Adolf Glaser
Savonarola
Adolf Glaser

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zwanzigstes Kapitel.
Wahre Treue überdauert Zeit und Geschick.

Während in den südlichen Teilen von Italien die Kriegsfurie tobte und Cäsar Borgia seine raubtierartigen Pläne verfolgte, hatten sich die Angehörigen des unglücklichen Herzogs von Mailand nach Innsbruck geflüchtet, wo augenblicklich der deutsche Kaiser Max Hof hielt.

Jenseits der Berge, welche das sonnige Italien vor den rauhen Nordwinden schützen, liegt das Land Tirol mit seinen Alpen, seinen Tannen- und Buchenwäldern, seinen frischgrünen Matten und schäumenden Giesbächen, ein Land, das von kräftiger Luft durchströmt ist und von jeher durch Menschen bewohnt wurde, die in der Einfachheit ihrer Sitten und der Kraft ihres Wesens weit verschieden sind von den verwöhnten Kindern des anmutigen und fruchtreichen Landes Italien. Seit mehr als hundert Jahren gehörte dies Land dem österreichischen Hause und die Habsburger hielten sich gern dort auf, denn bei ihnen war die Lust am edlen Weidmannswerk erblich und sie liebten es, in den dichten Wäldern, auf schwer zugänglichen Felsen und unwegsamen Halden dem Wilde nachzustellen.

Auch Kaiser Maximilian teilte diese herkömmliche Liebhaberei und ihm war kein Berg zu hoch, kein Felsvorsprung zu gefährlich, um sich hinan zu wagen. War er doch vor Jahren einmal verloren gegeben, als er sich auf die steile Martinswand verirrt hatte und dort weder vorwärts noch rückwärts konnte. Vergeblich waren alle Versuche gewesen, zu ihm hinauf zu gelangen, tief unten am Fuße der himmelanragenden Felsen hatte sich die Gemeinde des nächsten Dorfes versammelt und der Geistliche hob die Monstranz zu dem Verirrten empor, damit er nicht ohne den Segen der Kirche auf jenem Felsvorsprunge sein Leben ende. So gewaltig war die Höhe, daß man die Gestalt des einsamen Jägers kaum erkennen konnte, aber eben, als er zum Tode geweiht worden, verschwand er unerwartet von der Stelle wie durch ein Wunder und war gerettet. Während er selbst sich schon zum Sterben vorbereitet und jeden Gedanken an Rettung aufgegeben hatte, war plötzlich in seiner Nähe zwischen 296 dem Gebüsch ein blondlockiger Kopf aufgetaucht mit großen blauen Augen und feinen Gesichtszügen. In der Überraschung des Augenblicks konnte Max die Gestalt nicht genau erkennen, er sah nur, daß ein kurzes Gewand den Leib verhüllte. Schweigend winkte ihm die unerwartete Erscheinung und zeigte ihm den vergeblich gesuchten Pfad, auf dem er von dem schreckensvollen Orte wieder zu Menschen gelangen konnte, die den verloren Geglaubten mit Jubel begrüßten. Aber kaum hatte er den Weg betreten, auf dem er nicht mehr fehlen konnte, als auch jene Gestalt spurlos verschwunden war und vergeblich blieben alle seine Bemühungen, den Retter ausfindig zu machen. Es mußte ein junger blühender Gesell gewesen sein, so viel konnte er behaupten, aber alles Forschen war vergeblich und bald war man allgemein überzeugt, es sei ein Engel des Himmels gewesen, den die Heilige Jungfrau herabgesandt habe, um dem allbeliebten Prinzen den Weg von der unwegsamen Martinswand zu zeigen.

In Tirol war Maximilian gleich einem Vater geehrt und geliebt, wie denn überhaupt die Habsburger durch milde Gesinnung sich unter den Herrschern der damaligen Zeit vorteilhaft auszeichneten.

