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29. Kapitel

Die Protektorin des adeligen Damenstiftes, sowie ihr Hund Mignon halten blutiges Strafgericht über jugendliche Verbrecherinnen. Blanda wird anständig frisiert.

Die beiden Hofwagen, deren wir im vorigen Kapitel erwähnt haben und welche rasch in den Hof vor die breite Freitreppe fuhren, die nach dem Garten führte, hatten sich langsam ihres Inhaltes entleert und welches Inhaltes! Zuerst erschien eine kleine, etwas gebeugte Dame, deren rechte Schulter höher war als die linke, mit einem gelben Gesichte voller Runzeln und Furchen, einem Paar scharfer, kluger Augen und mit einem eigentümlichen Lächeln um die fest zusammengekniffenen dünnen Lippen. Diese Dame trug einen kostbaren Pelzüberwurf, darunter noch einen Mantel von schwerstem dunkelvioletten Samt und hatte die Freitreppe des Hauses, über die man in aller Eile einen Teppich geworfen, nicht eher betreten, als bis eine Kammerfrau, die sich im zweiten Wagen befand, rasch herbeigeeilt war, um ihre Füße mit einem Paar dicker Pelzüberschuhe zu versehen. Dann blieb sie auf der untersten Stufe der Treppe stehen, ohne die geringste Notiz zu nehmen von der Directrice oder von Fräulein von Quadde, die mit halbgekrümmtem Oberkörper in der ersten Positur eines tiefen Knickses dastanden, während sie aufmerksam, ja mit ihrem Lorgnon an den Augen, nach dem zweiten Wagen blickte, dem jetzt ein Lakai entstieg, welcher sorgsam auf seinen Armen einen kleinen Hund hielt, der mit einem leichten Schweifwedeln und einem kurzen, heiseren Gebell nach seiner Herrin blickte.

» Ah, mon bien chérie!« sagte diese schmeichelnd. »Warte, mein guter Mignon, droben darfst du deine Freude äußern, es ist hier so kalt und naß auf dem Boden!« Dann erst, als der Lakai mit dem Hunde auf dem Arme dicht an ihrer Seite stand, und nachdem sie letzteren sanft auf den Kopf gepätschelt, wandte sie sich an die Directrice des adligen Fräuleinstiftes mit den Worten: »Guten Tag, meine liebe Welmer!« und reichte die Hand zum Kusse, welcher dann auch glücklich nach dem tiefsten Knickse, der nur möglich war, appliziert wurde, während Fräulein Quadde, ohne zum Handkusse zu kommen, die gleiche ehrfurchtsvolle Begrüßung machte.

»Gehen wir hinauf in Ihren Konversationssaal, meine Liebe, wo es, wie ich hoffe, hübsch warm ist, und dann wollen wir sehen, was Ihre jungen Damen machen. Ich hatte heute morgen einen kleinen Anfall von Migräne und brauche etwas Aufregung und Zerstreuung.«

Hinter der Herzogin war eine ihrer Hofdamen dem Wagen entstiegen, eine ziemlich lange, dürre Dame von gesetztem Alter und sehr gesetztem Wesen. Sie hielt sich ganz aufrecht, wie ein Bolzen, und wenn sie grüßte, so geschah das ohne jede Neigung des Kopfes, indem sie die Augenbrauen hoch emporzog und das Kinn etwas herabdrückte. Lächeln sah man sie selten oder nie, und wenn sie einmal aus Pflichtgefühl so thun mußte, so sah ihr Lächeln aus wie ein konvulsivisches Zucken; übrigens war sie das Muster einer Hofdame, nie anderer Meinung als ihre Herrin, nie übler Laune, weil sie auch nie eine gute Laune zeigte, und hatte dabei die wunderbare Eigenschaft, so behaupteten wenigstens ihre Bekannten, zwölf Stunden neben oder hinter dem Fauteuil der Frau Herzogin stehen zu können, ohne die geringsten Spuren irgend einer Ermüdung zu zeigen.

