Adolf Glaser
Schlitzwang
Adolf Glaser

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Zehnter Abschnitt.

Der Zug nach Spanien.

Wie wir wissen, hatte der bedrängte Statthalter von Saragossa einen Gesandten nach Paderborn geschickt, um die Hilfe König Karls gegen Abdur-Rahman, das immer weiter um sich greifende Oberhaupt der Mauren, anzurufen. Karl wollte die Gelegenheit nicht unbenutzt vorübergehen lassen, um seine Herrschaft bis Spanien auszudehnen; denn der Gedanke einer Universalmonarchie unter seinem Zepter lag stets seinen großen Plänen zu Grunde.

Zwei Jahre kämpften Karl und seine Paladine in Spanien gegen die Bekenner des Islam; er eroberte die Städte Pamplona und Saragossa und fügte alles Land bis zum Flusse Ebro mit der Stadt Barcelona seinem Reiche unter der Bezeichnung die »Spanische Mark« bei. So herrschte er nun in Italien und Spanien und seine Macht schien bald keine Grenzen mehr zu kennen.

Aber das Unternehmen, so günstig begonnen und weiter geführt, endigte weniger befriedigend. Auf dem Rückzuge von Spanien erlitt das christliche Heer 148 noch schwere Verluste, und wiederum benutzte der Trotz der Sachsen die Umstände und bereitete sich zu einem neuen Aufstande vor. Doch wollen wir dem Gange unsrer Erzählung nicht vorgreifen. Die zwei Jahre Aufenthalts in Spanien boten für Schlitzwang Anlaß zu den mannigfachsten Beobachtungen und überaus reichen Erfahrungen; seine wechselvollen Erlebnisse ließen ihm kaum Zeit, alles Geschaute in sich zu einem zutreffenden Bilde zu verarbeiten; sie waren ebenso oft erhebender und heiterer Natur als trüber Art. Wohl hatte der König wahr gesprochen, als er ihm eine unermeßliche Fülle von Belehrung vorhersagte. Der Sachse lernte vor allem Länder und Menschen kennen; aber wenn die Natur ihn in ihrer südlichen Pracht auch oft in Entzücken versetzte und die Werke der Menschen ihm gerechtes Erstaunen einflößten, so mußte er doch bekennen, daß sein Urteil über den menschlichen Charakter kein besseres wurde; denn gerade im Kriege, wo von beiden Seiten die Leidenschaften sich ungebändigt entfalten, erkennt man, wieviel Wildes, Boshaftes und Arglistiges sich im Herzen der Menschen verbirgt und die glanzvolle Erscheinung des Ruhmes verdunkelt. Schlitzwang hatte an den Studien seines Freundes Eginhard teilnehmen dürfen und die fabelhaft prächtigen Bauwerke der Araber, die traumhaft anmutigen, von den Mauren überall angelegten Gärten angestaunt; er hatte mit dem gelehrten Angilbert die schwärmerischen Lieder im südlichen Gallien und in Spanien gesammelt und mit ihm beobachtet, wie im Westen des fränkischen Reiches die Sprache fast überall die römischen Wurzeln erkennen ließ und sich von der in Spanien gebräuchlichen Mundart doch wieder wesentlich dadurch unterschied, daß hier viele maurische und dort viele fränkische Anklänge sich eingemischt hatten. Er hatte ferner auch wiederholt an Kämpfen und Belagerungen teilgenommen, wobei er die Mühen und Gefahren der Helden, aber auch ihre Siegesfreude und ihren Ruhm teilen durfte. Er hatte den Wert wahrer Ritterschaft schätzen gelernt, und wenn er auch manche Roheiten und Grausamkeiten bedauern mußte, so sah er doch ein, daß sie im Gefolge des Krieges unvermeidlich sind und daß ein lang andauernder Feldzug die Herzen der Kämpfer nicht weicher und nicht sittenstrenger machen kann.

Es war dem Sachsen ganz natürlich vorgekommen, wenn die Heerführer überall, wo sie längere Zeit rasteten, ihrer Zerstreuung nachgingen. Während die älteren Helden dem Weine frönten oder bei Gelagen schwelgten, bemühten sich die jüngeren Ritter um die Liebe der abenteuerlustigen Schönen des Landes. Fast stets sind die Frauen den Siegern hold gewesen und die kräftigen Söhne des Nordens fanden vielfach Gnade vor den Augen der leidenschaftlichen Südländerinnen.

