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Wirtschaftliche Glosse

Ist das Wirtschaftsleben ein Meer, durchaus mit Flutungen und Ebben, unvorhergesehenen Stürmen und gefährlichen Stillungen – so findet sich eine Insel darin, die einigermaßen zuverlässigen Boden unter den Füßen gewährleistet, und das sind die Beamtengehälter. Sie behalten bei gleicher Höhe nicht immer die gleiche Kaufkraft; sie erfahren zeitgemäße »Aufbesserungen«; sie lügen und lassen dennoch einigermaßen erkennen, was für bestimmte bürgerliche Kreise die untere Grenze des Lebensnotwendigen bedeutet.

Am 4. März 1881 hält Bismarck eine Rede über die Besteuerung von Dienstwohnungen und stellt darin den für die gesamte Periode gültigen Grundsatz auf, daß in einer Stadt wie Berlin der Beamte – und nicht eben nur der Beamte – den fünften Teil seines Einkommens für seine Wohnung aufzuwenden habe. Er fügt aber hinzu, daß dies Fünftel bei ärmeren Leuten auf ein Viertel, ja auf ein Drittel des Gehalts steige. Der Kanzleidiener mit 400 oder 500 Talern Einkommen finde, wenn er kinderlos sei, eine Wohnung für 140 bis 150 Taler, habe er Kinder, so sei für ihn in der engeren Stadt kein Unterkommen unter 200 Talern zu haben. In derselben Rede spricht Bismarck von Reichsbeamten, deren Gehälter bis 600 M. und noch weiter hinuntergehen.

Man wirft einen Blick in den preußischen Haushalt des Jahres 1850 und sieht da an Gehältern in Talern ausgeworfen: der Außenminister 16 000, der Finanzminister 10 000, der Domänendirektor 4500, der Generalpostamtsdirektor 3500, der Abteilungsdirigent im Ministerium 3000, der Oberforstmeister 1800, – und demgegenüber die Subalternen: der Telegraphenregistrator 500, der Telegraphenkanzleidiener 270, der Hausdiener im Ministerium 180, der Landbriefträger 60 bis 150. Ein Posten frappiert vor anderen: der Gesandtschaftsprediger 350 – wobei man denn füglich nicht weiß, ob man ihn, angesichts solchen Gehalts, zu den höheren oder subalternen Beamten zu rechnen hat.

Im Jahre 1872 ist das Bild nicht wesentlich verändert: der Justizminister 12 000, der Vortragende Rat 2200 bis 3000 – der Subalternbeamte im Ministerium 800 bis 1600, der Kanzleidiener 350, der Telegraphist 300 bis 350, der Lokomotivheizer 250 bis 350, der Amtsbote in der Domänenverwaltung 75 –: grausame Abstufungen, denen nachzudenken verlohnt.

Im Jahre 1895 ist die Einteilung in höhere, mittlere, untere Beamte strikt durchgeführt: Vortragende Räte 7500 bis 9900 M., Oberförster 2400 bis 4500; unter den mittleren Beamten: Bürovorsteher 4200 bis 4800, Büroassistenten 1500 bis 2200; unter den unteren: Botenmeister 1200 bis 1800, Schloßdiener 400 bis 800 M.

Demnach steht sich der Schloßdiener im Jahre 1895 nicht wesentlich besser als der Landbriefträger mit Höchstgehalt im Jahre 1850, der Vortragende Rat des Jahres 1895 ist dem des Jahres 1872 nur unwesentlich an Gehalt überlegen. Es tritt in den Gehältern – auch in ihrer Abstufung – beinahe die gleiche Starrheit entgegen wie – in den Fahrpreisen der Eisenbahnen.

Nur eben in der Höhenlage ändert sich das Bild. Bismarck bekennt, im Jahre 1879 fünfzig, bis sechzigtausend Taler jährlich auszugeben. Die Repräsentationsgelder des Statthalters für Elsaß-Lothringen belaufen sich auf 215 000 M. bei freier Beheizung und Beleuchtung.

