Alfred von Hedenstjerna
Allerlei Leute – Erster Band
Alfred von Hedenstjerna

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VI.

Ein gebrochener Mann und ein gebundenes Weib.

»Ich bin ein gebrochener Mann, Pastor! Sprechen Sie milde mit mir!« seufzte der alte Fahnjunker Oern.

Es war für Arvid einer seiner ersten Krankenbesuche, obgleich man nun schon ziemlich weit im Juni war. Doch das arme Volk in Quislinge hatte nicht Zeit, während der eiligen Frühlingsarbeit krank zu liegen; das mußten die Leute im Winter oder vor der Ernte abmachen, und wollten sie sterben, so kam es am wenigsten ungelegen im October, wenn der Roggen gesäet und die Kartoffeln aufgenommen waren.

Doch der alte Oern hatte mit seinen zitternden, mageren Armen nichts mehr ausrichten können, und darum konnte er es sich erlauben, sich zum Sterben nieder zu legen, während die Linde blühte und der Apfelbaum vor dem Giebelfenster sein weißes Sommerkleid auf die kleinen bleigefaßten Scheiben streute.

Oern war in seinen jungen Tagen kein sogenannter braver Mann gewesen. Er hatte ein wildes Leben geführt und nicht bis zur Pensionirung beim Militär bleiben können. Nachher hatte er sich durchgeschlagen, Gott weiß wie, in einer baufälligen Hütte mitten im Walde, zu der kein Fahrweg führte, und wohin nur zwei Mal wöchentlich ein Mädchen vom Nachbarhofe mit etwas Milch kam. Als sie das letzte Mal dagewesen war, hatte sie die Wassertonne leer und den Alten, außer Stande sich zu erheben, im Bette gefunden.

Da wollte er den Pastor haben. Sonst schimpfte er stets auf die Pfaffen und war seit fünfzehn Jahren nicht in der Kirche gewesen. Seine Frau war schon vor vielen Jahren gestorben, an der Schwindsucht, sagte er, aber das war eine solche Schwindsucht gewesen, wie man sie von Nachtwachen, Thränen und Furcht vor Mißhandlungen bekommt. Ob er kinderlos war, wußte er selbst nicht. »Einer von meinen vier Rangen lebt gewiß noch irgendwo in Amerika, wenn er nicht auch schon crepirt ist!«

Doch war des Alten Gottlosigkeit nicht von der reflectirenden Art. Sie war blos eine Seite eines ungezügelten, lebenslangen Ausbruches, eines bösen, verkehrten Sinnes. Sie wich der Todesfurcht, und mit Thränen auf den eingeschrumpften Wangen versuchte er nun das schmutzige, graue, bartbewachsene Antlitz zu dem Prediger zu erheben, während er flüsterte:

»Ich bin ein gebrochener Mann, Pastor! Sprechen Sie mild mit mir!« Dann sank er auf seinen Strohsack zurück und schloß einen Moment die Augen.

»Sind Sie der neue Pastor?« flüsterte er dann.

»Ja, aber mit der alten Botschaft für den, der sie mit offenem reuigen Herzen aufnehmen will«, antwortete Arvid freundlich und setzte sich auf einen Dreifuß am Tische.

»Aber ... aber ... für mich giebt es wohl keine Gnade? Ich bin in meinen jungen Tagen so wild gewesen, und dann – später – auch. Und nun ist die Zeit so kurz, so kurz«, seufzte der Alte, und Thränen rollten in seinen struppigen grauen Bart.

