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4. Cervantes

(1889)

Cervantes' prosaischer Stil gilt bei den Spaniern für musterhaft, was mir natürlich nicht einfällt zu bestreiten. Daß er übrigens in den ernsthaften Partien (den eingestreuten Novellen) häufig gesucht und geziert ist, leidet ebensowenig einen Zweifel. Namentlich ist das in der Geschichte der Dorothea der Fall. Dieser Fehler mag aber wohl mehr seiner Zeit und Nation zur Last zu schreiben sein.

Der curioso impertinente ist eine ziemlich schwache Novelle, das Interessante darin kurz abgethan, und dafür das Gleichgültige über die Gebühr ausgesponnen. Überhaupt spielt die Novellistik eine gar zu große Rolle und wenn, wie Tieck behauptet, die Absicht war, dadurch das Prosaische des Lehrhaften und Satirischen ins Poetische zu erheben, so muß man gestehen, daß das Mittel sehr wohlfeil und unkünstlerisch war.


(1889)

Das Affektierte in dem Stil der Zeit des Cervantes, von dem auch Lope de Vega nicht frei ist, besteht unter anderm in einem gewissen Auspressen der Worte, so daß man z. B. ein Wort, welches ohne Nachdruck etwa zur Bezeichnung eines Nebenbegriffes im Vordersätze vorkam, ohne die Aufmerksamkeit durch Wiederholung des Wortes darauf hinzulenken, frischweg zum Subjekt oder Objekt des Nachsatzes macht. So in der Erzählung Dorotheas: Mein Mädchen ging hinaus, und ich hörte auf es zu sein (nämlich: ein Mädchen).


(1839)

Einmal nimmt Lope de Vega die Partei des Cervantes gegen seine Kritiker in Amar sin saber á quién. Jorn. III 1. Scene, wo der Gracioso sagt:

que ay hombre
que hasta de una mala parda
saber el suceso aguarda,
la color, el talle y nombre,
ó si no, dirán que fué
olvido del escritor.

Geht offenbar auf das Versehen des Cervantes wegen des gestohlenen Esels des Sancho Pansa.


(1842)

Im zweiten Teile des Don Quixote, Kap. 44 zu Anfange, gibt Cervantes selbst die Ursache an, warum er im ersten Teile Novellen, die mit dem Ganzen in keinem Zusammenhange stehen, als den curioso impertinente, den capitan cautivo eingeschaltet, nämlich um die Einförmigkeit und Trockenheit zu vermeiden, die aus der alleinigen Erzählung der Abenteuer des Helden und seines Schildknappen hätte entstehen müssen. Aber weit entfernt, dies Verfahren für einen Vorzug zu halten, wie Tieck thut, nahm er sich vor, es im zweiten Teile zu vermeiden; worin er sehr recht hat, da es ein unkünstlerisches Verfahren ist, denn die Mannigfaltigkeit und das Poetische müssen organisch in der Haupthandlung selbst verwebt sein, wie im Wilhelm Meister, keineswegs aber stückelweise eingesetzt, wie durch abgerissene Novellen geschieht.

Überhaupt hat Tieck den Don Quixote wie alles in einem ganz falschen Lichte betrachtet. Was Cervantes mit künstlerischer Weisheit nur aus dem Hintergrunde hervorblicken läßt: die von vornherein edle Natur und die lichten Augenblicke seines Helden, möchte Tieck in den Vordergrund stellen und ihn zu einem Märtyrer des Rittertums machen, statt zu dessen Narren, was er ist. Die ganze Erfindungsgabe des Autors wird ewig nur aufgeboten, um seine Figur lächerlich zu machen und den Leser zu unterhalten, ja die lucida intervalla seiner Narrheit würden wahrscheinlich noch wenigere sein, wenn Cervantes nicht seine eigenen Ansichten über manches durch dessen Mund hätte in die Welt bringen wollen.

Merkwürdig als Parallelstelle ist das Urteil Lord Byrons (Don Juan) über den Don Quixote. Er datiert von diesem Werke an den Verfall des spanischen Charakters, der von da an immer mehr sein Ritterliches verlor. Eine Bemerkung, die vielleicht mehr Wahrheit enthält, als alles, was Herr Ludwig Tieck je über Poesie und Poeten gefaselt hat.


Comedias y entremeses de Miguel de Cervantes Saavedra.


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