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Unserer Meinung nach, sagt die Segelfosser Zeitung, sind Überfälle und Faustschläge eine durchaus verwerfliche Art des Umgangs, die in unserer Stadt einzig dasteht. Wie wir erfahren, hat vor einigen Tagen ein solcher Überfall stattgefunden, und zwar ist der Täter ein Herr, dem man ein derartig übereiltes Betragen nicht zutrauen sollte. Die Sache ist bei Gericht anhängig gemacht. Wir wiederholen hier die goldenen Worte, die mit uns jeder rechtlich denkende Mensch unterschreiben wird, daß nämlich gottlob Recht und Gesetz im Lande sind und daß die klaren Worte des Gesetzes für hoch und nieder gleichmäßig gelten und niemand ihnen entrinnen kann.

Willatz wurde vor eine Art Gericht gefordert, das weder Sühnekommission noch Polizeiverhör war, sondern den Namen Untersuchung trug; in Wirklichkeit aber war die Sache die, daß der alte Lensmann von Ura den Vorsitz führte, freundlich und leutselig nach beiden Seiten war und Frieden stiftete. So hatte er es seiner Lebtage gehalten, und das war auch die beste Art und Weise. Nun trat aber wahrhaftig Aslak mit dem Tagelöhner Konrad und noch andern Zeugen auf, und die Sache sah recht ernsthaft aus. Zeugenaussagen waren indes überhaupt nicht nötig, denn Herr Willatz Holmsen gab seinen Faustschlag ohne weiteres zu und fragte, was er koste. Der Lensmann blickte über seine Brille weg Aslak an, Aslak überlegte es sich und nannte seinen Preis. Das ist zu wenig, erklärte Herr Willatz Holmsen, und dem Lensmann war plötzlich, als höre er die Stimme seines Vaters, des Herrn Leutnants. So bezahlte also Willatz das Doppelte. Es war ein sonderbarer Handel, ein Kauf von Köpfen zum Bewußtlosschlagen. Aber, sagte Jung-Willatz, als er das Geld aufgezählt hatte, das nächstemal, wenn dieser Mann meine Faust zu kosten verdient, schlage ich härter zu.   Ja, sagte der Lensmann, der nicht Unfrieden, sondern Frieden stiften wollte, jawohl, aber dann kostet es wieder Strafe.   Willatz antwortete: Die bezahle ich wieder.

Besagte Nummer der Segelfosser Zeitung war höchst inhaltsreich,   sie enthielt auch noch einen Artikel von Herrn Rechtsanwalt Rasch, einen Leitartikel über das Theater. Dieser Artikel war weise und sachverständig. Es gehört wahrhaftig nicht wenig dazu, besonders für eine wandernde Truppe, von einem so große Anforderungen stellenden Stück, wie »Die Giftschlange in ihrer Höhle«, eine Vorstellung ersten Ranges fertig zu bringen, schrieb der Rechtsanwalt. Dann ging er das Stück und die großen Überraschungen, die es bot, einzeln durch. Aber, sagte er, den ersten und wärmsten Dank für diese durchgängig sehr gute Aufführung schulden wir der Primadonna Lydia. Sie ist eine unvergleichliche Schauspielerin und hat ihre Rolle in einer Weise kreiert, daß der Theatersaal von Beifall widerhallte. In mehreren Szenen, namentlich aber in der Szene mit dem Giftbecher, erhob sie sich zu einer herrlichen, tragischen Höhe, die die Erinnerung an ähnliche Szenen der berühmtesten Künstlerinnen wachrief. Von den übrigen Auftretenden muß vor allen Dingen Fräulein Sibylle Engel genannt werden, die sowohl wegen ihrer blendenden Erscheinung als wegen ihres Spieles alle Anerkennung verdient. Der General wurde vom Direktor der Gesellschaft selbst dargestellt. Es war ein Musterbild der guten alten Schule. Etwas weniger Prahlerei hätte sicherlich dieselbe Wirkung getan, aber er war in verschiedenen Teilen wirklich vortrefflich. Die andern Herren und Damen sind bis jetzt noch in keiner hervorragenden Rolle aufgetreten, in der sie ihre Tüchtigkeit hätten zeigen können; aber es ist hoffentlich nicht das letztemal, daß diese ausgezeichneten Künstler bei uns zu Gaste sind. Das gebildete Publikum heißt sie mit Freuden wieder willkommen!

Und dann legte der Rechtsanwalt Rasch den Maßstab seiner Kritik an das Theater selbst an: Ein Theater dürfe nicht in den äußersten Straßen einer Stadt gelegen sein, das sei nirgends zu treffen. Auch sei es nicht gebräuchlich, einen sogenannten Bootsschuppen zu einem Tempel Thalias umzubauen. Der Eigentümer des Hauses, Herr Theodor Jensen, hätte hier mehr Sinn für das Passende an den Tag legen dürfen. Von dem Gebäude selbst sei zu bemerken, daß es, wie die Verhältnisse nun einmal lägen, einigermaßen den Ansprüchen entspreche, aber verschiedene Fehler müßten doch gerügt werden. Die Lüftung sei sofort an Ort und Stelle von sachverständiger Seite getadelt worden; hier müsse hinzugefügt werden, daß die Bänke zwar ganz gut seien, aber Bänke mit Rückenlehnen wären besser. Und dann noch ein paar Worte im allgemeinen: Theaterbesucher unserer Zeit empfänden es als einen Mangel, keine Theaterzettel in den Händen zu haben, ja viele Theater im Ausland stellten Jungen an, die Zettel um zehn Öre verkauften, und das Publikum bezahle willig. Die Segelfosser Zeitung würde für die nächste Vorstellung in kürzester Frist Zettel drucken. Und wo war die Musik geblieben? Das heiße doch das musikalische Leben von Segelfoß unterschätzen, wenn den ganzen Abend hindurch keine Zwischenmusik zu hören sei. Zugegeben, daß gebildete Menschen im Theater säßen, die vielleicht schon Kapellen in einer Stärke bis zu zwanzig Mann gehört hätten,   da begreife man wohl, daß ein Klavier allein nicht geschätzt werde, wenn es auch noch so gut gespielt würde. Aber etwas sei immer besser als nichts, und für solche aus dem Publikum, die sich, vielleicht aus religiösen Gründen, vorzüglich der Musik wegen eingefunden hätten, seien die leeren Zwischenakte peinlich. Wie wir hören, trägt auch hieran die Schuld Herr Theodor Jensen, und wir möchten ihm raten, bis zum nächstenmal ein Klavier zur Stelle zu schaffen. Der Besitzer des Theaters hat einen guten Anfang gemacht, aber er hat noch weit hin, bis alles den Erwartungen entspricht. Herr Theodor Jensen ist der einzige Krämer am Ort, aber das wird sich wohl mit der Zeit ändern, er sollte aus eigenem Antrieb danach streben, die Fehler seines Theaters zu verbessern, damit es der Stadt würdig werde und nicht die Gesellschaften abstoße, die sich in gutem Glauben um ein Lokal an ihn wendeten. Die letzten Worte waren an das Volk gerichtet, an die Leute von Segelfoß und Umgegend: Es gibt Menschen, die dieses Heim der Kunst immer noch den Schuppen nennen. Wir müssen auf das allerbestimmteste Einspruch dagegen erheben, daß das Publikum das Theater der Stadt mit einem Spitznamen behängt. Das würde sich sonst durch Abnahme des Besuchs rächen. Gebildete Menschen werden ohne Zweifel lieber auf jeden dramatischen Genuß verzichten, als daß sie ihn in einem Schuppen aufsuchten.

Das war Rechtsanwalt Raschs Artikel.

Alles in allem genommen war er ein Angriff auf Theodor im Laden, auf den Mann, der die Schauspielkunst im Ort eingeführt und ihr ein Heim gegeben hatte. Und wie nahm Theodor das auf? Er verteidigte sich in seinem Laden, rechtfertigte sich als der tüchtige Junge, der er war, er paßte ab, bis der Laden voller Leute war, und gab dann Antwort. Natürlich war er in den ersten Tagen etwas schweigsam und zurückhaltend, dann aber setzte er mit voller Kraft ein. Was ist denn Rasch selbst? Ein verfressener Rechtsanwalt! sagte er. Was ihn am meisten kränkte, war, daß er in dem Artikel »Krämer« genannt wurde. Es gibt kleinere Geschäfte als unsere Firma, die Kaufleute genannt werden, sagte Theodor im Laden.

