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Zehntes Kapitel.
Kapitän Wood fährt in seiner Erzählung fort.

Nachdem er sein langsames Erwachen aus einem Zustande der Bewußtlosigkeit und eine endlose Fahrt, während deren er gebunden und geknebelt blieb, beschrieben hat, fährt er fort, zu erzählen, wie er endlich in einem schmalen Bett, wahrscheinlich einer Schiffskoje, erwachte. Die Bewegung, die Geräusche, die herrschenden Gerüche hatten es ihm schließlich klar gemacht, daß er sich an Bord eines Schiffes und auf hoher See befand.

»Ich muß im Zustand halber Betäubung, der Folge von Mißhandlungen und des Mangels an Nahrung, gewesen sein, denn als ich meinen Namen nennen hörte, konnte ich mich nur schwer aufrütteln. Jetzt merkte ich, daß mir meine Bande abgenommen und der Knebel aus meinem Munde entfernt worden waren. Insofern, als ich meine Glieder gebrauchen und sprechen konnte, wenn ich wollte, war ich frei, doch befand ich mich in einer kleinen Koje, in die nur schwaches Licht durch das geschlossene Fenster drang, aber es war noch Tageslicht, und aus dem Rauschen an den Seiten des Schiffes konnte ich den Schluß ziehen, daß es, was für ein Fahrzeug es auch sein mochte, auf hoher See war.

Drei Männer, die in der kleinen Koje standen, füllten sie vollständig. Zwei von ihnen, in deren einem ich den Amerikaner Lawford erkannte, beugten sich über mich, und als ich Lawfords Gesicht sah, wurde es mir klar, wie fein die gegen mich angezettelte Verschwörung angelegt war. Hinter diesen beiden stand der dritte, ein kaffeebrauner Neger, der an den Vorgängen keinen Teil nahm, außer daß er seine weißen Zähne von Zeit zu Zeit in einem widerlichen Grinsen zeigte, wenn ihn die andern anredeten.

Der Sprecher war ein großer, dürrer Mann mit einem hohlwangigen Gesicht, das richtige Bild eines Yankee aus dem Westen, mit einem Ziegenbart und einem umfangreichen Schlapphut, wozu noch als besonderes Kennzeichen seine gequetschte Aussprache kam.

»Sie sind wahrscheinlich sehr erbost auf uns, Kapitän Wood, weil wir Sie etwas rauh angefaßt haben,« begann er, eine unangezündete Zigarre zwischen den Lippen hin und her rollend, »aber wir hatten unsre Gründe dazu, und zwar gute Gründe – jedenfalls von unserm Standpunkt aus. Zunächst will ich mir die Bemerkung erlauben, daß Sie in unsrer Gewalt sind und daß wir mit Ihnen machen können, was uns beliebt.«

»Bah, das erste Schiff, das uns begegnet, sei es nun ein Handelsdampfer oder ein Kriegsschiff, wird mich befreien,« antwortete ich verächtlich.

»Sehr richtig, wenn Sie mit ihm in Verbindung treten können, indessen werden wir schon dafür sorgen, daß Ihnen das nicht gelingt, wenn Sie nicht lieber schwören wollen, keinen Versuch in dieser Richtung zu machen.«

»Was wollen Sie denn von mir? Wahrscheinlich Geld? Gut, ich werde jede vernünftige Forderung befriedigen.«

»So, jetzt sprechen Sie verständig. Darum handelt es sich allerdings, aber wir werden uns doch wohl lieber selbst bedienen. Der Plan, den wir uns ausgedacht haben – und ich sehe keinen Grund, weshalb ich Ihnen den nicht anvertrauen sollte – besteht darin, Sie bei uns zu behalten – hier in diesem selbigen Kasten – während sich unsre Gefährten die Taschen mit Ihren Dollars füllen. Wir haben bessere Ansprüche auf Ihr in unrechtmäßiger Weise erworbenes Vermögen als Sie.«

»Dummheiten! Was können Sie denn ohne meine Unterschrift anfangen?«

»Die haben wir, junger Herr, oder wenigstens eine Nachahmung erster Güte. Dafür ist schon lange gesorgt. Sie hätten nicht so freigebig Checks ausstellen sollen, deren wir eine ganze Masse in Ihrer Brieftasche gefunden haben.«

»Der Tag einer schweren Abrechnung wird für euch alle kommen – alle, Lawford, verstehen Sie wohl?«

Der Elende senkte die Blicke, antwortete aber nichts.