Man sieht sich unter den Bekannten um, und wie es finanziell um sie bestellt ist: Kögel wird im Jahre 1863 mit einem Gehalt von 2000 Talern als Hofprediger nach Berlin berufen, als Oberkonsistorialrat erhält er ein paar Jahre darauf zu seinem Predigergehalt ein Fixum von 300 Talern. Theodor Fontane bezieht während seines Aufenthalts in England vom preußischen Ministerium (1857) 1980 Taler Gehalt, er erhält 1862 von der Kreuzzeitung für eine dreistündige tägliche Arbeit 900 Taler, was er als so »höchstanständig« empfindet, daß er sich geradezu vor einer Zulage gefürchtet zu haben bekennt. Lagarde hat sich in den Jahren 1854 bis 1860 als Oberlehrer in Berlin mit einem Gehalt von 550 bis 750 Talern durchzuschlagen. Als Redakteur des »Demokratischen Wochenblatts« erhält Liebknecht monatlich 40 Taler, später beim »Volksstaat« 65 Taler. Stöcker erzählt, daß das Höchstgehalt, das sein Vater je bezog, 500 Taler betragen habe.

Noch im Jahre 1900 berechnet Lichtwark, daß sich eine Künstlerexistenz mit 2000 M. ein Jahr lang erhalten lasse.

 

Im Jahre 1849 sucht Bismarck Wohnung in Berlin. Es bietet sich ihm eine 8-Zimmerwohnung in der Wilhelmstraße, »wo die Behrenstraße aufstößt«, sie kostet 700 Taler jährlich. Eine andere, Friedrichstraße 70, an der Taubenstraßen-Ecke, drei Zimmer und ein Alkoven, elegant möbliert, 25 Taler monatlich. Eine dritte, Leipziger Straße, vier Zimmer parterre, außerdem Gelaß für die Dienerschaft auf dem Hofe, hundert Taler für ein halbes Jahr. Eine vierte, Behrenstraße 60, sieben Zimmer, Portier und verschlossene Haustür, 135 Taler für ein halbes Jahr. Im Jahre 1851 sucht Bismarck in Frankfurt a. M. Wohnung: sechs Zimmer und zwei Bedientenstuben, ohne Möbel 57, mit Möbeln 97 Taler. Der Wirt sei ein reaktionärer Doktor, fügt Bismarck, sei es nun anerkennend, sei es scheltend, hinzu.

Der Arbeiter Rehbein sucht, nachdem ihm der Arm in die Dreschmaschine geraten ist, billigste Dorfwohnung. Er hat dafür einen jährlichen Mietspreis von 60 M. zu zahlen. Die von Krupp in Essen für seine Arbeiter erbauten Wohnungen kosten jährlich 45 bis 65 M. pro Zimmer.

Der Berliner Bürger zieht die Annoncen in seiner »Vossischen Zeitung« zu Rate und begibt sich, von ihnen geführt, auf die Wohnungssuche.

In den fünfziger und sechziger Jahren sind Berliner Wohnungen noch ungemein wohlfeil. Man findet 1850 eine Fünfzimmerwohnung am Schiffbauerdamm für 120 Taler, die halbe Beletage am Gendarmenmarkt (damals allerbester Stadtteil), sechs Zimmer, kostet 350 Taler, noch im Jahre 1860 ist eine Sechszimmerwohnung am Schiffbauerdamm für 250 Taler zu haben. 1870 sind die Preise bereits wesentlich gestiegen. Jetzt werden in der Friedrichstraße Wohnungen zu 650 und 825 Talern angeboten, in der Genthiner Straße (Zug nach dem Westen!) kosten sechs Zimmer 500 Taler, Unter den Linden die Beletage bereits 2000 Taler. In den achtziger und neunziger Jahren hat die Entwicklung im wesentlichen zu den Preisen geführt, die uns heute als Friedensmiete gelten.

Nur, daß diese Berliner Wohnungen in den fünfziger und sechziger Jahren nicht nur alles Komforts, sondern auch aller hygienischen Einrichtungen entbehrten. Badestuben waren legendär geworden. Die »Oertlichkeit« ließ alles zu wünschen übrig. Hier nun aber sprang die Industrie hilfreich ein, und so liest man im Jahre 1850 die Annonce: » Garderobes sans odeur. Diese nach hydraulischem System eingerichteten geruchlosen Commoditées empfiehlt unter Garantie der Selbstverfertiger.« Und 1860 gesellt sich der freundlichen Vorstellung das Bild. Man sieht da einen vornehmen Renaissance-Polsterstuhl mit Rücken, und Armlehnen und nur der Sitz weist einen ernüchternden, kreisrunden Ausschnitt auf. Die Sprache hat an Schaurigkeit eingebüßt: »Transportable Water-Closets, größtes Lager eigener Fabrik und völlig geruchlos.«