Während man nun sehr langsam die Freitreppe hinaufstieg, um in den Konversationssaal zu gelangen, der sich zur Bequemlichkeit der hohen Protektorin zu ebener Erde befand, wollen wir rasch einen Blick in den Saal werfen, der, sehr groß und geräumig, bei allen feierlichen Veranlassungen, als dem Geburtstage des Landesherrn und dem der Frau Herzogin, sowie dem Stiftungstage der Anstalt, zu angemessener Feierlichkeit diente.

Hier befand sich an der einen Seite das Bild Sr. Majestät des Königs, an der anderen das der Frau Herzogin, unter welchem ein rotsamtener Lehnsessel stand, während sich rings an den Wänden schmale Banketts befanden, auf denen die jungen Damen Platz zu nehmen pflegten, wenn in diesem Saale ein paarmal während der Winterzeit kleine, sehr harmlose Tanzvergnügungen abgehalten wurden.

Die Herzogin ließ sich auf ihrem Sessel nieder, dann stellte der Lakai ein Taburett daneben, auf welches Fräulein von Quadde in aller Geschwindigkeit noch ein Sofakissen legte, als weiche Unterlage für Mignon; doch war dieser treue Hund offenbar übler Laune, denn er knurrte verdrießlich gegen die erste Lehrerin und ließ sich erst dann häuslich auf seinem Kissen nieder, als ihn seine hohe Herrin eigenhändig unter sanften Schmeichelworten am Kopfe gekraut. Vor sie hin wurde alsdann ein Tischchen gestellt und auf demselben die Hefte der jungen Damen, sowie die Konduitenliste ausgebreitet, in welche sie sich nur einige Minuten vertiefte.

»Im allgemeinen gar nicht übel,« sagte die hohe Dame alsdann; »allerdings sehe ich hier einige Namen bedeutsam angemerkt, worüber wir später reden wollen. Auch finde ich die Hefte,« fuhr sie nach einer längeren Pause fort, während welcher sie ein paar derselben durchblättert, »meistenteils mit erfreulichen Bemerkungen der Lehrerinnen versehen schön, ich bin damit zufrieden und will den jungen Damen, die es verdient haben, später ein freundliches Wort sagen.« Sie lehnte sich behaglich in ihren Sessel zurück und sagte dann mit ihrem eigentümlich scharfen Lächeln: »Es ist mir immer eine angenehme Aufregung, wenn ich zu Ihnen komme.« Dabei streichelte sie den Hund, indem sie, zu diesem gewendet, fortfuhr: »Nicht wahr, mein guter Mignon, wir fahren gern hierher zu den jungen Damen, und freuen uns, wenn wir Gutes über dieselben hören?«

Mignon ließ ein behagliches Knurren hören und wedelte mit dem Schweife, weshalb die Herzogin heiter hinzusetzte: »Ich versichere Ihnen, liebe Welmer, dieses Tier hat Menschenverstand und fühlt mit mir, daß es wahrhaft rührend ist; ja, er versteht mich so genau, daß, wenn ich je einmal gezwungen bin, jemand ein rauhes Wort zu sagen, er sogleich seine Antipathie zeigt. Nicht wahr, liebe Saalfeld?«

Diese Worte galten der starren Hofdame hinter der Frau Herzogin, welche durch ein hartes Zucken in den Mundwinkeln und ein trockenes »Gewiß, Hoheit!« ihre Zustimmung zu erkennen und dadurch Mignon Veranlassung gab, etwas Antipathie gegen sie selbst an den Tag zu legen; denn er schaute mit einem bösen Blicke um sich und knurrte dazu, worüber Ihre Hoheit herzlich lachte und dann zur Directrice sagte: »Nun lassen Sie mich auch etwas über Ihre räudigen Schäflein vernehmen.«

