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3. Kapitel.
Bei Alebi.

Er hatte den Kopf voller Pläne, und vielleicht glaubte er schon, gleich das Leopardenrätsel lösen zu können. Gleich im ersten größeren veraraberten Dorfe Bapandi, das in einigen Marschstunden erreicht wurde, ließ er halten. Die Träger hatten nichts dagegen und waren froh, einige Stunden des Tages dem edlen Faulenzen widmen zu dürfen.

Es war noch nicht Mittag. Die Gasthütte war bereits in schönster Ordnung. Der Kochboy war mit den Vorbereitungen zu einem guten Essen beschäftigt, während Ngula, der andere, mit den Bringern von Lebensmitteln feilschte. Einige Hühner und Eier, mehrere Bananenkolben und einige Körbchen Maniokmehl wurden schnell gegen Salz eingetauscht. Ja, der Missionar gab jedem noch einen Eßlöffel Salz dazu, was mit einem wahren Freudengeheul beantwortet wurde.

Hierauf spazierte er durchs Dorf. Überall lagen die Männer im Schatten vor den Hütten und rauchten. Neugierige Frauengesichter schauten aus den Hütten heraus, und die Kinder liefen schreiend davon.

Alebi, der Häuptling oder Sultani, der Sohn eines alten Sklavenjägers, hatte ihn schon begrüßt. Der Weiße beschloß aber, ihn nochmals aufzusuchen. Mitten im Dorfe lag das große Häuptlingsgehöft, das von einer ganzen Menge Hütten umgeben war. Das war der fürstliche Harem. P. Varmer schritt hindurch und wurde bald zu dem Oberhaupt geführt, das ihn freundlich lächelnd und mit herzlichen Worten empfing.

Es wurde über alles Mögliche gesprochen, über den strengen Bula Matari, über die letzte Reisernte, und schließlich kam der Weiße auch auf die Leoparden zu sprechen. Alebi ließ seine grauen Augen in die Weite gehen. »Daß jedes Jahr einige Leute dem Leoparden zur Beute werden? Ach, Weißer, dagegen ist nichts zu machen. Ob einer an einer Krankheit stirbt oder so – das ist eben Schicksal!«

Weiter war aus ihm nichts herauszubringen. Mit einigen höflichen Worten verabschiedete der Weiße sich und schlenderte wieder durchs Dorf. Wenn er nur irgend einen Anhaltspunkt gefunden hätte, um auf die Fährte des Leoparden zu kommen! Gegen Sonnenuntergang lenkte er seine Schritte in den nahen Wald hinein, wo in kleinen Lichtungen die Felder der Schwarzen lagen. Eben kamen eine Anzahl Frauen und Mädchen aus den Pflanzungen zurück. Eine alte Negerin humpelte hinten drein. Dieser schloß P. Varmer sich an und fragte sie, ob sie keine Angst vor den Leoparden habe, » Hapana maneno – was macht's?« gab sie gleichgültig zur Antwort. »Weißer, ich bin alt, und ob ich so sterbe, oder so!«

»Ist denn kürzlich wieder jemand durch einen Leoparden getötet worden, Mutter?« fragte er teilnahmsvoll.

»Jawohl – ein halber Mond wird's her sein, da hat man Bedepe in seiner Hütte tot aufgefunden. Er hatte am Leibe verschiedene Wunden, die von Leopardenkrallen herrühren konnten. Der Hals schien ihm aber durch ein Messer zerschnitten worden zu sein. ›Der Leopard‹ sagt man«. Sie machte eine vielsagende Handbewegung und ihre Stimme klang spöttisch. »Der Leopard soll immer alles getan haben!«

Sie schwieg eine Weile. Dann aber fuhr sie fort: »Und vor nicht langer Zeit ist Bokubakoki, ein Mädchen, ermordet worden«.

»Wo ist denn die Mutter dieses Mädchens?« fragte der Pater.