Und nun hätte man meinen sollen, er sei an Geld vollständig ausgepumpt gewesen: er hatte noch keine Bezahlung für seine Klippfische erhalten, dagegen hatte er die Frühjahrsartikel, zehn große Kisten voll Manufaktur, bar bezahlt, ja, und hatte auch das Theater gebaut. Allein Theodor war nicht ausgepumpt. Eines schönen Abends, als eben viele Kunden im Laden waren, kam er aus seinem Kontor heraus und wedelte mit einem Geldschein; der Telegraphenbeamte Baardsen stand auch dabei und kaufte wieder einmal Tabak für ein paar elende Kupfermünzen. Theodor wandte sich mit lauter Stimme an Baardsen und fragte:

Haben Sie schon die neuen Tausendkronenscheine gesehen?

Ich habe schon von Tausendkronenscheinen reden hören, ja sogar mit Hochachtung davon reden hören antwortete Baardsen, aber gesehen habe ich noch keinen.

Hier können Sie einen sehen, sagte Theodor.

Es war übrigens kein so ganz neuer Schein, aber er war nett behandelt worden und konnte für neu gelten. Aha, der dreimal destillierte Pfiffikus Theodor hatte wohl seine Mutter veranlaßt, mit dem Bügeleisen über den Schein zu fahren und ihn für dieses Vorweisen auf neu zu bügeln. Ja, dem Theodor war niemand über! Das meinten auch alle, die dabei standen und den Tausendkronenschein mit eigenen Augen sahen.

Wofür schaffte denn Theodor im Laden und plagte sich? Was war sein Ziel? Er war nicht geizig wie sein Vater, und er versteckte nicht sein Geld in den Ritzen. Natürlich wollte er ein großer Mann werden, ein großer Geschäftsmann. Hatte er nicht eben jetzt die Agentur erhalten für die Margarine »Gosen«, für die ganze Strecke bis hinauf nach Tromsö? Das war so gut wie eine Generalagentur, und alle Kaufleute in den Nordlanden mußten sich nun um »Gosen« an Theodor im Laden wenden. Butter aus dem Lande Gosen, das schöne Weideplätze hatte. Aus den Fabriken langten strahlend schöne Reklameschilder an, und alle diese Farben schmückten die Vorderseite des Ladens zu etwas Paradiesischem auf Erden.

Und nun war Theodor im Laden wohl zufrieden?

Die Abende kamen, es kamen die Nächte, und Theodor suchte die Einsamkeit und träumte. Damals als er noch nicht konfirmiert war und auf der Rodel fuhr, das war vielleicht seine glücklichste Zeit gewesen. Seither hatte er sich allerdings von einer Null zu einem Etwas emporgearbeitet, aber dann war sie ihm entrissen worden. Er erinnerte sich deutlich an das letztemal, als er ihr die Rodel nach Hause ziehen durfte; sie war schon ein großes Mädchen. Danke, stell die Rodel dahin! sagte sie. Eine Tür ging auf und fiel wieder zu. Das war das letztemal. Seither waren Jahre vergangen, er konnte ihr kein Bild zeichnen und kein Lied dichten, er war hilflos. Wenn er einmal ein großer Kaufmann sei, hatte er oft gedacht, dann werde er ihr mit irgendeiner Kostbarkeit aus seinem Laden ein Geschenk machen; aber mit einem reinwollenen Schal war es ihm einmal schlimm ergangen, er hatte ihn zurückbekommen mit der Frage, was das eigentlich heißen solle? Doch Theodor wußte sich zu helfen, er war Geschäftsmann! Er erwiderte, er möchte diese erstklassigen Umschlagtücher in Segelfoß einführen, und das könne auf keine bessere Weise geschehen, als wenn sie die erste sei, die eines trage. Sie antwortete, sie bedanke sich schön, aber sie sei noch nicht alt und verheiratet genug für diesen Schal. Diese Verhandlung war durch eines ihrer Dienstmädchen als Mittelsperson geführt worden.

Nach dieser Dusche hätte Theodor ein Narr sein müssen, wenn er weitere Geschenke geschickt hätte. Theodor ein Narr? Keineswegs! Aber von Zeit zu Zeit konnte er einen besonders feinen Artikel zur Seite legen und träumen, er schicke ihn ihr in Seidenpapier gewickelt, und erst nachdem der Gegenstand lange genug gelegen hatte, erhielten die Ladengehilfen Befehl, ihn zu verkaufen. Das war Theodors schmerzhafte und demütige Liebe.

Endlich aber meinte er, eine feine Form der Aufmerksamkeit gefunden zu haben: wenn Theater gespielt wurde, konnte er ihr ab und zu eine Theaterkarte zuschicken, ja, ohne diese Nebenabsicht wäre er vielleicht gar nicht an den Bau des Theaters gegangen. Aber mußte ihm nicht auch da etwas in den Weg kommen! Ein halbes Dutzend Karten zur Eröffnungsfeier, gut, einverstanden. Aber wenn es damit fertig sein sollte, hätte die Sache nur einen geringen Nutzen für ihn gehabt. Wenn er dagegen in alle Zukunft zu jeder Vorstellung ein halbes Dutzend Karten schicken sollte, so würde das jede vernünftige Berechnung überschreiten. Ho, Theodor war eine Knospe! Außerdem, dachte er wohl, wären fünf von den sechs Eintrittskarten einfach weggeworfen, weil sie auf fünf Unwillkommene niederregnen würden. Nein, ich danke!

So träumte und sorgte er und saß an seinem Fenster und schaute zu ihr hinüber. Seine Tage waren ausgefüllt mit Handel und Wandel, seine Abende aber erfüllt mit Wehmut und Eifersucht. Leben Sie wohl, mein Fräulein, sehr wohl! Ich habe mich ein wenig heraufgesetzt in meine einsame Kammer, um zu wachen, während du schläfst. Ob ich auch gering bin gegen ihn, werde ich dich doch treu und ehrlich lieben bis zu meiner letzten Stunde. Was mir auch das Schicksal auf meinem Lebensweg bescheren mag, ich bin doch zu arm und gering, um dagegen zu murren und anzukämpfen. Ach, hohe Dame, tritt nicht auf den Wurm, der vor dir im Staube liegt, das könnte leicht zum Verderben für dich selbst ausschlagen, was durchaus nicht nach meinem Wunsche wäre. Und was ihn betrifft, so kommt Hochmut vor dem Fall, das soll er ja nicht vergessen. Ich werde mich in meiner Branche unermüdlich hinaufarbeiten, und er wird es vielleicht eines Tages inne werden, was das für ein Mann ist, den er ewig unglücklich gemacht hat. Hol mich der Henker!

Und tags darauf war er wieder der alte tapfere Junge.

Siehe, mit Ringen geschmückt sind seine beiden Hände, und er trägt einen grauen Sommeranzug, der seinesgleichen sucht! Ja, es geht so weit, daß er seine Schuhe jeden Tag zum Wichsen hinausstellt und frisch und blank in den Laden kommt. Der Vater droben in seiner Bodenkammer weiß nichts von all diesen Neuerungen, es gibt Tage, an denen er seinen Sohn gar nicht zu sehen kriegt; und wenn er noch so sehr mit seinem Stock auf den Boden stößt, so kommt der Sohn doch nur herauf, wenn er gerade Zeit hat. So haben sich die Dinge entwickelt. Der alte Per war ja ein Mann ohne alle Feinheit, wozu sollte man helle Kleider im Sommer tragen und dunkle im Winter? Man trägt, was man hat. Aber der alte Per konnte ja seinem Sohn nicht das Wasser reichen. Wenn Theodor grüßte, so nahm er den Hut ab, wie man es an andern Orten macht, aber er redete die Leute nicht an und sagte nicht Guten Tag!, das ist nirgends Brauch. Jetzt hatte Theodor angefangen S. E. & O. auf seine Rechnungen zu setzen, ja er schrieb das sogar über seine Briefe. Was sollen diese Buchstaben bedeuten? fragte der Hotelwirt Julius, der immer aufdringlich war. Das verstehst du nicht, antwortete Theodor. Es ist lateinisch, und alle großen Firmen brauchen diese Buchstaben. Lars Manuelsen sagte dazu: Wenn nur mein Sohn Lassen da wäre, der könnte es uns erklären.

Theodor bekam eine Kopierpresse und ein Kopierbuch, ja, er bekam sogar einen feuerfesten Geldschrank, einen von der Sorte, die in die Asche fallen, wenn das Haus brennt. Darin verwahrte er die Bücher der Firma. Wenn das sein Vater gewußt hätte, wenn er gewußt hätte, daß sein Kramladen eine Firma geworden war und daß die Firma Bücher führte! Aber trotzdem hatte der alte Per die Witterung davon, daß die Entwicklung seinen Laden und seinen Sohn wild mit sich riß; er wußte natürlich von Theodors Klippfischhandel, der nun seit langer Zeit eine jährliche Erscheinung war, er hatte vor kurzem auch erfahren, daß aus dem Bootshaus ein üppiger Tanzboden geworden war, er merkte an allem möglichen, daß Feinheit und Verschwendung Eingang in sein Haus und in seine Familie gefunden hatten. Da herrschte nicht mehr der alte, solide, übersichtliche tägliche Handel.