Als Stöcker als junger Student nach Berlin kam, fand er eine »große Wohnung«, gemeint ist wohl ein möbliertes Zimmer, am Schönhauser Tor für 3 Taler monatlich, und das macht seiner Findigkeit alle Ehre. Im Jahre 1851 schreibt Fontane an Freund Witte, er werde in Berlin, je nachdem er sich für ein einziges Zimmer oder für Stube und Kammer erkläre, fünf bis sieben Taler zu zahlen haben. 1850 wurden möblierte Zimmer für 4 Taler monatlich angeboten, aber selbst 1880 gibt es noch möblierte Zimmer in der Wilhelmstraße für 8 Taler.

 

Man blättert in alten Zeitungsbänden und läßt sich auch fürder von der Annonce beraten.

In Kleidungsfragen zeichnet die Annonce immer nur die unterste Grenze, das eigentliche Kommandowort gibt die Mode aus. So will es nicht viel besagen, wenn in den Jahren des großen Shawl-Luxus, 1850 bis 1870, Doppelshawls (1850) von 2½ Taler an angeboten werden. Aus der Annonce trompetet die billige Konfektion. Doch bleiben auch die Stoffpreise nicht ganz ohne Interesse. Seidenstoffe kosten pro Robe (1850) 8½ Taler, wollene Kleiderstoffe 2 bis 3 Taler, neue Frühlingsstoffe (1860) 3 bis 5 Taler, Samt im Ellenpreis (1850) 1 Taler 2½ Groschen, ein Preis, der 1860 unverändert fortbesteht, 1870 auf 2 Taler steigt. Charakteristischer sind die fertigen Mäntel und Kostüme. Man kauft 1860 Atlas-Mantillen von vier Talern an, Frühjahrsmäntel von 2½ Talern an, 1870 Sorties de Bal für 2 bis 6 Taler, Damen-Winterpaletots für 8 bis 12 Taler. Im Jahre 1880 ist das Trauermagazin und in ihm eine neue Konkurrenz auf dem Plan: schwarze fertige Roben von 13,50 Mark, Kostüme von 20 Mark an. Man weiß aber – und das fällt aus dem Annoncenkram heraus und ist sehr viel bezeichnender – daß um das Jahr 1870 ein einfaches Prinzeßkleid nach heutigem Geld ungefähr 800 Mark kostete. Die Damenkleidung der Zeit war durchaus nicht billig, sondern teuer.

Im Jahre 1859 geht Theodor Fontane zu Landsberger und kauft sich da einen Rock für 16 Taler, einen Ueberzieher für 17 Taler und findet das gegen Londoner Preise billig. Man erfährt auch, daß ein Arbeiterrock für 7 Taler, ein getragener Arbeiteranzug später für 12 Mark zu erstehen ist. Der Schleuderausverkauf der Goldenen 110 war schon durch die Knallbonbonverse, mit denen man annoncierte, eine Berliner Sensation. 1880 bietet man 8000 Winterpaletots für 4 bis 8 Taler, Beinkleider für 2¾ bis 5½ Taler. Und nun die merkwürdige Beobachtung! Ganz das gleiche Preisangebot bestand von irgendwelcher Firma schon 1850. Es hat sich also in gleicher Preishöhe mehr als ein Vierteljahrhundert hindurch erhalten.

Was will das besagen? In dieser Zeit ist der Geldwert gesunken, die Arbeitslöhne sind, wenn auch geringfügig, gestiegen. Es sind Schwankungen im Preise des Rohmaterials eingetreten, die Fabrikation hat sich verbesserter Maschinen und schlechteren Materials bedient, die Hausindustrie ist in weitem und verdammungswürdigem Umfang herangezogen worden. Paletot ist auch gewiß nicht Paletot, Hose nicht Hose, aber – die Preise bleiben dieselben. Es ist nicht anders, als führten die Gegenstände in der Annonce ein von der Gegenständlichkeit losgelöstes, ein zahlenbegriffliches Dasein.

