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Bogumil Goltz

Bogumil Goltz.

Die Zeit trägt einen Ranzen auf dem Rücken
worin sie Brocken wirft für das Vergessen
Das große Scheusal von Undankbarkeit.
Die Krumen sind vergang'ne Großthat, aufgezehrt
So schleunig als vollbracht, so bald vergessen
Als ausgeführt.

Shakespeare.

Vierunddreißig Jahre sind verflossen, seit Bogumil Goltz die Augen schloß. Mit ihm ging ein Mann dahin, dessen tiefempfundenen, durch echte Herzenspoesie verklärten Schilderungen seiner Kindheit und seiner Jugend, dessen köstlicher Humor und sprudelnder Witz, oft zu beißender Satire verschärft, dessen barocke Einfälle und urwüchsige Genialität das Entzücken seiner Zeitgenossen gewesen waren. Heute kennt man ihn nur noch dem Namen nach, fürwahr, Shakespeare würde mit seinen Worten Recht behalten, wenn man der Zeit nicht kurz entschlossen ihren Ranzen abschnallte und die Brocken, für uns köstliche Schätze, wieder hervorholte. Es ist eine deutsche Ehrenpflicht, die bedeutsamsten Schriften Bogumil Goltz' nicht der Vergessenheit anheim fallen zu lassen, denn wenige haben es verstanden wie er, das deutsche Gemüth, den Zauber der deutschen Heimath in ihren Schriften widerzuspiegeln, nur wenige haben die große Fülle geistvoller Gedanken und tiefsinniger Charakterschilderungen aufzuweisen wie er.

Bogumil Goltz wurde als der jüngste von vier Geschwistern, zwei Schwestern und einem Bruder, am 20. März 1801 in Warschau geboren, das damals noch unter preußischer Herrschaft war. Sein Vater war Stadtgerichts-Direktor, zugleich Anwalt und Notar. Er hielt eine große Kanzlei in seinem eigenen großen Hause auf dem Tlomacki-Hof, das der Sage nach auch das Geburtshaus König Sobiesky's von Polen gewesen sein soll. Sein Vater war wohlhabend, besaß in der Stadt Wagen und Pferde und, drei Meilen von Warschau entfernt, das schöne Landgut Milanowek. So kam es, daß der Knabe früh mit dem Landleben vertraut wurde und auf diesem Gute seiner Eltern das »rings von bewaldeten Bergen umgeben, auf einer sanft ansteigenden Höhe an einem großen See lag«, erhielt er seine frühesten Eindrücke, die im Verein mit seiner ländlichen Erziehung später für lange Zeit auf seinen Lebenslauf bestimmend eingewirkt haben und auch den Stoff für seine erste dichterische Arbeit lieferten, für das berühmte »Buch der Kindheit«. Dort schildert er diese Eindrücke in köstlicher Weise: »Ich war ein lebhafter Junge und kein Kopfhänger, aber das Wunder des Daseins machte mich immer wieder nachdenklich, träumerisch und wie berauscht! Es war eine heilige Lebensinbrunst, die mit mir als einem prophetisch Verzückten ihren himmlischen Spuk trieb; ich liebte das Leben in mir selbst wie in aller Kreatur, ich mußte zu Zeiten stille stehen und mich betasten, mich im Quell bespiegeln und dann jauchzen, daß ich auch existirte, daß ich lebendig war, und dann warf ich mich auf die Erde und küßte sie als die Allmutter, die all das Leben mit den Elementen zeugte und nährte. Wie aber dieselbe Erde das Erzeugte wiederum in ihr Element zurückwandle und es verzehre wie sie es ernähre, das kam mir damals nicht in den Sinn; ebenso übersah ich über dem größern Wunder des Lebendigen in der Kreatur, wie die Pflanzen und insbesondere die Bäume es anfingen, so mir nichts, dir nichts aus der schwarzen Erde herauszuwachsen, in hellen Farben und in tausend zarten Formen, hinein in die blaue Luft. Die Pflanzenwelt berührte mich mehr in unbestimmter Weise. Ich empfand sie in meiner Seele wie eine natürliche Magie und Zauberei Gottes … Was aber lebendig war, was aus eigenem Witz umhergehen und stehen oder kriechen, schwimmen und fliegen konnte, was Augen, Ohren und fünf Sinne hatte gleich den meinigen und obendrein ein Herz, das war auch an mein eigenes Herz adressirt, an mein kreatürliches Mitgefühl, an mein Erbarmen und meine Zärtlichkeit …«