Zwar verschmähten auch sie keineswegs die Vergrößerung ihrer Hausmacht, aber dies geschah meist auf friedlichem Wege. Obgleich sie wohl auch gelegentlich einmal mit dem Schwerte dahin wirkten, ihre Besitztümer auszudehnen, so suchten sie doch meist durch Heiraten und daraus hervorgehende Erbschaften fremde Gebiete mit Österreich zu vereinigen.

Maximilian war Friedrichs III. Sohn und durch die Vermählung mit Karl des Kühnen Tochter, Maria von Burgund, wurde sein Sohn Philipp aus dieser Ehe Herr der Niederlande. Er hatte als Witwer dann die Absicht gehabt, Anna von Bretagne zu heiraten, aber Karl VIII. war ihm zuvorgekommen und der Kaiser hatte seine Wahl auf Bianca Sforza aus dem Mailänder Herzogshause gelenkt, welche nicht nur eine unermeßlich reiche Mitgift und blühende Schönheit, sondern auch die ganze Anmut und Geistesbildung, wie sie an den italienischen Höfen zur Geltung kam, mit nach Deutschland brachte. Erst spät gelangte Maximilian auf den Thron, denn sein Vater starb, als der Sohn bereits in ältern Jahren war. Aber sein Gemüt war jung und frisch geblieben und er hielt die Augen offen nach allen Seiten hin. Schon unter Ludwig XI. war er mit Frankreich in Hader geraten, da der König die niederländischen Städte zum Abfall reizte und wirklich auch einen Teil des südlichen Flandern an sich brachte. Mit Karl VIII. war in späterer Zeit hauptsächlich durch Vermittelung Ludwig Moros von Mailand ein erträgliches Verhältnis zu stande gekommen. Nun aber suchte Frankreich die Freundschaft des Kaisers, um ihn zu veranlassen, daß er nicht für Mailand eintrete und den französischen Gelüsten gegenüber sich neutral verhalte.

Das Volk in Tirol sah in Verehrung zu seinem Herrscher auf und nahm herzlichen Anteil an allen Vorgängen, welche ihn und seine Familie betrafen.

297 So betrachteten die Bewohner von Innsbruck auch mit aufrichtigem Mitleid die wunderbar schöne, blasse Frau, die mit ihren beiden Knaben seit einiger Zeit als Gast bei der Herrschaft weilte.

Ihre sanften braunen Augen, die edlen Züge, das vom schwarzen Schleier verhüllte nußbraune Haar, die stattliche und doch anmutige Gestalt, alles wurde mit Teilnahme bemerkt und beobachtet, und wenn sie die Domkirche besuchte, so richteten sich die Blicke aller Anwesenden nach der herrschaftlichen Loge, in welcher die Fremde mit ihren Knaben saß. Die dunkle Gesichtsfarbe der beiden letztern, ihre tiefschwarzen Augen und Haare riefen mancherlei gar absonderliche Gedanken bei den Landbewohnern wach, denn viele glaubten, daß in Italien die Menschen von ganz dunkler Hautfarbe seien, andre wollten wissen, der Herzog von Mailand, der Gemahl der blassen Frau, sei ein Mohr, aber dann meinten wieder andre, wenn dies der Fall wäre, müßten die Knaben doch schwarz und weiß gefleckte Haut haben, und so ging das Gerede fort, wobei aber auch jedesmal die große Leutseligkeit der fremden Fürstin hervorgehoben wurde, die es nicht unter ihrer Würde hielt, den Armen mit eigner Hand Almosen zu reichen und sich in deutscher Sprache nach ihren Familienangelegenheiten zu erkundigen.