Per stieß den Stock auf den Boden.

Mit der Zeit kam seine Frau herauf, kam Frau Per im Laden. Sie war mit den Jahren dick geworden und kommandierte jetzt gelassen zwei Mägde. So war es in alter Zeit nicht gewesen, da hatte sie alle Arbeit allein getan und noch dazu ein Nest voll kleiner Kinder zu versorgen gehabt. Zwei kleine Jungen waren ihr am Scharlachfieber gestorben, und von den zwei erwachsenen Töchtern war jede wo anders   die eine bei Kaufmann Henriksen in Utvär und die andere bei Konsul Coldevin im Westland   versteht sich, Haushälterinnen und Hausjungfern alle beide und gewaltig feine Damen. Frau Per im Laden hatte jetzt nur noch Theodor daheim, und was das Ansehen betraf, so stand er über allen. Sie schlich still und saumselig im Hause herum und übereilte sich nicht mehr, auch nicht, wenn ihr Mann den Stock auf den Boden stieß. So hatten sich die Dinge entwickelt. Sie hielt sich nur vorsichtig außerhalb des Bereichs seines Stockes und brachte es sogar fertig, ihn zu fragen, warum er denn stoße, warum in aller Welt er so stoße.

Der alte Per war nicht vertrauensselig, er hatte all sein Lebtag nicht mit seiner Frau geredet, und wenn er ihr etwas zu sagen hatte, wurden seine Blicke einigermaßen hart.

Theodor soll heraufkommen!

Es kommt darauf an, ob Theodor sich dazu Zeit nehmen kann, antwortete die Frau. Ach, die Entwicklung hatte auch Frau Per im Laden angesteckt, sie sprach feiner als früher und gab sich alle Mühe, ihre Sprache ein wenig anziehend zu machen. Aber die Augen von Per im Laden blickten um der feinen Sprache willen nicht milder.

Ich werde mir Zeit für euch nehmen! schrie der Vater und griff nach seinem Stock.

Nun konnte er ja auch immer noch mit dem Stock werfen; diese Möglichkeit war nicht ausgeschlossen, dieser Ausweg blieb ihm immer noch. Also begab sich Frau Per zur Türe hinaus.

Da lag nun der Mann wieder. So hatte er gelegen in all den endlosen Jahren, gelähmt auf einer Seite, krank und ärgerlich, zuweilen vollständig aus dem Häuschen, zuweilen ganz zerschmettert. Im letzten Sommer war es schlimmer mit ihm geworden, sein Geist war kränker, seine Laune schlechter. Es verschlug nicht mehr auf die alte Art: sich durch Essen am Leben zu erhalten. Was nützte Essen und Trinken? Das diente nur dazu, einen Zustand zu verlängern, der am besten sofort zu Ende gegangen wäre. Per im Laden hätte es sich übrigens sehr entschieden verbeten, wenn sein Dasein hätte wirklich zu Ende gehen sollen. Hatte das Leben mit ihm seine Plage? Die Sache war gerade umgekehrt, wohl gemerkt! So lange er überhaupt nur noch einen Funken Leben in sich spürte, wollte er leben, er wollte leben von Jahr zu Jahr, seine Frau, ja auch sein Sohn sollten altersgebeugt in die Grube fahren, ehe er starb. Wohlgemerkt! Er wollte siegen und ein Triumphgeschrei erheben; den Anlaß zu einem ungeheueren Gelächter sollte es geben, wenn er über die hundert Jahre hinauskam und den Laden wieder übernehmen mußte, weil der Sohn altersschwach geworden war.

Er hatte Grund zu weinen.

Ach, als ob er keine Tränen vergossen hätte! Da war nun dem Laden das Schankrecht abgeknöpft worden, ohne daß er hätte eingreifen können. Wer sah nach der Siruptonne im Keller, wer reinigte die Gewichte, damit sich kein Grünspan auf ihnen ansetzte und sie schwerer machte, als sie sein sollten? Oh, daß er auch hier liegen mußte mit einer toten Seite und nicht in seinem Beruf tätig sein konnte! Es wäre viel besser gewesen, wenn er die tote Seite hätte abnehmen und begraben und sie damit los sein können, denn jetzt machte sie ihm nur Kosten und war ihm zur Last. Der alte Per vermochte nicht einzusehen, daß ihm die tote Seite irgendwie von Nutzen war; er hätte aber bedenken sollen, daß er mit ihr bedeutend ruhiger im Bett lag, als wenn er sie nicht gehabt hätte, und wenn er sich aufrichten und sitzen wollte, war sie ihm unentbehrlich.

Theodor kommt nicht. Na, er kann sich keine Zeit nehmen! Wir wollen sehen.

Per im Laden hat Kraft in seiner gesunden Hand, er kriegt einen Stuhl zu fassen und stößt ihn wütend gegen den Fußboden. Das ist drunten im Laden deutlich zu hören, ja, man hört es schon vor dem Laden, und um der Sache ein Ende zu machen, nimmt sich Theodor die Zeit und geht hinauf zu seinem Vater. Er streift seine Ringe nicht mehr ab, sondern tritt ein in all seiner Pracht; des Vaters Blicke werden davon nicht milder.

Na, hast du dir so viel Zeit nehmen können, heraufzukommen?

Theodor sagt ärgerlich:

Ich begreife nicht, weshalb du das Haus einreißt. Was willst du denn?

Der Vater bleibt eine Weile stumm. Er ist bärtig und glatzköpfig, tierisch, er zieht die Oberlippe in die Höhe und fletscht die Zähne, ach, er hat keinerlei Reiz.

Hohoho, was ich will? Ich liege hier und klopfe auf den Boden, du Gelbschnabel, du Dreck! Hab ich dich gestört? Laß deinen Aufputz sehen   der Laden bezahlt es ja! Was ich will? Ich will ein Wörtchen mit dem gnädigen Herrn reden, mit diesem jungen Hund, du bist so fein, ich werde mir mit dir den Hintern wischen. Und deine Mutter hab ich wohl auch gestört? Ich hab auf den Boden geklopft, ist es ihr in die Gedärme gefahren? Was stehst du noch da, setz dich, wenn's dir gefällig ist! Pfui Teufel!

Aber Theodor setzte sich nicht, der Vater war närrisch, und es war immer noch die Möglichkeit vorhanden, daß er mit dem Stock nach ihm werfen würde. Theodor geht ans Fenster, da war er am sichersten, der Vater würde nicht Gefahr laufen wollen, die Scheiben zu treffen. Übrigens war Theodor nicht gar so ängstlich, er war durchaus kein junger Hund, lebend fing man ihn nicht!

Der Vater spuckte noch einmal aus und sagte: Pfui Teufel! Sind die Zündhölzer gekommen? fragte er.

Theodor hatte gar nicht mehr an den kindischen Plan mit den tausend Gros Zündholzpäckchen gedacht und antwortete einfach und trocken: Nein!

Das hab ich gemerkt! nickte der Vater. Keine Zündhölzer, aber hast du das Salz bestellt?

Nein!

In diesem Augenblick merkte der alte Per auch, daß er für immer auf die Seite geschoben war, sein Sohn stellte sich nicht einmal mehr so, als ob er ihm gehorchen wollte. Na! Er haut seine gesunde Hand mit einem gewaltigen Schlag auf den Bettpfosten, er schreit laut auf, die Hand ist verletzt, wird im selben Augenblick welk, es welkt und erstirbt auch die gesunde Hand von den Fingern an übers Handgelenk den ganzen Arm hinauf. Er fühlt, daß er jetzt auf beiden Seiten von Blei ist. Was   was ist das? Kommt das von der verletzten Stelle an der Hand, von diesem klaffenden Riß? Eine Kleinigkeit, gar nichts! Er beugt sich vor, er möchte wie rasend in die Wunde beißen; aber er reicht nicht so weit, er sieht sie an, leckt sich gierig den Mund danach und murmelt vor sich hin. Wahnwitziges tierisches Benehmen. Der alte Per ist hilflos. Gut, aber niemand soll dabeistehen und zusehen! Er will seine Hilflosigkeit hinter starken Bewegungen verbergen, als ob er unbequem liege und wohl der Mann dazu sei, das selbst zu ändern. Er bringt es fertig, mit der einen toten Hand gegen die andere zu stoßen, sie sind weich und nachgiebig, sie sinken um wie Teig. Eine Welt voll Gram will in ihm aufsteigen, allein er ist der Mann dazu, sie niederzuhalten. Er spricht   er spricht, als rede er zu den Elementen, dem Meer und dem Donner:

Ich will teilen, die Mädchen sollen das Ihrige bekommen, ehe du uns ganz zugrunde gerichtet hast.

Ho, zum Kuckuck, es waren nicht seine Töchter, an die er zumeist dachte, aber es war ihm eingefallen, sie vorzuschützen. Und ich selbst nehme mir den Altenteil, sagte er, und das soll alles schriftlich gemacht werden.