»Weißer, nahe bei deiner Gasthütte wohnt Mafuta, die Mutter des Mädchens, das ebenfalls durch Messerstiche getötet worden ist. Und dann heißt es wieder: Der Leopard! der böse Leopard!«

P. Varmer beruhigte die Alte und gab ihr etwas Tabak. Und beglückt humpelte sie hinter den Frauen her dem Dorfe zu.

Der Missionar war betroffen von diesen Mitteilungen. Jetzt war er sicher, bei seinem Forschen einen festen Grund zu haben. Hatte er nicht den Beweis, daß hier ein gemeiner Mord und nicht ein Überfall des Leoparden vorlag? So beschloß er denn, seinen Aufenthalt in Bapandi zu verlängern, bis er Licht in diese Angelegenheit gebracht hätte. In seine Gasthütte zurückgekehrt, ließ er durch seinen Boy Nogi die Frau Mafuta aufsuchen und zu sich bitten. Nicht lange brauchte er zu warten, da stand die Frau auf der Schwelle seiner Wohnung.

Er reichte ihr einen Löffel Salz, den sie sich freudig in ein Stück eines Bananenblattes wickelte. Nachdem er so ihr Vertrauen gewonnen hatte, erkundigte er sich nach ihrer Tochter Bokubakoki. »Ist es wahr, Mafuta, daß du vor einiger Zeit dein Kind verloren hast, daß ein Leopard es zerrissen hat?«

»So ist es, Weißer«, gab sie zur Antwort.

»Ich habe aber gehört, es seien Messerstiche in dem Leichnam gefunden worden«.

Mafuta fuhr sichtbar zusammen. »Weißer, ich habe die Messerstiche nicht gesehen«, antwortete sie. »Aber können denn Leoparden nicht auch Messerstiche versetzen?«

»Leoparden haben keine Messer«, versetzte der Weiße, »und können ihr Opfer nur mit ihren Zähnen und ihren Krallen zerreißen«.

»Aber, Weißer«, entgegnete sie eifrig, »du weißt doch, daß ein böser Geist in einem Leoparden sein kann. Und der böse Geist kann auch mit einem Messer töten. Vielleicht ist der Geist eines Mörders in dem Leoparden gewesen.«

P. Varmer mußte lächeln über die Sicherheit ihrer Anschauungen. »Hat man denn nach dem Schuldigen geforscht? Ehe man an die Tat eines bösen Geistes glaubt, muß man sich doch fragen, ob nicht ein gewöhnlicher Mensch die Untat vollbracht haben kann.«

Mafuta stand sichtlich verlegen.

»Du schweigst?« fragte er.

»Der Häuptling ...?« begann sie zögernd, und dann schwieg sie wieder.

»Was? Der Häuptling?« fragte der Weiße ungeduldig.

»Alebi hat mir Sachen gegeben, damit ich nichts von den Messerstichen verrate. Ich solle sagen, der Leopard habe mein Kind zerrissen«.

»Alebi?!« fuhr der Missionar auf, »Alebi, der sich als meinen Freund ausgibt? Der Schurke!«

Dicke Tränen rollten über die Wangen des Weibes. Jetzt aber schaute sie betroffen auf. »Weißer«, sagte sie ängstlich und flehend, »sprich nicht von dem, was ich dir gesagt habe. Es würde mein Leben kosten. Allein ich bin überzeugt, daß ein böser Mensch meine Bokubakoki getötet hat. O die Anyotos!

Der Weiße staunte diesmal. »Anyotos!? Was ist das?«

»Wir Schwarze hier wissen alle, daß die Anyotos Schleichmörder sind, die sich als Leoparden verkleiden und ihre Opfer meuchlings überfallen. Aber wir reden nie laut darüber aus Furcht vor der Rache dieser Mörder«.

»Sag, Mafuta, weißt du etwas Bestimmtes über diese Kerle?« fragte er erregt.

»Nein, sonst weiß ich nichts. Nur habe ich des öftern munkeln hören, es könnten Menschen sich in Leoparden verwandeln und diese Menschen nennen wir Anyotos«.

»Nun gut, Mafuta! Jetzt gehe ruhig nach Hause. Sprich nicht von unserer Unterredung. Sag nur, der Weiße hätte dir zum Trost über den Verlust deiner Tochter etwas Salz gegeben«.