Die Directrice der Anstalt wechselte in diesem Augenblicke einen bedeutungsvollen Blick mit ihrem Premierlieutenant, welcher sich ebenfalls hinter dem Sessel der hohen Protektorin befand, und erst als dieser sehr energisch mit dem Kopfe genickt, sagte sie: »Ach, Ew. Hoheit, es kommt bei so vielen jungen, mutwilligen Mädchen immer etwas vor, und wenn es nicht gerade bedeutend ist, so würde ich mir nie erlauben, Ew. Hoheit damit zu belästigen.«

»Also einmal etwas recht Bedeutendes!« gab die alte Herzogin mit einem vergnügten Zwinkern ihrer Augen zur Antwort, indem sie sich behaglich die Hände rieb, ohne dem Hunde aber ein größeres Zeichen der Teilnahme abzulocken, als daß er den Kopf etwas in die Höhe hob und ein wenig mit dem Schweife wedelte. »Doch hoffe ich,« fuhr die Protektorin des adligen Damenstiftes darauf mit großem Ernste fort, »daß nichts geschehen ist, was den Anstand verletzt; bei Gott, ich will das nicht hoffen! Ich möchte Ähnliches wie bei Ihrer Vorgängerin, der Frau von Stranz, nicht zum zweitenmal erleben, und dazu die allergnädigsten Bemerkungen meines Herrn Neffen, Sr. Majestät des Königs erinnern Sie sich daran, meine Damen?«

»Mit Schaudern!« sagte Frau von Welmer, worauf Fräulein von Quadde einen Ton von sich gab, als öffne man die knarrende Thür irgend einer sehr tief gelegenen Familiengruft, was Mignons Gefühle so in Aufregung brachte, daß er laut hinausheulte.

»Beruhige dich, mein süßes Tier, mein guter Mignon, so etwas wird gewiß nicht mehr vorkommen das entsetzlichste Faktum, die erschütterndste Tragödie, die je in den Mauern eines adligen Damenstiftes gespielt, ein Lieutenant von den Gardehusaren über eben diese Mauer hinweg mit einer der Pensionärinnen verliebtes Zeug plaudernd Horreur! Aber nun reden Sie, meine liebe Welmer! Was können Sie mir sagen, arg genug, daß es mir eine kleine, wohlthätige Aufregung ersetzt, und doch nicht so schlimm, daß es mich in meinen heiligsten Gefühlen für diese mir anvertraute Anstalt verletzen könnte wen trifft es zumeist?«

»Wieder einmal diese Miß Price, die zuweilen unerklärliche Gemütsbewegungen und Aufwallungen hat.«

Die Herzogin nickte mehreremal sehr langsam und tief mit dem Kopfe, ehe sie sagte: »Man soll nie Ausnahmen machen von fest bestehenden sehr vernünftigen Bestimmungen; ich habe mich da durch diese Gräfin Seefeld verleiten lassen, eine Ausnahme von der Regel zu machen, weil mir diese Gräfin Seefeld durch die Obersthofmeisterin der Königin die Versicherung geben ließ, das junge Mädchen gehöre einer englischen Familie der höchsten Gentry an; doch weiß man, was es selbst in diesem Falle in dem lustigen Altengland auf sich hat. Nun, was hat die Price wieder einmal angegeben?«

»Wenn Ew. Hoheit erlauben,« sagte die Vorsteherin, »so wird Fräulein von Quadde darüber berichten.«

»Gut lassen Sie hören, Fräulein von Quadde, aber schonen Sie mir die Price nicht!«

Daß dazu keine Befürchtung vorhanden war, weiß der geneigte Leser, wußte ebenfalls die Herzogin, Frau von Welmer, die starre Hofdame und selbst Mignon, welcher bösartig knurrte, sowie er die Stimme der ersten Lehrerin vernahm, obgleich diese Stimme im Anfange des Berichtes so lieblich, war, als töne sie zwischen süß duftenden Rosen hervor, dann aber, je mehr sich das Verbrechen entwickelte, langsam in die Tiefe hinabsank und zuletzt als sie erzählte, wie Miß Price auf die sanfte, liebenswürdige Welten losgestürzt sei mit der Äußerung: sie wolle sie erdrosseln wie aus einem eingestürzten Bergwerkschachte heraufklang.