Dieses echte Kindheitsparadies ging ihm aber früh verloren. Milanowek brannte zweimal hintereinander durch Blitzschlag und Unvorsichtigkeit der Dienstleute ab, infolgedessen wurde das Gut verkauft und das Land von den Eltern verlassen. Da auch aus der ersten Ehe des Vaters eine zahlreiche Kinderschar vorhanden war und der viel beschäftigte Vater das Erziehungsgeschäft der dadurch überbürdeten Mutter überließ, wurde der kleine Bogumil »in Anbetracht seines intellektuell obstinaten Naturells, seiner Unarten und Originaleinfälle« im Jahre 1808 einer alten Freundin seiner Mutter, der Gattin des Hauptmanns von Thiesenhausen übergeben und siedelte auf einige Jahre nach Königsberg über. Dort besuchte er zwei Jahre lang das Kneiphöfische Gymnasium, wo er der Schüler des Professors Gottlieb Lehmann war, bekannt als Mitstifter des Tugendbundes und durch seltene pädagogische Gaben ausgezeichnet. Die Wohnung seiner Pflegeeltern lag dicht neben der Einfahrt des Gasthofes »Zum schwarzen Roß«, wo hauptsächlich Landbewohner und Fuhrleute verkehrten. Diese Gasteinfahrt »Zum schwarzen Roß« gab ihm das erstemal Gelegenheit, Lebens- und Menschenstudien zu machen, die zweite Seite seiner Begabung, die er später in einer Reihe von Schriften so glänzend bethätigte. Zwar brachte er zum Aerger seiner Pflegeeltern außer zerrissenen Aermeln und beschmutzten Beinkleidern noch allerlei Redensarten, Kraftausdrücke und schlechte Witze nach Hause, die ihm Hiebe und Einsperren eintrugen, aber wie er selbst schreibt, war ihm als baarer Gewinn dagegen eine Grundlage zur Kenntniß des gemeinen Mannes, ein Herz und Interesse für allerlei Volk und Gesinde, ein Sinn und Verständniß für allerlei Lebens- und Redensarten, ein Ton vom Leben und Dasein, kurz ein Element zurückgeblieben, das er nicht gegen die Dinge hätte vertauschen mögen, die ihm bei seinem Gassenleben und bei seinem Umhertreiben im schwarzen Roß etwa entgangen wären. Aber noch zwei andere Stätten übten ihren Einfluß auf sein Knabengemüth aus, der Haberbergische und der Roßgärtische Friedhof. Dorthin ging er »wenn er von allem Lebendigen im schwarzen Roß gesättigt war, es in den Tod zu übersetzen«, dort empfing seine Kinderseele die Eindrücke des menschlichen Erden- und Todesschmerzes und auf den Gräbern dieser Kirchhöfe hat er »die Empfindungen, die Vorstellungen des Todes und der Vergänglichkeit alles Irdischen, der Vernichtung und der Erdennichtigkeit, des Nichtsseins in allem Dasein und Sein für sein ganzes Leben in sich entwickelt und seinem ganzen Menschen zu eigen gemacht«.

