Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Tantalus.

(1899.)

 

—————

 

Der Nachtzug, der von Norden kam, braus'te in die weite Halle des Münchener Bahnhofes hinein. An der weitgestreckten Wagenreihe liefen die Schaffner entlang, rissen die Thüren auf, nahmen das Handgepäck der Reisenden in Empfang, und der Bahnsteig füllte sich mit einem Gewühl übernächtig blickender, verstaubter und ungewaschener Gesichter. Indessen fuhr die Locomotive noch eine Weile fort, stöhnend und keuchend ihren Dampf auszustoßen, der die weite Halle mit dichtem, weißem Gewölk bis hinauf zum höchsten Eisensparrwerk erfüllte.

Schon war der Menschenstrom zu den Ausgängen hinausgeflossen, als in der Thür eines der vordersten Schlafwagen noch ein Nachzügler erschien, dessen unsicher herumspähende Miene den Eindruck machte, daß der Reisende die Ankunft in München verschlafen habe und jetzt noch kaum sich völlig ermuntern könne.

Seine Kleidung, der breitrandige schwarze Hut, das lose umgeschlungene seidene Halstuch und ein Mantel, der an die Mäntel der Hirten in der römischen Campagna erinnerte, ließen auf einen Künstler schließen. Dazu stimmte auch das Gesicht mit seinen klaren, scharfen Zügen und den vollen, aber fein geschwungenen Lippen, die von einem weichen braunen Bart umschattet waren. Sie waren frisch und roth, während das übrige Gesicht durch seine Alabasterblässe fast einen geisterhaften Eindruck machte. Unter der bleichen Stirn glühten zwei dunkle, fast ganz schwarze Augen mit einem seltsam müden, starren Blick, als hätten sie auch im Schlaf keine Ruhe gefunden.

Ein Packträger hörte endlich auf den Ruf des Verspäteten und eilte herbei, seinen Handkoffer in Empfang zu nehmen. Dann stieg der Herr langsam die hohen Trittbretter hinab, blieb unten einen Augenblick stehen und sah in das Dampfgewölk hinauf, zog dann den herabfallenden Mantel wie fröstelnd um die Schultern herauf und wandte sich, hinter dem Kofferträger, dem Ausgange zu. Er that dabei langsam einen Schritt nach dem andern, wie voraustastend mit suchenden Füßen. Nicht so schnell, mein Freund! rief er dem Dienstmann zu. Wir finden doch wohl noch eine Droschke.

Guten Tag, lieber Lars! hörte er plötzlich eine Frauenstimme hinter sich sagen. Glücklich angekommen? Haben Sie eine gute Fahrt gehabt? Fast hatte ich die Hoffnung aufgegeben, Sie noch zu finden, da ich umsonst bis ans äußerste Ende des Zuges alle Wagen visitirt hatte.

Der Reisende blieb mit einer Bewegung, die fast ein Erschrecken verrieth, stehen und wandte sich um; vor ihm stand eine schöne junge Dame in einer leichten, dunklen Frühjahrstoilette, die ihrer schlanken Gestalt sehr gut stand, auf dem blonden Kopf ein schwarzes Sammethütchen, mit ein paar grauen Federn geziert.

Nadine! sagte der Ueberraschte. Sie hier, liebe Freundin! Und ich hatte meinem Diener doch streng eingeschärft –

Schelten Sie den guten Patriarchen nicht, lieber Lars! Er hat mir feierlich erklärt, er dürfe Tag und Stunde Ihrer Rückkehr keinem Menschen verrathen. Nicht einmal er selbst solle Sie am Bahnhof empfangen. Als ich ihm dann auseinandersetzte, auf mich finde das Verbot keine Anwendung, ich sei kein gewöhnlicher Mensch, sondern der Vormund und die Vorsehung seines Herrn, ich hätte Sie zu dieser Reise getrieben und müsse nun durchaus zuerst wissen, welchen Erfolg sie gehabt habe, da wagte Freund Blume nicht länger, sich zu widersetzen. Und was hat es auch geschadet, daß er geplaudert hat? Sind Sie gar nicht ein bischen froh, daß gleich das erste Münchener Gesicht, dem Sie hier begegnen, das meine ist?

Er antwortete nicht sogleich. Er hatte seine großen, dunkeln Augen, während sie sprach, starr auf das reizende Gesicht geheftet, das ihm mit einer schlechtverhehlten zärtlichen Bangigkeit entgegensah. Als hätte er alle ihre Worte überhört, fast wie zu sich selbst redend, sagte er endlich: Ist es denn möglich? Kann denn diese Frau noch schöner geworden sein? Ich habe dies Gesicht doch beständig vor mir gehabt, wenn ich nach innen sah, und doch – es ist mir ganz neu – ganz neu –

Sie erröthete unter dem Schleier. Was Sie da für thörichte Dinge reden, Lars! Wenn etwas Wahres daran wäre, so könnt' es nur sein, daß die Reise Ihren Augen gut bekommen ist, daß Sie endlich ganz klar darüber geworden sind, welch ein Ausbund von Schönheit Ihre alte Freundin ist. Aber Scherz beiseite! Diese schmeichelhafte Illusion danke ich nur meinem Schleier. Der schöne Wahn wird bald genug entzweireißen.

Sie that einen Schritt dem Ausgang zu. Er hielt sie sanft am Arm fest. Sagen Sie mir nur erst, liebe Freundin, brachte er in fast ängstlichem Ton hervor, das Weiße da oben – der dichte Nebel – ist er nur für meine Augen vorhanden, oder der Dampf der Locomotive?

Aber gewiß, fiel sie ihm ins Wort. Was sollt' es anders sein? Das Dampfroß hat seinen Geist aufgegeben, der noch eine Weile in der Luft herumspukt. Aber nun lassen Sie uns zu einer Droschke kommen.

Sie nahm seinen Arm und führte ihn nach dem Ausgang des Bahnhofs.

Halten Sie mich nicht für einen Siebenschläfer, sagte er, weil ich der Letzte bin. Mein Schlafkamerad im Coupé bestand darauf, daß die Lampe gelöscht werden sollte. Nun kann ich ohne Nachtlicht nicht schlafen. Wenn ich so im Finstern aufwache, überfällt mich sofort das Grauen, als habe sich mein Schicksal schon vollzogen, die Nacht sei nicht um mich, sondern in mir. Und da habe ich denn wach gelegen, bis der Morgen dämmerte. An Gedanken, mit denen ich mir die Zeit vertreiben konnte, fehlte mir's ja nicht. Erst ein paar Stunden vor der Ankunft fand ich denn auch noch ein bischen unruhigen Schlaf.

Sie waren zu einer Droschke gelangt, Lars half der Freundin hinein und rief dem Kutscher die Straße und Nummer ihrer Wohnung zu. Erst muß ich Sie nach Hause bringen, sagte er.

Sie wollen mich so rasch als möglich los werden?

Nein, aber ich bin Ihrer Gesellschaft nicht eher würdig, als bis ich das Bad genommen habe, das mein treuer Blume mir hergerichtet hat. Sehen Sie, in diesem unsäuberlichen Zustande wage ich nicht einmal, Sie zu umarmen, wozu mich mein Herz doch mächtig drängt, und was in der Aufregung des Wiedersehens kein Mensch, am wenigsten Sie selbst, mir übelgenommen hätte. Wir können das vielleicht später nachholen, meinen Sie nicht? Ich lasse mich wohl im Lauf des Tages bei Ihnen sehen, möchte auch Ihrem Bruder die Hand drücken. Wie ist es euch Beiden ergangen in den acht Tagen, seit ich meinen Passionsweg angetreten habe?

Foltern Sie mich nicht mit so gleichgültigen Reden! brach es leidenschaftlich aus ihr hervor. Sie wissen, mit welcher Ungeduld ich und Max auf das Ergebniß Ihrer Reise gewartet haben. Nicht eine Zeile haben Sie geschrieben, weder aus Wien noch aus Prag und Berlin. Mußte uns nicht schon das Schweigen ängstigen? Wenn Sie etwas Gutes zu melden gehabt hätten, wären Sie doch nicht stumm geblieben. Max ist ein Sanguiniker. Du wirst sehen, sagte er, er will uns nur in Person damit überraschen, daß er freigesprochen ist. Ich – mit meiner Bergeslast auf dem Herzen – o Lars, warum keine Silbe in der langen Zeit!

Liebe Freundin, sagte er und ergriff ihre Hand, was hätt' ich melden sollen? Wer viel fragt, bekommt viel Antwort. Aussprüche von Orakeln pflegen seit den Tagen der griechischen Pythia dunkel zu sein. Nun, über allzu tröstliche Klarheit der mir zu Theil gewordenen habe ich nicht zu klagen. Jedenfalls aber habe ich im Umgang mit diesen berühmten drei Specialisten eine so genaue Kenntniß meines Leidens und einiger nahverwandter erhalten, daß ich mich um einen Lehrstuhl der Augenheilkunde bewerben könnte. Wobei ich noch den Vortheil hätte, die nöthigen Demonstrationen am eignen Leibe machen zu können.

Sie entzog ihm hastig ihre Hand. Ich sehe, daß Ihre frühere Freundschaft für mich erkaltet ist. Wenn Sie nur im geringsten mich zu schonen wünschten, würden Sie meine Angst und Unruhe nicht mit so zweideutigen Reden bis zum Unerträglichen steigern.

Er schüttelte mit einer trübsinnigen Miene den Kopf.

Sie thun mir sehr Unrecht, geliebte Frau, sagte er. Es wird mir nur Ihnen gegenüber ein bischen schwerer, den Spruch der weisen Richter über die Lippen zu bringen, als diesen selbst. Aber wenn Sie darauf bestehen – und auf die Länge läßt sich die Wahrheit ja doch nicht verschweigen – nun denn: la nuit sans phrase!

Er fühlte, wie sie zusammenfuhr, so große Mühe sie sich gab, ihre Erschütterung zu verbergen. Erst nach einer Weile fand sie so viel Athem, um in scheinbar gelassenem Ton hinzuwerfen: Und Sie glauben dem Orakelspruch? Als ob den Augen dieser Seher die Zukunft nicht ebenso in Nacht gehüllt wäre, wie sie es ihren Gläubigen voraussagen. Wie oft soll ich Ihnen erzählen, lieber Freund, daß ein berühmter Specialist meiner guten Mutter geweissagt hat, in Jahr und Tag würde auf ihren beiden Augen der graue Staar operiert werden müssen? Und dann hat sie bis zu ihrem Tode noch zehn Jahre Morgens und Abends ohne Brille ihre Zeitung gelesen.

Ich gönne das der guten Frau nachträglich von Herzen, versetzte Lars mit einem mühsamen Lächeln. Auch hätte mich das schöne Geschichtchen gewiß noch eine Weile getröstet und mich an meine Münchener Autorität glauben lassen,. der zufolge weder der graue noch der schwarze Staar zu fürchten war. Aber wer war's, der »aus meinem Frieden mich herausgeschreckt«, darauf gedrungen hat, daß ich noch an andern Orakelthüren anklopfen sollte? Und wenn ich Ihnen nun zur Beruhigung verrathe, daß die Sprüche allerdings nicht einstimmig ausgefallen sind, man also an ihrer Unfehlbarkeit einigen Zweifel hegen darf? Denn es ist sehr merkwürdig: nach dem Wort »womit du sündigst, daran sollst du gestraft werden«, wird ein armer Maler, der mit seinen Augen ein üppiges, verschwenderisches Spiel getrieben hat, zum Erblinden verurtheilt. Aber man ist so gütig, wenigstens seinem Farbensinn Rechnung zu tragen, man läßt ihm die Wahl zwischen dem grauen, schwarzen und grünen Staar, nein, nicht eigentlich die Wahl; nur daß es interessant ist, abzuwarten, in welcher Farbe die ewige Nacht über ihn hereinbrechen wird.

Er unterbrach sich einen Augenblick, zog sein Taschentuch hervor und fuhr damit über das Fenster der Droschke, das feucht angelaufen war.

Diesmal ist der Nebel wirklich nicht in, sondern außer mir, sagte er, vor sich hinlächelnd. Sie glauben nicht, liebe Freundin, wie widerwärtig das ist, daß man nicht mehr weiß, ob man sich auf seine eignen Augen verlassen kann. Wie wenn man plötzlich an einem alten Diener irre würde, dem man fünfunddreißig Jahre blindlings vertraut hat. Wenn er einem noch auf einmal für immer durchginge, daß man wüßte, woran man wäre. Aber so! Diese Bestie von einer Krankheit! Spielt mit einem, wie die Katze mit der Maus. In diesem Augenblick seh' ich Ihr liebes Gesicht so hell und ungetrübt wie je; und vielleicht schon in der nächsten Minute, wenn der Nebel wieder kommt –

Sie haschte nach seiner Hand und drückte sie lebhaft. Sie haben doch ein wenig Fieber, sagte sie. Nein, reden Sie vernünftig. Ich weiß immer noch nicht, was Ihre Orakel gesagt haben.

Nun, wie ich schon bemerkt habe, es war sehr interessant. Aus den Symptomen, die ich Ihnen mittheilte, las Jeder sich etwas Anderes heraus. Der Erste wollte Winkelzüge machen, ganz wie mein guter hiesiger Freund. Sie nennen das schonen, daß man erst am eignen Leibe erfahren muß, was sie einem verschwiegen haben. Als ob ein vernünftiger Mensch nicht lieber mit aufrechtem Nacken seinem Schicksal entgegenginge! Als ich ihm dann erklärte, ich sei kein nervöses Frauenzimmer und wolle nicht »geschont« sein, gestand er mir, der Augennerv sei erkrankt, vom grauen Staar leider keine Rede, das Verderben gehe langsam aber sicher seinen Gang, und keine Operation könne es aufhalten.

Ich bedankte mich für gnädige Straf' und reis'te zu Nummer zwei. Der gab mir für mein gutes Geld auch den Namen meiner Krankheit, einen wunderhübschen Namen, Amaurosis. Nicht wahr, das klingt vornehmer als das gemeine »schwarzer Staar«? Im Grunde ist es dieselbe nichtswürdige Sache. Und auch was Nummer drei ihr für einen Namen gab – Glaucoma nannte er's, da er es für den grünen Staar hielt –, ich gestehe, all diesen illustren Benennungen zöge ich eine ganz ordinäre Augenentzündung bei Weitem vor. Bei dem grünen Glaucom freilich hat man noch die Chance, durch eine Operation, die auch einen wundervollen griechischen Namen hat, ein bischen von seiner Sehkraft zu retten, nur so zum Hausgebrauch, zur Malerei schwerlich aufreichend. Es wird einem da ein Stück von der Regenbogenhaut ausgeschnitten, wie es scheint, um ein Fensterchen oder eine Luke zu öffnen, durch die etwas Tageslicht ins Auge dringt. Leider kann man sich den Spaß nur in acuten Fällen erlauben, und Sie wissen, wie chronisch schleichend die Geschichte bei mir sich vorbereitet hat. Schon bald nachdem ich von Italien zurückgekommen war, das ist nun anderthalb Jahre her, und seitdem wird der Nebel, in dem das Maulthier seinen Weg sucht, immer dichter.

Aber wir wollen nicht winseln, liebe, geliebteste Freundin. Es giebt noch schöne Augenblicke im Leben, wo ich sogar das kleine braune Fleckchen an Ihrem Halse erkennen kann. Nur dürfen Sie nicht so stumm bleiben, hören Sie? Nächst Ihrem holden Antlitz, wissen Sie ja, ist Ihre Stimme das Liebste, was ich auf der Welt kenne. Warum sind Sie nun so verstummt? Haben Sie wirklich erwartet, der arme Sünder werde von seinen Geschworenen freigesprochen werden?

