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Daß Imgjor zu dem Doktor Prestö hielt, hatte die Versammlung in Oerebye und hatten die übrigen früheren und neueren Vorgänge bewiesen. Aber ob ein Liebesverhältnis zwischen ihnen bestand, war noch nicht aufgeklärt. Dieser Umstand ließ Graf Dehn alle seine Gedanken darauf richten, wie er es anstellen könne, sich darüber eine Gewißheit zu verschaffen.

Da er Zeuge der Verabredung zwischen Imgjor und Prestö gewesen, hatte er hin und her überlegt, wo diese Zusammenkunft wohl stattfinden werde, und immer wieder war er zu dem Ergebnis gelangt, daß der von ihm entdeckte Gang im Turm, dessen Aus- und Einmündung er in der Folge nachgespürt, dabei eine Rolle spiele.

In der nach dem Garten gerichteten Seite dieses Zwischenbaues befand sich eine kleine, von Epheu umrankte, offenbar sonst seit Menschengedenken nicht mehr geöffnete Thür. Sie führte sicher zu dem Vorzimmer von Imgjors Räumen; von hier ging die dort mündende, zwischen der dicken, mit Lichtspalten versehene Mauer eingefügte Treppe aus.

Und dieser Teil der Turmseite selbst war hinter dichtem Gebüsch verborgen; niemand achtete auf diesen verdeckten Winkel.

Auch Axel würde schwerlich jemals dorthin einen Blick geworfen haben, wenn er nicht von solchen Voraussetzungen ausgegangen wäre.

Vom Dorf zweigte sich außer dem Fahrwege ein Pfad über die Wiese nach dem Gutsgebiet ab. Ihn benutzten die Fußgänger von Kneedeholm und die von Rankholm vorzugsweise. Er führte direkt auf den neben dem Schloß zur Rechten liegenden Arbeitsgutshof. Hier befanden sich die Wohnhäuser der Beamten, und ihn umkränzten in weitem Umfange die Gebäude der Meierei, die Kuh-, Pferde- und Schafställe, die Brauerei, das Dampfmaschinenhaus, die Remisen für die Herrschafts- und Arbeitswagen und die Häuser für die zahlreichen Arbeiterschaften.

Auf diesem Hof, hinter einer gleich den Eingang flankierenden Scheune, beschloß Graf Dehn abends zunächst Posto zu fassen, um Prestös Ankunft zu beobachten und dessen Schritte zu verfolgen.

Es gab nur diesen einen, direkt zum Park führenden Weg, und falls Prestö überhaupt kam, mußte er ihn einschlagen.

Zwischen dem Frühstück und dem Tischgang machte Graf Dehn mit dem Grafen einen längeren Spazierritt. Letzterer sprach bei dieser Gelegenheit wohl auch über Imgjor, aber er äußerte nichts über Inhalt und Verlauf der Unterredung mit ihr. Es machte Axel den Eindruck, als ob Imgjor ein Schweigen über ihre Angelegenheiten gefordert habe.

»Wir sprechen noch näher darüber!« hatte der Graf geschlossen. »Ich komme mit Ihrer Erlaubnis auch noch auf das von Ihnen meiner Tochter Lucile gemachte gütige Anerbieten zurück. Ich möchte vor entscheidenden Schritten erst einmal die Klarheit besitzen, die ich bisher nicht gewonnen habe.

Auf dem Plan steht auch, daß wir alle Rankholm verlassen und einige Zeit, etwa vier bis sechs Wochen, nach Kopenhagen übersiedeln. Sie wissen, daß wir dort ein eigenes Palais besitzen.

Natürlich – Sie begleiten uns! Sie bleiben unser Gast! Nur unter der Bedingung verlassen wir Rankholm.«

Später kam der Graf auf die Versammlung in Oerebye zu sprechen.