Sein Aufenthalt in Königsberg endete mit dem Jahre 1810, wo er zu dem Pfarrer Jackstein, ebenfalls einem Freunde seiner Eltern, in Pflege und Unterricht gegeben wurde, nach Klein-Tromnau bei Marienwerder. Außer ihm beherbergte das Pfarrhaus noch 6 andere Knaben und hier gerieth er aufs neue in den Bann des ländlichen Lebens. Nachdem er seine Schullaufbahn auf dem Gymnasium in Marienwerder und zum Schluß noch einmal in Königsberg beendigt hatte, entschloß er sich, nunmehr 17 Jahre alt, Landwirth zu werden. Sein Vater brachte ihn zu einem Freunde auf das Amt Ciechocin bei Thorn und dort erlernte er die Landwirthschaft. Aber ein inneres Bedürfniß nach Vervollkommnung seiner wissenschaftlichen Ausbildung trieb ihn mit Macht zum Studium. 1821 ging er nach Breslau als Student der Theologie und Philosophie. Doch auch hier sollte seines Bleibens nicht sein. Noch ehe er seine Studien beendigt hatte, übernahm er auf den Wunsch seines Vaters, der seinen nahen Tod voraussah, die Bewirthschaftung des väterlichen Gutes Lissewo bei Thorn, das ihm nach dem bald darauf wirklich erfolgten Tode des Vaters als Erbe zufiel. Kurze Zeit später starb auch seine Mutter, deren Tod ihn besonders hart traf. 1823 wurde ihm das Glück zu theil, eine Lebensgefährtin zu finden, in der Tochter eines ihm benachbarten Gutsbesitzers, Amalie Josephine von Blumberg, der er in seinem »Jugendleben« unter dem Namen »Agnes« ein Denkmal gesetzt hat.

