Veronal, also fahre du allein und – viel Vergnügen! Wenn du wiederkommst –

Er fuhr ihr leicht über das Haar und die nasse Wange. Es ist vielleicht doch schlimmer als sonst, und irgendeine Krankheit im Anzug, sagte er, als sie bei seiner Berührung zusammenschauerte. Ich möchte doch lieber –

Nein, nein! rief sie heftig, du darfst nicht hier bleiben – du könntest mir nicht helfen, und es wäre mir unerträglich, zu denken, du bringst mir ein unnützes Opfer. Ich beschwöre dich –

Seltsam! versetzte er. Du bist so aufgeregt – am Ende hast du Fieber. Aber du hast recht, dein altes Mittel, der Schlaf, ist wohltäthiger als die Nähe des theuren Gemahls. Freilich werde ich bei Gigi übernachten müssen. Doch mit dem Frühesten reite ich zurück und lasse dich bis dahin in der Obhut deiner treuen Pia; die will ich dir gleich schicken, daß sie dich zu Bett bringt. Felicissima notte, anima mia! Addio!

Er neigte sich zu ihr hinab, die wieder auf das Kissen zurückgesunken war, küßte sie zärtlich auf beide Augen und verließ mit behutsamen Schritten das Zimmer.

*

Wenige Minuten waren vergangen, da öffnete sich von neuem die Tür, und eine schlanke Frauengestalt in einfachem Kleide trat hastig ein.

Das Gesicht war unscheinbar, nur in den schöngeschnittenen Augen lag ein stiller warmer Glanz und in dem blassen Munde ein Ausdruck von charaktervollem Ernst, der auch einen flüchtigen Beobachter anziehen mußte. Obwohl diese Pia von gleichem Alter war wie die Gräfin, erschien sie doch um zehn Jahre älter. Ihre Mutter, eine Bäuerin aus dem Dorf unten, die an demselben Tage dies Kind geboren hatte wie die alte Gräfin in der Stadt ihre Teresa, war als Amme in ihren Dienst getreten, hatte sich aber von ihrer Kleinen nicht trennen wollen und auch vollauf Nahrung für zwei gehabt. So waren die beiden kleinen Geschöpfe miteinander aufgewachsen, hatten wenigstens während der sommerlichen Villeggiatur auf dem Lande miteinander gespielt und dort auch den ersten Unterricht vom Pfarrer zusammen erhalten.

Mit achtzehn Jahren war dann Pia die Frau eines kleinen Beamten in der Stadt geworden, der sie dort im gräflichen Hause kennen gelernt, da die Contessina sich von ihrer Milchschwester nicht hatte trennen wollen und sie als eine Art Zofe oder Gesellschafterin zu sich genommen hatte. Das junge Eheglück war von kurzer Dauer gewesen. Ein Kind, das sie zur Welt brachte, starb nach einigen Monaten, der Mann ein Jahr darauf. Die Vereinsamte verfiel in tiefe Schwermuth, die nur langsam sich ein wenig erhellte, als Gräfin Teresa, die sich inzwischen mit ihrem Carlo vermählt hatte, sie wieder in ihr Haus holte und ihr als einer Art Haushälterin Beschäftigung gab, im Grunde aber sie nur wie eine Freundin hielt.

Von dieser Stellung hatte die junge Witwe äußerlich nur den bescheidensten Gebrauch gemacht, so sehr sie in ihrem Herzen die ihr vergönnte schwesterliche Freundschaft erwiderte. Sie bestand darauf, in ihrer Kleidung auch ferner als Untergebene zu erscheinen, redete die Gräfin in Gegenwart anderer immer mit Sie an, obwohl sie unter vier Augen sich wie in der Kinderzeit des Du bediente, und versah sowohl auf dem Lande wie in der Stadt ihren Dienst als Haushälterin aufs Gewissenhafteste.

Wie sie nun in den Saal trat und ihre Gräfin regungslos wie eine Todte, doch mit weit aufgerissenen Augen auf dem Ruhebett ausgestreckt sah, erschrak sie heftig. Mit einem leisen Schrei stürzte sie zu ihr hin, warf sich neben dem Lager auf die Knie und faßte ihre Hände. Liebe, liebste Schwester! rief sie, was ist dir geschehen? Komm zu dir! Ich sterbe vor Angst, dich so zu sehen – sage nur ein Wort – hast du Schmerzen? Soll ich nach dem Arzt schicken? Heilige Madonna, wach auf und schüttle diese Starrheit ab! Erkennst du mich nicht? Hast du deine Pia nicht mehr lieb?

Es schien, als ob diese letzte Frage den Bann, der über der unglücklichen Frau lag, gelöst hätte. Langsam richtete sie sich auf, blickte im Zimmer umher und sagte leise: Ist er wirklich fort? Ist die Tür geschlossen? O Pia, dies ist mein letzter Tag! Vor Abend muß ich gestorben sein!

Teresa, rief die Getreue, meine Geliebteste, was sprichst du für entsetzliche Worte! Du träumst oder du hast Fieber. Besinne dich, wer du bist, daß du geliebt wirst von so vielen, die verzweifeln müßten, wenn dir ein Leids geschähe! Was ist denn vorgefallen, das dein klares Bewußtsein getrübt hat? Dein Mann ging von dir und schickte mich her, ohne nur anzudeuten, daß eine Gefahr für dein Leben –

Mein Mann! fiel sie ihr ins Wort. O, der – nie, nie soll er es wissen, was er über mich gebracht hat! Eher soll der Tod mir die Lippen versiegeln. Nur du, meine einzige Freundin, sollst es erfahren – – – denn nur von dir kann mir Rat und Hilfe kommen!

Sie zog sie auf das Ruhebett heraus, drückte sie dicht an sich und flüsterte ihr ins Ohr in abgebrochenen Sätzen, was sie erlebt hatte. Ihr Herz pochte heftig, und die Hände, die kalt und feucht in denen der Freundin lagen, umfaßten ihre Finger, wie wenn dies der einzige Halt wäre, an den sie sich noch anklammern könnte.