Theodor gab keine Antwort.

Hörst du nicht? brüllte der Alte. Der Rechtsanwalt soll kommen!

Theodor ging.

Blödsinn, der Rechtsanwalt sollte keineswegs kommen! Erbteilen? Wieso denn   den Laden teilen, zerstückeln, das Bauwerk einreißen? Bitte sehr, im Gegenteil, wir werden sogar noch Grund und Boden dazukaufen, wir werden erweitern! Zum Rechtsanwalt würde nicht geschickt werden, und der Vater war lahm, er konnte ihn nicht selbst holen. Damit würde die Zeit hingehen.

Nun konnte es ja dem Vater einfallen zu brüllen, und schließlich würde ihn dann ein Vorübergehender hören und den Rechtsanwalt herbringen. Das war möglich. Gut, so würde Theodor mit Herrn Holmengraa reden, das war der Mann, der auch früher schon des Vaters Tobsucht bändigen hatte müssen. Und wenn gar nichts anderes mehr half, so sollte sich der brüllende Vater vor dem Irrenhaus in acht nehmen!

Und die Zeit ging hin.

Theodor machte sich das Leben als Jagdgrund, als Weide zunutze, er wirkte nach rechts und nach links und hatte Erfolg mit seinem Fleiß. Das Theater florierte als Tanzsaal, die Samstagabende waren feste Ballabende, und die Jugend war gesund. Das Fischtrocknen auf den Klippen schritt gut voran, in zwei Wochen konnte die ganze Last in die Jacht verladen und versandt werden; das gab viel Geld, selbst nach Abzug des Vorschusses, Geld zur Erweiterung des Geschäfts und zum Schmuck und zur Behaglichkeit des Lebens. Theodor schaffte sich ein großes Grammophon an. Zu Anfang ließ er es im Theater stehen und spielte dort, und es lag eine Welt von Wehmut im »Krönungsmarsch« und in »Vergißmeinnicht«! Sein Tätigkeitsdrang konnte sich im großen betätigen; wäre ein Karussel sein gewesen, so hätte er ein mächtiges Schaukelspiel mit Drehorgel und Wimpeln angeschafft, das hätte Geld eingebracht! Aber ein Karussel war gemein und jahrmarktmäßig. Nein, aber er spitzte sich auf einen Kinematographen, wie man ihn in anderen Städten hatte, das war fein und würde noch viel mehr Geld einbringen! Ach, was könnte nicht alles aus Segelfoß gemacht werden! Als es bekannt wurde, daß Rechtsanwalt Rasch Vorbereitungen zu einem großen Gartenfest traf, da sagte Theodor im Laden, er pfeife auf das ganze Gartenfest und den Spaß, den man davon haben werde. Nein, er hatte einen Eiderdaunenplatz und darauf war eine Hütte, und dahin konnte ein Ausflug gemacht werden mit dem Grammophon und einem gewaltigen Traktament. Wenn er nur jemand von den Herrschaften dazu kriegen könnte!

Eines Tages indes trieb es Theodor doch zu weit.

Wenn er das Grammophon im Theater spielen ließ, sammelten sich unangenehmerweise draußen Leute an, die die Gesichter an die Fenster drückten. Im Grunde hatte es auch gar keinen Sinn und Zweck, das Grammophon für sich allein zu genießen, wenn er doch die Absicht hatte, mit der neuen Musik vor der ganzen Stadt hell zu glänzen. Wie, wenn er es mit heim in den Laden nähme? Das würde die Leute anziehen und den Handel vermehren, er fand dabei Gelegenheit, den Leuten kund zu tun, daß es ihn ein kleines Vermögen gekostest habe, und er konnte den Mechanismus erklären. Die Leute würden Mund und Nase aufsperren.

Er nahm das Grammophon mit nach Hause, schraubte den Schalltrichter ab, zog auf und ließ die Musik spielen.

Die Leute sperrten Maul und Nase auf. Aber sofort wurde es droben unruhig, der Stock stieß auf den Fußboden.

Denn der alte Per hatte nicht das Leben aus seiner gesunden Hand geschlagen, er hatte sie nur mit seinem Schlag betäubt, und sie war jetzt wieder aufgewacht, und er konnte ebenso kräftig stoßen wie vorher. Und der klaffenden Wunde achtete er nicht mehr, als daß er sie einfach ließ, wie sie war, ohne einen Lappen.   Bitte schön!   Natürlich riß die Wunde wieder auf und blutete, sobald er ordentlich mit dem Stock aufstieß, aber wenn sie aufspringen wollte   bitte schön!

Horch, was war denn das für eine Musik drunten im Laden? Ei, das war ein Grund zum Klopfen! Da der Stock nicht wirkte, fing der Stuhl an zu arbeiten. Keine andere Antwort als Musik. Da geschah etwas: Der alte Per brüllte. Ja, ein gewaltiges Brüllen für einen einzigen Menschen, das Brüllen eines Riesenochsen!

Aber Per war nun so viele Jahre nicht mehr im Laden gewesen, daß sich niemand mehr an ihn erinnerte und niemand mehr Achtung vor ihm hatte. Als daher Theodor den Kopf schüttelte und die Musik abstellte, waren die Leute gekränkt und ließen Bemerkungen hören, daß manche Menschen keine Musik vertragen könnten, ja, auch manche Hunde würden ganz verrückt davon. Der Vater ist nicht mehr ganz recht im Kopf! bemerkte Theodor geheimnisvoll.

Theodor hatte nun mehr Erfahrung denn vorher über eine gewisse Möglichkeit: Der Vater würde brüllen. Früher oder später würde das Geschrei die Aufmerksamkeit der Vorübergehenden auf sich ziehen, der Rechtsanwalt würde gerufen werden, und Theodor mußte der Erbteilung und all des andern Unangenehmen gewärtig sein. Eine jetzt vorgenommene Teilung würde ihn sehr zurückbringen, würde ihn ruinieren. Selbst wenn die Schwestern ihren Anteil im Geschäft stehen ließen, würde er selbst an Ansehen verlieren und zum Geschäftsführer herabsinken. Außerdem würden die Schwestern ihr Geld sofort verlangen, sie brauchten es, Herbst und Frühling pflegten für die beiden Damen teuere Zeiten zu sein. Da wurden die halbvertragenen Kleider nach Hause geschickt, die die alte dicke Mutter zwar nicht weiter auftragen konnte, die sie aber mit Stolz vorwies und an die Dienstmädchen der Umgegend absetzte.

Theodor überlegte, ob er nicht den Vater mit Feuer und Schwert bändigen könnte. Hör du, Vater, sagte er, und er übte sich darauf ein, während er die Treppe zu dem Alten hinaufstieg. Hör du, wenn du noch einmal dermaßen brüllst, so kannst du dich darauf verlassen, daß ich dich ins Irrenhaus stecke. Allein dies war doch nicht die Sprache, die er führte, als er in seines Vaters Kammer stand. Schon draußen auf dem Gang waren ihm Zweifel gekommen, ob er den Vater mit Gewalt beugen könne, er hatte es nicht mit einem Menschen zu tun, sondern mit einem Klumpen Starrsinn, einer zu Bett liegenden Raserei mit menschlichen Gliedern; ja, er wollte vorsichtig vorgehen und die Stirne runzeln.

Du schreist, daß die Leute vor Schrecken aus dem Laden laufen.

Der Alte sah eigentlich gar nicht unzufrieden aus. Hab ich gestört? fragte er.

Die Leute erkundigen sich, ob es deine Absicht sei, ins Irrenhaus gebracht zu werden.

Ein rasches Zucken fuhr durch den Ladenper, er bekam eine Art Anfall   ja, aber von Lustigkeit, von reinem Vergnügen. Es entging Theodors Aufmerksamkeit nicht, daß sich des Vaters Mund in einem blitzschnellen Lächeln verzog, und er sah auch ein, daß er mit seinem Hinweis auf das Irrenhaus danebengeschossen hatte.

Der Vater ging ohne weiteres zum Geschäft über.

Willst du die Zündhölzer kaufen oder nicht?

Na, vielleicht konnte er sich damit Ruhe verschaffen! Diese Spekulation war altmodisch und blödsinnig, aber Theodor mußte etwas geben, wenn er etwas erlangen wollte. Deshalb antwortete er: Wir können ja meinetwegen die Zündhölzer kommen lassen, wenn du meinst, daß das ein so gutes Geschäft sei.

Und auch das Salz?

Ja, sagte Theodor.

Jawohl, Salz jetzt, wo es dem Winter zuging, das war gar nicht so töricht, deshalb gab er hier gleich eine entgegenkommende Antwort. Er konnte die Salzladung den Lofotfischern senden, er konnte sie aber auch bis zum Frühjahr lagern lassen und sie der Finmarksfischerei zuschicken.