In seiner Laufbahn als Landwirth hatte er wenig Glück, er mußte das Gut Lissewo verkaufen und versuchte es dann eine Reihe von Jahren mit Pachtungen, von 1830 an in dem kleinen Städtchen Gollub. Nach 17 langen Jahren, deren Elend er schwer empfand, – war er doch auf den bekannten Verkehr mit Bürgermeister, Apotheker, Doktor und Grenzkontrolleur angewiesen, – entschloß er sich endlich, die Landwirthschaft ganz zu verlassen. In der Vorrede zu »Ein Kleinstädter in Aegypten« schildert er diesen bedeutsamen Moment, in dem er endlich seinen wahren Beruf erkannte. »Da trat der Genius meines Lebens vor mich hin und sagte: »Mensch, bedenke dein Ende«, aber nicht fürder in Hühnerhorst; Du hast bereits Pips und Mauser überstanden, du bist für eine höhere Staffel geweiht. – Jetzt denke darauf, wie du deine Lenden gürtest, den Staub von deinen Füßen schüttelst, und nie wiederkehrst. Damit du dies aber vermögest, so schreibe dies Buch! – In demselbigen Augenblicke erschien vor meinen verzückten Blicken der lichte Genius meiner Kindheit. Er hielt eine Schrift in Händen, auf deren Titelblatt in farbenglühenden und goldigen Lettern »Kindheit« zu lesen stand … Diesmal hielt ich den Traum fest und machte Ernst mit der Schriftstellerei und fiel doch nicht aus meiner Rolle, sondern in den tiefsten Seelentraum, in den Mittelpunkt der Natur, in »die heiligen Paradiesträume der Kindheit« zurück und schrieb sie nieder und nannte sie »Buch der Kindheit« und verkaufte mein Bischen Hab und Gut und ging hausiren mit meinem Manuskript«. Der Verleger H. Zimmer in Frankfurt am Main übernahm den Verlag dieses »Erstlingswerkes«, das Goltz in kurzer Zeit einen geachteten Namen verschaffte. Goltz ließ sich nun dauernd in Thorn nieder, von wo aus er seine Reisen durch Deutschland, Polen, Frankreich, England, Italien und Egypten, durch die Provence und Algier machte. Bei seiner Rückkehr aus Egypten berührte er Wien und Friedrich Hebbel hatte Gelegenheit, durch Vermittlung der Frau v. Goethe ihn kennen zu lernen. Ihm verdanken wir eine äußerst interessante Schilderung des außergewöhnlichen Mannes, der rasch ein großes Zutrauen zu Hebbel gefaßt hatte. Goltz überreichte ihm auch sein »Buch der Kindheit«, über das Hebbel sich ganz hervorragend günstig aussprach. Ich kann mir nicht versagen, diesen Aufsatz Hebbels, der wohl das bedeutendste ist, was über Bogumil Goltz veröffentlicht wurde, wenn auch mit einigen Kürzungen hier wiederzugeben. Bei einem Mittagessen trafen die beiden Dichter zusammen. Hebbel schreibt: »Er war mir damals ein bloßer Name, den ich obendrein erst aus dem Einladungsbrief kennen lernte, aber wie rasch verwandelte sich dieser Name in eine lebendige Gestalt mit den schärfsten bestimmtesten Zügen! Ein starkknochiger etwas hagerer Mann mit durchdringenden Augen, mächtig hervorspringender Nase und einer Stirn, die Eigensinn und Willenskraft zugleich abzuspiegeln schien, perorirte in einem Kreise von erschrockenen Damen und staunenden Herren mit mächtiger Stimme gegen das schöne Italien; seine Garderobe erinnerte an einen Professor aus der ehrwürdigen Zeit, wo Lessing, als er tanzen und fechten lernte, sich gegen seinen Vater weitläufig darüber verantworten mußte; der Frack schien ein uraltes Erbstück zu sein und ein weißes Tuch, bis über das Kinn hinaufgebunden vollendete den urväterlichen Eindruck. Aber seine Gedanken waren nicht alt und bestaubt, in körnigster Sprache entwickelte er eine Reihe der originellsten Ansichten und Ideen, die schlagendsten Ausdrücke, die treffendsten Bilder standen ihm zu Gebot, und das Schneidende seiner Aeußerungen wurde durch die Unmittelbarkeit ihrer Erzeugung, die das Wägen und Messen ausschließt, doch wieder gemildert. Es giebt nämlich eine doppelte Art des Gesprächs, die auch eine doppelte Aufnahme bedingt. Bei reflectirenden Menschen ist es ein Gedankenextrakt, in welchem das Unbewußte fast ganz zurücktritt; sie sprechen heute aus, was sie gestern dachten, wählen und mischen mit Ueberlegung die Farben, zeichnen mit sicherer Hand die Umrisse und schreiben eigentlich nur mit der Zunge. Diese sind für Alles, was sie sagen, verantwortlich, und wissen es auch recht gut. Bei schöpferischen Naturen dagegen ist es ein Prozeß, den der Zuhörer in allen seinen Phasen mit durchmachen muß und dessen Präzipitat erst aus der lebendigsten Friction aller Kräfte hervorgeht. Mit diesen wird nur ein kleinliches Individuum rechten, nur ein solches, das unfähig ist, das Leben im großen Sinn aufzufassen, und das eben darum an Formen Anstoß nimmt, welche der mit sich selbst ringende Geist, der sich ihrer in dieser Minute bedient, in der nächsten aus eigener Bewegung schon wieder zerschlägt. Zu ihnen gehört Goltz. – Mit Italien, das er zuletzt gesehen hatte, war er ganz besonders unzufrieden; natürlich nicht mit dem Lande mit dem blauen Himmel und den milden Lüften, sondern mit den Menschen und ihren Zuständen. Ging er soweit, daß man sich eine bescheidene Einwendung erlauben zu müssen glaubte, so lautete seine Erwiderung: er erwarte, daß man subtrahiren könne, und setze die vier Species überhaupt bei Jedermann voraus. Hatte man an dieser Abfertigung noch nicht genug, kreuzte man ihn noch mit einer zweiten Bemerkung, so war er im Stande, die Augen wie ein Märtyrer aufzuschlagen und auszurufen: Gott, Gott, es giebt auf deiner Erde nur Einen dummen Kerl, und man kann ihm nicht ausweichen, man trifft ihn vor den Pyramiden, im Kolosseum und überall! Hätte er seinem Aerger auf diese Weise genug gethan, so trat augenblicklich die Reue ein, und er sagte gutmüthig: daß meine Freunde an mir lieben, was liebenswürdig ist, das danke ihnen der Teufel; sie müssen auch das Uebrige mit in Kauf nehmen! Als man ihm das naive Wesen der Italiener entgegenhielt, versetzte er: die Naivetät des Rebhuhns ist noch größer und dennoch pflegt man es nicht über den Menschen zu erheben; übrigens ist es mir lieber, wenn derjenige, der mich todtschlägt, hinterdrein nach alter deutscher Art, vom Gewissen gejagt, davon läuft als wenn er sich in gut italienischer Manier aus meinem Leichnam ein Kopfkissen macht und sich niederlegt, um sich von der gehabten Anstrengung zu erholen. Von der Mattherzigkeit unserer Zeit meinte er, wohl nicht ohne Grund, die Menschen hätten heut zu Tage nur eben so viel Seele, daß das Fleisch nicht faule. Ein weiches, leicht erregbares Gemüth kam aber auch von Zeit zu Zeit in unzweideutigen Spuren zum Vorschein, und ich überzeugte mich bald, daß die anscheinende Härte des Mannes eben nur aus seiner Angst vor dem zu mächtigen Ueberströmen des tiefen Gefühls, dessen er sich im Innersten bewußt war, hervorgehe … Selten machte ein Mensch auf mich einen so ganz eigenthümlichen und darum dauernden Eindruck, der erste Gedanke, den er, und nicht bei mir allein erweckte, war, er müßte in der nächsten Stunde vom Nervenfieber befallen werden; aber gleich der zweite, er habe mit Krankheiten gar nichts zu schaffen«. Ueber das »Buch der Kindheit« urtheilt Hebbel: »Von welcher Fülle der echtesten Poesie strotzt fast jedes Kapitel! Wenn es jemals einen Dichter gab, der den Pfad zum Paradies der Kindheit zurückfand, so ist es Goltz. Meine Sympathie für den Stoff würde mich nicht blind für die Mangelhaftigkeit der Form machen, und gerade diese ist, einige unerhebliche stylistische Nachlässigkeiten und Schiefheiten in der Satzbildung abgerechnet, vollendet zu nennen. Goltz ist ein Landsmann von Hippel, Hoffmann, Hamann und Kant. Hippel scheint jenen Blick für's Detail des Stilllebens auf ihn vererbt zu haben, der seinen »Lebensläufen« die klassische Seite gab; Hoffmann das glänzende, Ader und Nerv zugleich in den Rahmen bringende Darstellungstalent, von Hamann hat er einen mystischen Zug, der ihn abhält, die Nacht als die bloße Abwesenheit des Tages aufzufassen, und in so weit gesund ist, als er dies thut; von Kant hat er nichts und das ist schade, denn das Angebinde des großen Vaters der Kritik hätte ihn ohne Zweifel gegen die erst sich entwickelnde neue Ordnung der Dinge etwas gerechter, und gegen die von ihr befehdete alte etwas scrupulöser gemacht, als er zu sein scheint«.

