Jeremias Gotthelf
Die Käserei in der Vehfreude
Jeremias Gotthelf

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Erstes Kapitel

Der Ratschluß

Es dunkelte unter dem Himmel. Hier und dort guckte ein Sternlein auf die Erde nieder, als beschaue es das Treiben der Menschenkinder und prüfe ihr Tagewerk. Wer weiß, ob es nicht so ist? Wer weiß, ob die Sterne nicht die Augen Gottes sind, welche tragen zum Throne der Majestät im Allerheiligsten, was sie sehen auf der Erde, was sie lesen in den Herzen? Wer weiß, ob sie nicht Warten sind, von welchen die geschiedenen Geister niederschauen müssen auf das Tun ihrer Kinder, und wie ihr eigen Tun aufgeht und sich verschlingt zu einem Gewebe, welches keines Menschen Auge sieht, am allerwenigsten übersieht? Dann mögen die Kometen, die hohlen, neblichten, unfruchtbaren, so gleichsam die himmlischen Dampfschiffe in Drachengestalt, die Warten schlechter Regenten sein, Demagogen und Demagöglein, Jakobiner und Jesuiten, welche der liebe Gott durch den Himmel kutschieren läßt auf Drachenschwänzen, damit sie in beständiger Höllenangst, an irgend einem festen Sterne zerschellt zu werden, betrachten müssen allerwärts, was sie getan und wie das Unkraut, welches sie ausgesäet, sich verflichtet zu Höllengewändern für sie, wenn einmal Himmel und Erde zusammenbrechen und in Himmel und Hölle das All sich scheidet. Nun, was für uns die Sterne sind, wir wissen es nicht, und kein Baumeister, nicht einmal ein obrigkeitlicher, wird zu finden sein, welcher den Neugierigen eine Brücke schlägt von einem Stern zum andern Stern. Das wissen wir, daß wenn wir so ein schlecht zu einem Regenten geratenes Demagöglein wären, wir, wie so viele andere Sünder, kriegten das Zittern, wenn so ein Drachengebilde am Himmel erschiene, wir müßten denken, ob vielleicht das der Schwanz sei, auf dem wir reiten müßten, der gekommen sei, uns wegzufegen und aufzunehmen zum rasenden, schauerlichen Ritt. Die Brille täten wir weg, und auf den Straßen ließen wir uns nicht sehen, solange er am Himmel wäre.

Am Abend, von welchem wir sprechen wollen, stand kein Komet, keine Zornrute Gottes oder ein demagogischer Drachenschwanz am Himmel, sondern freundliche, klare, runde Sterne ohne Schwanz. Allen voran funkelte der prächtige Jupiter, so alt schon und immer noch in ungeschwächtem Glanze. Man hätte fast glauben können, er hätte seine alten Streiche auch noch nicht vergessen, belausche irgendwo in dunklem Haine an süßer Quelle ein badend Mädchen, sende ihm Liebesblicke, bahne durch sie einen Weg sich in den dunklen Hain an die sprudelnde Quelle. Doch diesmal hätte man sich übel getäuscht, mit Unrecht dem alten Papa Schalkhaftes zugemutet, denn kein schönes Mädchen war zu sehen weit und breit. Neugierig war er vielleicht, sah gespannt zur Erde, aber auf ein Dorf, welches sicherlich schon mehrere hundert Jahre auf dem gleichen Flecke gestanden war. Es war stattlich angeschwollen, hatte über Hügel und Löcher, auf denen und in denen Häuser standen, sich ausgedehnt, bestand aus großen und kleinen Häusern, ansehnlichen Mistlachen, geleckten Misthaufen, verwahrlosten, aber saftigen Straßen und riegeldicht stehenden Bäumen, welche eine ziemlich ungebundene Freiheit zu genießen schienen.