Sie hatte sich abgewendet. Er sollte nicht sehen, daß ihr die schweren Tropfen über die Wangen liefen. Mit äußerster Anstrengung bezwang sie ihren inneren Jammer und sagte: Es hat schon sonst Justizmorde gegeben, auf unsichere Indicien hin. Muthen Sie mir zu, daß ich mich bei diesem Urtheil beruhigen solle? Nein, Lars, wir legen Berufung ein, wir gehen an die höhere Instanz. In Paris –

Liebste Freundin, unterbrach er sie und zog ihre Hand an seine Lippen, warum wollen Sie die Qual der Ungewißheit uns Beiden noch verlängern? Ich habe Ihnen zu Gefallen diese Wallfahrt unternommen, obwohl ich mir von keinem Propheten sagen zu lassen brauchte, was ich als den Spruch meines Schicksals in mir fühlte. Nun, nachdem aus dreier Zeugen Mund die Wahrheit kund geworden war, wünsche ich nichts als in aller Stille das Unvermeidliche abzuwarten. Wenn ich sagen sollte, daß das eine heitere Perspective sei, müßte ich freilich lügen. Für manchen Andern wäre die Sache nicht gar so schlimm. Ich habe hier in München Blinde herumgehen sehen, ohne Führer, mit einem Stock sich ihren Weg sichernd, nur zuweilen blieben sie stehen, wenn ein Geräusch herankam, über das sie nicht gleich klar waren. Sie sahen ganz fröhlich und zufrieden aus. Und haben wir Beide früher nicht den guten Botschaftsrath gepriesen um seine heitere Gemüthsstimmung, seine Fähigkeit, trotz der Nacht um ihn her am Leben theilzunehmen und sogar thätig zu bleiben? Nur daß ein Mensch, dessen Metier gerade auf die Augen angewiesen ist, wenn die streiken, nicht leicht umsatteln und etwas vornehmen kann, was ihn nur einigermaßen befriedigt. Der alte Homer hatte gut lachen! Man erzählt ihm nach, er habe die Gestalt des todten Achilleus aus dem Grabe heraufbeschworen, der Heros sei ihm auch erschienen, aber in so furchtbar flammender Rüstung, daß Homer plötzlich erblindet sei. Zum Trost dafür habe ihm Juno die Gabe der Dichtung verliehen. Was aber könnte ich besingen? Meine Liebe zu Ihnen, auch wenn sie mich plötzlich zum Lyriker machte, würde sie so viele Bände füllen, daß ich mir einbilden dürfte, daran ein richtiges Tagewerk zu thun?

Und sehen Sie, immerhin wäre es etwas spät, noch einen andern Beruf zu ergreifen, bloß um mich überhaupt noch nützlich zu machen, wenn man das mit lyrischen Gedichten überhaupt könnte. Gerade bis in mein fünfunddreißigstes Jahr hab' ich's gebracht – nel mezzo del cammin di mia vita – und Sie müssen mir doch zugeben, ich dürfte mir endlich sagen, daß ich wohl auch zu den Berufenen gehörte – meine letzten Arbeiten zeigten, was ich wollte und konnte – und da, aus heiterem Himmel dieser Schlag – das stolze Gebäude meiner Hoffnungen, meines Ehrgeizes kracht zusammen, nichts bleibt mir, als an die Thür meines Ateliers zu schreiben: Gänzlicher Ausverkauf wegen Aufgabe des Geschäfts. Und nicht wahr, ich bin doch wohl noch etwas zu jung dazu, um wie jene beiden Biedermänner mir mit heiterem Gesicht und vorgestrecktem Stock meinen Weg in den Straßen Münchens zu suchen und darüber nachzudenken, ob Raffael ein großer Maler geworden sein würde, auch wenn er ohne Augen zur Welt gekommen wäre.

Sie hatte, während er sprach, unverwandt zu dem Fenster an ihrer Seite hinausgestarrt. Die Thränen waren versiegt. Eine starre Verzweiflung sprach aus ihren blassen Zügen. Nun endlich wollte sie etwas erwiedern, das Erste Beste, was ihr auf die Zunge kam, da sie ihr Innerstes nicht aufschließen durfte, da hielt die Droschke.

Lars öffnete den Schlag und stieg aus, ihr den Arm zu bieten.

Ich habe Ihnen noch so viel zu sagen, lieber Freund, warf sie hastig hin, da sie hinausgesprungen war. Aber erst müssen Sie ruhen von der unerquicklichen Nachtfahrt. Wollen Sie nicht zu Tische kommen? Max würde sich so freuen, Sie zu sehen, und Sie wissen, wie angeschmiedet er an sein Bureau ist.

Zu Tische nicht, erwiderte er. Ich weiß nicht, ob ich bis dahin fertig werde mit Allem, was während meiner Abwesenheit sich angesammelt hat. Aber nach Tische, so zu ihrem Fünf-Uhr-Thee – oder erwarten Sie da Besuch?

Ich werde Sorge tragen, daß wir ungestört bleiben. Einstweilen thun Sie mir's zu Liebe und grübeln Sie nicht über das, was alle unsre Weisheit nicht ergründen kann. Versprechen Sie mir das!

Sie hielt ihm die Hand hin, die er kräftig drückte. Alles, was in meiner Macht steht, steht immer in Ihrem Dienst. Auf Wiedersehen! Grüßen Sie unsern Staatsmann.

Er sah ihr nach, bis sie im Hauseingang verschwunden war. Ein Schatten senkte sich über sein Gesicht, und ein schwerer Seufzer entrang sich seiner Brust. Dann rief er dem Kutscher die Nummer seiner Wohnung in der Schwanthalerstraße zu und stieg langsam wieder ein, nachdem er gegen den hellen Maihimmel die Augen in einer Art Lichthunger weit geöffnet hatte, als ob er es ihnen gönnen wollte, sich einmal recht satt zu trinken.

*

Vor dem Hause in der Schwanthalerstraße stand, schon seit einer Stunde, Blume, »der Patriarch«.

Den Spitznamen hatten ihm die Heiligenmaler aufgebracht, denen er viele Jahre zu ihren Erzvätern und Aposteln Modell gesessen hatte. Sein regelmäßiges Gesicht mit dem friedlichen Augenaufschlag und die langen, bis auf die Schultern niederwallenden Haare hatten ihn zu diesem ehrwürdigen Beruf geeignet erscheinen lassen, nachdem er in seinem früheren eines kleinen Schenkwirths abgewirthschaftet hatte, weil sein geistlicher Hang und das fleißige Kirchenlaufen ihm hinderlich gewesen waren, sein Geschäft mit der nöthigen Pünktlichkeit und munteren Manier zu versehen. Einer seiner Stammgäste hatte ihn dann beredet, sich der Kunst zu widmen, wobei er sich ein Dutzend Jahre sehr wohl befunden hatte. Er hatte nichts zu thun gehabt, als sich den Bart wachsen zu lassen und sein Haupthaar zu kämmen und konnte dabei nach Herzenslust so viel Messen und Rosenkranzandachten besuchen, wie er wollte.

Lars, da er keine Kirchenbilder malte, war ihm nur hin und wieder in den Ateliers guter Freunde begegnet. Als er aber vor zwei Jahren aus Italien zurückgekehrt war, traf er ihn einmal auf der Straße in einem höchst mitleidswürdigen Aufzug, Haar und Bart gestutzt, aber verwildert, in abgetragenen Kleidern, auf seinem Gesicht die himmlische Verklärung verschwunden, die er so lange als ein Kennzeichen seines Berufs zur Schau getragen hatte. Er erzählte dem mitleidigen Künstler, daß es mit dem Modellsitzen vorbei sei, indem er auf einen kleinen, rothen Auswuchs zwischen seinen ehrwürdigen Augenbrauen hinwies, der sein Gesicht allerdings nur ein wenig entstellte. Er hatte aber eine so hohe Meinung von seinem früheren Idealkopf, daß er ihn um keinen Preis in seiner jetzigen »Verschandelung«, wie er es nannte, Künstleraugen hätte preisgeben mögen.

Ein kleiner Ausgeherposten bei einer Versicherungsgesellschaft hatte ihm so viel eingetragen, daß er nicht gerade zu verhungern brauchte. Als ihn Lars fragte, ob er gegen einen guten Lohn, Beköstigung und vollständige Bekleidung in seinen Dienst treten wollte, traten ihm die Thränen in die Augen. Er war immer schweigsam gewesen, fand auch jetzt kein Wort des Dankes, sondern haschte nur nach der Hand seines freundlichen Gönners und küßte sie auf offener Straße so inbrünstig, daß Lars sie ihm erröthend entzog.

Seitdem hatte er sich musterhaft aufgeführt. Es war ihm eine hohe Befriedigung, auf diese Art doch noch ferner der Kunst dienen zu dürfen, indem er seines Herrn Pinsel wusch, die Palette reinigte, Blendrahmen aufspannte und fertige Bilder einpackte und zur Bahn beförderte. Zu seinen kirchlichen Uebungen ließ ihm Lars alle erwünschte Zeit.

Auch heute hatte er eine frühe Messe gehört, dann aber, lange vor der Zeit, seinen Posten unten bei der Hausthür eingenommen, da man nicht wissen konnte, ob der Zug sich nicht verfrühte. Statt dessen hatte er übermäßig lange warten müssen, da Lars erst seine Freundin nach ihrem Hause gebracht hatte.

Er begrüßte den Herrn mit einer stummen Verbeugung, belud sich mit dem Handkoffer und stieg die vier hohen Treppen voran, sehr niedergeschlagen, da er an Lars' Miene gemerkt hatte, in wie wenig tröstlicher Stimmung er zurückkehrte. Nur aus allerlei halben Worten hatte er sich zusammengereimt, zu welchem Zweck die Reise unternommen worden war, und erst eine schüchterne Frage gegen Frau Nadine hatte seine Vermuthung bestätigt.

Auch Lars war einsilbig. Erst als sie oben angekommen waren und in das große, helle Atelier eintraten, sagte er: Sie haben lange auf mich warten müssen, Blume. Wenigstens aber werden Sie Nachts besser geschlafen haben als ich.

Haben der Herr Professor sonst – eine gute Reise gehabt? stammelte der Alte, wobei er seinem Herrn nicht ins Gesicht zu sehen wagte.

Er nannte ihn hartnäckig Professor, weil er von seiner Künstlerschaft die höchste Meinung hatte. Lars hatte sich's Anfangs ernstlich verbeten, sich dann aber darein ergeben, da es dem treuen Menschen durchaus nicht abzugewöhnen war.

Statt aller Antwort nickte der Maler nur zerstreut und trat, noch in Hut und Mantel, vor die große Leinwand auf der Staffelei mitten im Atelier. Der Stuhl stand noch davor wie vor acht Tagen, da er zuletzt an dem Bilde gemalt hatte. Mit einem eigenthümlichen Aufleuchten in den dunklen Augen ließ er sich jetzt davor nieder und betrachtete unverwandt das Bild.

Es war eines von vieren, in denen Lars die Jahreszeiten geschildert hatte, im Auftrage eines reichen Amerikaners, der sich in der Nähe von Sorrent eine Villa gebaut und gewünscht hatte, mit diesen Gemälden den Speisesaal zu decorieren. Zwei derselben hatte der Künstler noch in Rom vollendet, und sie hatten ihm von der dortigen amerikanischen Colonie neue Aufträge eingebracht: den Frühling, den eine im Garten spielende Kinderschaar darftellte, unter der Hut eines lieblich herangereiften Jungfräuleins, das in verlorenem Sehnen in die Ferne blickte; den Herbst, dessen schöne, klare Sonne eine kleine Gesellschaft römischer junger Herren und Damen bei einer sogenannten Ottobrata, einer Landpartie im October, im Hain der Egeria genoß. Den Sommer und den Winter hatte er nur untermalt nach München mitgenommen, als ihn sein Herz dorthin zurückrief. Hier aber war nur das Winterbild fertig geworden, ein Trupp Bergbewohner, die in der Mitte der Heiligen Nacht unterm Sternenhimmel nach einem einsamen Kirchlein zogen, dort die Weihnachtsandacht zu feiern. Das Bild stand schon in seiner Kiste verpackt hinten an die Wand der Werkstatt gelehnt und wartete auf die Vollendung des vierten, worin den Maler die Sorge um sein Augenlicht unterbrochen hatte.

Dieses Sommerbild war dem Künstler das liebste von den vieren. Er hatte es oft umcomponiert und war erst zuletzt damit ins Reine gekommen. Am Meeresufer lag eine schöne blonde Frau in heller Sonne, eben aus dem Bade gekommen und sich wohlig in der reinen Himmelsglut ausstreckend. Man sah den schönen weißen Leib in einer kühnen Verkürzung vom Rücken aus, der sich in ein weichaufgebauschtes rothes Gewand vergrub. Vom Gesicht nur ein schmales Streischen, nur ein winziger Funken des glänzenden Auges, das reiche, blonde Haar aufgelös't über die nackte Schulter verbreitet. Der eine Fuß wurde noch von der silbernen Brandung überspült, das linke Bein war zurückgebogen, so daß sein rosiges Knie sich glänzend gegen die blaue Flut abhob. Neben der Schönen lag ein großer Neufundländer, weiß und grau gefleckt, um dessen Leib seine Herrin den einen zarten Arm gelegt hatte. Er blickte in gravitätischer Ruhe auf die weite Meeresfläche hinaus, wo soeben ein Segelboot aufgetaucht war, ein junger Fischer darin, der sich vom Winde treiben ließ, während er träumerisch nach dem Ufer blickte, ahnungslos, an welch einem kostbaren Schatz ihn der Wind vorbeiführte. Die Wange der Frau schien ein leises Lächeln zu überfliegen, sie fühlte sich aber in ihrer stolzen Schönheit sicher genug, um allenfalls auch gegen einen Ueberfall geschützt zu sein, wenn der Wind plötzlich umspränge und den Jüngling zu ihren Füßen triebe.

Auch dies Bild war vollendet, bis auf die Frauengestalt, an der der Maler sich immer noch nicht genug gethan hatte. Es war ihm nicht geglückt, in München ein Modell ganz nach seinem Herzen aufzutreiben. Doch ein oberflächlicher Beschauer mochte auch an dem nur leicht untermalten Körper nicht allzuviel vermissen. Gerade aber in der leidenschaftlichen Aufregung, auch hier sein feines künstlerisches Gewissen zu befriedigen, hatte ihn die plötzliche Verschlimmerung seines Augenleidens überfallen, an dessen letzten Ernst er lange nicht hatte glauben wollen.

Als sein alter Diener nach einer Weile wieder ins Atelier trat, fand er Lars vor dem Bilde, immer noch den Hut auf dem Kopf. Der Mantel war über die Lehne des Stuhls zurückgeglitten, in den Händen hielt er Pinsel und Palette und malte eifrig an dem Lockenhaupt, dessen Glanz in der vollen Sonne ihm nicht leuchtend genug erschien. Als er das Eintreten des Patriarchen überhörte, wagte der zu fragen, ob der Herr Professor nicht kommen wolle, das Bad sei fertig, genau zwanzig Grad, es werde sich verkühlen.

Gleich, gleich! nickte der Maler, setzte noch ein paar Lichter auf und stand dann einige Augenblicke, seine Arbeit betrachtend, eh er das Malgeräth weglegte. Er war in sehr guter Stimmung, vor seinen Augen weder Nebel noch Funken und Farbenspiel, die Ruhe auf der Reise hatte ihm offenbar wohlgethan. Wenn dennoch alle düstern Orakelstimmen Unrecht hatten, wenn es nur auf eine längere Schonung ankam –?