Aber wenn er gemeint hatte, mit seiner Nachgiebigkeit etwas beim Vater zu erreichen, so hatte er sich getäuscht.

Und jetzt laß den Rechtsanwalt kommen! sagte der Alte.

Ach, der Ladenper war sehr boshaft und siegessicher, triumphierend schaute er den Sohn an: Er hatte das Gebrüll. Das große Mittel war gefunden, nun sollte jederzeit in seiner Brust ein Brüllen erster Güte fertig zum Ausbruch bereit liegen. Mutter und Sohn sollten darauf warten, darauf horchen und es immer fürchten müssen.

Hm, sagte Theodor, um Zeit zu gewinnen. In ein paar Wochen lasse ich die Fische in die Jacht laden, dann können wir das Salz als Rückfracht nehmen. Wenn das Wetter gut bleibt, so verstauen wir die Zündhölzer auf Deck unter einer Persenning.

Diese Musik will ich nicht hier im Hause haben, sagte der Vater.

Nein, nein, erwiderte Theodor.

Morgen soll der Rechtsanwalt kommen.

Letzte Entscheidung. Nein, mit einem solchen Starrsinn konnte kein Vergleich zustande kommen. Während der alte Per wieder in seinem Bette lag und kicherte, ging der Sohn unter vielen schweren Gedanken in den Laden hinunter. Aber Salz und Zündhölzer sollten auf jeden Fall nicht gekauft werden. Nein, zum Teufel, gewiß nicht!

Da lag ein Telegramm für ihn   von Didriksen? Jawohl, Geschäftsreisender Didriksen von der Firma Didriksen & Hybrecht, er, der mit dem eigenen Schiff reiste. Er habe nichts als Widerwärtigkeiten, Maschinenschaden jetzt auf dem Rückweg nach dem Süden; er habe deshalb mehrere Tage in Utvär liegen bleiben müssen und müsse sofort mit Theodor reden, womöglich noch heute nacht.

So! Ja, aber Theodor war schlechter Laune, und der Weg war weit, erst mit dem Rad und dann mit dem Boot. Inzwischen war es aber doch, als lebte er durch dieses Telegramm gewissermaßen auf, als könnte aus dieser Fahrt etwas Gutes kommen. Was konnte das sein? Keine Ahnung! Jedenfalls aber wurde die Sache mit dem Rechtsanwalt, der ohne ihn nichts tun konnte, einige Tage hinausgeschoben. Er schickte den Ladendiener Kornelius mit dem Telegramm zum Vater hinauf und ließ ihm sagen, die Sache sei wichtig.

Nachdem er eine Stunde auf dem Rad gefahren war, traf er Florina, das Dienstmädchen des Rechtsanwalts. Sie stellte sich mitten in den Weg, wie um ihn aufzuhalten. Als er abstieg, fragte sie: Wollt Ihr etwas von mir?

Ich? nein! antwortete er verwundert.

O, diese Florina war mit Segelfoß aufgewachsen und mit allen Hunden gehetzt. Aber sie war Theodors Kundin und kaufte allerlei Staat bei ihm.

Nein, wiederholte er noch einmal, ich will nichts von dir. Wo bist du gewesen?

Ich habe einen kleinen Ausflug nach Utvär gemacht.

Wie ist denn der Weg beschaffen?

Gerade wie hier, antwortete sie. Ihr wollt wohl auch nach Utvär?

Ja, woher weißt du das?

Ach, ich denke es mir, antwortete sie. Und damit zog sie plötzlich ihr wollenes Tuch über den Mund, der bisher unbedeckt gewesen war.

Theodor fing an, sich zum Weiterfahren bereit zu machen.

Ich kann mir denken, zu wem auch Ihr nach Utvär fahren wollt, sagte sie.

Plötzlich ging es dem schlauen Jüngling auf, daß Florina Wind von Didriksens Anwesenheit in Utvär bekommen und ihn aufgesucht haben mußte. Es kam zu einer kleinen Auseinandersetzung zwischen den beiden. Ja, sie sei leider ein unglückliches Mädchen, mit dem es schlimm gegangen war, und nun habe sie ihn aufgesucht und ihm das gesagt. Denn das könne doch nicht nur so hingehen. Sie habe niemand als sich selbst, auf den sie sich verlassen könne, und wenn jemand ihre Blume mitten in der Jugend breche  

Du hast ja das Sparkassenbuch, sagte Theodor.

  Blume mitten in der Jugend breche, so wisse er ja doch selbst, wie schlimm das für sie sei. Und nun wolle sie Theodor als den guten und einflußreichen Mann, der er sei, bitten, ein gutes Wort für sie einzulegen. Ich möchte am liebsten das Meine auf einmal haben, sagte sie, dann weiß ich, was ich habe. Denn so ein reisender Herr ist wie ein Zugvogel, niemand weiß, wo man ihn finden kann. Und außerdem könnte er ja in der Zwischenzeit sterben und einfach verschwinden.

Jawohl, aber du hast doch jetzt das Sparkassenbuch, sagte Theodor. Und wie ist es denn, bist du denn nicht mit Nils von Vålta verlobt?

Mit Nils? Nein, der hat Schluß gemacht.

Er ist ein Narr! sagte Theodor.

Ja, er mag nun sein, was er will, aber ich meinerseits habe eben niemand als mich selbst. Wenn Sie also mein Elend auf dieser Welt bedenken und für mich einstehen würden  

Ich werde mit ihm darüber sprechen, sagte Theodor. Aber ich weiß nicht, was er von mir will, wahrscheinlich handelt es sich um Geschäfte.

Im Grunde war er gar nicht unzufrieden mit diesem Auftrag, es steckte Achtung und Zutrauen dahinter, vielleicht sogar eine Provision,   ja, das war gar nicht undenkbar. Er fuhr weiter, fand einen Ruderknecht nach Utvår hinaus und ließ sich an Bord von Didriksens Schiff rudern.

Herr Didriksen hatte Gäste, der Salon war voll Festglanz und Lachen, Mädchen vom Lande, ein paar Herren, er selbst war einigermaßen lustig. Er hatte den Koch in Frack und weiße baumwollene Handschuhe gekleidet, so daß er der Gesellschaft anständig aufwarten konnte.

Haben Sie den Telegraphisten nicht mitgebracht? rief er. Seien Sie selbst willkommen! Bitte, nehmen Sie, ein Glas oder zwei. Aber der Telegraphist? Haben Sie nichts von ihm gehört? Meister, Sie haben die Depesche geschrieben und haben vergessen   wie hieß er doch? Baardsen? Der Teufel soll Sie holen, Meister! Der Mann ist mir merkwürdig, geht hin nach Segelfoß und verwest da. Aber seien Sie selbst willkommen, Herr Jensen! Vielen Dank, daß Sie gekommen sind! Wir haben nur noch auf Sie gewartet, der Meister hat endlich die Maschine wieder zusammengelötet, wir fahren morgen in aller Frühe ab.

Nachdem Theodor ein paar Gläser getrunken hatte, fiel es Herrn Didriksen ein, daß er mit ihm hatte sprechen wollen, er führte ihn auf Deck und redete hastig.

Meine Reise nach Segelfoß war ein teurer Spaß. Das Mädchen hat sich heute eingestellt, mit Tränen in den Augen und einem wollenen Tuch vor dem Munde. Was ist los? fragte ich. Das und das! Ja, ja, sage ich, da hilft nun alles nichts.   Ja, sagte sie auch, aber ich solle sie doch nicht in ihrem Elend umkommen lassen.   Nein.   Und ich solle nicht die Hände von ihr abziehen.   Nein.   Aber ob dann sie eine Kleinigkeit von mir bekommen könne?   Selbstverständlich.   Ob das nicht auf einmal sein könne, meinte sie, dann komme es nicht vor die Obrigkeit. Ja, potz Blitz, du bist ein verständiges Mädchen! antwortete ich, dann wird nichts schriftlich gemacht, und ich bin die Sache los. Auf wieviel wollen wir uns einigen? Zweitausend Kronen, sagte sie.

Herr Didriksen beobachtete Theodor, um zu sehen, was diese Worte für einen Eindruck machten.

Unsinn! sagte Theodor.

Unsinn, das sagte der Maschinenmeister auch, ich habe ihm alles erzählt. Aber für alle Fälle wollte ich doch lieber vorher mit Ihnen reden, und ich danke Ihnen sehr, daß Sie gekommen sind. Die Sache ist die, ich konnte doch dem Mädchen nicht ohne jede Sicherheit eine so große Summe einhändigen, und in Segelfoß wollte ich mich nicht sehen lassen. Deshalb mußte ich an Sie telegraphieren, und ich danke Ihnen noch einmal, daß Sie gekommen sind.

Es war mir ein Vergnügen.

