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Sechstes Kapitel

Mit dem Packer Bensen hatte es eine merkwürdige Bewandtnis.

Bald nach dem Kriege waren Werneuchens von Berlin nach München übergesiedelt. Ernst Alexander, der ja damals noch wohlhabend war, hatte das Häuschen in dem südlichen Vorort gekauft. Den Umzug hatte man einer kleinen Berliner Speditionsfirma anvertraut, die ihnen von Bekannten empfohlen worden war. Eines Tages war der Packer Bensch gekommen, um die Möbel einzupacken, bevor sie am nächsten Tag in den Möbelwagen geladen wurden.

Dieser Packer machte auf Werneuchens zunächst den allerbesten Eindruck. Er war ein ungewöhnlich kräftiger und gut gewachsener Mann von etwa dreißig Jahren. Nur sein Name berührte Werneuchen irgendwie unangenehm. Als Fahnenjunker, lange vor dem Kriege, hatte er unter den Diebereien und Frechheiten eines Kanoniers Bensch zu leiden gehabt. Dieser Kanonier war eine wahre Galgenphysiognomie gewesen, ein blonder, gelenkiger Kerl, eine Art Schlangenmensch, der sich überall durchwand und unter wunderbaren Gliederverrenkungen seine Hand in verschlossene Schränke und Kisten hineinzwängen konnte. Mit diesem Kanonier hatte der Packer gleichen Namens natürlich nichts zu tun. Der Packer war vielmehr dunkel von Haar und Haut, außerdem größer und stattlicher, er bestach auch mehr durch Kraft als durch Geschicklichkeit. Wenigstens schien das zunächst so.

Trotz dieser Verschiedenheiten wurde Werneuchen durch den gleichen Namen wieder an den Schrecken seiner Jugendzeit erinnert. Er hatte den Kanonier überhaupt nie ganz vergessen können. Sooft er von einem besonders scheußlichen Verbrechen hörte, stellte sich ihm das Bild dieses Kanoniers als des Täters ein. Es verfolgte ihn alle Jahre hindurch. Aber vielleicht war dieser Kanonier Bensch längst im Kriege gefallen oder ein braver Pferdeknecht auf irgendeinem Gut geworden.

Als der Packer Bensch auftauchte, drängte Werneuchen diese störenden Erinnerungen zunächst zurück. Immer mehr aber wuchsen die beiden Benschs ihm zu einer einzigen Person zusammen. Es kam ganz allmählich. Bensch arbeitete für drei und ließ seine Körperkräfte weidlich bewundern. Es lag sogar etwas Gutmütiges und Versöhnendes in dieser Athleteneitelkeit. Als er aber den Eindruck bemerkte, den sein Können hervorrief, setzte er etwas darein, den Werneuchens zu imponieren. Er zeigte ihnen, wie man durch Lösen einer einzigen Schraube das Silberzeug aus einem verschlossenen Büfett herausnehmen kann. Er hob vor ihren Augen mit einem kleinen Stemmeisen eine verschlossene Flügeltüre aus. Er konnte Kisten in einer Weise zunageln, daß jeder »Laie« sie für fest verschlossen halten mußte, der »Kenner« ihnen aber auch die größten Gegenstände mühelos entnehmen konnte. Dazu lachte er heiter, ließ die prachtvollen Zähne in seinem dunklen Gesicht blitzen und die großen schwarzen Augen funkeln. Er pflegte seine Kunststücke mit dem Wort zu begleiten: »Dem Bensch macht niemand etwas vor!« Zufällig hatte auch der Kanonier Bensch diese Redensart bei derartigen Gelegenheiten gebraucht.

Im übrigen packte Bensch großartig und mit einer Fixigkeit, daß die geräumige Fünfzimmerwohnung mit allem Porzellan und Geschirr, allen Bildern und Bronzen, mit dem ganzen Schurrmurr, wie es sich in einem Haushalt mit zwei Kindern ansammelt, noch vor Tagesablauf fertig verpackt dastand.