»Horreur, meine Damen,« rief die alte Herzogin, »das grenzt fast, wenn auch in anderer Art, an die eben erwähnte furchtbare Geschichte, und ich will hoffen, daß die Bestrafung exemplarisch gewesen ist!«

»Es waren allerdings mildernde Umstände da,« meinte Frau von Welmer schüchtern.

»Ei was, mildernde Umstände, wenn eine solche unbekannte Größe sich dergleichen Drohungen gegen die Tochter eines so bedeutenden und beliebten Mannes, wie der Freiherr von Welten ist, erlaubt! Seien Sie nicht zu weich, meine Liebe, und holen Sie mir das Versäumte durch eine tüchtige Strafe nach! Ah, das hat mich in der That angegriffen, und so wohlthätig mir auch eine kleine Aufregung ist, so muß ich mich sehr vor allem Ärger in acht nehmen, und ich war schon wirklich nahe daran, mich zu ärgern!«

»Das wolle Gott verhüten!« hauchte die Direktorin im Tone des höchsten Erschreckens, worauf die ganze Antwort in einem Achselzucken bestand, nach welchem sich die Herzogin gegen ihre Hofdame wandte und sie um ihre kleine goldene Dose mit den auflösenden Pillen bat, von denen sie bedächtig eine nahm, sich dann in den Sessel zurücklehnte und hierauf durch Kopfnicken ein Zeichen gab, daß die Präsentation der jungen Damen zu beginnen habe.

Diese ging nach althergebrachtem ehrwürdigen Brauche also vor sich, daß von dem Portier des Hauses in breitem Hut und Stock mit dickem goldenen Knopfe man hatte ihn zu diesem Zwecke rasch aus dem Garten holen müssen, wo er im Gewächshause beschäftigt gewesen war von außen die Thür geöffnet wurde, worauf alsdann die jungen Damen, nicht nach Alter und Klasse, sondern nach dem Range ihrer Familien paarweise erschienen, so zuerst zwei Fürstinnen, dann ein halbes Dutzend Gräfinnen, eine ziemlich lange Reihe von Baronessen, dann die gewöhnlichen Adligen, hierauf Töchter hoher Staatsbeamten, einiger reicher Bankiers, die mit dem persönlichen Adel behaftet waren, und ganz zuletzt kam Miß Price, etwas hinter ihr, den Zug schließend, Mamsell Stöckel. Die jungen Damen stellten sich gegenüber dem Sessel der Frau Herzogin auf, dann wurden einige, die sich durch besonderen Fleiß, außerordentlich musterhaftes Betragen, auch wohl durch den Rang ihrer Familien oder durch Protektion auszeichneten, namentlich vorgerufen, um der hohen Dame die Hand zu küssen, währenddessen Fräulein Quadde hinter den Reihen langsam vorüberschritt, um mit ängstlicher Miene darauf zu sehen, daß alle in ihrem Anzüge korrekt und namentlich in den Frisuren keine Extravaganzen zu sehen waren, worauf die Frau Herzogin ganz besonders hielt und dergleichen mit ihren scharfen Gläsern sogleich zu entdecken pflegte.

»So ist's recht,« flüsterte die Quadde der Gräfin Haller zu, als sie an derselben vorüberschritt und deren schmuckloses, allerdings etwas zerzaustes Haar betrachtete; »denken Sie nur selbst, was es gegeben hätte, wenn Sie da mit der Granatblüte erschienen wären!«

»Die sie doch noch zu sehen kriegen soll!« sagte die hartnäckige junge Person leise zu ihrer Nachbarin, nachdem die andere vorübergegangen war. »Ich mache mir nichts daraus, wenn sie sich auch ärgert, wenn sie schreit und wenn sich der süße Mignon darob heiser bellt! Du,« wandte sie sich hierauf an die junge Dame, die vor ihr stand und welche erst seit wenigen Tagen im Stifte war, »das ist der berühmte Herr Mignon, der Busenfreund der Frau Herzogin!«

