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4.

Von nun an strengte Heinz sein Hirn an, wie er Arzt werben könnte. Er nahm sich vor, in den Ferien wieder Stunden zu geben, was er bereits als Schüler getan hatte. Doch damit ließen sich bestenfalls in drei Monaten ein paar hundert Mark verdienen, aber nimmermehr so viel, wie für das teure Studium nötig war. Er wollte seinen Direktor bitten, das ihm gewährte Stipendium für die Medizin verwenden zu dürfen. Doch abgesehen davon, daß das gegen die Statuten ging, würde der eingefleischte Philologe es ihm niemals erlauben. Er wollte einen Mäzen suchen. Aber wenn es diese Fabelwesen gab, in seiner kleinen Vaterstadt waren sie gewiß nicht zu finden.

Inzwischen ging er gleich zu Taten über, indem er die belegten und teuer bezahlten Kollegs schwänzte und sich dafür in der Anatomie und anderen medizinischen Hörsälen umhertrieb.

Den Rest an Zeit nahmen sein geselliger Verkehr und seine Herzensangelegenheit in Anspruch.

Die diplomatische Sendung der Frau Geheimrat hatte Erfolg gehabt. Irmgard durfte Tennis mitspielen.

Darüber hinaus entspann sich bald ein lebhafter Verkehr der neuen Bekannten im Guhnottschen Haus. Frau Guhnott ruhte nicht eher, als bis sie Irmgards Mutter aus ihrem einsamen Witwensitz herausgelockt hatte. Beide Frauen waren so verschieden wie möglich und paßten zueinander wie der lachende Sonnenschein zum tristen Regenwetter, wie eine schaumige Torte zu einer vertrockneten Brotkruste.

Aber die vom Glück verhätschelte, in großen Verhältnissen lebende Gattin des berühmten Mannes fand Gefallen daran, die zerzauste und verbitterte einsame Witwe unter ihre Fittiche zu nehmen. Ihr gutes Herz trieb sie dazu ebenso wie ihre Protektionslust. Dazu war sie als geborene Berlinerin an immerwährenden Betrieb gewöhnt. Die Verhältnisse in der kleinen Universitätsstadt waren ihr viel zu eng. Auch vermochte sie mit den anderen Professorenfrauen, die in den geistigen Interessen ihrer Männer aufgingen, nicht recht intim zu werden. So war diese Fremde, die noch dazu aus ähnlichen Kreisen stammte wie sie selbst, ihr gerade recht.

Frau Raumer hatte sich als reiche Kaufmannstochter blutjung mit einem flotten Leutnant verlobt, der sich von ihrer Mitgift ein hübsches Rittergut erstand. Aber der liebenswürdige und tüchtige Offizier hatte sich als schlechter Landwirt erwiesen und hinterließ, als ihn ein früher Tod von langem Siechtum erlöste, seiner Familie gerade so viel, um ihr eine bescheidene Existenz zu ermöglichen.

Nach jahrelangem Schattendasein kehrte Frau Raumer nun wenigstens als Gast in die reicheren Verhältnisse zurück, an die sie von Kindheit an gewöhnt war. Wäre das ein Jahrzehnt früher gewesen, so hätte sie vielleicht noch einmal aufblühen können. So aber verschärfte der Kontrast nur ihre Grämlichkeit. Obgleich sie einem jener hartblättrigen, bescheidenen Pflänzchen glich, das man bald in diese, bald in jene Ecke stopft, wo es möglichst wenig gesehen wird, und obwohl sie selten zu jemandem sprach außer zu ihrer Tochter, fühlte doch jeder in ihrer Nähe sich unbehaglich, als wenn irgendeine starke, das Lebensgefühl beeinträchtigende Wirkung von ihr ausginge.