Nun weißt du's, hauchte sie endlich, das Entsetzliche, das kein Dämon aus der Hölle furchtbarer zu entsinnen vermöchte. Und du begreifst nun auch, daß ich eher tausend Tode stürbe, als um diesen Preis das Leben Carlo's zu erkaufen. Dieser Mensch – – so erbarmungslos er auf seiner Rache besteht – ich kann nicht glauben, daß er sich nicht damit begnügen sollte, die Frau in den Tod getrieben zu haben, sondern dann doch noch nach dem Blut ihres Gatten dürstete. So wird Carlo's Leben von ihm verschont werden. Wie aber soll ich's anfangen, aus der Welt zu gehen, ohne Verdacht zu erwecken? Wenn ich mir eine Nadel ins Herz bohren könnte – nein, nein, ich träfe es am Ende nicht sicher – Morphium, wie verschaff' ich mir's bis zum Abend? – o, ein stiller, sanfter Herzschlag, der auch Carlo natürlich erschiene, da er mich so elend sah, eh er wegging – meine einzige Freundin, rathe mir, hilf mir –

Sie umschlang, wie plötzlich von allen Kräften verlassen, die neben ihr Sitzende, die in tiefster Erschütterung die furchtbare Eröffnung hingenommen hatte. Als sie jetzt die Freundin in einem lauten Weinkrampf sich an ihre Schulter klammern fühlte, hob sie den Kopf mit einer entschlossenen Gebärde, streichelte sanft die nasse Wange und das aufgelöste Haar und sagte: Liebste, fasse dich und höre mich ruhig an! Kein Wort mehr vom Sterbenmüssen! – Wenn du deinen Mann nur damit retten könntest, wäre das Mittel so grausam wie die Rache, mit der Jener sein Leben bedroht, denn dein Carlo könnte nie wieder glücklich werden. Nein, meine Geliebteste, es gibt noch einen Ausweg. Um Zehn, sagtest du? Nun wohl, so finster es dann auch sein wird – den Weg zum Casino werde ich zu finden wissen.

Nimmermehr! rief die Gräfin, die Arme vom Hals der Freundin lösend. Nein, es kann, es darf nicht sein! Ich würde mir's nie vergeben können – nie vergelten – ein so ungeheures Opfer –

Wenn hier von Vergeltung die Rede sein soll, fiel die andere ihr ins Wort, so bin ich es, die zu vergelten hat, unermeßliche Liebe und Güte, die ich durch ein ganzes Leben in diesem Hause empfangen habe. In der furchtbaren Zeit, als ich den Tod an das Bettchen meines Nino herantreten sah, du aber wachtest die Nächte mit mir – da gelobte ich mir, daß mein ganzes Leben hinfort dir gehören solle. Nun kann ich die Schuld ein wenig abtragen. Erwäg es ruhig, meine Teresa! Was ist so übermenschlich an diesem Opfer, das ich dir bringen will? Ich bin eine Frau, die vom Leben nichts mehr zu hoffen, die ihre liebsten Menschen verloren hat. Keinem Dritten bin ich Rechenschaft schuldig, keine Pflicht verletz' ich, wenn ich meine Ehre opfere, um meine theuerste Freundin zu retten. Und der Ausweg selbst – wo ist eine Gefahr dabei? Wie kann der Tausch verrathen werden? Wir sind von gleicher Größe und Gestalt, wenn ich meinen Kopf mit einem dichten Schleier umwinde und die Lippen fest verschlossen halte und gehe in diesem deinem hellen Kleide – die Nacht ist mondlos, der Scirocco jagt auch wohl ein Wetter herauf – und wenn dieser Mensch die Augen einer Eule hätte, er würde den Trug nicht durchschauen. Am Morgen aber, wenn die Sonne aufginge, fände sie kein Wölkchen an deinem Himmel, bis auf –

Sie vollendete den Satz nicht. Es fiel ihr plötzlich ein, daß nach dem, was geschehen, die junge Frau ihren Gemahl nicht mit denselben Augen wie sonst begrüßen könnte. Komm! sagte sie und stand auf. Ich will kein Wort des Widerspruches hören. Ich bringe dir deine Tropfen, daß du dich von dieser Erschütterung erholst, und dann besprechen wir das übrige und beten zur Mutter Gottes, daß sie uns beistehe.

*

Die Nacht war hereingebrochen, eine schwüle, mondlose Nacht. Am westlichen Himmel stand eine schwarze Wetterwand, aus der es hin und wieder aufleuchtete. Doch wollte das stumme Gewölk sich nicht entladen. Kein Laut eines Nachtvogels drang aus den Wipfeln des Olivenhains herüber, nur das Schwirren der Grillen von den Wiesen unten im Dorf. Das Casino am Ende des Gartens lag in tiefer Dunkelheit.

Da wurde die Tür des Häuschens sacht von innen aufgestoßen, und ein Mann trat auf die Schwelle. Hinter ihm tastete sich eine schlanke Frauengestalt ins Freie, die ein Kleid von heller Farbe trug, den Kopf, mit einem schwarzen Schleier dicht umhüllt, tief auf die Brust gesenkt hatte, und den Arm, der sich ihr zur Stütze bot, zurückweisend, hastig über die zwei Holzstufen hinuntertrat. Der Mann aber war sofort neben ihr.

Warum flieht Ihr mich, Frau Gräfin? raunte er. Ich bin nicht Euer Feind, obwohl ich Euch habe berauben müssen. Daß ich's mußte, war nicht meine Schuld, und nun seid Ihr für immer frei von mir und werdet mich nie wiedersehen. Nur eines noch muß ich von Euch erbitten. Kommt! – und er ergiff ihren Arm – setzt Euch noch einen Augenblick dort auf das Bänkchen am Hause – Ihr seid erschöpft und haltet Euch kaum aufrecht – es ist nichts Schweres, was Ihr mir gewähren sollt –

Er hatte sie, obwohl sie widerstrebte, zu dem Häuschen zurückgeführt und sanft gezwungen, auf der Bank niederzusitzen. Er selbst blieb vor ihr stehen. Dann sagte er dumpf: Was geschehen ist, soll ab und todt sein. Aber Todte stehen zuweilen aus ihren Gräbern auf und erscheinen den Lebenden, sie zu quälen. Wenn ich mein Weib ansehe und mir einfällt, welch furchtbarer Frevel an ihr verübt worden ist – ich stehe nicht dafür, daß nicht Wut und Ingrimm mich rasend machen und ich doch noch denke, daß ich mich rächen sollte. Dann muß ich etwas haben, was mich erinnert: ich habe meine Rache ja schon genommen, und der Verbrecher ist gezüchtigt. Dazu sollt Ihr mir verhelfen, Gräfin.