In jener Zeit, als sich Deutschland nach dem verlorenen Krieg zum Teil noch in großer Unordnung befand, kam es darauf an, daß der Möbelwagen möglichst rasch mit einem Zug abging. Stand er zu lange auf dem Bahnhof, bestand die Gefahr, daß er ausgeraubt wurde. Außerdem gingen die Tarife sprunghaft in die Höhe. Der Güterverkehr war unregelmäßig und unzuverlässig. Bensch, der natürlich alle Bahnbeamten kannte, versprach, »das Ding schon zu drehen«. Am nächsten Morgen, als der Möbelwagen vor der Tür stand, konnte er mitteilen, daß er eine Lore bekommen habe, auf der die Möbel am Mittag bereits nach München abdampfen und in vier Tagen dort sein würden. Man freute sich über die gute Gelegenheit.

Bensch schloß den vollgestopften Möbelwagen zu und übergab Werneuchen die Schlüssel.

»Jetzt ist er zu«, sagte er dabei mit seinem gewohnten Grinsen. »Wenn Sie ihn in München wieder aufmachen, werden wir sehen, ob noch etwas darin ist.«

»Nun, Herr Bensch,« versuchte Werneuchen auf den Scherz einzugehen, obwohl ihm der Mann immer unheimlicher wurde, »Sie können doch sicher aus einem verschlossenen Möbelwagen alle Möbel herausholen?«

Bensch versicherte, daß jetzt nichts geschehen könnte. »Er ist zu, und Sie haben den Schlüssel!« Dazu lachte er jedoch in einer Weise, daß Werneuchens ihre Möbel schon so gut wie verloren gaben.

Anfangs hatte Werneuchen Bensch gegenüber das beruhigende Gefühl, daß Alter und Lebensstellung ihn über die Frechheiten solcher Menschen hinausgetragen hätten und daß er einem solchen Kerl nicht mehr wie in seiner Junkerzeit hilflos verfallen war. Aber als er mit dem Packer am Wagen stand, ließ dieses Gefühl der Sicherheit ihn im Stich. Trotzdem kämpfte er seine Furcht noch nieder. Er begleitete den abrollenden Wagen in einer Droschke bis zum Güterbahnhof und überzeugte sich, daß der Möbelwagen in der Tat sofort auf eine Lore geladen wurde. Auch der Bahnbeamte versicherte, daß die Möbel noch im Laufe des Tages abgehen würden. Bensch stand grinsend dabei.

Aber die Möbel waren nicht in vier und nicht in vierzehn Tagen in München. Es brauchte volle drei Wochen, ehe der Wagen auf der Rampe des Vorortbahnhofs stand. Erregte Briefe und Depeschen nutzten nichts. Es hieß, daß eine plötzliche Gütersperre nach Süddeutschland die Abfahrt der Möbel im letzten Augenblick verzögert habe. Der Wagen war also wieder von der Lore abgeladen worden und stand noch über zwei Wochen in Berlin auf dem Bahnhof. Weiß der Himmel, ob er überhaupt noch etwas enthielt.

Endlich aber war er in München angekommen und stand eines Abends auf der Rampe. Inzwischen war natürlich ein höherer Tarif eingetreten, und der Transport hatte sich entsprechend verteuert. Dazu kamen die hohen Hotelkosten. Während der ganzen drei Wochen hatten Werneuchens mit den Kindern und dem Dienstmädchen im Bahnhofshotel wohnen müssen, wo es teuer und ungemütlich war. Ernst Alexander und Frau Gerda nahmen das Ganze für ein schlechtes Vorzeichen ihrer neuen Lebensperiode, und sie sollten leider damit nur allzusehr recht behalten.

Während dieser Zeit lebte der Musiker Reuschhagen bei ihnen. Er siedelte gleichfalls nach München über, um der befreundeten Familie nahe zu bleiben. Als völlig unabhängiger Künstler, der noch dazu von seinem Vater namhaft unterstützt wurde, konnte er seinen Wohnort nehmen, wo er wollte. Er trieb sich viel in der Stadt und der Umgegend herum, und jedermann kannte ihn bald. Werneuchens waren froh, ihn in dieser ungemütlichen Übergangszeit bei sich zu haben. Täglich saß er mehrere Stunden in dem großen leeren Tanzsaal des dörflichen Hotels und spielte Klavier.