Selbst die gutmütige Frau Guhnott fand sie anfangs unsympathisch und äußerte ihr Mißfallen über die verrückten Ansichten dieser Frau. Für sie als Gattin Guhnotts war es allerdings auch ein starkes Stück, die Schmähungen auf die Ärzte anhören zu müssen, und daß das Impfen eine die Gesundheit schädigende Erfindung sei, daß dagegen in einem kleinen Dörfchen bei Jena ein Wunderdoktor lebe, der aus jedem beliebigen Gegenstand, den ein Mensch getragen, die Krankheit des Betreffenden herauslese, und was dergleichen Unsinn mehr war.

Aber schließlich über diese Eigenheiten war hinwegzukommen, und man sah die beiden Damen immer häufiger zusammen: die mollige, strahlende Blondine und ihren dürftigen, schwarzen Schatten.

Es gibt zwei Sorten von Müttern, wie es zwei Sorten von Menschen überhaupt gibt. Die einen übertragen ihr Selbstgefühl auf ihre Kinder, die anderen den Mangel daran. Die einen finden alles bezaubernd, was ihre Sprößlinge treiben, die anderen haben ewig zu tadeln.

Zu den letzten gehörte Frau Raumer. Irmgard hatte es zu Haus oft recht schwer gehabt und war froh, durch den Verkehr in dem Guhnottschen Hause, an dem ihr freilich manches nicht behagte, ihren Teil an der Jugendlust zu finden.

Für sie wie für Heinz begann nun ein neues Leben.

In der reizend gelegenen und vergnügten Universitätsstadt gab es namentlich zur Sommerzeit unzählige Gelegenheiten, um sich harmlos zu amüsieren. Bald war es das Tennis, bald Kahnpartien, bald Spaziergänge auf den Fuchsturm oder in die nahen Bierdörfer, was das junge Volk mit oder ohne Begleitung der Mütter vereinigte.

Gleich als die vier das erstemal mit ihren Raketts auf die Saalewiesen auszogen, erklärte Margot mit ihrer unwiderstehlichen Bestimmtheit:

»Also mein Bruder ist Ihr Kavalier, Fräulein Raumer, und Herr Tann der meine. Na ja,« fuhr sie fort, als die anderen daraufhin lachten, »mein Bruder kann mir doch unmöglich den Hof machen.«

Wie in so manchen aus der Werkstatt der Natur mit einem Schönheitsfehler hervorgegangenen Menschenkindern schwelte in ihr eine brennende Eitelkeit, eine Sucht, um jeden Preis einem selbstentworfenen Idealbild gleichen zu wollen. Klüger, belesener, witziger als die meisten ihrer Mitschwestern zu sein, gewährte ihr wenig Trost; sie hatte den Ehrgeiz, wegen ihrer Flottheit und Hübschheit umworben zu werden. Jungmädchenromantik und altkluge Skepsis trieben in ihrer Seele ein verworrenes Spiel. Männersüchtig wie sie war, hatte sie schon verschiedene Herzensintrigen durchgemacht und auch mehrere Anträge bekommen. Doch hatte im letzten Augenblick stets ihre vorsichtige Klugheit gesiegt, da es zu offensichtlich war, daß man sie nur ihres Geldes wegen begehrte.

Nun hatte ein Zufall sie mit Heinz Tann zusammengeführt. Dessen knabenhafte, frische Männlichkeit, die Fröhlichkeit seines reinen Herzens, die ihm so viele Herzen gewann, wirkte auf sie wie reines Waldweben auf müde Großstadtnerven. Es war ihr nicht anders, als hätte der Held ihrer Träume Leib und Leben bekommen. Aber zugleich mußte sie über ihn spotten. »Ich habe einen furchtbar komischen, naiven Jungen kennen gelernt. Einen zweiten Parsifal. Den werde ich mal recht verrückt machen,« hatte sie zu ihrem Bruder, den sie manchmal zu ihrem Vertrauten machte, geäußert.

Sie wollte ihn unter ihre Macht zwingen. Weiter gingen ihre Absichten nicht. Das wäre ihr vielleicht auch gelungen, wenn sie weniger verliebt und weniger aufgeregt gewesen wäre.

