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Drittes Kapitel
Das byzantinische Reich

Mit Konstantin dem Großen kam die christliche Religion auf den Thron des Kaiserreichs; auf diesen folgt nun eine Reihe von christlichen Kaisern, die nur durch Julian unterbrochen wird, der aber nur wenig für die gesunkene alte Religion tun konnte. Das römische Reich umfaßte die ganze gebildete Erde, vom westlichen Ozean bis an den Tigris, vom Inneren von Afrika bis an die Donau (Pannonien, Dacien). In diesem ungeheuren Reiche war bald die christliche Religion allgemein verbreitet. Rom war schon lange Zeit nicht mehr die absolute Residenz der Kaiser: mehrere Imperatoren vor Konstantin hatten in Mailand oder an andern Orten residiert, und dieser errichtete eine zweite Residenz in dem alten Byzanz, welches den Namen Konstantinopel annahm. Gleich von Anfang an bestand hier die Bevölkerung aus Christen, und Konstantin wandte alles auf, um seine neue Residenz der alten an Pracht gleichzumachen. Das Reich bestand noch immer in seiner Totalität, bis Theodosius der Große die schon früher auf Zeiten stattgehabte Trennung bleibend machte und dasselbe unter seine beiden Söhne verteilte. Die Herrschaft des Theodosius trug den letzten Schimmer des Glanzes an sich, der die römische Welt verherrlicht hatte. Unter ihm wurden die heidnischen Tempel geschlossen, die Opfer und Zeremonien abgeschafft und die heidnische Religion selbst verboten; nach und nach ist aber diese ganz von selbst verschwunden. Die heidnischen Redner dieser Zeit können ihr Staunen und ihre Verwunderung nicht genug über den ungeheuren Kontrast früherer und jetziger Zeit ausdrücken. »Unsre Tempel sind zu Gräbern geworden. Die heiligen Orte, welche früher mit den heiligen Bildsäulen der Götter geschmückt waren, sind jetzt mit heiligen Knochen (Reliquien der Märtyrer) bedeckt, Menschen, die einen schmählichen Tod um ihrer Verbrechen willen erduldet haben, deren Leiber mit Striemen bedeckt sind, und deren Köpfe eingesalzen worden sind, sind der Gegenstand der Verehrung.« Alles Verächtliche ist erhaben und alles, was früher für hoch gehalten worden ist, in den Staub getreten. Diesen ungeheuren Kontrast sprechen die letzten Heiden mit tiefer Klage aus.

Das römische Reich wurde unter die beiden Söhne des Theodosius geteilt. Der ältere, Arkadius, erhielt das morgenländische Reich: das alte Griechenland mit Thracien, Kleinasien, Syrien, Ägypten; der jüngere, Honorius, das abendländische: Italien, Afrika, Spanien, Gallien, Britannien. Unmittelbar nach dem Tode des Theodosius trat Verwirrung ein, und die römischen Provinzen wurden von den auswärtigen Nationen überwältigt. Schon unter dem Kaiser Valens hatten die Westgoten, von den Hunnen bedrängt, Wohnsitze diesseits der Donau verlangt; sie wurden ihnen zugestanden, indem sie dafür die Grenzprovinzen des Reiches verteidigen sollten. Aber schlecht behandelt, empörten sie sich; Valens wurde geschlagen und blieb auf dem Schlachtfelde. Die späteren Kaiser schmeichelten den Fürsten dieser Goten. Alarich, der kühne Gotenfürst, wandte sich gegen Italien. Stilicho, der Feldherr und Minister des Honorius, hielt ihn im Jahre 403 nach Chr. Geburt durch die Schlacht von Pollentia auf, sowie er später auch den Radagaisus, Heerführer der Alanen, Sueven und andrer, schlug. Alarich wandte sich nun gegen Gallien und Spanien und kehrte dann, als Stilicho gestürzt war, nach Italien zurück. Rom wurde von ihm im Jahre 410 gestürmt und geplündert. Später näherte sich Attila mit der furchtbaren Macht der Hunnen, – eine der rein orientalischen Erscheinungen, die wie ein bloßer Gewitterstrom anschwellen, alles niederreißen, aber auch nach weniger Zeit so verflossen sind, daß man nur ihre Spuren in den Ruinen, die sie zurücklassen, nicht aber sie selbst mehr sieht. Attila drang in Gallien ein, wo ihm unter Aëtius, im Jahre 451, bei Chalons an der Marne ein heftiger Widerstand entgegengesetzt wurde. Der Sieg blieb unentschieden. Attila zog dann später nach Italien und starb im Jahre 453. Bald darauf wurde aber Rom von den Vandalen unter Genserich genommen und geplündert. Zuletzt wurde die Würde der weströmischen Kaiser zur Farce, und ihrem leeren Titel machte endlich Odoaker, König der Heruler, ein Ende.