»Ja,« sagte eine andere, »und wenn du nachher vorgestellt wirst, so kommt alles darauf an, ob Mignon ein freundliches Gesicht macht oder ob er dich anbellt!«

»Ach, geht mir doch,« erwiderte die Betreffende mit einiger Ängstlichkeit, »das wird doch sehr gleichgültig sein, Hund ist Hund!«

»Nein, nein, das wissen wir besser,« flüsterte die Gräfin Haller und setzte hinzu, indem sie sich bemühte, den Ton und die Sprechweise der Frau Herzogin nachzuäffen: Dieses Tier hat Menschenverstand!«

»Und wird auch wie ein Mensch behandelt; in dem Zimmer, wo er schläft, brennt ein Nachtlicht.«

»Und wenn er unpäßlich ist, wird er in einer Kalesche spazieren gefahren.«

»Wobei der Lakai alle Viertelstunde an den Schlag treten muß, um zu sehen, wie sich Herr Mignon befindet und ob derselbe etwas wünscht.«

»Dummes Zeug!«

»Es ist so, wie wir dir sagen,« versicherte die Haller ernstlich; »doch ruhig jetzt, der Parademarsch beginnt; sieh nur zu,« sagte sie zu der neu Eingetretenen, »wie wir anderen unseren Knicks machen, und wenn die Alte mit dem Finger winkt, so gehe nur dreist auf sie zu und küsse ihr die Hand gehe mir voraus, damit von dem finsteren Gesichte, welches ich bekomme, kein Schatten auf dich fällt.« Nach diesen Worten griff sie rasch in die Tasche ihres Kleides, holte die Granatblüte hervor und steckte sie hinter die dichten schwarzen Flechten ihres Haares.

Der Vorbeimarsch begann, und wie die jungen Damen paarweise in die Nähe der hohen Protektorin kamen, dann das vorgeschriebene Kompliment machten, so wurden sie von seiten der Betreffenden mit vielen und vortrefflich ausgedrückten Nuancen begrüßt, mit freundlichem und sehr freundlichem Blicke, mit einem huldvollen Lächeln, zuweilen noch verstärkt durch eine gnädige Handbewegung, welcher dann plötzlich bei der Nächstfolgenden eine frostige Miene folgen konnte, ein steifes Kopfnicken, ja sogar ein trockener Husten.

Als sich aber die Gräfin Haller sehr frei und ungeniert näherte es war vor ihr ein weiter Raum dadurch entstanden, daß die Frau Herzogin die neu Eingetretene zu sich herankommen ließ , da hob sie mit einem Ausdrucke des Erstaunens ihr Lorgnon an die Augen und sagte, zu Frau von Welmer gewendet: »Was ist denn das für ein auffallend koketter Kopfputz bei dieser Gräfin Haller?«

»Ja, was ist denn das, Fräulein von Quadde?« fragte die Vorsteherin in höchster Angst.

Auch die erste Lehrerin verlor einen Augenblick das Gleichgewicht über die unerhörte Frechheit ihres Lieblings; doch faßte sie sich sehr rasch wieder und erwiderte halblaut, doch so, daß es die Frau Herzogin deutlich hören konnte: »Es ist unglaublich, welche Not man mit dieser Unterlehrerin hat! Diese Stöckel ist in der That nicht zu gebrauchen!«

Ihre Hoheit hustete sehr scharf und sehr trocken, brachte dann ihr Schnupftuch an die dünnen Lippen und sagte hierauf zu Mignon, der unruhig und heiser zu bellen anfing: »Ruhig, mein Lieber, wir wollen uns jetzt noch nicht ärgern und Sie,« wandte sie sich an Frau von Welmer, »sorgen mir dafür, daß diese junge Dame für ihre höchst auffallende Koketterie bestraft werde.«

»Spanische Koketterie,« flüsterte die Betreffende lächelnd, indem sie vorüberschritt.

