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1867

Rom, 10. Februar

Die Bestätigung des Empfanges meiner Manuskripte in Stuttgart fehlte seit dem November. Auf ein Telegramm antwortete man am 16. Januar, daß das erste Manuskript angelangt sei, das zweite nicht. Bald darauf schrieb die Buchhandlung, daß sie sich geirrt habe: das zweite Manuskript sei angekommen, das erste nicht. Schlözer telegraphierte an Gasparini in Paris, worauf dieser schrieb, daß das Manuskript noch im Bureau des Ministeriums des Auswärtigen liege, um durch diplomatische Gelegenheit nach Stuttgart befördert zu werden. Am 4. Februar telegraphierte Cotta, daß das Manuskript angelangt sei. Dies war eine peinvolle Zeit.

Drei Wochen lang war Grant Duff hier, der wahre Freund der deutschen Nation, deren Rechte er zur Zeit des schleswig-holsteinischen Kriegs im englischen Parlament bereits verteidigt hat. Auch Maltzahn kam, welcher sich durch sein kühnes Eindringen in Mekka einen europäischen Ruf gemacht hat. Er ist ein noch junger Mann, blond und nordisch aussehend, eher schwächlich als kraftvoll. Bei jenem Diner, wo ich ihn kennenlernte, waren auch Gervinus, Stahr und Liszt.

Ich schrieb in den ersten Tagen des Januar die Abhandlung ›Das Reich, Rom und Deutschland‹, eine Entwicklung der Reichsidee, bei Gelegenheit des trefflichen Buchs von J. Bryce ›The Holy Roman Empire‹. Diesen Aufsatz habe ich an die ›Allgemeine Zeitung‹ geschickt, für welche ich seit einigen Jahren nichts mehr geschrieben hatte.

Rom ist ruhig. Es gibt hier zwei Parteien, das National-Comité, welches die Parole des Abwartens von der Florentiner Regierung erhält, und die Mazzinisten, die einen gewaltsamen Zusammensturz herbeiführen wollen. Heute nacht um 12 Uhr warf man an vielen Orten in der Stadt Petarden. Ich war im Einschlafen, als mich diese heftigen Schüsse weckten. Ich zündete Licht an und öffnete das Fenster. Rom war von einem magischen Glanz umflossen. Das Schießen wiederholte sich. Heute des Morgens fragte ich den Wachtposten auf Monte Pincio nach der Ursache der Schüsse: es war der Jahrestag der römischen Republik (10. Februar 1849), den man hatte feiern wollen.

Wo sich Zuaven zeigen, in Gasthäusern und Cafés, meidet man sie. Im Januar wurde ein Zuave in Trastevere ermordet. Das National-Comité hat den Besuch des Theaters und auch des Karnevals untersagt.

Es starben die Kardinäle Villecourt und Canziano de Azevedo.

Man hat vor kurzem die siebente Station der Wächterkohorte bei S. Crisogono in Trastevere entdeckt. In der Tiefe von mehr als 20 Fuß zeigen sich wohlerhaltene Mosaikböden und vieles Gemäuer, worauf man Graphitinschriften gefunden hat, diese sind für die Epoche des Alexander Severus wichtig. Es ergibt sich aus ihnen der 1. Oktober als sein Geburtstag.

 

Rom, 10. März

Am 22. Februar kamen die ersten Druckbogen des Bandes VI. Die ›Allgemeine Zeitung‹ brachte meinen Aufsatz: ›Das Reich, Rom und Deutschland‹.

Ich sammle das Material zum siebenten Bande. Das nahende Ende meiner Arbeit erschreckt mich. Mir träumte eines Nachts, daß ich Rom verlassen mußte, und sträubend mich an einen Telegraphenpfahl fest anklammerte – unten lag eine nebelnde und häßliche Welt.

Bei Kolb zum Diner gewesen, zu Ehren des Grafen von Württemberg und dessen Gemahlin, einer Prinzessin von Monaco. Dies Duodezländchen hat sogar einen Vertreter beim Heiligen Stuhl, Herrn Saldini.

Der Karneval war ein Zuavenfest, der traurigste von allen, die ich erlebt habe.

Man sagt, daß Hübner sehr aufgeregt sei. So erschien es mir, als ich das letzte Mal bei ihm war. Selbst die geringsten Prälaten im Vatikan rümpfen jetzt die Nase, wenn der österreichische Botschafter erscheint, der früher mit den tiefsten Bücklingen, als Alter ego und Patricius des mächtigen Kaisers empfangen wurde.

Die italienische Kammer wurde aufgelöst, weil sie das Projekt Scialoja zurückgewiesen hat. Ricasoli blieb Minister. Heute finden die Neuwahlen statt.

Die Briganten zeigen sich selbst in der Nähe Roms. In einer Vigna bei S. Lorenzo wurden drei Räuber erschossen. Man setzte die Toten öffentlich auf Stühlen aus und photographierte sie unter dem Zuruf des Volks

Die Fürstin Wittgenstein schrieb eine Schilderung der Sixtinischen Kapelle für die ›Revue du Monde Catholique‹ – ein brillanter Artikel, lauter Feuerwerk, wie ihre Rede. Sie beginnt mit der Beschreibung des Jüngsten Gerichts von Michelangelo, worin sie sich vorweg erschöpft, so daß das Übrige ganz abfällt. Das Jüngste Gericht läßt mich kalt; es ist eine gemalte Dogmatik, zugleich ein Paradestück von Leibern, die behandelt sind, wie Rubens Pferdestürze behandelt hat. Wie anders wirken in der Sistina die malerischen Dichtungen Michelangelos, die Schöpfung des Menschen, die Sibyllen und die Propheten.

 

Rom, 7. April

Die Herzogin von Sermoneta führte mich zu ihrer Schwester, Miss Knight, welche sich schon seit 20 Jahren nicht aus dem Bette erheben kann. In Folge eines Sturzes ist sie in diesen Zustand gekommen, den sie mit heroischer Kraft erträgt. Sie erinnert mich an Pauline.

Reumont reiste ab. Sein erster Band der ›Geschichte der Stadt Rom‹ ist unter der Ankündigung erschienen, daß dies Werk auf Quellenstudium beruhe. Doch dies sind spalle proprie, roba altrui. Wenn Reumont seine ihm von König Max gestellte Aufgabe eines Kompendiums der ganzen Stadtgeschichte in zwei Bänden in angenehmer Darstellung gelöst hätte, so würde er etwas sehr Dankbares geliefert haben. Ein solches Buch fehlt dem Reisenden in Rom. Reumont hat einen guten Tatsachensinn. Er speichert auf, was er liest. Den höheren, künstlerischen Sinn und die Gestaltungskraft besitzt er nicht. Gedanken fehlen ihm. Sein Gedächtnis und seine Promptheit sind bewundernswert.

Gozzadini und Aleardi schrieben mir, daß sie das italienische Kultusministerium veranlassen werden, den Buchhändler Antonelli bei der Fortsetzung der Übersetzung meiner Geschichte zu unterstützen. Da der italienische Buchhandel ganz darniederliegt, so wagt Antonelli nicht weiterzudrucken. Diese Übersetzung hat mich schon mehr Briefschreiberei gekostet, als fast alle meine literarischen Verbindungen in Deutschland zusammengenommen.

Gestern zirkulierte ein Blatt mit der Unterschrift Il Centro dell' Insurrezione di Roma, 1. April 1867. Dies neue Comité ruft die Römer auf, sich zu erheben, und das Joch der Priester abzuschütteln. Garibaldi sei zum Haupt der Insurrektion ernannt. Er habe das Mandat angenommen. Gleichzeitig wird ein Brief Garibaldis an das »Zentrum der Insurrektion« abgedruckt, datiert S. Fiorano, 22. März, worin er sich bereit erklärt, dem Ruf zu folgen.

Im März ist ein Edikt vom Delegaten Pericoli in Frosinone erlassen worden. Die Briganten sind vogelfrei; wer einen ihrer Anführer erschießt, erhält 6000 Francs Belohnung. Wenn ein Räuber den anderen angibt oder tötet, bekommt er Lohn und Straflosigkeit. Ein gleiches Edikt wurde zum letztenmal unter Pius VII. erlassen. Die Briganten halten den Argwohn nicht lange aus. In der Tat erzählte gestern der General Kanzler, daß die Banden mit der Regierung unterhandeln. Sie wollen die Waffen niederlegen, unter Gewähr ihrer Freiheit – man bietet ihnen das Leben und Gefängnis oder Fortschaffung. Herrliche Zustände!

Zum Fest des Königs Wilhelm wurde der erneuerte Saal im Palast Caffarelli eröffnet. Preußen nimmt größere Verhältnisse auch auf dem Kapitol an.

 

Rom, Gründonnerstag

Die Beleuchtung am 12. April war minder glänzend als in früheren Jahren. Zauberhaft schön nahmen sich die illuminierten Rossebändiger auf dem Quirinal aus – wie alabastern am dunkeln Himmel sich abhebend.

Die Beteiligung des Volks war gering, aus Furcht, da die Mazzinisten Drohungen verbreitet hatten. Die Truppen waren konsigniert. Am 9. hatte auch das National-Comité eine Proklamation ausgegeben, worin es die Römer ermahnte, sich nicht zu Unsinnigkeiten verführen zu lassen. Der Vatikan lebt nur von der Ohnmacht Italiens. Wenn dieses stark wird, so könnte Viktor Emanuel Rom mit einem Handbillet erobern.

Finstere Kriegswolken am Horizont, wegen Luxemburgs.

Hier wünschen die Liberalen den Krieg; sie hoffen auf den Sturz Napoleons. Der Krieg wird auf jede Weise den Fall des Papsttums mit sich führen.

Gervinus gab ein Diner bei Ponte Molle. Er ist jetzt zugänglicher, doch noch immer entschiedener Feind Preußens und gegen die gewaltsame Umwälzung Deutschlands unversöhnlich. Ich fuhr mit ihm und seiner Frau eines Tags nach dem Grabmal des Nero, von wo wir durch das Tal nach Aqua Traversa gingen.