Damals wurde Otmar Kamp mit Werneuchens und Reuschhagen bekannt. Er war auf einer Wanderung in dem Hotel eingekehrt, um Kaffee zu trinken, als er hinten im Saal vollendetes Klavierspiel hörte. Er ging neugierig hinein. Der Saal war halbdunkel. Adalbert Reuschhagen, den Kamp in seinem blauen Anzug und mit dem geschniegelten Scheitel zunächst für einen Handlungsgehilfen hielt, saß am Klavier. Im Hintergrund saß schweigend Gerda und hörte dem Spiel zu. Sie hatte sich einen von den übereinandergetürmten Stühlen in der Ecke herausgezogen. In der Tür standen einige neugierige Bauern und die Kellnerin. Werneuchen, der oben in seinem Zimmer arbeitete, kam erst später herunter.

Kamp wagte es, Reuschhagen für sein Spiel zu danken, und wurde auf diese Weise mit ihm und den Werneuchens bekannt. Damals ahnte noch keiner von ihnen, was alles sie miteinander erleben würden. Und keiner bemerkte auch, wie bezeichnend diese Stunde für die beteiligten Menschen war: Der Spieler im Saal, die andächtig lauschende Frau und der Mann, der oben in seinem Zimmer arbeitete.

Am nächsten Nachmittag stand der Möbelwagen auf der Rampe und leuchtete mit seiner grellen Farbe und den schwarzen Buchstaben weithin. Werneuchens gingen alle Augenblicke zu ihm und beklopften ihn, ob auch die Möbel noch darin wären. Vom Aufschließen riet der Beamte ihnen ab, da der Wagen nachher wieder schwer zuging. Am gleichen Abend traf der Packer Bensch aus Berlin ein und nahm in demselben Hotel ein Zimmer. Am nächsten Morgen sollten Leute und Gespanne des Münchner Spediteurs kommen, den Wagen abrollen und ausladen.

Bensch übte von der ersten Minute seines Auftauchens an eine unerträgliche Tyrannei aus. Mit dem scharfen Instinkt eines brutalen Menschen hatte er herausgefühlt, daß Werneuchens sich in dieser ihnen fremden Gegend und nach dem langen, unerquicklichen Warten auf ihre Sachen unsicher fühlten. Beim Abendessen, das die Familie in dem gemeinsamen Gastraum einnehmen mußte, setzte er sich an den Nebentisch und übernahm von dort aus die Führung des Gesprächs.

»Na, ob die Möbel noch drin sind?« fragte er mit seinem lauernden Grinsen. »Daß der Wagen schwer ist, beweist nämlich gar nichts. Das wären schlechte Diebe, die einen ausgeraubten Wagen nicht mit Steinen füllen würden.«

Auf einmal beanspruchte er, daß Werneuchen seinen Aufenthalt in dem Gasthaus bezahlte. Ernst Alexander widersprach. Davon könne keine Rede sein. Bensch bekäme seine Tagegelder, mit denen er auszukommen habe. Der Packer schüttelte den Kopf. Bei Leuten seines Berufs dürfe man nicht so rechnen. Da stünden zu große Werte auf dem Spiel. Er ließ durchblicken, daß es ihm, wenn er zur rechten Zeit einem Bahnbeamten ein kleines Trinkgeld hätte geben können, möglich gewesen wäre, den Abtransport der Möbel erheblich zu beschleunigen. Nun habe wohl irgendwer anders nicht geknausert, und da wäre der Wagen von der Lore heruntergeschoben worden und ein anderer Möbelwagen wäre pünktlich abgegangen. Der Hauptmann hätte viel Geld sparen können. So ginge es nun einmal zu in der Welt!

*

Das alles wurde in einer widerlichen Berliner Mundart gesagt. Eigentlich waren es ganz unverblümte Drohungen, die Bensch aussprach, aber immer begleitete er seine Worte mit seinem Lachen, so daß man nie wissen konnte, ob er nicht doch nur scherzte. Werneuchen versprach ihm schließlich ein anständiges Trinkgeld, wenn der Umzug ordnungsgemäß beendet sein würde.

Im geheimen bedauerte er, daß er diesen Kerl noch nach München hatte kommen lassen. Aber er hatte in seiner Vorsicht geglaubt, alles tun zu müssen, was in seinen Kräften stand, um die Sicherheit des Umzugs zu erhöhen. Nun hatte man diesen Mann auf dem Hals. Werneuchens befürchteten, daß Bensch noch in der letzten Nacht dem Wagen einen Besuch abstatten würde. Ernst Alexander und Reuschhagen standen deshalb mehrmals in der Nacht auf und gingen zum Bahnhof hinüber. Aber der Möbelwagen stand schweigend auf der Rampe und hob sich klar gegen den Sternhimmel ab. Der unheimliche Kerl lag sicher derweil in seinem Bett und schnarchte behaglich. Vielleicht hatte er seinen Raub längst in Sicherheit, und man stand am Morgen vor dem leeren Wagen.