Mitten drin, das heißt im Dorfe, nicht in einer Mistlache, obgleich man es beinahe auch sagen konnte, stand auf schlechten Füßen, durchsichtig, mit borstigem Dache und flatternden Strohwischen ringsum, kurz ganz wie ein ungekämmtes Bettlermädchen im Winter, ein mittelgroßes Haus. Über dieses Hauses wenigstens zwei Fuß hohe Schwelle stolperten Menschen mühselig einer nach dem andern. Sie glichen aber auch nicht von ferne schönen, schlanken Mädchen: sie hatten Mannskleider an und Rücken drin wie halbe Tennstore, Pfeifen im Gesichte und trappeten vor dem Hause gleichgültig und schwerfällig alle Pfützen aus. Viele stellten sich nicht weit von gedachtem Hause vor einem andern, stattlicheren auf, vor welchem ein freier Platz war und in welchem ein sterbend Lichtlein mühsam sein Leben fristete. Hinter den stehenden Haufen ging eine schwarze Gestalt, stellte sich aber nicht, sondern ging vorbei. Die Meisten suchten sie nicht zu sehen, einige Wenige, welche es nicht vermeiden konnten, lüpften an ihren Kappen, als ob sie zweizentnerige Käse wären. Die schwarze Gestalt nahm keine Notiz davon. »Er ist taub«, sagte einer. »Mira«, antwortete ein Anderer.»Er hät dr Wyl, wieder zfride zwerde«, meinte ein Dritter. Doch gaben alle ihre Meinung halblaut ab; recht wäre es ihnen nicht gewesen, wenn die Gestalt es gehört hätte.

Zwanzig Schritte hinter dieser kam eine andere Gestalt mit einer dunkeln Anglaise angetan, mit beiden Händen über der Brust sie zusammenziehend. Im Gesichte, unter der Nase durch, schwebte ein Schatten, im Lichte des Jupiters konnte man nicht recht unterscheiden, wars etwas Ungewaschenes oder der Anflug eines Schnäuzchens. Diese stellte sich bei einem Haufen, zog die Anglaise noch enger zusammen und sagte: »Loset, ihr Manne, was ihr erkannt habt, ist nit recht, nit recht, soll dann euer Lehrer immer in einem Schweinestall wohnen? Solange er nicht auch zu einer rechten Wohnung kommt, kommt er nie zur rechten Anerkennung und Achtung. Und ich weiß doch, ich weiß, daß ihr Männer seid, welche begreifen, was ein Lehrer ist und was er verdient, was er verdient. Ich weiß das. Dabei wird es nicht sein Verbleiben haben. Einstweilen tröstet mich nur eins, und das freut mich, ich muß es sagen: der Pfaff hat so an ein neues Haus gesetzt, und er ist schuld, daß ein solches befohlen worden ist von oben herab, obschon es für den alten Hundestall nicht schade wäre, und das wärs nit, ich muß es sagen. Aber was der Pfaff mit seinem Treiben wollte, das begreif ich nicht, begreif ich nicht – der Krebsgänger, der Jesuit und Aristokrat, der er ist, ist, ja ist! Das ists, was mich freut und tröstet bei der heutigen Erkenntnis, daß der Pfaff sieht, daß er nichts zwängen kann und wieviel er giltet in der Gemeinde, daß man so auf Jesuiten und Pfaffen nüt meh het, nüt meh het, ja nüt meh het!« Auf diese schöne Rede antwortete niemand geradezu. »Wey mr hey oder hey mr e Schoppe?« hieß es.

Das Haus, vor welchem man stand, war das Wirtshaus, welches nach einer Gemeindeversammlung auf Gäste hoffen darf, darum brannte auch Licht darin; die vorsichtige Stubenmagd hatte es angezündet und war deswegen vom Wirt geschnauzt worden. Der duldete nicht, daß man Licht zUnnutz brauche; war kein Gast da, warum sollte man Licht brennen in der Gaststube? Der Wirt hatte gar kein teilnehmendes Herz; um die Leiden eines Gastes, welcher unter der größten Lebensgefahr erst die Gaststube suchen und, hatte er sie gefunden, in Pein und Not eine halbe Stunde im Trocknen sitzen mußte, bis man Licht gemacht, kümmerte er sich gar nicht. »Die können zum Pintenwirt oder zum Speisewirt gehen, wenn sie nicht warten mögen«, sagte er. Warum sagte er so? Darum, weil er eben nicht von einem Schoppen oder zweien leben mußte und weil er guten und reellen Wein hatte, so daß, wer den Unterschied kannte, lieber eine Stunde wartete als weiterging. Das fremde Gesindel kümmerte ihn nicht, ja es war ihm am liebsten, er mußte nichts davon sehen. »Was hey mr drvo, he?« pflegte er zu sagen.

