Emil Gött
Die Wallfahrt
Emil Gött

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Politisch muß man sein!

Also predigte verschiedene Male die Laubenwirtin zu Rheinach ihrem Mann, und so eindringlich, daß er sich schließlich ärgerlich den Kopf kratzte und maulte:

»'s ist wahr und recht hast du schon! Aber ob ich's zuweg bring, das ist die Frage!«

»Ach was! Dem Geschäft zulieb, muß man alles können, wenn's auch wider den Strich geht! Zwing dich und probier es einmal ernsthaft. Und wenn du mit Lumpen umzuspringen weißt, wie's ihre Art verlangt, so wirst du's auch mit ordentlichen Leuten können. Wofür bist du sechs Jahr in die Höhere Bürgerschul gegangen? Und außerdem ist der Herr Apotheker ein Kunde, auf den man schon einige Rücksicht nehmen darf, erstens gehört er zu den bessern Bürgern, zweitens ist er ein gebildeter Mann ...«

»Ja, ja, Marie! Aber laß es jetzt nur gut sein; ich will mich zusammennehmen, so gut es geht. – Freilich«, murrte er nachher für sich weiter, »so einen unglaublich beschränkten konservativen Querkopf gegenüber kühl zu bleiben und politisch zu sein, das will was heißen, und wenn man nur halbwegs so ehrlich liberal ist wie ich. Aber sie hat Recht: Das Geschäft geht vor der Politik. So muß man seine Überzeugung verleugnen!« schloß er seufzend.

Die Sache aber, die den Laubenwirtsleuten diese und ähnliche Zwiesprachen abnötigte, war die: Zu den regelmäßigsten Stammgästen gehörte der Stadtapotheker Weidner, ein älterer Herr, der sein gewichtiges und nötiges Amt, sowie sein gewichtiges und unnötiges Bäuchlein mit Würde und Anstand trug, seine politische Meinung, sowohl in Sachen des Stadt wie des Reichsregiments, in Fragen der Wasserleitung, Neupflasterung 61 und Verlegung der städtischen Viehmärkte, wie in denen der Sozialpolitik, der Kornzölle und der Dienstzeit mit dem ganzen Nachdruck seiner Würde und dem Feuer seines cholerischen Temperaments vertrat, ohne zu weichen und zu wanken, und als Typus eines hochkonservativen Philisters gelten konnte. Ihm gegenüber, auf allen Punkten der Opposition, stand nun als gleich hitziges, streitfertiges und in der Tat mit den Waffen einer sogenannten besseren Bildung gerüstetes Gegenspiel der junge Wirt zur Laube, der erst vor einem Vierteljahr das Anwesen erworben hatte. In den ersten Tagen war schon aus nachbarlicher Höflichkeit der Herr Apotheker einmal statt in den Rebstock in die Laube gegangen, hatte ein »ganz gebildetes« Gespräch mit dem »schade nur etwas übersprudelten, von dem Gifte des Freisinns angekränkelten, liberalen Hitzkopf« geführt, wie er andern Tags seinem Provisor erzählt, den er väterlich vor dem »Freischärler« warnte, war dann wieder und wieder gekommen und trank nun seit der Zeit täglich sein Frühschöpple und abends seine drei, vier auch fünf Glas Riegeler – je nach dem Grad der Hitze, die zu kühlen war, nämlich der Hitze des Gefechts, das er seit der Zeit mit dem »eigensinnigen Hitzkopf« führte. Denn nie vergingen drei Minuten, nachdem der Apotheker seinen altväterisch-konservativen Zylinder über den Haken gestülpt und die Badische Landeszeitung in die Hand genommen hatte, das Leibblatt des Laubenwirts, ohne daß sofort die Plänkler auf beiden Seiten vorgingen, das Feuer eröffneten und im Handumdrehen die friedliche Landschaft in ein qualmendes, tosendes Gefechtsfeld verwandelt war, auf dem sowohl die Kavallerie der spöttischen, witzgespickten Angriffe, als auch die geschlossenen Sturmkolonnen der logischen Beweise, ja sogar die Artillerie der gegenseitigen Grobheiten in »umfassende Aktion« traten. Kurz, es war ein bewegtes, lehrreiches und unterhaltsames Bild.

