Rudolf Greinz
Tiroler Leut
Rudolf Greinz

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Der Klachelwirt

Die allermeisten Dinge auf Erden vermehren sich. Am Fleißigsten die Dummheiten und die Gemeinheiten. Die sterben gewiß nie aus. Genau so wie die Menschen und die Viecher.

Dafür gibt es aber auch so manches Aussterbende. Darunter gehören entschieden die menschlichen Originale. Die werden immer seltener. Ihr Schicksal kommt mir fast so vor wie das der Indianer, die auch eine aussterbende Menschenrasse sind.

Meistens muß man sogar noch ziemlich weit in Zeit und Erinnerung zurückgreifen, bis man so ein Original zum dauernden Gedächtnis auf die Beine stellen kann.

Das ist jetzt auch schon mindestens ein halbes Jahrhundert her, daß der Klachelwirt mitten im Weinland hauste. Er war ein kotzengrober Knochen, weit und breit bekannt als der ungeschliffenste Klachel in der ganzen Gegend. Er 158 hatte sich seinen Übernamen als Klachelwirt redlich verdient.

Wuchtig und breit stand sein Gehöft mit dem alten Wirtshaus da, umgeben von Weit ausladenden Obstangern und Weingärten. Ein Reich für sich, selbstherrlich und voll stolzer Würde.

Und selbstherrlich war auch der Jörgele mit seiner massigen gedrungenen Gestalt und dem dicken eigensinnigen Schädel auf dem kurzen Hals. Ein struppiger grauer Bart umrahmte das braunrote Gesicht. Da konnte ein noch so strahlend blauer Himmel über Berg und Tal lachen, kein Wölkchen weit und breit sein, konnte die Sonne noch so glutvoll ihren wärmenden Schein spenden . . . der Klachelwirt machte deswegen doch meistens ein grantiges Gesicht.

War aber gar nicht so grantig, sondern nur grob. Aber das ausgiebig. War auch mit seinen Gästen grob. Und wenn er glaubte, daß einer derselben genug getrunken hatte, dann ließ er ihm auch keinen einzigen Tropfen mehr einschenken, und mochte die betreffende 159 durstige Seele ihre Qualen noch so eindringlich schildern.

»Du hast g'nug für heut!« pflegte dann der Klachelwirt den Zechbruder anzufahren. »Schau, daß d' außikommst! I brauch' koane rauschigen Zöch bei mir. Der Wein ist a Gottsgab'. Und wenn du b'soffen bist, wird der Herrgott grad koa Gaudi mit dir haben!«

Es lag ja eigentlich eine tiefe Moral in dieser Logik. Es kam auch äußerst selten vor, daß einer vom Klachelwirt einen Rausch heimtrug. Mußte höchstens der Jörgele einmal über Land oder nicht daheim gewesen sein. Wenn er dann aber nachträglich von der b'soffenen Metten erfuhr, dann hatte das Gesinde daheim nichts zu lachen. Dann warf er seinen Dienstboten oder seinem Weib, als sie noch lebte, alle nur erdenklichen Grobheiten an den Kopf.

Der Klachelwirt war bald Witwer geworden. In die Wirtschaft teilte sich dann mit ihm sein Sohn, der Alois, von dem weiter unten noch mehr zu vermelden ist. Der Alois konnte von 160 dem Alten auch eine saftige Watschen fassen, wenn er daheim nicht ordentlich aufgepaßt hatte und der Klachelwirt erfuhr, daß er dem oder jenem zu viel ausgeschenkt hatte. Merkwürdigerweise fanden die richtigen Weinbeißer gerade in Abwesenheit des Jörgele am leichtesten den Weg in sein Wirtshaus.

Der Jörgele hatte aber auch zur Herbstzeit den allerbesten »Nuien«, wie man den neuen Wein hieß, und die allerschmackhaftesten »Köschten«. Und zum Genuß des herrlichen Rötels und der gebratenen Kastanien wallfahrteten sie zum Jörgele, um dort zu »törggelen«. Dieser Ausdruck, der soviel bedeutet wie zu gebratenen Kastanien erklecklich neuen Wein trinken, hängt wohl unmittelbar mit der Weintorggel zusammen.

Um diese Zeit kamen auch die »Hearrischen« zum Jörgele. Die verdammten Stadtlinger konnte der Jörgele aber schon gar nicht leiden. Und am meisten haßte er die Hearrischen, die irgendeine Beamtenwürde bekleideten. Das war geradezu eine Spezialität des Klachelwirtes, daß 161 er ein erklärter Feind jeglicher Behörde war. Irgendein k. k. Hearrischer wirkte auf den Jörgele wie auf den Stier das rote Tuch.

