H. Clauren
Die Gräfin Cherubim
H. Clauren

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Eulengeschrei.

»Das ist ja vom Onkel,« sagte Ida, auf den Brief in der Mutter Hand deutend, »der sagt es für heute Abend doch nicht etwa ab?«

»I, freilich,« erwiederte die Mutter bedauernd, »deswegen komme ich eben, um Euch das zu melden. Mein Schwager,« fuhr sie zu Ewald gewendet, erläuternd fort, »ist drüben bei Ihnen Kreis-Director; er wollte uns mit meiner Schwester, seiner Frau, heute Abend zu einem kleinen Familienfeste besuchen, und nun kann er nicht, weil ihn – ich hin noch so erschrocken – Gott im Himmel, in welcher bewegten Zeit leben wir! – hier – im Sitze des tiefsten Friedens eine solche unerhörte Greuelthat –« sie setzte sich erschöpft nieder, und gab Ida den Brief – »lies ihn laut,« bat sie mit weicher Stimme, »es kann kein Geheimniß bleiben, und es wird Sie, –« zu Ewald gewendet – auch interessiren, wenn Sie es nicht bereits bei Hollaus gehört haben.«

Ewald, Jettchen und Lieschen sahen sich einander gespannt an, und Ida begann:

»Leider, meine liebe Schwägerin, bin ich genöthigt, Dir melden zu müssen, daß wir heute bei Euch nicht erscheinen können. Ein Dienstgeschäft, durch höchst traurige Umstände veranlaßt, hält mich von dem Vergnügen ab, und meine arme Frau ist von dem Vorfalle so erschüttert, daß sie, für Euren fröhlichen Zirkel nun doch nicht gestimmt, lieber auch zu Hause bleiben will. Wir sitzen heute morgen beim Frühstück, als der Major von Bühren, der Adjutant unsers Prinzen Ewald, zum Hofe hereingesprengt kommt, leichenblaß in unser Zimmer tritt, und mich allein zu sprechen wünscht. Hier erzählt er mir nun, von der schrecklichsten Angst gepreßt, daß diese Nacht die Schildwache, die auf dem Außenwerke von Schreckenstein steht, auf dem kleinen Fluß der Lidde, die da dicht vorbeifließt, etwas Schwarzes geschwommen kommen sieht; der Soldat hält es anfänglich für einen Menschenkopf, erkennt es aber, als er näher kommt, bei dem hellen Mondschein für einen Hut, erhascht diesen mit seinem Bajonett, und bringt ihn, da er eben abgelöst wird, auf die Wache; dort sitzt ein Lakei unsers Prinzen Ewald, und spielt mit den Unteroffiziers Karte; der wird kaum des Huts ansichtig, als er aufschreit, daß dieß der Hut seines Prinzen sey, und daß diesem ein Unglück begegnet seyn müsse. In dem Augenblicke flattert oben vom Festungsthurme eine alte berüchtigte Eule, von der sich das Volk manch Grauenvolles erzählt, hoch auf, und erhebt ein furchtbares Geschrei. Die ganze Wache theilt jetzt die schreckliche Ahnung des Lackeis; man weckt den Major, alle Bewohner des Forts werden wach, und alle kommen zusammen und stimmen darin überein, daß, wenn die alte Eule zur Zeit des Vollmondes geschrieen, jedesmal ein großes Unglück für das ganze Land erfolgt sey. Auch der Major erkennt den Hut für den des Prinzen; dieser war die letzte Zeit, und besonders auf der Reise nach dem Schreckenstein, wider seine sonstige Gewohnheit, sehr zerstreut, und immer in Gedanken gewesen; er hatte ganze Viertelstunden lang im Wagen gesessen, ohne ein Wort zu sprechen; dann hatte er auf einmal gelacht; beim Umspannen auf einem der Relais war er ausgestiegen, hatte lange im Schatten einer Linde gesessen und mit dem Stocke den Namen ›Aloyse‹ in den Sand geschrieben; in Schreckenstein selbst war er auf alles um ihn her Vorgehende unaufmerksam gewesen; sonst gegen jeden freundlich, hatte ihn das gutmüthige Annähern der dortigen Menschen sichtlich gelangweilt; die Geschäfte, denen er sich sonst mit Leib und