»Denke mir, wir werden wohl allein für uns sorgen können: jedenfalls ist das unsre Sache. Ihre dagegen ist es, zu überlegen, ob Sie hier unten in strenger Haft gehalten werden wollen. Nach ein paar Wochen wird Ihnen das etwas ungemütlich werden, sollte ich meinen. Vielleicht haben Sie es sich morgen oder übermorgen besser überlegt, Mr. Wood. Inzwischen wird für Ihre Bequemlichkeit gesorgt werden. Lysander hier ist ein ausgezeichneter Kammerdiener. – Sie werden Mr. Wood aufmerksam und pünktlich bedienen, verstanden? Niemals dürfen Sie ihn aus den Augen lassen, wenn er nicht hier in der Koje hinter Schloß und Riegel ist.«

»Jawohl, Oberst Mc Quahe.«

Zu meiner Ueberraschung fand ich einen Koffer, und zwar einen von meinen eigenen, mit Hemden, Wäsche und einem oder zwei Anzügen in meiner Koje. Da ich noch meinen Frack trug, denselben, den ich in der Nacht meiner Gefangennahme getragen hatte, war ich sehr froh, mich umkleiden zu können, aber ehe ich mich anzog, durchsuchte ich alle meine Taschen und fand dabei meine Uhr, meine Börse, ja es fehlte nichts als meine kleine Brieftasche, die ich stets bei mir führte und worin ich den Brief des New Yorker Rechtsanwalts verwahrt hatte, durch den ich von meinem plötzlichen Reichtum in Kenntnis gesetzt worden war. Nun erst merkte ich, daß sich die Verschwörer diese angeeignet hatten, weil sie ihrer zur Ausführung ihres großartigen Betruges bedurften.

Abgesehen davon, daß er zu aufmerksam war, konnte ich mich über den Mulatten Lysander nicht beklagen. Seine Sorgfalt für mich war die eines Schließers oder Gefangenwärters, gemildert durch die Ergebenheit eines persönlichen Leibdieners. Er rasierte mich aufs gewandteste, half mir beim Anlegen reiner Wäsche, machte mein Bett, säuberte meine Koje und brachte mir, was ich am meisten bedurfte, ein ausreichendes warmes Mahl.

Abgesehen von der unablässig quälenden Ungewißheit konnte ich das Weitere ruhig abwarten und, in dem zuversichtlichen Glauben, daß Recht schließlich Recht bleiben müsse, meine Seele in Geduld fassen.

Aber wie stand's mit Frida? Wann würde ich sie wiedersehen? Sie gewonnen zu haben und innerhalb weniger kurzer Stunden wieder von ihr getrennt zu werden, das war wirklich ein hartes Los! Und was würde sie von meinem Verschwinden denken? Würde sie sich grämen, ärgern oder mißtrauisch werden – was?

Diese etwas peinlichen Erwägungen wurden durch den Eintritt Lysanders, meines einsilbigen Wächters, unterbrochen, der mir eine Tasse heißen Kaffee brachte.

»Frühstück, Boß,« sagte er dabei kurz.

Bald darauf folgten ihm Mc Quahe und Lawford, die sich beide liebevoll nach meinem Befinden erkundigten. Ob ich gut geschlafen hätte, ob mir die Kost zusage, ob mein Diener aufmerksam sei, fragten sie – alles so unbefangen, als ob sie meine Wirte seien und wir auf dem freundschaftlichsten Fuße stünden.

»Nun hören Sie mich einmal an, Mr. Wood,« fuhr Mc Quahe fort, »ich hoffe ernstlich, daß Sie sich Ihre gestrige Entscheidung überlegt und sich anders besonnen haben. Sie war nicht verständig – jawohl, das können Sie von mir hinnehmen. Sehen Sie, wir möchten Sie nicht gern während der ganzen Reise hier unten einsperren – es kann eine höllisch lange Reise werden – aber wir können Sie nicht an Deck lassen, wenn Sie nicht versprechen –«

»Was?«

»Weiter nichts als dies: Sie müssen geloben, daß Sie nicht mit irgend einem Kahn, der uns vielleicht nahekommt, in Verbindung treten wollen, weder durch Winken, Schreien, noch sonstige Signale. Ferner daß Sie niemals mit irgend einer lebenden Seele, außer uns dreien, sprechen, nie dem Kapitän oder einem von der Bemannung Zeichen machen wollen – nicht, daß es Ihnen viel helfen würde, denn Sie gelten hier an Bord für einen Geisteskranken, für einen Kunden, bei dem's im Oberstübchen nicht richtig ist und der aus Gesundheitsrücksichten eine Seereise macht. Wir beide sind die Aerzte, und Lysander ist der Gehilfe und Wärter. Wollen Sie uns Ihr Wort als Ehrenmann geben …?«

»Wem soll ich es geben? Ehrenmännern?« warf ich dazwischen, und der Hohn entging Lawford nicht, denn sein rotes Gesicht wurde noch röter.