Sie hob den Kopf nur ein wenig und hauchte mit erloschener Stimme: Ich?

Ja, Ihr! Ihr müßt mir eine Locke von Eurem Haar geben, die thue ich hinten in das Gehäuse meiner Uhr, und immer, wenn ich sie betrachte, weiß ich, daß ich den schönen Kopf, von dem sie geschnitten worden, zwischen meinen groben Händen gehalten und an meine Brust gedrückt habe. Dann werde ich ruhig werden und leichter tragen, was über mich gekommen ist. Willigt Ihr also ein, so –

Die Frau, die lautlos dagesessen, richtete sich rasch in die Höhe.

Ich werde Euren Wunsch erfüllen, flüsterte sie kaum vernehmbar. Morgen schick' ich Euch das Verlangte. Jetzt – haltet mich nicht länger –

Sie wollte an ihm vorbei. Er aber hielt sie zurück und drängte sie wieder auf die Bank.

Nicht morgen, Frau Gräfin! In dieser Nacht, in dieser Stunde. Seht, ich hatt' es schon vorher bedacht, und da ich keine Scheere in meinem Hause fand, hab' ich mein Messer geschliffen, bis es so scharf war, daß ich ein Haar in der Luft damit durchschneiden konnte. Kommt nun und haltet einen Augenblick still. Löst eine Strähne aus Eurer Frisur, die legen wir auf das Fenstergesims, und in einem raschen Schnitt – nur einen kleinen Streifen – nein, weigert Euch nicht, sonst thu' ich's – mit Gewalt!

Er griff nach ihrem Kopf, den sie mit beiden Händen ihm zu entziehen suchte, beständig stöhnend! Laßt mich – ich schwöre Euch, morgen – nicht jetzt – Ihr tötet mich – oh, mein Gott!

Sie fühlte, daß ihr die Kraft versagte, in stummem Ringen hatte er ihr die Hände vom Kopf gerissen, im nächsten Augenblick fiel der Schleier von ihrer Stirn, und er sah, da eine schwache Helle aus der Wolkenwand vorbrach, in das vom furchtbaren Schrecken entgeisterte Gesicht der ärmsten Frau, über das das schwarze Haar herabfiel.

Maledetta! schrie er außer sich. Ihr – Ihr seid's – nicht die edle blonde Dame, die für die Schuld ihres Mannes büßen wollte! Ha, Tod und Verdammnis! So bin ich betrogen um meine Rache – zum Frevel und Schimpf noch den Hohn – und soll davongehen und meine Wut ohnmächtig in mich hineinfressen? Corpo della Madonna, ich verdiente, daß man mit ins Gesicht spiee, wenn ich diese neue Schandthat ungerächt in Demuth hinnähme – aber nein! Für blutigen Hohn einen blutigen Lohn – und da – das –!

Im Nu hatte er das Messer gezückt, den Arm, der sich zitternd zur Abwehr erhob, zurückgestoßen und sinnlos vor Wut die scharfe Klinge in die Brust der Unglücklichen gestoßen, die mit einem schwachen Wehlaut von der Bank glitt und leblos zusammenbrach.

Kaum war's geschehen, so fiel der Rausch, der ihm das Bewußtsein umnebelt, von ihm, und er starrte mit Entsetzen auf die Stelle am Boden, wo der Körper seines unschuldigen Opfers lag. Das Messer weit fortschleudernd, bückte er sich zu der noch zuckenden Gestalt hinab und legte seine zitternde Hand an das Herz, das kaum noch einen schwachen letzten Schlag tat. Dann richtete er sich auf, sah mit weit aufgerissenen Augen umher und schlug, die Faust ballend, dreimal gegen die eigene Stirn. Ein irres Lachen drang aus seinen Lippen, er nickte wild mit dem Kopfe und brachte hastige Worte hervor, wie in plötzlich ausbrechendem Wahnsinn. Auf einmal aber spähte er in den Garten hinein und gewahrte eine helle Gestalt, die sich dem Casino zu nähern schien. Da raffte er sich zusammen, hob den Hut vom Boden, der ihm während des Ringens entfallen war, und ihn tief in die Stirne drückend, als ob Verfolger ihm auf der Spur wären, verließ er in großen Sätzen durch das Pförtchen hinten in der Mauer den Ort seiner Missethat.

Die Gestalt, die ihn verscheucht hatte, näherte sich rasch – die Gräfin, die in den Garten gekommen, da sie's vor fieberhafter Aufregung im Hause nicht duldete. Von fern hatte sie den Schmerzenston gehört, der der Freundin, als der tödtliche Stoß in ihre Brust drang, entfahren war. Doch obwohl sie so heftig erschrak, daß ihre Knie einzusinken drohten, besann sie sich keinen Augenblick, zu der Stelle hinzueilen, von wo der Angstruf erschollen war. Mit einem gellenden Hilferuf fiel sie selbst, sobald sie die Hingesunkene erblickte, neben ihr nieder, versuchte, sie in ihren Armen emporzuheben, und flüsterte ihr mit den zärtlichsten Namen zu, ihre Teresa sei bei ihr, sie dürfe nicht von ihr gehen, sie würde ihr nachsterben, von der Schwere ihres Gewissens ins Grab gezogen.

Mühsam schlug die Sterbende die Augen noch einmal auf. Sei nicht traurig, Geliebteste! hauchte sie. Wie könnte ich einen süßeren Tod finden – als für dich! Der Feind – er hat sich – für die Täuschung – rächen wollen – nun aber wird er nie wieder – sich hier blicken lassen, und du – oh, meine Teresina, meine liebste – Schwester – denke zuweilen an deine arme – glückliche –

Ein Blutstrom brach ihr aus der Brust, sie fiel starr zurück und war verschieden.