Die Wohnung bestand außer dem Atelier in zwei Zimmern, der Küche und einer Kammer für den Diener. Aus dem Studio trat man in ein einfenstriges Gemach, an das sich das große Schlafzimmer schloß, dessen zwei Fenster nach Osten gingen. Trotz der niedrigen Decke dieser Mansardenräume erschienen sie behaglich durch die Menge eingerahmter Handzeichnungen und Skizzen, meist Geschenke guter Freunde und Kameraden, und die schönen Möbel und Teppiche, mit denen sie reichlich ausgestattet waren. Dagegen war das Atelier, das hoch über das Louvredach hinausgebaut war, ohne allen Prunk nur für die Arbeit eingerichtet, die Wände nicht mit Studien behangen, der einzige Schmuck eine Statue der capitolinischen Venus in der Größe des Originals und auf etlichen Gesimsen Abgüsse menschlicher Gliedmaßen über dem Leben.

Nun warf Lars die Kleider ab und tauchte sich in die große Wanne, die im Schlafzimmer hinter einer spanischen Wand aufgestellt war. Die laue Flut erquickte ihn, er konnte sich lange nicht entschließen, das Bad zu verlassen. Als er dann endlich hinausstieg, ging er im Bademantel noch eine Weile auf dem großen Teppich hin und her, eine italienische Volksweise vor sich hin summend. Vor dem Spiegel in der Ecke blieb er stehen und betrachtete lange seine kraftvolle Gestalt, deren Ebenmaß von manchem Collegen bewundert worden war, mit dem zusammen er unten in Italien am Meeresstrande gebadet hatte. Er gab sich aber keiner eiteln Freude an seiner Schönheit hin, vielmehr studierte er die Formen ganz ernsthaft, wie wenn er sie an einem bezahlten Modell vor sich hätte. Dann aber wurde sein Gesicht immer düsterer, je länger er in den Spiegel starrte. Das Haus wäre ganz gut gebaut, murrte er zwischen den Zähnen. Was ist aber selbst ein Palazzo werth, wenn kein Licht durch seine Fenster dringt!

Mit einem tiefen Seufzer wandte er sich ab und kleidete sich an. Dann nahm er sein Frühstück ein, das ihm Blume wie gewöhnlich in dem schmalen Cabinet aufgetragen hatte, zündete eine Cigarrette an und lag eine Weile, auf dem Sopha zurückgelehnt, in helldunklen Gedanken. Plötzlich sprang er auf, wie wenn er endlich einen festen Entschluß gefaßt hätte, und trat in sein Atelier.

Vor dem großen Fenster, dessen unterer Theil mit einem schwarzen Tuch überspannt war, stand ein Ruhebett aus rothem Plüsch, daneben ein kleiner Schreibtisch. An diesem nahm er Platz, zog eine Mappe aus dem Schubfach und begann auf einem Foliobogen zu schreiben, mit großen Buchstaben, an die er sich gewöhnt hatte, seit seine Augen von dem unheimlichen Leiden befallen worden waren.

Was er schrieb, war sein letzter Wille. Er hatte sich Mühe gegeben, ihn klar und unzweideutig abzufassen, langsam, oft absetzend, um einen Ausdruck sorgfältig zu überlegen, dann wieder hastig fortfahrend. Je länger er schrieb, je ruhiger wurde er, und als er seinen Namen unter das Schriftstück gesetzt hatte, athmete er auf, wie von einer Last befreit.

In demselben Augenblick klopfte es an die Thür. Er hörte es erst beim dritten Mal, so entrückt der Gegenwart war sein Sinn. Ehe er herein! rief, schob er das Blatt in die Mappe und warf sie wieder in den Tischkasten. Sein erster Gedanke war, die Freundin möchte draußen stehen und ihn bei seinem melancholischen Geschäft ertappen.

Es war aber nicht Nadine, die nun eintrat, sondern ein junger Mensch in einer grauen Joppe und hohen Reiterstiefeln, der seine alte Soldatenmütze tief abzog und mit einer halb verlegenen, halb zutraulichen Verbeugung den »Herrn Professor« um Verzeihung bat, wenn er ihn vielleicht gestört haben sollte.

Ihr seid's, Fabian! sagte der Maler. Wollt Ihr den Papa einmal wieder besuchen? Der wird draußen in der Küche sein.

Nein, sagte der junge Mensch, dessen stumpfnasiges Gesicht mit den zwinkernden kleinen Augen nicht vermuthen ließ, daß er den ehrwürdigen Patriarchen mit den feierlichen Zügen zum Vater hatte, er habe den Alten erst gestern gesprochen, und da habe er erfahren, daß der Herr Professor heute zurückkommen würde, und da habe er fragen wollen, ob der Herr Professor ihn nicht vielleicht brauchen könne.

Lars schüttelte unmuthig den Kopf.

Ich habe Euch schon neulich gesagt, Fabian, daß ich kein männliches Modell nöthig habe. Auch möchte ich Euch nicht Vorschub dazu leisten, daß Ihr dies elende Gewerbe fortsetzt. In zehn Jahren ist es damit vorbei, denn Ihr seid ein Trinker und habt ohnehin Anlage zum Fettwerden. Es mag Euch wundern, daß ein Maler gegen das Modellstehen eifert. Aber ich kann mir nicht helfen, es ist mir immer peinlich, wenn ich einen gesunden, rüstigen Burschen sehe, der keine andere Arbeit verrichtet, als daß er ein paar Stunden lang auf einem Trittbrett steht und seinen Körper, den ihm Gott zu besserem Thun gegeben hat, von Malern oder Bildhauern studieren läßt. Es bringt mehr ein als das Betteln an der Kirchenthür, ist aber eine noch schlimmere Tagedieberei. Ihr könntet Euch an Eurem Papa ein Beispiel nehmen, der elend zu Grunde gegangen wäre, wenn ich ihn nicht zufällig von der Straße aufgelesen hätte.

Der Herr Professor haben vollkommen Recht, sagte der junge Mensch, seine Mütze nervös in den Händen drehend. Auch hab' ich ja was Anderes werden wollen, nämlich Schauspieler, weil ich eine gute Bildung habe, und für das Poetische habe ich immer geschwärmt. Aber wo ich mich angeboten habe, hat's immer geheißen, ich hätt' nicht das Gesicht zum Dramatischen, höchstens die dummen Bedienten könnt' ich spielen; das paßte mir nicht. Und da sie mir sagten, es wäre schade, daß mein Gesicht nicht so regelmäßig und zur Kunst brauchbar wäre wie mein übriger Mensch, hab' ich's mit meinem übrigen Menschen probiert, ob der mir Brod schaffen könnte, und das hat er denn auch zu Wege gebracht'. Aber der Herr Professor haben gewiß Recht, 's ist ein elendiges Gewerbe, ein miserabliges, zumal für einen Mann von Bildung, und so bin ich darauf gekommen, den Herrn Professor zu fragen, ob Sie mich nicht sonst in Ihrem Dienst brauchen könnten.

Der Maler sah ihm mit argwöhnischen Augen scharf ins Gesicht.

Wozu sollt' ich Euch brauchen können, Fabian? sagte er. Euer Papa ist ja rüstig genug, seinen Dienst zu versehen, der wahrhaftig nicht der schwerste ist.

Es ist nur, stammelte der junge Mensch, weil der Herr Professor sich immer mehr hart thun mit den Augen, wie der Alte sagt, und da hatt' ich gedacht, wenn's noch schlimmer werden sollt' – einen Menschen, der dem Herrn Professor vorlesen thät' und seine Briefe schreiben, und wenn er sich nicht mehr allein auf die Straße getrauen würde – an Treu' und Redlichkeit würde ich's ja gewiß nicht fehlen lassen, und in der Schul' hat der Lehrer mich immer gelobt wegen meinem schönen Vortrag, und was meine orthographische Handschrift betrifft –

Lars richtete sich mit einem heftigen Ruck auf, seine Augen flammten, eine tiefe Röthe hatte sein weißes Gesicht überflogen.

Genug! rief er. Ich verbitte mir solche Zudringlichkeiten. Wenn ich Euch jemals brauchen sollte, werde ich's Euch durch Euern Vater wissen lassen. Bis dahin wünsche ich nicht wieder von Euch gestört zu werden.

Dem erschrockenen Burschen war die Mütze entfallen. Er hob sie hastig auf, stotterte: Bitte tausendmal um Verzeihung, gnädiger Herr! und schob sich in äußerster Verwirrung aus der Thür.

Kaum sah sich Lars wieder allein, so überfiel ihn ein brennendes Gefühl der Beschämung, daß er sich dem arglosen Menschen gegenüber so weit hatte fortreißen lassen. Er wollte sich noch damit entschuldigen, es sei empörend, wie man ihn schon jetzt als einen verlorenen Mann betrachte und aus seinem Unglück Vortheil zu ziehen suche. Aber sein ehrliches Gewissen ließ die sophistische Rechtfertigung nicht gelten. Er wußte, daß dieser Patriarchensohn ein leichtsinniges, aber gutartiges Gemüth besaß, unfähig einer kaltherzigen Speculation auf die Noth eines Mannes, dem sein Vater Dank schuldig geworden. Er hatte es gut gemeint und war übel dafür belohnt worden.

Als ihm dies mit peinlicher Klarheit zum Bewußtsein gekommen war, stürzte er durch den Flur nach der Thür hinaus und rief die Treppe hinunter, Fabian möchte noch einmal heraufkommen, er habe etwas vergessen. Kein Laut kam von unten zurück. In großer Verstimmung schloß Lars wieder die Thür und warf sich im Atelier auf den Divan, seinem Schicksal nachzusinnen, das nun erst, durch diesen geringfügigen Zwischenfall, mit der vollen Wucht aller Schrecken sich seiner Phantasie bemächtigt hatte.

*

Als er dann wieder aufstand, fühlte er sich in seinen Gliedern wie gelähmt; die Erfrischung durch das Bad war verflogen, seine Augen sahen die Dinge um ihn her wieder mit leise zitternden Umrissen. Die Aerzte hatten ihm gesagt, daß er jede Aufregung vermeiden müsse, und eben hatte er sich heftig geärgert, erst über den jungen Menschen, der sich ihm zum Blindenführer anbot, dann über sich selbst. Dazu hatte sich der Tag, der so strahlend aufgegangen war, wieder getrübt, ein leichtes Regengeriesel tropfte gegen die Scheiben.

Er trat düster gelaunt vor sein Bild, betrachtete eine Weile, was er am Morgen daran gemalt hatte, und nahm dann einen Leinwandlappen, die frischaufgetragene Lasur wieder wegzuwischen. Dann sah er nach der Uhr. Er hatte den Entwurf des Testaments noch am Vormittag sogleich zu seinem Notar tragen wollen. Das mußte er nun verschieben, da die Bureaustunde verstrichen war. So nahm er endlich seinen Hut und verließ die Wohnung.

Als er auf die Straße kam, that die feuchte Luft ihm wohl. Er nahm den Hut ab und ließ den feinen Regen auf seine hohe Stirn niedersprühen, während er langsam an den Häusern entlang ging. Hie und da las er die Inschrift auf einem Ladenschild oder betrachtete aufmerksam die Zierathen einer Façade, wie wenn er sich etwas einprägen wollte, was er morgen nicht mehr sehen würde. Dieser Gedanke aber schmerzte ihn nicht. Es war nichts hier zu sehen, auf das er nicht ohne Kummer verzichtet hätte. Er schloß sogar einmal selbst die Augen und versuchte, ob seine Füße ohne diese Wegweiser sich zurechtfinden möchten. Eine ziemlich lange Strecke glückte es auch. Dann stieß er sich am Gitter eines Vorgartens und blieb mit einem mitleidigen Lächeln wie über die Ungeschicklichkeit eines Kindes stehen. Fabian hat recht, sage er vor sich hin. Der Herr Professor wird bald einen Engel brauchen, der verhütet, daß sein Fuß an einen Stein stoße.

Vom Thurm der protestantischen Kirche schlug es eins. Zu dieser Stunde hatte Lars sonst den Pinsel weggelegt und sich in ein Restaurant begeben, wo er mit einigen Malerfreunden zu speisen pflegte. Heute war es ihm unmöglich, diesen guten Gesellen ins Gesicht zu sehen. Sie würden ihn fragen, was für einen Bescheid er von der Reise heimgebracht habe, und wenn er die Wahrheit nicht ganz verhehlen könnte, ihn mit ihrem stummen oder ausgesprochenen Beileid foltern.

Er trat rasch in ein kleines Speisehaus, ließ sich etwas zu essen geben und betrachtete, während er die dürftige Kost hastig verschlang, die anderen Gäste, die hier ihre Mittagsrast hielten: kleine Leute aus dem geringen Bürgerstand, ein paar Lehrerinnen, Schüler des Polytechnikums.

Es war sehr still in dem weiten, schlechtgelüfteten Raum, nur ein junges Paar in der hintersten Ecke führte ein halblautes Gespräch, augenscheinlich Arbeiter er und sie, die sich hier für eine kurze Ruhepause zusammenfanden. Mit den groben Speisen, die dem verwöhnten Lars kaum genießbar dünkten, schienen alle durchaus zufrieden zu sein. Was lag auch daran, wie man sich nährte, wenn man aus hellen, gesunden Augen in die Welt sah?

Ein immer schärferer Neid stieg in der Seele des einsamen Verurteilten empor. Er stieß den Teller halbgeleert zurück, bezahlte seine Zeche und verließ eilig das Lokal.

Als er sein Atelier wieder betrat, sank er, zu Tode erschöpft, auf das Ruhebett vor dem Fenster nieder. Blume, immer wie auf Filzsocken schleichend, trat ein und fragte, ob der Herr Professor gleich den Kaffee wünsche.

Ich wünsche nur Ruhe! erwiederte Lars. Lassen Sie mir Niemand herein, Blume. Ich habe die Nacht nicht geschlafen und will versuchen, ob ich's jetzt ein wenig nachholen kann.

So blieb er allein, streckte sich, ohne seine feuchten Kleider mit anderen zu vertauschen, auf dem breiten Lager aus und schloß die Augen. Der Schlaf kam aber noch nicht gleich, das Herz war ihm zu schwer von Zukunftsschmerzen. Ein paarmal öffnete er die Augen wieder, dann fiel sein Blick sogleich auf das Venusbild ihm gegenüber, das in seiner reinen Hoheit ihn marterte wie ein Abschiedsgruß aus einer Welt, aus der er nun bald für immer scheiden sollte. Nur das war ihm eine Wohlthat, dieses schöne Gebilde wieder ohne den trübenden Nebel betrachten zu können, dann vergingen ihm die Gedanken, und er schlief fest ein.

Es war so still hier oben, das Geräusch der Straße drang nicht bis zu ihm herauf. So verschlief er Stunde um Stunde, hörte auch nicht, daß draußen geklingelt wurde, da Nadinens Bruder kam, nach dem Freunde zu sehen, der sich seines Versprechens, zum Fünfuhrthee zu kommen, nicht erinnert hatte. Er war nicht zu ihm eingedrungen; Blume hielt unerschütterlich Wache.

Darüber wurde es Abend. Lars lag in einem ängstlichen Traum, seine Brust athmete schwer; wie um einen Alp abzuschütteln, wälzte er sich stöhnend auf seinem Lager und fuhr, die Stirn von Schweiß benetzt, in die Höhe, da er nahe an seinem Ohr seinen Namen hörte. Als er die Augen weit öffnete, mit dem Ausdruck der Erlösung auf den blassen Zügen, sah er Nadine zu ihm herabgebeugt, und ein helles Leuchten der Freude schlug aus seinen Augen ihr entgegen.

