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Neuntes Kapitel

»Thora! Thora! Nun, das muß ich sagen! Das Mädchen schläft noch!«

»Und noch dazu an ihrem Hochzeitstage! Thora! Thora!«

Thora erwachte über das Rufen und Klopfen an ihrer Tür zusammenfahrend. Sie sprang aus dem Bett, lief ans Fenster und zog die Vorhänge auseinander. Es war heller Morgen, die Sonne schien strahlend auf den Schnee, und die ganze Welt war weiß.

Sie öffnete die Tür, die Nähmädchen und Schneiderinnen schritten herein, und von diesem Augenblick an war die Welt ein Chaos, in dem alles durcheinander sprach, jeder den andern anstieß und anrannte, und Thora aß sowohl ihr Frühstück wie ihr Mittagsbrot im Umhergehen oder während des Anprobierens.

Endlich waren das Kleid und das Anziehen desselben beendigt und Tante Margret wurde heraufgerufen, um es anzusehen. Niemand hatte je in Island solch einen Brautanzug gesehen – die seidene Tunika, die silberne Krone, der Faldur, der Schleier und der blaue Plüschmantel.

»Ist sie nicht wunderschön, Margret?« fragten die Mädchen, worauf Tante Margret, deren Augen feucht hinter ihrer Brille schimmerten, sagte:

»Und dabei sprechen die Leute von Helgas Schönheit – na!«

Nun fingen die Glocken der Kathedrale zu läuten an und alles verstummte. Thora ging langsam die Treppe hinunter. Ihr Vater, der in einem neuen Zylinderhut noch größer als gewöhnlich erschien, erwartete sie in der Halle; Silvertop stand auf der Straße bereit, mit einem Damensattel von rotem Plüsch und Gold. Es wurden ein paar Scherze gemacht, ein wenig gelacht und verstohlen geweint – dann setzte sich die Gesellschaft in Bewegung. Der Schnee unter ihren Füßen war so trocken und weich wie Mehl, und es hielt schwer, das Pony zu ruhiger Gangart zu bringen.

Von dem Augenblick an, wo sie die Kathedrale betraten, kam sich Thora wie von einem Traum befangen vor, von einem schönen Tagestraum, wie sie ihn mitunter geträumt hatte, wenn es ihr vorgekommen war, als ob sie tot sei und ihre glückliche Seele zum Himmel eingehe.

Die Brautjungfern warteten am Portal – Helga, die wunderschön in einem englischen Kleide aussah, und zwei frühere Schulgefährtinnen in isländischem Kostüm.

Thora, die sich wie in einem Traumbild bewegte, fühlte, wie ihr jemand den Plüschmantel abnahm; dann schwiegen die Glocken, und die Orgel begann zu spielen. Im nächsten Augenblick sang der Chor einen Choral – den alten, schönen Choral: »Als Gott Vater führte die erste der Bräute,« – und dann schritt sie am Arme ihres Vaters durch das Kirchenschiff.

Seit ihrem Einsegnungstage hatte sie nie so viele Gesichter gesehen; es wurde ihr förmlich schwindlig, als sie an ihnen vorbeischritt. Sie erinnerte sich, wie bei anderen Hochzeiten die Versammlung auf die Braut gewartet und sie wie eine übernatürliche Erscheinung betrachtet hatte. »Sie kommt!« »Hier ist sie!« Nun war sie selbst die Braut und die Leute reckten sich die Hälse aus, um sie zu sehen.

Thora fühlte, wie ihre Gesichter lächelten, und wußte, daß sie selbst auch lächelte. Sie hörte wie die Leute bei ihrem Vorüberschreiten sagten: »Die liebe Thora!« »Wie reizend sie aussieht!« »Ich mußte doch Thora im Brautkleide sehen!« Und die Stimmen des Chors kamen wie vom Himmel herunter und wogten und fluteten um sie her.

Am Ende des Schiffes wartete Oskar auf sie – vornehm und schön in seinem tadellosen Anzug – an seiner rechten Seite ein junger blonder Mann und links von ihm der Gouverneur, der mit seinem eisgrauen Haar und Bart sehr würdig und stattlich aussah.

Der Choral war zu Ende, die Orgel schwieg, und Thora stand an Oskars Seite vor den Altarstufen; über ihnen der alte Bischof in seinem faltigen schwarzen Talar mit der weißen Halskrause. Es raschelte noch ein wenig hinter ihr, dann trat Stille ein, und der Bischof begann zu reden.

»Meine Kinder,« sagte er, »als vor langen Zeiten Gott der Vater die erste aller Bräute dem ersten Manne im herrlichen Garten Eden zuführte, da fügte er ihre Hände in Liebe zusammen, und das war die erste Heirat. Von der Zeit an hat er die Geschichte der Menschheit in gleicher Güte weitergeführt, und Liebe ist noch immer das Band, das den Mann an die Frau und die Frau an den Mann fesselt.«

»Meine Kinder, ihr seid hergekommen, um Mann und Frau zu werden, und da ihr euch von Herzen lieb habt, so ist es Gottes Wille, eure Hände zu heiligem Ehestande zusammen zu fügen, denn er segnet keine andere Verbindung, die um weltlicher Vorteile oder anderer Interessen halber geschlossen wird.

Wir kennen euch beide, meine Kinder; wir, die wir hier vereinigt sind, haben eure Liebe aufkeimen und erblühen sehen und wir bitten nun Gott, er möge euch beistehen stets treu die Gelübde zu halten, die ihr heute ablegt. Einer trage des andern Last und vergebe dem andern seine Fehler, und die menschliche Liebe werde stets von euch hochgehalten als Sinnbild der göttlichen Liebe.

