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Süße Verlegenheiten.

Gustel wurde in der Villa Schering als große Reisende empfangen, die erzählen sollte. Zu andern Zeiten hätte der Wildfang wahrscheinlich eine sehr drollige Geschichte vorgetragen vom Müller Mehlmann, der sich eine Mühle sucht, heute gab's nur einen hübsch gefärbten Bericht, so daß Erna sagte: »Sie ist im Lande der Engelchen gewesen.«

Als Gustel nun mit einem ernsthaften: »Jawohl, beim Christbaumengel,« ihr Paketchen öffnete und die schönen Schokoladensachen der Gesamtheit stiftete, empfand sogar Friederike Schauroth Interesse für die Gothaer Engel; denn trotz allen Fleißes und aller Gelehrsamkeit – etwas Gutes schmeckte eben doch gut. – Diese Spende belebte einige Tage lang die Frei- und Zwischenstunden recht angenehm. Schließlich hatten aber die sieben Naschkätzchen auch Fräulein Mehlmanns reiche Gabe bezwungen, und als das letzte Praline vertilgt war, sagte Erna mit philosophischer Miene zu Gustel: »Also du ißt auch gern Sweet sweet?«

»Natürlich esse ich gern was Gutes.«

»Hör mal, dann könntest du heute wieder was mitbringen.«

»Mitbringen? Ich treffe keine Tante Mehlmann.«

»Sei nicht dumm. Ihr habt doch diesmal die Besorgwoche. Ich hörte vorhin, daß ihr nachmittags mit Mademoiselle Laport in die Stadt sollt, es müssen einige Stopf- und Wiebelgarne besorgt werden. Mademoiselle ist mächtig bequem – mit Mademoiselle geht alles, und außerdem geht nur Friederike mit – die hat Buchhändlergeschäfte.«

»Ja, aber –«

»Wenn du geizig bist, dann läßt du es eben.«

»Geizig?«

Gustel war empört; wo sie fast alles den andern geschenkt hatte! Ehe sie aber antworten konnte, rief Lydia eifrig: »Ich möchte sehr gern! Erklärt mir nur deutlich, was ihr wollt und wie ich dazu kommen kann.«

Lydia bekam einen sehr huldvollen Anerkennungsblick.

»Nun, Mademoiselle macht immer einen kleinen Besuch bei einer französischen Familie – ihr geht dann nicht mit, sondern wollt euch Eisenach ansehen, dabei könnt ihr die Welt zusammenkaufen. In einer Schlupfgasse am Markt, gerade beim Rathaus, ist die süße Apotheke. Wir holen alles dort. Es ist ein ganz kleiner Umweg.«

»Die süße Apotheke?«

»Konditorei natürlich – seid doch ein wenig schlau. Wir andern bringen stets etwas mit, wenn wir in der Stadt sind.«

»Also wir auch,« entschied Gustel und Lydia fragte: »Aber Friederike?«

»Friederike hat nichts dagegen, verlaßt euch drauf.«

Zu Gustels großem Staunen war es wirklich so. Nach dem Kaffee wanderten sie zu viert nach Eisenach, mit einem Besorgzettel, dem sie sehr sorgfältig gerecht zu werden suchten. Erst hatte Friederike auf der Bibliothek zu tun, als sie zurückkam, machte Mademoiselle ihren Besuch und Friederike zeigte den Neuen Weg und Steg. Als all die Garne, Zwirne, Seiden und Knöpfchen gekauft und in die Sammettäschchen gesteckt waren, fragte Gustel: »Und wo ist denn nun die süße Apotheke?«

Friederike errötete, ein Zug von Unmut ging unverkennbar über ihr Gesicht. Da fingen also diese Jüngsten auch schon an mit Naschereien, die Alten hätten das ruhig allein besorgen können. Es war ihr unangenehm, aber was ging sie das schließlich an? Machten übrigens »die Kleinen« Dummheiten, dann mußten sie ihr um so sichrer gehorchen, sie hatte sie dann in der Hand. Deshalb sagte sie: »Dort drüben in der Ratsgasse ist sie, aber eile dich, wir warten hier am Denkmal.«

»Ich wollte doch –« sagte Lydia! Gustel aber schnitt dies Verlangen kurz ab. »Wir spendieren es zusammen! Nächstes Mal holst du! Sie hat mich ›geizig‹ genannt.«

Schnell eilte sie über den Platz – die leise innere Stimme, die ihr zuraunte: was man so künstlich einleiten muß, ist allemal unrecht! brachte sie leicht zum Schweigen; sie wollte schenken, und kein Mensch der Villa Schering hatte ja etwas gegen Fräulein Mehlmanns süße Spende gehabt. Also! – Sie kaufte eine Menge guter Sachen ein, glücklich in Gedanken an das Lob, das sie heute abend vorm Schlafengehen ernten würde.