Der Patriarch, der zaghaft hinter ihr gestanden, weil er sie trotz des Verbots hereingelassen hatte, schlich behutsam aus dem Zimmer, wenn er auch nicht mehr fürchtete, gescholten zu werden, da sein Herr wegen der Störung kein erzürntes Gesicht machte.

Sie sind es, liebste Frau! sagte Lars. Es ist zwar so dunkel hier, daß ich mein Glück erst mit Händen greifen muß, um es nicht für einen Traum zu halten. Aus was für einer Angstvision haben Sie mich gerettet! Nein, ich erzähle es Ihnen nicht! Nun sind Sie da, und die ganze Hölle hätte keine Macht mehr über mich!

Er sprang auf und zog sie mitten ins Zimmer, wo vom Abendroth noch ein Schimmer hineindrang.

Ja, Sie sind es wirklich, rief er, schön wie immer, nein, schöner als je, denn die himmlische Liebe und Güte gegen einen armen Sterblichen, der nichts hat, so viel Holdes zu vergelten, verklärt Ihr Gesicht. Und nun erlauben Sie mir, nachzuholen, was ich heute morgen bei unserem Wiedersehen nicht wagen durfte.

Damit faßte er ihren Kopf mit beiden Händen und drückte einen herzlichen Kuß auf ihren reizenden Mund.

Sie erröthete, entzog sich ihm aber nicht. Wissen Sie, sagte sie dann, als er sie losließ, daß Sie es eigentlich nicht verdient haben, freundlich behandelt zu werden? Ist das zu entschuldigen, daß Sie uns trotz Ihres Versprechens den ganzen Tag vergebens auf Ihren Besuch haben warten lassen? Wenn Sie wüßten, Sie hartherziger Freund, wie ich mich um Sie geängstigt habe, als es fünf, sechs, sieben schlug und noch immer die Klingel nicht von dem bekannten stürmischen Griff erklang? Und da küssen Sie mich, als ob alles in schönster Ordnung zwischen uns wäre! Während ich, nach Ihren desperaten Aeußerungen heute früh, mich mit den gräulichsten Schreckbildern peinigte, wie ich Sie hier oben finden würde.

Nein, liebe Freundin, sagte er lächelnd, indem er sie zu dem Sopha führte, Sie scheinen mich doch nicht genug zu kennen, wenn Sie denken konnten, ich würde mich auf Französisch aus der Welt entfernen, in der ich Sie zurücklasse. Ohne ein Abschiedswort und eine Herzstärkung von Ihren Lippen mit auf die lange Reise mache ich mich nicht davon. Ich hatte mir fest vorgenommen, mir heute noch eine Tasse Thee von Ihnen auszubitten. Der Schlaf, dessen Niemand Herr ist, hat das vereitelt. Aber nun sind Sie zu mir gekommen, liebster Engel, nun müssen Sie mir erlauben, Ihnen eine Tasse Thee anzubieten. Man erwartet Sie hoffentlich nicht so bald zurück. Und ich – wann wird es mir wieder so gut werden, daß ich mir einen Augenblick einbilden kann, ich wäre nicht zu lebenslänglicher Einzelhaft, verschärft durch Dunkelarrest, verurteilt! Nur fünf Minuten Geduld, liebste Freundin. Sie sollen sich wundern, wie gut ich den liebenswürdigen Wirt zu spielen verstehe!

Er rief seinem Diener und gab ihm allerlei Aufträge. Dann machte er sich selbst daran, die drei Gasflammen in der Mitte des Ateliers anzuzünden, darauf auch den kleinen Lüster im Kabinett, zuletzt die hohe, mit einem rothen Schirm überdeckte Stehlampe im Schlafzimmer. Endlich betrat er durch offengebliebene Thür wieder das Atelier und rief, in die erleuchteten Zimmer zurückdeutend: Was sagen Sie zu diesem Festsaalbau? Finden Sie nicht, daß mein Junggesellenquartier bei Licht besehen gar nicht so übel ist?

Sie antwortete nur mit einem zerstreuten Lächeln. Sie hatte ihr Jäckchen ausgezogen und saß nun in einem hellen Kleide, das ihrem schönen Wuchs sich eng anschmiegte, auf dem Polster, die weißen, schlanken Hände ineinandergelegt in ihrem Schooß. Das helle Licht ließ nun erst die Feinheit ihrer Züge erkennen, den etwas fremdartigen Schnitt der Augen und Wangen, den sie ihrer Mutter verdankte.

Diese war eine verarmte junge Adlige aus Südrußland gewesen, als Erzieherin in einer gräflichen Familie nach München verschlagen worden. Hier von einer Krankheit befallen, war sie zurückgeblieben, als ihre Herrschaft die Reise nach Paris fortsetzte. Dann, als sie genesen war, hatte ihr künftiger Mann, ein angesehener Beamter, sie kennen gelernt, und sie war ihm vierzehn Jahre lang eine liebevolle Gefährtin gewesen, ihren beiden Kindern die treueste, einsichtsvollste Mutter. Der Sohn war völlig, an äußerer Bildung und innerem Wesen, dem Vater nachgeartet; die Tochter hatte, sogar bis auf einen leisen Hauch in ihrer Sprache, Temperament und Charakter der Mutter geerbt.

Sie stand nun auf und trat vor das Bild. Nachdem sie es lange betrachtet hatte, sagte sie: Sie haben noch viel daran gethan. Es ist ja nun fertig. Mein Liebling, der Hund – nein, wie der lebt und athmet und so gespannt zu dem Schiffer hinüberspäht, als würde er im nächsten Augenblick aufspringen, wenn der wagen sollte, ans Land zu steuern. Sind Sie nicht glücklich, ein solches Werk geschaffen zu haben?

O, liebe Freundin, sagte er lächelnd, obwohl Sie sonst alles verstehen, davon wissen Sie doch nichts, daß unsereins nur glücklich ist, solang' er noch glaubt, diesmal werde es ihm gelingen, ganz herauszubringen, was in ihm lebt. Muß er endlich die Hand von der Tafel lassen, merkt er, daß es wieder einmal eine Illusion war und auf dem langen Wege von Kopf durch den Arm in die Hand wieder das Beste verloren ging. Aber nein, diesmal ist mir denn doch zu Muthe, als ob ich einiges von meinem Besten da auf die Leinwand gebracht hätte. Nur noch eine Woche ruhiger Arbeit und das richtige Modell für die Dame, das ich hier so wenig finde wie in Rom. Ich hatte schon gedacht, mich in Paris danach umzusehen – da hat man ja eine Auswahl wie nirgends –, aber jetzt, bei der »Aufgabe des Geschäfts« – und wer steht mir dafür, daß nicht gerade, wenn ich recht im Zuge bin –

Auf der Schwelle des Kabinetts zeigte sich der Patriarch mit einer bedeutungsvollen Miene.

Alles fertig? rief ihm Lars entgegen. Nun, so geben Sie mir Ihren Arm, gnädige Frau, daß ich Sie zu unserem frugalen Souper führe. Ich verspreche auch, artig zu sein und von gewissen Dingen nicht zu reden, die mir Ihre hohe Ungnade zusichern. Nein, diese Stunde ist zu schön, um sie sich mit Gespenstersachen zu verderben.

Er führte sie in das Kabinett, wo Blume den Theetisch mit einer Zierlichkeit, die man ihm kaum zugetraut hätte, hergerichtet und mit einigen Schüsseln voll Backwerk und kalter Küche besetzt hatte. Der Theekessel summte ihnen einladend entgegen, Nadine hatte sich auf den kleinen Divan gesetzt und beschäftigte sich mit der Bereitung des Thees, Lars lag behaglich ausgestreckt in dem Armsessel ihr gegenüber und sah ihr auf die geschäftigen Hände, mit einem glücklichen Lächeln, das seinem Gesicht lange fremd gewesen war. Sie blieben erst eine Weile schweigsam und horchten auf das Zischen des Wassers und die Musik des Frühlingsregens, der auf das Mansardendach niederrauschte.

Es ist märchenhaft, murmelte er vor sich hin. Hier so schön geborgen zu sitzen und sich von dieser Frau eine Tasse Thee einschenken zu lassen! Ich wußte ja längst, daß ich das Beste im Leben noch nicht gekannt hatte. Daß es aber so glücklich machen könnte – freilich, um so traumhafter und unbegreiflicher, je kürzer es dauert nein, kein zweites Stück Zucker, liebe Freundin, und nur einen Gedanken Rahm, un' ombra di latte, sagte mein guter Beppo im Café di Roma. Und nun kosten Sie auch von diesem malerisch gruppierten kalten Aufschnitt, der Blume's Farbensinn ein glänzendes Zeugniß ausstellt. Daß er nichts Feineres aufgetrieben, ist nicht seine Schuld. Hier am Rande der Stadt, im Arbeiterviertel –

Dann, während sie ihn hausfraulich bediente und ebenfalls den Reiz dieses Beisammenseins vollauf zu genießen schien, aber nur wenig sprach, fing er an, von seiner letzten Reise zu erzählen, von den großen Städten, die er durchschlendert, den Bauten und Museen und der bunten Bevölkerung, die das schöne Frühlingswetter überall auf die Straßen gelockt hatte. Und die Schätze der Wiener Galerie, rief er, die ich zum erstenmal sah! Himmlische Mächte, wie viel Wundervolles ist schon geschaffen worden, und was liegt daran, ob noch hin und wieder zu all dem fabelhaften Reichthum etwas hinzukommt, was allenfalls in die große, vornehme Familie gehört! Ich kann Ihnen sagen, Nadine, ich war gar nicht gedrückt diesen Herrlichkeiten gegenüber, gar nicht in meines Nichts durchbohrendem Gefühl, wenn Sie mir das auch als eine freche Anmaßung auslegen möchten. Mein Gott, es fiel mir ja nicht ein, mich mit den Großen in eine Reihe zu stellen. Aber so viel oder so wenig ich bin – wenigstens dazuzugehören war ich mir bewußt; es giebt ja in vornehmen Häusern jüngere Söhne, die von dem fetten Majorat nichts abbekommen, aber immerhin sind sie von demselben Blut, wenn sie sich auch sehr zusammennehmen müssen, um sich standesmäßig durch die Welt zu schlagen.

Daß mir das nun versagt sein soll – gewiß, es brachte mich hin und wieder in die wildeste Verzweiflung, zumal, wenn ich eben wieder einen meiner Orakelsprüche vernommen hatte. Dazwischen aber kamen Stunden eines dumpfen Behagens. Das Schöne ist ja da in der Welt, nicht mehr aus ihr hinauszutreiben, so viel sich Stümper und Narren bemühen aus elendem Neide und im Gefühl ihrer Impotenz. Nun kannst du ruhig die Augen zumachen, die Sonne bleibt darum doch am Himmel stehn.

Sehr edel und erhaben, diese Resignation, nicht wahr, liebe Freundin? Aber loben Sie mich nicht zu früh; diese hohe Philosophie blieb mir nicht lange treu, dann kamen wieder die unsinnigsten Anfälle von Selbstsucht, von Groll mit dem Schicksal; ich meinte, alle Schönheit der Welt sei nicht mehr als ein Quark, wenn ich sie nicht mehr genießen könnte.

Aber verzeihen Sie, ich hatte ja versprochen, diese eintönige Litanei – gewiß, von jetzt an sollen Sie nicht mehr über mich zu klagen haben.

Er sprang auf und ging in das Atelier zurück. Sie hörte, wie er dort ein Schränkchen aufschloß und etwas herausnahm. Es war dann eine Weile still, nur ein leises Klimpern, wie das Anrühren einer Saite, ließ sich vernehmen. Dann aber begann eine Geige eine liebliche venetianische Volksmelodie zu spielen in reinen, weichen Tönen, die eine geübte Hand verriethen. Die schöne Frau hatte sich zurückgelehnt und lauschte mit geschlossenen Augen. Sie kannte das Lied. Lars hatte ihr ein Heft Volkslieder aus Italien mitgebracht, und die schönsten hatten sich ihrem Gedächtniß mühelos eingeprägt. So fing sie plötzlich an, den Text zu jener Melodie der Geige zu singen, dann auch die zweite und dritte Strophe, und ihr sowohl wie dem Spieler war's merkwürdig, wie harmonisch die Stimme sich dem Saitenklang anschmiegte.

Auf einmal hörte er auf zu spielen und erschien auf der Schwelle der Thür.

Brava! sagte er. So ein Duett hat einen noch viel intimeren Reiz, wenn gar kein Publikum außer den beiden Mitwirkenden zuhört. Aber wissen Sie, woran Sie mich erinnert haben? In Venedig vor dem Café Quadri hab' ich einen Blinden gehört, der auf einer schlechten Geige allerhand Opernsachen herunterspielte, einen noch ziemlich jungen Mann, und neben ihm stand seine Führerin, ein armes, blasses, abgehärmtes Geschöpf, und sang zuweilen mit einer leidenschaftlichen Stimme die Arie, die er gerade spielte, oder das Volkslied. Wie wär's, liebe Freundin, wir entschlössen uns auch zu einer solchen Kunstreise? Ohne Ueberhebung, wir könnten uns mit besserem Erfolg produciren, das heißt in künstlerischer Hinsicht; denn jenes unglückliche Paar machte gerade darum gute Geschäfte, weil man Mitleid fühlte mit der mäßigen Kunst, die hier ein trauriges Menschenpaar vorm Verhungern schützen sollte. Ein sonderliches Mitleid mit mir würde aber wohl kaum Jemand fühlen, der Sie neben mir sähe.

Sie war sehr blaß geworden, während er diese Worte ohne alle Aufregung, fast in heiterem Tone, sprach. Dann überflog ihr Gesicht wieder eine tiefe Röthe.

Sie sind unverbesserlich, sagte sie. Halten Sie so Ihr Versprechen, uns diese kurze Stunde nicht durch tolle Zukunftsgedanken zu verbittern? Legen Sie die Geige weg, und setzen Sie sich wieder her; da es nun doch einmal zu einem erquicklichen Plauderstündchen nicht kommen soll, möchte ich Ihnen allerlei sehr Ernstes und Entscheidendes vortragen.

Sie erschrecken mich, liebe Freundin, sagte er lächelnd. Wenn ich ein wenig aus der Rolle fiel, wenigstens hab' ich die Sache doch nicht so tragisch genommen, wie Sie es thun zu wollen scheinen. Aber ich ergebe mich auch darein. Hier sitze ich und halte still, wenn die Sache auch noch so feierlich werden sollte. Nur noch die Frage, ob Sie es für sehr unschicklich halten würden, wenn ich mir eine Cigarrette anzündete?

*

Sie schien diese Worte zu überhören, wenigstens antwortete sie nicht einmal mit einem Nicken. Sie sah an ihm vorbei und auf die hellgraue Wand ihr gegenüber, an der in lichtbraunen einfachen Rahmen ein paar geistreiche Aquarelle hingen, Landschaftsstücke mit bäuerlicher Staffage.

Verzeihen Sie, lieber Freund, sagte sie, wenn ich ein wenig weit aushole. Es gehört das aber zur Sache, damit ich überhaupt mein Recht, ja meine Verpflichtung erweise, so zu Ihnen reden zu dürfen.