Gestern begannen die Osterfeierlichkeiten. Ich war abends nach dem St. Peter gegangen. Um die Konfession lagen scharenweise Zuaven, dem Allerheiligsten so nahe wie möglich zu sein, namentlich den Reliquien, wenn sie von der Veronikaloge gezeigt wurden. Auf manchem dieser Dickköpfe sah man den krassen Ausdruck fanatischer Dummheit. Das Erscheinen der Reliquienmänner in der weißen Sottanen oben auf der Loge, wobei geklingelt wurde, ihr Hin- und Herwenden mit den blitzenden Heiligtümern, die unten kniende Menge der Fanatiker: dies machte ganz den Eindruck eines solennen Akts der Zauberei. Zauberei ist überhaupt ein Bestandteil der katholischen Religion, und zwar ein sehr wesentlicher.

Gestern wollten die Zuaven bei einer Predigt im Kolosseum einen Spanier zerreißen, welcher dem predigenden Kardinal nachäffte. Monsignor La Bastide rettete ihn – die Szene soll furchtbar gewesen sein, wie ante bestias –, Cartwright sah sie und erkannte auch den Spanier, Don José Herrera, der im Hause Guizots erzogen ist. Guizot muß ihm eine schlechte Erziehung gegeben haben. Man sagt, daß der Tölpel ins Gefängnis geführt sei.

In Paris laufen Calembourgs um: »Wer verdient die größte Ausstellungsmedaille?« Napoleon, parcequ'il a exposé la France.

Was ist Napoleon? Une incapacité méconnue.

Thiers soll den Luxemburger Handel so charakterisiert haben: Wenn ein Jäger sich schämt, mit leeren Taschen zurückzukehren, so geht er zu einem Wildhändler, von dem er ein Kaninchen kauft; er steckt's in die Jagdtasche und läßt dessen Ohren heraushängen. Voilà le Luxembourg. In Paris fragt man nicht mehr: haben wir Luxemburg? sondern avons-nous le lapin?

Cornelius ist tot. Seine Exequien wurden in der Anima gefeiert.

 

Rom, 28. April

Ich war an den Ostertagen jeden Abend im St. Peter und sah auch die Prozession am Sonntag. Eine Frau vom Lande stand neben mir. Als sie die Bischöfe mit ihren hohen Mitren kommen sah, fragte sie in der naivsten Weise: » sono tutti Papi?« Sind das alles Päpste? Die Stimme Pius IX. schallte noch sonor, wie immer, über den Platz. Obwohl er viel von seinem nahen Ende spricht, kann er doch noch einige Jahre vorhalten.

Der Abzug der Fremden von Rom, die große Hedschra, hat begonnen. Vor acht Tagen reiste Gervinus mit seiner Frau nach Heidelberg. Sie verließen Rom ungern. Tags vor der Abreise nahmen wir noch in größerer Gesellschaft eine Merenda in der Vigna gegenüber S. Agnese ein, wo wir recht heiter waren. Gervinus erklärte, daß er die Bewunderung der Ranke'schen Geschichtsschreibung nicht begreifen könne. Ein ähnliches Gespräch hatte ich früher mit Acton. Ranke kennt nur die Diplomatie in der Geschichte – »das Volk« kennt er nicht. Er hat die feinste Kombinationsgabe und logische Schärfe, aber keine Gestaltungskraft. Seine Menschen und Dinge zeigen ihr inneres Gefaser, aber nur wie auf einem anatomischen Theater. Ranke geht durch die Geschichte wie durch eine Bildergalerie, wozu er geistreiche Noten schreibt. Ich vergleiche ihn als Geschichtsschreiber dem, was Alfieri als Dichter ist. Abends, da Nachrichten über den drohenden Krieg kamen, wurde Gervinus warm. Er stellte die schwärzesten Ansichten auf, selbst von einem Abfall Süddeutschlands an Frankreich, wie in den Zeiten des Rheinbundes. Er meinte, die Kluft zwischen dem Süden und dem preußischen Wesen sei unausfüllbar. Außer seiner Theorie vom Föderativstaat ist es der moralische Widerwille gegen die Bismarckische Politik, welcher ihn in seinen Urteilen bestimmt. Sein Rechtssinn ist tief empört. Wir bestritten seine Befürchtungen lebhaft. Ich hoffe auf die allgemein gewordene Kraft des Nationalbewußtseins.

Es ist ein ernstes und sehr gediegenes Wesen in Gervinus, ein großer in der Breite angelegter Verstand: Prosa im edelsten und mächtigsten Sinne. Er lebte in anspruchsloser Zurückgezogenheit in Rom; viel mit musikalischen Studien beschäftigt. Er schwärmt für Händel. Seine Frau singt Händel'sche Musik mit Vorliebe, ohne viel Stimme, aber mit gut geschultem Ausdruck.

Es kam Professor Justi aus Marburg, Verfasser eines Buchs über das Leben Winkelmanns, von dem der erste Band erschienen ist, ein, wie es scheint, ausgezeichneter Gelehrter.

Der mögliche Krieg macht mir Schrecken. Die Anzeichen und die Aufregung haben denselben Charakter wie in denselben Tagen vor einem Jahr. Offiziell rüstet niemand ab, und doch rüstet alles.

Es muß früher oder später die Entscheidung durch die Waffen getroffen werden. Deutschland ist heute geistig mächtiger als Frankreich – es hat außer der noch ungelösten nationalen Aufgabe höhere kulturgeschichtliche Ziele, daher ist ihm der Sieg gewiß.

Graf Rzewuski ist abgereist.

Ich habe Hébert kennengelernt, den Direktor der französischen Akademie. Er ist Freund Sabatiers. Ein melancholischer, schöner Kopf.

Gestern mit Donna Ersilia, der Gräfin Ugarte und Cartwright in der Villa Patrizi, wo ich noch niemals war – Scirocco –, alles war trist und finster, trotz des Frühlings, der seine grünen Schwingen in allen Villen entfaltet hat.

Man spricht von einem Bündnis zwischen Italien und Frankreich. Dies ist die Bedeutung des Ministeriums Ratazzi. Es wäre ein jammervolles Zeugnis inneren Elends und Italien einer Soldbande zu vergleichen, käuflich dem Meistbietenden. Die Verbindung mit Preußen brachte den Italienern zwei große Gewinnste: Venedig und die Möglichkeit, sich vom Protektor Napoleon zu befreien.

 

Rom, 8. Juli

Ich arbeitete viel in den Bibliotheken, mit gutem Erfolg auch in der Barberina.

Ich habe die zwei ersten Bände der ›Geschichte der Stadt‹ neu durchgearbeitet. Sie sind die Fundamente des Werks. Mit dem dritten Bande steigt das Gebäude selbst auf. Es war das Jahr 1859, welches mir einen Schleier von den Augen nahm, so daß ich die Grundgedanken des Mittelalters, und vor allem das Verhältnis des Papsttums zu Rom, klarer erkannte. Das Werk wuchs mir unter den Händen; seine erste Anlage war ein Keim, dessen Entwicklungskraft ich nicht kannte.

Der Juni brachte die Mekkapilger. Das Centenarium Petri versammelte gegen 490 Prälaten und Bischöfe, alle Patriarchen des Morgenlandes und etwa 14 000 Priester. Selbst in meinem Hause lagen Spanier, der Erzbischof von Barcelona und der von Palencia mit Gefolge. Das ganze Haus roch von Morgen bis Abend nach Ölgeschmore. Unaufhörlich warf die Eisenbahn schwarze Scharen nach Rom. Die italienische Presse nannte dies höhnisch den Wanderzug der Krähen (il passaggio delle cornachie). Rom war ganz finster geworden. Alle Gasthäuser, Cafés, Wohnungen erfüllt von Priesterinvasion. Auf einem Gang von 50 Schritten begegnete man in jeder Straße wohl an 50 Pfaffen aller Nationen.

Franzosen: am zivilisiertesten aussehend; kleine, bewegliche Gestalten, voll Selbstgefühl, als der »großen Nation« angehörend, und sich bewußt, daß der Geist der katholischen Kirche in ihrem Lande sei.

Spanier: mit Don Bartolohüten, fest und ruhig, die Bischöfe elegant und würdevoll.

Italiener, namentlich Römer: die klassischen Stamm- und Musterkleriker, vom freiesten und natürlichsten Benehmen, mit dem Bewußtsein, die wahre alte Garde der Kirche zu sein; alle anderen erscheinen gegen sie wie klerikale Landwehr.

Deutsche: meist Landgeistliche aus Tirol, Bayern und Österreich; vierschrötige Menschen, hohe Zylinderhüte tragend, äußerlich ohne Kultur.

Slawen mit Schnurrbärten.

Orientalen: wie wirkliche Patriarchen, noch vom alten Testament her, den Zusammenhang des Kultus mit dem Orient darstellend, in prächtigen Kostümen. Auch Chinesen und Mohren sah man. Ein Erzbischof soll einen Ring in der Nase getragen haben.

Es gab ein fortgesetztes Fest von Prozessionen, Erleuchtungen, musikalischen Aufführungen für Isis und Osiris und den Ochsen Apis. Der St. Peter bot in seiner Beleuchtung am 29. Juni einen feenhaften Anblick dar. In der großen Prozession, wo mehr als 400 Erzbischöfe und Bischöfe mit hohen Mitren oder Kronen, in goldstarrenden Gewändern, Kerzen in der Hand, einherwandelten, zwei volle Stunden lang, wurde die ganze katholische Hierarchie entfaltet. Die Fahnen der neuen Heiligen, mit Abbildern ihrer Martern, wurden einhergetragen. Verwandte oder Landsleute der Heiligen trugen die Quasten dieser Bilder, welche gut gemalt waren – viereckige Tableaus, 20 Fuß hoch. Als die Standarte des gräßlichen Inquisitors Pedro de Arbues aus den Kolonnaden trat, sank sie zu Boden und riß ein paar Menschen mit sich. Ich sah das mit großer Schadenfreude.