Danke, aber die Sache ist etwas verwickelt. Unsinn! sagen Sie. Jawohl. Aber ich kann es nicht bis zum Äußersten treiben, meine Braut könnte davon erfahren.

Sind Sie verlobt?

Natürlich. Habe mich da oben verlobt mit einer Tochter von Konsul   wie heißt er denn gleich? Ich meine den großen reichen Mann in Finmarken droben; Walfischspeck, einzige Tochter, da, sehen Sie her! Und Herr Didriksen nimmt ein Damenbildnis aus seiner Brieftasche und weist es hingerissen vor. Es war unterschrieben Deine Ruth. Ja, da sehen Sie, sagte Herr Didriksen, das ist also seine Tochter, der Name fällt mir nie ein. Aber sie könnte am Ende etwas von der Sache erfahren, und das darf durchaus nicht sein.

Sie erfährt nichts davon, versicherte Theodor.

Ja, sehen Sie, es ist doch nicht ausgeschlossen. Um so weniger, als das Mädchen   das Mädchen von Segelfoß.   Die Sache ist die: sie gefiel mir wirklich sehr, weil sie so vernünftig war, und da zeigte ich ihr das Bild. War das nicht sehr dumm?

Ich weiß nicht.

Der Meister sagt, es sei dumm gewesen. Aber ich trank ein Glas Wein mit ihr, weil sie so nett und vernünftig war, und da zeigte ich ihr das Bild. Ruth! sagte sie und sah es sich an. Ja, Ruth! wiederholte ich, und nun sehen Sie doch ein, daß dieses herrliche Mädchen nichts erfahren darf, sagte ich. Das sah sie wohl ein, und es sollte nicht zu einer obrigkeitlichen Entscheidung oder so etwas kommen, sagte sie. Aber ich muß vorher mit Herrn Jensen reden, sagte ich.

Theodor meinte, die Hälfte, tausend Kronen, seien auch mehr als genug.

Ja, aber dann kommt die Sache vor die Öffentlichkeit, und dann fängt man an, die Nase in meine Vermögensverhältnisse zu stecken, und dann werde ich doch zum höchsten Betrag verdonnert. Übrigens   ich will ja nicht den Schlechten machen und mich drücken. Eintausend Kronen für all die fünfzehn Jahre, das sind ja nicht einmal zwanzig Öre den Tag für Kleider und Unterhalt.

Theodor warf einen Blick auf seinen jungen Freund: dieser leichtsinnige Sohn eines alten gediegenen Handelshauses hatte wertvolle Eigenschaften, die Theodor kaum recht verstehen konnte. Sein eigenes geistiges Erbe war durchgängig der Art, daß er versuchen mußte, es Tag für Tag, Jahr für Jahr bei sich selbst auszuscheiden und sich dafür an das Gute zu halten, das er bei andern fand.

Natürlich, Sie haben ganz recht! sagte er plötzlich, als ob dieses auch seine eigene Ansicht wäre. Und jetzt kann ich es sagen: Ich habe das Mädchen unterwegs getroffen, sie hat mich gebeten, bei Ihnen ein gutes Wort für sie einzulegen.

So. Aber sehen Sie, es ist doch noch ein wenig verwickelt. Als wir an jenem Abend in Segelfoß beisammen saßen   Sie erinnern sich   wie hieß er doch gleich? Baardsen, der Telegraphenbeamte   der sprach von einem Mann, der nach zwölfwöchentlicher Abwesenheit wieder nach Hause gekommen war, aber da hatte seine Liebste schon drei Wochen ein wollenes Tuch umgebunden und Zahnweh gehabt. Erinnern Sie sich?

Ja.

Ob er wohl dieses Mädchen gemeint hat? Das ist mir heute eingefallen.

Es ist möglich, daß er dieses Mädchen meinte, sagte Theodor, der rechtschaffen und säuberlich bleiben wollte. Aber ich weiß nicht, Sie können doch wohl nicht näher auf diese Sache eingehen?

Nein. Aber wenn man eins zum andern legt, ist es eine dumme Geschichte. Deshalb habe ich auch den Telegraphisten mit Ihnen herbitten wollen. Jetzt bin ich übrigens froh, daß er nicht mitgekommen ist, ich hätte ihn dann am Ende doch gefragt. Aber Sie dürfen nicht glauben, daß die Sache damit klar sei.

Wieso?

Der Meister sagt, dem Mädchen fehle nichts.

Wieso? fragte Theodor aufrichtig verblüfft.

Der Meister ist nämlich ein ungeheuer erfahrener Kunde, er hat nachher noch mit dem Mädchen zusammengesessen   er hat ihr übrigens seine Uhrkette geschenkt   und er sagt, daß ihr so wenig fehle wie mir und ihm.

Schweigen. Theodor denkt nach und äußert dann:

Ja, aber stellt sie sich denn nur so? Sie hat doch auf jeden Fall ihren Liebsten dadurch verloren.

Allerdings, antwortete Herr Didriksen lachend, das hat sie mir auch erzählt. Aber dann kommt es doch darauf an, ob ihr nicht das Geld mehr wert ist als der Liebste. Und überdies   der Liebste kann ja gerade darum zu ihr zurückkehren.

Sie hat ein Sparkassenbuch, denkt Theodor, sie ist eine Teufelsdirne. Dann ruft er plötzlich entschieden: Sie bezahlen keinen Öre! Aber er ist unsicher und neu in diesem ganzen feinen Gedankengang, dem er hier folgen soll, und setzt deshalb hinzu: Ich hätte es gerade so gemacht wie Sie, anständig bezahlt und fertig; wenn es aber Betrug und Blutsaugerei ist, dann ist das eine andere Sache.

Aber ich kann es nicht auf einen Prozeß ankommen lassen.

Nein, bestätigte Theodor, das können Sie nicht. Und Theodor denkt weiter nach. Aber plötzlich springt ihm das Lächerliche an der ganzen Geschichte in die Augen, und er sagt: Aber Sie können doch beim Henker nicht bezahlen, ehe das Kind geboren ist. Und das wird vielleicht gar nie geboren.

Sehr richtig! antwortete Herr Didriksen. Und gerade deshalb habe ich Sie hergebeten. Vielleicht ist das Mädchen nur recht pfiffig   wie heißt sie gleich?

Florina.

Florina. Pfiffig, sage ich, durchtrieben. Nun werde ich das Geld bei Ihnen hinterlegen, Herr Jensen, das habe ich ihr versprochen. Aber sie bekommt es nicht vor der Zeit. Ich habe mich mit dem Meister beraten, er ist ein schlauer Kunde. Und wenn sie es schließlich bekommt, so geschieht es nur unter dem Versprechen unbedingten Schweigens, schriftlich und vor Zeugen abgegeben, sonst könnte sie ja wiederkommen. Alles muß schriftlich gemacht werden.

Großartig! rief Theodor mit blitzenden Augen.

Wovon war er in diesem Augenblick so hingerissen? Hatte ein Plan in seinem Hirn versteckt gelegen, der mit einemmal Licht und Luft bekommen hatte? Gut! sagte er zu Herrn Didriksen. Ich werde das Geld aufbewahren und ich werde auch die Sache mit Florina in Ordnung bringen, darauf können Sie sich verlassen.

Ja, gerade darum wollte ich Sie so dringend bitten. Sie müssen ihr sofort alles erklären und ihr den Mund stopfen, sagte Herr Didriksen.

Theodor antwortete: Das werde ich tun. Alles soll geschehen.

Er blieb bis zum Morgengrauen an Bord und schlief, während die andern sich vergnügten. Der junge Herr Didriksen hatte wohl noch immer nicht genug Lehrgeld bezahlt, er liebte die Freude, suchte und fand sie. Jung und schön wie ein Prinz mischte er sich unter seine Gäste und spielte den liebenswürdigen Wirt die ganze Nacht hindurch. Um vier Uhr gab es ein warmes Frühstück. Bitte, nehmen Sie vorlieb! sagte der Wirt höflich und aufmerksam wie immer. Der Koch hatte neue weiße Handschuhe bekommen, der Meister spielte die Ziehharmonika als Tafelmusik. Ja, alles war voll Vergnügen und lustiger Einfälle.

Dann brach die Gesellschaft auf, die Gäste stiegen in ihre Boote und ruderten an Land. Sie waren jung und feurig und von einer durchschwärmten Nacht nicht die Spur mitgenommen   das fehlte auch gerade noch! Vom Land aus winkten sie noch festlich erregt zurück.

Zwanzig Jahre später erinnern sie sich vielleicht an diese Nacht und lächeln. Dreißig Jahre später nehmen sie Ärgernis daran, wenn andere junge Leute eine Nacht durchschwärmen ...

Angenommen   daß Sie nichts bezahlen müßten, was dann? fragte Theodor am Fallreep.