Ich brauche Ihnen nicht noch einmal zu sagen, daß ich Sie geliebt habe seit der Stunde, in der Sie mir zuerst gegenübertraten. Ich gestand es Ihnen schon bald nachher, als Sie mir Ihre unglückliche Leidenschaft für mich beichteten. Ich sagte Ihnen aber auch, daß ich entschlossen sei, Ihnen zu widerstehen, obwohl mir damals erst die Gewißheit aufgegangen war, ein volles, großes, beseligendes Glück könne ich mir nicht anders vorstellen, als durch Ihre Liebe. Ich war ja gebunden, nicht bloß äußerlich. Wohl hatte ich dem trefflichen Manne, dessen Frau ich geworden war, meine Hand gegeben ohne die Illusion einer richtigen Liebe nach der Vorstellung eines jeden jungen Mädchenherzens. Sie haben ihn gekannt. Sie wissen, daß ich es nie bereut habe, die Seine geworden zu sein, um ihm Vieles zu vergüten, was ihm das Glück versagt hatte. Ich fand ihn, als er aus seinem Beruf hinausgedrängt worden war, den er mit Leidenschaft ergriffen hatte, als es gegen Frankreich ins Feld ging. Daß er mit einer ehrenvollen Wunde und dem Eisernen Kreuz zurückkehrte und dann im Friedensdienst seine Talente, seine Tüchtigkeit glänzend bewährte, das alles bewahrte ihn nicht vor dem Schicksale so Vieler, in den Jahren der vollen Kraft verabschiedet zu werden, um Anderen Platz zu machen, die es besser verstanden, um die Gunst der Oberen zu werben. Sie nannten es einen verhängnißvollen Irrthum, daß ich ihn für diese Ungerechtigkeit seines Schicksals, die an seinem Herzen nagte, zu entschädigen suchte durch ein häusliches Glück. Ein Verhängniß war es, doch kein Irrthum. Geben war auch diesmal seliger als Nehmen. In den fünf Jahren, in denen ich ihm angehörte, habe ich täglich Gott dafür gedankt, daß es mir vergönnt war, ihm ein Trost und eine Stütze zu sein. Auch als Sie in mein Leben traten, ward ich nicht daran irre. Wie tief hätte ich mich verachtet, wenn ich des Frevels fähig gewesen wäre, diesem Mann, der mich auf Händen trug, den tödtlichen Schlag zu versetzen und mich von ihm abzuwenden, um ein eigenes Glück zu erlangen, das doch von Reue vergiftet worden wäre. Es kostete mich nicht einmal einen Kampf, so klar mir vor Augen stand, das ich nun erst erlebte, was an leidenschaftlichen Bedürfnissen in meinem Herzen verborgen war und jetzt ans Licht drängte. Und ich dankte Ihnen, Lars, daß auch Sie mich damals verstanden und mir zu Hülfe kamen, indem Sie einwilligten, sich von mir zu trennen.

Sie hielt einen Augenblick inne und reichte ihm über den Tisch hinweg die Hand; er sah, wie ihr die Augen leise übergingen, und drückte schweigend die kühle, schlanke Hand, die vor innerer Erregung zitterte.

Zwei Jahre lang, fuhr sie, sich wieder fassend, fort, ertrug ich diese Trennung. Gott ist mein Zeuge, ich dachte nie daran, ja, ich drängte selbst den heimlichsten Wunsch zurück, daß ich Sie wiedersehen, daß ich einmal meiner Pflicht entbunden werden könnte. Sie waren mir wie ein geliebter Todter. Nur der Gedanke, daß ein solcher Mensch einmal gelebt und mir sich ganz zu eigen gegeben habe, begleitete mich beständig; so ernstlich ich mein Gewissen prüfte, darin konnte ich keine Schuld gegen meinen Gatten finden, keinen Verrath an der Treue.

Und dann starb er und überließ mich mir selbst. Glauben Sie mir, Lars, es war nicht die erste Regung in mir, daß ich nun »frei« geworden war, und, da ich mir wieder allein angehörte, nun auch Dem mich schenken konnte, den ich im tiefsten Herzen trug. Es war wirklich erst nur die bittere Trauer um diesen edlen Freund, und daß das Glück, das ich ihm bereitet hatte, nicht länger währen durfte. Ich dankte es Ihnen, daß Sie in dem Brief, den Sie mir auf die Todesnachricht schrieben, mein Gefühl schonten und mit keinem leisen Wort verriethen, was dieser mein Verlust Ihnen für Hoffnungen weckte. Denn ich war ja trotzdem wie von meinem eignen Herzen überzeugt, daß Ihres sich nicht gegen mich verändert hatte. Auch nicht durch die großen Erfolge, die Sie in diesen zwei Jahren erlebt hatten, die nur Ihren Künstlerehrgeiz befriedigen konnten. Auch daß Sie ein halbes Jahr vergehen ließen, ehe Sie zu mir zurückkehrten, rechnete ich Ihnen als einen Beweis Ihres Zartgefühls hoch an. Sah ich nicht auch in dem ersten Blick, mit dem Sie mich dann wieder grüßten, daß Alles zwischen uns war wie einst? Kein Wort wurde darüber gesprochen, wir waren einander sicher; es galt nur noch eine kurze Frist, um das Andenken des Dahingeschiedenen nach der ehrwürdigen Sitte nicht zu beleidigen, dann – dann! …

Und diese Zeit der Geduld war schon so reich an Glück. Wir sahen uns ja täglich, ich konnte mich an Ihrer herrlichen Kunst erfreuen und stolz auf meinen Freund sein, dessen Name nun auf Aller Lippen war und der doch nur mir angehören wollte. Wie glückselig wachte ich an jedem Morgen auf, und wie dankbar gegen meinen Schöpfer beschloß ich meinen Tag, da ich an jedem eine neue Entdeckung gemacht hatte, wie beneidenswerth mein Schicksal vor dem aller andern Frauen war.

Dazu das frohe Bewußtsein, daß der einzige Mensch, auf dessen Urtheil ich Werth legte, mein eigener Bruder, von meinem Geliebten genau so dachte wie ich selbst und nichts dringender wünschte, als daß wir ihn von unserm Glück auch in Zukunft nicht ausschließen möchten.

Und dann zogen plötzlich an unserm heitern Himmel diese dunkeln Wolken auf.

Ihr Betragen gegen mich war ja unverändert. Sie suchten eher noch mehr als sonst mir zu zeigen, wie innig Sie sich mit mir verbunden fühlten und wie in dem Trübsinn, der Sie befiel, nur meine Nähe Ihnen Trost und Erleichterung gewähren konnte. Und doch, je näher das Ende des Trauerjahrs heranrückte, je seltener wurden Ihre Besuche bei uns. Als dann die Wartezeit ganz verstrichen war, brachten Sie es zum erstenmal übers Herz, eine ganze Woche sich nicht sehen zu lassen.

Ich war Anfangs kurzsichtig genug, Ihren Entschuldigungen mit Unwohlsein und Arbeitsfieber zu glauben. Als dann aber die Pausen zwischen Ihren Besuchen immer länger wurden – können Sie mir schwachem Weibe, das nie an seine Unwiderstehlichkeit geglaubt hat, verdenken, daß eine tödtliche Angst mich überfiel, ich hätte irgendwie Ihre Liebe verscherzt, Sie hätten beschlossen, sich zurückzuziehen, langsam und wortlos, in der Meinung, dies sei der schonendere Weg? Wieviel kummervoll durchwachte Nächte hätte ich mir erspart, wenn ich damals gleich Sie offen befragt hätte! Statt dessen war ich thöricht genug, mich an meinem Stolz aufrechthalten zu wollen, der, sobald ich allein war, jämmerlich mit mir zusammenbrach.

Ich wäre vielleicht daran zu Grunde gegangen, wenn mein treuer Bruder, der meinen Seelenzustand ahnte, ohne daß wir ein Wort darüber getauscht hätten, nicht eines Tages auf eigne Hand Sie aufgesucht und um Aufklärung dieses Unbegreiflichen gebeten hätte. Da erst kam es zu Tage, was Sie in seltsamer Verblendung, als ob Schweigen nicht das grausamste Verfahren gewesen wäre, uns so lange zu verhehlen gesucht hatten.

O liebster Freund, als Max mir den Inhalt seines Gesprächs mit Ihnen berichtete, daß Ihre Liebe zu mir um keinen Hauch kühler geworden sei, nur um so entsetzlicher die Erkenntniß, dennoch auf meinen Besitz verzichten zu müssen, weil Sie es nicht über Ihr Gewissen bringen könnten, mein Leben an das eines Unglücklichen zu knüpfen, der unrettbar der Nacht entgegen gehe – den Sturm von widerstreitenden Gefühlen, der sich da in mir erhob, kann ich Ihnen nicht schildern. Daß Sie mich liebten, war nach all den bitteren Zweifeln ein so süßer Trost; und zugleich wurde die aufjubelnde Stimme in mir durch das Schreckbild gelähmt, das Sie auf sich zuschreiten sahen und das auch ich mit allem heißen Bestreben nicht gleich zu bannen vermochte.

Nein, lassen Sie mich ausreden. Wir haben ja damals nicht viel Worte gemacht über das, was Ihnen und mir bevorstand. Ich will nun aber jetzt ganz ehrlich sein und gestehen: von Anfang an drängte ich die Hoffnung, es möchte sich noch alles zum Guten wenden, zurück und sah dem Schlimmsten ins Auge. Nein, Lars, das können Sie, da Sie mich kennen, nie im Ernst geglaubt haben, das furchtbare Schicksal, das über Sie gekommen, wäre im Stande, nur das Geringste in unserm Verhältniß zu ändern. Was würden Sie von der Braut eines Soldaten denken, deren Verlobter als ein zerschossener Krüppel aus dem Feldzug heimkehrte und nun den Bescheid erhielte, die Treue, die man einem gesunden Menschen gelobt, brauche man einem Invaliden nicht zu halten? Denken Sie so gering von der Kraft und dem Recht eines Herzens, das sich Ihnen auf Tod und Leben ergeben hat, um daran zu zweifeln, daß keine irdische Macht es Ihnen abtrünnig machen kann? Sollen wir uns schämen müssen, wenn wir jenen alten Vers hören:

Käm' alles Wetter gleich auf uns zu schla'n,
Wir sind gesinnt, beieinander zu stah'n!
Krankheit, Verfolgung, Betrübniß und Pein
Soll unsrer Liebe Verknotigung sein –?

Die Stimme versagte ihr; sie drückte die Augen ein, um die vorquellenden Thränen zurückzuhalten. Er aber saß regungslos noch eine Weile ihr gegenüber. Dann beugte er sich vor, ihre Hand zu fassen, die sie ihm jedoch mit einer heftigen Bewegung entzog.

Nein, rief sie, es ist nicht wahr, daß Sie mein Freund sind! Ein selbstsüchtiger, harter Mann sind Sie, der seinem Stolz Alles opfert, auch das Herz einer Frau, von der er weiß, daß sie, getrennt von ihm, nie mehr froh werden könnte. Ich weiß, was Sie sagen wollen: Sie könnten das Opfer, das ich Ihnen bringen wolle, nicht annehmen. Sie fühlten sich nicht mehr würdig, der Gatte einer jungen, schönen, liebenswürdigen Frau zu werden, für die der beste Mann gerade gut genug wäre. So viel habe ich von den Schmeichelreden aus der Zeit Ihrer ersten Leidenschaft noch behalten. Lassen Sie sich sagen, daß Sie sich grenzenlos täuschen, wenn Sie meinen, damit sehr groß und edel und erhaben zu handeln. Sie haben nur Eine Pflicht: soviel vom Leben Ihnen noch übrig bleibt, nach der grausamen Beraubung, deren ganze furchtbare Schwere ich mit Ihnen fühle, das alles der Frau zu widmen, die nun endlich auch ein Anrecht auf eignes Glück geltend machen darf, nachdem sie sich's in so entsagungsvollem Kampf verdient hat!

*

Er stand langsam auf, ging nach dem Fenster, vor dem der Regen eintönig niederrauschte, und wandte sich dann wieder nach dem blassen Gesicht, das in Thränen gebadet, auf der Lehne des Divans ruhte.

Meine liebe Geliebte, sagte er mit weicher, trauriger Stimme, warum macht Ihr Schmerz um mich, um unser verlorenes Glück Sie so ungerecht? Könnte ich für den Stolz in mir, den Sie anklagen, nicht mildernde Umstände geltend machen? Ja, es ist wahr, es schien mir unwürdig, nachdem ich Ihnen ein helles, sonniges Loos an meiner Seite in Aussicht gestellt hatte, nun Sie in mein Zwielicht, ja in die völlige Finsterniß zu führen. Ich war endlich so weit gelangt, mit meiner Arbeit auch einer verwöhnten Frau ein Leben schaffen zu können, das mehr als sorgenfrei wäre. Von dem Augenblick an, wo mir der Pinsel aus der Hand fällt, bin ich vis-à-vis einer ungewissen Zukunft, vielleicht ein Bettler. Nein, jetzt müssen Sie mich ausreden lassen. Daß Ihnen jede Rücksicht auf Geld und äußeren Glanz fern liegt, brauchen Sie mir nicht zu versichern. Auch daß Sie mit tausend Freuden das Letzte, was Sie besitzen, mit mir theilen würden, daß es wohl auch für Zwei eine Zeitlang aufreichte, daß Ihr Bruder dieselbe hochherzige Gesinnung hat – weiß ich das nicht alles? Aber denken Sie, wenn Sie mir ein Glück bereiten wollen, doch auch an meine Art, zu empfinden. Und wenn nun das, was ich nicht ein »Opfer« nennen soll, statt mir wohlzuthun, mir mein Elend nur schärfer zum Bewußtsein kommen lassen, mich jedes Selbstgefühls berauben würde, ohne das ein Mann auch das süßeste Glück nur wie eine Last, eine Erniedrigung empfindet? O Nadine, und wenn uns ein Kind beschert werden sollte, und ich könnte nur mit tastenden Fingern in seinem Gesichtchen forschen, ob es die geliebten Züge der Mutter trägt, – und wenn es heranwüchse und ich erlebte nur vom Hörensagen sein Aufblühen mit – ist es möglich, daß Sie mir ein solches verkrüppeltes Dasein wünschen können, wenn Sie über Ihr augenblickliches Gefühl hinweg in die Zukunft blicken?

Ihre Thränen waren, während er sprach, versiegt. Sie hatte sich wieder aufgerichtet und sah mit einem bitteren Zug um den mühsam athmenden Mund auf den Teller, der vor ihr stand.

Und wenn ich nun thue, was Sie von mir verlangen, und den Blick in die Zukunft richte, in Ihre Zukunft, was kann ich da sehen, das mich in dem Glauben erschütterte, Ihr Leben gehöre mir, nur ich sei im Stande, es Ihnen noch lebenswerth zu machen? Soll es mir tröstlicher sein, Sie in der Einsamkeit hülflos auf gemiethete Diener angewiesen zu sehen? Würden Sie mir vielleicht erlauben, dann und wann bei Ihnen einzutreten, nach Ihrem Befinden zu fragen und Ihnen etwa ein Stündchen vorzulesen? Und dann, wenn ich gegangen bin, wieder Nacht und Oede um Sie her und keine weichere Hand, Ihnen die Wege zu weisen, als die Ihres treuen Patriarchen? Und das soll ich sehen und wissen und den Muth haben, weiter zu leben?

