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VI.

Eine wunderbar schöne Bucht und eine verlassene Hütte. Der Kapitän ist gestorben. Ein fernes Grab. Ein Mahl im Walde. Sie verlassen die Bucht, um Menschen aufzusuchen.


Es dauerte lange, bis die dunstenden Sumpfwasser einem trockenen Boden wichen. Eine Bucht mit hellem Wasser, ringsumher von fremdartigen Bäumen umgeben, schien dem Steuermann ein geeigneter Ort zur Landung. Man konnte in der That kaum einen schönern denken; denn in vollster Schönheit stieg hier der schlanke Schaft der Cocospalme in die Höhe und verdeckte die glühenden Strahlen der senkrecht stehenden Sonne mit seinen prächtigen Blättern. Der Brodfruchtbaum, dieser nie kargende Wohlthäter der tropischen Gegenden, trug mit seinem dichtern Laube noch mehr dazu bei, einen angenehmen und kühlen Schatten zu verbreiten. Der Pandus streckte seine zahlreichen Luftwurzeln von den Zweigen zur Erde nieder, wo sie sich festsogen und grüne Schattenlauben um den Mutterstamm bildeten.

Der Sandelholzbaum erfrischte den ganzen Wald mit seinen aromatischen Düften; hunderte von sonderbaren Pflanzen und Bäumen machten die Umgebung der Bucht zu einem wahren Paradiese.

Die beiden Mädchen fürchteten noch immer die Krokodille und wollten sich durchaus nicht zum Aussteigen verstehen, bis der Steuermann den Wald untersucht hatte. Er schlang also das Tau des Bootes um einen Baumstamm und begab sich auf das Land. Auch ihm war nach dem Erlebnisse vom Morgen nicht ganz geheuer; er erkletterte deßhalb einen Sandelholzbaum, um von diesem luftigen Standpunkte aus das Terrain zu sondiren. Zu seiner unaussprechlichen Freude gewahrte er nirgends eine Spur von dem schrecklichen Gewürm, wohl aber überall, wohin er sah, eine Menge von Baumfrüchten, die sich nachher sämmtlich als wohlschmeckend erwiesen, und außerdem, was in ihrer Verlassenheit nicht hoch genug anzuschlagen war, eine menschliche Wohnung; freilich keine solche mit Erkern und hohen Giebeln, wie Veronika sie von Nürnberg her noch im Gedächtnisse hatte, aber doch wenigstens eine Hütte.

Eigentlich paßte auch die letztere Bezeichnung nicht einmal, denn eine Hütte hat nach unsern Begriffen wenigstens Wände und Fenster oder doch die Löcher dafür; dieses aber war nur ein auf Pfählen ruhendes Dach.

In einer Lage, wie die unserer Reisenden, nimmt man es nicht so genau, wie zu Hause am flackernden Heerde; man ist schon mit Wenigem zufrieden. Wo ein Dach ist, da sind auch menschliche Wesen nicht ferne; und diese thaten ihnen jetzt vor allen Dingen noth, denn sie wußten weder, wo sie sich befanden, noch wie sie von ihrem jetzigen Aufenthalte nach Batavia gelangen sollten.

Mit lautem Freudengeschrei rutschte er von dem Sandelholzbaume nieder und verkündigte den Mädchen, welche nun auf der Stelle bereit waren, das Boot zu verlassen, den köstlichen Fund.

Der Kranke, welcher noch vor Kurzem zu schönen Hoffnungen berechtigt hatte, lag schon seit mehreren Stunden mit geschlossenen Augen da und gab weder durch einen Seufzer noch durch einen andern Schmerzenslaut ein Zeichen des Lebens von sich. Die Mädchen hatten sich vergebens bemüht, ihm eine Erfrischung beizubringen.

Babette saß neben ihm und weinte still vor sich hin, während Veronika von Zeit zu Zeit einen bangen, forschenden Blick auf sein entstelltes Antlitz warf und auch wohl ein leises Trostwort flüsterte.