Pius IX. hat ein Konzil für 1868 verkündigt.

Die Jesuiten hatten im Plan, den Papst für infallibel zu erklären. Um dies Dogma vorzubereiten, machte die ›Civiltà Cattolica‹ den Vorschlag, alle Priester und Gläubige sollten zum Centenarium des Apostels auf dessen Grabe das Gelübde niederlegen, für den Satz der Infallibilität auf Tod und Leben einzustehen. Mit wahnsinniger Wut und Schamlosigkeit drückten sie sich so aus: bisher hätten die Gläubigen St. Peter nur materielle Opfer dargebracht, entweder Geld oder ihr Blut (als Zuaven und Söldner des Papsts), jetzt handle es sich darum, den Verstand zu opfern. Sie haben indeß diesen perfiden Zweck nicht erreicht, sondern Fiasco gemacht.

Das Papsttum ist eine lateinische Form und wird nur mit der lateinischen Rasse selbst aufhören. Wenn Gervinus die vielen Tausende gesehen hätte, welche bei diesem Fest zusammenströmten, so würde er seine Ansicht über die Dauer des Papsttums geändert haben. Die Urteile der Protestanten leiden in dieser Beziehung alle an der falschen Auffassung der lateinischen Welt, welche sie nicht kennen und deren geistige Bewegung sie nach germanischem Maße messen. Papsttum und Katholizismus sind aber der lateinischen Nationalität fest eingeprägte Formen, und in ihnen wird sich ihr Leben noch lange darstellen.

Seit drei Tagen wissen wir von der Erschießung Maximilians. Er hatte das Los der Tierbändiger, die zuletzt doch von den wilden Bestien zerrissen werden. Die prophetischen Verse, welche Pasquino dem Unglücklichen zurief, als er am 18. April 1864 nach Rom kam, haben nun ihre Bestätigung gefunden.

Der Herzog Caetani sagte mir bei Gelegenheit der Frage, ob die versammelten Bischöfe eine Deklaration über das Dominium Temporale machen werden, einen Vers, den ihm einst Sarti aus einem vatikanischen Codex abgeschrieben hatte:

Pontifices muti,
De suo jure male tuti,
Quamvis cornuti,
Non audent cornibus uti.

Bei Heiligsprechungen ist dies Gebrauch: jeder Postulant einer Sanktifikation bringt dem Papst vor den Thron folgende Gaben: zwei Brote, eins vergoldet, das andere silbern, mit den Wappen des Papsts darauf; zwei Fäßchen Wein, eins golden, das andere versilbert; drei zierliche Vogelbauer: in dem einen zwei Turteltauben, in dem andern zwei weiße Tauben, in dem dritten bunte Vögel. Die Fürstin Wittgenstein zeigte mir davon eine Taube, welche ihr der Papst geschenkt hatte. Sie saß ganz aufgeblasen da, als wäre der heilige Geist in ihr.

 

Rom, 10. Juli

Ich reise heute ab nach Stuttgart, wo ich den Bruder am 19. oder 20. treffen soll.

 

Bern, 17. Juli Schweizerhof

Am 10. abends reiste ich von Rom nach Florenz; der Zug verspätete wegen der Choleradurchräucherung in Narni, was mit ziemlicher Brutalität vor sich ging; ich glaube, um die vielen Priester zu ärgern, welche in ihre Heimat zurückkehrten, meist Franzosen, die ich bis nach Lausanne zu Begleitern hatte.

Ich blieb nur anderthalb Stunden in Florenz, warf mich in den Wagen und eilte auf den Kirchhof an Paulinens Grab. Eine Säule aus grauem Stein steht darauf mit ihrem Namen. Am 12. kam ich nach Stresa am Lago Maggiore. Hier fand ich Perez im Haus der Rosminianer. Er ist tätig und zur Resignation entschlossen. Er besorgt die Ausgaben der Werke Rosminis.

Am 13. Weiterfahrt über den Simplon.

Nachts ein paar Stunden in Sion. Dann weiter nach Lausanne. Abends am 14. in Bern. Ich arbeite in der Stadtbibliothek täglich sechs Stunden.

Die Schweizerpresse spricht wegen Maximilian ihre Genugtuung über die Belehrung der Könige aus, daß vor dem Tribunal von Republikanern dynastische Rücksichten nichts gelten. Der Kaiser ist nach demselben Gesetz erschossen worden, nach welchem er die republikanischen Generale Arteaga und Salazar erschießen ließ.

Ich lese die Reden von Thiers und Jules Favre in Folge der Katastrophe von Mexiko. Welch ein perfides Wesen und welcher Schmutz wird nun aufgedeckt! Und wie steht Napoleon vor der öffentlichen Meinung der Welt da!

Sollten nicht die Folgen davon zu einem Umsturz in Frankreich führen?

 

Berg hei Stuttgart, 27. Juli

Am 18. fuhr ich nach Thun; Landschaft, Strom und Wasser entzückten mich. Ich aß an der Aar in einem sauberen Gasthof – alles lief an die Fenster, die Japanesen zu sehen, welche die Schweiz auf deren Kosten bereisten, von Paris her. Man erzählte mir, daß sie ohne Umstände an die Buffets, wo sie deren trafen, gingen und nahmen, was ihr Herz begehrte, im Glauben, dies sei so Stil in Europa.

Am 20. über Zürich nach Romanshorn; dort mittags über den See nach Friedrichshafen und weiter, wie vor sieben Jahren, nach Stuttgart. Der Bruder kam erst am 22. Ich hatte ihn seit fünf Jahren nicht gesehen. Wir mieteten eine Wohnung hier in Berg.

Am 22. besuchte ich Roth, den Geschäftsführer der Cotta'schen Buchhandlung, welcher der Leiter des ganzen Verlags ist. Er sprach sich sehr befriedigt über den Gang der ›Geschichte der Stadt‹ aus. Dann sah ich Baron Reischach den älteren und später den jungen Cotta.

Ich ging am 22. auf die Bibliothek (400 000 Bände), eine der vollständigsten Deutschlands, wo ich den mir von Rom her bekannten Bibliothekar Professor Heyd traf. Später kam Stälin, der Direktor der Bibliothek.

Es herrscht in Stuttgart keine Verstimmung gegen Preußen; der Krieg von 1866 ist, wie eine Rauferei unter Brüdern, fast schon vergessen. Das Einheitsgefühl ist lebhaft; nur fürchtet man die Neigung zum Absolutismus in Preußen und das dortige Korporalwesen.

Hier ist der General Obernitz, mir von Rom bekannt, welcher als militärischer Bevollmächtigter Preußens die württembergische Heeresorganisation leitet.

Wir waren in Ludwigsburg und fuhren dann nach Marbach, das Schillerhaus zu sehen.

Heute bei Reuchlin, dem Verfasser der neueren Geschichte Italiens, einem ehemaligen Landpfarrer bei Tübingen, welcher jetzt in behaglichen städtischen Verhältnissen lebt. Dort war auch der Abgeordnete Holder, Führer der preußisch gesinnten Partei, welche hier sich zu vergrößern scheint, und Dr. Lang, Redakteur des preußenfreundlichen ›Schwäbischen Merkur‹.

 

Heilbronn, 31. Juli

Unsere gestrige Reise nach Heilbronn war nicht vom Wetter begünstigt. Es war so schneidend kalt, daß ich meine Winterkleider anzog und mich doch nicht erwärmen konnte.

Am Nachmittage nach Weinsberg, zur Burg Weibertreu hinauf, am Hause Justinus Kerners vorüber, wo ich lebhaft Kerners gedachte. Kerner starb vor vier Jahren; sein Denkmal steht an der Straße nahe bei seinem Hause, worin jetzt sein Sohn, ein Arzt, wohnt.

 

Heidelberg, 1. August Darmstädter Hof

Gestern am Morgen stiegen wir in Heilbronn auf das Neckarschiff, bei gutem Wetter, und fuhren nach Heidelberg.

Gervinus und Frau fand ich heute mich erwartend in ihrem Hause in der Leopoldstraße. Um 10 Uhr fuhren wir mit ihnen nach Neckarsteinach, wo wir zu Mittag aßen und unter angenehmen Gesprächen schöne Stunden verlebten. Gervinus' Ansichten in bezug auf Deutschland sind dieselben geblieben, wie er sie in Rom ausgesprochen hatte. Beide äußerten lebhafte Sehnsucht nach ländlichem Leben oder nach einem wiederholten Aufenthalt in Rom. Frau Gervinus erzählte mir von der musikalischen Arbeit ihres Mannes, auf welche sie mich sehr neugierig machte. Sie entstand, wie sie sagte, aus ihrem zehnjährigen Spiel von Händels Musiken.

 

Mainz, 3. August Zur Stadt Koblenz

Nachdem wir den letzten Abend in Heidelberg bei Gervinus zugebracht hatten, wo auch Professor Wattenbach war, fuhren wir gestern nach Mannheim. Dann nach Ludwigshafen. Die Uferluft wehte kühl und scharf, wie ein Seewind, was mir überhaupt an diesem Strome auffiel. Weiter nach Speyer, den Dom zu sehen. Er ist in vielen Teilen durch König Ludwig hergestellt. Von Kaisergräbern nichts mehr vorhanden als das Grabmal Rudolfs von Habsburg. Bedeutender ist der Dom zu Worms, wohin wir von Speyer fuhren. Diese kleine reizende Stadt und ihre köstliche Umgebung am Rhein entzückte uns.

In Mainz kamen wir gestern des Abends an.