Die Nacht schlief der Missionar nicht viel. Er hatte nun wertvolle Fingerzeige. Für ihn war es klar: Es hauste im Lande eine Mordbande, und der Häuptling Alebi stand mit ihr in enger Beziehung. Denn welches Interesse hätte er haben können, die Sache von den Messerstichen geheim zu halten und dem armen Weibe Schweigegeld zu geben? Doch, was nun? P. Varmer war noch keiner von den berühmten Literatur- und Kinodetektivs, die stets mit unglaublicher Schnelligkeit arbeiten, stets das Richtige ahnen und treffen und unfehlbar ihr Ziel erreichen. Er war stolz auf das bisher Erreichte, aber jetzt zermarterte er sich den Kopf und überlegte hin und her.

Waren die bisherigen Tatsachen schwerwiegend genug, das Gericht damit zu befassen? Wohl kaum. Und es reizte den jungen Missionar, die Sache einstweilen in der Hand zu behalten und selbst so weit als möglich zu verfolgen. Er konnte ja noch immer den Staatsanwalt benachrichtigen. Nein – einstweilen mußte er noch schweigen.

Aber welchen Weg jetzt einschlagen? Mit dem Wenigen weiterreisen und immer wieder aufs Geradewohl Erkundigungen einziehen, das war ein unsicherer Weg. Hier am Orte mußte er weiterforschen. Hier hatte er jedenfalls einen Stützpunkt, den Hebel anzusetzen.

Je länger er überlegte, um so klarer wurde es ihm: er mußte sich an Alebi halten. Wie aber dem mächtigen Sultani näher kommen und den heimtückischen Neger packen? Nun, kommt Zeit, kommt Rat, dachte der Weiße. Einstweilen bleibe ich hier. Wenn nur die schlimmen Stechmücken mich in Ruhe ließen!

Vergeblich griff er nach den surrenden, summenden und singenden Geisterchen, die sich unter sein Netz geschlichen hatten und ihn quälten. Schließlich aber war er des Kampfes müde und schlief ein.

Früh am Morgen stand er auf und erklärte den Boys, daß sie einstweilen hier bleiben würden. Die Träger wurden entlohnt und in ihre Heimat zurückgesandt. Mit Lebensmitteln für die Reise ausgestattet, schlugen sie freudig den Rückweg ein. Nur die beiden Boys, Nogi und Ngula blieben bei ihm.

Nachdem der Missionar die heilige Messe gelesen, sein Gebet verrichtet und auch den Körper gestärkt hatte, gab er den Boys einige Befehle, die Kisten besser aufzustapeln und die Hütte etwas wohnlicher einzurichten. Er selbst half dabei mit, und als nach etwa einer halben Stunde alles geordnet war, rief er Nogi, den älteren Boy, auf den er fest bauen konnte, zu sich.

»Hier bin ich, Mupe! Was wünschest du?« meldete sich der Gerufene.

»Setz dich mal her an den Tisch und höre aufmerksam zu. Du weißt, daß in dieser Gegend der Leopard viele Tiere und Menschen tötet«.

»Ja, das weiß ich«.

»Glaubst du, Nogi, daß manche dieser Morde weniger den Bestien, als bösen Menschen zur Last zu legen sind?«

Nogi zuckte die Achseln. »Das mag sein, Mupe, aber ich weiß nichts Bestimmtes darüber«.

»Dann höre! Man hat Leichen gefunden mit Wunden, die von Leopardentatzen herstammen oder herstammen können, aber auch mit Verletzungen, die nur von einem Messer herrühren. Es scheint also Mörder zu geben, die ihr Opfer umbringen und dann mit einem Instrument zerfleischen, das die Krallen des Leoparden nachahmt. Ich habe Anhaltspunkte, daß hier in der Gegend solche Mörder sich aufhalten ...«

»Aber, Mupe«, fiel der Bursche ängstlich ein, »dann wäre es wohl besser, wir verließen bald die Gegend«.

»So spricht ein Antilope, Nogi, aber nicht ein Waggenia. Bei mir brauchst du dich nicht zu fürchten. Du kennst doch die Kraft und Zielsicherheit meines Albini! Du sollst keine Angst haben: im Gegenteil, du sollst mir behilflich sein, die Übeltäter zu entlarven. Nogi, du siehst, welches Vertrauen ich dir schenke«.