Welche Sensation sein Aufenthalt in Wien machte – er hielt dort verschiedene Vorträge – ersieht man auch aus einem Aufsatze Kürnbergers, des Dichters des »Amerikamüden« in seinem Bande »Literarische Herzenssachen«, wo er schreibt: »Die Wiener werden einen Mann kennen lernen, der nicht seinesgleichen hat. (Der Artikel ist vor Beginn der Vorträge geschrieben.) Nie hat ein Mensch stärker empfunden, eigenthümlicher gedacht, selbständiger gelebt als der Mann, der da hervorbricht aus den Wäldern und Moorgründen Ostpreußens, wie der fabelhafte Elch, der Urhirsch in der Waldnacht von Bialystok, wo er als Rest einer untergegangenen Riesenwelt nur noch in wenigen Exemplaren ins 19. Jahrhundert hineinlebt. Bogumil Goltz ist eine Urschrift der Natur. Wo er auftritt, erscheint alles um ihn her wie eine Abschrift und eine Abschrift der Abschrift. Man könnte sagen: Es giebt vier Elemente und Bogumil Goltz ist das fünfte. Er ist eine Gesammtausgabe des Lebens, eine jener Faustnaturen, welche in sich den ganzen Mikrokosmus tragen.« Wahrlich, starke Worte, wie sie nur über wenige geschrieben worden sind. Andere seiner Zeitgenossen äußern sich ähnlich, so Rudolf von Gottschall in einem Essay über Goltz in »Unsere Zeit«, so Otto Spielberg im Museum von Robert Prutz und einer besonderen »Denkrede auf Bogumil Goltz«, wo er die Meinung ausspricht, erst das 20. Jahrhundert würde Goltz richtig zu würdigen wissen. Ein Theil all der Lobeserhebungen, das muß gerechterweise gesagt werden, ist wohl freilich auch dem gewaltigen Eindruck seines mündlichen Vortrags zuzuschreiben, denn wie anders wirkt das gesprochene Mort, als das geschriebene. Auch darüber sind wir gut unterrichtet, in seinen »Erinnerungen« schildert Ludwig Pietsch uns Goltz beim Vortrage. »Die kleinen, grauen tiefliegenden Augen blitzten und sprühten aus den Schatten der überhängenden Brauen hervor, wenn er zu sprechen begann und seine Rede im unverfälschtesten, westpreußischen Dialekt, dann fessellos wie ein wilder Bachstrom, bald prächtig rauschend, bald polternd, bald krystallklar, bald Geröll, Kies und schwere Blöcke wälzend, dahinflutete und wirbelte ohne einen Moment des Stockens. Man hörte ihm bald hingerissen und begeistert, bald betäubt und geärgert wortlos zu. Tiefe Weisheitssprüche, verwegene Behauptungen, spannende Erzählungen eigener und fremder Erlebnisse, Naturschilderungen, groteske Vergleiche, grimmige Ausfälle, Verwünschungen und Invectiven, polnische Juden- und westpreußische Dorf- und Kleinstadtgeschichten voll überwältigender Komik, glänzende Schilderungen, ergreifende Herzensergießungen, ästhetische Theorien, kritische und enthusiastische Beurtheilungen von Kunstwerken aus alter und neuer Zeit drängten sich, oft in ungeheuerlichen Wortbildungen und Satzformen ausgeprägt in wirrem Durcheinander von seinen Lippen.«