Kam wohl daher, weil der Jörgele neben seiner Grobheit auch ein gutes Stück Prozeßhansel war und deshalb wiederholt mit den Behörden zu tun hatte. Auch stritt er sich wegen seiner Steuern immer gehörig herum. Von seinen verschiedenen staatsbürgerlichen Pflichten wollte er als der selbstherrliche Mensch, der er war, überhaupt nicht viel wissen.

»Dö Hearrischen, dö sein a stinkfaule Saubande überanander!« erklärte der Jörgele. »Unseroans kunnt si das ganze Jahr rackern, daß dö Faulenzer in der Stadt drein a Herrenleben haben. Und den Wein saufeten sie oan' aa no weg, dö Tintenfuxer, dö verflixten. Sollen ihre Tintenkübel aussaufen, wann sie Durst haben!«

Einmal stellte ein Stadtlinger, der beim Klachelwirt einkehrte, dem Jörgele eine Falle, indem er meinte, da müsse er, der Jörgele, den Kaiser wohl auch nicht leiden können, weil er 162 gar so über die Herrischen losziehe. Der Kaiser sei doch der Obrigste aller Herrischen.

Da blinzelte der Jörgele den Fragesteller aus seinen grauen listigen Äuglein an und meinte: »Glaubst du vielleicht, i bin so dumm wie du ausschaust. Dös kann i dir aber sagen: Wann i der Kaiser wär', dann hätt' i mir um di als Untertan zu allerletzt g'schaut. Und da hat mir der Kaiser schon oft g'nug derbarmt, daß er so viele hearrische Untertanen hat. Und iatz kannst mi lecken, wann d' magst!«

Sprach's, war bei der Wirtsstuben draußen und hatte das schallende Gelächter aller Anwesenden auf seiner Seite. War nicht leicht anzubandeln mit dem Klachelwirt.

Der Jörgele stellte sich an sonnenhellen Nachmittagen regelmäßig unter die Haustür, um Ausschau zu halten, wer etwa von den Hearrischen sich in sein Heiligtum wagen würde. Hatte eine Reggelpfeife im Mund, aus der er qualmte, und eine blühweiße Schürze vorgebunden. So stand er unter dem hohen gewölbten Hauseingang und spähte. Und kam da einer, der 163 dem Jörgele nicht paßte, so verschloß er ihm die Tür vor der Nase.

Hauptsächlich auf den Bezirksrichter hatte er es abgesehen. Den konnte er schon gar nicht leiden. Hing enge mit seinen Prozessen zusammen.

Einmal kam der Herr Bezirksrichter in großer Gesellschaft angerückt, um bei dem Jörgele zu törggelen.

Der Jörgele klopfte zuerst, als er die Gesellschaft mit scharfen Augen aus weiter Ferne erblickte, ruhig und überlegen seine Reggelpfeife aus, spie verächtlich vor sich hin und ging dann gemächlich in das Haus hinein.

Die Türe verriegelte er, aber zum Stubenfenster, das neben der Haustüre war, lehnte er sich hinaus und wartete in aller Seelenruhe das Kommen seines Feindes ab.

Der Bezirksrichter war ein lustiger Herr und hatte seine Gäste schon auf den wunderlichen Kauz vorbereitet. Er ließ sich also gar nicht aus der Fassung bringen, als er die Tür verschlossen fand.

164 »Magst nit auftian, Jörgele?« redete er dann den Klachelwirt freundlich an.

»Naa!« erklärte der Jörgele gemütlich. »I mag nit!«

Dabei rauchte er ruhig seinen frisch gestopften Reggel weiter, als sei er gar kein Wirt, sondern nur ein ganz gewöhnlicher Bauer, der sich um fremde Gäste nicht zu scheren brauchte.

»Hast an Wein?« forschte der Bezirksrichter unbeirrt weiter.

Der Jörgele nahm die Pfeife aus dem Mund und spie im weiten Bogen zum Fenster hinaus. Beinahe hätte er das helle Sommerkleid einer eleganten Dame getroffen, die erschreckt zur Seite fuhr.

»Sell wohl!« nickte der Klachelwirt befriedigt. »Guat ist er g'raten huier.«

»Und Köschten? Hast aa, gelt?«

»Joa!« kam es breit zurück.

»Nachher bringst uns etline und an Liter Nuien. Hast g'hört?«

»Naa!« erklärte der Jörgele gemütlich.

»Iatz geh'!« verlegte sich der Bezirksrichter 165 aufs Bitten. »Mach' keine Dummheiten. I hab' dir da a paar feine Herrschaften aufer g'führt.«

»Werd eppas Rares sein!« machte der Jörgele verächtlich und sah mit einem halb zugekniffenen Auge auf die kleine Gruppe, die belustigt zu ihm aufschaute.