Der Steuermann bückte sich jetzt, um ihn aus dem Boote nach der Hütte zu tragen, aber er fuhr rasch empor und rief: Der Kapitän ist todt!

Das hatte Babette schon längst vermuthet, aber als sie es jetzt aus dem Munde des Steuermannes hörte und somit ihre Vermuthung eine Bestätigung erhielt, da schrie sie laut auf und warf sich über ihn hin. Ihr Jammer hatte Grund genug, denn der Kapitän war ja ihr Schützer und Schirmer und nun befand sie sich in dieser Wildniß, weit vom Vaterlande mit zwei Menschen allein, die ihr fremd und eben so hülflos waren, wie sie selbst.

Der Steuermann aber erklärte feierlich, so lange er einen Finger regen könne, werde er die Mädchen nicht verlassen; er habe versprochen, sie nach Batavia zu bringen und er werde diesen Entschluß ausführen, und sollte er auf seiner Nußschale von Insel zu Insel steuern, bis sie ihren Bestimmungsort erreicht hätten. Veronika ihrerseits versprach den Leidensgenossen eine herzliche Aufnahme bei der Tante, wenn Gott sie mit dem Leben davon kommen ließ.

Es wäre nun am gerathensten gewesen, die Leiche in's Meer zu werfen; dem aber widersetzte sich Babette entschieden, weil sie es nicht für unmöglich hielt, daß ihr Verwandter nur scheintodt sei und vielleicht im Schatten des Waldes wieder zu neuem Leben erwache. Auch Veronika wollte von dieser barbarischen Sitte der Seefahrer nichts wissen. Sie meinte, wenn einmal der Körper dem Meere übergeben worden, so sei für immer die Stätte verlöscht, wo seine Gebeine ruhten, während auch die dichteste Waldwildniß seine Asche aufbewahre und an demselben Orte lasse, wohin man sie gebettet.

Der Steuermann hob den Verstorbenen also auf und trug ihn in die Nähe der Hütte, wo die Mädchen ihm ein Lager von Laub und Zweigen bereiteten. Aber schon nach wenigen Stunden konnte sich Babette der Ueberzeugung nicht länger verschließen, daß er wirklich todt sei. In einem so heißen Klima geht die Verwesung rasch vor sich und wenn man nicht besondere Vorkehrungen trifft, so ist die Fäulniß da, ehe man die Anstalten zum Begräbniß getroffen. So war es auch hier.

Der Steuermann holte sein Beil und hieb den Boden auf; ein Brett aus dem Boote diente als Schaufel. Ein nothdürftiges Grab nahm die Reste des braven Mannes auf, der so fern von seiner Heimath den ewigen Schlaf schlafen sollte.

Als die Erde über den Körper gebreitet und das Grab gefüllt war, bestreuten die Mädchen den einsamen Hügel mit Laub und Blättern. An prachtvollen kopfgroßen Blumen von herrlicher Farbe und würzigem Geruche war kein Mangel. Sie brachen große Zweige, welche reich damit beladen waren und steckten sie in den feuchten Grund über die verwesenden Gebeine. Dann knieten alle drei nieder und sandten ihm ein Gebet nach.

Der Speise-Vorrath und das Wasser waren nahezu auf der Neige; man mußte also darauf bedacht sein, neuen zu sammeln. Eine Zeitlang warteten sie auf die Rückkehr der Hüttenbewohner, da sich aber Niemand sehen ließ, so schafften sie ihre gesammte Habe, die freilich nicht sehr bedeutend war, unter Dach und erkletterten dann die Palmen und andere Bäume, um die Früchte derselben zu brechen.

Das Beil bewies sich jetzt als ein besonders schätzbares Instrument, denn ohne dasselbe hätten sie schwerlich die harte Schaale der Cocosnuß spalten können, um zu dem weißen Fleische derselben zu gelangen.