Miß Blanda Price beschloß die Reihe ganz allein, da sich Mamsell Stöckel, wie es der Brauch war, und zwar sehr schüchtern und demütig, hinter den Sessel der Frau Herzogin zurückgezogen hatte, wo ihr übrigens die starre Hofdame so freundlich zunickte, als es ihr nur möglich war; und wie denn ein Unglück selten allein kommt, so geschah es der armen Blanda, daß, als sie sich mit einer sehr ruhigen Miene näherte und die vorgeschriebene Verbeugung gemacht hatte, ihr nur locker aufgesteckter Kamm das Gewicht des Haares nicht zu halten vermochte, sondern zugleich mit diesem herabfiel und auf dem glatten Parkett bis dicht vor den Stuhl glitt, auf welchem Mignon ruhte, der nun erschreckt in die Höhe fuhr und unter einem gräßlichen Geheul das Ding vor ihm, welches seine zarten Nerven so in Aufregung gebracht, anstierte. Rasch eilte Mamsell Stöckel hinzu, um den Kamm aufzuheben, kam aber, indem sie sich bückte, unglücklicherweise dem bösen Hunde so nahe, daß er, um sich beißend ihren Oberarm faßte, wo dann auf dem hellen Zeuge des Kattunkleides sogleich eine blutige Spur erschien.

Blanda, welche wenige Schritte vor der Herzogin stand, von ihrem dichten aschblonden Haar, welches über ihre Schultern herabwallte, wie von einer Glorie umgeben, erbleichte furchtbar, und ihre starren dunkeln Augen nahmen einen fast geisterhaften Ausdruck an, als sie nun sah, wie die Herzogin den Hund schmeichelnd zur Ruhe wies, ohne auch nur ein Wort des Bedauerns für die arme Unterlehrerin zu haben; doch hatte sich das junge Mädchen hoch aufgerichtet zugleich mit der hohen Dame, welche nun mit einer trockenen, scharfen Stimme sagte: »Da haben wir also wieder einmal diese Miß Price, die zum Dank für alles, was man an ihr thut, so übermütig ist, in einem solchen Karnevalsanzuge mit gelöstem Haar vor uns zu erscheinen, statt bescheiden und demütig, wie es sich doch wahrlich nach den letzten Vorfällen für Sie geziemt hätte. Haben Sie etwas zu Ihrer Entschuldigung zu sagen über Ihr unverantwortliches Benehmen, eine junge Dame, welche in jeder Beziehung hoch über Ihnen steht, wahrhaft mörderisch anzufallen haben Sie?«

»Nein!« sagte Blanda in kurzem, entschiedenem, etwas rauhem Tone.

»Pfui, pfui, Sie sollten sich schämen, Ihrer großmütigen Beschützerin, der Gräfin Seefeld, solchen Kummer zu machen. Denn Sie werden sich doch nicht einbilden, daß man derselben Ihre Aufführung nicht meldet?«

Blanda zuckte zusammen und ihre Augen füllten sich mit Thränen, ohne sie aber deshalb nur eine Sekunde zu schließen und ohne deshalb ihren starren, unheimlichen Ausdruck zu verlieren.

»Auch sollten Sie es nicht dulden,« wandte sich die Protektorin des Damenstifts an Frau von Welmer, »daß das Haar dieser jungen Person in so auffallender Art verwildere; ich will das nicht, nein, ich will das nicht! Es wird überhaupt hier eine Koketterie in den Coiffuren getrieben, die hier, an diesem Orte, mindestens ganz erstaunlich ist sehen Sie da die Gräfin Haller und die dort im schwarzen Kleide wie heißt sie doch? die Waldow mit ihrem schwarzen Schleierzipfel im Haar ah, Madame,« fuhr die Herzogin fort, wobei ihre Redeweise heftiger wurde, »ich mag das nicht leiden, und es sollte mich betrüben, wenn Sie das nicht zu ändern imstande wären!«