Am Morgen kam Harder von Wiesbaden. Wir fuhren zu Dampfschiff nach Biebrich, wo Julius und Harder auf der Eisenbahn nach Wiesbaden weitergingen, während ich allein am Rhein entlang über Kastell zurückkehrte. Mainz ist eine, obwohl vielfach moderne, doch ganz originelle von geschichtlicher Kraft durchdrungene Stadt. Hier stehen ein paar tausend Mann Preußen. Ich sah sie hier zuerst in Massen. Man will ihnen in Hessen und Nassau noch nicht wohl; doch überall hörte ich hinzusetzen: dies würde nach zwei Jahren aufhören. In jedem Orte begegnete mir das stark ausgesprochene Gefühl der deutschen Zusammengehörigkeit und das Bewußtsein unfehlbarer Vereinigung in naher Zukunft. Ein Knabe, den ich in Worms fragte, ob er Preuße sei, sagte lachend: »auch bald! auch bald!«

In Biebrich, wo der Herzog von Nassau ein schönes Schloß besitzt, schien die Anhänglichkeit an ihn und der Widerwille gegen das neue Regiment noch stark – doch wenn ich solche Hemmungen mit denen in Italien verglich, so erkannte ich wohl, daß wir, trotz des Bürgerkriegs von 1866, uns schneller und mit mehr Ruhe vereinigen können als die Italiener.

In Mainz selbst, wo der König von Preußen vor einigen Tagen war, empfing man ihn, wie ich hörte, sehr kühl; nicht so in Wiesbaden, wo sein Empfang ihn selbst überrascht hat.

Im Übrigen sind alle Zustände in Deutschland von so gründlicher Ordnung und innerer Stärke, daß man die große Umwälzung der jüngsten Zeit nirgends gewahr wird.

 

Heidelberg, 8. August Academiestraße Nr. 2

Wir fuhren am 4. August zu Schiff nach Biebrich und setzten die Rheinreise fort bis Koblenz. Das Wetter war trübe, auch ging die Rheinluft kalt und heftig. Im Ganzen enttäuschte mich die Rheinfahrt; doch gab es bisweilen schöne Strombilder und Städteansichten, wie Kaub, Bingen, S. Goar, welche, wenn sie Farbe hätten, prächtig sein müßten. Wir nächtigten in Koblenz im »Riesen« sehr gut, sahen dies freundlich langweilige Städtchen und seine Anlagen am Rhein, besuchten Ehrenbreitstein und fanden die Familie Schickert vor.

Am 5. August mit der Eisenbahn nach Bonn, wo wir uns ein paar Stunden aufhielten, den Dom, die Universität, das Monument Arndts, Poppelsdorf usw. sahen.

In Köln kamen wir nachts an, fuhren vor einem kleinen Gasthaus vor, wurden dort nur von zwei schönen Frauen empfangen, welche uns geheimnisvoll fragten, ob wir an sie empfohlen seien, während sich kein Portier, noch Hausknecht, noch Wirt sehen ließ. Dies machte uns stutzig; wir gingen von unserem Zimmer auf die Straße und fragten einen Dienstmann nach der Beschaffenheit dieses Hotels. Er sagte mir verblümt, daß er gehört habe: dies Haus nehme Herren mit ihren Damen auf. Die Folge davon war, daß wir auszuziehen beschlossen. Dies gab eine komische Szene, und wir blieben, um bald unseren Irrtum und die Verleumdung des Dienstmanns einzusehen. Wir logierten dort sehr gut.

Köln ist finster und massiv und stieß mich ab. Der Dom aber ist eine große Offenbarung einer ganzen Zivilisation.

Nachmittags 3 Uhr trennten wir Brüder uns. Julius fuhr nach Kassel; ich nach Mainz zurück. So war das Beste meiner Vaterlandsfahrt hinter mir. Von hier ging ich wieder romwärts und trat eigentlich schon meine Rückreise an. Ich blieb in Mainz drei Stunden. Um 11 Uhr nachts fuhr ich über Darmstadt weiter und langte morgens in Heidelberg an. Ich mietete gestern ein sauberes Logis in der Academiestraße.

Ich begann, auf der Bibliothek zu arbeiten. Dr. Bähr ist Bibliothekar nebst Dr. Thibaut und Bender.

Abends zu Gervinus. Ich fand ihn und seine Frau im Begriff auszugehen, um die Beleuchtung des Schlosses zu sehen, welche die hiesige Studentenschaft veranstaltete. Sie führten mich jenseits des Neckars in das Haus des Professors Röder, wo ich eine zahlreiche Gesellschaft fand. Stark, Kopp, Lembke, der holländische Exminister Thorbeke, mehrere Damen (Frau Feuerbach unter andern). Die prachtvolle Schloßruine, der Fluß, die Barken, die dunkeln Berge, ein Fackelzug der Studenten, ein beleuchtetes Dampfboot, auf welchem das Corps Vandalia herangefahren kam, alles dies gab ein schönes Gemälde und brachte mir die deutsche Romantik mit ihrem unverwüstlichen, kindisch-genialen Jugendleben wieder zurück.

Ich sah mehrere Fackelzüge und Fahrten der Studenten. Das altfränkische zopfige Wesen hat sich in den Corps noch erhalten. Für jeden Nicht-Deutschen muß es ganz unbegreiflich sein, wie eine intelligente Jugend so viel Kraft, edles Gefühl, ja Begeisterung an so absurde Nichtigkeiten verschwenden kann. Die sinnlosen Formen, welche sie in ihren schönsten Jahren beschäftigen und die sich noch in das spätere Lebensalter hinausziehen, sind ohne alle Frage mit Schuld daran, daß sich die politische Reife unserer Nation so lang verspätet hat. Ich äußerte dies zu Gervinus, welcher es vollkommen bestätigte.

 

Heidelberg, 18. August

Ich habe diese zehn Tage gut auf der Bibliothek verwendet. Ich fand zwei Handschriften vor, welche schon an sich meinen Aufenthalt belohnen. Dieser wird durch Gervinus sehr angenehm. Wir genießen die Nachmittage gemeinschaftlich. Ich lernte die Umgegend kennen – Ziegelhausen, Wolfsbrunnen, Handschuhsheim, Roßbach, Neuenheim usw. Als Gäste bei Gervinus waren mehrere Tage anwesend der Advokat Baumgarten und Frau von Wolfenbüttel. Einmal zu Abend gewesen bei Professor Kopp, dem Chemiker, wo ich den Philosophen Zeller kennenlernte, einen verdienten Mann mit transparenter Physiognomie, die mich an Rosenkranz erinnerte. Auch war dort eine Tochter Baurs aus Tübingen und Wattenbach; Sir John Acton kam eines Tags. Er lebt auf seinem Schloß bei Worms, wo seines Großvaters Dalberg Güter lagen.

Bluntschli gilt hier als ein Preußenfreund aus Ambition. Nach seiner Ansicht ist die Einheit Deutschlands gesichert, aber Süddeutschland würde noch einen langjährigen Prozeß durchmachen, ehe es sich für die Union mit dem Norden bestimmt. Bluntschli ist eine derbe Schweizernatur, ohne gefällige Form in seinem Wesen. Welker soll an der Spitze der partikularistischen Partei in Baden stehen.

Gervinus lebt, wie ich aus seiner Häuslichkeit ersah, sehr abgeschlossen. Die hiesige Gesellschaft ist einseitig und in sich zersplittert. Alles dreht sich um das Fach, worin die Menschen aufgehen. Die wenigsten haben außer ihrem Beruf liegende allgemein menschliche Interessen. Heidelberg ist eine akademische Stadt, worin andere Stände nicht zur Geltung kommen. Es ereignet sich hier nichts. Alles verengt sich und stereotypiert sich. Das Beste ist die Natur. Man ist mit einem Schritt in Berg und Wald. Eine reizende Klause, doch zu beengend. Es gibt nichts Langweiligeres, als täglich die eine langgestreckte Hauptstraße oder hohle Gasse zu durchwandern.

Eine gute Anstalt ist das Museum oder Lesekabinett, wohin mich Gervinus führte.

Es scheint hier der junge Sohn von Mendelsohn-Bartholdy durch sein Talent schnellen Aufschwung zu nehmen. Er gibt eben einen Briefwechsel zwischen Gentz und seinen Freunden heraus. Man hat ihn und Lembke zu Professoren gemacht.

Aus Rom her nur Düsteres. Die Cholera wütet dort und namentlich in dem schönen Albano. Daselbst starb die Exkönigin von Neapel, ihr Sohn Januarius und Kardinal Albinzi. Panischer Schreck soll in Rom herrschen.

Am 14. August kam Freund Härder aus Wiesbaden. Er blieb eine Nacht bei mir; folgenden Tags gingen wir zusammen nach Mannheim, wo wir den Vormittag schön zubrachten. Dort nahm ich Abschied vom Vater Rhein.

 

Berg bei Cannstatt

Am 19. August war ich mit Gervinus, Maiers und Dr. Parthey aus Berlin nach Schwetzingen gefahren, wo wir uns in dem schönen Park sehr gut unterhielten. Am 20. mit Gervinus noch bis in die Nacht auf dem Schloß zu Heidelberg und Abschiedstrunk gehalten. Ich verließ Heidelberg ungern am 21. August; es war heißer als in Rom. Dann über Maulbronn nach Stuttgart, wo ich um zwei Uhr ankam. Ich bezog sofort eine Wohnung in Berg. Am 22. besuchte ich Reischach. Es stellte sich heraus, daß eine zweite Auflage der ›Geschichte der Stadt‹ nötig sei.

Ich sah Moritz Hartmann, welcher seit vier Jahren hier lebt; er ist Redakteur der Wochenausgabe der (Allgemeinen Zeitung) und des Blattes ›Freia‹, wütender Preußenfeind. Er machte mich mit Rümelin bekannt, dem ehemaligen Kultusminister. Dessen Schrift über und gegen Shakespeare, von realistischem Standpunkt aus, machte einigen Lärm.

Die Stuttgarter haben Napoleon auf seiner Durchreise nach Salzburg mit großen Ehren empfangen, was mich tief verstimmte. Hartmann schob die Schuld auf französische Agenten; Gervinus sah darin Rheinbundsgelüste, welche er als unausbleiblich behauptet. In Augsburg und Salzburg selbst wurde Napoleon kühl empfangen. Er kam vor einigen Tagen wieder über Stuttgart zurück, ohne sich aufzuhalten. Die Einheitspartei macht in diesem Lande täglich mehr Fortschritte.