Meine Tochter, liebe ihn, der dein Gatte sein wird, erheitere ihn, erquicke ihn und steh ihm treu zur Seite; laß ihn an deiner Brust Trost finden für alles, was ihm die Welt antun oder von ihm sagen mag.

Mein Sohn, liebe sie, die dein Weib sein wird. Es gibt nichts Edleres in unsrer unvollkommenen Existenz, keinen lieblicheren und heiligeren Anblick, als wenn ein gutes Mädchen ihren Vater, der sie liebt, und das Heim, wo sie glücklich war, verläßt und zu dem Manne, der ihr Gatte werden soll, spricht: »Die Vergangenheit war schön, aber ich vertraue dir meine ganze Zukunft an.«

Zeige dich dieses Vertrauens würdig, mein Sohn, sei stark, tapfer und treu, und er, der unsere Schwachheiten kennt, da er vor uns auf Erden gewandelt ist, wird dir beistehen, wenn dein Fuß wanken sollte.

Seid gute Kameraden auf dieser Pilgerschaft durch die Welt, meine Geliebten, und wenn es Gott gefällt euch Kinder zu schenken, so mögen sie euch nur um so inniger verbinden. Vor allem aber, liebet einander, denn das ist das erste Gebot, und möge er, der es befohlen hat, euch auf allen dornigen Pfaden des Lebens leiten und beschützen.«

Des Bischofs Stimme hatte zuletzt ein wenig geschwankt, und als er zu Ende war, hörte man ein verdächtiges Husten und Schneuzen in der Versammlung. Auch Oskar atmete schwer an Thoras Seite und Helga trat sich auf ihre Schleppe, aber Thora selbst war so ruhig wie ein zutrauliches Kind.

Nun kniete sie neben Oskar auf den Altarstufen, wo sie als Kinder bei der Einsegnung gekniet hatten – und der Bischof vollzog die Trauung. Atemloses Schweigen herrschte in der gedrängt vollen Kathedrale während dieser schönen und feierlichen Zeremonie –, deren Erhabenheit unveränderlich bleibt für alle Zeiten – der Einsegnung des Mannes und der Frau zu Freud und Leid, in Krankheit und Gesundheit, »bis daß der Tod uns scheide.«

Oskar atmete noch immer schwer, aber Thora fühlte sich zu glücklich, um aufgeregt zu sein und zu sicher, um Furcht zu empfinden. Als der Bischof ihre Hände zusammenfügte und seine eigene Hand darauf legte, fühlte sie Oskars Hand zittern und seinen Puls klopfen und sie hätte ihn gern beruhigt und getröstet. Aber im selben Moment war alles vorüber, sie waren aufgestanden und ein assistierender Geistlicher verteilte die Texte eines Kirchenliedes:

»Leite, Vater, deine Kinder
Durch des Lebens Dornenpfade.«

Der Chor fing damit an, die Gemeinde stimmte schnell ein, und alle Stimmen schienen vor Rührung zu beben. Thora fühlte sich in weite Fernen fortgetragen, trotzdem sie noch immer Oskars Hand festhielt. Sie glaubte Magnus' Stimme unter den anderen zu erkennen –, die tiefe Stimme, die sie an jenen lange vergangenen Abenden gehört. Armer Magnus! Aber er würde keine Freude an ihr gehabt haben, und so war es auch für ihn besser.

Als das Lied zu Ende war, schüttelte der Bischof ihr die Hand, der Gouverneur folgte seinem Beispiel, und die Brautjungfern traten heran und küßten sie vor der ganzen Versammlung. Oskar reichte ihr seinen Arm, und sie schritten die Kirche hinunter, während Orgel und Chor noch einmal anstimmten:

»Hohe Liebe, die du alles Irdische verklärst,
Laß uns betend und voll Demut niederknien vor deinem Thron.«

Jetzt war sie ganz sicher, daß sie Magnus' Stimme hörte und als sie nach dem Orgelchor hinaufblickte, sah sie ihn dort stehen. Ja, er befand sich oben im Chor. Er war von Nordland zurückgekommen, um bei ihrer Hochzeit mit zu singen:

»Schenke Freude ohne Ende, denen, die du heut
vereinst –«

Nur mit einem Blick hatte sie sein Gesicht gestreift, aber ihn ganz deutlich gesehen. Nie war er ihr so erschienen – so blaß und so milde und doch so stark und brav. Die Augen hatte er fest auf das Notenbuch gerichtet, es schwankte ein wenig, und er sang so laut er nur konnte:

»Schenke ihnen jene Freude, die aufheitert ird'sches Leid.
Schenke ihnen jenen Frieden, der besänftigt ird'schen Streit –«

Dann entschwand Magnus ihren Gedanken, denn die Leute, an denen sie vorbeischritt, flüsterten ihr zu: »Liebe Thora!« »Gott segne unsere Thora!«

Oskar verneigte sich nach rechts und links, und die Leute sprachen auch zu ihm: »Wie stattlich er aussieht!« »Er sieht aus, als ob er gut zu ihr sein würde!« »Behüte sie gut, Oskar!«

Endlich hatten sie das Portal erreicht; Thora fühlte wie ihr jemand den Plüschmantel um die Schultern legte. Silvertop wartete draußen, und der Schiffer Hans (in seiner neuen Ärmelweste) gab ihm Wasser in seinem Kübel.

Oskar hob sie in den Sattel, dann ging es nach Hause. Die Glocken fingen wieder an zu läuten – ein fröhlicher Klang – und nun begannen auch Thoras Tränen zu fließen. Wie gut alle Leute zu ihr gewesen waren! Alles um Oskars willen! Welch süßer Gedanke, daß alle um Oskars willen gut zu ihr waren! Gott sei gedankt für Oskar. Gott sei gedankt fürs ganze Leben!

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