Die guten Leute blickten zwar voll Mitleid in die kummervollen Züge der edlen Herzogin, aber sie hatten keine Ahnung von der Größe der Besorgnis, welche deren Herz erfüllte. Kein Wunder, daß ihre Wangen erblaßt waren und ihre Augenlider oft gerötet schienen von anhaltendem Weinen! Ihr Gemüt fand weder bei Tage noch bei Nacht Ruhe, und wenn die erschöpfte Natur endlich einmal für einige Stunden im Schlafe Stärkung suchte, schreckte sie bald wieder von beunruhigenden Träumen gequält, in denen sie ihren geliebten Gatten, den Vater ihrer Söhne, hinter schrecklichen Kerkermauern oder gar auf dem Blutgerüste erblickte, empor.

Noch war das Schicksal Mailands nicht ganz entschieden und noch immer hoffte der Herzog, es werde ihm gelingen, mit fremder Hilfe sein Land aus der Gewalt der Franzosen wieder zu befreien. Wie gefahrvoll er selbst seine Lage ansah, bewies der Umstand, daß er seine Gattin und die beiden Söhne mit dem ganzen Rest seines Vermögens an den Hof seines Schwagers Maximilian in Sicherheit gebracht hatte.

Maria fand in der Religion ihren einzigen und höchsten Trost. In damaliger Zeit blieb für edle Frauen in Tagen der Bedrängnis keine andre Zuflucht, als daß sie sich in eifrigen Religionsübungen und brünstigem Gebete zu Gott und der Heiligen Jungfrau wendeten. Täglich hörte die Herzogin am frühen Morgen die Messe und besuchte des Abends die Vesper, während sie in der Zwischenzeit sich mit dem Unterricht ihrer Knaben beschäftigte. Das Gebet wirkte gleich einer frommen Betäubung, denn sie würde es für Sünde gehalten haben, wären ihre Gedanken nicht auf Gott gerichtet gewesen, während sie zu ihm flehte. 298 Je größer ihre Sorge war, je mehr die Angst sie zu überwältigen drohte, um so eifriger suchte sie Trost im Gebete und fand ihn auch, insofern ihre Sorgen dann beruhigt wurden.

Konnte auch der Hof des Kaisers nicht in Trauer verharren, weil die Schwägerin von Maximilians Gemahlin in Kummer versenkt dort weilte, so wurde ihr doch nicht zugemutet, in irgend einer Weise sich an den Vorgängen daselbst, am wenigsten aber bei Festlichkeiten zu beteiligen. Eines Tages machte der Kaiser ihr mit großer Schonung den Vorschlag, ein stilles Waldschlößchen für einige Zeit zu beziehen, welches mehrere Stunden von der Stadt entfernt im Gebirge lag und seit vielen Jahren gar nicht bewohnt wurde. Maria war damit einverstanden, denn ihr war es ganz recht, sich völlig in klösterlicher Stille zu befinden und sie hatte nur die eine Bitte, daß man ihr jede von ihrem Gemahl anlangende Nachricht sofort übermittele. Es wurde darauf das nötige Hausgerät nach dem Bergschlößchen geschafft und sie übersiedelte mit ihren Knaben, der Dienerschaft und den Pferden, die sie mitgebracht hatte, dorthin.

Die Gemahlin des Kaisers, Bianka Sforza, hatte diese Anordnung veranlaßt und zwar aus schonender Rücksicht für die Schwägerin, da sich Verhandlungen zwischen dem Könige von Frankreich und dem deutschen Kaiser anbahnten und man nicht voraussehen konnte, ob dieselben für Maria kränkende oder aufregende Folgen herbeiführen würden.

Dies war der Grund, der die zartfühlende Kaiserin zu dem Vorschlage bestimmte, der Kaiser aber, der bei aller Ritterlichkeit seines Wesens gleich allen Männern seiner Zeit keine Spur von Gefühlsschwärmerei kannte, hatte den Vorschlag gut geheißen, weil er erwog, daß Maria vielleicht durch Bitten und Thränen sowohl auf Bianka wie auf ihn selbst zu wirken suchen könne.

Den Grundsätzen seines Hauses getreu, wollte Maximilian versuchen, ob die Gelegenheit günstig sei, seine Macht zu vergrößern.