So aber empfand Heinz, ihm selbst nur halb bewußt, an ihrer Seite stets eine ungemütliche Spannung. Zu seinem Glück ahnte er nicht, was in ihr vorging, und hielt das mit dem Kurmachen für einen harmlosen Scherz. Er fand sie nur oft etwas albern und dachte: Sie kann so nett und vernünftig sein, warum macht sie solche Mätzchen? Gewöhnlich trollte er schweigsam und gedankenfern an ihrer Seite wie ein ernsthafter Bernhardiner neben einem aufgeregt kläffenden Pinscher. Manchmal freilich waren seine Antworten auch von verletzender Aufrichtigkeit. Dann vergaß Margot ihre Klugheit und machte ihm geradezu Vorwürfe. Einmal sagte sie ganz giftig:

»An Irmgard sehen Sie jeden neuen Knopf, bei mir nicht mal, wenn ich ein neues Kleid anhabe.« Er schwieg zuerst und erwiderte dann: »Das kommt daher, daß Irmgard eigentlich immer dasselbe anhat, Sie aber alle Tage was anderes. Nach meiner Meinung ziehen Sie sich viel zu fein an. Zum Sport kann man nicht einfach genug sein.«

Den ganzen Nachmittag hatte sie ihn schlecht behandelt, ließ aber seitdem ihre auffallenden Seidenblusen und ihre Brillantspangen zu Hause.

Irmgard war die Aufgabe zugefallen, Viktors Komplimente über sich ergehen zu lassen. Mit der fröhlichen Unbedingtheit junger Mädchen hatte sie ihn von Anfang an für den widerlichsten und aufdringlichsten Menschen von der Welt erklärt und sich einen ganz soliden Haß für ihn aufgespeichert. Nun machte es ihr ein teuflisches Vergnügen, ihn bis aufs Blut zu ärgern. Wenn er ihr nach seiner Meinung zarte und versteckte Schmeicheleien sagte, markierte sie »lange Leitung« und zwang ihn deutlicher zu werden, bis sie ihm erklären konnte, solche Plumpheiten sage ein geschmackvoller Mensch einer Dame nicht. Wenn er aufs Renommierroß stieg, feuerte sie ihn arglistig noch mehr an, bis sie ihn mit einer boshaften Wendung aus dem Sattel warf. Er hatte die Unklugheit besessen, von seinen Erfolgen beim weiblichen Geschlecht etwas verlauten und eine gewisse »tiptope« Münchener Kellnerin nicht unerwähnt zu lassen. Aber diese Kellnerin wurde ihm zum wahren Schreckensgespenst. Alle seine Hinweise auf das, was in der großen Welt Mode war, wurden mit dem Kehrreim beantwortet: »Das hat Sie wohl Ihre tiptope Mali gelehrt?«

Er schwitzte manchmal Blut, der unwiderstehliche Viktor. Ihm war zumute wie jemandem, der ein Adlerjunges gefangen hat und sich vor dessen Flügelschlägen nicht zu retten weiß. Aber je mehr Prügel er bekam, desto hartnäckiger wurde seine Lust, sich diesen wunderschönen, wilden Vogel doch noch zu zähmen.

So bildeten diese vier eigentlich zwei recht ungleiche Gespanne, und das Band, das ihre Freundschaft zusammenhielt, war ein wahrhafter Stacheldraht; denn auch die beiden Mädchen hackten gelegentlich mit scharfen Schnabelhieben aufeinander los. Das aber hinderte sie nicht, sich jeden Tag mit Ungeduld wieder zu treffen und die vergnügtesten Stunden miteinander zu verleben.