*

Um diese Zeit hatte der Gärtner, der im Erdgeschoß des Schlößchens wohnte, sich noch einmal herausgemacht, da ihn die Sorge nicht schlafen ließ, ob das kleine Warmhaus, in dem er etliche seltene Gewächse zog, gehörig gedeckt und gegen etwa niedergehende Hagelschauer gesichert sei. Als er den Cypressengang durchschritten, drangen die Laute des letzten Zwiegesprächs seiner Herrin an sein Ohr, und er stürzte erschrocken zu dem Casino hin. Er fand neben der Toten auch die Gräfin regungslos am Boden liegend, in tiefer Ohnmacht, die auch nicht von ihr wich, als die rasch alarmierte Dienerschaft sie ins Haus und auf ihr Bett getragen hatte. Die Tote hatte man vorläufig in das Gartenhaus gebracht. Ein eiliger Bote war in die Stadt geschickt worden, dem ahnungslosen Grafen die entsetzliche Kunde zu überbringen.

Wie der unglückliche Mann sie empfing, da er eben das Opernhaus verlassen hatte, in welcher grenzenlosen Angst und Unruhe er den nächtlichen Ritt zurücklegte, um seine Frau noch bewußtlos in ihrem Bette anzutreffen, soll nicht geschildert werden. Seine Stimme hatte aber die Macht, sie aus ihrer tiefen Ohnmacht aufzuwecken, freilich nur zur Erkenntnis des Furchtbaren, was sich mit ihr zugetragen. Sie vermochte auch nicht, in zusammenhängender Rede davon zu berichten. Doch ihre abgerissenen Worte genügten, um dem erschütterten Mann eine vorläufige Aufklärung über die räthselhaften Vorgänge dieser Nacht zu geben. Die Erkenntnis, daß er selbst der Stifter all dieser blutigen Ereignisse war, hätte sich noch schwerer auf sein Gewissen gewälzt, wenn die Sorge um seine Frau nicht zunächst alle anderen Gedanken zurückgedrängt hätte.

Denn nach dem kurzen Ausleuchten ihres Bewußtseins war ihr Geist wieder in tiefe Nacht versunken. Sie redete irre und war mit Mühe im Bett zu halten. Der Arzt, der mit dem Frühesten aus der Stadt geholt worden war, erkannte auf eine schwere Gehirnentzündung und schickte einen jüngeren Assistenten hinaus, der ihn zwischen seinen eigenen Besuchen vertreten sollte. Der Graf selbst wich nicht von ihrem Bett, ließ sich nur mit Mühe bewegen, etwas Nahrung zu nehmen, und seine Lippen blieben außer für kurze Befehle streng verschlossen.

Unter solchen Umständen war die Bestattung der Todten ohne besondere Feierlichkeit, wenn auch unter ergreifender Teilnahme des ganzen Dorfes, vor sich gegangen. Die so kläglich geendet hatte, war bei allen, die sie kannten, sehr beliebt gewesen, schon um ihres sanften, gütigen Charakters und traurigen Schicksals willen, doch auch, weil sie von der Gräfin stets mit dem Geschäft betraut wurde, die milden Gaben, die ihre Herrin Kranken zuteil werden ließ, in ihre Häuser zu tragen. So war niemand im ganzen Dorf vom Friedhof zurückgeblieben, und vor dem Weinen und Klagen derer, die das offene Grab umstanden, konnte man die Worte des alten Pfarrers kaum vernehmen.

Zu der Trauer um den Tod kam noch die Erregung durch das schauerliche Geheimnis, das ihn umgab. Der Name des Mörders war auf aller Lippen. Nicht nur hatte man das blutige Messer auf dem Gartenwege gefunden, in dessen Klinge die Buchstaben B. B. – Battista Brusco – eingraviert waren, sondern der es besessen, war verschwunden, ob in den Bergwald oder weiter hinaus, blieb unbekannt. Die Carabinieri, die zu seiner Verfolgung sofort ausgesandt worden waren, kehrten ohne Ergebnis zurück, was niemand anders erwartet hatte.

Was aber das Motiv der furchtbaren Tat gewesen sein mochte, blieb in völliges Dunkel gehüllt. Der Mörder war erst vierundzwanzig Stunden vorher in seine Heimat zurückgekehrt. Daß zwischen ihm und der Pia jemals irgendeine Beziehung bestanden hätte, wußte sich niemand zu erinnern, zumal seine Liebe zu der eignen Frau bekannt war. Wie sollte er auch in jener Nachtstunde ihr im Garten begegnet sein, den Versuch einer Vergewaltigung gemacht und aus Wut, da sie ihm widerstand, sie ermordet haben? Dies war nur denkbar als die That eines Irrsinnigen, als welcher von den Wenigen, die den Heimgekehrten gesprochen hatten, der ruhige Mann keinem erschienen war.

Die Herrschaft im Schlosse verharrte in tiefem Schweigen. Als der Untersuchungsrichter mit dem Grafen ein Verhör anstellte, berief sich dieser auf seine Abwesenheit in der Stadt, während die That geschah, und erklärte, daß sie auch für ihn ein völliges Räthsel sei. Die Gräfin zu vernehmen, war unmöglich. Sie lag im heftigsten Fieber, mehrere Wochen zwischen Tod und Leben schwankend, und auch als endlich eine Krisis eingetreten und die Gefahr vorüber war, mußte jede Erinnerung an das, was sie so schwer erschüttert hatte, vermieden werden, um nicht ein Zurücksinken in den gefährlichen Zustand herbeizuführen.

So vergingen Monate, ehe von einer Genesung die Rede sein konnte und die Theilnahme der Freunde und Bekannten in der Stadt sich beruhigen durfte. Auch die Leute im Dorf empfanden warmes Mitleid mit ihrer so schwer getroffenen Herrschaft, da sie wußten, daß die Getödtete der jungen Gräfin wie eine Schwester gewesen, und wiesen sich dem Herrn, wenn er auf seinen einsamen Ritten ihnen begegnete, ohne ihrer ansichtig zu werden vor tiefer Versunkenheit, wie ein Gespenst.