Nun nahmen aber die täglichen Schlachten an Heftigkeit immer mehr zu, man wurde durch die Übung und Verwöhnung 62 immer anzüglicher, bissiger, gröber, und mehr als einmal war es schon vorgekommen, daß der Herr Apotheker nach dem vierten, ja schon dritten Glase zornig nach dem Zylinder gegriffen und die Türe hinter sich zugeschlagen hatte. Ja, heute war es jetzt schon das zweite Mal, daß er nicht zum Frühschoppen gekommen war, sondern an der Laube vorbei marschierte, ohne herein zu blicken. Freilich hatte ihn gestern Abend der Laubenwirt elend verletzt mit der höhnischen Bemerkung, daß »Bildung und Urteilsfähigkeit kein Monopol der Studierten sei; im Gegenteil habe mancher den common sense, den gesunden Menschenverstand, über irgend einem Spezialstudium verloren! Er kenne auch Leute, welche ...« Ob das auf ihn gespitzt sei, hatte der Apotheker keuchend vor Zorn gefragt. »Ich habe nichts gesagt, als was ich gesagt habe!« war die trotzig murrende Antwort, und die Tür klirrte hinter dem anderen ins Schloß.

Die ewige Streiterei hatte der Frau Marie schon lange Angst gemacht.

»Sei doch gescheit und gib nach!« bat sie immer. »Du wirst sehen, du verdirbst dir noch die ganze Kundschaft. Politisch muß man sein!«

Und also auch heute wieder, und wie man schon gesehen hat, mit einigem Eindruck auf den Mann, dem es selbst unheimlich zu werden begann, angesteckt von der Angst der Frau.

»Politisch muß man sein, realpolitisch, nachgeben und zuschlagen, wo's gerade am Platz ist, wie's der Bismarck machte! Also nimm dich zusammen, Johann!« Also sprach er zu sich, einen festen Entschluß fassend, »politisch zu sein«. Daß der Apotheker auch am Abend nicht kam, bestärkte ihn völlig darin.

Er atmete erleichtert auf, als der Erwartete endlich am anderen Morgen wieder erschien, grollend zwar und einsilbig, aber er war doch gekommen. Das Vorgefallene lag noch als peinliches Gefühl zwischen beiden, daher verlief auch das Wiedersehen recht still und friedlich.

63 Am Abend aber schien es lebhafter werden zu wollen. Der Apotheker kam mit einem sarkastischen Zug um den Mund und der »Badischen Korrespondenz« in der Rocktasche und forderte vernehmlich die Landeszeitung.

»Ich muß doch sehen!« sagte er laut für sich, aber auf den Gegner gemünzt, der sein Glas und die Zeitung brachte, »Ich muß doch sehen, wie sich die teure Base diesmal aus der Bredouille zieht!«

»Was gibt's denn Neues in der politischen Welt, Herr Weidner?« fragte Immenthaler außergewöhnlich sanft.

»Na, die Schneidewitzer Wahl!« meckerte der Apotheker höhnisch. »Da hat sich der Liberalismus wieder einmal in der ganzen Größe seiner – hm! hm! – in seiner ganzen Größe gezeigt. Ein sauberer Sieg, pfui Teufel, mit Hilfe der Sozialdemokraten! Guten Appetit! Ich gratuliere, Herr Immenthaler, zu der Bundesgenossenschaft!«

»In diesem Falle geb ich Ihnen recht, Herr Weidner, es ist kein erquickliches Bild!« sagte der Angegriffene ruhig.

Der Apotheker stutzte und betrachtete ihn argwöhnisch:

»Also Sie scheinen endlich die Fäulnis innerhalb einer gewissen Partei anerkennen zu wollen?«

»Es ist nicht alles, wie es sein sollte und könnte! Aber wo wäre das anders?«

Der Apotheker traute seinen Ohren kaum. Doch nahm er das letzte Wort begierig auf:

»Wo es anders wäre? Da schauen Sie auf uns, da sitzen noch Männer von Hirn und Herz, von Schrot und Korn! – Alles andere ist doch nur Windbeutelgeschlecht!«

Der Laubenwirt wurde rot und blaß; aber er bezwang sich und sagte:

»Dieses Urteil lasse ich Sie vor sich selbst verantworten!«

»Das tu ich auch!« rief der Apotheker heftig und schlug auf den Tisch; aber es war ihm unbehaglich zumute, als ob er geflunkert habe.

64 Der Hirsch muß einen harten Stamm vor sich haben, um sein Geweih zu scheuern, und der Gewalttätige Widerstand finden; sonst juckt es beide unerträglich. Die Nachgiebigkeit aber entwaffnet den Gegner, während der Trotz ihn rüstet ...

Das Gespräch wollte nun nicht recht in Zug kommen. Nach dem dritten Schoppen sagte der Apotheker »Gute Nacht!« und verließ melancholisch oder verärgert das Lokal.