Eines Abends, es war in Saragossa oder Pamplona, im Schatten kräftiger Platanen und Kastanienbäume, unter denen der Duft blühender Orangen 149 und vielfarbiger Blumen die Luft erfüllte, als sich die siegreichen fränkischen Anführer damit vergnügten, einer Gauklerbande zuzuschauen, deren männliche Mitglieder die unglaublichsten Kraftstücke ausführten, während die jüngeren Weiber als Tänzerinnen in phantastischer Kleidung die Augen auf sich zogen. Unter den Zuschauern, die einen großen Kreis gebildet hatten, befand sich auch der tapfere Roland, des Königs Schwestersohn, dessen Gestalt über alle andern emporragte und der wie festgebannt den Bewegungen einer der Tänzerinnen mit entzücktem Auge folgte. Sie schien aber auch nur nach seinem Beifall zu trachten, und es war, als ob sein Blick ihre Schönheit erhöhe und die Grazie ihrer Bewegungen verdoppele.

Schlitzwang hatte lange auf das reizende Geschöpf hingeschaut, bevor er sich erinnerte, daß ihre Züge ihm bekannt waren. Aber wie hätte er auch vermuten können, daß in dieser geschmackvollen und zierlichen Tracht sich das unbändige Gauklermädchen Lo seinen Blicken darstellte? Als darüber kein Zweifel mehr vorlag, suchte er ihre Blicke auf sich zu ziehen; dies war aber nicht leicht, da sie nur Augen für den schönen Roland hatte, und als es dem Sachsen endlich gelang, ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, begegnete er einem vollständig gleichgültigen Blicke, was ihn nicht verwundern durfte, da sie ganz unmöglich ihn an diesem Orte der Welt vermuten und seine gänzlich veränderte Erscheinung wiedererkennen konnte.

Er mischte sich unter die Gaukler selbst und sah noch, wie Lo, nach Beendigung ihres Tanzes, mit Roland sich in ein Gespräch einließ, wobei sie geschickt einen Anflug von Sittsamkeit mit der Glut ihres Wesens zu verbinden wußte. Als sie dann zu den Ihrigen zurückkehrte, redete er sie an und gab sich ihr zu erkennen. Sie schien über die Begegnung nicht sonderlich erfreut, aber nach und nach behielt die Gutmütigkeit ihres Wesens die Oberhand und sie plauderte mit ihm wie in früheren Tagen.

»Verrate mich nicht«, sagte sie endlich mit wahrhaft flehender Gebärde, »denn du weißt, daß der König strenge Gesetze gegen uns in seinem Reiche erlassen hat. Hier im schönen Spanien werden wir gehegt und gepflegt, während im Frankenlande der Stock des Büttels unser Lohn ist. Du siehst, wie gut es uns hier geht und wie schön ich mich in diesen Kleidern ausnehme. Es ist mir gelungen, dem tapfersten und schönsten Ritter aus eurem Heere zu gefallen, und du wirst mir kein Hindernis in den Weg legen, wenn ich mich seiner Liebe erfreuen will; ich versichere dich, diesmal gilt es einen Preis, für den ich das Leben selbst wage und wofür ich sogar den barbarischen Strafen deiner Heimat trotzen würde. Wenn du meiner Bitte willfahrest, wird derjenige, nach dem alle Weiberherzen schmachten, mir nicht widerstehen; auch bin ich nicht so thöricht, nach ihm für mein ganzes Leben zu begehren. Aber solange ich ihm gefalle, soll keine 150 Macht der Erde mich von ihm reißen, und wehe demjenigen, der mich hindern wollte, ihm zu folgen, wenn er es verlangt.«

Schlitzwang kannte die leidenschaftliche Natur des wilden Geschöpfes genug, um zu wissen, daß sie ihre Worte wahr machen werde, und er sah keinen Grund, dem lebensfrischen Roland ein Abenteuer zu mißgönnen, welches vielen andern, bereits von ihm Erlebten ziemlich glich. Der Sachse war auch im Verlaufe der nächsten Tage nicht weiter erstaunt, als er bemerkte, daß sich die Gauklerbande fortwährend in der Nähe des Heeres hielt und Lo bald allgemein für die erklärte Geliebte des tapferen Roland angesehen wurde.

Wie hätte man ahnen können, daß aus diesem Abenteuer, wie sie auf den Feldzügen so häufig waren, ein großes, unberechenbares Unheil entstehen und der junge, hochberühmte Held sein Leben dabei einbüßen würde. Wahrlich, in ihm starb die Hoffnung und die schönste Blüte der ganzen damaligen Ritterschaft. Wer ihn in der Schlacht gesehen, wie er mit seinem Schwerte Duranda die Feinde niedermähte und auf seinem Horn Olivant zum Siege blies, oder wer es erlebt hatte, wie anmutig und liebenswürdig er im Kreise seiner Genossen zu scherzen verstand, der begreift, daß er im Munde des Volkes durch Lied und Sage unsterblich geworden ist. Und einer Tändelei wegen mußte er zum Opfer fallen, der tapfere, vielbeweinte, schöne Roland!