Das merkwürdigste Beispiel dafür ist das Oberhemd. Man mag es sich vorstellen, wie man will, mag der Mode Rechnung tragen und den sicherlich nicht besser gewordenen Hemdstoffen: in der Annonce kostet das Oberhemd vom Jahre 1850 bis zum Jahre 1890, scheinbar ohne die geringsten Preisschwankungen, 3,50 Mark. Man möchte die Ware aus den beiden Grenzjahren nebeneinander sehen; man möchte imstande sein, in all die Fabrikationsvorgänge, aus denen bald genug ein Heimarbeiterelend schreit, Einsicht zu gewinnen: der Annoncenpreis ist wie ewig grinsende, stumme Maske: 3,50 Mark.

Aber man gewinnt auch besseren Einblick. Im Jahre 1851 schreibt Bismarck: »Die Leinenprobe ist mir nicht fein genug zu Plätthemden, und die zu 16 Talern möchte ich auch erst sehen, ehe ich ja sage. Die Leute tragen hier (Berlin) alle battistne Hemden, fast durchsichtig; die sind mir aber zu dünn; ein Hemd für 2 Taler ist gar nicht möglich.«

 

Einschneidender in das Wirtschaftsleben als alles, was Annoncen ausrufen und Zahlen beziffern: das Bürgertum beginnt zu repräsentieren. Man hat Gesellschaften zu geben. Der Begriff der Muß-Diners kommt auf. Der höhere Beamte ist verpflichtet, die Kollegen bei sich zu sehen, das geht kreisum, Zahl und Wahl der Gerichte ist, wenn nicht vorgeschrieben, so doch durch stilles Uebereinkommen festgelegt. Der Herr Oberst hat für seine Offiziere Haus zu halten.

Bismarck erzählt von einem Diner bei den Frankfurter Rothschilds: »Da war viel Zentner Silberzeug, goldene Gabeln und Löffel, frische Pfirsiche und Trauben und vorzügliche Weine.« Und das bereits im Jahre 1851.

Bismarcks späterer Nachfolger Fürst Chlodwig zu Hohenlohe-Schillingsfürst gibt 1874 zwei Herren ein Diner in einem Berliner Restaurant. Es wurde sehr langsam serviert, das Essen dauerte von 5 bis ½9. »Mich kostete diese Manipulation einundzwanzig Taler.«

Theodor Fontane schreibt 1884: »George erzählte von einem befreundeten Oberstabsarzt, der vor kurzem bei Hiller (vornehmes Restaurant Unter den Linden) ein Diner gegeben habe. 15 Personen. Die Rechnung betrug 700 Mark, also die Verpflegung jedes Gastes beinahe 5O Mark. Theo bezahlt eine Mark bei Oswald Nier (billiges Berliner Weinrestaurant) inklusive zwei Glas Rotwein. Zu meiner Zeit hungerten die Oberstabsärzte.«

 

In ihrer »Geschichte meiner Jugend« berichtet Gabriele Reuter, daß ihre Mutter etwa in den achtziger Jahren des Jahrhunderts mit 2000 Mark Revenuen im Jahr vier Söhne und eine Tochter zu erziehen hatte – »es wollte nie und nirgend reichen, trotz der Beihilfe guter Freundinnen und der Verwandten.«

Theodor Fontane überschlägt 1870 seine Einnahmen auf rund 2200 Taler und nennt das eher ein sehr gutes als ein schlechtes Jahr. Er schreibt kurz darauf – er hat seine Kreuzzeitungsstellung aufgegeben – das Schlimmste, was ihn treffen könnte, sei, ganz vom Ertrage seiner Feder zu leben. »Dieser Ertrag war bis jetzt, wo ich nur die Abende resp. die Nächte dafür hatte, gegen 1000 Taler, oder sage auch nur 800 Taler; glaubst Du nun nicht, daß ich unter Dransetzung des ganzen Tages imstande sein werde, diese Summe zu verdoppeln? Das gäbe 1600 Taler. Meinst Du nicht, daß, wenn es durchaus sein müßte, die Sache auch davon zu bestreiten wäre?«

Der Studiosus Gottfried Keller macht 1848 seine Rechnung zu Heidelberg auf. Kleines Zimmer mit Schlafzimmerchen kostet halbjährlich 3O Gulden; mittags ißt man für 20 Kreuzer sehr gut; des Nachts nimmt man gar nichts oder kauft beim Bratwurster für 6 Kreuzer (600 Taler = 1000 Gulden).