Die schwersten der stehenden Männer lenkten dem Wirtshause zu, machten diesmal den Vortrab, einige leichtere deckten ihnen den Rücken; die Mehrzahl verschwand in den hier sich kreuzenden Gäßlein. Alleine blieb stehen der Redner, der Schulmeister des Ortes. Kein Mensch hatte ihm gesagt: »Komm, ich zahle einen Schoppen!« Steif stand er da; endlich fuhr er einem korallnen Uhrenbändchen nach herab in die rechte Westentasche, kriegte seinen neusilbernen Bräter (Uhr) beim Schopf, und nach andächtig angestellten Betrachtungen stieß er den Bräter wieder an den alten Ort und marschierte wild links ab. Was er dachte, wissen wir nicht, und was wir nicht wissen, darüber schweigen wir, werden uns daher auch nie zum entschiedenen schulmeisterlichen Fortschritt erheben. Nach den eilenden Schritten und den fliegenden Händen zu schließen, muß es jedoch etwas sehr Wichtiges gewesen sein, was sein Gemüt bewegte.

Das Dorf, über welchem Jupiter längst weitergeschritten war (denn an derlei Kreaturen, wie da sich ihm darboten, hatte er nie großes Interesse gezeigt), hieß die Vehfreude und hatte einen großen Tag erlebt. Den Vehfreudigern hatte die Regierung befohlen gehabt, ein Schulhaus zu bauen, und sie hatten soeben beschlossen, keins zu bauen; dessen waren sie stolz, denn solches Trotzbieten war nicht gefährlich, und daß es je Folgen gehabt, kennen wir kein Beispiel, wären begierig, eins zu vernehmen. Der Bau wäre sehr dringlich gewesen um der Kinder und des Lehrers willen, den man hätte sollen an die Wand kleben können, weil er nicht Platz zum Stehen hatte in der Schulstube. Wie der Lehrer den Beschluß auffaßte, haben wir gehört, wieviel die Bauern ihm darauf hielten, haben wir gesehen. Ihn ging ihr Beschluß gar nichts an, er zahlte nichts daran, sie hatten ihn auch nicht seinetwegen gefaßt, denn sie liebten ihn nicht. Für ume son es Schumeisterli wollte er wohl viel zwänge. Sie wollten sich so gleichsam en famille freuen, daß sie es den Fötzeln (Lumpen) drinnen, wo man zehn auf den Kopf stellen könnte, ehe ein Taler aus einer Tasche fiele, gezeigt, wer eigentlich Meister sei im Lande. Sie freuten sich darauf, was für eine Miene die Regenten in der Stadt drinnen jetzt ziehen und welche Manövers sie jetzt machen würden, um die Pfeife einzuziehen, doch so, daß es niemand merke. Sie lachten über den Pfarrer, der nicht merke, wie gut das Schulmeisterkrötli es mit ihm meine; und weil sie von reinem Interesse an einer Sache nichts wußten, so meinten sie, er wüßte jetzt, was er den Jagdhund von seinen gnädigen Herren und Obern zu machen habe und wieviel die Bauern ihm darauf hielten. Er solle sehen, daß er es mit ihnen, den Vehfreudigern, wohl könne, den Andern hätte er nichts nachzufragen, sie seien jetzt Meister.