Als man am nächsten Morgen aufschloß, war nichts entwendet. Die Möbel, Kisten, Bilder, Spiegel, alles stand noch genau so da, wie man es in Berlin eingepackt hatte. Man bat innerlich Bensch fast um Verzeihung, besonders weil er wieder für drei arbeitete und in seiner Schnelligkeit bewunderungswürdig war.

Gleichwohl sollte man in der Nähe dieses Menschen nicht aus der Angst herauskommen. Am Abend hätte Bensch abfahren können, er erklärte jedoch, daß er die Nacht über noch im Hotel bleiben würde. Er wäre zu müde, um die Nacht durchzufahren. Wenn er sich im Dienst des Herrn Hauptmann abgerackert hätte, so könnte der ihm auch ruhig für einen weiteren Tag die Gelder zahlen. Dabei wußte der Bursche ganz genau, wie sehnlich man seine Abreise wünschte, um endlich aus der Angst herauszukommen.

Bensch spielte mit Werneuchen wie die Katze mit der Maus. Er wählte seine Worte stets so, daß sie als harmloses Schachern, zunächst um die Ausgaben eines vierten Reisetages, dann um die gesamte Hotelrechnung aufgefaßt werden konnten. Diese Forderungen waren an sich schon eine Unverschämtheit, sie bewegten sich aber immerhin noch im Rahmen dessen, womit man in dieser durcheinandergeratenen Zeit rechnen mußte. Eigentlich aber lag hinter seinen Worten etwas viel Schlimmeres. Bensch machte so nebenbei auf die einsame Lage des Landhauses aufmerksam. Ein kräftiger und entschlossener Mann könne dort eine ganze Familie um die Ecke bringen, ohne daß auch nur ein Hahn danach krähe.

»Ich meine ja man bloß so, für spätere Zeiten!« erklärte er.

Man hatte wirklich Angst, die Nacht in dem einsamen Haus zuzubringen, und beschloß, unter dem Vorwand, daß die Betten noch nicht ausgepackt wären, noch eine Nacht in dem Gasthaus zu schlafen.

Da aber warnte Bensch wiederum davor, die Villa in der Nacht allein zu lassen. Die kostbaren Teppiche und das Silber dürften nicht unbewacht bleiben.

»Das ist zu verführerisch!« sagte er und zwinkerte mit den Augen. »Das tun Sie man ja nicht!«

Werneuchen wollte daraufhin allein in der neuen Wohnung übernachten.

»Das möchte ich keinem raten«, sagte Bensch nun wieder und machte ein drohendes Gesicht. Man konnte meinen, daß er geradezu vor der Entfesselung seiner eigenen Mordgier warnen wollte. Gleich darauf schien er es aber wieder nur auf ein Trinkgeld abgesehen zu haben.

»Aber das ist ja alles ganz egal Die Hauptsache ist, daß man gute Freunde hat. Machet euch Freunde mit eurem Mammon!« und er erhob wieder seine Ansprüche auf Bezahlung der Hotelrechnung.

Werneuchen sah sich dem Mann schutzlos ausgeliefert. Man konnte ihn selbstverständlich nicht verhaften lassen, ohne sich vor dem ganzen Ort lächerlich zu machen. Man hätte ihm gern alles Verlangte gegeben, wenn man sich damit nur die Sicherheit erkaufte. Aber Werneuchen hatte das Gefühl, daß sich der Packer nur im voraus einen kleinen Triumph verschaffen wollte, um nachher sagen zu können: »Da haben sie mir in ihrer Angst noch Geld in Hülle und Fülle angeboten, und dann räumte ich doch nachts die Villa aus, und niemand wagte mich zu hindern.« Es war, als ob eine unheimliche Macht hinter dem Mann stand und ihn vorwärtstrieb, Werneuchen zu quälen.