Er trat dicht an den Tisch heran und sagte, vor sich hinnickend: Ja, liebe Freundin, das ist es! Den Muth, weiter zu leben! Ob man den erschwingen kann unter so kläglichen Umständen, darauf kommt es an. Würden Sie einen Menschen, der dies nicht vermag, einen Feigling schelten? Dem der Gedanke, daß er selbst der Herr über sein Leben oder Sterben sei, etwas sehr Tröstliches hätte? Freilich, »Krankheit, Verfolgung, Betrübniß und Pein« – vor denen sich auf diese Weise Ruhe zu schaffen, stände weder dem Aennchen von Tharau noch ihrem Liebhaber an. Aber da, wo das Leben kein Leben mehr ist, weil seine eigentliche Wurzel, die Thätigkeit, die ihm allein gemäß ist, durchschnitten wurde, so daß die ganze Pflanze welken und endlich verdorren muß, da das arme Unkraut lieber gleich ausjäten, als es Zelle für Zelle verderben zu lassen, dazu gehört immerhin ein gewisser beherzter Entschluß, und auch für die Zuschauer ist's schonender, als das elende Schauspiel der langsamen Auflösung ihnen zuzumuthen.

Sie sah zu ihm auf. Ihre Blicke ruhten ein paar Secunden lang fest ineinander. Endlich sprach sie wieder:

Sie sagen mir damit nichts Neues, lieber Freund. Sie wissen, wie ich von der vermeintlichen Pflicht der Selbsterhaltung denke. Was ich frevelhaft finde, ist nur der Leichtsinn, zu früh das Spiel aufzugeben, noch ehe man gewiß weiß, daß es verloren ist. Und leider kenne ich Sie zu gut, um nicht zu fürchten, Sie könnten in einer besonders dunkeln Stunde etwas Verzweifeltes thun. Haben Ihnen nicht alle Ihre Aerzte eingestanden, es sei ganz unberechenbar, wann das gefürchtete Letzte eintreten würde, daß es aber noch jahrelang aufgehalten werden könne, wenn Sie vernünftig leben wollten? Und mehr als das: weiß man nicht aus tausend Fällen, daß die weisesten Männer sich irren können, daß es so gut Medicinalmorde giebt wie Justizmorde? Das alles sollte Ihnen, wenn Sie Ihr heißes Blut übermannen will, Ihr kühler Verstand sagen und Sie zum Ausharren bestimmen. Aber ich weiß nur zu gut, wie wenig man Ihrem Kopf trauen kann, wenn Sie glauben, Ihr Wille solle gefesselt, Ihre leidenschaftliche Selbstherrlichkeit beschränkt werden. Da heckt dieser sonst so kluge Kopf, wie eben jetzt, allerlei Gründe aus, warum er sich Ihrem Temperament unterwerfen müsse. O mein theurer, geliebter Freund, haben Sie doch Mitleid mit meiner armen Seele, die sich in Sorgen und Aengsten um Sie verzehrt! Glauben Sie denn, daß ich selbst glücklich sein könnte, wenn ich Ihr Gemüth unheilbar verdüstert sähe? Daß ich Ihnen den letzten Ausweg aus diesem nächtlichen Irrsaal versperren möchte, sobald ich überzeugt wäre, es bliebe keine Hoffnung? Ich will nur, daß Sie mir Eins versprechen.

Er sah sie mit einem zerstreuten Blick an. Was wäre das, liebe Freundin?

Nicht das Aeußerste zu thun, ohne mir vorher davon zu sagen.

Das will ich Ihnen gern versprechen, obwohl Sie es bereuen werden, denn Abschiednehmen verlängert und verschärft die Agonie.

Ich danke Ihnen. Und doch beruhigt mich Ihr Wort nicht ganz. Es giebt Seelenzustände, in denen man nicht Herr seines Willens ist, Fieberparoxysmen, die den besonnensten Geist unzurechnungsfähig machen. In jeder Stunde des Tages und der Nacht kann ein solcher Anfall über Sie kommen, Sie müßten beständig einen Wärter und Wächter neben sich haben – nein, lachen Sie nicht! Es ist mein trauriger Ernst, ich werde keine Stunde ohne Herzweh an Sie denken, wenn ich Ihnen fern bin, immer aus dem Schlaf auffahren und fragen: Wie steht es jetzt bei ihm? Hat er gerade in diesem Augenblick vielleicht vergessen, was er mir gelobt hat, und tastet nach der Thür, durch die er sich hinausschleichen möchte? O Lars, es ist übermenschlich, was ich um Sie zu leiden habe!

Sie erhob sich rasch, drückte ihr Tuch vor die Augen und trat ans Fenster. Da stand sie eine Weile stumm, und auch er fand kein Wort. Endlich sagte sie, ohne sich umzuwenden:

Es regnet noch immer, an ein Aufhören ist nicht zu denken. Und doch es ist spät geworden. Es geht auf Elf, und Sie haben die letzte Nacht nicht geschlafen, Sie werden müde sein –

Wie sollte ich, nach Allem was wir gesprochen haben! erwiederte er. Aber auch für Sie wird es gut sein – ich begleite Sie natürlich, bis wir einen Wagen finden –

Nein, nein, fiel sie ihm rasch ins Wort. Sie dürfen nicht in die kalte, feuchte Nacht hinaus. Sie wissen, jede Erkältung verschlimmert Ihren Zustand.

So will ich Blume schicken. Er ist noch wach, und der Bahnhof ist nah, wo die Droschken stehen.

Er machte eine Bewegung, hinauszugehen. Sie trat rasch vom Fenster weg und sagte mit leiserer Stimme, die vor Erregung zitterte: Nein, mein Freund, bemühen Sie den alten Mann nicht. Wenn ich es recht bedenke – ich würde ja zu Hause vor Angst und Unruhe die ganze Nacht kein Auge schließen. Habe ich Ihnen nicht auch gesagt, daß Sie einen Wächter brauchten? Und wenn – ich selbst nun – mich dazu anböte? Liegt Ihnen so viel daran, mich los zu werden? Wollen Sie mir nicht einen kleinen Winkel bei sich einräumen – gleich hier auf dem niedrigen Divan – ich werde mich sehr ruhig verhalten – Ihnen nicht unbequem werden – nur in Ihr Zimmer hineinhorchen und glücklich sein, wenn ich Sie im Schlaf athmen höre – Was haben Sie? Warum sehen Sie mich so geisterhaft an? O Lars, verzeihen Sie, vergessen Sie, was ich gesagt habe, wenn es Ihnen mißfällt – ich bin ja nicht mehr Herrin meiner selbst – ich habe nur Einen Gedanken, wie ich dich retten, dich mit dem Leben wieder versöhnen kann! Und nun – leb wohl!

Sie schwankte nach der Thür. Da fühlte sie sich plötzlich von seinen starken Armen umschlungen. Nadine! stammelte er, einziges, süßes, herrliches Herz, wie bin ich es werth? Kann ich es denn glauben? Nun mag das Schicksal sein Aergstes an mir thun – diese eine Stunde, das große, unbegreiflich hohe Geschenk vergütet Alles! Und wenn Morgen ein Blitz herabführe, mein Leben in Asche zu legen, was wäre dann verloren? Was hat die Welt mir noch zu bieten nach solcher Seligkeit!

Er hielt sie eine Weile an sich gedrückt, dann hob er ihren Kopf empor, der an seine Brust geschmiegt lag, und sah ihr in die glänzenden Augen, die von Thränen schimmerten, während ihre Wangen heiß erglüht waren. Nein, sagte er, als sie leise mit einem zärtlichen Lächeln die Lippen öffnete, nicht sprechen, Liebste, nur küssen. Haben wir unsre heiligen Gelübde nicht schon längst ausgetauscht? Und wenn ich anfangen wollte, zu danken, wann käm' ich damit zu Ende?

*

Der Morgen nach dieser regnerischen Frühlingsnacht ging strahlend auf. Am Himmel, so weit er durch das breite Nordfenster des Ateliers zu überblicken war, segelten nur leichte weiße Wölkchen durch das scharfe Blau dahin, da der Morgenwind noch lebhaft über die Hochebene Münchens fuhr. Eine ruhige Klarheit durchleuchtete den weiten Raum, die Venusstatue schien sich noch feierlicher als sonst auf ihrem Sockel zu erheben, die Farben auf dem großen Bilde noch wärmer sich miteinander zu verschmelzen. Der Tag war ein Sonntag, darum auf der Straße drunten heut kein Lärm und Wagengerassel, nur von der Thurmuhr drang der Glockenschlag durch die Scheibe, die der Luft geöffnet war; sieben langsame Schläge.

Schon um Vieles früher hatte Lars das Atelier wieder betreten, auf den Zehen gehend, aber die Melodie jenes venetianischen Liedchens leise vor sich hin summend, die er gestern, von Nadinens Stimme begleitet, auf der Geige gespielt hatte.

In dem losen Hausanzuge von hellem Wollenstoff erschien er wie verjüngt, dazu der elastische Schritt, mit dem er unablässig in seiner Werkstatt auf und ab ging, während er sonst gewöhnt war, seinen Weg behutsam mit den Füßen zu suchen. Er war vor das Bild getreten und hatte es lange betrachtet, leicht mit dem Kopfe nickend, wie Jemand, der seiner Arbeit ein gutes Zeugniß ausstellen kann. Dann hatte er sich eine Cigarrette angezündet, aber nach wenigen Zügen sie zum Fenster hinausgeworfen, an dem er noch eine zweite Scheibe öffnete, um die würzige Frische des Aethers voller einströmen zu lassen. Manchmal ging ein gutes, stilles, glückliches Lächeln über sein helles Gesicht, er schloß die Augen, als wolle er ohne Störung die reizenden Bilder seiner Erinnerung genießen. Auch vor die Statue der Göttin trat er und betrachtete prüfend einzelne Theile, dann und wann den Kopf schüttelnd, wie ein anspruchsvoller Kenner, dem Manches zu wünschen bleibt. Dann horchte er wieder ins Schlafzimmer hinüber, wo sich noch nichts regen wollte, nahm seine Wanderung über den weichen Teppich wieder auf und setzte sich endlich auf das Ruhebett am Fenster.

Hier aber hatte er nicht lange gesessen, in allerlei Betrachtungen verloren, die heiter genug zu sein schienen, da trat plötzlich seine Geliebte herein, ohne daß er die Thür hatte gehen hören. Sie war vollständig zum Ausgehen gerüstet, nur den Hut mit den silbergrauen Federn trug sie in der Hand, das volle blonde Haar war etwas eilig, aber malerisch aufgesteckt, über ihrem Gesicht lag ein rosiger Hauch von süßer Verschämtheit, während sie doch die Augen nicht niederschlug, sondern mit einem zärtlichen Blick ihren Freund auf seinem schattigen Sitz begrüßte.

Lars sprang auf, ihr entgegen, und schloß sie in die Arme. Wie hat die gnädige Frau geruht? fragte er, indem er ihr mit beiden Händen über das Haar fuhr und ihr Gesicht nahe zu dem seinen heranzog. Ich finde, der Wächterin ist ihr schwerer Dienst bei dem armen Unheilbaren wunderbar gut bekommen. Sie sieht so märchenhaft jung und reizend aus, daß ein Blinder sich in sie verlieben müßte, geschweige Einer, dem die Schuppen von den Augen gefallen sind, daß er klar eingesehen hat, welch ein Thor er sein wollte. Aber du scheinst ja Eile zu haben, fortzukommen? Ist dir dein Werk der Barmherzigkeit schon verleidet, oder glaubst du nun überflüssig geworden zu sein? Nein, diesen Hut werden wir fürs Erste noch mit Beschlag belegen. Auch kann ich doch meinen geliebten Gast nicht entlassen, ohne ihm ein Frühstück angeboten zu haben. Der gute Patriarch, dessen feine alte Seele sich so discret beiseite gehalten hat, wird sogleich das Nöthige besorgen. Oder ist es dir unlieb, unser holdes Geheimniß seinen alten Augen zu enthüllen?

Sie erröthete ein wenig tiefer, aber ihre Augen lachten, und sie sah frei zu ihm auf.

Nein, sagte sie, mein Glück ist so groß, und ich bin so stolz auf mein Glück, daß ich nichts dagegen hätte, es vor der ganzen Welt zu zeigen, nicht bloß vor deinem treuen Leibeignen, der dich so vergöttert, daß er es ganz in der Ordnung fände, wenn alle schönsten Frauen der Stadt wetteiferten, dir einen Nachtbesuch zu machen. Aber bei mir zu Hause würde es Unruhe erwecken, wenn ich länger ausbliebe. Ich habe gestern Abend mein Mädchen darauf vorbereitet, daß ich vielleicht bei der kranken Freundin übernachten würde, zu der zu gehen ich vorgab, wenn ihr Zustand sich verschlimmerte. Am Ende fällt meiner Luise ein, sich erkundigen zu wollen, ob ich ihre Dienste nicht auch dort bedürfte. Max werde ich gleich heute sagen, wie ich mit dir stehe. Aber nun entlaß mich, Liebster. Du kommst natürlich heute zu uns, wär's auch nur meines Bruders wegen, dem du wohl für seine treue Anhänglichkeit und daß er mich völlig gewähren läßt ein freundliches Wort schuldig bist. Wenn du nicht zu Tische kommen magst, erwarte ich dich zum Thee. Und bis dahin – sei fein vernünftig – denk immer, was du deiner armen Geliebten schuldig bist, die auf der ganzen Welt nichts mehr besitzt als dich, da sie sich selbst so besinnungslos an dich weggeschenkt hat.

Er hatte, während sie sprach, sie unverwandt angesehen, immer leise mit beiden Händen ihr Haar streichelnd. Was sie sagte, schien er nur wie eine liebliche Musik zu hören, ohne auf den Sinn der Worte zu achten. Es ist unglaublich, sagte er jetzt, wie schön diese Frau ist! Ich hatte doch gedacht, ich wüßte ein wenig, was Schönheit sei oder sein sollte, wenn es auf dieser unvollkommenen Erde einmal Mutter Natur glückte, ein göttliches Geschöpf hervorzubringen, wie sich's die großen Künstler seit Phidias und Tizian geträumt haben. Aber das ist alles Puppenwerk gegen dies herrlich aufgeblühte Leben! Und das ist mein, ich bin unbeschränkter Herr und Gebieter über diesen Schatz, und was das Beste und Wunderbarste daran ist, die Seele, die diese schönen Glieder regiert, gehört mir auch, und sie ist noch schöner und edler und entzückender, als die sterbliche Form, in die sie gebannt ist!

Sie entzog sich ihm leise, indem sie seine Hand festhielt und ihre Lippen darauf drückte. Du lieber, geliebter sonderbarer Schwärmer! flüsterte sie. Kennt' ich mich selbst nicht besser als du, würden mich deine überschwänglichen Reden zu einer eitlen Närrin machen. So aber weiß ich, was ich von mir zu halten habe, und bin nur heimlich froh, wenn mein Geliebter noch eine Weile in seiner süßen Täuschung befangen bleibt. Die Ernüchterung wird immer noch früh genug kommen. Nun aber wirklich addio, Liebster! Es ist die höchste Zeit.