Das östliche Kaiserreich blieb noch lange bestehen, und im westlichen bildete sich ein neues Volk von Christen aus den hereingekommenen barbarischen Horden. Die christliche Religion hatte sich anfangs von dem Staate entfernt gehalten, und die Ausbildung, die sie bekam, betraf das Dogma und die innere Organisation, die Disziplin usw. Jetzt aber war sie herrschend geworden: sie war nun eine politische Macht, ein politisches Motiv. Wir sehen nun die christliche Religion in zwei Formen: auf der einen Seite barbarische Nationen, die in aller Bildung von vorne anzufangen haben, die für Wissenschaft, Rechtszustand, Staatsverfassung die allerersten Elemente erst zu gewinnen hatten, auf der andern Seite gebildete Völker, im Besitz griechischer Wissenschaft und feinerer morgenländischer Bildung. Die bürgerliche Gesetzgebung war bei ihnen vollendet, wie sie die großen römischen Rechtsgelehrten aufs vollständigste ausgebildet hatten, so daß die Sammlung, welche der Kaiser Justinian davon veranstaltete, noch heute die Bewunderung der Welt erregt. Hier wird die christliche Religion in eine fertige Bildung gesetzt, die nicht von ihr ausgegangen; dort hingegen fängt der Bildungsprozeß ganz von vorne an, und zwar vom Christentume aus.

Diese beiden Reiche bilden so einen höchst merkwürdigen Kontrast, worin wir das große Beispiel von der Notwendigkeit vor Augen haben, daß ein Volk im Sinne der christlichen Religion seine Bildung hervorgebracht haben müsse. Die Geschichte des hochgebildeten oströmischen Reiches, wo, wie man glauben sollte, der Geist des Christentums in seiner Wahrheit und Reinheit aufgefaßt werden konnte, stellt uns eine tausendjährige Reihe von fortwährenden Verbrechen, Schwächen, Niederträchtigkeiten und Charakterlosigkeit dar, das schauderhafteste und deswegen uninteressanteste Bild. Es zeigt sich daran, wie die christliche Religion abstrakt sein kann und als solche schwach ist, eben weil sie so rein und in sich geistig ist. Sie kann auch ganz von der Welt getrennt sein, wie z. B. im Mönchtum, das in Ägypten seinen Anfang genommen hat. Es ist eine gewöhnliche Vorstellung und Redensart, wenn man von der Macht der Religion als solcher über die Gemüter der Menschen spricht, daß, wenn die christliche Liebe allgemein wäre, das Privatleben sowohl als das politische vollkommen und der Zustand durchaus rechtlich und sittlich sein würde. Dergleichen kann ein frommer Wunsch sein, aber enthält nicht das Wahre; denn die Religion ist ein Inneres, das lediglich dem Gewissen angehört; dem stehen alle Leidenschaften und Begierden gegenüber, und damit das Herz, der Wille, die Intelligenz wahrhaft werden, müssen sie durchgebildet werden, das Rechte muß zur Sitte, zur Gewohnheit werden, die wirkliche Tätigkeit muß zu einem vernünftigen Tun erhoben sein, der Staat muß eine vernünftige Organisation haben, und diese macht erst den Willen der Individuen zu einem wirklich rechtlichen. Das Licht in das Dunkle scheinend gibt wohl Farbe, aber nicht ein vom Geiste beseeltes Gemälde. Das byzantinische Reich ist ein großes Beispiel, wie die christliche Religion bei einem gebildeten Volke abstrakt bleiben kann, wenn nicht die ganze Organisation des Staates und der Gesetze nach dem Prinzipe derselben rekonstruiert wird. Das Christentum war zu Byzanz in die Hände des Abschaums und des ungebändigten Pöbels gelegt. Die pöbelhafte Wildheit einerseits und dann die höfische Niederträchtigkeit auf der andern Seite legitimiert sich durch die Religion und entweiht diese zu etwas Scheußlichem. Hinsichtlich der Religion waren zwei Interessen vorwiegend: zuerst die Bestimmung des Lehrbegriffs und dann die Besetzung der geistlichen Ämter. Die Bestimmung des Lehrbegriffs fiel den Konzilien und Gemeindevorstehern anheim, aber das Prinzip der christlichen Religion ist Freiheit, subjektive Einsicht: darum lagen die Streitigkeiten ebenso in den Händen des Haufens, es entwickelten sich heftige Bürgerkriege, und überall traf man auf Szenen von Mord, Brand und Raub, um christlicher Dogmen willen. Eine berühmte Abweichung in dem Dogma des Τριςάγιον war zum Beispiel folgende. Die Worte lauten: »Heilig, heilig, heilig ist der Herr Gott Zebaoth.« Dazu machte nun eine Partei zur Ehre Christi den Zusatz: »der für uns gekreuzigt worden,« eine andre wollte diesen nicht gelten lassen, und es kam zu blutigen Kämpfen. In dem Streit, ob Christus ὁμοούσιος oder ὁμοιούσιος sei, das heißt, von gleicher oder von ähnlicher Beschaffenheit mit Gott, hat der eine Buchstabe ι vielen Tausenden das Leben gekostet. Berühmt sind besonders die Bilderstreitigkeiten, bei denen es oft geschah, daß der Kaiser für die Bilder Partei nahm und der Patriarch dagegen oder auch umgekehrt. Ströme von Blut sind deshalb vergossen worden. Bei Gregor von Nazianz heißt es irgendwo: »Diese Stadt (Konstantinopel) ist voll von Handwerkern und Sklaven, welche alle tiefe Theologen sind und in ihren Werkstätten und auf den Straßen predigen. Wenn ihr von einem Manne ein Silberstück gewechselt haben wollt, so belehrt er euch, wodurch der Vater vom Sohne unterschieden sei; wenn ihr nach dem Preis eines Laibs Brot fragt, so wird euch zur Antwort, daß der Sohn geringer sei als der Vater, und wenn ihr fragt, ob das Brot fertig, so erwidert man euch, daß der Sohn aus Nichts geworden.« Die Idee des Geistes, welche im Dogma enthalten ist, wurde so völlig geistlos behandelt. Die Besetzung des Amtes der Patriarchen zu Konstantinopel, Antiochien und Alexandrien sowie die Eifersucht und Ehrsucht dieser Patriarchen untereinander verursachte ebenfalls viele Bürgerkriege. Zu allen diesen religiösen Streitigkeiten kam noch das Interesse an den Gladiatoren und ihren Kämpfen, an den Parteien der blauen oder der grünen Farbe, welches ebenfalls zu den blutigsten Kämpfen führte, ein Zeichen der furchtbarsten Entwürdigung, weil dadurch bewiesen wird, daß aller Sinn für Wichtiges und Höheres verloren ist, und daß der Wahnsinn religiöser Leidenschaftlichkeit sich sehr gut mit der Schaulust an unkünstlerischen und grausamen Spielen verträgt.