Gegen Frankreich hegte Maximilian von jeher eine Abneigung und er hatte die Ansprüche des Hauses Orleans in bezug auf das Herzogtum Mailand niemals anerkannt, so daß Ludwig XII. die Frucht seiner Siege nach den Rechten nicht genießen konnte, solange Maximilian seine Anerkennung verweigerte. Der Kardinal d'Amboise, der erste Minister Ludwigs XII., war entschlossen, alles aufzubieten, mit Maximilian in Frieden zu bleiben; er begab sich daher nach Trient, um mit demselben eine Besprechung zu haben. Ludwig XII. hatte keine Söhne, d'Amboise bot die Tochter dieses Königs, die Prinzessin Claudia von Frankreich, welche kaum geboren war, dem Enkel Maximilians, Karl, dem Sohne Philipps und Johannas von Kastilien, zur Ehe an. Die beiden kindlichen Eheleute sollten das Herzogtum Mailand zur Mitgift haben, wenn Maximilian sie damit belehnen werde. Philipp war Herrscher der Niederlande und im Interesse seiner industriellen Unterthanen wünschte er den dauernden Frieden mit Frankreich. Er bemühte sich daher mit Eifer, zwischen seinem 299 Vater Maximilian und Ludwig XII. zu vermitteln. Die Angelegenheit war schon früher eingeleitet, bei der Zusammenkunft in Trient fügte der Kardinal d'Amboise den Vorschlag einer Reform der Kirche an Haupt und Gliedern hinzu. Der ehrgeizige Mann hoffte sich dadurch den Weg zum päpstlichen Stuhle zu bahnen. Er versprach außerdem die Einstellung der Feindseligkeiten gegen die Person des Ludwig Sforza, sowie des Kardinals Ascanio und andrer gefangener Mailänder. Aber die Hauptangelegenheit war nicht leicht zu ordnen. Ludwig XII. konnte einen Sohn erhalten und er wollte diesen nicht im voraus zu Gunsten seiner Tochter enterben, niemals aber würde der Kaiser darauf eingegangen sein, daß Ludwig in dieser Hinsicht einen Vorbehalt machte. Die Konferenz verlief also ohne Resultat.

Während dieser Verhandlungen war die Verbindung zwischen der kaiserlichen Familie und der Gemahlin Ludwig Moros fast gänzlich abgebrochen worden. Maria erhielt von ihren beauftragten Boten fortwährend genaue Nachricht über den Stand ihrer eignen Angelegenheiten und sie entbehrte den Umgang mit andern Menschen nicht. Ihre Umgebung teilte die Trauer der Herrin und somit konnte sie sich ganz dem stillen Leben in Frömmigkeit und Wohlthätigkeit widmen.

Wie es ihre Art war, suchte sie bald in der Umgegend alle Unglücklichen auf und linderte das Elend, so viel in ihren Kräften stand. Zwar besaß das Schlößchen eine Kapelle, aber Maria hatte keinen besondern Kaplan und mußte sich daher mit dem Priester der nächsten Dorfgemeinde in Verbindung setzen.

Es hatte nur kurze Zeit gewährt, so war sie als der gute Engel der Umgegend bekannt. Die Armut war lange nicht so groß als in Italien, wo die fortwährenden Kriege jeden Wohlstand auf dem Lande unmöglich machten, aber dennoch gab es Unglückliche genug, denen die milde Hand der fremden Schloßbewohnerin Trost und Wohlthat gewähren konnte. Dies war neben den religiösen Übungen die einzige Zerstreuung, die sie suchte.