Außerdem freilich unterhielten Irmgard und Heinz noch eine Art Geheimverkehr, indem sie sich jeden Morgen am Gartenzaun trafen. Nur im Vorüberhuschen, der argwöhnischen Mutter wegen. Aber es reichte doch, um sich gegenseitig ihre Herzensnöte und Wünsche mitzuteilen. Irmgard, der Schmetterling, war von Herzen ein tapferer, kleiner Kerl, den nach ernsterem Tun verlangte, als umherzuflattern und liebenswürdig oder boshaft zu sein. Gern hätte sie die Gartenbauschule besucht, und noch lieber wäre sie Krankenpflegerin geworden, welche Kunst sie bei ihrem siechen Vater gelernt hatte. Doch von alledem wollte ihre Mutter nichts wissen ... Und Heinz war in bezug auf die Finanzierung seiner neuen Laufbahn auch noch nicht über das Kopfzerbrechen hinausgekommen. Dafür aber hatte er in dem jodoformduftenden Studenten, namens Brandis, dessen Nachbarplatz er noch mehrmals eingenommen, eine wertvolle Bekanntschaft gemacht. Der freute sich, dem jungen Adepten behilflich zu sein. Er lieh ihm Bücher und riet ihm, welche Kollegs zu schinden ersprießlich sei. Seitdem machte Heinz ganz ernsthafte Fortschritte in der Medizin und war von seinem neuen Wissen so begeistert, daß die kurzen Unterhaltungen zwischen Irmgard und ihm manchmal anatomischen Kollegs glichen.

Sonntag nachmittag gab es in der Villa Guhnott stets Jugendvergnügen.

Es kamen Professorenfrauen und ihre Töchter, Studenten, doch verhältnismäßig wenige, Leutnants und einige Kunstschüler aus Weimar.

Das Glück, den Geheimrat selbst zu treffen, hatte Heinz bei diesen Gelegenheiten nur einmal. Für gewöhnlich fuhr Guhnott über Sonnabend und Sonntag nach München, wo ein reicher Amerikaner, den er im Winter operiert hatte, sich noch in seiner Nachbehandlung befand.

Viktor und seine Schwester wußten es stets so einzurichten, daß die alten Damen die Jugend bald unter sich ließen. Denn Frau Raumer mit ihrem ewigen: »Irmgard, halt dich gerade! Irmgard, dein Kleid! Irmgard, du bist schon wieder erhitzt!« trug nicht sehr zur Belustigung bei. Frau Guhnott machte sich wenigstens nützlich, indem sie dem jungen Volk zum Tanz aufspielte.

Eines Sonntags hatte man sich wieder im Garten vergnügt. Eine Gewitterwolke hing schwer am Himmel. Die Luft war schwül. Das übte seine Wirkung aus. Die Lustigkeit steigerte sich zu lärmender Ausgelassenheit, und dabei schwirrten allerhand Gereiztheiten durch die lachende und tollende Gesellschaft. Zwei Studenten hatten sich einer jungen Dame wegen bereits »angepflaumt«. Margot hatte Heinz eine Szene gemacht, weil er Irmgard beim »Verwechselt-das-Bäumchen« bevorzugt, sie aber skandalös vernachlässigt hätte. Heinz wieder grollte Irmgard, weil diese ihn, wie er meinte, kühl behandelt hatte.

Dann ging man ins Zimmer, trank ein paar Gläser Bowle, rauchte Zigaretten, während ein Kunstschüler zur Laute lustige Lieder sang.

Der in diesem Kreis ohnehin etwas freie Ton wurde noch ausgelassener. Jemandem fiel es ein, daß noch Pfänder zu verlosen seien.

Allerhand verfängliche Aufgaben wurden gestellt. Margot verwahrte die Pfänder in einer Handtasche.

»Was soll der tun, dem dies Pfand gehört?«

»Vor seiner Dame einen Kniefall machen und ihr einen Kuß geben,« schlug ein Kunstschüler vor.

»Auf die Hand!« riefen die jungen Mädchen.

»Nein, auf den Mund!« antworteten die jungen Herren.

»Nach Wunsch!« entschied ein junges Mädchen.

»Des Herrn natürlich!«

»Nein, der Dame!«

Alle waren gespannt. Jeder hoffte, sein Pfand komme an die Reihe. Viktor machte seiner Schwester Zeichen und Wunder. Heinz runzelte die Brauen.

Da öffnete Margot die Hand und sagte mit erheucheltem Staunen:

»Ach, jetzt habe ich vergessen, ein Pfand zu nehmen.«

Rasch griff sie in die Tasche und holte ein Messer hervor.