Das Heer war schon auf dem Rückzuge begriffen und zog reich mit Beute an Kunstschätzen und Kostbarkeiten aller Art beladen über das Pyrenäengebirge. Die Nachhut, welche die auserlesensten und reichsten Schätze mit sich führte, stand unter Rolands Oberbefehl, der gern solange wie möglich im schönen Spanien verweilen wollte, weil die Gauklerbande zurückblieb und er noch immer nicht dem Zauberbanne Los sich entreißen konnte. Endlich brach er auf, aber, leichtsinnig wie er war, verlangte er von Lo, daß sie ihn begleiten solle. Sie hatte es gelobt, solange ihr Reiz an ihn sie fessele, solle keine Macht der Erde sie von ihm trennen. Sie wußte nur zu gut, daß sie im Frankenlande nur so lange der schimpflichen Heimsuchung entging, als er sie beschützte; indes sie war wie umgewandelt und sah und hörte nichts als seinen Wunsch, daß sie doch mit ihm ziehen möge.

So that sie, was sie wohl nie zu thun gedacht und was bei Gauklern und Zigeunern als unsühnbares Verbrechen galt. Sie verließ die Ihrigen um des fremden Mannes willen und folgte ihm, ob sie gleich voraussehen konnte, daß er sie nur als ein vergängliches Spielzeug ansah. Roland hatte für sie das Gewand eines Knappen anfertigen lassen, und wer sie so mit den blitzenden schwarzen Augen und dem kurzgeschnittenen glänzenden Haar neben dem riesigen Roland mit dem blonden Gelock erblickte, mußte zugestehen, daß sich hier zwei Menschen zusammengefunden hatten, deren Schönheit die schroffsten Gegensätze bildete.

Der Kampf im Thale von Roncesvalles

153 Ein jedes war im stande, in seiner Art einen wunderbaren Zauber auszuüben. Der Anführer der Gaukler geriet in unbändige Wut; Lo war der Stern der fahrenden Leute, der Liebling aller, und sie konnten sich nicht denken, wie es sich ohne das Mädchen weiter leben lassen sollte. Unvorsichtigerweise hatte Lo dem Anführer der Bande mancherlei mitgeteilt, was sie im Kreise der Genossen ihres Geliebten erlauscht hatte. Die Gaukler eilten nun voraus und hetzten die Gebirgsbewohner der baskischen Provinz auf, die von Roland geführte Nachhut des fränkischen Heeres zu überfallen. Nicht nur aus Rache, sondern hauptsächlich der reichen Beute wegen gingen die Basken darauf ein und fielen ganz unvermutet über den Rest des fränkischen Heerzuges her. Los Angehörige kämpften mit in den Reihen der Gebirgsbewohner, und als Lo erkannte, daß der Geliebte durch Verrat und Hinterlist vernichtet werden sollte, ergriff sie selbst ein Schwert und stritt wie eine Rasende an Rolands Seite. Aber die wohlgewählte Örtlichkeit war der Gegenwehr der völlig unvorbereiteten Franken ungünstig. Vergeblich ließ Roland sein weithin schallendes Horn ertönen; das Thal von Roncesvalles verschlang die Klänge, und keine Hilfe kam dem vom Hauptheere getrennten Häuflein. Mit Löwenmut kämpfte Roland um sein Leben und zur Rettung der erbeuteten Schätze. Schon war die unselige Lo, zu Tode getroffen, zu seinen Füßen niedergesunken und noch immer streckte seine Hand viele seiner Gegner zu Boden. Da fühlte er, wie auch ihm, der aus mehreren Wunden blutete, die Kräfte schwanden. Noch einmal setzte er das Horn an die Lippen und stieß mit solcher Kraft hinein, daß der Schall wirklich wie klagender Geisterlaut bis zu König Karls Ohren drang. Dieser lauschte und erkannte den Ton von Rolands kostbarem Horn. Sofort kehrte er um. Aber es war zu spät.