Mit Professor Heyd, dem jungen Stälin und Professor Großmann fuhr ich nach dem Hohenstaufen. Dort genießt man den schönsten Blick in das Herz des Schwabenlandes.

Gestern kam Reischach zu mir mit Berthold Auerbach. Auerbach ist noch ein frischer Mann. Er strahlt von Gesundheit und von Glück – sein Roman ›Auf der Höhe‹ macht Aufsehen und erscheint jetzt in der fünften Auflage. Ich begleitete ihn nach dem alten Bade, wo er in dem schmutzigen Neckar sich untertauchte. Dann gingen wir durch den Park gegen Stuttgart hin. Auerbach ist Enthusiast für Preußen. Er sagte, Stuttgart würde viel schöner sein, wenn jeder dritte Mensch darin ein Preuße wäre. Er kam von Bingen. Er fand mich, wie fast alle Menschen, sehr jung aussehend und im Widerspruch zu meiner ›Geschichte der Stadt Rom‹, und er bemerkte, daß dies daher komme, weil ich nicht Professor geworden sei.

Ich arbeite täglich vor- und nachmittags auf der Bibliothek.

Die Cholera scheint in Rom nachzulassen.

 

Berg, 11. September

Ich lebte hier gerade 21 Tage in angenehmer Zeit, obwohl tagsüber in Stuttgart beschäftigt. Wir machten einige Fahrten, so nach der alten Abtei Lorch und Gmünd; vorgestern nach der Solitüde. Schwaben ist ein heiteres und anmutiges Land, welches mich immer mehr anzieht.

Klumpp kam zurück. Er zeigte mir die schöne Weingartner Handschrift der Minnesänger in der königlichen Bibliothek. Ich speise mit ihm und Tribunalrat Kraus im Hotel St. Petersburg.

Ich lernte Notter kennen, welcher Dante übersetzt. Auch fand ich den Diogenes Ludwig Walesrode wieder. Er ist so preußenfeindlich wie Hartmann.

Ich besuchte den Grafen Wilhelm von Württemberg (Herzog von Urach) in seinem Hause in der Neckarstraße – er sieht jammervoll verfallen aus und erschreckte mich, als er durch den Garten schlich.

Eines Tages erschien San Marzano, der Kustos der Vaticana, auf der Bibliothek.

Ich habe mein Material, auch die Nachträge für die beiden ersten Bände, gesammelt und verlasse Stuttgart mit guten Erfolgen.

Heute gehe ich nach Baden für zwei Tage und dann südwärts.

 

Arona, 17. September Hôtel d'Italie

Am 11. September fuhr ich nach Baden. Es empfingen mich Lindemann, der von Rom gekommen war, und Erhardt. Ich nahm Wohnung im ›Goldenen Stern‹, war aber sonst Gast in dem schönen Hause der Frau Grunelius. Zwei herrliche Tage verstrichen in diesem glücklichen Familienkreise; der Reichtum tritt daselbst in einfachster Gediegenheit auf.

Ich besuchte die Fürstin Hohenlohe, welche dort ein einfach schönes Haus bewohnt. Die Königin von Preußen fuhr eben von ihr. Jene edle Frau schwärmt noch für Rom. Den Fall ihres Schwiegersohns von Schleswig-Holstein erträgt sie mit Seelengröße; sie ist entschieden Preußen freundlich gesinnt.

In Baden sah ich S. wieder nach zehn Jahren; ihr Mann war nach Petersburg zurückgegangen. Sie ist noch schön, noch unruhig und nicht glücklich. Sie nannte die Ehe eine Monstruosität.

Am 14. reiste ich nach Freiburg.

Am 15. nach Basel. Ich fand dort S. mit ihrer Schwester. Wir fuhren dann zusammen nach Luzern, der Regen strömte. Gestern auf dem See nach Flüelen. Von dort fuhren die Frauen nach Luzern zurück und ich gleich über den Gotthard.

Ich nächtige in Arona. Es gewittert prachtvoll über dem See; die Luft ist schwül. In Rom, so heißt es, soll die Cholera noch nicht erloschen sein.

 

Ronzano bei Bologna, 21. September

Bologna erreichte ich nachts 11 ½ Uhr und stieg wieder im Hotel Brun ab.

Morgens am 19. suchte ich Frati im Archigymnasium auf. Er begleitete mich zum Palast Gozzadini, von wo ein Hausbedienter mich nach Ronzano führte.

Ich fand die Gräfin hier unter Blumen und etruskischen Totenschädeln, welche ihr Mann, ein eifriger Entdecker alter Nekropolen, ausgräbt und sie mit unglaublicher Geschicklichkeit zusammenzusetzen versteht. Tische und Canapés liegen voll von diesen Knochen. Dies machte mir erst Widerwillen – es sprach so überzeugend von dem »Land der Toten«, wo alles Vergangenheit ist, und ich gedachte mit Sehnsucht an die lebendigen Freuden auf der Villa Grunelius in Baden.

Ronzano ist ein altes Kloster der Frati Gaudenti, von denen Dante spricht. Die Fenster haben Eisengitter; ein Klosterhof, finstere Zypressen in der Nähe, Inschriften auf den Wänden – Dante-Kultus – kein Ton aus dem frischen Leben, kein Klang und Sang. Die junge Tochter, Gräfin Zuchini, ist in Paris und scheint diese Öde zu fliehen, worüber ihre Mutter gestern bitter klagte. Ronzano liegt schön auf einer Höhe, gegenüber dem prächtigen Tempel S. Luca. Die ganze Emilia und Romagna sind hier zu Füßen ausgebreitet mit hundert Orten, Gütern und Städten, bis zum Adriatischen Meer. Bei klarer Luft ist der Turm S. Marco von Venedig sichtbar, so auch der Dom Ravennas; Parma, Modena zeigen sich. Gestern hing ein prachtvolles Gewitter über dem Adriatischen Meer und entlud sich auch auf Ronzano als Hagel.

Ich war unten in der Stadt, wo ich die Pinakothek besuchte, Salvinis großen Koloß, Viktor Emanuel, für Florenz bestimmt, wo er in Bronze gegossen werden soll, als Modell sah und mich mit Giordani unterhielt.

Meine Reisemüdigkeit ist groß. So angenehm der Verkehr mit diesen einfachen, hochgebildeten und guten Menschen ist, bei denen ich zu Gaste bin, so drückt doch die tonlose Stille mich nieder. Ich reise heute über Ancona nach Rom. Gozzadini schilderte mir die Zustände der Romagna als sehr bedenklich – Anarchie und Raub nehmen überhand –, republikanische Wühlereien an vielen Orten. Man prophezeit den Ausbruch der Garibaldischen Invasion und eine Erhebung Roms als unausbleiblich in diesen Tagen.

 

Rom, 6. Oktober

Am 21. September fuhr ich von Bologna ab und erreichte Rom über Falconara folgenden Tags um 9 Uhr abends. Eine schreckliche Sciroccoglut, welche sechs Tage anhielt, empfing mich, und die Cholera forderte noch täglich ihre Opfer. Rom ist leer. Mein Haus ist öde; es starben darin an der Cholera drei Frauen. Ich stürzte mich mit Leidenschaft in meine Arbeit und verwertete die in Heidelberg und Stuttgart gesammelten Nachträge für die zweite Auflage der zwei ersten Bände. Deutschland und Welschland sind so grundverschiedene Wesen, daß sie keine Brücke verbindet; daher versinkt mir Rom sofort, wenn ich drüben, und das Vaterland, wenn ich hier bin. Doch fühle ich, wie die heimische Luft mir wohlgetan und manche Sciroccowolken aus meiner Seele hinweggefegt hat.

Die Garibaldische Invasion hat schon ihre Geschichte. Garibaldi wurde in Asinalunga verhaftet, am 23. September, nach Alessandria abgeführt und dann nach Caprera entlassen, nachdem in mehreren Städten, namentlich in Genua, heftige Demonstrationen zu seinen Gunsten stattgefunden hatten. Trotzdem sind die Garibaldiner im Kirchenstaat, und seit dem 1. Oktober gibt es einen Guerillakrieg. Gestern hieß es, daß die Päpstlichen bei Bagnorea, wo 600 Garibaldiner unter dem Obersten Leali von Ronciglione eingebrochen sind, eine Niederlage erlitten haben. Fast alles Militär ist aus Rom abgerückt. Auch Veroli soll von Freischaren besetzt sein und Frosinone unruhig werden. Wenn dies Wesen größere Verhältnisse annimmt, so würde die Katastrophe unausbleiblich sein – es handelt sich nur darum, ob Napoleon eingreift oder nicht. Die Nationalpartei glaubt im ersten Fall, daß Nunziante sofort in den Kirchenstaat einrücken werde, um den Franzosen in Rom zuvorzukommen. Ich bin also zu einer merkwürdigen Zeit zurückgekehrt.

Vor acht Tagen besuchte ich die Caetani in Frascati. Ein Sturz aus dem Wagen hatte den Herzog beinahe getötet; er blieb lange bewußtlos; die Herzogin verwundete sich am Kopf. Alle sehen elend und schattenhaft aus, selbst Donna Ersilia und die Kinder. Es war gerade des Herzogs Namenstag (S. Michele), weshalb viele Freunde aus Rom gekommen waren. Man gab ein großes Diner; wir waren 21 Personen.

Ein Herr Tocco unternimmt Ausgrabungen im Hof von S. Cosma und Damiano. In einer Tiefe von 20 Fuß stieß er auf antike Fundamente, entdeckte einen marmornen Fußboden und im Schutt weitere Fragmente des kapitolischen Stadtplans, welcher vor Jahren an eben derselben Basilika gefunden wurde. Ich sah diese Fragmente; auf dem einen stehen die Worte Porticus Liviae. Es scheint, daß sich für dies Lokal die Stelle des alten Macellum am Forum herausstellt.