Die süße Milch im Innern des Cocos war in der brennenden Hitze, welche auch der Waldschatten nur wenig zu lindern vermochte, ein wahres Labsal. Die Nuß hat in der harten Schale drei Oeffnungen, welche mit nur zartem Fleische zugewachsen sind, das sich mit einem Zweige leicht durchstoßen läßt. Sie wurde vor dem Zerspalten der Nuß jedesmal auf eines der großen Bananenblätter abgezapft und getrunken. Veronika formte die Blätter kunstreich zu einer natürlichen Trinkschale, und es mundete von dem grünen Grunde fast besser, wie aus hellem Krystallglase.

Erst nach dem stärkenden Trunke fiel die schwere Axt auf die harte Schale und dieselbe flog auseinander. Das Cocosnußfleisch, welches im Geschmacke einige Aehnlichkeit mit dem Kern unserer deutschen Haselnuß hat, ist durchaus nicht zu verachten; es mundet selbst einem Deutschen; aber wenn man mehrere Tag lang im heftigsten Sturm, von Regen und Kälte geschüttelt, sich mit Zwieback und Wasser hat begnügen müssen, dann verlangt der Magen nach Fleisch.

Der Steuermann untersuchte seinen Pulversack; das Zündkraut befand sich in einem mit Zinn ausgefütterten Beutel und war deßhalb während des Sturmes völlig trocken geblieben. Mit Dank gegen Gott lud er seine Büchse und begab sich auf den Anstand.

Die Zweige und Blätter der Bäume waren vollständig mit buntfarbigen Vögeln bedeckt; er brauchte nur das verderbenbringende Rohr nach einer beliebigen Richtung zu halten und loszudrücken, so mußte irgend eine Beute zu seinen Füßen niederfallen.

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Der Schuß knallte in die stille Waldwildniß hinaus, und zwei prächtige, ihm unbekannte Vögel mit goldglänzendem Gefieder stürzten herab. Der Knall blieb nicht ohne Wirkung auf die lärmende Vogelwelt; aber als er verstummt war, begannen sie bald ihr vielstimmiges Conzert von Neuem. Pulver und Blei mochten wohl allzuselten in diese Gegend kommen, um von ihnen gekannt und gefürchtet zu sein.

Veronika hatte Mitleiden mit den geschossenen Vögeln; sie hätte sich wohl schwer zu dem Genusse ihres Fleisches bereden lassen, wenn der Magen nicht allzu gebieterisch aufgetreten wäre.

Die Mahlzeit war übrigens noch lange nicht zum Verzehren bereit; die Vögel mußten gerupft, ausgeweidet und gebraten werden. Stein, Stahl und Schwamm, die einfachste Quelle zur Feuerbereitung, hatte der Steuermann bei seinem Abgang vom Schiffe zu sich gesteckt; an Laub, Reisern und dürrem Holze fehlte es auch nicht. Es stand also nichts im Wege, ein Feuer anzuzünden. Bald loderte es hoch auf und die beiden Mädchen fungirten bei demselben als Köchinnen.

Daß das Fleisch mehr verkohlt als gebraten wurde, kann man sich leicht denken, wenn man erwägt, daß es an Butter mangelte und nur das herausträufelnde Fett das gänzliche Verbrennen verhinderte. Ein Braten ohne Salz ist eben auch kein besonderer Leckerbissen; gegen das Würzen mit Pulver aber erhoben die Mädchen entschiedene Einsprache, auch bestand der Steuermann nicht lange darauf, weil ihm das Pulver zur Erlegung neuer Beute unumgänglich nothwendig war.

Indessen brachte das zähe Fleisch doch die Wirkung hervor, daß sie gesättigt wurden, wenn auch nicht auf eine so angenehme Art, als wenn die Köchin des Herrn Dionisius Elster eine gemästete und mit Maronen gefüllte Gans vorgesetzt hätte.

Die Nacht kam; ein Lager von Blättern mußte die Stelle des Bettes vertreten. Müde und abgespannt, wie sie waren, schliefen die Mädchen bald ein; der Steuermann aber mußte noch die Wache halten, da man in dem völlig unbekannten Terrain nicht wissen konnte, ob Menschen oder wilde Thiere sie im Schlafe überfallen würden.