Werneuchen war damals noch wohlhabend. Gleichwohl besaß er nicht genug, um den Verlust der Möbel und der Wertsachen einfach verschmerzen zu können. Es war für ihn eine Lebensfrage. Nun mußten die Sachen gerade in jener Nacht unversichert sein, weil die Transportversicherung nicht mehr galt und die neue Einbruchsversicherung erst am nächsten Tag abgeschlossen werden konnte. Es war eine unerträgliche qualvolle Lage. Vor Benschs Drohungen standen sie alle in der Wehrlosigkeit ausgelieferter Opfertiere. Nur Reuschhagen schien die Gefährlichkeit des Burschen nicht begreifen zu wollen.

»Was wollt ihr?« sagte er. »Das ist ein ganz trefflicher Kerl. Er ist tüchtig und hat Humor, und ihr könntet euch herrlich mit ihm belustigen, statt vor ihm Angst zu haben.«

Aber diese Auffassung wollte weder Ernst Alexander noch Gerda einleuchten. Sie konnten beim Abendessen im Gasthof kaum ein Wort sprechen, während der Packer am Nebentisch drauflos renommierte.

Werneuchen bezahlte dem Mann schließlich alles, was er wollte. Er war wie gebrochen von dem aufregenden Tag. Er mußte Bensch sogar unter heiterem Blinzeln von dessen schwarzen Augen ein vorzügliches Zeugnis ausschreiben, das der Packer ihm fast Wort für Wort diktierte. Als man endlich in die Schlafzimmer ging, schüttelte Bensch allen freundschaftlich die Hand, um sich zu verabschieden, da er am nächsten Morgen in aller Frühe fahren wollte. Sein »Auf Wiedersehen!« klang durchaus herzlich, und er schien es übersehen zu wollen, wie man vor ihm zitterte und seine Entfernung wünschte.

Sicher hätte sich Werneuchen durch die ganze Sache nicht derart aufregen lassen, wenn er nicht fortwährend an die Galgenphysiognomie jenes ehemaligen Kanoniers Bensch hätte denken müssen, und wenn er nicht ständig das Gefühl gehabt hätte, daß ein fremder unheimlicher Wille den Packer anstachelte und vorwärtsschob, um ihn zu vernichten. Dieser Bensch schien ihm wie ein finsteres Verhängnis, das immer wieder in seinem Leben auftauchen würde. Er dachte selbst manchmal, daß es vielleicht nur seine Nerven waren, die ihm Gespenster vormalten. Dann aber traten die Spukgestalten aus seiner Phantasie hervor und wurden Fleisch und Blut. In der Nacht wagte er nicht in der Villa zu schlafen. Er ließ es auch nicht zu, daß Reuschhagen, der sich dazu erbot, es tat. Er stand auch während der Nacht nicht auf, um nachzusehen, ob das Haus noch unversehrt war. Er war einfach mit seiner Kraft zu Ende, legte sich ins Bett, zog die Decke über den Kopf und hatte Angst, ganz einfach Angst.

Am nächsten Tag fanden Werneuchens das Häuschen genau so wieder, wie sie es verlassen hatten. Bensch war in der Frühe abgereist. Dennoch glaubte, außer Reuschhagen, keiner, daß er vielleicht doch nur ein harmloser Schwätzer war. Man war fast überzeugt, es mit einem großen Verbrecher zu tun zu haben, den nur ein Zufall von einer Untat abgehalten hatte. Vielleicht hatte er den ganzen Möbelwagen verschieben wollen, und nur der Umstand, daß der Wagen zufällig drei Wochen zurückgehalten worden war, hatte ihn daran gehindert. Und in ähnlicher Weise mochte ihn etwas in der letzten Nacht abgehalten haben, das Häuschen auszuräumen. Werneuchen redete sich fest ein, daß Bensch, wenn auch in anderer Gestalt, noch einmal oder mehrere Male in seinem Leben auftauchen würde.

Und er sollte recht behalten. –

Seit jenem spukhaften Umzug waren Jahre vergangen. Der Scheidungsprozeß schwebte längst. Gerda war mit den Kindern bereits nach Berlin übergesiedelt und ließ sich schließlich ihre Möbel und die Aussteuer nachkommen. Werneuchen hatte sich diesem Wunsch nicht entgegenstellen wollen, weil an eine Wiederherstellung des Familienlebens nicht zu denken war. Aber er empfand es doch schmerzlich, als nun ein Teil seines Daseins nach dem anderen von ihm abfiel. Gerade damals war er in der unglücklichsten Stimmung. Er fühlte das furchtbare Abbröckeln seines Lebens, dem er hilflos gegenüberstand.