Das Prachtwerk ›Capri‹, mit Zeichnungen von Lindemann, ist fertig gedruckt. Gestern erhielt ich die letzten Korrekturen.

 

Rom, 13. Oktober

Ich war wieder bei den Caetani in Frascati. Mit Donna Ersilia fuhr ich ins Schloß Marino, den alten, kranken Don Vincenzo Colonna zu besuchen. Er nahm uns nicht an. Man erwartet seinen Tod. Die Tochter führte uns in den Räumen umher. Viele Familienbilder hängen dort, einige unbekannten Ursprungs. Das älteste ist das Porträt Martins V. Im Untergeschoß eine Sammlung von Papstporträts.

Der kleine Krieg dauert im Patrimonium fort. Die Freischaren bemächtigen sich dieses und jenes Orts, werden daraus von den Päpstlichen vertrieben und tauchen an einer anderen Stelle wieder auf. So wird die kleine Armee des Papsts aufgerieben. Am 5. Oktober erstürmten die Päpstlichen Bagnorea, wo 70 Garibaldiner tot blieben, 110 gefangen wurden – sie sitzen jetzt in der Engelsburg.

Gestern sagten mir Castellani und Papalettere, daß die italienische Regierung mit Frankreich einig sei. Napoleon kann das Bündnis Italiens nicht missen, der Preis dafür ist das Papsttum. Es stürzt, so meint man hier, in vier Wochen. Ein Prälat sagte mir, daß man im Vatikan den Abzug rüste.

Zeichnung: Gregorovius

Subiaco, S. Scolastica, 2. 7. 1857

Menotti Garibaldi führt 1000 Mann bei Subiaco, wo er indeß vorgestern herausgeschlagen sein soll. Es ist Tatsache, daß nirgends eine Erhebung in den Provinzen stattgefunden hat. Niemand will sich kompromittieren. Rom ist in tiefer Ruhe. Am 8. Oktober formte sich das National-Comité wieder und erließ eine Proklamation, welche energisches Handeln verheißt. Die Moderados haben die Zeitung übernommen.

 

Rom, 18. Oktober

Es haben mehrere Zusammenstöße stattgefunden, wobei die Garibaldiner stets unterlegen sind. Heute sagte mir ein Priester, daß 500 den Freischaren abgenommene Flinten nach Rom gebracht seien, so schlechter Art, daß sie kaum zur Vogeljagd tauglich sind. Gegenwärtig sitzen 160 Garibaldiner in der Engelsburg. Man behandelt sie gut; sie erhalten sogar Zigarren und gehen frei im Hofe des Kastells umher. Schlözer sah sie dort. Gestern erwartete man ein Gefecht bei Nerola, vier Miglien von Monte Rotondo, wo die Söhne Garibaldis an der Spitze von 2000 Mann stehen. Aber sie nahmen den Kampf nicht an, sondern verließen ihre Stellung. Dies sagte mir heute der Zuavencolonel Alette, mit dem ich im ›Falcone‹ bei Tisch zusammentreffe. Die Päpstlichen schlagen sich gut, Kanzler hat ihnen Disziplin beigebracht. Ihre Stellung macht einen Strich durch die Rechnung der Italiener, welche auf eine Erhebung gehofft haben. Die Regierung verhaftet täglich und nächtlich Bürger – schon sollen mehr als 500 aufgehoben sein. Die Truppen werden oft konsigniert. Soeben, da ich schreibe, fallen Schüsse in der Stadt – wahrscheinlich wirft man Petarden.

Gestern haben die Garibaldischen unter Major Ghirelli, welcher eine römische Legion kommandiert, den Eisenbahnzug bei Orte überfallen und die Bahn unfahrbar gemacht. Der heutige Zug ging nicht ab; gestern und heute kamen keine Briefe und Zeitungen. Die Aufregung steigt; das Gold verschwindet. Silber ist gar nicht mehr sichtbar.

 

Rom, 23. Oktober

Am 18. griff Charette mit den Zuaven Nerola an und nahm es nach zweistündigem Kampf. 134 Gefangene.

Napoleon ist endlich aus seinem Schweigen herausgetreten; am 18. d.M. erhielt Armand den Befehl, sich zum Papst zu begeben und ihm zu sagen: daß Frankreich ihn beschützen werde, daß die Truppen zur Einschiffung bereit seien. Der Bandenkrieg im Patrimonium verliert dadurch seine Bedeutung, zumal die päpstlichen Truppen diese Scharen überall zurückgeschlagen haben. Napoleon kommt nicht mehr aus dem Dilemma heraus. Auch die Lage Italiens ist kritischer als die des Papsts. Es ist gar kein Zweifel, daß die italienische Regierung die Invasion nicht allein geduldet, sondern gefördert hat. Man sagt, daß Ratazzi seine Entlassung eingereicht habe, daß Florenz im Aufstand sei. Alle Telegraphen sind in Untätigkeit; die Posten unregelmäßig; alle drei Eisenbahnen durch Ausheben der Schienen unterbrochen. Nur Gerüchte dringen zu uns.

Gestern war die Aufregung der Stadt fieberhaft. Sie wurde durch zwei Ursachen erzeugt, durch das Gerücht von einem bevorstehenden Aufstand am Abend und die Verteidigungsmaßregeln, welche das Generalkommando trifft. Schon gestern nachts warf man an allen Toren Schanzen auf. Ich ging vor die Tore del Popolo und Angelica, diesen Arbeiten zuzusehen, die mich an das Mittelalter erinnerten, wo man so häufig die Tore vermauerte. Den Arbeitern sah das Volk im Regen zu, con amore, wie hier alles, selbst das Tragische, in Szene geht. Ein Anschlag der Polizeibehörde sagt, daß fortan folgende Tore ganz geschlossen bleiben: Porta Maggiore, S. Lorenzo, Salara, S. Pancrazio, S. Sebastiano, S. Paul.

Man hat in der Stadt beide Brücken, Ponte Rotto und die neue an der Lungara, durch Ausheben der Bohlen ungangbar gemacht.

Nun sollte gestern abend der Tumult ausbrechen, welcher schon vorgestern angesagt war, aber wegen des Regens, so hieß es, abbestellt wurde. Mit der größten Offenheit sprach man davon. Ich war bei Tisch im ›Falcone‹, wo mir zwei junge Männer erklärten, daß in einer Stunde der Aufstand beginnen werde; denn etwas müsse geschehen, um die Römer von dem Schimpf der Feigheit zu befreien. Diese Maulhelden erhoben sich in Hast, von anderen abberufen, um an ihre Heldentaten zu gehen. Ich eilte zur kranken Frau Lindemann und blieb dort im Hause die Nacht, da niemand sonst da war als die anderen Frauen, und diese fand ich in großer Angst. Sie baten mich, eine preußische Fahne am Fenster aufzustecken. Ich lachte und bezweifelte den Ausbruch der Revolution. Ich ging noch um 7 Uhr (gestern am 22.) auf den Corso; dort, wie in anderen Straßen, waren alle Läden geschlossen; nur Patrouillen waren sichtbar. Die Nacht verfloß ruhig; die große Heldentat blieb aus. Doch heute am Morgen erzählte man mir, daß eine Mine bei S. Angelo gesprengt worden sei, wodurch viele päpstliche Soldaten ums Leben kamen; auch habe man eine Schildwache ermordet. Nachts waren auf Popolo Kanonen aufgefahren, den Corso zu bestreichen. So scheint hier der feige Meuchelmord wieder sein Spiel zu beginnen wie im Jahre 1848.

Die Bürgerschaft bewegt sich nirgends.

Ich komme soeben von dem Ort, wo die Mine gesprungen ist. Sie hat die Ecke des Palasts Serristori am Borgo zerstört, worin Zuaven als Wache lagen. Mehr als 20 Menschen sind im Schutt begraben, meistens zum Musikkorps gehörig und Waisenkinder von Rom; auch einige in Arrest gelegte Soldaten befanden sich darunter. Die Pompieri hatten den Schutt weggeräumt; Volk stand umher; zwei junge Zuaven gingen als Schildwachen auf und ab mit flammenden Blicken und solcher Zornesmiene, daß man ihnen ansah, sie hätten gern ihr Gewehr dem ersten besten dieser Gaffer in den Leib gestoßen. Die vordere Wand des Palasts ist herabgestürzt; man sieht in die leeren Stockwerke, wo noch an den Nägeln Kleidungsstücke der Zuaven hängen.

Gestern war an mehreren Orten ein Aufstandsversuch gemacht worden, am Kapitol, auf der Navona und bei S. Paolo. Auch die Kaserne bei S. Crisogono war unterminiert; doch konnte ihr Aufspringen verhindert werden.

Heute abend ist ein Aviso an die Straßenecken angeheftet, worin der General Zappi bekanntmacht, daß auf das Zeichen von fünf Kanonenschüssen vom Kastell jedermann sich nach Hause zu begeben habe und Rom in Belagerungszustand gesetzt werde.

 

Rom, 24. Oktober

Die Nacht war ruhig. Eisenbahnzüge gingen hin und her – wahrscheinlich kamen Truppen in die Stadt. Wir sind ganz in Dunkelheit. Keine Depeschen, keine Nachrichten. Nichts vom Kommen der Franzosen, noch von dem der Italiener. Doch scheinen die Banden stark auf Rom zu drängen. Sie sollen schon bei Acqua Acetosa liegen, wo gestern abend ein Kampf stattgefunden haben soll. Ich ging heute in der Frühe nach Popolo. Viel Volk stand dort: Zuaven und Reiterei waren aufmarschiert; sie zogen durchs Tor hinaus; man sagte, nach Acqua Acetosa. Große Aufregung in der Stadt. Es ist ein Glück, daß ich nicht mehr am sechsten Bande zu schreiben habe. Ich kann mir mit dem siebenten Zeit lassen und habe in diesen Wochen auch Band I und II für die zweite Auflage beinahe fertig gemacht.