Er hielt sie sanft am Arme zurück. Ich hätte nur noch einen kleinen Wunsch, er soll dich nicht länger als zehn Minuten kosten. Aber sieh, heute Nacht, als ich nicht satt werden konnte, deine Schönheit zu bestaunen – ich glaube fast, du wurdest auf dich selber eifersüchtig, daß der Maler in mir den Liebenden zu verdrängen schien – nein, Herz, ich wußte in jedem Augenblick, daß es meine Nadine war, die mir alle diese Wonnen gab, aber nächst meinem Herzen genossen sie meine Augen. Und einmal, weißt du – mich zu strafen, weil ich zu übermüthig meinem Glücke Luft machte – da wandtest du dich einen Augenblick von mir ab, und ich sah deine glänzende Schulter, von dem rothen Licht der Lampe überhaucht, genau so wie dort auf meinem Bilde den Hals und Nacken der Frau am Meeresstrande in derselben gewagten Verkürzung, die ich bisher bei keinem Modell so reizvoll hatte wiederfinden können. Wenn du jetzt nur auf einen Moment – ich will das nur noch einmal mir einprägen, wie die Linie des Halses sich zur Schulter hinabsenkt – nicht malen, nur mit ein paar Strichen –

Sie wandte sich tief erglühend ab. Du kannst von mir fordern, was du willst, ich gehöre dir ja. Aber bitte, nicht jetzt, nicht in diesem kalten Morgenlicht. Ich habe dir bewiesen, daß ich frei bin von falscher Prüderie. Aber ein unbestimmtes Gefühl in mir wehrt sich dagegen, jetzt – du mußt doch begreifen –

Nein, rief sie, sich selbst unterbrechend, da sie sah, daß er mit einer enttäuschten Geberde sich abwandte, ich sehe, du begreifst es nicht – als ein Künstler, der du bist, kannst du eine solche Regung in einem Frauenherzen nicht verstehn. Nun denn, so mache mit mir, was du willst. Ich habe mich dir nun einmal auf Gnade und Ungnade ergeben.

Sie streifte ihr Jäckchen ab, warf es auf einen Stuhl und sah ihn mit einem rührenden Ausdruck von Ergebung an, was sie noch weiter thun solle. Er umfing die stille Gestalt stürmisch und bedeckte ihr Gesicht mit Küssen. Du Engel, sagte er, immer noch unerschöpflicher an Liebe und Güte, als ich von dir erwartet habe! Aber so ist's nicht gemeint, daß ich dir zumuthen möchte, dich mir wieder ganz zu enthüllen. Nur die obere Partie – den Hals und die Schulter – nicht einmal dein Haar sollst du auflösen, dazu kommt auch wohl noch die Stunde – jetzt handelt sich's nur um diese kleine Verkürzung – das Licht ist ohnehin nicht ganz so wie ich's brauche –

Er hatte das Ruhebett in die Mitte des Ateliers geschoben, während sie gehorsam that, was er gewünscht, die Taille abstreifte und das Tuch von ihrem weißen Nacken lös'te. Dann streckte sie sich auf das Polster aus, den linken Arm, wie die Frau im Gemälde ein wenig gebogen und statt des Hundes um das rothe Sammetkissen gelegt. Ist es so recht? fragte sie, die Augen halb zudrückend. Er rückte noch ein wenig an dem Arm und strich das Haar zurück, das über ihre Stirn gefallen war. Wenn du dich sehen könntest! sagte er mit dem zärtlichsten Ton. Und wie das Roth zu dem matten Weiß deines Armes steht! Ich nehme dich beim Wort, in andrer Stunde, wenn du dazu aufgelegt bist – wir können dann die Lampe neben das Sofa stellen – jetzt nur noch ein paar Striche –

Hastig trat er hinter die Staffelei, ergriff die Palette und vertiefte sich in das Studium dieser herrlichen Form. Es war ganz still ringsumher. Dann und wann schoß eine Schwalbe, die am Dachsims des Ateliers ihr Nest gebaut hatte, am Fenster vorbei und warf von ihren Flügeln einen Sonnenblitz in den weiten Raum. Die schöne Frau auf ihrem weichen Pfühl regte sich nicht. Ein stilleres Modell konnte ihr Freund sich nicht wünschen. Auch hatte er bald mit der bloßen Correctur der Form sich nicht mehr begnügt, sondern das Spiel des Lichts auf der glatten Haut nachzubilden versucht. Sie aber schien ganz vergessen zu haben, daß es sie zum Fortgehen gedrängt hatte. Eine süße Mattigkeit umfing ihre Glieder, sie athmete lebhaft mit halbgeöffnetem Munde, und ihre Brust, von der nur der obere Theil entblößt war, hob und senkte sich wie aufgeregtes Wellenspiel am Strande nach einer durchstürmten Nacht. Einen Augenblick verging ihr sogar das Bewußtsein, die breiten Lider sanken völlig über die Augen herab, eben wollte ein leiser Traum sie beschleichen, da drang ein seltsamer Ton an ihr Ohr, ein unterdrücktes Stöhnen, das sie aus ihrem Halbschlummer erschrocken auffahren ließ.

Lars! rief sie, was ist dir?

Keine Antwort. Nur das Stöhnen verstummte. Sie konnte sein Gesicht nicht sehen, das hinter der Leinwand verborgen war, aber neben seinem Sitz am Boden sah sie die Palette liegen, und nun entfiel auch der Pinsel seiner Hand.

Ein kalter Schauder überlief sie. Sie sprang in die Höhe und stürzte zu ihm, der in sich zusammengesunken auf dem Malschemel saß, wie von einem plötzlichen Schlage gerührt.

Lars! rief sie, mein einzig Geliebter, was ist geschehen – rede – sage mir – o nur ein einziges Wort!

Kein Laut kam über seine Lippen. Er hob nur langsam den Kopf und kehrte ihr das volle Gesicht zu; aus den weitaufgerissenen dunkeln Augen quollen zwei schwere Tropfen, die über die bleichen Wangen niederrannen. Der Mund verzog sich zu einem Lächeln, das zärtlich sein sollte, aber in einer bitteren Grimasse erstarrte.

Was mir geschehen ist? sagte er endlich leise. O, nichts Besonderes! Nur daß ich erfahren habe, wie dem Tantalus zu Muthe war, der mitten in allem Ueberfluß des Lebens verhungern mußte. Aller Zauber der Schönheit entschleiert sich mir, und vor meine Augen schleicht sich der tückische Nebel, der mir schadenfroh verwehrt, mich davon entzücken zu lassen.

Sie war neben seinem Sitz in die Kniee gesunken, hatte seinen Hals umschlungen und ihre weichen Lippen auf seine verdunkelten Augen gedrückt. Es ist gräßlich! hauchte sie. Aber werde nicht gar zu traurig, Liebster. Denke, wie oft schon ein solcher Anfall kam, eine plötzliche Ohnmacht des Sehnerven, gewiß, es muß jedesmal ein entsetzliches Gefühl sein, aber es geht ja vorüber, und wer weiß, wenn das kranke Organ sich nur wieder kräftigt – vielleicht eine Seereise, wo du monatelang dein Auge ruhen lassen mußt, weil ihm nichts begegnet, was seine Thätigkeit anregt. –

Gewiß, sagte er und stand auf, sie mit sich emporziehend, so ein Zustand, wo nichts zur Thätigkeit reizt – freilich, es sieht ein bischen nach Lebendigbegrabensein aus, aber wenn man hernach auf eine fröhliche Auferstehung rechnen darf – verzeih, daß ich mich diesmal von meinem Dämon so unterkriegen ließ – ich sollte ihn ja kennen, daß er nur zum Spaß Katz und Maus mit mir spielt – aber es war auch gar zu hämisch, eben jetzt, wo ich mit Augen sah, was mir bisher nur so als eine certa idea vorgeschwebt hatte – du hältst mich nun wohl für sehr schwach und unmännlich – o, wenn man in gewissen Lagen des Lebens sich des Weinens enthalten kann, muß man ein Held sein, den ich übrigens nicht beneide!

Sie hatte ihre Kleidung wieder in Ordnung gebracht. Nun lade ich mich doch zu deinem Frühstück ein, sagte sie rasch. Erlaube, daß ich den Patriarchen citiere.

Nein, Liebste, erwiderte er, verzeih, ich bin unfähig, jetzt einen Bissen zu genießen. Es hat mich, wie du gesehen hast, doch sehr mitgenommen, ich brauche Ruhe, um mein erschüttertes Gleichgewicht wieder zu gewinnen. Nicht wahr, du findest es nicht allzu ungalant oder gar ein Zeichen von Herzenskälte, wenn ich dich jetzt bitte, mich allein zu lassen. Ich lege mich dann auf das Sopha hin, schließe die Augen und träume – träume von all dem unbegreiflich Süßen und Holden, was ich von dir empfangen habe. In einer Stunde, wenn ich dann die Augen wieder aufmache, ist der Nebel verschwunden.

Sie sah in schmerzlichem Ernst zu Boden. Ich weiß, daß ich deinen Willen nicht ändern kann, sagte sie. Und vielleicht hast du Recht, und jedenfalls würdest du mich wegwünschen, wenn ich mich dir jetzt aufdrängen wollte. Ich verlasse dich aber nur unter einer Bedingung: daß du dein gestriges Versprechen hältst – du entsinnst dich doch? – Er nickte mit dem Kopf. – Und dann, daß du dich zur Theestunde bei uns blicken lässest. Ich bin überzeugt, bis dahin ist all der gräuliche Spuk verflogen. Willst du mir die Hand darauf geben?

Er zog sie in seine Arme. Du hast einen seltsamen Geschmack bewiesen, sagte er trübe lächelnd, als du dir diesen Krüppel zum Liebsten ausgesucht hast. Aber des Menschen Wille ist sein Himmelreich. Wenn ich heut um fünf zu dir komme, bin ich darauf gefaßt, daß dein Bruder mich sehr verwundert von Kopf zu Fuße mißt, was denn an mir sei, das seiner Schwester gefährlich werden konnte. Nun, das ist deine Sache; lebwohl, meine holde Thörin!

Er hatte sich Gewalt angethan, wieder in heiterem Ton zu ihr zu reden; auch sie nahm alle ihre Kraft zusammen, als sie ihm an der Thür draußen noch einmal an die Brust sank, ihr tiefbekümmertes Herz nicht laut werden zu lassen. Wie hart es sie getroffen, empfand sie erst ganz, als sie die hohen Treppen nur mit äußerster Mühe hinunterwanken konnte, auf jedem Absatz ausruhend. Auf der Straße draußen winkte sie eine geschlossene Droschke herbei. Als das Pferd sich in Bewegung setzte, schmiegte sie sich in die dunkle Ecke, drückte ihr Tuch vor die Augen und ließ den jammervollsten Thränen ihren Lauf.

*

Ihr Bruder öffnete ihr selbst die Thür, als sie oben in ihrer Wohnung wieder anlangte. Er war zum Fortgehen gerüstet, im Ueberzieher, den Hut in der Hand.

Hast du endlich den Weg nach Hause gefunden, Nachtschwärmerin? sagte er in heiterem Ton. Ich fürchtete schon, dich nicht erwarten zu können, es ist gerade viel Arbeit im Bureau – nun, was bringst du? Wie ist dir's ergangen? Luise sagte mir, als ich gestern Abend aus meiner Tarokgesellschaft heimkam, was du sie hast wollen glauben machen. Ich wußte ja gleich, was ich davon zu halten hatte, und wie ich dich kenne – aber um Gottes Willen, was ist dir? Du hältst dich ja kaum auf den Füßen, und durch deinen Schleier sehe ich, daß du geweint hast. Komm, stütze dich auf mich, ich bleibe nun natürlich bei dir.

Sein gutmüthiges, rundes Gesicht hatte den Ausdruck zärtlicher Sorge angenommen. Er warf Rock und Hut weg und führte die wie gelähmt Schreitende in ihr Zimmer. Sie sank auf einen Sessel nieder, ohne ein Wort zu sprechen, immer vor sich hin starrend.

Er wartete eine Weile, bis sie sich beruhigt haben würde. Dann, ihr sanft die Schulter streichelnd wie einem kranken Kinde, sagte er:

Erleichtere dir doch das Herz, Nadinchen. Du weißt ja, ich finde Alles gut und recht, was du thust. Ich will ja nur, daß du dir selbst nichts zu leide thust, daß dein gutes Herz dich nicht fortreißt, etwas zu thun, was dich unglücklich macht. Du weißt ja auch, was er mir ist und wie sehr ich ihn beklage. Wie hast du ihn denn gefunden? Was habt ihr miteinander beschlossen?

Sie drückte mit einer dankbaren Bewegung seine Hand. Es ist furchtbar! sagte sie leise. Ich habe gehofft, wenn ich ihm zeigte, wieviel Glück ihm noch bliebe, auch wenn ihm seine Kunst genommen würde – o Max! Alles oder nichts! Darüber kommt er nicht hinaus. Sein Stolz, sein unbändiger Stolz, nichts annehmen zu wollen, da er glaubt, zum Bettler geworden zu sein – sein Zartgefühl, die er liebt, nicht in sein Schicksal mit hineinreißen zu wollen Alles arbeitet daran mit, ihm das Leben verhaßt zu machen. Wenn du ihn gesehen hättest in dem letzten Anfall, da er kurz zuvor von Glückszuversicht strahlte und Alles abgeschüttelt zu haben schien, was an ihm genagt hatte – und dann auf einmal, wie das Gespenst der ewigen Nacht wieder vor ihn hintrat –

Sie erzählte dem Bruder nun, was sich in der letzten Stunde zugetragen hatte. Er wollte dann gleich zu ihm gehen, aufs Höchste geängstet von dem Gedanken, der Freund möchte etwas Verzweifeltes thun.

Nein, sagte sie, ich habe sein Versprechen, und jetzt will er allein bleiben und schläft vielleicht. Aber Mittags, wenn du aus dem Bureau kommst, könntest du einmal bei ihm vorsprechen. Ich weiß sonst nicht, wie ich die langen Stunden, bis wir seinen Besuch erwarten dürfen, überleben soll.

Sie lag dann, als er sie verlassen hatte, in einer Betäubung, die ihren Schmerz ein wenig linderte, auf der Chaiselongue und sagte ihrem Mädchen, sie wolle Niemand sehen, die Nachtwache bei der kranken Freundin habe sie erschöpft. Zuweilen öffnete sie die Augen und heftete ihren Blick auf ein Porträt von Lars, das an der Wand ihr gerade gegenüber hing. Einer seiner Freunde hatte ihn gemalt in der Zeit seiner jugendlichsten Kraft und Schönheit, und sie hatte es sich von ihm schenken lassen, ehe er nach Italien ging. Ist es möglich! kam es von ihren Lippen. Dieser sonnige Mensch – und jetzt!

Die Augen gingen ihr leise über, sie schloß sie wieder, und über ihren düsteren Gedanken dämmerte sie endlich ein. Sie fuhr zitternd in die Höhe, als ihr Bruder wieder bei ihr eintrat, und starrte ihm mit angstvoller Sorge ins Gesicht.

Ich habe ihn nicht zu Hause gefunden, sagte Max. Er war schon vor ein paar Stunden ausgegangen, sei aber ganz wie sonst gewesen, sagte mir sein Diener. Er habe ihm aufgetragen, seinen Handkoffer wieder zu packen, er wolle eine kleine Reise machen, schon heute Abend. Dann hat er noch befohlen, daß Blume die Kiste für das Sommerbild bestellen sollte, hat eine Tasse Thee getrunken und ist dann weggegangen.

Du siehst, Schwester, vorläufig ist kein Grund, das Schlimmste zu befürchten. Wer jene große Reise antreten will, von der man nicht zurückkehrt, läßt sich keinen Koffer packen. Und vielleicht gelingt es uns, ihm auch die kleine Reise auszureden, oder ich nehme Urlaub und wir begleiten ihn. Das herrliche Frühlingswetter draußen in den Bergen wirkt vielleicht wohlthätig auf sein Gemüth.

Nadine schwieg, aber es war ihr anzusehen, daß sie sich keiner tröstlichen Täuschung hingab. Während sie zu Tische saßen, sprachen sie kaum ein Wort. Dann entfernte sich Max wieder, um bei seinem Vorgesetzten wegen des Urlaubs anzufragen.

Er wurde länger aufgehalten, als er gedacht hatte. Da er endlich den Ministerialdirector hatte sprechen können, war die Stunde schon herangekommen, in der sie Lars erwarteten. Er eilte, so viel er konnte, um ihn ja nicht zu verfehlen. Als er aber in das Theezimmer eintrat, sah er nur die Schwester auf ihrem gewohnten Platz. Auf dem Tisch vor ihr lag ein Brief. Schon von Weitem erkannte er die große Handschrift des Freundes.