»Jeder Gutsherr –« erklärte er – »muß seinen Herd und sein Eigentum schützen. Thun das alle, halten sie eben so fest zusammen, wie diejenigen, die übertriebene Forderungen erheben, so wird die gegenwärtige Bauernbewegung auf ein verständiges Maß herabgedrückt werden. Den Schutz erkenne ich in der rücksichtslosen Entfernung aller Ruhestörer, der Erhaltung geordneter Zustände, in einem möglichsten Entgegenkommen gegen diejenigen, die uns mit verständigen Vorschlägen zur Verbesserung der Lage der Bauern und Landarbeiter gegenübertreten –«

Diese Worte bewiesen, daß Graf Knut in seinem gelegentlich gefällten Urteil über den Grafen recht hatte. Nur dessen ungemessene, in besinnungslosen Jähzorn ausartende Heftigkeit hatte er getadelt.

»Die Lavards sind alle besonders. Sie besitzen eine Starke Eigenart!« hatte er geäußert. »Bei den meisten überwiegt Genialität und Energie, bei anderen neben hoher Intelligenz starke Erregbarkeit und Hang zum luxuriösen Wohlleben. Den hat der Graf lange abgestreift, aber das leicht erregte Blut wird ihm bleiben bis zum Tode, und das hat ihm und anderen schon viel Herzeleid gebracht.«

Imgjor erschien nicht bei Tisch. Dagegen hatte sich Graf Knut eingestellt und wegen der immer stärker um sich greifenden Epidemie im Dorfe eine länger andauernde Gastfreundschaft erbeten.

Er regte, wie immer, durch seine gute Laune und seine frische Lebendigkeit die Gesellschaft an, und da auch Graf Dehn gewohnheitsmäßig einen lebhaften Geist entfaltete, verflossen die Stunden bis zur Schlafzeit in der angenehmsten Weise. Nach Tisch, nach einer längeren Promenade im Park, setzte sich die Gräfin mit dem Grafen Dehn an den Schachtisch, und die beiden Herren spielten eine Partie Pikett. Bei dieser Gelegenheit brach jene das von ihr bis dahin beobachtete Schweigen und erzählte Axel, daß Imgjor die Forderung gestellt habe, daß ihr ihr Erbteil ausgezahlt und völlige Bewegungsfreiheit eingeräumt werde.

»Sie sollen morgen alles und noch anderes erfahren –« sagte sie. »Mein Mann könnte hören, was ich spreche. Er wünscht, daß die Dinge einstweilen nicht berührt werden –« schloß sie mit gedämpfter Stimme.

Zu einer Gegenrede, namentlich zu einer Frage, ob Imgjor engere Beziehungen zu Prestö eingeräumt habe, vermochte Graf Dehn nicht zu gelangen.

Zum Thee erschien Imgjor, und auch an dem heutigen Abend trug sie – Axel schob's diesmal auf die bevorstehende Zusammenkunft mit Prestö, für welche helle Gewänder nicht geeignet waren, – ein dunkles Kleid. Sie sah wieder anbetungswert schön aus und kehrte gegen den Grafen Knut ein neckisch anschmiegendes Wesen heraus.

Zum erstenmal sang sie auf Graf Knuts wiederholte, dringende Bitte einige Lieder. Graf Dehn befand sich, während er ihren Vorträgen lauschte, in einer Art von Verzauberung. Sein Ich lag in ihren Banden. Etwas Aehnliches, die Seele Bewegendes, Ergreifenderes konnte man nicht hören.

Alle Register, das Gemüt zu rühren und dem Ohr die höchsten, einschmeichelndsten Wohllaute darzubieten, standen ihr zur Verfügung. Man jauchzte und weinte mit ihr.

Und wie niemals in ihrem Thun und Wesen das Bestreben zum Ausdruck gelangte, sich irgendwie besonders zur Geltung zu bringen, durch die ihr von der Natur zuerteilten Gaben Beifall oder gar Bewunderung einzuernten, so war's auch heute. Sie war frei von jeder Eitelkeit. Jedem Spiegel ging sie vorüber. Sich besonders zu schmücken, mußte sie jedesmal aufgefordert werden, und doch besaß sie, wie Lucile geäußert hatte, Gewänder, die Königinnen tragen konnten. Sie war mit ihrem blendenden Hals, ihren schneeigen Armen, ihrer Psychebüste, ihrem vollendeten Wuchs und ihrer vornehmen Haltung ein Wunderwerk der Natur.

Und sie so zu sehen, stand Axel in den nächsten Tagen auf Rankholm bevor.