Wie ihn hier Pietsch schildert, so finden wir ihn auch in seinen Schriften. Mit Ausnahme weniger, zu denen »das Buch der Kindheit« und »die Naturgeschichte der Frauen« gehören, kommt Goltz in seinen Schriften zu keinem genügenden Abschluß. Das Sprunghafte, das Abgebrochene überwiegt, es fehlt ihm die Gabe der Zusammenfassung, die Fülle der Gedanken, sein Kraftbewußtsein sprengt die Form. So kommt es, daß seine Schriften nicht als eigentliche Kunstwerke zu betrachten sind, es fehlt ihnen der große, leitende Gedanke; ein Buch von Goltz ist wie ein Feuerwerk, die einzelnen Strahlen schießen blitzartig hervor, aber sie zerstreuen sich in einen Regen von Funken, jeder einzelne fällt nieder und erlischt und der Zuschauer reibt sich die Augen verwundert darüber, wo all der Glanz hingeschwunden sei. Bogumil Goltz hat keine bedeutende Gestalt geschaffen in seinen Werken wie andere, aber er giebt überall sich, und damit wieder neue Räthsel, denn er ist immer ein anderer. »Die Natur hat ihm schweres Unheil gethan,« schreibt Kürnberger, »diese launische Künstlerin, welche sich Mühe nimmt, ein Moospflänzchen auszuarbeiten, hat einem Meisterstücke, wie Bogumil Goltz, ihre letzte Hand versagt und es unfertig in die Welt geworfen.« Nicht die Natur, das Schicksal hätte die letzte Hand anlegen müssen, hätte ihm auf den rechten Weg helfen sollen, den er bis zu seinem 47. Jahre verfehlte. Zu spät erkannte er seinen wahren Beruf, als es endlich geschehen war, da war seine Entwicklung abgeschlossen oder vielmehr die Entwicklungsfähigkeit fast eingeschlummert und deshalb hat er es nie zur Vollendung bringen können. Aber auch so bleibt genug des Schönen übrig.