Und wie es am Abend anhub, so auch an den folgenden. Johann Immenthaler folgte seiner Frau, nahm sich zusammen, blieb höflich, manierlich, jeder besseren Belehrung von Seiten des Apothekers zugänglich, kurz, er bestrebte sich, »politisch« zu sein, »realpolitisch«.

Aber mit welchem Erfolge! Der Herr Apotheker, der sonst drei, vier, fünf Glas, je nach dem Ärger, getrunken hatte, verlor, scheint's, bei der herrschenden Kühle den Durst, trank erst nur noch höchstens drei, später nur noch zwei Schoppen, schließlich ging er einmal schon nach dem ersten und kam am anderen Tag nicht mehr, auch nicht am zweiten und nicht am dritten. Und was gerade so auffallend war, die Zahl der Gäste, die sonst die Stube füllten, weil sie fanden, daß es in der Laube lebhafter zuging, der junge Wirt recht schick und seine Frau recht proper sei, fingen ebenfalls an, sich zu lichten und nahm im selben Verhältnis ab, wie die Bestürzung Immenthalers und seiner Frau zunahm.

»Ich weiß gar nicht, was das ist!« sagte diese manchmal, »hast du denn doch noch was mit dem Apotheker gehabt?«

»Nein, gewiß nichts! Ich hab mich zusammengenommen, so gut ich konnte, besser als ich es mir zugetraut hab. Was mag der Murrkopf nur haben? Und die anderen bleiben auch weg, als ob sie mit ihm zusammenhingen!«

»Weißt du was, Männle, ich tät ihn einfach einmal grad hinaus fragen! Ein offenes Wort hat nie was geschadet!«

»So? Soll ich ihm wohl noch nachlaufen?«

65 »Das Geschäft, denk ans Geschäft, wie das drunter leidet! Paß ihm mal den Weg ab, wie zufällig, und frag ihn, was er gegen dich hat!«

»Du weißt, Marie, daß ich gern alles für dich tu, aber ...«

»Das auch, Johann! Geh, sei politisch! Politisch muß man ein bissel sein, sonst geht's nicht!«

»Nun in drei – Gottesnamen!« sagte Immenthaler seufzend, und da er wußte, daß der Apotheker jeden Mittag nach dem Essen einmal von links nach rechts ums Städtle passierte, so tat er's am andern Tag ebenfalls, aber von rechts nach links. Am Rheintor trafen die beiden zusammen. Sie grüßten sich höflich. Mit kritischem Gesicht, aber doch etwas zögernd, wollte der Apotheker vorüber, da faßte Immenthaler den nötigen Schneid und sagte:

»Ein Wort, Herr Weidner, wenn's gefällig ist!«

Der blieb stehen und zog erwartungsvoll die Brauen hoch.

»Ich wollt nämlich doch einmal fragen, was ich Ihnen zuleid getan hab oder warum Sie sonst nie mehr in die Laube kommen. Liegt's am Stoff oder an der Bedienung oder ...?«

»Nun, Herr Immenthaler, weil Sie mich so offen fragen, will ich's Ihnen grad so offen sagen – es liegt an Ihnen!«

»An mir? – Ja, was hab ich ...?«

»Früher nämlich, da ging's noch! Es war unterhaltend und anregend, das Bier schmeckte, und was die Hauptsach ist, all das wirkte vortrefflich auf meinen Schlaf und Appetit. Ich kam heim, schlief wie ein Ratz und aß wie ein Drescher! – Seit einiger Zeit ist es aber bei Ihnen nicht mehr auszuhalten. Kein vernünftiges Wort«, schrie er beinahe, und der Koller brach los, »ist mehr mit Ihnen zu reden! – Zu allem sagen Sie ja! Verstehen Sie nun!«

Langsam nur erholte sich Immenthaler von seiner Verdutzheit, lächelte erst verlegen, dann freier; schließlich streckte er dem Zornigen die Hand hin und sagte:

66 »Herr Weidner«, sagte er, »wenn's nur das ist, dann kommen Sie nur getrost wieder! An mir soll's nicht fehlen. Das Jasagen ist mir, weiß Gott, hart genug angekommen. Gott sei Dank, daß das rum ist!«

Nach zehn Minuten hallte das Rheintor von einem heftigen Streit der Versöhnten über die Doppelwährung wieder, der am Abend rüstig in der Laube fortgesetzt wurde. Der Apotheker trank zum ersten Mal sechs Schoppen, und beim Schlafen sagte Immenthaler zu seiner Frau, die mit rotem, verschämten Gesicht auf dem Bettrand saß:

»Man kann auch zu politisch sein, Alte!« 67

 


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