Als die Verhandlungen zwischen Maximilian und dem Könige von Frankreich abgebrochen waren, kehrte der Kaiser nach Innsbruck zurück und nun war der Augenblick gekommen, wo er und seine Gemahlin wieder daran denken konnten, die einsame Frau auf dem Bergschlößchen heimzusuchen. Mit einem kleinen Gefolge machten sie sich auf den Weg und erreichten nach einem ziemlich anstrengenden Ritt die abgelegene Wohnung Marias. Diese war nicht wenig durch den Besuch erfreut. Da sie aber vorher gar keine Ahnung von demselben gehabt hatte, wurde sie in dem Augenblicke von den Ankommenden überrascht, als sie im Begriffe war, einigen Dorfkindern Nahrungsmittel auszuteilen.

Es war ein rührendes Bild und der Kaiser verweilte mit seiner Gemahlin am Eingange, um sich an dem Anblicke zu erfreuen, ohne den Vorgang zu stören. Auf einem hochlehnigen Stuhle saß Maria, wie gewöhnlich in dunkle Gewänder gehüllt, hinter ihr stand ihr ältester Sohn, der die verschränkten Arme auf die 300 Lehne des Stuhles gelegt hatte, während der jüngere Sohn an der Seite der Mutter stand. Beide Knaben blickten ernst und ruhig auf ein ärmlich, aber reinlich gekleidetes junges Mädchen, dem die Herzogin eben eine Gabe reichte.

Das Erscheinen des kaiserlichen Paares veränderte mit einem Male die anmutige Szene. Erstaunt und erfreut blickten die Knaben auf und näherten sich ehrfurchtsvoll dem Kaiser. Auch Maria erhob sich und während sie dies that, blickte auch das arme Mädchen furchtsam zu den hohen Gestalten auf, welche unerwartet eintraten. Einige andre arme Kinder, welche zur Seite standen, blieben gleichfalls bewegungslos und starrten erstaunt auf die fremden Gäste.

Zufällig war der Blick des Kaisers auf das arme Mädchen gefallen, das vor der Herzogin stand, und es war seltsam, daß er über diesen Anblick fast die Begrüßung vergaß, welche er der Herzogin von Mailand zugedacht hatte. Mit höchster Verwunderung blickte er noch immer auf das schüchterne Kind, das gar nicht begreifen konnte, was der edle Herr Bemerkenswertes an ihm entdeckt haben konnte.

Zerstreut erwiderte darauf der Kaiser die Grüße der beiden Prinzen und bewillkommnete etwas flüchtig deren Mutter, die bereits von der Kaiserin mit einer schwesterlichen Umarmung begrüßt worden war. Es gab dann viele, für Maria im höchsten Grade wichtige Fragen und Erkundigungen, wodurch Maximilian den Eindruck vergaß, den er beim Eintritte empfangen hatte. Die Dorfkinder hatten sich inzwischen entfernt. Der Kaiser erzählte von seinem Aufenthalte in Trient und den gescheiterten Verhandlungen mit dem Kardinal d'Amboise und ging dann sofort auf eine für Maria und ihre Kinder sehr überraschende frohe Botschaft über, indem er mitteilte, daß der flüchtige Herzog Ludwig in kurzer Zeit in Innsbruck eintreffen werde, um sich mit dem Kaiser wegen der weitern Maßregeln gegen Frankreich zu besprechen.

Diese Nachricht versetzte Maria in so frohe Stimmung, daß sie mit heiterer Miene sich ihren Gästen widmen konnte. Obgleich diese sich nicht lange aufhielten, wurde die kurze Zeit doch mit hoffnungsvollen Gesprächen ausgefüllt und der kleine Imbiß, den die Bewohnerin des Schlosses ihren Gästen vorsetzen ließ, wurde gewürzt durch das Lächeln der Wirtin, deren Herz nach langer Zeit zum erstenmal wieder in Hoffnung und Freude schlug.