Erst als die Orsola im März mit einem Knaben niederkam, gab er ein Zeichen, daß er mit dem Leben um ihn her noch zusammenhing. Der alte Momo wurde abgeschickt, eine ansehnliche Summe der Wöchnerin zu überbringen, größer, als die Gräfin auch sonst in ähnlichen Fällen durch Pia geschickt hatte. Die Nachbarn erkannten darin nichts Besonderes. Der Knabe, der sofort auf den Namen Giovanni getauft wurde, war seiner Mutter viertes Kind, der Vater aber würde hinfort verschollen bleiben und mit seinen Ersparnissen die Frau nicht mehr unterstützen können, die nun auch durch die Sorge für das Neugeborene auf lange hinaus gehindert war, lohnende Arbeit zu suchen.

Im Übrigen bewies die Herrschaft kein sonderlich persönliches Interesse an ihr: die Gräfin, die sonst gern nachgeschaut hatte, wo sie durch ihren Zuspruch eine Unglückliche trösten konnte, fand nicht ein einziges Mal den Weg zu Orsolas kleinem Hause und fuhr nur fort, durch allerlei Gaben in Geld und Kleidungsstücken für die Töchter ihre Lage zu erleichtern, jeden Dank, den die Beschenkte in Person abstatten wollte, sich streng verbittend.

Sie lebte auch sonst völlig abgeschieden, empfing nur die Besuche ihrer nächsten Freundinnen und ließ sich zu keiner Gelegenheit in die Stadt locken. Wenn Graf Carlo zuweilen nicht vermeiden konnte, Freunde, die sich zur Jagd bei ihm einfanden, zu bewirken, zeigte sie sich bei den Gästen nur auf kurze Zeit und zog sich unter dem Vorgeben ihrer Migräne bald wieder zurück.

*

Man hatte sich endlich daran gewöhnen müssen, die Gräfin als für die Gesellschaft verloren zu betrachten, da ihr Gemüth von dem grausamen Schicksal, das ihre Jugendfreundin betroffen, unheilbar umdüstert sei, und rechnete es ihrem Gatten als einen Beweis seltenster Treue an, daß er ihre Weltflucht teilen wollte. Auch im Dorf hatte man auf den früheren freundlichen Verkehr mit der Gutsherrschaft verzichtet. Um so größer war die Überraschung, als man eines Sommertages die Gräfin den Hügel herabsteigen und auf das Haus der Orsola zugehen sah.

Es war das vierte Jahr nach jenen verhängnisvollen Ereignissen. Die edle Herrin stand erst im sechsundzwanzigsten Jahre ihres Lebens. Gleichwohl lag schon ein grauer Reif über ihrem einst so leuchtenden blonden Haar, ihre Augen hatten den jugendlichen Glanz verloren und zwischen ihnen eine Falte sich eingesenkt, die von unverwundenem Kummer zeugte.

Sie bemühte sich, den ehrerbietigen Gruß der Dorfleute, die ihr begegneten, mit einem freundlichen Gesicht zu erwidern, schritt aber, ohne sich aufzuhalten, auf ihr Ziel los und blieb nur stehen, als sie auf einer Bank neben Orsolas Tür ein dreijähriges Knäbchen sitzen sah, das mit einem kleinen schwarzen Hunde spielte. Es war ein sehr hübsches Kind in ärmlichem, aber sauberem Kleidchen, das volle schwarze Haar glatt gekämmt, der schmale weiße Hals aus dem reinlichen Hemd vorblickend, die bloßen Füße sorgfältig gewaschen. Es hielt ein Stück Brod in den kleinen Händen, von dem es, wenn es abgebissen, regelmäßig einen Brocken für das Hündchen abbrach, ihm sanft auf den zottigen Kopf klopfend, so oft es ungeduldig nach dem größeren Stück schnappte. Dabei lachte es vergnügt mit dem kleinen roten Munde und sah lustig zu der fremden Frau empor, die ein paar Minuten bei ihm stehen geblieben war.

Wie heißest du, Kleiner? fragte sie.

Giovannino.

Warum sitzest du hier allein?

Rosa ist bei den Sarpis, eine Kranke zu pflegen, die Lena und Ninetta sind in der Schule. Ich bin aber nicht allein. Der Moro ist bei mir. Er ist so geschickt. Mach dein Compliment, Moto. So, du bist brav. Du sollst noch das letzte Stück haben.

Er reichte es dem Tier, das nun von der Bank sprang und im Kreise herumlief, während auch das Knäbchen aufstand und die kleine reinliche Hand in die dargebotene der Gräfin legte. Es sah zutraulich zu ihr auf.

Wer bist du, Frau? Warum bist du so traurig? Warum weinst du? Auch die Mama weint so viel. Muß man denn traurig sein?

Mühsam erstickte die Gräfin ihre Bewegung.

Ist die Mama zu Hause?

Statt zu antworten, sprang der Kleine nach der Tür, öffnete sie und rief hinein: Oh, Mamma mia, eine Signora ist da und will dich sprechen! Eine schöne Signora! Kennst du sie?

Orsola trat auf die Schwelle. Auch sie war gealtert in den vier einsamen Jahren, doch hatten sie die Wohltaten, die sie empfangen, der schweren Arbeit überhoben, und nur jede Freudigkeit war aus ihren Zügen gewichen. Als sie die Gräfin vor sich sah, erschrak sie und fand kein Wort der Begrüßung.

Laß uns hineingehen, Orsola, sagte diese. Ich habe mit dir zu reden. Giovannino darf mitkommen.