Seele hingegeben, hatten ihn angewidert, auf einmal war er, zum großen Befremden des Majors und des zweiten Adjutanten in Civilkleidern, ohne alle Begleitung auf und davon geritten, und hatte von Garbenfelde aus, einen mit Bleistift geschriebenen Zettel an ihn zurückgesendet, mit der Nachricht, daß er den dortigen Amtmann nicht gefunden, und daher nach Klesitz geritten sey, um die Stutterei zu besehen, und von dort aus den umliegenden Adel zu besuchen. Dieß ganze Billet war dem Major schon auffallend vorgekommen, denn bei dergleichen Besuchen reist in der Regel ein Prinz nicht leicht ohne Bedienung und Garderobe, indessen auch Herren der Art haben zuweilen ihre Phantasien, und jener Name im Sande führt den Major fast auf die Vermuthung, daß irgend ein kleiner Liebeshandel bei dem ganzen Ritt mit im Hintergrunde liege, doch steigen ihm auch darüber Zweifel auf, da der Prinz bis dahin sich eines Verhältnisses der Art durchaus nicht verdächtig gemacht hat – jetzt den Hut in der Hand, und die bangen Klagen der von der Eule gemahnten Schreckensteiner im Ohre, bleibt ihm nichts übrig, als selbst sofort nach Klesitz zu eilen, um zu sehen, ob der Prinz dort sey; er nimmt vorher allen Bewohnern des ganzen Forts das Wort ab, vom ganzen Vorfalle vor der Hand zu schweigen, und jagt nach Klesitz. Hier hat kein Mensch den Prinzen gesehen; er wechselt die Pferde und jagt nach Garbenfelde; der Junge, der ihm das Billet gebracht, ist nicht aufzufinden; eine Frau hat den Prinzen, wie ihn ihr der Major beschreibt, allein reiten gesehen; ein zehnjähriges Kind will ihn aber in Gesellschaft eines zweiten Reiters gesehen haben, doch sind Beide schon zu entfernt gewesen, um diesen Zweiten erkennen zu können. Weiter ist keine Kunde bis jetzt zu erlangen gewesen. Der Prinz ist verschwunden. Ist er verunglückt? hat er sich selbst ein Leides zugefügt? Ist er Raubmördern in die Hände gefallen? Das sind die quälenden Fragen. Oeffentliche Aufforderungen, ihn aufzusuchen, wünscht zwar der Major, der nun hierher gereist ist, um sich bei mir Rath zu holen, was bei der Sache zu thun sey; allein dieser Schritt ist sehr delikat; wenn nun wirklich der Prinz, was ja doch auch möglich wäre, in einer Liebesintrigue verwickelt wäre, den Hut blos verloren hätte, und, während wir im ganzen Lande Lärm schlügen, still und wohlgemuth bei seinem Mädchen säße und sich um die ganze Welt nicht bekümmerte, wie ungelegen müßte ihm unser Diensteifer seyn! Ich habe mich daher begnügen müssen, das Signalement des Prinzen, wie ich es vom Major erhalten, an mehrere Beamten und Gutsbesitzer im Kreise zu senden, ohne jedoch den Prinzen ihnen namhaft zu machen; und habe sie gebeten, sich unter der Hand zu erkundigen, ob der Vermißte in ihrem Geschäftsbereich oder in den Gränzen ihrer Güter sich habe sehen lassen. Mit dieser Bitte, wende ich mich jetzt auch an Dich, meine liebe Schwester, und finde mich um so mehr veranlaßt, als der Prinz nach Aussage der Frau und des Kindes in Garbenfelde, nach Eurer Gegend zu geritten seyn soll, und als der Graben, der an der Gränze Eures Gartens und Eurer Feldfluren vorbeifließt, sich in die Lidde ergießt, in welcher die Schreckensteiner Schildwache den Hut des Prinzen gefunden. Ich selbst will diesen Augenblick fort, und mit Forstbedienten, so viel ich deren in aller Schnelle auftreiben kann, den Grimnitzer Buchwald durchsuchen lassen, so weit ihn die Lidde durchfließt; vielleicht komme ich, da ich dann in Eurer Nähe bin, spät Abends noch auf ein Stündchen zu Euch. Bis dahin

Dein treuer Schwager.