»Ja, sehen Sie, Herr Oern, Gott hat uns natürlich nicht Kraft, Vernunft, einen gesunden Körper und ein ganzes langes Leben dazu gegeben, daß wir dies alles im Dienste der Sünde anwenden, und erst dann – wenn die Kraft verbraucht, die Vernunft erschlafft, die Gesundheit gebrochen und das Leben verschleudert ist – uns zu Ihm wenden und Ihm die Ruinen dessen weihen, was einst sein eigenes Bild war. Aber sein Wort steht doch ewig fest: »Wer da anklopfet, dem wird aufgethan!« Es heißt nicht: »Wer jung und stark zu mir kommt« oder »Wer mit guten Handlungen zu mir kommt« oder »Wer zu mir kommt, während er noch Zeit hat sich zu bessern«, nein, es handelt sich nur darum, daß man wirklich »kommen« will, mit Sünde und Scham, mit Qual und Weh. Wollen Sie nun so kommen, Herr Oern?«

Die schmalen, ausgemergelten Hände kamen unter der zerlumpten Decke hervor, und eine Thräne nach der anderen fiel auf den Strohsack nieder. Und nun folgte eine ernste, warme Beichte, worin dem Alten an's Herz gelegt wurde, sich genau zu prüfen, ob seine Reue nur ein Erzeugniß des Schreckens wäre, den man auf der Schwelle zum Thale der Schatten empfindet, oder ob er sich wirklich vor sich selbst und seinem vergangenen Leben entsetzte. Dann kam Trost, Hoffnung, Licht und Seligkeit. Und die weißen Apfelblüthen fielen weich gegen die kleinen, schmutzigen Scheiben, und durch das offene Giebelfenster sang ein kleiner geflügelter Sommerbote von Auferstehung und ewigem Frühling; und Arvid sprach wärmer, inniger, besser zu dem Accompagnement des Vogelsanges als zu dem des alten Küsters in der Kirche.

Schließlich erhob er sich, um zu gehen.

»Wo ist das Mädchen, das mich begleitet hat, geblieben? Sie sind zu schwach, um nun allein zu bleiben.«

»Herr Oern wird nicht mehr einsam sein. Ich habe eine Wärterin besorgt.«

Die Antwort kam aus der halb geöffneten Thür der nebenan liegenden Kammer. Auf der Schwelle stand Gerda Stalsköld mit brennenden Wangen und Thränen in den großen, tiefen Augen.

Es war Arvid, als drängte sich ihm alles Blut in's Gesicht.

»Sie hier, Baronesse?«

»Ja, ich hörte gestern, wie verlassen und hülflos der alte Fahnjunker hier läge und deshalb ...«

»Ja, Gott segne ...«, murmelte es vom Bette her.

Erst jetzt sah sich Arvid im Zimmer um. Auf dem Heerde stand eine Terrine mit Suppe und eine Flasche Bordeaux. Ja so, das Fräulein auf Hjelmskog pflegte in den Hütten umher zu gehen und den hülfreichen Engel zu spielen!

Das Fräulein hatte sich diese Sachen von einem Mädchen hertragen lassen, das bis zur Ankunft der Krankenwärterin bleiben sollte. Nachdem sie dem alten Oern ein freundliches Lebewohl gesagt hatten, traten Gerda und Arvid auf die morschen Thürstufen hinaus.

»Warten Sie ein wenig, Herr Pastor! Ich habe einen Freund hier im Gebüsche«, rief Fräulein Gerda und ging von dem kleinen Steige in den Wald hinein.

Arvid sah düster aus und fühlte sich erregt, ohne selbst zu wissen warum. Das Samariterfräulein ließ sich also auf seinen Barmherzigkeitswegen vom Bräutigam begleiten! So vereint man das Nützliche mit dem Angenehmen!

Am liebsten wäre er nun seiner Wege gegangen, aber sie hatte ihm ja nicht Zeit gelassen sich zu verabschieden. Mit zögernden, widerwilligen Schritten folgte er ihr. Da lag natürlich der gräfliche Lieutenant auf dem Moose und vergnügte sich mit einer Havanna, vielleicht auch mit einem Romane von Zola oder Maupassant. Es fehlte nur noch, daß er auch ihn zum verborgenen Zuhörer gehabt hatte!

Da ertönte ein munteres Wiehern unter den Föhren, und er sah einen kleinen gelbweißen Schecken, der seine Herrin froh begrüßte und mit den kleinen buttergelben, glänzenden Hufen ungeduldig das Moos zerscharrte.