 

Im Jahre 1857 vergleicht Fontane einmal seine Deutschen mit den Engländern. »Der Engländer erklärt rund heraus: ›Ich bin ein Geldmensch‹; wir aber sprechen mit Verachtung vom Gelde und reißen uns nachher um eine Summe, die ein passabler Engländer als Trinkgeld gibt ... Die Schuld liegt nicht in uns (denn in den Deutschen steckt ein aufrichtiger idealer Zug), sondern in unsrer Armut.« Nun, das wird anders. Auch Fontane kann sich dem Aufschwung, den Berlin genommen, nicht verschließen. 1880 heißt es bei ihm: »Das alte Berlin und das alte Preußen waren allerdings etwas Entsetzliches, und wo ihr Pferdefuß zum Vorschein kommt, find' ich es noch heute furchtbar. Aber seit 1840, seit 1848 und namentlich seit 1870 ist alles anders geworden, und wir haben selbst die Gegenden in Deutschland weit überflügelt, die früher Vorbilder für uns sein konnten. Dresden wirkt jetzt wie ein pauvres, zurückgebliebenes Nest.«

Bereits im Jahre 1877 beziffert Bismarck die mit der Eisenbahn angekommenen Fremden auf 4½ Millionen, eine Zahl, die bereits im folgenden Jahr auf 4¾ Millionen gestiegen ist.

Die Sparkasseneinlagen berechnet Bismarck im Jahre 1889 für die ganze preußische Monarchie im Durchschnitt auf den Kopf der Bevölkerung, auch das Kind in der Wiege, auf 80 Mark.

In den Jahren 1853 bis 1890 steigen in den acht alten Provinzen Preußens die Einkommen:

Einkommen bis 3 000 M. stiegen um 42 %
Einkommen von 3 000 – 36 000 M. " 333 %
Einkommen von 36 000 – 60 000 M. " 590 %
Einkommen von 60 000 – 120 000 M. " 835 %
Einkommen über 120 000 M. "  942 %  

Das gibt ein überaus klares Bild. Aufstieg auf der ganzen Linie! In diesem Aufstieg aber überklettern die Wohlhabenden die weniger Bemittelten derart, daß notwendigerweise innerhalb des Bürgertums sich eine völlige Umschichtung vollziehn muß.

In einer solchen Zeit wird von einer einheitlichen bürgerlichen Kultur schwer die Rede sein können. Bürgerliche Enge, scheuäugige Sparsamkeit steht die ganze Epoche hindurch hart neben willkürlich zur Schau getragenem Aufwand, Not neben Protzentum.

Darum macht der alte Kaiser Wilhelm inmitten der Zeitgenossen so seltsam und so eindringlich Figur. Der die Respektseite von den an ihn gerichteten Briefen säuberlich abschneidet, um sie anderweitig zu verwenden. Der haushält. Der Schlösser sein eigen nennt, in denen die zweckwidrigen Luxusgegenstände der Zeit sich in erschreckender Wahllosigkeit häufen, und der trotzdem in seiner Lebensführung Mittelstandsbürger bleibt.

Im Jahre 1864 haben König und Königin einer Kögelschen Predigt beigewohnt. Der Geistliche hat die Erbauung von Kapellen in den überseelenreichen Berliner Parochien angeregt; von seiner Predigt bewegt, sendet ihm die Königin mit eigenhändigem Schreiben den Betrag von zweihundert Talern zu dem erwähnten Zweck.

Es berechnet aber Fontane im Jahre 1883, daß ein wohlhabender Kaufmann, der mit Frau und drei Töchtern nach Norderney reise, täglich 25 Taler auszugeben habe. 5 Taler Wohnung, 5 Taler Diner, 5 Taler Kaffee, Frühstück, Abendbrot, 5 Taler Wein, Bier, Sodawasser, 5 Taler das eigentliche Baden. »Macht in dreißig Tagen eine Ausgabe von 75O Talern.«

 

Künstlerische Honorare werden beredt, weil sie verräterisch dartun, wie die Epoche die schöpferische, die unmaterielle Leistung bewertet.