»Großer Gott, was ist das für ein Begebniß,« sagte Ida, als sie bis zu Ende gelesen, tief bewegt, und legte das Blatt auf den Tisch; den beiden andern Mädchen aber waren während des Zuhörens die warmen Thränen über die Wangen gelaufen; Jettchen sprang ängstlich auf, und fragte die Mutter, ob sie schon die gewünschten Anstalten getroffen, und baute, als die Mutter sie beruhigend bejahte, auf die Hoffnung, daß, wenn der Prinz im Bereiche ihrer Güter sey, er gewiß werde aufgefunden werden.

»Aber wie? wie?« rief Lieschen aus schmerzlich zerrissener Brust. »Gott im Himmel, wenn er nun hier verunglückt wäre, wenn sie ihn brächten, blutend oder todt!« Sie rang die Hände vor sich hin, und jammerte laut.

»Ach und es soll,« sagte die Gräfin Mutter mit sanfter Rührung, »und es soll ein so edler, ein so wohlgebildeter, herzensguter, liebenswürdiger Mensch gewesen seyn!«

Ewald saß auf glühenden Kohlen, er wollte anfänglich über die verdammte Incognito-Geschichte lachen, er wollte mit Benno schmollen, der ihm den unglücklichen Plan vorgeschwindelt hatte. Er wollte das Roth des Ostereies in seinem Interims-Hute als klare und deutliche Vorbedeutung, auf die vorgebliche Mordgeschichte ansehen; er wollte sich über den unzeitigen Spektakel, den der Major und der Kreisdirector angerichtet, ärgern, aber die Wehmuth, in welche hier die drei schönen Mädchen sammt der ehrwürdigen Mutter versunken waren, der zarte Antheil, den sie an seinem vermeintlichen Unglück nahmen, und vor allem Lieschens thränenschwerer Blick der bangsten Verzweiflung, ihre gebrochene Stimme, ihr beklommenes Athmen, ihr leises Schluchzen, ergriffen ihn so unbeschreiblich, daß ihm fast selbst das Wasser in die Augen trat; er rückte auf seinem Sitze verlegen hin und her, und in seiner sichtlichen Befangenheit schien denen, die nicht wußten was in seinem Innern vorging, seine Theilnahme an dem vernommenen Unglück zu liegen.

Charlotte, das Kammermädchen, brachte jetzt ein zweites Blatt; es war das erwähnte Signalement, was der Verwalter zum Abschreiben und zum Vertheilen der Abschriften, unter die Schulzen der zur Herrschaft Elisensruhe gehörigen Dörfer, erhalten hatte, und der Gräfin wieder zustellen ließ.

Ewald, in der höchsten Bedrängniß, jetzt entdeckt zu werden, wollte der Gräfin Ida, die das Blatt eben vorzulesen anfing, mit der Aeußerung. daß er den Prinzen kenne, in das Wort fallen; das Blatt ihr abnehmen, und, um sie irre zu führen, ein ganz falsches Signalement von sich geben; aber Ida, auf die nähere Beschreibung des verlorenen Prinzen, höchst neugierig, ließ sich nicht stören und las:

Alter: 24 Jahr.

Figur männlich stark; eher groß als klein, hochgewölbte Brust; vollkommenes Edelmaaß im ganzen Gliederbau; militärische Haltung; edler Anstand, gracieus in jeder Bewegung. Kleiner Fuß; feingeformte sehr weiße Hand.

Haar: schwarz und gelockt, kurz verschnitten.

Anzug in dem der Vermißte sich entfernt hat; schwarzer Vigogne-Frak, weißes Battist-Halstuch, feines Battist-Hemde mit breiten Busenstreif, weißes sehr sauberes Pierquee-Gillet. schwarze Tuch-Pantalons, Stiefeln, silberne Sporen, englische Reitgerte mit drei silbernen Streifen versehen, in der Leibwäsche und im gestickten battistenen Taschentuch, der Buchstabe E in einem leichten Eichenkranz. Eine goldene Repetir-Uhr, welche drei Pieçen aus dem Freischütz auf Federn spielt, mit einer zehnzeiligen goldenen Erbskette, an der sich ein Schlüssel von Mosaik befindet.

