Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

»Wie sie so sanft ruhen …«

»Unsre Samen, unsre Toten
ruhen in dem leichten Sand,«

läßt Goethe einmal spöttelnd den Märker die Heimat preisen.

Ja, es ist freilich nur leichter Sand, gelber, schmerzend greller oft, darin wir unsre Toten betten. Aber diesem Sande, den Liebe und Treue hegt, entsprießen Haine und Gärten, wie sie so schön und blütenschwer die Friedhöfe nur wenig andrer Städte noch haben. Und welch kostbares Gut ist nicht gerade diesem gelben, leichten Sande anvertraut, welch Stück Geschichte Berlins, und das heißt denn zugleich doch deutscher Kulturgeschichte ruht auf unsern Friedhöfen! Und nicht nur die Namen Unsterblicher machen solche Geschichte Berlins: auch Namenlose, deren Gräbern die Pietät ein ergreifendes Denkmal setzte, geben unsern Friedhöfen das besondere Gesicht.

Da sind, nun längst mitten in der Stadt, ein paar Kirchhöfe, die gerade davon Zeugnis geben. Gewiß, auf dem alten Sophienkirchhof in der Sophienstraße liegt auch Leopold v. Ranke, der große preußische Historiker, begraben und Zelter, Goethes hausbackener musikalischer Berater, – aber schöner als deren Denkmal ist die gesockelte Sandsteinurne, die da erzählt, daß hier der 1793 entschlummerte »Krieges- und Domainen-Rath« Johann August Buchholtz mit den Seinen ruht, und darauf der Gatte klagt: »O, meine Auguste, fromm und sanft war dein ganzes Leben, fromm und sanft auch dein Tod.« Schön das stattliche Denkmal der Maria Elisabeth Köpjahnnin, die »in Wohltätigkeit, Liebe und Gottes Furcht lebte«.

Grabmal auf dem Sophienkirchhof

Kommt mit, die paar Schritte über den Koppenplatz und durch die Linienstraße zum Alten Garnisonkirchhof …

Der Koppenplatz, ein paar Bäume, dürftige Bänke, ein Denkmal: die Mutter mit den spielenden Kindern, ganz der Platz der armen Leute, der alten, bresthaften – und wie ein Tempelvorhof mit korinthischen Säulen, von keinem Geringeren als Stüler geschaffen, an einem Hause ein Vorbau »Herr Christian Koppe, Rathsverwandter und Stadt-Hauptmann zu Berlin, widmete diesen Platz und dessen Umgebung im Jahre 1703 als Ruhestätte den Armen und Waisen, in deren Mitte Er selbst mit den Seinigen ruhen wollte und ruht.« …

Der alte Garnisonkirchhof, ein winziges, mauerumhegtes Viereck. Etwas preußisch Militärisches im Ganzen. Gleich hinter dem Gärtnerhäuschen beim Eingang stehen wieder ein paar Urnen … An einer Mauer eine schlichteste Grabkapelle: »Hier erlischt die alte Linie des Hauses Arnim-Fredenwalde,« weiter nichts: das ist schon etwas, dieses einfache Wort – da liegt Größe drin! In der Mitte ein barocker Sandstein mit einem winzigen Kreuzlein drauf: Friedrich Baron de la Motte-Fouqué. Der Dichter von zahllosen Liedern und der »Undine«. Und ein stattliches Grabmal nicht weit davon: ein Namenloser, Schachtmeyer, Kommandeur eines Garderegiments, die Offiziere haben es vor hundert Jahren ihrem »väterlichen Berater« gesetzt – ein römischer Helm, Schwert und Schild –, und – ist das heute nicht wie ein Symbol? – der Rost hat den Schild bis auf einen schmalen Reifen verzehrt. Und dann wieder ein Berühmter: eine Platte roten Granits, ein Gitterlein darum, das Grab des Lützows aus den Freiheitskriegen … Ueberall Holzkreuze und Täfelchen von draußen, jetzt, 14-18 … sie haben sich auf vielen Berliner Friedhöfen eingefunden, Erinnerungszeichen an Väter und Söhne, Gatten und Brüder, die in fremder Erde liegen.

Und nun kommt weiter mit mir zur Chausseestraße und zum Alten Dorotheenstädtischen und Friedrich-Werderschen Friedhof vom Jahre 1770. Mitten im lebendigsten Lärmen der Weltstadt schlafen sie hier; es brandet an die Mauer und dringt noch durch das stattliche Tor. Aber gehst Du die feierlich düstere Allee längs der niederen, epheubewachsenen Mauer hinauf, erstirbt es vor dem Frieden und der Weihe dieser Totenstätte. Hier ist die Kultur des alten Berlin: die ganz Großen, die Mächtigen und Reichen und die Namenlosen. Wahre antike Tempel, Grabmäler, wie sie etwa in der römischen Campagna stehen könnten – das Familiengrab der Cantians – der hohe Obelisk auf dem Hügel Fichtes, Kapellen mit Büsten (Stüler, Strack, Borsig), stattliche Denkmäler (Rauch, Schadow, Schinkel), schlichte Marmorplatten, Sarkophage, Kreuze, Urnen … Klassizismus, Biedermeier, Heidentum und Christenglaube in der Form und den Symbolen. Allein die Namen hohen Klanges füllten manche Seite. Linden, Efeu, Fliederbüsche, Lebensbäume. Und dann an der Mauer Strauchwerk, das kaum den Verfall verbirgt. Eine eingesunkene Gruft voll Trümmer.