Der Bezirksrichter stellte vor: »Das ist die Gräfin X.« Dabei wies er mit der Hand auf die Dame in dem hellen Sommerkleid.

»Gar a Gräfin!« meinte der Jörgele spöttisch. »Und hat nit amal a Geld im Sack.«

Verblüfft sahen die Herrschaften einander an.

»Die hat sogar viel Geld!« behauptete der Bezirksrichter lachend. »Die kann, wenn sie will, deinen ganzen Krempel da auf der Stell' kaufen.«

»Ah so!« sagte der Jörgele ungläubig. »Z'weg'n was spendiert's ihr nachher koa ganzes G'wand? Sell ist ja vornewärts ums Halbe z' kurz. Soll si schamen die Pfot

Damit schloß der Jörgele das Fenster und 166 blieb taub gegen alles Bitten und gute Zureden. Unverrichteter Dinge mußte der Herr Bezirksrichter mit seiner lachenden Gesellschaft wieder abziehen . . .

Gegen die hochwürdige Geistlichkeit war deswegen der Klachelwirt keineswegs höflicher.

Da passierte einmal eine recht unangenehme Geschichte. Ein junger Kooperator hatte beim Jörgele etwas über den Durst getrunken und trat später in der Nacht gefährlich torkelnd seinen Heimweg an.

Kam aber gar nicht weit, da ihm das Mißgeschick widerfuhr, in die Mistgrube beim Gehöft des Jörgele zu fallen, wo eines der deckenden Bretter morsch geworden war und unter dem offenbar schon ansehnlichen Gewicht des Hochwürdigen einbrach.

Ein klägliches Zeter und Mordio führte mit dem Hausgesind und einigen noch verspäteten Gästen auch den Jörgele herbei, der eigenhändig mithalf, den Hochwürdigen aus seiner entsetzlichen Lage zu befreien.

Dem jungen Kooperator war es natürlich 167 furchtbar peinlich, und er wurde rasch nüchtern. Das läßt sich ja denken. Außer der Tunke und dem Geruch auch noch die heillose Blamage.

Der Jörgele suchte ihn jedoch auf seine Weise zu trösten und meinte gemütlich: »Mach' dir nix draus, Hochwürden. Dös hätt' halt bald a dreckige Himmelfahrt abgeben. Und im Geruch der Heiligkeit wärst du aa nit abgekratzt von derer lausigen Welt.« . . .

Als der hochwürdige Herr Dekan einmal den Jörgele wegen seiner bekannten Kotzengrobheit zur Rede stellte und sagte . . . es sei eigentlich schade, daß auf einem so schönen Fleck Erde ein so grober Klachel sitze, da erwiderte ihm der Jörgele: »Weißt was, Hochwürden, du hast mich auf den Fleck da nit hergetan; und du tust mich aa nit weg. Dich hat lei der Bischof da hergetan. Mich aber hat mein Vater da hergetan. Und der Bischof ist no lang nit dein Vater!« . . .

Da sich der Herr Dekan einmal darüber aufhielt, daß ihn der Klachelwirt immer mit Du 168 anredete, meinte der Jörgele: »Ja, Hochwürdiger, willst du vielleicht mehr sein als der Herrgott? Mit dem Herrgott bin i per du, und da werd' i zu dir nit Ös sagen!« . . .

Aber einmal war der Jörgele doch aufs Maul geschlagen. Dieses erstaunliche Faktum ereignete sich, als der alte Fürstbischof von Brixen nach einer Reihe von Jahren wieder zur Firmung kam.

Der Klachelwirt war unter den Honoratioren, die den Fürstbischof am Eingang des Dorfes unter der zu seinem Empfang errichteten Ehrenpforte empfingen.

Der Fürstbischof kannte den alten Kauz schon von früher her und erkundigte sich, wie es dem Jörgele gehe.

Da meinte der Klachelwirt: »Dank der Nachfrag', fürstbischöfliche Gnaden, alleweil no auf zwoa Füaß'.« Und mit einer gewissen loyalen Anteilnahme frug er dann den Fürstbischof: »Wann firmen wir denn nachher morgen in der Früh, fürstbischöfliche Gnaden?«

169 Da zuckte ein boshaft lustiger Schalk um die Mundwinkel des greisen Kirchenfürsten; und er gab dem Jörgele folgende Auskunft: »Ich firm' um achte. Wann du firmst, Jörgele, das weiß ich nit.«

Auf diese bündige Antwort wußte der Jörgele nichts weiter zu erwidern . . .

Als der Jörgele schon ein hoher Sechziger war, da hielt eine junge Wirtin beim Klachelwirt Einzug. Das ging auch nicht alltäglich zu. Der Jörgele behielt aber deswegen das Regiment doch in der Hand, trotzdem sein Sohn, der Alois, geheiratet hatte.