Hm! Ihr Anzug war ihm so absonderlich vorgekommen, das war also ein Reitkleid.

Von den beiden Theilen, aus denen ein rechtschaffener Centaur besteht, mochte Arvid in seiner augenblicklichen Laune das Pferd am liebsten. Sein Gesicht erhellte sich, und er beeilte sich, ihr beim Losbinden des Pferdes zu helfen.

Als sie auf dem Wege anlangten, machte er Miene, Gerda in den Sattel zu helfen, obgleich er, um die Wahrheit zu sagen, nicht recht wußte, wie man sich dabei zu benehmen habe.

Doch sie wand den Zaum um ihren runden Arm, sagte »Pfui, Zuleima!« zum Schecken und »Wenn Sie erlauben?« zum Pastor, und so ging man weiter.

Arvid fühlte sich so leicht zu Mute, wie er sich seit seiner Turnerzeit nicht gefühlt hatte. Er hätte über Büsche und Steine setzen mögen. Weshalb? Ja, hätte er das selbst gewußt, so wäre auch die Freude fort gewesen.

Sie hatten sich einige Male auf Hjelmskog und in der Umgegend gesehen, auch mehrmals zusammen musicirt; sie waren nun schon beinahe alte Bekannte.

»Danke, Herr Pastor, für – die Predigt, hätte ich beinahe gesagt, doch ich habe niemals in einer Kirche Etwas gehört, das einen so tiefen Eindruck auf mich gemacht hätte wie Ihre Worte drinnen.«

Sie deutete mit der Reitgerte auf Oerns Hütte und sah Arvid mit warmen, strahlenden Augen an. Wie keck saß der Cylinder mit dem weißen Schleier auf dem dunklen Kopfe! Wie prächtig trat ihre Büste in dem grünen eng anliegenden Kleide hervor. Er vergaß beinahe zu antworten.

»Hm, hielten Sie es für recht, so zu lauschen? Ich glaubte mich mit dem Kranken allein.«

»Ich bin allerdings so wohlerzogen, daß ich weiß, daß man eigentlich nicht lauschen darf; aber Gottes Wort anzuhören, kann wohl niemals unrecht sein, und in jedem Falle konnte ich Sie nicht begrüßen, da Sie schon Ihr Gespräch mit dem Alten begonnen hatten.«

Arvid lächelte.

»Aber Sie wissen vielleicht, Baronesse, daß es auch in unserer Kirche Etwas giebt, was man »Beichte« nennt, und was darin gesagt wird, muß zwischen ...«

»Allerdings, aber der alte Fahnjunker wußte, daß ich zugegen war.«

»Nun, in dem Falle bleibt mir nur die Freude, Sie als Zuhörerin gehabt zu haben.«

»Nun verstehe ich, wie Sie sich hier wohl fühlen können, trotz der Abgeschiedenheit und der – der kleinlichen Verhältnisse. Es muß schön und herrlich sein, einen Lebensgedanken so erfaßt zu haben und ihn Anderen so mittheilen zu können, wie Sie es thun. Einer solchen Lebensaufgabe gegenüber fühlt sich ein Anderer so klein und unnütz.«

»Nein, Baronesse, sagen Sie das nicht! Haben Sie nicht die schönste Lebensaufgabe? Einem Manne Alles zu sein, Einer von Zweien zu sein, deren Gedanken, Gefühle und Streben dieselbe Richtung haben, für zahlreiche Untergebe ... Au, es beißt!«

»Pfui, Zuleima! Nein, gewiß nicht, sie schnappt nur aus Spaß nach dem, welchen sie leiden mag. Sie können sich geschmeichelt fühlen. Aber wobei blieben wir stehen? Ja, glauben Sie wirklich, daß es viele solche Ehen giebt?«

Sie sah ihn mit tiefem Ernste an, als wollte sie ihm durch den Predigerrock blicken.

»Ich fürchte, nein! Aber so sollten alle sein.«

Einen Augenblick lang vernahm man nur das Knacken trockener Zweige und Zuleima's Hufschlag.