»Nun denn, Ihr Wort von Mann zu Mann,« verbesserte Mc Quahe. »Ich denke, das ist gut genug – und hüten Sie sich, uns zu reizen, sonst könnten Sie sich ins Fleisch schneiden.«

»Ich will das verlangte Versprechen geben, aber nur bedingungsweise,« erwiderte ich. »Ich behalte mir das Recht vor, es, wann und wo es mir beliebt, zurückzunehmen.«

»Wann zum Beispiel?«

»Wenn ich finde, daß ich ungebührlich behandelt werde, wenn sich die Umstände ändern, wenn …«

»Wenn Sie sehen, daß Sie uns eine Nase drehen können! Schön, Verehrtester, wenn der Augenblick kommt, werden wir die Handschuhe ausziehen, und Sie werden unsre Fäuste fühlen.«

Auf Deck war es herrlich, die Sonne lachte vom Himmel, und eine frische Brise kräuselte die glänzende See. Wir fuhren unter vollen Segeln – es war eine Schonerjacht – und liefen gute zehn Knoten, wie ich glaubte, den Kanal hinab. Die Richtung unsres Kurses beurteilte ich nach der Sonne, der Bewegung der Schiffe und Dampfer, die nach beiden Richtungen segelten, aber mehr noch nach den blauen Linien der zu beiden Seiten sichtbaren Küsten.

Unser Schiff habe ich eine Jacht genannt. Sie führte den Namen »Fleur de Lis«, wie ich an den Rettungsgürteln, dem Messingwerk, dem Kompaßhäuschen sah, und eine Jacht war es, wie aus ihrer Ausstattung, dem am Vorder- wie am Hinterteile freien Deck, den reichlichen Messingverzierungen, dem Fehlen des die freie Bewegung hemmenden Tauwerks und den ziemlich weißen Segeln hervorging. Aber besonders sauber war sie gerade nicht, und man hatte nicht den Eindruck, als ob ihr Eigentümer an Bord wäre. Ihre Bemannung war anscheinend eine in der Eile zusammengelesene Bande, keine echten Jachtmatrosen, und der Kapitän, wenn auch aufgeweckt und seemännisch, trug nicht die gewöhnliche Uniform von blauem Tuch mit vergoldeten Knöpfen, sondern einen schäbigen Anzug, Rock, Weste und Beinkleider von demselben Stoffe.

Hierauf machten sie es mir mit, wie ich zugeben muß, liebevoller Fürsorge auf meinem Stuhle bequem – aber das gehörte eben mit zur Komödie – gaben mir Bücher und eine Pfeife und überließen mich sodann mir selbst. Zwei von den dreien machten sich indessen immer in meiner Nähe zu schaffen oder behielten mich wenigstens beständig im Auge. Ich wurde scharf bewacht, aber das war mir nicht besonders lästig, denn es bemächtigte sich meiner eine Art von träumerischer, behaglicher Mattigkeit, ohne Zweifel die Rückwirkung so mannigfacher Gemütsbewegungen, und ich schlummerte mit einigen Unterbrechungen fast den ganzen Tag.

Am nächsten Morgen erwachte ich zwischen sechs und sieben Uhr erfrischt und gekräftigt, und wäre gern an Deck gegangen, um die belebende Luft zu genießen, allein es dauerte lange Zeit, bis jemand kam, obgleich ich wiederholt klingelte, rief und in die Hände klatschte. Als Lysander nach einiger Zeit endlich erschien, war der Ausdruck seines dunkeln, häßlichen Gesichts unzufrieden und finster, und er verrichtete seine Obliegenheiten als Kammerdiener verdrossen und stumm, bis er mich wieder verließ. Bald darauf kam Lawford, der vergeblich eine gewisse Aengstlichkeit und Unruhe zu verbergen suchte.