Auf Gerdas Wunsch hatte er einen Münchner Spediteur mit dem Abholen der Sachen beauftragt. An einem Freitag sollte der Packer kommen, am Samstag sollten die Möbel verladen werden und abgehen. Schon einige Tage vorher aber stand, kurz nach dem Mittagessen, auf einmal Bensch vor ihm und erklärte, von Frau Hauptmann Werneuchen beauftragt zu sein, die Sachen zu packen.

Wenn etwas Werneuchen in dieser unglücklichen Stimmung völlig niederschmettern konnte, so war es das Auftauchen dieses unheimlichen Menschen gerade in dieser Zeit. Er wußte nicht, ob er den Worten Benschs trauen durfte. Vielleicht stand Gerda wirklich mit diesem entsetzlichen Mann in Verbindung. Möglicherweise hatte sie ihn hergeschickt, um irgendeinen Druck auf ihn auszuüben. Wenn Bensch aber ganz von sich aus jetzt wieder auftauchte, dann hatte diese Vorstellung fast etwas noch Furchtbareres. Hatte er ihn die ganze Zeit her im Auge behalten, um sich in der verhängnisvollen Stunde auf ihn zu stürzen? Werneuchens Gedanken jagten sich wie die Fische hinter der Stirn, während der Packer sich ungeniert in einem Sessel niederließ und an der Zigarre weiterrauchte, die er brennend hereingebracht hatte.

Bensch schien sich völlig als Herr der Situation zu fühlen. An körperlicher Kraft war er Werneuchen weit überlegen. Wenn es darauf ankam, konnte er ihn mit seiner gewaltigen Faust einfach zusammendrücken. Auf das Mädchen, das draußen in der Küche hantierte, war nicht zu rechnen. Ein Hilfeschrei konnte von niemand vernommen werden.

Werneuchen bewahrte mühsam seine Haltung. Am liebsten hätte er sich dem unheimlichen Besucher zu Füßen geworfen und ihn angefleht, rasch zu verfahren. Denn er konnte nichts anderes denken, als daß Bensch vom Schicksal gesandt war, um ihm den Gnadenstoß zu geben. Es war lediglich gesellschaftliche Gewohnheit, die ihn vor dem Schreibtisch aufrechterhielt und äußerlich ruhig erscheinen ließ.

Er sagte Bensch, daß er auf Wunsch seiner Frau bereits eine Münchner Firma mit dem Umzug beauftragt habe.

»Das werden wir sehen«, antwortete Bensch. »Jedenfalls packe ich jetzt die Sachen Ihrer Frau, und morgen früh kommt der Möbelwagen.«

»Gar nichts werden wir sehen! Ich gebe Ihnen die Sachen nicht heraus. Und jetzt verlassen Sie mich!«

Bensch ging aber nicht. Er wäre von Frau Werneuchen darauf aufmerksam gemacht worden, daß man ihm die Herausgabe der Sachen verweigern würde. Seinetwegen könnte Werneuchen an seine Frau depeschieren. Bis die Antwort einträfe, müsse er ihn aber gewähren lassen. »Sonst werde ich nicht fertig. Also?«

Werneuchen war mit der telegraphischen Anfrage einverstanden. In diesem Augenblick fiel ihm jedoch ein, daß Gerda für einige Tage verreist war und die Depesche erst nach ihrer Rückkehr erhalten würde. Vielleicht wußte Bensch sogar darum, was er sagte, klang durchaus, als ob er im Bilde wäre. Wie Werneuchen mit Gerda damals stand, war es nicht völlig ausgeschlossen, daß sie die Verweigerung der Sachen fürchtete. Und woher sollte Bensch schließlich seine Kenntnis haben? Dennoch beschloß er, den Packer unter keinen Umständen gewähren zu lassen.

»Selbst wenn meine Frau Sie beauftragt hat, werde ich Sie nicht an die Sachen heranlassen. Dabei bleibt es!«

Bensch ließ sich nicht aus seiner Ruhe bringen. Das alles, meinte er, sei ihm gleichgültig. Er wäre von der Frau Hauptmann beauftragt worden, hätte den Möbelwagen für morgen früh bestellt, Reiseauslagen gehabt, viel Zeit versäumt, und jedenfalls müsse ihm das alles ersetzt werden.