Konnten ihre Gedanken und Gefühle, konnte ihr Streben in steeple chase und Pferdestammbäumen aufgehen, konnte das Aussehen eines Rennpferdes und seine Dressur sie auf die Länge fesseln? Denke, wenn doch, bei Lichte besehen, die Ehe eine ernstere Sache war, als sie bisher gedacht hatte! Denke, wenn es zu früh wäre, mit dreiundzwanzig Jahren das Warten auf das – das – unaussprechlich Süße abzuschließen ... Dummheiten! Niemand auf der Welt würde ihr besser gefallen als Axel. Sie hatte ja so Viele gesehen.

Aber der Frühsommerwind sauste in den Tannen und Föhren, über den duftenden Wachholder und moosige Steine. Die Sommersonne schimmerte so zauberisch durch die wiegenden Baumkronen und spielte in den am Boden liegenden Nadeln. Ozonduft und Lebenslust küßten Wange und Nacken, und umsonst hatte er den Abendmahlskelch unter dem Arm. Was hilft es einem jungen, stolzen, schüchternen Männerherzen, sich mit einem schwarzen Rocke zu bepanzern, der bis an's Knie reicht und bis zum Kinn zugeknöpft wird!

Nun war der Fußpfad zu Ende und ihre Wege trennten sich. Arvid fühlte sich doch ein Bischen genirt, als er behutsam das Abendmahlsgeräth in die Preißelbeerstauden am Wege legte, sich beugte und seine breite, braune Hand als Stufe darbot. Ein leichter Druck auf seinen Fingern durchzuckte ihn mit elektrischem Schlage, eine weiche Hand lag eine Secunde lang auf seiner schwarzen Schulter, und dann galoppirte Zuleima fort.

Und aus einer Staubwolke glänzten ein Paar großer, klarer, brauner Augen, die Monate und Jahre durchfliegen und erspähen wollten, wie die Zukunft sich gestalten würde. Wie es kam, wußte sie nicht, aber sie dachte jetzt ernster darüber nach als bisher. Sie befragte das Schicksal. Herrlich würde die Zukunft sein, nicht wahr? Wie das glatte Parquett in Säfby's Sälen, wie ein gebahnter Weg in einer lachenden Wiese würde sie sein. Gleich und comme il faut waren ja Mann und Frau. Die Einrichtung und das wappengeschmückte Silberzeug waren bereit. Verkehr mit der besten Gesellschaft wartete ihrer. Niemals würde Axel die Pflichten eines Gentleman seiner Gräfin gegenüber außer Acht lassen, und sie, sie selbst brauchte nicht viel zu thun, um als edel und gut gepriesen zu werden. War das nicht Glück? – Ruhig, Zuleima! – Hin und wieder würde sie auch ihr Vaterhaus besuchen. – Wenigstens jeden Sommer. – Dann würde sie auch wohl zur Kirche fahren. – Die Sonntage sind ja so unerträglich lang auf dem Lande. – Pastor Magnusson sprach so wunderlich, so menschlich. Würde er hier ergrauen oder etwas Besseres bekommen? Wen würde er heirathen? Denn natürlich mußte er heirathen, sonst bleibt ein Pastor ja nicht arm genug. Eine kleine, dicke Pastorentochter vermutlich. Lotte oder Eva Strandin zum Beispiel.

Aber als sie sich diese kleine fade, einfältige Pastorin im Pastorstuhl sitzend und die Rührung empfindend, die Pastor Arvid seinen Zuhörern einzuflößen verstand, als sie sich dies Bild vorstellte, wurde sie nervös und wußte doch selbst nicht warum. Sie gab Zuleima einen Schlag, daß das Thier sich aufbäumte und in Windeseile durch die Allee nach Hjelmskog sauste.

Draußen auf dem Landswege nahm Arvid das Abendmahlsgeräth aus den Lingonstauden auf und ging leise vor sich hinsummend nach Quislinge.

Es thut mir leid, eingestehen zu müssen, daß sein Gesang nicht aus Phantasien über eine Kirchenmelodie bestand.


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