Sie faßte das Händchen des Kleinen und hielt ihn neben sich, auch als sie drinnen auf dem harten Holzsessel am Tische Platz genommen hatte. Orsola blieb stehen, obwohl die Gräfin sie zum Sitzen einlud. Die Besucherin sah sich in dem ärmlich ausgestatteten Zimmer um, es wurde ihr offenbar schwer, den Anfang ihrer Rede zu finden. Dann, hastig die Worte hervorbringend, wie wenn sie sich eines eingelernten Spruches entledigte: Ich komme im Auftrage meines Mannes. Er hat gestern zum ersten Mal deinen Knaben gesehen, wie er mit anderen Kindern im Walde spielte. Sein Gesicht hat ihm gefallen und die Art, wie er sich betrug. Er dachte, daß er zu einem erfreulichen Manne heranwachsen könnte, wenn er eine gute Erziehung erhielte. Die möchte er ihm angedeihen lassen und dir damit einen Dienst erweisen, da du noch für die drei Mädchen zu sorgen hast. Und – weil wir selbst keine Kinder haben, – (ihre Stimme zitterte, sie machte eine Pause, sich zu fassen) kurz, wenn der Knabe hält, was er verspricht, will der Graf ihn adoptieren, und dereinst nach unserem Tode soll er unser Erbe sein. Was sagst du zu diesem Beschluß, Orsola?

Statt nur ein Wort zu erwidern, brach die arme Frau in ein heftiges Weinen aus, zog die Schürze vor die Augen und taumelte auf die Bank am Fenster.

Sogleich machte sich der Knabe von der Gräfin los, die ihren Arm um ihn gelegt hatte, lief zu der Mutter hin und rief, beständig ihren Kopf streichelnd: Nicht weinen, Mammina, nicht weinen!

Auch Gräfin Teresa stand auf und ging zu der fassungslos Schluchzenden.

Ich fühle mit dir, sagte sie, wie schwer es dir wird, auf unseren Vorschlag einzugehen. Ich sehe, wie auch der Kleine an dir hängt, da er ein feines Gemüth hat und du ihm viel Liebe erwiesen. Doch wenn du ruhiger geworden, wirst du einsehen, daß es zu seinem Glück ist und du es ihm schuldig bist, dem nicht zu widerstreben. Und du sollst ihn ja nicht ganz verlieren. So oft das Herz dich treibt, will ich ihn dir schicken, wenn du selbst es nicht über dich gewinnst, ihn droben aufzusuchen, und damit auch er die Trennung leichter erträgt, sollst du ihm die Rosa mitgeben, die, solange er noch klein ist, für ihn sorgen soll, wie ers gewohnt ist. Siehst du die Sache nun in besserem Licht, liebe Orsola?

Die Weinende ließ die Schürze sinken, trocknete ihre überfließenden Augen und stand auf.

Vergebt mir, gnädige Gräfin, stammelt sie, ich bin nur eine dumme Person, und das Kind ist mein Herzblatt. Aber es gehört mir ja nur halb, und wenn der es fordert, der das volle Recht an ihm hat, muß ich es hergeben. Wollt es nur nicht gleich mit Euch nehmen. Ich muß erst seine kleinen Siebensachen zusammensuchen, ihm Schuh' anziehen und seine Sonntagskleider und mich satt küssen an seinem lieben Gesichtchen. Abends soll die Rosa ihn dann zu Euch hinaufbringen, und wenn Ihr auch die behalten wollt – oh, barmherziger Gott, es muß wohl sein, aber wie soll ich es überleben!

*

Als dies sich zutrug, war's Hochsommer gewesen. Noch ehe es Herbst wurde, hatten sich alle Beteiligten in die neue Lebensordnung gefunden, und selbst die Trauer der Orsola war zu einer stillen Wehmuth geworden, da ihr der Kleine, an dem ihr Herz hing, wöchentlich einmal von Rosa gebracht wurde und seine Mammina immer noch zärtlich umarmte. Ihn droben im Schlößchen aufzusuchen, konnte sie sich nicht überwinden.

Auch die Dorfleute sahen das Ereignis als etwas ganz Natürliches an, das von jeher nicht anders hätte sein können.

Daß es mit der Geburt des Giovannino nach der Chronologie nicht seine Richtigkeit hatte, wenn er für den Sohn des Battista Brusco gelten sollte, stand fest. Man glaubte aber, die Orsola habe sich einem Maler ergeben, einem Freunde des Grafen, der diesen einmal besucht hatte, um eine Woche auf dem Schlößchen zu verweilen. Da hatte er die schöne Frau vor ihrem Häuschen getroffen und von ihr verlangt, eine Skizze von ihr malen zu dürfen, nur auf offener Straße unter großem Zulauf der Dorfleute. Hernach aber habe er sie auch heimlich in ihrer Kammer aufgesucht. Den Grafen selbst hatte niemand im Verdacht, da man wußte, daß er seine Frau vergötterte und nie dabei betroffen worden war, auch mit dem schönsten Dorfmädchen sich auf ein far all' amore einzulassen. Da nun alles Kopfzerbrechen kein sicheres Ergebnis hatte, war das Gerede endlich still geworden, und man begnügte sich, ohne Anzüglichkeit von dem Söhnchen der Orsola als vom Contino zu sprechen.

Nun ging es schon auf den Winter, der sich ungewöhnlich früh einstellte. Die Abende wurden länger und die Kinder zeitig zu Bett geschickt, da sie bei der trüben Beleuchtung durch eine schlechte Lampe nicht viel mit sich anzufangen wußten. Nur Orsola saß noch auf, um Kleider ihrer beiden Mädchen auszubessern, horchte in den Regenwind hinaus, der an die Scheiben der kleinen Fenster klirrte, und seufzte bei dem Gedanken, wie ihr Giovannino jetzt in seinem Bettchen liegen mochte, und daß es ihr nicht vergönnt war, ihn zur Gute Nacht zu küssen und das Kreuz über ihn zu machen.

Da schrak sie zusammen, als sie dreimal an die Hausthür pochen hörte.

Wer ist da? rief sie zitternd, denn ein Besuch zu dieser Stunde war unerhört.

Ich bin's, mach auf! wurde von einer tiefen Stimme geantwortet. War's möglich? Ihr Mann, von dem sie vier Jahre nichts vernommen hatte, den alle für tot oder übers Meer geflüchtet glaubten? Oder war's sein Geist, der sie heimsuchte?