Ewald, der, während ihn Ida so genau abkonterfeite, daß es ihm war, als sähe er sich im Spiegel, wußte vor immer zunehmender Verlegenheit nicht mehr mit sich wohin; er steckte unvermerkt die Füße tief unter die Bank, verbarg Kette und Uhrschlüssel, und hätte, wer weiß was darum gegeben, wenn er die Gräfin Ida den verwünschten Steckbrief gar nicht hätte lesen lassen. Zur Vermehrung seiner Pein wechselten Lieschen und Jettchen mit einander fortwährend sehr bedeutungsvolle Blicke, sahen dann auf ihn und auf seine im Signalement bezeichneten Gegenstände, zogen allmählig auch die Mutter mit in dieß ihn folternde Augenspiel, und gaben sich, je mehr sie hörten, die Entdeckung zu verstehen, daß, wenn der Zufall hier nicht sein Wesen ganz besonders treibe, zwischen dem Grafen Lüdinghausen, und dem signalisirten Prinzen Ewald doch eine höchst auffallende Aehnlichkeit obwalten müsse.

Gesicht: oval, freie Stirn, große schwarze Augen, leichtgewölbte Augenbraunen, etwas gebogene Nase, blühende Farbe, kleiner Mund, frische, rothe, etwas schwellende Lippen; blauer Bart, schwarzer nicht zu langer Backenbart, blendend weiße Zähne.

Besondere Abzeichen. Grübchen im Kinn und in der linken Wange, das rechte Ohrläppchen, behufs eines früher getragenen Ringes durchstochen, an dem linken Augenbraun eine kleine Narbe, eine etwas stärkere Rapier-Wunde unter dem rechten Backenbart, am linken Mundwinkel einen kaum bemerkbaren Leberfleck. –

Weiter konnte Ida nicht lesen, denn Jettchen, das mit Lieschen, Punkt für Punkt das Signalement auf Ewalds Gesicht verfolgt, und in diesem die Merkzeichen alle buchstäblich gefunden hatte, sprang auf und wollte eben mit dem Rufe herausplatzen, daß der vermeintliche Herr Graf Lüdinghausen kein anderer, als Se. Durchlaucht der Prinz Ewald selbst sey; Ewald aber, der das kommen sah, begegnete rasch dieser beschämenden Entdeckung, machte zum bösen Spiele gute Miene, hob sich schnell von seinem Sitze, und präsentirte sich unter fröhlichem Scherz, als den Vermißten, lachte über den blinden Lärm, den man seinetwegen gemacht hatte, gab vor, daß er dieß Incognito blos angenommen habe, um bei seinem Jugendfreunde Benno einmal ein Paar Tage aller lästigen Hof-Etikette ganz los und ledig zu leben, bat den höchst erstaunten Damenkreis wegen der kleinen Störung, die er wider seinen Willen und ohne seine Schuld in der Freude ihres heutigen Familienfestes veranlaßte, um Verzeihung, und ergötzte sich vorzüglich an dem wunderlieblichen Lieschen, aus dessen ganz eigener Verwirrung sich seine Eitelkeit zusammenbuchstabirte, daß er in den Augen des zauberholden Kindes, als Prinz just nicht verloren. Ihr Gesichtchen wechselte die Farbe durch alle Schattirungen; Ida und Jettchen lachten über das köstliche Spiel des Zufalls, und hatten tausenderlei zu fragen; Gräfin Lieschen aber konnte nicht sprechen; ein unnennbar süßes Gefühl drängte ihr die klaren Perlen in die Augen, sie lächelte mit der jungfräulichsten Anmuth still vor sich hin; der Schwanenbusen hob und senkte sich, vom Sturme lange verhaltener Empfindungen tief bewegt, auf und nieder, und die Seitenblicke, mit denen sie an der Mutter, die sie seit der sonderbaren Entdeckung nicht aus dem Auge gelassen hatte, zuweilen vorbeistreifte, verlautbarten dieser scharfsichtigen Matrone den Wogendrang in Lieschens erschüttertem Innern.


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