Geschmeichelt und stolz antwortete der Boy: »Mupe, für dich werde ich alles tun!«

»Gut! Kennst du die Mobili-Sprache?«

»Mupe«, versetzte er, »ich bin ja ein Waggenia, aber in meiner Heimat am Kongostrome habe ich immer viele Mobali kennen gelernt, die von uns Fische kauften. Ich verstehe manches von ihrer Sprache. Auch in St. Gabriel, wo einige Mobaliknaben waren, habe ich manches von ihrer Sprache gelernt.«

»Nun, dann öffne gut deine Ohren und horche die Mobali aus, und wenn du etwas Verdächtiges hörst, meldest du es mir. Ich denke, ich kann mich auf deine Treue verlassen.«

»Mupe, hast du, so lange ich dein Boy bin, einen Grund gehabt, an meiner Treue zu zweifeln?« tat der Zunge fast beleidigt.

»Das nicht. Aber hier handelt es sich um eine äußerst wichtige Sache. Und da rechne ich auf deine Klugheit und deinen Spürsinn. Forsche nach, aber sei vorsichtig, sehr vorsichtig! – Hier im Dorfe, dort in unserer Nachbarschaft wohnt eine Frau Mafuta, deren Tochter Bokubakoki vor nicht langer Zeit getötet worden ist. Behalte diese im Auge. Sie kann eine wichtige Zeugin sein.«

Nach dieser Unterredung machte P. Varmer sich wieder auf den Weg zum Häuptling. Er fand denselben in seinem Gehöft, wie er gerade einen Sklaven mit Stockschlägen bestrafen ließ. Der Arme lag an einem Pflock gebunden auf dem Boden und krümmte sich schreiend unter den unbarmherzigen Hieben.

Beim Eintritt des Weißen hielten die Peiniger ein, und Alebi ließ den Schuldigen losbinden und fortführen.

»Eine faule Bande, Weißer«, wandte er sich nun an den Pater.

»Der Kerl wiegelt die anderen zum Faulenzen auf. Der Bula-Matari mit all seinen Soldaten und Arbeitern müßte verhungern, wenn ich die Kerle nicht zum Arbeiten anhielte. Doch was bringt mir die außerordentliche Ehre deines Besuches?«

»Ich muß mit dir unter vier Augen sprechen,« antwortete der Weiße kurz.

Alebi führte seinen Gast in einen Raum am äußersten Ende des Innenhofes und bot ihm einen Liegestuhl an, während er selbst sich auf einen geschnitzten thronartigen Sessel niederließ.

»Sultani,« begann der Pater unvermittelt, »ich möchte von dir eine Aufklärung über die Anyotos haben. Ich habe bereits gestern mit dir über dieses Thema gesprochen, und du hast mir ausweichende Antworten gegeben. Heute habe ich gewisse Anhaltspunkte, und ich muß bestimmte Angaben von dir fordern, widrigenfalls ich den Weißen von Bomili und den Staatsanwalt davon benachrichtigen muß.«

»Weißer, du sprichst sonderbar,« tat der Häuptling und ein grenzenloses Staunen zeigte sich auf seinem Gesichte.

»Höre! Hier in der Gegend sind Menschen getötet worden, die Messerstiche aufwiesen. Es wurde aber die Mär ausgestreut, sie seien von Leoparden zerrissen worden. Ist das wahr?«

Der Sultani blieb regungslos sitzen und antwortete nicht gleich, als suche er eine Antwort auf diese eindeutige Frage.

»Aber, Weißer,« sagte er dann mit einem Lächeln, das eher ein verlegenes Grinsen war, »ja, das weiß ich. Was ist aber Merkwürdiges dabei?«

»Ein Leopard braucht kein Messer, um seine Beute zu töten.«

»Ein gewöhnlicher Leopard nicht. Allerdings, Weißer! Aber ein Leopard, in den ein Geist, der Geist eines Menschen gefahren ist, der in seinem Leben grausam und blutgierig war – ein solcher Leopard – und deren gibt es ganz sicher – kann auch mit einem Messer töten.«

»Ha ha, Alebi! Das glaubst du wohl selber nicht. Das sind Märchen für kleine Kinder oder für dumme Neger. Sprich offen und halt mich nicht zum Narren!«

»Solche Leoparden gibt es, Weißer, frag nur alle Leute hier im Dorfe.«

»Beweis! Hast du einen solchen schon mal gesehen? Hast du einen auf frischer Tat ertappt?« fragte der Missionar weiter. Er sah, wie unangenehm und peinlich dem Neger die Unterhaltung über diesen Gegenstand war. Allein, er hatte in ein Wespennest gegriffen, und nun galt es, fest zuzupacken.