»Was ist denn vorgefallen, Lawford? Fürchten Sie, endlich den Lohn für Ihre Sünden zu erhalten? Sie fühlen wohl schon den Strick um den Hals.«

»Die Polizei ist hinter uns her,« antwortete er flüsternd. »Bst, Mann, bst! Oder Sie werden alles verderben,« fügte er eindringlich hinzu, dadurch einen freudigen Ausruf, der sich mir über die Lippen drängen wollte, rechtzeitig verhindernd.

Offenbar war eine plötzliche Aenderung in der Sachlage eingetreten. Lawford war ohne Zweifel gekommen, um Zeit zu gewinnen und zu verhandeln, und ich ergriff die Gelegenheit beim Schopfe, indem ich dem, was er zu sagen beabsichtigte, zuvorkam.

»Hören Sie mich an, Lawford. Sie haben sich niederträchtig gegen mich benommen, aber ich will Ihnen verzeihen und Ihnen tausend Pfund zahlen, wenn Sie sich auf meine Seite stellen.«

»Bst, bst, seien Sie doch vernünftig, Mensch! Wenn Mc Quahe Sie hört, ist es um Sie oder um mich geschehen. Nur keine Uebereilung, denn es kann ja auch ein Irrtum sein. Vielleicht hat er es gar nicht auf uns abgesehen.«

»Er? Wer? Was meinen Sie? Fahren Sie ums Himmels willen fort.«

»Ein Dampfschlepper verfolgt uns. Er kam heute morgen bei Tagesanbruch in Sicht, steuert unsern Kurs, und wir können ihn nicht los werden. Zweimal haben wir schon das Ruder anders gelegt, und beidemal hat er dasselbe gethan. Mc Quahe hält nun auf die französische Küste zu, wo uns kein Engländer etwas anhaben kann.«

»Aber ich werde mich an die französischen Behörden wenden.«

»Wird Ihnen schwerlich gelingen, wenn man Sie hier unten einschließt, und das beabsichtigt Mc Quahe zu thun. Weiter wird er nichts unternehmen, er will Sie nur festhalten, während unsre Genossen auf der andern Seite des Wassers die Taschen mit Ihren Dollars füllen. Alles ist verabredet und festgesetzt. Die Verschworenen reisen Sonntag mit Ihrem Doppelgänger, einem zweiten William Wood, auf der ›Chattahoochee‹ von Southampton ab und haben die Absicht, alles zusammenzuraffen, ehe Sie sich rühren können.«

»Lawford, es soll mir auf zwei-, drei-, ja fünftausend Pfund nicht ankommen, wenn Sie mich rechtzeitig aus dieser Mausefalle befreien, so daß ich den Dampfer noch erreichen kann.«

»Auch dort würden Sie nicht sicher sein, denn man würde es mit allen Mitteln zu verhindern suchen, daß Sie gleichzeitig mit jenen nach New York gelangen. Auch abgesehen von Ihrer Erbschaft liegen schwerwiegende Gründe vor, Ihnen zuvorzukommen. Wissen Sie wohl, Kapitän Wood, daß Ihre Staatspapiere über Cuba in unsern Händen sind? Onkel Sam wird schön dafür blechen und außerdem eurem alten Land eins versetzen.«

»Dann muß ich sie wieder in meinen Besitz bringen, Lawford. Das ist für mich Ehrensache, mehr als Leben und Tod. Nennen Sie jeden Preis, aber befreien Sie mich aus dieser Falle.«

»Das ist seine zehntausend Pfund unter Brüdern wert, und diese Kleinigkeit werden Sie nicht einmal vermissen. Hier, schreiben Sie mir einen Schuldschein über diesen Betrag, und ich will das Wagnis unternehmen,« schloß er.

Natürlich ging ich auf den Vorschlag ein und stellte den Schuldschein aus, dessen Zahlbarkeit jedoch an die Bedingung meiner Befreiung geknüpft wurde.

Was später über mir vorging, wußte ich nicht, denn Lawford kam nicht wieder in meine Nähe. Von der Verfolgung sah ich nichts, denn das Betreten des Verdecks wurde mir nicht erlaubt, ja, selbst meine Koje durfte ich nicht verlassen. Der Mulatte brachte mir mein Essen, war aber vollkommen stumm, und so war ich gezwungen, mich in Geduld zu fassen und ruhig zu erwarten, was mir beschieden sein mochte.