»Da müssen Sie sich an meine Frau halten. Ich habe Sie nicht bestellt.«

Mit einem Male verlangte Bensch eine größere Geldsumme. Er hätte so plötzlich abreisen müssen, daß er aus dem Geschäft nicht mehr nach Hause konnte, um Geld einzustecken. Nun sitze er da, müsse tagelang im Gasthaus leben, auf der Eisenbahn liegen und morgen den irrtümlich bestellten Möbelwagen und die Leute bezahlen. Das alles brachte er mit einer wunderbaren Gelassenheit vor, doch so, als ob es ihm mit seinen Worten nicht ernst wäre, als ob er nur gewissermaßen aus Höflichkeit lüge, um Werneuchen den Schrecken eines direkten Griffs nach der Kehle zu ersparen. Er saß zurückgelehnt in seinem Sessel und hielt die Augen halb geschlossen, als langweile ihn die ganze Geschichte und als ob er auf einmal aufstehen und Schluß machen würde.

Werneuchen hatte das Gefühl, daß er sich jetzt vor einem ganz bestimmten Augenblick hüten müsse. Vielleicht war es der Augenblick, da er ihm das Geld gab, vielleicht auch, wenn er es ihm verweigerte. Ihm war, als rase er mit einem Auto in völliger Finsternis dahin. Irgendwo lauerte ein Hindernis, an dem er zerschellen mußte, er wußte nicht, wo. Vielleicht trug ihn ein Zufall gerade noch daran vorbei.

»Wenn Sie in Verlegenheit sind, werde ich Ihnen die Hälfte der Summe geben«, hörte er sich sagen und drückte Bensch schnell drei Scheine in die Hand. »Nun aber lassen Sie mich allein!«

Der Besucher erhob sich. In diesem Augenblick war alles möglich. Er konnte auf Werneuchen zugehen und ihn niederschlagen. Er konnte ihn vielleicht auch nur binden und knebeln und in den Keller werfen. Über nichts hätte Ernst Alexander sich gewundert. Er glaubte deutlich zu bemerken, wie Bensch eine Sekunde lang unschlüssig dastand, ehe er das Geld nahm und hinausging.

»Ich komme also morgen früh wieder!« rief er zurück.

Als Werneuchen später zu Elma oder zu Kamp von dieser Geschichte sprach, setzte er hinzu: »Sicher hat mich nur eine Kleinigkeit gerettet. Ich stelle es mir so vor, daß Bensch wirklich noch nicht zu Mittag gegessen hatte und ihm nun, da er Geld in Händen hatte, ein leckeres Mahl im Gasthof vorschwebte. Vielleicht war es auch nur reine Faulheit, so wie wir ja auch in unserem Beruf manchmal zu faul sind, einen wichtigen Brief zu schreiben.«

Bensch erschien am nächsten Vormittag nicht. Am selben Abend raubte er im Dorf einen Koffer mit Pelzwerk und Brillanten und verschwand. Dieser Raub ging auf sehr einfache Weise vor sich. Eine Dame hatte ihren Koffer, den sie nicht bis zu ihrer Villa tragen wollte, im Bahnhofshotel abgestellt. Nach einer Weile erschien Bensch und holte, angeblich im Auftrag der Dame, den Koffer ab. Seitdem blieb er verschwunden.

Dieser Koffer mochte Werneuchen das Leben gerettet haben. Wenigstens war er fest dieser Ansicht. Am nächsten Tag mußte er auf der Polizei angeben, was er von Bensch wußte. Eine Anfrage bei dem Berliner Spediteur ergab, daß Bensch seit Jahren nicht mehr bei der Firma war. Auch von Gerda kam Nachricht, daß sie niemals daran gedacht habe, Bensch mit dem Abholen ihrer Sachen zu betrauen. Wenigstens hatte Bensch sich nun wirklich durch den Raub des Koffers einwandfrei als Verbrecher offenbart. Ein Zufall mußte ihm die Kenntnis von Werneuchens Lage zugespielt haben. Werneuchen aber wurde durch diesen Vorfall in seiner Ansicht bestärkt, daß ein unheimlicher Feind ihn ständig umschlich, um sich im gegebenen Augenblick auf ihn zu stürzen.


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