Mit wankenden Knien schlich sie nach der Tür. Als sie aber den Riegel zurückgeschoben hatte und der Mann eintrat, schien er ihr ein Fremder. Er hatte seinen Mantel umgeschlagen, den Kragen hoch herausgezogen, aus dem ein braunes, glattes Gesicht sie anstarrte, da Battistas Wangen doch von einem schwarzen Bartgestrüpp überwuchert waren. Erst als er den vom Regen schweren Mantel von sich warf und ihr die Hand entgegenstreckte, wußte sie, daß es ihr Battista in Fleisch und Bein war, und die plötzliche Erscheinung überwältigte sie so stark, daß sie gegen den Tisch zurücktaumelte und hingesunken wäre, wenn er sie mit seinem starken Arm nicht aufgefangen hätte.

Ja, da bin ich, Frau, sagte er. Du brauchst nicht zu erschrecken, ich komme im Guten, und ich denke, wir bleiben nun zusammen, wenn auch nicht hier. Komm, setze dich und laß dich einmal anschauen!

Er führte sie zu einem Sessel, nahm die kleine Öllampe vom Tisch und hob sie gegen ihr Gesicht. Armes Weib! sagte er, man sieht dir die vier einsamen Jahre an, aber du kannst nichts dafür, und auch ich bin nicht schöner geworden, obwohl ich den wilden Bart mir habe abschneiden lassen, damit ich unkenntlich wäre bei der Heimkehr. Und doch hat mich, als ich an der Schmiede vorbeiging, der Matteo, der aus der Schenke kam, so eigen angeblickt, als traue er seinen Augen nicht, ob ich's wäre oder nicht, und wenn es aufkommt, bin ich meines Lebens noch jetzt nicht sicher, denn die Justiz hat ein langes Gedächtnis. Heute Nacht aber wird sie mich wohl schlafen lassen, denn ich bin müde – die Reise war lang – doch habe ich sie jetzt zum letzten Mal gemacht.

Er ließ sich auf den Stuhl am Tisch nieder, wo sein Weib gesessen hatte, nahm das Röckchen in die Hand, in dem noch die Nadel steckte, und sagte: Das gehört wohl der Ninetta, die wird inzwischen gewachsen sein. Wie oft hab' ich hergedacht, wenn ich so allein in meiner Kammer saß, müde von der Arbeit, und trank mein schlechtes Bier, denn der Wein dort jenseits der Berge ist zu theuer. Gib mir einen Tropfen von unserem, Frau. Am Wein erkennt man erst, daß man zu Hause ist.

Sie fuhr aus ihrer Betäubung durch Freude und Überraschung in die Höhe und rief: Oh, Battista, du wirst auch hungrig sein, und ich sitze hier und denk' an nichts, als daß du wiedergekommen bist. Ich habe leider nichts, als ein bißchen Brot und ein Stück Käse und Polenta, aber Wein ist noch im Kruge. Bleib sitzen, ich bringe Alles.

Damit lief sie zu dem Schränkchen, worin sie ihre Eßvorräte aufbewahrte, nahm, was sie fand, heraus und stellte es vor ihn auf den Tisch, blieb aber, während er begierig zugriff, ihm gegenüber stehen.

Nein, sagte er, setz dich zu mir, ich muß dir erzählen. Wie es bei euch zugegangen, weiß ich Alles. Gevatter Pieranton hat mir berichtet, er ist der Einzige, dem ich anvertraut habe, wo ich mich aufhielt, da schrieb er mir alle paar Monate, und ich war ruhig, daß dir's an nichts fehlte, daß die vom Schlößchen für dich sorgten. Da hätt' ich dir kein Geld zu schicken brauchen und hab' es doch getan. Du solltest nicht von der Gnade dieser – dieser hochmüthigen Sippschaft leben, und ich hatt' es ja auch. Du mußt wissen, die Arbeit am Tunnel hab' ich aufgegeben, sie war mir zu schlecht, und ich hatte ja als Maurer gelernt. Und da bekam ich Arbeit an einem großen Bau in Berna, das ist eine schöne reiche Stadt in der Schweiz, und weil ich fleißig war und geschickt und mich ordentlich hielt, fand der Bauherr Gefallen an mir und erhöhte meinen Lohn, und seit diesem Sommer hat er mich zum Pallier angenommen. Jetzt bekomm' ich so viel, daß ich meine Familie erhalten kann, und dachte: nun gehst du und holst die Frau und die Kinder. Da war aber noch – der Bankert, den um mich zu sehen, hätt' ich nicht übers Herz gebracht, und schlug mir's also aus dem Sinn, so leid mir's war. Bis ich dann einen Brief bekam vom Gevatter: sein Vater habe ihn zu sich genommen und wolle ihn zu seinem Erben machen. Nun war das Hindernis aus dem Wege, und sobald die Arbeit ruhen mußte, weil Frostwetter eintrat, habe ich mich von meinem Meister verabschiedet, um hier in Person Alles mit dir zu besprechen. Denn über den Winter mußt du freilich noch bleiben, da du erst Haus und Feld verkaufen sollst, wobei Gevatter Pieranton dir an die Hand gehen wird, um dann, wenn das Frühjahr kommt, aufzubrechen, und ich reise euch bis Florenz entgegen. Jetzt aber kann ich nur bis morgen Abend bleiben, wer weiß, welch eine Tücke geschieht, und ich werde erkannt, und Alles ist umsonst. Aber laß mich jetzt zu Bette gehen und erst noch die Kinder sehen – ich will sie nicht wecken, morgen ist auch ein Tag.

Er ergriff die Lampe und schritt ihr voran, die schmale Treppe hinauf, die zu den beiden oberen Kammern führte. Die eine war das Schlafgemach des Ehepaars gewesen, in der anderen standen die Betten der Kinder, bis die Rosa mit dem Kleinen in das Herrenhaus übergesiedelt war. Als der Vater zu den beiden Mädchen hineintrat, hielt er die Hand schützend vor die Flamme und ging auf den Zehen zu den beiden Betten. Da stand er lange in seltsamer Bewegung, da er die eigenen Kinder nicht wieder erkannte, küßte sie aber nicht, sondern strich ihnen nur sanft über die braunen Köpfe, etwas murmelnd, das wie ein Segensspruch klang. Dann ging er ebenso sacht in das Nebengemach und stellte die Lampe auf die Kommode gegenüber dem aufgeschlagenen Bett, in dem so lange nur die Frau geschlafen hatte.