Seit seiner Niederlassung in Thorn lebte er ganz seiner Feder und seinen Reisen, und der Erziehung seiner Pflegekinder, denn eigener Kindersegen war ihm versagt geblieben. Trotz großer Einnahmen aus seinen Vorträgen, die ihn in fast alle bedeutenderen Städte Deutschlands führten, hatte er übrigens fast immer mit Geldschwierigkeiten zu kämpfen, wie aus Briefen an seinen Verleger Otto Janke hervorgeht. Bald muß er seinen Neffen, »die die Officierskarriere machen« 400 Reichsthaler zahlen, bald »seinen jung verheiratheten Pflegetöchtern«, so daß er klagend schreibt: »meine Verwandten und Pflegekinder kosten viel«. Dazu kamen Verluste seiner Ersparnisse und häufige Krankheit in den letzten Lebensjahren, die sich dadurch wenig erfreulich für ihn gestalteten. Seit der Mitte des Jahres 1869 kränkelte er ernsthaft und war beständig an das Zimmer gefesselt. Am 12. November 1870 machte dann ein Gehirnschlag seinem vielbewegten Leben plötzlich ein Ende. Auf dem Friedhof in Thorn fand er seine letzte Ruhestätte.

Ein Verzeichniß seiner sämmtlichen Schriften gebe ich am Eingang des Buches. Hier will ich noch einige Notizen über das vorliegende Werk: »Zur Charakteristik und Naturgeschichte der Frauen« anfügen. Im April 1858 schloß Goltz mit seinem Verleger Otto Janke einen Vertrag über die Herausgabe eines Zyklus betitelt: »Exakte Menschenkenntniß in Studien und Stereoskopen«. Dessen erste Abtheilung bildete das »Frauenbuch« wie er es in seinen Schreiben zu nennen pflegt. Am 10. Juli übersandte er das Manuskript an den Verleger: »Hier haben Sie die erste Pièce meines Manuskripts zur Menschenkenntniß – sie ist die umfangreichste, weil das Thema pikant und unerschöpflich ist«. Im Dezember 1858 wurde es dem Buchhandel übergeben und Goltz schreibt erfreut: »Sachverständige Freunde schreiben mir, daß das Buch von den Frauen mehr als zwei Auflagen erleben wird – wenn keine Pause eintritt, das Eisen muß warm geschmiedet werden. Wir können nicht warten bis die erste Auflage vergriffen ist – das Publikum muß von der Schnelligkeit der 2ten Auflage frappirt und neugierig gemacht werden – das ist meine Politik. Aber die Hauptsache ist, daß Sie Connexionen unter den Literaten und Redaktionen haben – der Senf muß gut sein und der Senf muß gelobt werden.« Nun, das gewünschte Lob wurde dem »Frauenbuch« in reichem Maße zu theil, es erlebte fünf starke Auflagen. Die vorliegende Neuherausgabe schließt sich im Text genau an die Ausgabe letzter Hand an, auch die Orthographie ist beibehalten worden. Der Umschlag ist dem Originalumschlag der ersten Ausgabe getreu nachgebildet, und besonders interessant, weil Bogumil Goltz selbst der Mann ist, der mit dem Stock auf die Frauenköpfe hinweist. Das Portrait ist nach einem sehr ähnlichen Holzschnitt aus dem Jahre 1860 angefertigt.

Großlichterfelde b. Berlin, Juli 1904.
Dr. Erich Janke.


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