»Ew. Hoheit mögen die Gnade haben, meiner unterthänigsten Versicherung zu glauben, daß es an meinen Ermahnungen, sowie an denen des Fräuleins von Quadde nicht fehlt.«

»Daß aber gerade die eben genannten, höchst gerechten Ausstellungen Ew. Hoheit dem Leichtsinne jener Unterlehrerin zuzuschreiben sind, deren Name ich schon vorher Ew. Hoheit nennen mußte,« nahm die erste Lehrerin das Wort, »es ist förmlich wie ein Komplott gegen unsere Autorität.«

»So ändern Sie das, meine Damen, und was dort Mamsell Price anbelangt, so will ich, daß deren Haar auf anständige Weise und sehr bedeutend verkürzt werde, der guten Sitte wegen und ihr selbst zur Strafe!«

»Mein Haar!« sagte das junge Mädchen mit einem schmerzlich klagenden Ausruf, wiederholte aber gleich darauf mit blitzenden Augen in einem ganz anderen Tone: »Mein Haar?«

Doch schien die Herzogin diese Worte nicht gehört zu haben, jedenfalls beachtete sie dieselben nicht, sondern sagte wie vorhin, gegen die unglückliche Stöckel gewendet, die mit gefalteten Händen seitwärts vor ihr stand: »So ändern Sie das, Madame, und nehmen Sie Leute, auf die Sie sich verlassen können.«

Wie sie so sprach, streckte sie etwas heftig ihre Hand aus gegen das arme Schlachtopfer Quaddescher Bosheit, und mochte nun der teure Hund Mignon dies als eine Aufforderung ansehen, seinen Unwillen ebenfalls auf das eklatanteste an den Tag zu legen; genug, er sprang rasch in die Höhe, drehte sich ein paarmal bellend wie toll im Kreise umher und fuhr alsdann vom Stuhle herab mit unverkennbarem Ingrimme gegen die Füße der armen Unterlehrerin und würde sie sicher auch ein zweites Mal verletzt haben, wenn in diesem Augenblicke Blanda nicht wie ein Blitz dazwischengefahren wäre, gewandt und schnell das Halsband des Hundes ergriffen, ihn kräftig daran emporgerissen, derb geschüttelt und dann weit von sich ab auf den Boden geschleudert hätte.

Es geschehen zuweilen, allerdings höchst selten, Dinge vor unseren Augen, die so unerhört sind, daß sie, anstatt bei den Betreffenden einen Ausbruch des Zornes hervorzubringen, dieselben in eine Art von starren, düsteren Erstaunens versetzen, ja, die auf Augenblicke förmlich lähmend wirken wie der Gorgone furchtbar Haupt so hier das Attentat auf Seine hündische Herrlichkeit.

Die Herzogin winkte schrecklich großartig mit dem Haupte, wobei ihre scharfen, jetzt durchdringenden Blicke Blandas Bewegungen folgten, bis diese wieder ruhig auf ihrem früheren Platze stand. Frau von Welmer preßte die Hände vor das Gesicht, und selbst Fräulein von Quadde fühlte eine leichte Erschütterung in ihren Knieen, während dieser Vorfall am eigentümlichsten auf die starre Hofdame zu wirken schien, indem sich auf ihrem Gesichte das konvulsivische Lächeln, dessen wir früher erwähnten, mit einer fast erschreckenden Schärfe ausgeprägt zeigte, wie ein grelles Wetterleuchten hinter knorrigen, entlaubten Baumstämmen, und zeigte dieses Lächeln einen schwachen Wiederhall durch eine beinahe unfreiwillige Bewegung in den Reihen der jungen Damen, ja, bei den mutigsten unter ihnen durch ein beifälliges Murmeln, das sich allein bei der Gräfin Haller zu einem furchtlosen »Bravo« steigerte.