Na, sie war ja im Grunde verständig auf ihre Weise und wollte mich vor der Obrigkeit schützen, antwortete Herr Didriksen mit leichtem Lächeln. Wir können sie nicht um alles bringen. Übrigens war sie doch nicht besonders nett   zahlen Sie ihr die Hälfte!

Als Theodor nach Hause kam, trat er vor seinen Vater hin und sagte   er hatte eine so dick gespickte Brieftasche, daß er sich das erlauben konnte:

Ist der Rechtsanwalt hier gewesen?

Der Vater stutzt; aber er hat guten Grund, zu denken, die Frage sei nicht ganz echt.

Ich mußte gestern nach auswärts, sagte Theodor. Der Rechtsanwalt soll jetzt nur kommen, es steht nichts im Wege, falls er noch nicht dagewesen sein sollte.

Der Vater schielte mit tückischen Blicken nach seinem Sohn hin und sagte: Du Aff'!

Der alte Per ahnte Unrat, hatte er nicht mehr die Oberhand? Wir wollen doch sehen! Diese langen müßigen Jahre waren durchaus nicht glimpflich mit ihm verfahren, und sie hatten ihn jeden Tag etwas mehr verstockt, nun war es schon recht rückwärts mit ihm gegangen, noch einige Zeit, und er würde ganz boshaft und bissig werden, seine Naturtriebe hatten bereits angefangen, ungehindert in die blühendste Tätigkeit zu treten, er eilte zurück in seine tiefste Vorzeit, zum Heulen, Schreien, zu Schlauheit und Überfall. Er lief diesen Weg hellseherisch geradeaus, Stimmen aus dem Dunkel riefen ihn.

Was willst du denn nun? fragte Theodor. Ich habe mehr zu tun, als hier zu stehen. Willst du teilen, bitte schön, ich werde euch hinauszahlen.

Das war ja anerkennenswert von dem Jungen, daß er sich so offen aussprach, ohne mit der Wimper zu zucken. Aber der Vater war auch tüchtig; er legte den Kopf auf die Seite, als ob er es mit einem winzigen Nichts zu tun hätte, und redete den Staub auf dem Fußboden an.

Wirklich, du Gelbschnabel, uns ausbezahlen? Aber du bist es ja, der zum Hause hinaus soll, Gelbschnabel, du!

Dann schielte er rasch zu seinem Sohne hinauf.

Wieso? fragte Theodor, und es ging wie ein Schlag durch seinen hellen Kopf, er hörte das Blut in seinen Ohren sausen.

Ich will dich ausbezahlen! rief der Vater heiser vor Wut. Hinaus vor die Tür! Wieso! fragst du? Hinaus aus meinem Haus, hinaus auf die Straße, du Lausbub!

Allein in diesem allerletzten dringenden Augenblick hatte nun Theodor sich selbst wiedergefunden. Also das ist deine Absicht? sagte er und lächelte spöttisch. Er kannte sein Geschäft aus- und inwendig; die alljährlichen Klippfischlasten und der wiederholte Kauf und Verkauf von Schiffen   das durch alle diese rein privaten Spekulationen verdiente Geld stand im Geschäft, und der Kaufladen konnte ihn nicht ausbezahlen, ohne zusammenzubrechen. Er lächelte spöttisch. Er dachte nicht einmal an den Eiderdaunenplatz, der überhaupt nicht eingelöst werden konnte, weil er ihn nicht aus den Händen lassen wollte.

Die einzige Frage war, ob der Vater wirklich das Geschäft zugrunde gehen und die Töchter wieder neu anfangen lassen wollte. Der Ladenper hatte dazu noch Kredit genug.

Wie er will! dachte Theodor. Ganz wie er will. Ich werde ihnen dicht nebenan das Geschäft zugrunde richten, wenn ich ein abgerundetes Grundstück bekommen kann. Das Lächeln spielte noch um seine Lippen, als er hinausging.

Der Ladenper witterte Unrat, er hatte ein merkwürdiges Lächeln bei dem anderen wahrgenommen   fing er nun wohl an nachzugeben? Er gab nicht nach   er brüllte. Rechtsanwalt Rasch wurde geholt und übernahm die Teilung; er schrieb mehrere Tage lang, schrieb mehr als gerne, sah die Geschäftsbücher durch, telegraphierte nach den Töchtern, telegraphierte mehr als gerne nach diesen »Kleinen« und trat für ihr Recht ein. Hier waren zwei kleine Mädchen und ein lahmer Mann, die alle drei voller Erwartung auf ihn schauten, sollte er solche Blicke verraten? Es war seine Lebensaufgabe, den Menschen in juristischen Fällen beizustehen, wenn Recht im Lande bestehen sollte. Der Ladenper wollte die irdischen Dinge in Ordnung bringen, ehe er starb, und seine guterzogenen Töchter wollten sich dem nicht widersetzen. Der Sohn widersetzte sich auch nicht   bitte schön! sagte der Sohn. Was konnte da ein Rechtsanwalt anderes tun, als seine Hand bieten!

Bitte schön! sagte Theodor und lächelte spöttisch. Und es war ihm endlich gelungen, das Grundstück zu kaufen, das er brauchte. Wand an Wand mit dem Kaufladen lag es, ein großer viereckiger Bauplatz zu einem Laden und einem Warenspeicher, alles klirrender Felsen. Und Baumaterial sollte die Jacht als Rückfracht mitbringen, wenn sie die Fische fortgebracht hatte   keine Zündhölzer, kein Salz.

Theodor arbeitete tüchtig in dieser Zeit und war eitel Wachsamkeit. Schon sein erster Schritt war auf Hindernisse gestoßen, Herr Willatz Holmsen hatte ihm den Bauplatz nicht verkaufen wollen. Weshalb nicht? dachte Theodor. Zweimal holte er sich eine abschlägige Antwort, das dritte Mal ging er den Schürzenweg und siegte. Er ging zu niemand Geringerem als zu Frau Rasch. Ei, dieser verfluchte Theodor, alles wußte er, auch das, daß ihm die herzensgute Frau Rasch bei Herrn Willatz Holmsen beistehen konnte   gegen den Herrn Rechtsanwalt.

Um was handelt es sich denn? fragte Frau Rasch.

Um das und das, der Laden werde ihm genommen, das Geschäft, seine ganze Tätigkeit, es sei ihm aufgekündigt, er sei hinausgeworfen, der Rechtsanwalt helfe noch dazu. Helfen Sie nun mir!

Ich kann doch meinem Mann nicht entgegenarbeiten, sagte Frau Rasch.

Nur einige Quadratmeter Klippen von Herrn Willatz' Grund und Boden. Nicht weil er verkaufen müßte, aber weil er mir helfen könnte. Ich will bauen und versuchen, mich wieder hinaufzuarbeiten, der Herr Rechtsanwalt soll die Konkurrenz nach Segelfoß bekommen, die er so dringend wünscht.

Ich kann meinem Mann nicht entgegenarbeiten, sagte Frau Rasch.

Am Tage darauf bekam Theodor ein paar Zeilen von Willatz Holmsen, daß er den Bauplatz haben könne: Martin, der Überbringer des Briefes, soll ihn ausmessen, setzen wir als Preis zweihundert Kronen, und der Betrag soll in Eßwaren, für je zehn Kronen auf einmal, an den Lumpen Konrad, den früheren Tagelöhner bei Herrn Holmengraa, abgetragen werden. Den Kaufbrief soll der Lensmann von Ura ausstellen.

So weit hatte Theodor gewonnen.

Er ließ auf dem Bauplatz mit den Sprengarbeiten für den Keller und die Grundmauern anfangen. Er sprengte mit Dynamit, Wand an Wand mit dem Laden, nicht gerade um den Vater zu Tode zu ängstigen, aber er schonte ihn auch nicht. Der Ladenper fing wieder an zu brüllen, aber als ihm der Rechtsanwalt den Zusammenhang auseinandergesetzt hatte, muckste er nicht mehr. Er   mucksen? Der Gelbschnabel und seine Mutter sollten sich verrechnen, wenn sie meinten, er bitte um Frieden!

Dagegen kam der Rechtsanwalt eines Tags zu Theodor und bot eine Art Vergleich an. Der Rechtsanwalt hatte wohl inzwischen eingesehen, daß das Geschäft Theodor nicht ausbezahlen konnte, ohne in seinen Grundfesten zu wackeln. Er sagte:

Das von Ihnen eingeschossene Geld zusammen mit Ihrem gesetzlichen Erbe  

Theodor ahmte manchmal das Gute nach, das er bei andern fand. Er hatte sich überlegt, was wohl der junge Herr Didriksen in diesem Fall getan haben würde, darum unterbrach er den Rechtsanwalt und sagte:

Ich verzichte auf jedes Erbe.