»Wem gehört das?«

»Unbesehen Herrn Tann,« entschied ein Leutnant.

Man lachte.

»Gott, ich hatte doch keine Ahnung!«

Heinz blickte Irmgard an. In diesem Augenblick wäre es ihm wie Verrat erschienen, wenn er nicht ihr seine Huldigung dargebracht hätte. Margot erblaßte. Erschreckend trat die Heftigkeit ihrer Empfindungen zutage. Aber Heinz bemerkte es nicht. Er sah nur Irmgard. Da ... schüttelte sie nicht kaum merkbar den Kopf?

Schon machte er einen Schritt den Mädchen, die in einem Halbkreis saßen, entgegen. Da erschrecke ihn wieder diese leise Bewegung und ein sekundenlanger Blick, der ihn in die Richtung nach Margot wies.

In diesem Augenblick wurde er irre an Irmgard. Er verstand nur: Sie will meine Huldigung nicht. Sie schickt mich zu der anderen.

Sein Herz schwoll und krampfte sich schmerzhaft zusammen.

Er folgte dem Wink ... doch mit todernstem Gesicht. Langsam ging er auf die jetzt strahlende Margot zu und kniete nieder, während sie ihm die Hand hinhielt.

»Den Mund! Den Mund!« riefen einige.

»Schicken wir sie lieber vor die Tür. Beim Küssen ist man nicht gern gesehen.«

»Drehn wir uns alle um!«

Unter allgemeinem Lachen wurde der Rat befolgt. Margot beugte sich herunter, Heinz hätte nur den Kopf zu erheben brauchen, so hätte sein Mund den ihren erreicht. Er aber zog mit vorwärts geneigtem Gesicht ihre Hand an seine Lippen und kehrte rasch an seinen Platz zurück.

Bald darauf kamen die älteren Damen herein, um sich zu verabschieden. Irmgard wurde von ihrer Mutter ermahnt, ja recht pünktlich zum Abendessen nach Hause zu kommen. Doch das Gewitter, das jetzt niederging, vereitelte die Befolgung.

Das junge Volk blieb noch zu einem Butterbrot. Heinz ließ sich seine Verstimmung nicht merken. Er wählte sich als Tischnachbarin ein ausgesucht häßliches Mädchen, gegen das er von aufgeräumter Liebenswürdigkeit war. Später hatte er wenigstens die seltene Genugtuung, Irmgard allein nach Haus zu bringen, da Viktor notgedrungen einige andere Damen begleiten mußte.

Es hatte aufgehört zu regnen, aber die Straßen waren noch naß. Große Pfützen dehnten sich. Irmgard plauderte munter, während er einsilbig antwortete.

Sie sprach von einem Herrn, den sie fad und phrasenhaft nannte.

»Also meinen Sie, daß man natürlich sein soll?«

»Selbstverständlich!«

»Und doch haben Sie mich vorhin gezwungen zu heucheln!«

Sie erhob den Kopf, so daß er ihr Gesicht sehen konnte. Übermütiger Schalk glitzerte im Dunkel ihrer Augen.

»Sie wissen doch, was ich meine?«

Sie nickte mehrmals rasch und kurz. Und im Lächeln öffneten sich ein wenig ihre Lippen, so daß die Zähne hindurchschimmerten.

»Den ganzen Abend war ich tieftraurig ... durch Ihre Schuld.«

»Ach!«

Und dies »Ach!« begleitete ein weiches Lachen nach Taubenart.

»Sie lachen!« stieß er erregt hervor.

»Ja – weil Ihr Männer manchmal so dumm seid.«

Da wurde ein nebliges »Vielleicht?« in ihm zum strahlenden: »So ist es!« Sie hatte nur nicht gewollt, daß er seine Empfindungen vor den anderen preisgab. Seine Scham war tief, aber noch viel höher die Welle seines Glücks.

»Dann brauchte ich wohl gar nicht traurig zu sein?«

Wieder sah sie ihn an, mit demselben silbrigen Spott im Sammet ihrer Augen, doch ohne zu antworten.