Nach dem dritten Kopfnicken sagte die Frau Herzogin endlich: »Es ist da ein böser Geist unter die jungen Damen gefahren, den wir uns bemühen müssen mit aller Schärfe auszutreiben, wenigstens niederzudrücken.«

»O, Hoheit, ich kenne diesen bösen Geist!« schluchzte Frau von Welmer, während Fräulein von Quadde mit einem majestätischen Stirnrunzeln in einem Tone sagte, so dumpf und hohl, als brause der Nachtwind auf öder Heide beim Hochgerichte vorüber: »Austreiben austreiben!«

»Zuerst aber kräftig niederdrücken zum Wohl der Menschheit,« meinten Ihre Hoheit, »und nicht nur an der einen da; es sind, wie mir scheint, mehrere unter den jungen Damen, die ein sehr ernstes Wort verdienen. Wer ließ dort soeben ein wahrhaft revolutionäres Bravo ertönen?«

»Das war ich, Hoheit,« sprach die Gräfin Haller, indem sie rasch vortrat und dicht neben Blanda hin; »ich sagte Bravo, weil es mich freute, daß der Hund daran verhindert wurde, zum zweitenmal die arme, unschuldige Mamsell Stöckel zu beißen unschuldig an meiner koketten Coiffure und noch unschuldiger daran, daß der Kamm der armen Blanda auf den Boden fiel!«

»Ah, die Gräfin Haller!« sagte die Herzogin mit einem nichts weniger als freundlichen Blicke; »fast ebenso strafbar in ihrer Aufführung, da wir hier eine gute Erziehung voraussetzen können, nicht wie bei der anderen und, wie ich sehe,« setzte sie nach einer Pause mit erhobenem Augenglase hinzu, »voller Widersetzlichkeiten, denn dort in ihrem Haar prangt noch immer die rote Blume! Es könnte auch dieser jungen Dame nicht schaden, wenn wir ihr zur Strafe das Haar ein wenig kürzten, und ich will Ihnen darüber meinen Willen kund thun, Frau von Welmer!«

»Mit dir das gleiche Schicksal, Blanda wie mich das freut!« sagte Klothilde, indem sie, ohne sich im geringsten zu genieren, ihren Arm um den Hals der heißgeliebten Freundin schlang und sie alsdann hinter die Reihen der übrigen führte.

Eine Handbewegung der Frau Herzogin befahl, daß sich sämtliche junge Damen zurückziehen sollten, ein Befehl, dem augenblicklich Folge geleistet wurde, und zwar unter Vorantritt des Fräuleins von Quadde, die sich mit den Pensionärinnen in den Arbeitssaal begab und ihnen dort eine solche Rede hielt, ihnen samt und sonders so furchtbare Strafen androhte, Entziehung der Spaziergänge außerhalb des Gartens, Verbot jedes Besuches im elterlichen Hause oder bei befreundeten Familien, Strafarbeiten jeder Art und, wenn auch alles das nicht helfen sollte, Einzelhaft im dunkeln Zimmer.

Doch war alles das, was sie mit einer unglaublichen Modulation ihrer Stimme sagte, meistens aber wie aus einem tiefen Keller heraus, heute nicht dazu gemacht, die aufgeregten Gemüter der jungen Damen zu beruhigen, und es hätte nur eines zündenden Wortes, einer laut ausgesprochenen Bemerkung bedurft, um den Unmut gegen die verhaßte erste Lehrerin zu einem Tumulte hell auflodern zu lassen, und mehr als ein Blick wandte sich fragend an die Gräfin Haller. Doch hatte diese Blanda in eine Ecke gezogen und sprach tröstend in sie hinein, ohne sich im geringsten um die Rede des Fräuleins von Quadde zu bekümmern.

Nur als man jetzt drunten das Geräusch der davonrollenden Wagen hörte, horchte Klothilde auf und sagte nach einer Pause mit einem zornigen Blicke auf die erste Lehrerin: »Sei nur ruhig, mein Herz, wenn sie es wirklich wagen, unser Haar zu berühren, vor allem das deinige, so soll es der da teuer zu stehen kommen!«


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