Mich drängt es, die Erinnerung an ein paar Berliner Dichter noch zu erneuern. Draußen, in der Liesenstraße, auf dem » Friedhof der Kolonie« schläft der eine, lieb mir über viele: Theodor Fontane. Ein echter Märker und echter – Franzose, und das gab in seltenstem Zusammenklange einen echten, ganzen Menschen, gütig und groß. Ich weiß mich noch zu erinnern, als wäre es gestern erst geschehen – wie mein lieber Vater an jenem 20. September 1898 nach Hause kam und sich zum Abendbrot an unsern runden Tisch mit der Hängelampe darüber setzte, zur Vossischen Zeitung griff, und da stand in großen, mitleidslosen Lettern »Theodor Fontane †«. Und mein Vater ließ das Blatt jäh fallen, erhob sich, ging ins dunkle Nebenzimmer und blieb da Stunde auf Stunde trauernd sitzen. So was vergißt man nicht, nicht wahr? …

Ich suche mir das Grab mit seiner schlichten Namenstafel, und es engt mir die Kehle, wie ich den Namen leise für mich hinspreche und mich des Fontaneworts vom alten Dubslav Stechlin plötzlich erinnere: »Er war das beste, was wir sein können, ein Mann und ein Kind« …

Wie viele Berliner Namen von hellem Klang unter diesen »Franzosen«, deren zahlreiche ihr Leben für das deutsche Vaterland gegeben! Nur ganz vereinzelt noch, auf älteren Gräbern, ein französisches »Ci-gît« … hier ruht … Und wie ich längs der Hügel schreite, finde ich ein köstlich Lustiges in all dem Ernst des Todes. Einen verwahrlosten, eingesunkenen Grabhügel und darauf: »Marie Anne Dutitre née George«. Madame Dutitre, die Verkörperung des Berliner Witzes von der Alten-Fritzen-Zeit bis zu Friedrich Wilhelm III. Die Dutitre, die Goethe ansprach: »Anjebeteter Mann, wer sollte Ihnen nicht kennen! Festjemauert in der Erden …« die Dutitre, die ihren im Sterben liegenden Gatten, da er sie noch einmal zu sehen verlangte und aus der Küche rufen ließ, etwas unsanft anfuhr: »Wat is denn los? Du weeßt doch, det ick keene Leiche nich sehen kann!« … Und so darf ich hier vielleicht noch eines Grabes und Grabsteins gedenken, wie sie wohl nur im alten Berlin möglich waren – eines Grabsteins, der bis vor zwanzig Jahren in einer kleinen Leihbibliothek (Chausseestraße 121) stand. Das Grab war auf hundert Jahre gekauft worden, und als der betreffende Teil des Kirchhofs aufgelassen und bebaut wurde, die Nachkommen aber das Grab durchaus erhalten wissen wollten, da wurde das Lädlein sozusagen über das Grab und um den Grabstein herum gebaut, und – ist das nicht ganz berlinisch? – tagtäglich kam ein greiser Enkel der »Antoinette Weiß, geborene Biancam« und setzte sich zur Andacht vor dem Grabstein in dem Buchlädchen nieder!

Draußen vor dem Halleschen Tor auf den Kirchhöfen der Jerusalems-, der Neuen und Dreifaltigkeitskirche schlafen zwei andre der Großen: E. T. A. Hoffmann – der Grabstein nennt ihn bürgerlich Wilhelm statt Amadeus –, eine Sandsteintafel, ein goldumrissener Falter darauf, und »Ausgezeichnet im Amte, als Dichter, als Tonkünstler, als Maler« rühmen die Freunde. Dieser geniale Feuergeist voller Unrast, er schläft nun neben – Ober-Registratorsgatten. Ist das nicht eigentlich auch echt berlinisch, muß man immer wieder fragen.

An der südlichen Mauer entlang führt der Weg zum Hügel Chamissos, gleich hinter dem Querwege liegt er, zu Häupten eine Eibe, eine Granitplatte deckt ihn und die Gattin. Hier längs der Mauer sind viele alte Erbbegräbnisse. Wie schlicht und schön: eine eiserne Tafel mit Goldbuchstaben, »Clauers Erbbegräbnis« oder »Clausings Ruhestätte«.

Für mich ist heute ein Tag der Toten: kommt mit mir noch zu einem der schönsten Friedhöfe Berlins, dem St. Matthäi, an der Großgörschenstraße. Sanft hügelan steigen die dichten Alleen, in langen Reihen die Gräber, schlicht, in edlem Prunk, hüben und drüben, an der Mauer feierliche Grabkapellen: hier schlummert reiche Saat, die der Schnitter in seine Scheuern eingeführt. Mich treibts zu den einfachen Steinen der Brüder Grimm – vier Marmortafeln, Jakob, Wilhelm, Rudolf, Hermann, aus Efeu aufragend, die schlichtesten wohl von allen hier. Und wohin Du blickst: Klang und Ewigkeitswerte – Langenbeck, Virchow, Diesterweg, Gentz, Gustav Richter, Waitz, Jagor, Messel, Wilhelm Loewe-Calbe, »dem letzten Präsidenten der deutschen Nationalversammlung« setzten Bewunderer das Denkmal, Albert Niemann und fast noch unvergeßlicher Hedwig Niemann-Raabe … es ist kein Ende der Namen.

Und doch ergreifender als alle ist mir jene Tafel an der Mauer: »Fünf Enkel gaben ihr Leben dem Vaterlande 1914-18.«

Auch das ist Berliner Geschichte und deutsche Geschichte.


 << zurück