Die Hauptpunkte der christlichen Religion wurden endlich nach und nach durch die Konzilien festgesetzt. Die Christen des byzantischen Reiches blieben in dem Traum des Aberglaubens versunken, im blinden Gehorsam gegen die Patriarchen und die Geistlichkeit verharrend. Der schon oben erwähnte Bilderdienst veranlaßte die heftigsten Kämpfe und Stürme. Der tapfere Kaiser Leo der Isaurier besonders verfolgte die Bilder mit der größten Hartnäckigkeit, und der Bilderdienst wurde im Jahre 754 durch ein Konzil für eine Erfindung des Teufels erklärt. Nichtsdestoweniger ließ ihn die Kaiserin Irene im Jahre 787 durch ein Nizäisches Konzilium wieder einführen, und die Kaiserin Theodora setzte ihn 842 definitiv durch, indem sie mit energischen Strafen gegen die Bilderfeinde verfuhr. Der ikonoklastische Patriarch bekam 200 Prügel, die Bischöfe zitterten, die Mönche frohlockten, und das Andenken an diese Orthodoxie wurde durch ein kirchliches Fest jährlich gefeiert. Das Abendland verwarf dagegen noch im Jahre 794 den Bilderdienst in der Kirchenversammlung zu Frankfurt, und indem man die Bilder zwar beibehielt, tadelte man doch aufs schärfste den Aberglauben der Griechen. Erst im späteren Mittelalter fand der Bilderdienst durch stille und langsame Fortschritte allgemeinen Eingang.

Das byzantinische Kaisertum war so durch alle Leidenschaften in sich zerrissen, und von außen her drängten die Barbaren, denen die Kaiser wenig entgegenzustellen hatten. Das Reich war in einem fortdauernden Zustand von Unsicherheit und stellt im ganzen ein ekelhaftes Bild der Schwäche dar, worin elende, ja absurde Leidenschaften nichts Großes an Gedanken, Taten und Individuen aufkommen lassen. Aufruhr der Feldherren, Sturz der Kaiser durch dieselben oder durch Intriguen der Hofleute, Ermordung oder Vergiftung der Kaiser durch ihre eignen Gemahlinnen und Söhne, Weiber, allen Lüsten und Schandtaten sich hingebend, – das sind die Szenen, welche die Geschichte uns hier vorüberführt, bis endlich das morsche Gebäude des oströmischen Reiches von den kräftigen Türken gegen die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts (1453) zertrümmert ward.


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