Rolands Tod im Thale zu Roncesvalles

Die Basken hatten die ganze Nachhut niedergemetzelt und die unschätzbare Beute an geschnitzten Elefantenzähnen, Goldschmuck und Edelsteinen davongeschleppt. Nur unter schweren Verlusten mußte König Karl dem Thal von Roncesvalles den Rücken kehren. Dieser Unglückstag vernichtete vieles von dem früher Errungenen wieder. Niedergestreckt lag die schönste Zierde des Frankenheeres am Boden und, was das Schlimmste war, das Gerücht vergrößerte die Niederlage und trug bis in die fernsten Länder die schlimme Kunde von dem unglückseligen Ausgange des spanischen Kriegszuges.

Was Wunder, daß auch die trotzigen Sachsen bei dieser Nachricht sich wieder wie ein Mann erhoben und von neuem unter Wittekinds Führerschaft das fränkische Joch abzuschütteln suchten.

Daher ward in ununterbrochenen Märschen der Rückzug der Franken nach Aachen fortgesetzt. Die tiefe Verstimmung des Königs teilte sich dem ganzen Heere mit, so daß nur wenig von Heiterkeit und thatlustigem Treiben zur Geltung kommen konnte. Nach den zwei glücklichen Jahren in Spanien war der Verlust 154 der Beute bei Roncesvalles zu verschmerzen, aber unersetzlich blieb für den König der Tod seines heldenmütigen Neffen, dessen hohe Gestalt, herrlich anzuschauendes Wesen und edelschönes, von blonden Locken umrahmtes Antlitz gleichsam wie die Erscheinung eines Halbgottes überall begrüßt worden war. Traten auch sonst beim König alle persönlichen Neigungen zurück, wenn es seine großen Pläne galt, diesmal war er doch förmlich niedergeschmettert, und er mochte wohl auch häufig an den Schmerz und die Trauer denken, welche die Frauen seines Hauses bei der Nachricht vom Tode des Allgeliebten ergreifen mußte. Frau Bertha befand sich mit ihrem Gemahl während des spanischen Feldzugs in Angelland, aber gewiß eilte sie auf die Schreckenskunde vom Tode Rolands an den Hof des Bruders, und somit erwartete den siegreich heimkehrenden König nur lautes Wehklagen und tiefer Gram.

Aber er fand außerdem auch noch die schlimmsten Nachrichten aus Sachsen. Es war ganz natürlich, daß die Empörung des unterworfenen Volksstammes ihn diesmal im höchsten Grade erbitterte und zur äußersten Strenge reizte. Karl hatte schon während des Rückzugs aus Spanien durch Eilboten von dem Aufstande der Sachsen Kunde erhalten und wieder durch Eilboten angeordnet, daß alles, was von Steitkräften am Niederrhein noch vorhanden sei, unter Anführung seines Vetters Theoderich in Sachsen einrücken und sich mit den dort befindlichen fränkischen Truppen, welche noch immer unter dem Befehle des Grafen Eschburg standen, vereinigen solle.

Als das Heer in Aachen anlangte, war die Sache noch nicht entschieden. Obgleich es allgemein bekannt war, daß die Franken fast überall nur unter Karls eigner Leitung siegreich waren, hatte sich doch eine solche Geringschätzung der sächsischen Kriegführung verbreitet, daß man am Ausgang des Kampfes kaum zweifelte.

Trotzdem benutzte der König die Rasttage in Aachen zur Vorbereitung für den Fall eines länger andauernden Krieges, und da die Zeit zu Festlichkeiten wenig geeignet war, so beschäftigte er sich noch mehr als sonst mit Plänen und Entwürfen, wie das widerspenstige Sachsenvolk endlich zur ruhigen Annahme der fremden Herrschaft und der Neuerungen, welche diese brachte, zu bestimmen sei. Es war ganz selbstverständlich, daß Eginhard und zuweilen auch Alkuin mit dem sächsischen Schreiber über diese Angelegenheiten sprachen, und da der letztere namentlich bei Alkuin große Billigung seiner Meinungen fand, so wurde immer deutlicher ausgesprochen, daß der König ganz besonders auf Schlitzwangs Hilfe zähle und ihm eine einflußreiche Wirksamkeit zugedacht habe. Der Sachse selbst erklärte jedesmal, so oft die Rede darauf kam, daß er stets unweigerlich bereit sei, auf friedlichem Wege zur Ausbreitung des Christentums und der Bildung in Sachsen zu wirken, daß er aber von des Königs Gnade hoffe, er werde ihn nicht 155 zwingen, mit den Waffen in der Hand oder mit Gewaltmaßregeln gegen seine Landsleute vorzugehen. Daß er die Waffen wohl zu führen verstehe und sich an Mut und Unerschrockenheit mit den besten Helden messen könne, hatte er während des spanischen Feldzugs hinlänglich bewiesen.