»Ja«, sagte ein alter, gewaltiger Bauer,»das haben die Alten eigentlich begriffen, daß wenn wir wollten, wir eigentlich Meister wären, und haben uns nichts Ungattliches zugemutet und haben noch Mitleid gehabt mit den armen Schuldenbäuerlein, welche so ein Hausbau fast zBode macht, welche mich auch immer so beelenden, wenn man ihnen immer Neues zumutet« (von diesem Beelenden wollten die armen Schuldenbäuerlein, welche ihm was zu zahlen hatten, eben auch nicht viel wissen).»So haben die Aristokraten noch zuweilen Verstand gehabt, aber die jetzigen das ganze Jahr durch keinen. Die Leute, welche aus dem Bettel kommen und in einem Tage siebenmal mehr verfressen und versaufen, als sie ihrer Lebstag geerbt, wissen nicht, wie es dem Bauer ist auf einem magern Höfli, wo er Zinse haben muß, die halbe Zeit nur halb genug essen kann und doch bei Ehren und seiner Sache bleiben möchte. Sie wissen wohl, daß man ihnen nichts nehmen kann und jeder Gläubiger die Kosten scheut und die Gefahr, welche der läuft, der sie auf den Kopf stellen will.«

Der gute Mann war dem Weinen nahe vor Mitgefühl und Elend. Was ihm zu Herzen ging, war aber eigentlich das, daß noch jemand anders den armen Schuldenbäuerlein ihren Schweiß erpressen wollte als er allein, ihm so gleichsam in sein Recht pfuschte. Denn wenn er der Gemeinde zu einem Prozesse verhelfen und denselben unter tapfern Taggeldern und sonstigen Kosten verfechten konnte, so sparte er es nicht, zudem wußte er es so einzurichten, daß er von der Hälfte seines Vermögens keine Steuern und Tellen zahlte; was er zuwenig zahlte, mußten die Ärmern zuviel zahlen, begreiflich. So war sein Kummer ums arme Volk beschaffen. Und wie viel Kummer ums arme Volk wäre von gleicher Farbe, wenn man mit der Laterne ihm ins Gesicht leuchten würde! Die Rede ging immer rascher hin und her, je mehr der herrliche Dotziger, und zwar Schattenseite gewachsener, den guten Leuten die Zunge löste. Was oben war, kam übel weg, und gewaltig wurde gelacht, als einer sagte: »Der Schinder hätte sie längst genommen, wenn er nicht unter der gleichen Decke wäre.«

Endlich klopfte einer seine Pfeife aus, machte ein ernsthaftes Gesicht dazu und sagte: Wegen dem Schulhaus sei er ganz der gleichen Meinung gewesen, hätte dazu gestimmt und zwar mit beiden Händen, wenn es nötig gewesen wäre; was hätte das abgetragen und was hätten sie nötig, jemanden einen Gefallen zu erweisen so für nichts und wieder nichts! Aber etwas sollte doch geschehen, um zu zeigen, daß sie keine Fötzel seien und wüßten, was Trumpf sei zu dieser Zeit. Er komme weit umher und möge sich nicht allenthalben vorhalten lassen, sie seien hundert Jahre zurück und wüßten nichts von Aufklärung und Bildung, ihren Namen würden sie nicht umsonst haben. Er hülfe eine Käserei errichten und eine bauen, so eine rechte, daß man daran sehe, es fehle ihnen weder an Geld noch an Bildung. Ringsum hätte man Käsereien, und wer keine habe, werde ausgelacht; da seien die Weiber Meister, heiße es, oder es fehle den Mannen am Einsehen, was nützlich sei. Von großem Nutzen aber seien solche Käsereien, das Geld komme wie durch ein Stiefelrohr herab, und alles für Sachen, welche man sonst gar nicht ästimiert oder habe zuschanden gehen lassen und zUnnutz verbraucht. So ein Käshüttli sei doch bald gebaut, wenn man einander helfe, müsse doch Mancher allein ein Haus bauen, und ihr Lebtag wollten sie sich nicht nachsagen lassen: zmitts im Dorfe seien die Weiber Meister und außen im Dorfe kein Mann, und ihre Kühe gäbten nur abgenommene Milch, aus welcher sie bloß zNot anken könnten, geschweige dann käsen. Milch hätten sie sicherlich mehr als genug, zum Allerwenigsten von hundert Kühen brächten sie sie zweg. Er frage nun, was sie meinten, und ob die Sache nicht recht wäre?


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