Paul Heyse
Gegen den Strom
Paul Heyse

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Zweiunddreißigstes Kapitel.

Fünf Jahre waren seit dem denkwürdigen Tage, der im Leben von sechs guten Menschen Epoche gemacht, verflossen.

Wieder war's an einem sonnigen Frühlingstage, nur um etliche Wochen später, als der Omnibus, der Reisende von der Station Windheim abholte, auf der Chaussee unter den Pappeln und Ebereschenbäumchen dahinrollte. Es war aber nicht mehr der alte gelbe Klapperkasten des Blauen Engels, sondern ein sehr eleganter grünlackierter Wagen, der die Aufschrift trug: Kurhotel Windheim. Auch war er ziemlich voll besetzt, und auf seinem Dache trug er einen Berg von Koffern und Reisegepäck aller Art, über die der Stationsdiener sich nicht mehr wunderte, wie damals, als er nur den eleganten Koffer mit den Buchstaben H.  v. R. dem Kutscher aufladen half.

Drinnen saß unter den Reisenden, die Kurzwecke hierher geführt hatten, ein junges Paar, das man unschwer sofort als Hochzeitsreisende erkannt haben würde, teils an der lustigen Miene, mit der der Mann seiner Gefährtin allerlei ins Ohr flüsterte, teils an dem funkelneuen Handgepäck der jungen Frau. Der Ehemann ist uns überdies nicht unbekannt. Das hübsche, scharfgeschnittene Gesicht mit dem schwarzen Van-Dyck-Bärtchen, der aus der Stirn über den dichten Haarschopf zurückgeschobene Strohhut und die lose helle Joppe gehören niemand anders als unserm Freunde Peter Paul. Wo aber haben wir die schwarzen Feueraugen und das schalkhaft geschürzte rote Mündchen, den braunen Lockenwald und die schlanken Schultern der jungen Dame schon gesehen? Nun, es wird uns wohl noch einfallen.

Während der Fahrt sah unser Peter Paul eifrig durch das Wagenfenster in die Landschaft hinaus. Seine Bemerkung, daß er alles verwandelt finde, wo jetzt grüne Wiesen seien, auf denen Kühe und Schafe weideten, und sogar Kornfelder sich ausbreiteten, habe man früher nur Sumpflachen zwischen saurem Gras und Schilf und armselige Torfstiche gesehen, schien bei seiner Gefährtin wenig Interesse zu finden. Auch als sie über die Brücke rollten und der festgemauerte Damm mit seinen neuangepflanzten Bäumchen sichtbar wurde, schenkte sie dieser Neuerung keine Beachtung, da der Anblick sehr reizlos war. Ebensowenig hatte sie Sinn für den Kummer ihres jungen Gatten, daß die drollige Staffage des Uferwalls, die Galerie der erbgesessenen Angler, verschwunden war. Erst als sie durch das alte Tor in die Stadt eingefahren waren und er ihr den Blauen Engel zeigte, lachte sie auf und betrachtete dies ehemalige Wahrzeichen der Stadt Windheim, von dem sie allerlei gehört hatte, mit ihren munteren Augen. Wieder stand der Wirt, Herr Isidor Hegelmüller, in der Haustür, erwiderte aber den Gruß Peter Pauls mit einer zerstreuten Miene, wie wenn sein Kopf so schwach geworden wäre, daß er sich schwer auf einen noch so wohlbekannten Gast seines Hauses besinnen könnte. Die Augen lagen mit einem gläsernen stumpfen Blick in dem gedunsenen Gesicht, das den melancholischen Ausdruck eines Trinkers hatte. Zur Schwermut hatte er auch sonst guten Grund. Der Gasthof war seit jenem Unglücksjahr, das die rührige Wirtin nicht lange überlebt hatte, stetig zurückgegangen und zum Rang eines Ausspanns herabgesunken, in welchem nur noch Bauern und Gewerbleute einkehrten, seit das große Kurhotel auf der Höhe des Geländes entstanden war, zu dem nun auch der Omnibus auf der breiten neuen Fahrstraße hinaufstrebte.

Auch hier stand der Wirt vor dem Hause, begrüßte die Ankommenden, die sämtlich Quartier bestellt hatten, erklärte dann aber dem jungen Paar, das diese Vorsicht versäumt, er bedaure, sie nicht aufnehmen zu können, das letzte Kämmerchen im dritten Stock sei eben besetzt worden. Es sei die hohe Saison, und der Zudrang zu dem Bade wachse von Jahr zu Jahr.