Diese war ihm stumm und schüchtern gefolgt und stand nun regungslos, während er anfing, sich auszukleiden. Ein herber Kummer bedrückte sie. Ihr Mann hatte außer jenem ersten Händedruck ihr keine Zärtlichkeit gegönnt, sie war noch immer von ihm verstoßen, obwohl sie äußerlich in Frieden neben ihm leben sollte.

Wenn ich dir nichts mehr thun kann, Battista, sagte sie endlich mit bebender Stimme, so sage ich dir gute Nacht und will mich zurückziehen.

Wohin willst du? brauste er auf.

Mich bei den Kindern betten. Du hast das Bett ja nötiger als ich. Ich schlafe bei der Lena.

Er sah in stiller Bewegung das arme, scheue Weib an, das so viel gelitten hatte.

Komm! sagte er. Sei keine Thörin. Was kannst du dafür, daß man dich von mir gerissen hat? Du aber hast lange genug gebüßt für eine fremde Schuld. Nun hol' ich dich mir wieder, und wir fangen unsere Ehe von Neuem an.

*

Am Abend des nächsten Tages schritt der Verfehmte hinter den Häusern des Dorfes, da er noch immer die Erkennung fürchtete, dem Ölwalde zu, nach der Straße, die zur Bahnstation führte.

Der Tag war in mancherlei freudigen Aufregungen vergangen. Erst in der Frühe das Wiedersehen mit den Kindern, die heute aus der Schule wegblieben, theils um in der kurzen Zeit immer beim Vater zu sein, theils um sich nicht zu verplaudern, der Babbo sei zurückgekehrt. Dann hatte Orsola den Gevatter holen müssen, und es war ein langer Rath gepflogen worden, wie Alles bis zur Abreise der Familie gehalten werden sollte. Der wackere Freund, der beträchtlich älter war als Battista, war dann zum Herrenhause hinaufgegangen, Rosa heimlich zu benachrichtigen, daß der Vater sie unten erwarte. Der Giovannino hatte sie begleiten wollen, aber zurückbleiben müssen, um das Glück dieses kurzen Tages den beiden Wiedervereinigten nicht zu trüben.

Dann hatte man sich getrennt mit der Hoffnung auf ein neues Glück in der Fremde.

Als der Wandernde das Wäldchen erreicht hatte, lüftete er den schweren Mantel, da er hier eine Erkennung nicht mehr zu fürchten hatte, und schritt in ruhiger Heiterkeit dahin, die guten Stunden dieses Tages noch einmal sich zurückrufend. Da hörte er plötzlich Hufschlag sich entgegenkommen und sah in der Dämmerung einen Reiter hoch zu Pferde, den er sofort erkannte.

Graf Carlo hatte wieder einmal einen weiten Ritt gemacht, um sich für die Nacht einen besseren Schlaf zu verschaffen, an dem er häufig Mangel litt. Er hatte das Haupt auf die Brust gesenkt und überließ in seinem dumpfen Brüten die Zügel dem ermüdeten Tier, das im Schritt den breiten Weg verfolgte. Als es des entgegenkommenden Wanderers ansichtig wurde, wieherte es hell auf und weckte seinen Herrn.

Im Augenblick hatte dieser den anderen erkannt, und unwillkürlich gab er dem Pferde die Sporen, um an ihm vorüberzureiten. Battista aber trat ihm in den Weg und griff dem sich aufbäumenden Tier in die Zügel.

Verzeihung, Eccellenza! rief er ihm zu in gelassenem Ton, in dem aber die verhaltene Erregung zitterte, alte Bekannte gehen doch nicht ohne Begrüßung aneinander vorüber, zumal für einen Schuldner gebührt es sich, vor dem Gläubiger den Hut zu lüften. Oder versteht ein schlechter Bauer sich etwa nicht auf das, was bei vornehmen Herren Sitte ist?

Den anderen, so wenig es ihm an Muth fehlte, hatte es seltsam überschauert, als die Stimme zu ihm hinaufklang. Mehr aber aus Verlegenheit, wie er sich benehmen sollte, hob er nur die Reitpeitsche, um durch einen Schlag auf den Hals des Pferdes ihm zu Hilfe zu kommen, die Hand des Mannes abzuschütteln. Da blitzte ihm der blanke Lauf eines kleinen Revolvers entgegen, den Battista rasch aus der Tasche gezogen hatte.

Schlagt nur zu, Herr Graf! rief dieser, auf ihn anlegend. Mich dünkt aber, das Spiel ist ungleich. Es brächte mir keine Ehre, es zu gewinnen. Auch fällt mir ein, daß ich kein Recht habe, nach so langer Zeit meine Rache zu nehmen. Ich selbst habe eine Sünde begangen, indem ich Blut vergoß und mich an einer unschuldigen Seele verging. Ein Mörder taugt nicht zum Richter und Rächer, und so will ich Euch begnadigen, Eccellenza. Reitet heim und versucht, ob Ihr diese Nacht ruhig schlafen könnt, da Ihr von Eurem Todfeinde Großmuth erfahren habt, und wenn Ihr die Barmherzigkeit Gottes verdienen wollt, so macht an dem Kinde gut, was Ihr an seiner Mutter verbrochen habt. Wir zwei sind fertig miteinander, bis wir vor dem ewigen Richter uns wiedersehen, von dem wir erfahren wollen, wer von uns beiden der größere Sünder sei. Gute Nacht, Herr Graf!

Er gab das Pferd frei, das mit einem großen Satz an ihm vorüberschoß, und lüftete den Hut, mit einem höhnischen Lächeln zurückblickend, während auch der Reiter unwillkürlich den Rand seines Hutes berührte. Dann verklang der Hufschlag unter den Zweigen des dunklen Olivenhains.

– – – – – –


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