Es war früh am Nachmittag, als ich bei einem Blick aus meinem Kojenfenster zuerst Land sah. Die äußere Klappe des Fensters war herabgelassen, und da dieses zu klein war, als daß ein Mann hätte hindurchkriechen können, war es auch von innen nicht geschlossen, so daß ich ohne Schwierigkeiten Felsen und grüne Bergabfälle sehen konnte, aber ich entdeckte weder Häuser, noch sonstige Zeichen, die auf die Nähe einer Ortschaft hätten schließen lassen.

Als ich bald darauf den Anker niederrasseln hörte, nahm ich an, daß wir in irgend eine Bucht eingelaufen seien, wo wir sicher vor Störungen und spähenden Augen liegen konnten.

Während des Restes des Tages lernte ich alle die Empfindungen eines Gefangenen kennen, der die Stunde seiner Befreiung nahe glaubt. Meine Stimmung schwankte zwischen froher Hoffnung und tiefer Verzweiflung, aber je mehr sich die Nacht näherte, um so mehr überwog diese. In dem Glauben, daß Lawford mich entweder hintergangen habe, oder mir nicht helfen könne, hatte ich die Hoffnung schon fast aufgegeben, als irgend ein Gegenstand leise gegen mein Kojenfenster schlug. Nachdem ich dieses schnell aufgerissen hatte, zog ich ein kleines Päckchen herein, das aus einem in Papier gewickelten Schlüssel bestand. Auf die Umhüllung hatte Lawford einige Zeilen geschrieben: »Mit Hilfe des inliegenden Schlüssels zu Ihrer Koje können Sie diese verlassen, aber hüten Sie sich vor dem Schwarzen und warten Sie bis nach dem Essen, wo wir an Deck sind und der Nigger im Vorderschiff zu thun hat. Klettern Sie durch eins der Fenster am Heck. Das kleine Boot liegt darunter im Wasser, und wenn Sie es erreichen können, so machen Sie es los und rudern nach der Küste. Das ist alles, was ich für Sie thun kann.«

Meine Flucht gelang mir leichter, als ich erwartet hatte.

(Wie das Boot ans Land gelangte und die auf die Flucht folgenden Ereignisse sind bereits erzählt worden.)

Als ich die Küste erreicht hatte, fühlte ich mich wie verirrt, aber das kümmerte mich nicht, denn das Gefühl der Freiheit überwog alles andre. Daß ich in Frankreich war, wußte ich wenigstens, und als ich einen steilen Pfad hinangestiegen war, stieß ich auf eine Landstraße, die weiß und staubig in der Dunkelheit schimmerte.

Einen Augenblick blieb ich stehen und überlegte, welche Richtung ich einschlagen sollte, nach Osten oder nach Westen, denn ich mußte sobald als möglich eine an einer Bahnlinie gelegene Stadt erreichen, sei es zu Fuße oder mittels eines zu mietenden Wagens. Als ich am nächsten Meilenstein vorüberkam, las ich mit Hilfe eines entzündeten Streichholzes, was darauf stand. In der Richtung, die ich eingeschlagen hatte, lag Lamballe fünfzehn Kilometer entfernt, und hinter mir führte die Straße nach Brest, das hundertsechzig Kilometer weit war.

Nicht nach Brest, sondern nach Lamballe mußte ich also gehen, und ich legte die acht Meilen bis dahin in wenigen Stunden zurück, so daß ich den Ort noch vor elf Uhr abends erreichte. Hier herrschte noch etwas Leben in den engen Straßen, vor den Kaffeehäusern saßen Leute, und auch ich nahm an einem der kleinen Tische Platz und bestellte mir ein Glas Bier und ein Kursbuch. Man brachte mir das Verlangte und es dauerte nicht lange, bis ich mit meinem Plan im reinen war.

Glücklicherweise war ich mit Geld reichlich versehen, und das ebnete mir die Wege. Ich fand, daß um halb sieben Uhr ein Zug nach Paris abging, und das war zwar der längste, aber trotzdem der rascheste Weg nach Southampton. Ich konnte den Nachmittagsschnellzug nach Havre erreichen und schon bei Tagesanbruch in Southampton sein. Auf diese Weise hatte ich sogar noch ein paar Stunden in Paris übrig, die ich dazu benutzen konnte, einige notwendige Einkäufe zu besorgen und eine mich unkenntlich machende Veränderung meiner äußeren Erscheinung vorzunehmen, denn ich war entschlossen, die Ueberfahrt nach New York unter angenommenem Namen und in der zweiten Kajüte zu machen, wo ich voraussichtlich unbemerkt bleiben würde.


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