 

Rom, 25. Oktober

Die Unruhen haben sich gestern abend wiederholt. Man warf Petarden, welche Vorbeigehende entweder töteten oder verwundeten. Man schoß auf den Posten am Platz Pellegrino, worauf die Häuser durchsucht und viele Personen verhaftet wurden. Heute früh sah ich im Corso einen wohlgekleideten Herrn von vier Soldaten abführen.

Es ist nachts 9 Uhr – ich höre Petarden knallen. Der Himmel ist hell und klar. Unten liegt das große Rom, wie ein Fieberkranker – es sind Zuckungen der Geschichte. Dort liegt finster der Vatikan; das Verderben pocht an seine Pforte. Was mag der Papst tun? – er betet –, er soll ruhig und gefaßt sein. Es ist der Todeskampf der weltlichen Kirche. Ihre Haltung in dieser Stunde ist achtunggebietend. Wieder Petardenschüsse.

Heute wurde der Belagerungszustand über Rom verhängt, auch die Entwaffnung anbefohlen.

Die Freischaren sind unterdeß von den Mauern abgeschlagen oder abgezogen. Die Bande auf Monte Parioli unter Enrico Cairoli, welcher tapfer kämpfend gefallen ist, war wenig mehr als 100 Mann stark. Diese Vorgänge hielten Rom zwei Tage lang in solcher Aufregung, daß der geringste Zufall, wie gestern das Entspringen eines Gefangenen, Tausende in Flucht durch die Straßen trieb. Im Volk ging die Rede, daß 8000 Garibaldiner die Stadt umzingelten. Als ich gestern am Palast Rondanini stand, um Verwundete hereinbringen zu sehen, während Militär die Straße sperrte, sagte mir eine Frau mit sichtbarer Freude: »Die Garibaldiner sind schon in der Villa Borghese.« Die Banden sind fort, doch auf wie lange?

Heute sagte mir Schlözer, daß ihm Antonelli erklärt habe, alles sei eine abgekartete Komödie, die er vorausgesehen; die Garibaldische Bewegung nehme überhand; Namen bedeutender Menschen tauchten schon unter den Freischaren auf, so Graf Valentini, Graf Colloredo aus Udine, beide gefangen.

Hundert Gerüchte gehen durch die Stadt; an jedem Tag, ja zu jeder Stunde werden die Italiener angemeldet, aber sie kommen nicht.

Ich war heute nachmittags vor die Porta Nomentana gegangen. Der Weg dort ist wieder bis Ave Maria frei. Ich sah an der Barrikade bauen; vier Reihen Schanzkörbe übereinander, mit zwei Schießscharten für Kanonen. Dann ging ich an das verschlossene Tor der Salara. Es ist von innen mit Erde verschüttet.

Ich höre viele Petarden und Flintenschüsse, während ich dies schreibe. Man sagt mir, daß in Trastevere gekämpft wird.

 

Rom, 26. Oktober

Ich bin hier der ruhige Zuschauer dieser Ereignisse und urteile so: der Septembervertrag ist durch das Kabinett Ratazzi gebrochen worden; offen sind Tausende von Garibaldinern über die Grenze befördert, und Parlamentsmitglieder (Acerbi,, Nicotera) haben sich an ihre Spitze gestellt. Diese Tausende sind überall von den Truppen des Papsts, die man so verlachte, geschlagen worden. Nur Schamlosigkeit kann eine Invasion zur Insurrektion stempeln. Kein Ort im Römischen hat sich erhoben; Rom selbst hat sich nicht erhoben.

Nachmittags. Gestern fand ein wütender Kampf in Trastevere statt. Man stürmte das Haus Ajani, wo der Polizei eine Bombenniederlage verraten war. 40 Menschen tot oder verwundet. Das Haus liegt neben der neu ausgegrabenen siebenten Wächterkohorte, und Castellani erzählte mir, daß der harmlose Visconti sich mitten in diesem Sturm befand, weil er gerade die Ausgrabungen besichtigen wollte.

Von den Gefangenen des Monte Parioli wird genannt ein Acton aus Neapel, ein Graf Colloredo aus Mailand. Der letztere ging auf einen Offizier vom Regiment Esteri zu, der ihn als Österreicher erkannte, und ihm verwundert zurief: »Sie hier, Herr Graf?« Er gab sich ihm gefangen. Um seinen Leib hatte er einen Gürtel voll Napoleond'ors. Ein anderer wurde gefangen, welcher Hemdknöpfe von Brillanten trug. Auch ein Graf Valentini ist eingebracht. Das beweist, daß es nicht bloß »Canaille« ist, die das rote Hemd trägt.

Mittags marschierten Zuaven und Jäger nach Porta Pia, im Sturmschritt. Es heißt, Garibaldi in Person stürme mit 800 Mann Monte Rotondo. Über dieses Trauerspiel vom Todeskampf des Papsttums wölbt sich der sonnigste Oktoberhimmel.

Ich kann nichts mehr arbeiten. Diese Gegenwart ist auch ein Stück Geschichte der Stadt, und sie hier zu erleben für mich unschätzbar.

Zeichnung: Gregorovius

Rom aus dem Garten Colona, 9. 7. 1855

Die Bahnzüge gehen wieder zwischen hier und Livorno. Ich bekam Briefe, und zwar unerbrochene.

Don Vincenzo Colonna starb am 10. Oktober im Schloß seiner Ahnen, Marino. So ist wieder eine einflußreiche römische Beziehung für mich dahin. Ein Glück, daß ich mit der Benutzung des Archivs Colonna fertig bin.

Auch der Prinz Santa Croce starb in Florenz.

 

Rom, 27. Oktober

Die Nacht war ruhig. Ich hörte nur hie und da das Feuern der Schildwachen.

Ravioli erzählte mir, daß gestern vormittag Garibaldi mit 3000 Mann Monte Rotondo gestürmt habe. Die Hälfte der Zuaven sei erstochen, die andere habe sich in den Baronalpalast geworfen und dort die weiße Fahne aufgezogen. Die gestern um Mittag ausgerückten Truppen kamen zu spät und kehrten heute wieder zurück.

Wir gingen nach der Porta Nomentana; sie war passierbar. Trotz des Belagerungszustandes strömten Hunderte durch das Tor, Flüchtlinge und Verwundete zu sehen, die indeß nicht kamen. Die Nachricht vom Siege Garibaldis machte keine sichtliche Wirkung. Ich ging mittags zu Sermoneta, wo ich auch zum ersten Mal seine Schwiegertochter, die schöne junge Prinzessin Teano sah; ich brachte ihnen die erste Meldung. Alle waren erfreut. Nachmittags ging ich nach der Engelsburg. La Porta bestätigte mir die Niederlage. Ich sah das Kastell mit Kanonen bewehrt – viel Truppen in Bewegung, alle müd und elend fortschleichend –, junge, kreideblasse Holländer-Zuaven. Artillerie zog fort, ich weiß nicht wohin.

Beim Rückweg sagte mir Schlözer, daß er heute bei Armand gewesen sei. Derselbe habe eine Depesche aus Toulon empfangen, welche nichts weiter enthält als dies: Die Truppen haben sich eingeschifft. – Also doch Intervention!

Als ich um 6 Uhr nach Hause ging, fiel 200 Schritte von mir auf dem spanischen Platz eine Bombe. Alles stob auseinander, und die Läden schlossen sich im Augenblick.

Es ist Ave Maria. Alle Teufel sind wieder los. Während ich dies schreibe, donnern in nur minutenweiser Unterbrechung Petarden in der Stadt, und dazu läuten wohl 100 Glocken. Die letzte Stunde des weltlichen Papsttums mag geschlagen haben. Doch der Besitz Roms ist Italien noch keineswegs sicher. Es fordert diese Weltstadt heute nicht aus Kraft, sondern aus Schwäche; und vielleicht war es ein großer Irrtum Cavours, daß er die Idee von Rom als Erisapfel mitten in sein Volk warf, ehe es zur politischen Nation geworden war.

Das gestrige Journal brachte die Enzyklika des Papsts an die katholische Kirche vom 17. Oktober. Sie ist ein Angstschrei eines anständigen Mannes im Ertrinken.

Man weiß nicht, wo Garibaldi geblieben ist; ob er sich den Mauern nähert oder nicht. Ponte Molle und Ponte Salaro sind miniert und vielleicht schon jetzt gesprengt. Wieder Petardenschüsse! Wachen sperren alle Plätze ab. Eine Kanone ist auf Platz Colonna, andere auf dem Kapitol, andere auf Popolo aufgefahren.

Ich sprach gestern Monsignor Lichnowski, den Bruder des zu Frankfurt Ermordeten. Er meinte, die italienische Monarchie würde eher fallen als das Papsttum – was ich bestritt.

 

Rom, 29. Oktober

Die Eroberung Monte Rotondos wird amtlich bestätigt, jedoch waren Zuaven nicht dabei.

Auch gestern machte diese Niederlage keinen Eindruck auf Rom. Zwar hieß es, daß Garibaldi bis Marcigliana, neun Miglien vor Rom, gedrungen sei, und man erwartete den Angriff zur Nacht. Doch nichts geschah. Es war für ihn leichter, den morschen Thron Neapels umzuwerfen, als die kleine Armee des Papsts zu schlagen, in welcher kein einziger Fall von Desertion vorgekommen ist. Am Ende kann er von Glück sagen, daß er nicht als Gefangener in die Engelsburg eingebracht worden ist. Der Benediktinerabt Papalettere sagte mir bei Castellani, daß Garibaldi nach Tivoli gerückt sei. Sein Nichtvorgehen erklärt sich aus politischen Hindernissen. Auf die Drohung Frankreichs hat sich in Florenz am 26. Oktober das Ministerium Menabrea gebildet und am 27. der König einen Aufruf an Italien erlassen, worin er die Invasion verdammt. Zugleich meldet man von Civitavecchia, daß die französische Kriegsflotte in den Hafen eingelaufen sei und die Truppen ausschiffe.