Der Sohn des Klachelwirt führte allgemein den Übernamen des scheinheiligen Aloisius. Die Leute behaupteten nämlich immer, daß der Alois ein ausgesprochen heiliges G'friß habe und ganz besonders fromm drein schaue.

Nun konnte der Alois für sein Gesicht wirklich nichts dafür. Er hatte es sich ja nicht selber gemacht, sondern mit zur Welt gebracht. Und sein heiliges G'friß war ihm selber höchst zuwider, weil er ganz genau wußte, daß es nicht 170 zu ihm stimmte, sondern daß er innerlich ganz anders gesotten war.

Der Alois konnte die Diandeln recht gut leiden und war fleißig hinter den Schürzen her, wenn der Vater nichts davon merkte.

Zuletzt sauste der scheinheilige Aloisius vom Klachelwirt doch hinein. Da war eine nudelsaubere Kellnerin beim Jörgele. Das Nannai stammte aus dem Unterinntal. Daß das Diandl dem Alois in die Augen stach, war ja kein Wunder.

Und daß schließlich eine Kleinigkeit dabei herausschaute, war auch kein Wunder. Der scheinheilige Aloisius wollte aber von der Vaterschaft nichts wissen und behauptete, das Nannai habe schon andern auch gefallen, nicht nur ihm allein.

Damit hatte er nicht so ganz unrecht. Denn das Diandl war ziemlich hergaberisch gewesen.

Der Klachelwirt hatte von der ganzen Geschichte erfahren, und es gab einen Mordssturm daheim. Der scheinheilige Aloisius paßte schließlich nicht mehr gut in einen Stiefel hinein. So donnerte ihn der Alte zusammen.

171 »Also a Bua ist's!« sagte der Jörgele. »Hast du ihn g'sehen?« frug er seinen Sohn.

»Naa. G'sehen hab' i ihn no nit!« erwiderte der Lois. »Das Madl ist ja in Jenbach drunten bei ihre Leut. Es ist alles erst schriftlich. Aber i glaub's nit!« versicherte der Lois.

»Ob du dran glaubst oder nit, ist Wurst!« erklärte der Klachelwirt. »Wer bist denn du überhaupt? A nixnutziger Fetzen! Ich muaß dran glauben, ob der Bua von dir ist oder nit. Drum geh' i mir den Pamsen anschauen!«

Fuhr auch wirklich ins Unterinntal der Klachelwirt, um seinen angeblichen Enkel zu besichtigen. Der Lois mußte mitfahren.

Als der Jörgele des Säuglings ansichtig wurde, fuhr er seinen Sohn kotzengrob an: »Was, du scheinheilig's Luader du, von dem Büabl möchtest du di davon leugnen? Der Bua g'hört dein. Der hat ganz dein heilig's G'friß!«

Damit war der Enkel anerkannt. Und der Klachelwirt machte kurzen Prozeß mit seinem Sohn. »Das Madl wird g'heiratet, sag' i 172 dir!« befahl er seinem Sohn. »Hast mi verstanden? Dös ging' mir grad no ab, daß du mir mit der Zeit im ganzen Tal umadum heilige G'frisser auf die Welt stellest, du Kittelschmöcker, du! Wenn du schon koane andern G'frisser z'sammbringst als deine scheinheilige Larven, nacher müssen mir dö G'frisser wenigstens in der Familie bleiben. Nit, daß i auf Weg und Steg nimmer sicher wär', so an scheinheiligen G'friß zu begegnen!«

Der Lois mußte gute Miene zum bösen Spiel machen und das Nannai heiraten. Die Unterinntalerin wurde eine tüchtige Wirtin, und auf ihren Schwiegervater, den Klachelwirt, schaute sie ganz besonders, mit einer völlig rührenden Dankbarkeit, obwohl der Jörgele zeitlebens eine harte Faust über der Wirtschaft hatte.

Der Lois hat auch im Lauf der Jahre eine ganze Kutt'n Kinder mit seiner Hauswirtin aufgestellt. Sie hatten nicht alle sein heiliges G'friß, aber ein Teil davon schon. Das war eben ein Zufall. Die heiligen G'frisser lassen 173 sich halt nicht anschaffen, wie man sie haben will.

Wenn der Klachelwirt darauf zu sprechen kam, dann meinte er: »I hab' nix dagegen gegen a bissel Abwechslung in die G'frisser. Lauter heilige G'frisser wär' do a bissel zuviel Heiligkeit. Und 's Nannai trifft koa Schuld an der Abwechslung. I kann ihr nix nachsagen. Ist a braves Weibets. Ist vielleicht das Gescheiteste g'wesen, daß sie damals das heilige G'friß von mein' Lois derwischt hat statt an andern G'friß.« 174

 


 


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