Die Gräfin hatte darauf bestanden, daß der von ihr geplante Ball noch vor der Abreise nach Kopenhagen Stattfinde. Schon am nächsten Morgen sollten die Einladungen erfolgen und die Antworten durch abzusendende Stafetten gleich eingeholt werden.

»Noch eins! Ich bitte recht sehr, Komtesse!« drängte Graf Knut, nachdem Imgjor zwei Lieder gesungen hatte. »Singen Sie gütigst zum Schluß noch mein Lieblingslied!« –

»Ihr Lieblingslied? Ich weiß nicht – Welches ist's, Herr Graf?« gab Imgjor erst zögernd, dann, durch seine Blicke willfährig gemacht, zurück. Und »Ach ja – gewiß – ich weiß jetzt!« fügte sie dann äußerst bereitwillig hinzu, bat Lucile, sie zu begleiten, und sang nun ein kleines, in meinem ungestümen Tempo sich bewegendes andalusisches Lied:

»Einmal möcht', daß die Traumgedanken
Sich verwandelten in Wirklichkeit!
Einmal möcht' ich aus den Schranken
Eingeh'n in die Seligkeit!

Seligkeit sind deine Lippen!
Seligkeit ist deine Brust!
Schenk, o Gott, der durst'gen Seele,
Einmal diese trunk'ne Lust!«

Imgjor trug diese Verse mit einer solchen Verve des Ausdrucks vor, in ihren Augen erschien ein solch' überirdisches Feuer und ihr geöffneter Mund atmete eine solche verzehrende Sehnsucht, daß Graf Dehn, dem heiße Ströme durch die Glieder jagten, dabei an Luciles Worte erinnert ward. Sie hatte gesagt, daß hinter Imgjors kalt gemessenem Wesen heiße Flammen verborgen seien. Aber als sie dann wieder mit ihrem stumm verschlossenen Wesen vom Piano zurücktrat und gleich darauf gute Nacht sagte, Graf Knuts lautem Lob mit einer sanft bescheidenen Miene und von Graf Dehns stummer Bewunderung keine Notiz nahm, ergriffen ihn doch wieder Zweifel, ob sie bei diesem Vortrage wirklich Gleiches auch empfunden habe. Sie stellte sich offenbar nur in den Dienst ihrer Aufgabe. Ihre Gedanken und Sinne richteten sich sicher auf etwas ganz anderes. Ihr Inneres durchrieselte keine Leidenschaft für Prestö, sondern sie erfüllte jene Märtyrerliebe zur Menschheit, die sich selbst ans Kreuz schlägt. Alles, wenn's auch vielleicht einmal in ihr aufflammte, dämmte sie, diesem Dienst geweiht, zurück. Aber um so mehr verzehrte Graf Dehn das Verlangen, nun endlich Gewißheit zu erlangen. Sobald es irgend schicklich erschien, schützte er Kopfschmerzen und Müdigkeit vor und empfahl sich.

Nachdem er sich in seinen Gemächern möglichst dunkel gekleidet, benutzte er einen ihm alle Zeit zu Gebote stehenden Schlüssel zur Hauptthür des Schlosses, betrat den Hof und den diesen und die Gärten verbindenden offenen Durchgang, versicherte sich, daß in Imgjors Zimmern noch Licht brannte, und begab sich zunächst zu der hinter den Bosketts befindlichen Turmpforte. Als er jedoch die Hand auf den Drücker legte, gab dieser nicht nach. Er schloß daraus, daß Prestö noch nicht eingetroffen sei und eilte nun vorsichtig zur Rechten auf den Arbeitshof. Er lag in einem gleichsam geisterhaften Dunkel. Eben hatte sich der Mond, der bis dahin ein schwaches Licht verbreitet hatte, hinter schwarze Wolkenmassen geschoben. Aber Graf Dehn wurde dadurch nicht gehindert. Er kannte den Weg und betrat alsbald die Eckgrenze des Hofes und des Fußpfades, der hier in das Thal hinabführte.

Bevor er hinter der großen Scheune Posto faßte, spähte er noch einmal vorsichtig in das Dorf hinab.

Aber vorläufig vernahm und sah er nichts. Auch drunten lag die Welt in einem mystisch unheimlichen Dunkel und in jenem Schweigen, das häufig einer gewaltigen Aufregung in der Natur voranzugehen pflegt. –



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