So werde er wohl noch im Kloster droben unterkommen, bemerkte der Maler.

Daran sei nicht zu denken. Das Kloster sei jetzt ein Sanatorium geworden und alle die früheren Zellen in Zimmer für Patienten umgewandelt. Im nächsten Jahr solle ein Flügel angebaut werden.

O, sagte Peter Paul, für mich und meine Frau wird wohl noch ein Winkelchen frei werden, Frau Marianne, die Hausmeisterin, ist meine gute Freundin, und schlimmstenfalls bettet sie uns im Refektorium, das mir nicht ganz unbekannt ist. Wir wollen gleich hinauf, nur möcht' ich bitten, uns erst in Ihren Speisesaal zu führen, es befindet sich da ein Deckengemälde, von dem ich reden gehört habe.

Der Wirt, der nicht recht wußte, was er aus dem Paar machen sollte, wurde aber doch höflicher, als er seinen Plafond rühmen hörte, und sagte, indem er voranging, es sei allerdings ein prachtvolles Bild, das Meisterwerk eines gewissen Peter Paul Rubens, der leider schon gestorben sei.

Das belustigte die junge Frau sehr, so daß sie das Lachen kaum verhalten konnte. Ihr Mann aber, als sie nun im Saale standen, sah scharf zur Decke hinauf und runzelte die Stirn.

Eine schöne Bescherung! murrte er. Beim Aufziehen haben sie die ganze rechte Seite beschädigt, das hätte erst repariert werden sollen. Übrigens seh' ich jetzt erst, wie lahm das tanzende Paar sich ausnimmt, und die Kinder im Vordergrund links sind recht ordinäre Posaunenengel. So kann einen die Erinnerung täuschen! Es wäre doch das beste gewesen, die ganze alte Schwarte zu verbrennen und was Neues hinzumalen.

Mein Herr, fiel ihm der Wirt mit der Miene tiefer Kränkung ins Wort, wie können Sie sich herausnehmen, so absprechend über ein Kunstwerk zu urteilen, das von einem allgemein anerkannten großen Meister herrührt und dem Windheimer Kurhotel zur Zierde gereicht?

Da hielt sich die junge Frau nicht länger und sagte, nachdem sich ihr helles Lachen ein wenig beruhigt hatte: Sie werden es dem Maler doch gestatten müssen, sich über sein eigenes Bild zu ärgern, wenn er es nach Jahren wiedersieht und nicht mehr damit zufrieden ist. Übrigens hast du unrecht, Peter Paul. Ich finde es wunderschön und dich, wie gewöhnlich, viel zu bescheiden.

Der Wirt, nachdem er sich von seiner Bestürzung erholt und begriffen hatte, daß der totgeglaubte berühmte Meister leibhaftig vor ihm stand, erschöpfte sich in Entschuldigungen und erklärte, er überlasse nun niemand anders die Ehre, die Herrschaften bei sich aufzunehmen, lieber würde er selbst mit seiner Familie in Badewannen übernachten. Doch brauche es dazu nicht zu kommen, es stünden noch die Zimmer zur Verfügung, die sonst immer für durchreisende Fürstlichkeiten oder hohe Badegäste reserviert würden und zu denen er nun das Künstlerpaar unter vielen Beteuerungen, wie sehr er die Ehre zu schätzen wisse, geleitete.

Als die beiden das Schlafzimmer und den Salon betraten, die mit großer Verschwendung von Plüsch und Teppichen ausgestattet waren, erklärte der Maler, er sei ein einfacher Reisender und nicht in der Lage, ein so glänzendes Logis zu bezahlen, worauf der Wirt mit einer Verbeugung erwiderte, Ehrengästen pflege er überhaupt keine Rechnung vorzulegen, und er hoffe nur, es werde den Herrschaften möglichst lange unter seinem Dache gefallen.

Du siehst, Finchen, sagte der Maler, als der Wirt sie allein gelassen hatte, wie angenehm es zuweilen ist, die Frau eines berühmten Mannes zu sein. Wenn wir übers Jahr wiederkommen, finden wir wahrscheinlich an der Wand eingerahmt ein kalligraphisches Gedenkblatt, daß der weltberühmte Künstler Peter Paul –

Mit seiner schönen und liebenswürdigen Gemahlin Seraphine – schaltete die junge Frau lachend ein.

– eine Nacht in diesem Zimmer zu ruhen geruht habe. Aber nun laß uns keine Zeit verlieren . . . Wir müssen bei guter Zeit nach dem Kloster hinauf. wo ich dir allerlei zu zeigen habe.


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