Als sie aber aus ihrem Schlupfgäßchen herausbog, sah sie Fräulein Charlotte über den Markt gehen. Sie hatte schon die Richtung nach dem Denkmal zu genommen, wo die beiden Fische warteten, als sie Gustels ansichtig wurde. Befremden trat in das liebe, freundliche Gesicht, sie wandte sich seitwärts und verließ den Markt auf dem nächsten Wege.

Gustel aber schoß nach dem Denkmal: »War das nicht Fräulein Charlotte?

»Ich habe sie nicht gesehen,« antwortete Friederike und wandte sich langsam um – »aber natürlich, dort geht sie ja! Wie schade. Sie scheint noch reichlich genug von dir zu haben, Gustel, nach dem langen Sonntag, sonst hätte sie gewiß ›guten Tag‹ gesagt.«

»Bitte, bitte, wir wollen ihr nachlaufen,« bat Gustel leidenschaftlich.

»Was fällt dir ein, es ist gerade Zeit, Mademoiselle abzuholen.«

Als Gustel aber nicht aufhörte mit Bitten und Betteln, versprach Friederike, »zu tun, was sich tun lasse.« Und wirklich gelang ihrem gemeinsamen Zureden, Mademoiselle zu einem Besuch bei Fräulein Charlotte zu bewegen. Bald standen sie vor dem hübschen Haus, das viel Aehnlichkeit mit dem der Tante Rickwitz hatte.

Ach wie anders hatte sich Gustel diesen ersten Besuch bei Fräulein Charlotte ausgemalt, voll Wonne und Glückseligkeit hatte sie in ihre Arme stürzen wollen, und nun ging sie hinter den andern drein, als ob das schlechte Gewissen in Wirklichkeit einen halben Zentner wiege und mit Anstrengung aller Kräfte zwischen den blühenden Hyazinthen des Gärtchens hindurch bis in das trauliche Zimmer geschleppt werden müsse.

Sie wurden gleichmäßig freundlich empfangen. Friederike erfreute sich besonderer Beachtung, sie durfte von den Charakteren der drei Töchter König Lears erzählen und mußte sogar, als Charlotte nachsah, ob Tante Rhenius zu Hause sei, auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch Platz nehmen. Auch Gustel kam auf leisen Sohlen heran und betrachtete die beiden Bildchen, die Charlottens Eltern vorstellten, und das feine Kelchglas, in dem ein paar Cillen und Leberblümchen mit silberglänzenden Weidenköpfchen im Verein den Frühling verkündeten.

Die Gäste durften Frau Rhenius guten Tag sagen, Mademoiselle, Friederike und Lydia eilten voraus – Gustel drückte sich an der Tür herum.

»Nun?«

Da wandte sie den Kopf und sah Charlotten neben sich. »Bitte, bitte, gut sein!«

»Und wenn ich dasselbe zu dir sage?«

»Ist es denn so sehr schlimm? So, daß Sie mich mit strafenden Augen anblicken und mir nun gar nicht mehr gut sind?«

»Kommt darauf an. Der Besuch in der süßen Apotheke sah sehr nach Heimlichkeit aus.«

»Ja. Aber – sie essen gern Zuckerzeug, und es hat mir niemand verwehrt, die Mehlmannsschokolade zu verteilen.«

»Mit geschenktem Gut andern Freude machen, ist nicht dasselbe, wie heimlich Näscherei treiben.«

Nichts weiter; nur die menschenfreundlichen grauen Augen redeten mit, und Gustel sah alles ein, auch das Unausgesprochene.

»Ich tu' es nie wieder!« rief sie feurig; »mir war schon ein bißchen schauderhaft zu Mute – aber – aber – nicht wahr – was ich Ihnen sage, ist nicht geklatscht? das liegt tief, tief unten im Grab?«

Charlotte lächelte. »Was du mir sagst, ist nie geklatscht; ich vergesse es sofort wieder.« Dann bekam Gustel einen Kuß, lief hinauf, wurde von Professor Rhenius über ihre Gothaer Eroberung geneckt und kam heiß und glücklich nach der Villa Schering zurück.