Als er der Müdigkeit nicht länger Widerstand leisten konnte, lehnte er sich gegen einen der Pfosten, auf welche das Dach gestützt war und legte die Hand auf die geladene Pistole, welche er im Gürtel trug.

Diese Vorsicht und jegliche andere Befürchtung erwiesen sich übrigens als unnütz; die Nacht ging ohne die geringste Störung vorüber. Am Morgen, nachdem sie saftige Baumfrüchte zum Frühstücke genossen hatten und sich noch immer kein menschliches Wesen in der Nähe der Hütte zeigte, sprach der Steuermann: Hier können wir nicht länger bleiben. Wir müssen um jeden Preis Menschen aufsuchen und wären es auch Wilde.

Es wurde nun ausgemacht, daß man das Boot und diejenigen Gegenstände, welche man nicht mitschleppen konnte, im Gebüsche verbergen und dann die Entdeckungsreise antreten wolle. An einer Stelle, wo das Wasser der Bucht mit dichten Schlingpflanzen überwachsen war, wurde das Boot so gut versteckt, daß es so leicht nicht gefunden werden konnte. Veronika und Babette mußten jede einen Dolch und eine Pistole zu sich stecken, um sich im Nothfalle selbstständig ihrer Haut wehren zu können, und nun ging es in Gottes Namen vorwärts.

Anfangs bot der Weg nur wenig Schwierigkeiten dar, denn die Bäume standen weit genug auseinander, um bequem zwischen ihnen hindurchschlüpfen zu können; je weiter sie aber gelangten, desto dichter wurde das Gezweige, desto häufiger wurden sie von den scharfen Spitzen der Agaven und Aloes verwundet.

Veronika, deren Hände stark bluteten, seufzte vor Schmerzen; immerfort stand das ferne geliebte Nürnberg vor ihren Augen. Sie sah den alten gichtkranken, an seinen Lehnstuhl gefesselten Vater, wie er bei jeder ankommenden Post hastig fragte, ob kein Brief von seiner Tochter darunter sei. Sie hörte ihren Bruder mit dem alten Goldenfuß sprechen, wanderte in Gedanken aus einer Stube in die andere und rief sich mit tiefster Wehmuth die glücklichen Tage zurück, die sie dort verlebt, ehe die thörichte Lust nach Reisen und Abenteuern in ihr aufgestiegen war.

O hätte sie jetzt Flügel gehabt, um über Land und Meer heimwärts zu fliegen, wie gerne würde sie für immer im Kreise der Ihrigen geblieben sein!

Babette plagte sich mit ähnlichen Reuegedanken; der niedrigste Dienst beim ärmsten Manne zu Rotterdam erschien ihr jetzt wie das größte Glück; sie gelobte sich heilig und fest, wenn sie jemals wieder nach Holland zurückkommen sollte, niemals wieder die Planke eines Schiffes zu betreten.

Dem Steuermann war es unter diesen Verhältnissen sicher auch nicht wohl zu Muthe, aber er hatte keine Zeit, darüber nachzudenken. Voranschreitend brauchte er seine ganze Kraft und seine ganze Aufmerksamkeit, um seinen Begleiterinnen Bahn zu brechen. Ihn aber plagte eine andere Furcht: Wenn irgend eine der furchtbaren Schlangen, welche auf diesen Inseln heimisch sind, auf ihrem Wege lag, so waren sie verloren, denn sie umstricken selbst den stärksten Stier und zerbrechen ihm zwischen ihren mächtigen Ringen die Knochen.

Gott war mit ihnen; weder eine Schlange, noch ein Krokodill oder ein anderes Ungethüm begegneten ihnen, wohl aber etwas Anderes, was zu finden sie kaum gehofft hatten.

Das Dickicht hörte plötzlich auf und sie traten auf ein feuchtes Feld, wo üppiger Reis wuchs. Inmitten dieses Feldes, von Palmen und Cocosnußbäumen umgeben, lag eine Hütte und vor derselben prasselte ein Feuer, an welchem ein Mädchen saß und Matten flechtete.


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