Rechtsanwalt Rasch nahm diese unerwartete Mitteilung entgegen wie einen Schlag. Es war betrüblich, wie diese heraufgekommenen Menschen anfingen, die rechten Leute nachzumachen. Wenn Theodor wenigstens ein Mann von Familie gewesen wäre!

Sie sollten doch nicht gar so großartig tun, junger Mann! sagte er.

Großartig oder nicht, das geht Sie gar nichts an, erwiderte Theodor.

Es war nur ein freundschaftlicher Rat.

Ich brauche keinen.

Na, sagte der Rechtsanwalt, darum handelt es sich ja auch gar nicht. Die Lage ist also die, daß das Geschäft Sie sehr gut auszahlen und dennoch seine Tätigkeit in der alten Weise aufrechterhalten kann  

Dann soll es mich doch auszahlen! sagte Theodor.

Ich habe Ihnen von mir aus einen Vorschlag zu machen. Sie sollten mich den darlegen lassen, ohne mich zu unterbrechen. Also: Das Geschäft kann Sie sehr gut auszahlen, besonders da Sie in so jugendlicher Weise und vielleicht ein wenig voreilig auf jedes Erbe verzichten.

Das geht Sie gar nichts an.

Allerdings, nicht direkt.

Und indirekt auch in keinerlei Weise. Es ist nicht meine Branche, Sparkassenbücher herzugeben, aber ich entlehne auch nichts, erklärte Theodor gereizt. Halten Sie Ihr Maul und gehen Sie Ihres Weges, ich nehme Ihren Vorschlag nicht an, verstehen Sie mich?

Höchst teilnehmend äußerte sich der Herr Rechtsanwalt:

Es ist zu Ihrem eigenen Besten und zu dem aller andern, daß ich hier sitze und Ihrem   Maul zuhöre, wie Sie das zu nennen belieben.

Sie wissen sehr gut, daß ich die Waren und die Forderungen des Geschäfts pfänden kann, bis ich gedeckt bin! rief Theodor wütend. Er war der Sohn des Ladenpers und konnte zischen. Sie wissen auch, daß dann das Geschäft umfällt. Und wenn Sie das nicht wissen, so lassen Sie es sich von mir sagen, ich verstehe mehr davon als Sie, ich habe von Geburt an Handel getrieben.

Ob nun der Rechtsanwalt etwas Richtiges in dieser Behauptung fand, oder ob er die Prahlerei überhören wollte, er sagte:

Mein Privatvorschlag ist also der: Zum Besten für alle Teile geht das Geschäft weiter wie bisher, Sie leiten es, aber Ihre Schwestern sind Teilhaberinnen. Gehen Sie darauf ein?

Nein, erwiderte Theodor.

Aber Sie sollen es ja leiten! Wollen Sie nicht darauf eingehen, der Chef zu sein wie bisher?

Nein, erwiderte Theodor.

Hm! sagte der Rechtsanwalt. Ich mache Sie ausdrücklich darauf aufmerksam, daß dieser Vorschlag von mir allein ausgegangen ist und von niemand anderem. Es ist sehr wohl möglich, daß ich damit auch bei Ihrem Vater und Ihren Schwestern auf Widerstand stoßen würde. Diese Möglichkeit wird also nicht eintreffen, da Sie eine Verhandlung auf dieser Grundlage ablehnen. Hm! Und was ist Ihr Vorschlag, um in Ordnung zu kommen?

Theodor antwortete:

Ich habe überhaupt keinen Vorschlag zu machen. Sie und die andern wollen mich hinausschmeißen, und ich sage: Bitte schön!

Gut, dann bleibt es also dabei. Das Geschäft geht bis auf weiteres seinen Gang, natürlich unter Kontrolle.

Kontrolle?

Von Ihren Eltern und Ihren Schwestern. Oder von mir in deren Auftrag.

Da lächelte Theodor über alle Maßen schief und sagte:

Wenn Sie kommen, um mich im Kramhandel zu kontrollieren, werden Sie zweifellos die Türe verschlossen und mit dem Siegel des Lensmannes versiegelt finden, bis ich ausbezahlt bin. Ist das Ihre Absicht?

Nein. Ich will nur das Beste für alle Teile, junger Mann. Lassen Sie sich nicht von der Bitterkeit übermannen, Sie werden ausbezahlt werden, die Segelfosser Spar- und Darlehnskasse wird möglicherweise einspringen, das Geschäft hat genug Pfandwert.

Das ist ausgezeichnet! sagte Theodor. Lassen Sie nur Ihre Bank einspringen, lieber heute als morgen!

Nachdem der Rechtsanwalt unverrichteter Dinge gegangen war, kam Florina in den Laden und sagte, sie könne nicht länger warten. Aber nun war Theodor gerade in streitlustiger Stimmung und gab ihr gründlich Bescheid. Das Geld ist hier, wenn das Kind da ist.

Wieso? Nicht vorher?

Nein.

Kurze Überlegung. Florinas Augen sind beinahe geschlossen.

Dann schreibe ich an seine Liebste und erzähle ihr das. Sie heißt Ruth, das weiß ich schon.

Ja, tu das nur, Florina! Dann wird dich der Doktor untersuchen und du wirst auf der Stelle verhaftet. Tu das nur!

Florina lachte. Ich soll verhaftet werden! Du liebe Zeit, Ihr seid doch ein wenig zu verdreht; kommt das daher, weil Ihr aus dem Geschäft hinaus müßt?

Theodor pfiff in diesem Augenblick auf die gute Kundin, die er vor sich hatte, und wurde wieder grob:

Mach, daß du nach Hause kommst, und denke über dich selber nach und nicht über mich, denn du kannst mir gestohlen werden. Du hast schon drei Wochen lang Zahnweh gehabt, ehe Didriksen auf seiner Reise hierher kam, dafür sind Zeugen genug da. Die Obrigkeit soll die Sache in die Hand nehmen, dann wird es auch an den Tag kommen, wofür dir der Rechtsanwalt ein Sparkassenbuch geschenkt hat.

Dieser Ton einer guten Kundin gegenüber! Es war klar, Theodor kämpfte für mehr als für Recht und Gerechtigkeit, er kämpfte wohl um die großen Geldscheine, die in diesem Augenblick seine Brieftasche schwellten, und über die er zu verfügen hatte. Florina machte ein etwas sonderbares Gesicht bei seiner Heftigkeit, wohl weil sie eine Frau war und also dem weichherzigen und schwachen Geschlecht angehörte. Die Tränen traten ihr in die Augen, und sie sagte:

Das hätte ich nicht gedacht, daß Ihr so schändlich sein könntet.

Wenn du dein Maul nur noch ein einziges Mal aufmachst, so sollst du sehen, was geschieht! rief Theodor und nützte seine Übermacht aus. Ich will kein Wort mehr davon hören. Danach schneuzte er sich und bediente sich dabei eines seidenen Taschentuchs, das er dann wieder in die Brusttasche steckte, aber so, daß ein großer Zipfel heraushing.

Na ja, der Herr Rechtsanwalt wird mir schon helfen, sagte Florina und trocknete sich die Tränen ab.

Der Herr Rechtsanwalt? Tausend Dank! Der Herr Rechtsanwalt weiß sich in dieser Sache selbst nicht zu helfen.

Seid dessen nur nicht gar zu sicher! sagte Florina.

Und nach diesem Auftritt war der Ladentheodor nun sogar in der richtigen Stimmung, um aufs Gut Segelfoß zu gehen und Herrn Willatz Holmsen für sein Entgegenkommen zu danken. Er brachte den Kaufbrief über den Bauplatz mit. Er brachte übrigens auch das Geld mit, die zweihundert Kronen; es wäre geradezu Sünde, einen Mann wie Konrad zu unterstützen, der es durchaus nicht verdiente.

Jung-Willatz runzelte die Stirne ein wenig. Es saß übrigens ein fremder Herr bei ihm im Zimmer, so daß Willatz nicht gut anders konnte, als die Stirne runzeln, wenn seine Befehle nicht befolgt wurden.

Haben Sie meinen Bescheid über die zweihundert Kronen nicht gelesen? fragte er.

Doch freilich, erwiderte Theodor und fühlte sich nicht wohl dabei. Und wenn es Ihr Wunsch ist  

Ja, es ist mein Wunsch.

Der fremde Herr war ein Freund von Willatz Holmsen, Anton Coldevin hieß er, augenscheinlich auch ein vornehmer Herr. Aber er saß da und betrachtete Theodor hochmütig, und das war noch schlimmer als Willatz' Überlegenheit.

Ich dachte nur   ich kenne die Leute hier ja viel besser   aber natürlich! Leben Sie wohl, und ich danke Ihnen sehr, daß Sie mir den Bauplatz verkauft haben. Es wird schon darauf gearbeitet. Nein, bitte, bemühen Sie sich nicht, ich kann ganz gut diesen Weg hinausgehen.

Theodor ging die Hintertreppe hinunter, die er auch heraufgekommen war.


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