Liese Flederwisch empfing sie an der Tür des Arbeitssaals und trabte mit hinauf.

»Nun, ihr Liebchen, was habt ihr eingeheimst?«

»Da,« sagte Gustel; »aber meinst du nicht, man solle es Fräulein Klementine erzählen?«

Liese legte ihr erschrocken den Finger auf den Mund. »Still! das gäbe einen netten Sums. Das heißt gleich: Näscherei. Und Fanny und Erna würden dir schön kommen.«

»Aber ich tu's nie wieder,« sagte Gustel, »ich schäme mich und es ist auch wirklich genascht.«

Da kamen die andern. Stumm gab sie ihnen das Gekaufte, mußte sich loben lassen und zuhören, wie Lydia feierlich versprach, das nächste Mal, wenn sie zum Markteinkauf gehen würde, auch solch eine Düte zu erlisten.

»Schneidig,« rief Erna, ein Bonbon mit den spitzen, weißen Zähnchen zerknackend, »und Montag, Kinder, Montag ist das Monatsfest! Freut euch einstweilen! Ich habe es ausgekundschaftet.« Gustel war neugierig, was das sei: »Monatsfest«. Und da sie das meiste Zutrauen zum Flederwisch hatte, fragte sie die, während sie die Erdbeeren aus ihrem Beete begoß: »mit guter Sache«, wie Kellermann sein Dungwasser nannte.

Liese machte ein verlegenes Gesicht. »Du wirst wieder schelten,« sagte sie, »und seit du vorhin aufbegehrtest, kommt mir's eigentlich auch beinah wie Unrecht vor, obwohl es doch gräßlich harmlos ist.«

Liese grub mit solcher Leidenschaft bei dieser Rede, daß sie einer blühenden Hyazinthe die Wurzel abstach.

»O weh!«

Sie knieten beide nieder, die Zwiebel zu untersuchen; freuten sich, daß sie unverletzt war, und steckten sie wieder im Grunde fest. Dann bewunderten und bedauerten sie die blaßblaue Blüte.

»Weißt du was, Gustel, ich schenk' sie dir! Zum Dank für den heruntergeholten Reifen. Ja?«

Gustel jubelte, Hyazinthen gab's nicht auf ihrem Beet, nur kleine Crokus, in denen die Bienen alle Tage Kaffeegesellschaft hielten, und Narzissen, aber die hatten erst Knospen. Als sie sich aber genug gefreut hatte, fragte sie noch einmal: »Und das Monatsfest?«

Da erzählte Liese.

»Weißt du, allmonatlich einmal sind Scherings, Miß Harriet und Lisbeth bei guten Freunden auf dem Land. Um zwölf, nach dem Stundenschluß, werden sie abgeholt. Mademoiselle bleibt allein bei uns, und die, du weißt schon, die sitzt gern still. Während sie also ihre Mittagsruhe hält, laufen wir in die süße Apotheke.«

»Ja, aber –«

»Sie merkt es nie; die Küchenlina trägt, während wir essen, Hüte und Schirme nach dem Croquetplatz, Mademoiselle denkt, wir spielen nach Tisch, wir huschen aber da, wo die Hecke ein Loch hat, hinaus, laufen in die Stadt, trinken Schokolade mit Schlagsahne und sind zum Kaffee bequem zurück; Lina wird an diesen Tagen sehr früh mit dem Mittagessen und sehr spät mit dem Kaffee fertig, weil sie ein Trinkgeld bekommt.«

»Aber das ist Bestechung, Liese, und ganz was Schreckliches, und ich mag das nicht mitmachen.«

Liese, die es schon ein paarmal mitgemacht hatte, sah verlegen aus; nun, da Gustel die Naschfeste schrecklich fand, sah auch sie das bisher gedankenlos als alten Brauch Hingenommene mit andern Augen an.

Sie sprachen hin und her über den schwierigen Fall. Liese versicherte, Erna werde ihnen den Kopf abreißen, wenn sie gegen die süße Gewohnheit ankämpfen wollten.

»Ernstlich, Gustel! Wenn man so zusammenhaust und einig ist, kann es sehr nett sein, wenn einem aber eins so böse ist, wie's Erna ganz gewiß werden wird, dann ist es ungemütlich. Ich will sagen, daß ich zu Hause bleibe, weil mein Geld vertan ist; mach's ebenso.«

»Dann lügen wir,« sagte Gustel, »das ist auch gräßlich.«

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