»Das ist ja eben der Beweis,« rief Alebi, »einen Leoparden, der von einem solchen Geiste beseelt ist, können wir arme Menschen weder töten noch erwischen. Gegen die Geister sind wir machtlos, und wir können nichts tun, als ihnen Tschakale (Speise) hinsetzen, damit sie uns gnädig gesonnen bleiben.«

»Ich hätte dich für klüger gehalten, Alebi,« fuhr der Missionar fort. »Wir wollen hier nicht streiten, ob der Geist eines Menschen in einen Leoparden fahren kann, auch nicht, ob ein solcher Leopard mit Messern töten kann. Schau her?«

P. Varmer nahm seinen Revolver und schoß eine Kugel in den nächsten Türpfosten zum Entsetzen des Häuptlings, der erschrocken zusammenfuhr.

»Schau her, Alebi! Du siehst hier die Kugel im festen Holze sitzen. Du würdest, auch ohne den Schuß gehört zu haben, sofort zugeben: Diese Kugel hat jemand hineingeschossen. Kein Mensch würde auf den Gedanken kommen, das hätte ein von einem bösen Geiste besessener Leopard getan. Gut. Wenn ich Messerstiche in einem Leichnam sehe, so ist mein erster Gedanke: Dieser Mensch ist mit Messerstichen getötet worden. Ein Mensch hat das getan. Weshalb einen anderen Schuldigen suchen? Weshalb nach einem Leoparden rufen, und zwar nach einem solchen Leoparden, den ihr nie gesehen, nie ertappt und ergriffen habet?«

»O, gesehen haben wir ihn öfters, Weißer,« meinte Alebi; »viele haben ihn gesehen ...«

»Ja, ihr habt einen Leoparden gesehen. Weiter nichts. Doch hör auf mit deinen Ausflüchten. Häuptling Alebi, schau mir ins Auge! Warum hast du der Frau Sachen gegeben, damit sie ausstreuen solle, ein Leopard habe ihre Tochter Bokubakoki getötet?«

Der Sultan erschrak bei dieser Frage. Entsetzt sprang er auf. »Weißer, wer hat dir das gesagt? Man hat dich belogen. Ich, Alebi, der Freund der Weißen, der regelmäßig dem Bula-Matari Lebensmittel liefert, ich, der Freund der Gottesmänner, die durch unser Dorf zogen, ich sei einer solchen Schurkerei fähig?«

»Beruhige dich, Alebi! Ich habe nichts von dem geleugnet, was du dir da als Verdienste anrechnest. Ich weiß, daß du dem Staate Lebensmittel lieferst. Dafür erhältst du deinen Lohn und darfst deine Sklaven halten und darfst auf großem Fuße leben. Ich weiß, daß du einen Gottesmann, meinen Freund aus Avakubi freundlich aufgenommen hast. Aber das ist das Gesetz des Bula-Matari und deine Steuerpflicht. Um all das handelt es sich nicht. Noch einmal frage ich: Warum hast du der Frau Schweigegeld gegeben?«

Der Häuptling schien sich wieder zu fassen und einen Ausweg gefunden zu haben. Da er an dem festen auf ihn gerichteten Blick des Weißen und dessen bestimmter Frage merkte, daß sein Leugnen ihm nichts half, sagte er: »Weißer, ich will dir die Wahrheit sagen. Ich selbst weiß, daß es kein gewöhnlicher Leopard war, der das Mädchen getötet hat, aber ich mußte die Aufregung über den Fall unterdrücken. Deshalb habe ich der Frau Schweigegeld gegeben. Ich bin sicher, daß irgend ein Mensch im Wahne, ein Leopard zu sein – denn dieser Wahnsinn kommt hier in Afrika öfters vor – den Mord begangen hat. Ein gewöhnlicher Mord war es nicht. Denn nach meiner Untersuchung sprach nichts dafür, daß das Mädchen einen persönlichen Feind gehabt habe. Auch waren an der Leiche Verwundungen ähnlich den durch eine Tiertatze verursachten. Das ist die Wahrheit.«