»War der Grund der ...?«

»Nicht weiter fragen!« unterbrach sie ihn rasch.

»Warum nicht?«

»Man muß nicht alles aussprechen.«

»Aber einen Kuß habe ich zu gut!«

Schon war ihr Haus in Sicht. Die Straße war menschenleer. Die Häuserreihe zeigte schon große Lücken. Ein einziges Paar, ein Soldat mit einem Mädchen, ging ihnen entgegen. Sobald das vorüber war, schob er seinen Arm unter den Irmgards, ergriff ihre Hand, die sie ihm ließ, öffnete die beiden Handschuhknöpfe und drückte rasche Küsse auf die feine Haut, in der das Blut klopfte und pulste.

»Schöne, liebe Irmgard! Wenn hier nicht Häuser wären, möchte ich am liebsten niederknien. Feine, wundervolle, kluge Irmgard! Verzeihen Sie mir, daß ich Sie mißverstanden habe.«

Mit sanftem Griff umschlang er ihre Taille und, stehen bleibend, bog er sie zurück, sah ihr mit entzücktem Blick in die großen schimmernden Augen und küßte sie auf den Mund.

»Mir gut?«

»Lieber Heinz!«

»Glücklicher, glücklicher Heinz!«

Sie hörten Schritte. Ganz sittsam gingen sie nebeneinander.

Als das Mädchen die Tür öffnete, drehte Irmgard sich rasch um und warf ihm mit strahlendem Lächeln eine Kußhand zu.

Noch lange saß Heinz am Fenster seines Zimmers und blickte in die Nacht hinaus ... in eine Nacht, strahlender als mancher Sommertag. Sternbilder ohne Zahl schimmerten am Himmel wie Spiegelungen seines von Glück leuchtenden Innern. Ihm war zumute, als säße er, von einem reichen Mann zu Tisch geladen, an einer mit verschwenderischer Fülle gedeckten Tafel. Aber der wundertätige Gastgeber war sein eigenes Herz, das den Reichtum seiner Jugend und seiner Liebe über ihn ausschüttete.

Irmgards Bild umschwebte ihn und ließ ihn erbeben. Zukunftsgedanken stiegen in ihm auf und machten sein Herz rascher schlagen.

Nun fühlte er sich nicht mehr allein, sondern sich in Irmgard und sie in ihm. Nun konnte kein Bedenken und keine Furcht seinem granitnen Entschluß mehr etwas anhaben. Er mußte Arzt werden, um für Irmgard etwas Großes werden zu können. Und was gab es Herrlicheres, als dem grimmigsten Feind der Menschheit Fehde anzusagen, Kranken zu helfen und Leiden zu lindern? War das nicht auch ihr Traum? Und war nicht dann seine Zukunft ganz sein eigenes Werk? Als Arzt brauchte er nicht auf Beförderung zu warten, hatte nicht mit Vordermännern zu rechnen, die seine Ungeduld aufzehrten. Sein Können, seine Tüchtigkeit brachten ihn vorwärts.

Auch jetzt in dieser Sternenstunde täuschte er sich nicht über die Schwierigkeiten hinweg. Aber er freute sich ihrer. Es hätte den in ihm sich regenden Kräften übel gepaßt, wenn der Weg zum Ziel straßenglatt vor ihm gelegen hätte. Er wollte sich mühen und sorgen und kämpfen ... um Irmgards willen. Dieser höchste Preis mußte eines heißesten Kampfes Belohnung sein.

So träumte er, bis die Silbersaat oben verblühte. Da ergriff ihn stürmische Ungeduld. Obwohl der Morgen schon graute, schien es ihm doch eine halbe Ewigkeit zu dauern, bis er Irmgard wiedersah. Nun wünschte er in tiefer Bewußtlosigkeit zu liegen, daß die Stunden hinschmolzen wie Schnee an der Maisonne.

Resolut warf er die Kleider ab, und die Kraft der Jugend stand ihm bei. Aus Geigentönen der Liebe, aus Lichterglanz der Hoffnungen sank er in sanften Schlummer.


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