Italien scheint nicht einmal so viel Kraft zu haben, um gleichzeitig mit Frankreich ins Patrimonium einzurücken; denn die Nachrichten, daß die Armee den Tiber überschritten habe, bestätigen sich nicht.

Mit dem heutigen Tag wird sich Rom aus dem unheimlichen Zustande befreien, in welchem es seit mehr als acht Tagen liegt.

Vorgestern kam der Befehl, alle Truppen auf die Stadt zurückzuziehen. Die Provinzen sind geräumt. Gestern kam der Legat von Frosinone hier an, Monsignor Pericoli. Mit den Truppen zugleich zogen auch die lateinischen Bundesgenossen ein, in Gestalt von Ciocciaren aus Kampanien, aus welchen man Hilfskorps gebildet hat. Sie tragen rote Militärmützen mit einer Feder, den Bundschuh an den Füßen und eine Flinte auf der Schulter. Man sagt, daß sie alle mehr oder weniger Briganten seien. Das sind die Verteidiger des päpstlichen Throns.

Truppenzüge hin und her. Als ich gestern abends nach Hause kam, zog ein Trupp Soldaten mit Fackeln über den Platz Barberini, was ein prachtvolles Bild gab.

 

Rom, 30. Oktober. Dies ater!

Zwei Bataillone Franzosen rückten mit klingendem Spiel um 5 Uhr nachmittags über den Quirinal herab. Ich stand mit Henzen auf dem Platz Trajans. Viel Volk stand dort; alles schwieg wie von Scham niedergedrückt. Es war ein finsterer Empfang, wie im Jahr 1849, als die Franzosen unter Oudinot einzogen.

Wir erfahren nichts Gewisses über das, was in der nächsten Nähe Roms geschieht. Heute sagten mir Castellani und der Herzog von Caetani, daß Velletri, Albano, Frascati und Marino die italienische Fahne aufgezogen hätten. Truppen gingen dorthin schon gestern ab. Albano soll eine Bürgermiliz aufgestellt haben und sich gegen die Zuaven verteidigen.

 

Rom, 3. November

Der Ausbruch der Revolution in Florenz bestätigt sich nicht; der Einheitsgedanke und die Monarchie scheinen die Krisis zu überdauern. Außerdem kamen Nachrichten, daß die italienische Armee die Grenzen überschritten habe. Sie hat Civitacastellana, Castel Nuovo und Frosinone besetzt. Überall richtet sie die Wappen der Kirche wieder auf, aber sie befestigt neben ihnen zugleich die Fahne der Nation. Auch war am Tage des Einzugs der Franzosen ein italienischer Oberst als Commissarius in Rom, um mit dem französischen General zu reden, wahrscheinlich über die bei der Okkupation einzuhaltende Linie. Die Gesichter der Priester werden wieder lang. Man schreit Verrat und daß alles abgekartetes Spiel ist.

Die Franzosen besetzen Viterbo und Corneto. In der Stadt nehmen sie ihre alten Kasernen wieder ein. Auf der Engelsburg wehen die Fahnen des Papsts und Frankreichs.

Wir sind von der Welt abgeschnitten. Seit fünf Tagen kommen weder Telegramme noch Briefe.

Doch hört man, daß in vielen Orten des Kirchenstaats die Vereinigung mit Italien ausgerufen sei. Dies geschah im Albanergebirg und in Velletri. Dort ward gekämpft und mancher Exzeß begangen: man hat Priester ermordet. Velletri hat sich verbarrikadiert. Wo Garibaldi sei, erfährt man nicht.

Der Belagerungszustand in Rom ist nicht aufgehoben. Man baut an den Barrikaden der Tore fort. Selbst auf dem Monte Mario legen die Franzosen eine Schanze an.

 

Rom, 4. November

Die Garibaldiner sind bei Mentana geschlagen und zersprengt worden.

Ich sah mittags etwa 400 Gefangene, von Päpstlichen und Franzosen geleitet, hereinkommen.

Ich ging nachmittags bis zum Ponte Nomentano, den Einzug der anderen Gefangenen zu sehen.

Tausende zu Pferd, zu Fuß, zu Wagen waren bei S. Agnese in Bewegung – eine Stunde lang bis zum Tor machte Militär Spalier und so weiter in die Stadt hinein, wo die Menge immer dichter wurde. Ich erblickte den österreichischen Botschafter von Hübner. Er sagte mir, daß er eben Kanzler gesprochen habe; die Garibaldiner seien vernichtet, mehr als 1500 gefangen und Garibaldi entflohen. Ich erwiderte darauf: »Dies hat sein Ende, aber was wird jetzt Italien tun?« Er sagte mit einer Miene voll Verachtung: «L'Italie! ah! c'est une autre affaire!»

7000 Franzosen sind hier. 20 000 sollen den Kirchenstaat besetzen. Es kommt nun alles darauf an, ob die Italiener über die Grenzen zurückgehen werden oder nicht. Man scheint von französischer Seite den Krieg mit Italien zu fürchten; denn man fährt fort, Rom zu befestigen.

Velletri hat eine Deputation nach Rom geschickt; denn Nicotera, welcher diese Stadt mit 3000 Mann besetzt hatte, ist daraus abgezogen.

Heute traf der kommandierende General de Failly ein und stieg im Hotel di Roma ab.

Man arbeitet fortdauernd an der Verschanzung Roms. Gegen wen und wozu?

 

Rom, 6. November

Heute um 4 Uhr nachmittags kamen die Truppen des Papsts und Napoleons von Mentana in die Stadt zurück. Ihren Einzug hatte der ›Osservatore‹ als Triumph angekündigt. Ich sah sie wider Willen, da ich über den Quirinal ging und in den Menschenschwarm verwickelt wurde. Es waren etwa 4000. Zahllose Wagen voll von Priestern und Legitimisten, viele Tausende von Neugierigen, stumpfsinnigem oder verpfafftem Volk, bildeten Spalier, schwenkten Tücher und schrien. Viele dieser Mietlingssoldaten trugen Blumensträuße, die man ihnen zugeworfen hatte.

Dazu dieser Papst, mit seinem stereotypen faden Lächeln und den zum Segen erhobenen Fingern der weibischen Hand, welche indeß recht tief in Blut getaucht ist.

Zum Schluß sah ich folgende Szene: ein Karren fuhr durch die dichte Menschenmenge, worauf vier Garibaldiner lagen oder saßen, wie es scheint verwundet. Ihr Hauptmann, ein schöner Mann mit schwarzem Bart, mit dem roten Hemd und der roten Mütze bekleidet, saß auf einen Stab gestützt im Wagen, vor sich hinstierend, ohne den Blick zu erheben, mit einer Miene unaussprechlichen Schmerzes.

Am 1. November hat Napoleon gegen den Einmarsch der Italiener in den Kirchenstaat protestiert: es sei dies eine Verletzung des Völkerrechts. Die ohnmächtige Regierung hat alle Aufforderungen päpstlicher Orte wie Viterbos, ihr Plebiszit zu Gunsten der Vereinigung mit Italien anzunehmen, abgelehnt; und heute sagt man, daß die italienischen Truppen auch Civitacastellana geräumt haben, um sich hinter die Grenze zurückzuziehen. So beugt sich dies unglückliche Land wieder unter das Joch des Protektors, und seine Unabhängigkeit war ein Traum.

Man gibt hier Aufklärungen über das Mißlingen der Insurrektion Roms. Sie sollte am 24. stattfinden; Waffen und Menschen waren hinreichend bereit; Sizilianer und Neapolitaner leiteten die Erhebung. Napoleon selbst wußte darum und wartete das Ereignis ab. Aber die römische Regierung verwendete 4000 Scudi zum Erkauf des Verrats. Als der Aufstand nicht erfolgte, war Napoleon gezwungen, die Intervention zu vollziehen.

Noch immer sind die Telegraphen untätig. Ich erhalte keine Briefe.

Gestern begann ich in der Chigiana die Auszüge aus den Tagebüchern Burkhards. Ich kann fast nichts mehr in einer Folge arbeiten.

Ich sehe hier viele Zuaven, die voll Hohn erbeutete Garibaldimützen öffentlich tragen; sie sind rot und haben eine grüne Borte und weiße Streifen. Unglücklicher Garibaldi! Heute sagte mit jemand, daß Garibaldi in Florenz einer Dame erklärt habe: ich bin meines Lebens müde; ich hoffe im Kampf zu fallen; wenigstens lasse ich dann meine Leiche zwischen Italien und dem Papsttum.

Am 10. November fuhr ich mit Lovatelli und Donna Ersilia nach Mentana, das Schlachtfeld zu sehen.

 

Rom, 1. Dezember

Von allen durch die Garibaldiner vorher besetzten Orten sind kriechende Ergebenheitsadressen an den Papst eingelaufen. Borghese hat das Offizierkorps bewirtet. Zu Hunderten schickt die Pfaffheit aus Frankreich und Belgien Rekruten nach Rom. Ein neues Zuavenregiment soll errichtet werden.

Ich war heute am gesprengten Ponte Salaro – er gewährt ein sehr malerisches Bild. Auch die Eisenbahnbrücke ist unfahrbar. Die Nomentanische rettete vor der Zerstörung der Hauptmann de Vaux, welcher bald darauf bei Mentana fiel, so erzählte mir Hübner.

Arnim kam vorgestern.

Liszt brachte mir Grüße von Kaulbach aus München. Ich bin oft bei Lovatelli.

Den Artikel ›Mentana, fünf Wochen römischer Geschichte‹ habe ich vor acht Tagen an die ›Allgemeine Zeitung‹ abgeschickt.

 

Rom, 31. Dezember

Das Jahr schließt nicht gut. Seit Wochen bin ich von tiefer Erkältung ergriffen – seit sechs Tagen an's Zimmer gebannt. Ich schrieb bisher drei Kapitel des letzten Bandes.


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