Die stärkste künstlerische Begabung, Ausdruck zugleich des seelischen Begehrens und Sehnens der Epoche, ihrer innerlichen, aber auch sehr äußerlichen Ansprüche, Dichter, Komponist, Philosoph, Genie und Feuerwerker, steht Richard Wagner im Mittelpunkt der Zeit. Künstler und Rechner bleibt er zeit seines Lebens; angesichts der kargenden Zeit ein Sichverrechnender. Er erhält für den »Rienzi« 300 Taler; ihm wird 1843 eine Kapellmeisterstelle in Dresden mit 1800 Talern Gehalt angeboten; den »Fliegenden Holländer« verkauft er an ein Theater für 20, an ein zweites für 15 Louisdor; Avenarius zahlt ihm für das Buch seines »Siegfried« 100 Taler; für den »Tristan« fordert er von Breitkopf und Härtel 12 000 Francs, die Forderung wird aber auf 200 Louisdor hinabgedrückt; im Jahre 1859 wünscht er sich eine Pension in Weimar von mindestens zwei- bis dreitausend Talern (erhält sie aber nicht); 1859 fordert er für jede Partitur (»Rheingold«, »Walküre«) 300 Louisdor; in eben dem Jahr bietet er die Partitur von »Rheingold« für 10 000 Franken an; 1862 erhofft er sich von Baden, Preußen, Weimar erneut eine Pension von 3000 Talern; den Kaufpreis für seinen »Parsifal« setzt er 1881 mit hunderttausend Mark an, – Forderungen, die zum mindesten dartun, daß die Zeit mit größeren Summen zu rechnen lernte.

Für seine »Leute von Seldwyla« fordert Gottfried Keller 1873 ein Honorar von 2000 Franken pro Band bei einer Auflage von 1200.

Im Jahre 1880 schreibt Theodor Fontane: »Ich kaufe ein Buch, das wenigstens vier Taler kostet, arbeite drei Tage lang und lese drei Tage lang bis nachts um zwei; zwei Kinder schreiben viele, viele Seiten ab, und zum Schluß mache ich mich an eine Korrektur und Glattfeilung des Ganzen. Dafür erhalte ich dann 20 oder, wenn es hoch kommt, 24 Taler! Wobei ich mein Wissen und mein Talent noch gar nicht rechne.«

Von Cotta erhält Fontane 1851 für seine Gedichte »Männer und Helden« (Preußische Feldherrn) 30 Taler. Für seine Anthologie »Deutsches Dichter-Album« (30 Bogen) zahlt man ihm 150 Taler Honorar; für den Zeitschriftenabdruck einer Novelle (4 Bogen) fordert er 1880 400 Taler; von »Nord und Süd« erhält er (1887) 400 Mark Bogenhonorar; – »aber es wird soviel Bitteres dabei wach, die ganze Wut darüber, wie in zurückliegenden Zeiten die Schriftsteller behandelt wurden und noch froh sein mußten, von einem Ruppsack von Buchhändler 10 Taler für eine Novelle zu kriegen oder Schillers Werke statt Zahlung«.

Und wieder Fontane, der sich mit Privatstunden durchhilft:

»Ist es denn wenigstens einträglich?«

»Ach, Herr Geheimrat, das kann ich nun freilich nicht sagen. An solchem Tag, wie heut, wo man alles zu Fuß abmachen kann, nun, da geht es.«

»Aber wenn es regnet ...«

»Ja, Herr Geheimrat, wenn es regnet. Und sonderbar, es regnet fast immer. Oder Ostwind, den ich nun mal nicht vertragen kann. Dann stellt es sich so: Droschke hin fünf Groschen, Droschke zurück fünf Groschen, Trinkgeld an den Diener fünf Groschen, Chemisettehemd drei Groschen. An solchem Tage schließe ich dann jedesmal mit drei Groschen minus ab.«

Er nickte, riet mir auszuhalten, so ginge es im Leben, und dann schieden wir. –

v. Oertzen, der Biograph Stöckers, schreibt unter Hammersteins Redaktion für die Kreuzzeitung: »Was ich einsandte, wurde aufgenommen, allerdings niemals honoriert.« Daraufhin sein Bekenntnis: »Wer also entweder eine fest besoldete Stellung erlangen oder von seinen Renten leben oder ohne Schaden für seine Gesundheit andauernd hungern kann, der wird immer besser tun, Dung zu streuen und Steine zu klopfen, als christliche und konservative Ideen publizistisch zu vertreten.«

Lichtwark erzählt: »Liebermann (der ihn, obwohl er es weder sagt noch andeutet, unterstützt haben wird) verschaffte ihm 1879 einen Bildnisauftrag für 100 Mark. Leibl war so erfreut, daß er dafür gleich zwei Bilder malte.« Damit aber steht man angesichts – der sozialen Not.


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