»Was hat denn deine Untersuchung zu Wege gefördert?«

»Leider nichts. Den Täter habe ich nicht erwischt. Aber meine persönliche Meinung ist, daß ein Anyoto die Tat begangen hat.«

»Ein Anyoto? Ich hörte dieses Wort schon einmal. Was ist es damit?«

»Es sind Schleichmörder, die sich in ein Gewand hüllen, das in der Farbe und in den Flecken einem Leopardenfell gleicht, und solcher gibt es im ganzen Urwald. Es scheint eine Bande zu sein, ein Geheimbund, der sich dieser List bedient, um Feinde heimlich ums Leben zu bringen. Und auf uns Häuptlinge scheinen sie es am meisten abgesehen zu haben. Schon in meinem eigenen Interesse biete ich seit Jahren alles auf, um meine Gegend davor zu sichern. Aber vergeblich. Gerade weil ich hinter ihnen her bin, wollte ich jede Aufregung über den Mord in meinem Dorfe vermeiden. Weißer, so ist es.«

»Aber weshalb hast du mich belügen und irreführen wollen?« fragte P. Varmer nun.

Der Neger lachte verschmitzt und setzte eine Siegermiene auf, während das Gesicht des Weißen merklich länger wurde.

»Du weißt doch wohl, Weißer, daß wir Schwarze einem Weißen nicht gleich alles auf die Nase binden können. Zudem glaube ich, daß ein Schwarzer vom Einfluß eines Sultani Alebi eher hinter die Schliche dieser Anyotos kommt, als ein Weißer, der die Sitten der Neger und ihre Anschauungen nicht kennt und ihre Sprache nicht versteht.«

»Das allerdings,« meinte der Missionar kleinlaut, und es lag in dem Worte etwas wie eine Abbitte für die Heftigkeit seines Auftretens. Er war besiegt. Er war enttäuscht. Schon glaubte er den Schlüssel des Geheimnisses in seiner Hand zu haben, und nun zerrann alles in Nichts. Doch das eine wußte er wenigstens bestimmt: Es gibt eine Mordbande im Lande: Die Anyotos.

»Ich freue mich wirklich, Alebi,« fuhr er begütigend fort, »daß du mich aufgeklärt und die Verfolgung der Verbrecher im Auge hast. Darum nichts für ungut. Ich werde dem Bula-Matari melden, was ich von dir gehört habe ...«

»Beim Barte des Propheten – Allah ist Allah – bitte ich dich, Weißer,« warf er erregt dazwischen, »schweig über unsere Unterredung. Das würde meine Pläne durchkreuzen. Das Dazwischentreten des Bula-Matari könnte die Kerle noch vorsichtiger und heimtückischer machen. Siehst du drüben das Gestell. Das ist nicht zum Spiel. Das ist der Galgen, und jeden Mörder, den ich hier erwische, wird der Bula-Matari daran aufknüpfen.«

Der Häuptling versprach aber auf das Drängen des Paters, ihm gelegentlich nach Bomili, wo dieser öfters hinkomme, mitzuteilen, was er etwa in Erfahrung gebracht habe. Und nach einigen freundlichen Abschiedsworten suchte P. Varmer ziemlich niedergeschlagen seine Gasthütte auf.

Im Schatten einiger Bananenstauden sitzend, die nahe bei seiner Hütte standen, überdachte er seine Niederlage. Zuerst wollte er gleich aufbrechen und den Marsch auf Bomili fortsetzen. Da fiel ihm ein, daß er zuerst neue Träger anwerben mußte. Und zudem, so leicht die Flinte ins Korn werfen, das war nicht seine Gewohnheit. Mochte er einige Tage später ankommen, das war nicht schlimm. Nein, nun erst recht zugreifen.

Ja, aber wo anpacken? Wieder fühlte er seine Ohnmacht. Die erste Fährte war falsch gewesen. Jetzt hieß es, eine neue finden. Aber wo eine finden? Er erhob sich, um in der Nähe der Hütte auf- und abgehend sein Brevier zu beten. Als er seiner Pflicht genügt hatte, ging er in den nahen Wald hinein, neue Pläne zu schmieden.

Mittlerweile war das Essen bereitet. Es schmeckte ihm heute nicht besonders. Danach sprach er nochmals mit Nogi und überlegte mit dem geweckten Burschen, was zu tun sei.


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