Er kommt nicht? rief er in lebhafter Bestürzung. Was hat ihn abgehalten?

Sie brachte kein Wort über die Lippen. Wie ein Steinbild saß sie aufrecht in dem hochlehnigen Sessel, mit geschlossenen Augen. Aber ihre Wimper blieb trocken. Da ergriff er das Blatt und las:

 

»Meine Geliebte, es muß nun doch geschieden sein. Ich kann die Tantalusqual nicht ertragen, daß sich der Himmel vor mir öffnet und dann ein schwarzer Flor über die Augen fällt, die sich eben daran beseligen wollten. Schadenfroher hat das Schicksal nie einem Menschen mitgespielt.

Und darum geh' ich hinweg von Dir. Wenn ich bliebe, wer weiß, ob Deine süße Liebe mich nicht so bestrickte, daß ich mich schwach und feige in mein Elend ergäbe. Ein Glück, wie es an Deinem Herzen mir winkt, darf nur Der genießen, der ein volles, frohes Leben dagegen zu geben hat.

Und ich bin ein zu langsamem geistigem Tode Verurtheilter.

Ich verreise fürs Erste nicht weit. Vielleicht finde ich den Muth, Dir Nachricht von mir zu geben – wenn sie nicht allzu betrüblich klingt. Und ich versprach Dir ja auch – aber nein, das Wort mußt Du mir zurückgeben. Du hast ja selbst bezweifelt, daß ich es unter allen Umständen würde halten können. Wie soll ich bei Dir anfragen, ob Du mir in einem bestimmten Augenblick den Paß für die letzte größte Reise visieren möchtest, wenn der Dämon mich plötzlich überfallen sollte? Bei Allem aber, was ich thue, wirst Du vor meiner Seele stehen, und ich werde handeln, je nachdem ich Dich nicken oder Deinen schönen Kopf schütteln sehe.

O, meine holde Geliebte, wie soll ich Dir danken, daß Du mir das noch gegeben hast, diese Offenbarung aller überschwänglichsten Schönheit und Güte! Ich küsse Deine süßen Augen, Deinen rothen Mund, das Grübchen in Deinem Kinn. Lebwohl!

Sage Max, daß ich ihn brüderlich geliebt habe und gern mit ihm gelebt haben würde. Er hat einen vornehmen Sinn. Er wird Alles verstehen.

Lebtwohl, ihr Theuern! Aller Segen des Himmels auf Dein Haupt, mein geliebtes Weib!

Ewig Dein

Lars.

N.S. Ich habe für den Fall, daß mir etwas Menschliches begegnen sollte, beim Notar meinen letzten Willen hinterlegt. Was ich an Geld besitze, soll der Unterstützungskasse der Münchener Künstler überwiesen werden, mit Ausnahme des Legats für Blume. Meinen künstlerischen Nachlaß habe ich Dir vermacht. Die beiden Bilder sollen an den Besteller geschickt werden. Blume weiß die Adresse. Schade, daß ich den Sommer nicht vollenden konnte. Es geht nun in Einem hin. Auch mein Lebenssommer ist ja in seiner besten Blüte durch das Ungewitter verheert worden.

Noch einmal tausend, tausend Grüße und Küsse. Lebwohl!«

*

Ohne ein Wort zu sagen, legte Max den Brief, nachdem er ihn gelesen hatte, wieder hin und ging nach der Thür. Da fuhr Nadine aus ihrer Erstarrung auf.

Wohin willst du?

Natürlich zu ihm. Ich muß versuchen, ob ich ihn nicht von seinem desperaten Entschluß zurückbringen kann. Wenn wir ihn reisen lassen, ist vorauszusehen, was das Ende sein wird. Sie erhob sich rasch.

Ich gehe mit dir Max. Zwar hoffe ich nichts mehr, aber ich bin sein Weib geworden, ich lasse mich nicht von seiner Seite verdrängen.

Sie fuhren, stumm nebeneinandersitzend, nach Lars' Wohnung. Nur Blume kam ihnen entgegen. Der Herr Professor sei nach Tische wieder nach Hause gekommen, es sei ihm nichts Besonderes anzumerken gewesen, er habe sich hingesetzt und den Brief an die gnädige Frau geschrieben, dann befohlen, ihn gegen fünf durch einen Packträger forttragen zu lassen. Darauf habe er den Handkoffer untersucht und noch ein paar Bücher hineingethan. Er werde zu Fuß vorausgehen, wo er bleiben werde, wisse er noch nicht, vielleicht komme er auch heute Abend noch einmal wieder, Wenn das Gehen ihn zu sehr ermüde, jedenfalls solle Blume ihm, wenn er die Adresse erhalte, den Koffer nachschicken. Dann – so gegen Drei – habe er ihm die Hand gegeben und noch gesagt, er möge die Herrschaften grüßen, wenn er sie zu sehen bekäme. Ihm sei ganz wohl, man brauche sich keine Sorge um ihn zu machen.

Dann sei er aus dem Hause gegangen.

Der Alte hatte, da Max erklärte, sie wollten abwarten, ob Lars nicht dennoch heute Abend in seine Wohnung zurückkehrte, die Geschwister im Atelier allein gelassen. Nadine war auf das Ruhebett gesunken, Max ging, den Hut auf dem Kopf, die Hände in die Taschen seines Ueberrocks vergraben, mit finsterer Stirn durch den weiten Raum auf und ab. Zuweilen blieb er vor einem der Gipsabgüsse stehen, oder sah in das Kabinet hinein. Darüber verging eine qualvolle Stunde.

Endlich trat er vor die Schwester hin, die regungslos auf dem Polster ruhte, den Kopf an das rothe Kissen gedrückt.

Ich halt' es nicht länger aus! sagte er. Es ist grausam von Lars, uns auf diese Folter zu spannen. Irgend etwas muß geschehen, daß wir Klarheit bekommen.

Sie sah mit verzweifelter Rathlosigkeit zu ihm auf.

Ich will auf die Polizei, fuhr er fort. Alle Schutzmänner müssen in Bewegung gesetzt werden, auf den Flüchtling zu fahnden. Wie das möglich sein wird, ist mir noch dunkel. Vielleicht aber weiß der Polizeidirector einen Ausweg aus diesem entsetzlichen Labyrinth. Jedenfalls würde ich in diesem unthätigen Warten ersticken.

Er wandte sich nach der Thür. Sie suchte ihn nicht zurückzuhalten, so aussichtslos ihr sein Vorhaben erschien. Da klopfte es, und sie schrak zusammen, wie wenn eine furchtbare Entscheidung vor der Schwelle stände.

Max hatte die Thür aufgerissen, Fabian Blume stand draußen und trat, die Mütze in den Händen drehend, mit einer linkischen Verbeugung ein.

Er habe nur fragen wollen, ob der Herr Professor zurückgekehrt sei. Aber sein Alter habe ihm schon gesagt, die Herrschaften warten auch auf ihn, also sei es doch wahrscheinlich, daß er noch kommen werde, obwohl –

Er stockte und sah verlegen von Max zu Nadine, die in die Höhe gefahren war, als der junge Mensch zu sprechen anfing.

Ob er etwas von Herrn Lars wisse, fragte Max; ob er ihm etwa mitgetheilt habe, wohin er zu gehen vorgehabt?

Das nicht, sagte Blume junior, aber begegnet bin ich ihm.

Wo? Wo und wann?

So etwa vor einer Stunde, es kann eher mehr gewesen sein. Ich war gestern früh bei dem Herrn Professor, wollt' mich erkundigen, ob er nicht einen Diener brauchen thät', da es jetzt mit seinen Augen – die Herrschaften wissen ja – und da ich gut vorlesen kann und a bissel a Bildung hab', und auch meine Schrift ist ganz orthographisch – no, dem Herrn Professor paßt' es gerad' nicht und er hat mir auch gerathen, das Modellstehen sollt' ich aufgeben und mir einen anständigen Beruf suchen. Und weil ich gestern Abend in der Zeitung gelesen hab', ein Herr in einer Villa bei Harlaching thät' einen zuverlässigen Mann suchen als Hausmeister und der auch mit Pferden umzugehen wüßt', bin ich heut' Mittag hinaus, und es ist auch richtig geworden und ich hab' gleich in der Küch' mitessen dürfen, und hernach hab' ich mir Alles angeschaut, mein Zimmer und den Stall – ein eigner Kutscher ist natürlich da – und auch den Garten, um den ich mich auch annehmen sollt'. Wie's vier Uhr wird oder so gegen halb Fünf, läßt mich der Herr noch einmal rufen, giebt mir das Drangeld, und wir machen ab, daß ich gleich übermorgen einziehen sollt' und sollt' nur erst noch in mein altes Quartier, meine sieben Zwetschgen zusammenzupacken.

Da, wie ich so ganz vergnügt nach der Stadt zurückgehe und komme an die Ueberfälle – die Herrschaften wissen, wo die vielen kleinen Stege sind unter den Weiden, weil daß die Isar da durch moosige Strecken läuft, und denk' noch gerad', daß ich die gute Stelle eigentlich dem Herrn Professor verdank', weil der mir zugeredet hat, das faule Modellleben zu lassen – wer kommt mir da entgegen, gerad' an einer Stelle, wo das Ufer recht abschüssig ist, und auch nicht oben auf der schmalen Straße, sondern unten auf dem Kiesgrund dicht neben dem reißenden Wasser? Herr Professor! ruf' ich, was machen's denn da unten, wo gar kein Weg ist und Sie auf einmal abrutschen und ins Wasser fallen können? Da bleibt er stehen, hält die Hand über die Augen, und erst als ich näher heran bin, sagt er: Ihr seid's, Fabian? Ich dank' Euch, daß Ihr mich angerufen habt, denn bei dem Nebelwetter – es war aber der hellste Sonnenschein – kommt man leicht vom Wege ab. Ich hab' so ein Brennen in den Augen, denen thut die kühle, nasse Luft hier unten am Ufer wohl. Ich will noch ein paar Stunden mich müde laufen, damit ich besser schlafe, und weiß noch nicht, wo ich übernachten werde, ob schon in Großheselohe oder erst in Schäftlarn. Was habt Ihr denn hier draußen zu suchen?

No, da hab' ich ihm erzählt, wie gut mir's eben gegangen sei, und hab' ihm auch gesagt, daß ich eigentlich ihm die gute Stelle zu verdanken hätt', weil er mir so ins Gewissen geredt hat wegen meiner Tagedieberei. Und da lächelt er ganz still vor sich hin und sagt: Es ist gut, Fabian, ich hab' Euch gestern Morgen schlecht gedankt für Euern guten Willen, daß Ihr mir beistehen wolltet, meine Geschäfte zu besorgen trotz meiner schlechten Augen. Verzeiht mir das! Ich bin halt ein kranker Mensch, und da sag' ich im Fieber wohl mal ein Wort, das mich reut. Und um das ein wenig wieder gut zu machen, da nehmt!

Damit zog er sein Portemonnaie aus der Tasche, gab mir's in die Hand und sagte: Macht Euch einen vergnügten Tag, Fabian, und wenn Ihr Euern Papa seht, grüßt ihn von mir. Er weiß schon Alles, was ich noch von ihm will. Behüt' Gott, Fabian!

Ich stand ganz verdattert, denn die Geldtasche in meiner Hand war schwer, und er hatte mir ja gar nichts angethan, was er mir zu vergüten gebraucht hätt'. So bring' ich bloß noch ein Vergelt's Gott tausendmal! heraus, aber er hört's kaum mehr, denn er war schon weit von mir weg, als ob er große Eil' hätte. Ich war neugierig, zu sehen, wieviel in dem Portemonnaie steckte, da fand ich fünf große Goldstücke und einen Hundertmarkschein und war so erschrocken, als ob ich das Geld gestohlen hätte, zugleich aber sehr vergnügt. In meinem Taumel geh' ich denn auch ruhig meines Wegs weiter und überleg' bei mir, was ich mit dem Geld anfangen sollt', ob ich's nicht auf die Sparkasse legen sollt', da ich in meinem neuen Dienst ja vorläufig nichts brauchen werde. Plötzlich fällt mir ein: was fangt der Herr Professor denn an, wenn er morgen im Gasthof die Rechnung bezahlen soll und besinnt sich jetzt erst, daß er sein ganzes Reisegeld weggeschenkt hat? Nein, sagt' ich mir, du mußt ihn wieder einholen und ihn bitten, wenigstens die Hälfte zurückzunehmen. Und sofort kehr' ich um und renn' ihm nach und lauf' wohl eine halbe Stunde lang umeinand' und ruf' so laut ich kann: Herr Professor! Herr Professor! – kein Laut weit und breit zu vernehmen, wie in den Erdboden verschwunden, wenn nicht gar – und indem ich's denke, überläuft mich's eiskalt – denn neben dem Wege rauschte und strudelte der Fluß, und er, mit seinen kranken Augen, die ringsum nur Nebel sahen – auf dem abschüssigen Kiesgrund – Aber ums Himmels willen – die gnädige Frau!

Er stürzte nach dem Ruhebett hin, zugleich wandte Max sich um. Am Boden, den Kopf auf das Polster zurückgesunken, lag Nadine besinnungslos in einer so tiefen Ohnmacht, daß sie auch nicht erwachte, als die beiden Männer sie aufhoben und alle Mittel anwandten, sie wieder zu sich zu bringen.

*

Erst mehrere Wochen später siegte ihre starke Natur über die verderbliche Krankheit, die sie dem Leben zu entreißen gedroht hatte. Doch von der Nacht, die ihren Freund nun für immer umgab, war ein schwerer Schatten auch in ihre Seele gefallen. Sie ging Jahr und Tag wie in einer Dämmerung ihres Bewußtseins umher, ihre schönen Augen starrten glanzlos vor sich hin, ihr Haar, das man in der Krankheit abgeschnitten hatte, war ergraut.

Dann lebte sie wieder ein wenig auf und bemühte sich, ihrem Bruder ein heiteres Gesicht zu zeigen. Aber von allem Verkehr mit Freunden und Bekannten zog sie sich mehr und mehr zurück. Sie hatte Lars' Wohnung oben in der Schwanthalerstraße behalten und trug den Schlüssel beständig mit sich. Zuweilen stieg sie die vier Treppen hinauf und trat in das Atelier. Da ging sie langsam durch die drei Räume, in denen nichts geändert worden war, saß auf dem rothen Sopha und überließ sich dem Traum, der sie in jene Tage ihres höchsten Glücks und bittersten Schmerzes zurückführte. Jeden Nachmittag konnte man ihr am Isarufer in den Weidengebüschen der Ueberfälle begegnen. Da wandelte sie stundenlang auf und ab, wie Jemand, der auf einen Freund wartet, der zu kommen versprochen hat und ausbleibt.

Sie klagte über nichts. Nur zuweilen fuhr sie mit der Hand nach dem Herzen und konnte einen plötzlichen Schmerz nicht verbergen. Der Arzt, den Max herbeiholte, erklärte, es sei ein räthselhafter Zustand, und drang auf äußerste Ruhe und Schonung. Sie lächelte wehmüthig und setzte ihre langen Spaziergänge fort.

Eines Tages kehrte sie nicht zurück. Man fand sie auf einer Bank in den Isarauen, aufrecht sitzend, die Hand aufs Herz gepreßt, die erloschenen Augen auf die tiefe, grüne Flut gerichtet, die ihr Lebensglück verschlungen hatte.

—————

 


 << zurück weiter >>