Die Nachrichten, welche in der nächsten Zeit aus Sachsen anlangten, lauteten leider sehr ungünstig. Der erste Aufstand war zwar unterdrückt worden, und da der König zum Schutze des durch die Sorben bedrohten Thüringens einmal den Versuch machen wollte, ob die sächsischen Wehrmänner sich unter fränkischer Führung bewähren möchten, so ließ er zum erstenmal ein Heer, welches aus Franken und Sachsen gemeinschaftlich bestand, gegen den Feind ausrücken. Aber dies steigerte nur die Entrüstung in Sachsen, und während die fränkischen Heerführer wirklich gegen die Sorben zogen, riefen die sächsischen Edelinge den Herzog Wittekind, der gerade wieder die Normannen von seinen Grenzen verdrängt hatte, an die Spitze eines von ihnen selbst zusammengebrachten Heeres. Das Herz erbebte Schlitzwang, als er bei dieser Gelegenheit zum erstenmal wieder die Namen der Herren seiner engeren Heimat vernahm; denn als diejenigen Aufwiegler, welche Wittekind berufen und die Sachsen für ihn zum Heerbann gesammelt hatten, wurden besonders die beiden Krodo und Wippo von Süpplingenburg genannt.

Eines Tages ließ der König den jungen Sachsen vor sich rufen und empfing ihn mit den zornigen Worten, deren Sinn zwar nicht eigentlich ihm galt:

»Was sagst du nun zu der gerühmten Treue deiner Landsleute? Halsstarrig sind sie und hinterlistig; aber meine Geduld ist zu Ende, und der Krieg, den ich ihnen jetzt bringe, wird sie entweder völlig beugen oder gänzlich vernichten.«

Jener wollte abermals versuchen, den König zur Milde zu stimmen, aber Karl erwiderte:

»Es ist dir gelungen, meinen Freund Alkuin für deine Ansicht zu gewinnen, aber es gibt Zeiten, in denen die Buchweisheit nichts mehr hilft und Faust und Eisen in ihre Rechte treten. Ich weiß es längst, daß die nordischen Barbaren jede Neuerung mit Widerwillen aufnehmen und sich feindselig gegen jede höhere Gesittung stemmen, selbst wenn sie ihnen Besserung ihrer Lage bringt. Unter Freiheit verstehen sie das ungestörte Beharren in Beschränktheit und Rohheit. Als ich vor Jahren zum erstenmal nach Italien kam und die Erfahrung machte, daß die Stoffe, die wir trugen, so grob und schlecht waren, wie sie dort kein Sklave mehr am Leibe duldet, ließ ich Weber aus Italien und Griechenland kommen und lockte sie durch alle möglichen Vorteile in die rauhen Gegenden unsres nördlichen Vaterlandes. Was war mein Dank? Man klagte darüber, daß ich die fremde Arbeit der einheimischen vorzöge und gewöhnliche Leute aus fernen Ländern den eingebornen Edelleuten gleichstellte. Ihr Gelehrte denkt euch die Menschen anders als sie sind, und darum soll mir jetzt keiner von 156 euch mit in den Krieg. Ich will diesmal nicht Milde und Schonung üben, sondern mit der Schärfe des Schwertes den Boden zubereiten, in den ihr dann später den Samen der Gesittung streuen mögt. Für dich habe ich das Kloster Lorsch ausersehen, wo du in weltabgeschiedener Einsamkeit dein sächsisches Evangeliengedicht ausarbeiten kannst. Alkuin und Eginhard mögen die Geschäfte des Reiches von hier aus führen, während ich selbst mich an die Spitze des Heeres stelle und mit dem Schwerte in der Hand die Rebellen meinen Zorn und meinen Arm fühlen lasse.«

Was war auf solche Mitteilung zu sagen? Tief betrübt zog Schlitzwang sich zurück. Schon die nächsten Tage brachten des Königs Plan zur Ausführung. Aber es galt auch die höchste Eile, denn die Nachrichten, welche aus den aufständischen Gegenden anlangten, bewiesen, daß der alte heidnische Haß gegen die christlichen Einrichtungen hell aufloderte, denn überall wurden die Kirchen und Klöster zerstört, die Missionäre getötet und Mönche und Priester verjagt. Die einzelnen Anführer des kleinen Heeres unter Theoderich hatten die Macht der Sachsen unterschätzt; sie waren unvorsichtig vorgegangen und besiegt worden und mußten unter schweren Verlusten sich bis zum Rhein zurückziehen. 157


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