Die Gäste bereiteten sich schon wieder zum Aufbruch, als dem Kaiser plötzlich das Gesicht jenes Kindes in das Gedächtnis kam, welches er beim Eintritt gesehen hatte und dessen Anblick eine merkwürdige Erinnerung in ihm geweckt hatte. Er frug die Herzogin, ob sie die Eltern des Kindes kenne, worauf diese entgegnete, das Mädchen sei die Tochter einer Witwe, die noch mehrere kleine Kinder habe. Die arme Frau sei gegenwärtig krank, sonst würde sie keine Wohlthaten in Anspruch nehmen, denn es sei ihr bis jetzt noch immer gelungen, durch ihre Arbeit sich und ihre Kinder zu erhalten. Der Kaiser bat die Herzogin, sich doch einmal nach dem verstorbenen Vater des Mädchens zu 301 erkundigen und namentlich zu fragen, ob das Kind nicht eine auffallende Ähnlichkeit mit demselben habe. Sei dies der Fall, so stehe er hier offenbar vor der endlichen Lösung eines Rätsels, dem er vergeblich lange Zeit nachgeforscht und das vielleicht nun durch einen Zufall sich ihm hier offenbart habe. Er ließ zugleich ein reichliches Geschenk für das Kind zurück. Gleich darauf war er mit seiner Gemahlin und dem Gefolge wieder nach Innsbruck unterwegs.

Kaiser Maximilian. Nach Burgmeier.

Kaiser Maximilian besaß bei vielen großen und edlen Eigenschaften einen kleinlichen Zug von Eigennutz, der sich bei allen Gelegenheiten geltend machte und der auch bei den Verhandlungen mit dem französischen Kardinal hervorgetreten war. Als bald darauf Ludwig Moro nach Innsbruck kam, um des Kaisers Hilfe zu erbitten, verlangte dieser zuvor die Auslieferung des ganzen 302 Vermögens, welches der vertriebene Herzog gerettet hatte, aber dazu konnte sich dieser nicht verstehen, um so weniger, als das Wiedersehen des geliebten Weibes und der hoffnungsvollen Knaben ihn an alle Pflichten erinnerte, welche er seiner Familie schuldig war.

Wohl war es eine schmerzlich süße Zeit, welche Maria mit ihrem Gemahl auf dem einsamen Bergschlosse verlebte. Die Tage waren gezählt und an jedem derselben hatte der Herzog zahlreiche Besprechungen mit den verschiedensten Menschen, welche sich ihm zur Verfügung stellten und in seine Dienste treten wollten. Er hatte sich rasch entschlossen, ganz auf eigne Faust ein Heer zusammenzuziehen und zu diesem Zwecke ließ er mit Bewilligung des Kaisers seine Agenten in der Schweiz für sich werben.

Bald darauf zog er mit diesem rasch geworbenen Heere nach der Lombardei, wo er in Como und später auch in Mailand von seinen Unterthanen mit Freuden begrüßt wurde. Die Franzosen zogen sich zurück, aber nur, um mit verstärkter Macht wiederzukommen und darauf zum zweitenmale den Herzog zu besiegen. Nach Ludwigs XII. Ansicht waren die Sforza überhaupt Usurpatoren und Ludwig hatte nun zum zweitenmal seiner Macht getrotzt. Der unglückliche Herzog wurde gefangen und Ludwig ließ ihn nach dem südlichen Frankreich bringen, um ihn dort für Lebenszeit im Kerker schmachten zu lassen.

Mit welcher Herzensangst hatte inzwischen die Herzogin Maria auf jede Kunde gelauscht, die von den Erfolgen und später von den Niederlagen ihres Gemahls zu ihr drangen! Ihre Gesundheit wurde fast aufgerieben von diesem ewigen Schwanken zwischen Hoffnung und Furcht.

Während der ersten Zeit, als ihr Gatte siegreich vordrang, hatte sie ihre Gebete zu Gott in Danksagungen umgewandelt und ihre Wohlthätigkeit wuchs unter der Freude ihres Herzens. Sie hatte auch des Auftrags nicht vergessen, den ihr der Kaiser damals erteilt hatte. Bald nach dessen Besuche hatte sie jener armen Witwe das reichliche Geldgeschenk zukommen lassen, aber ohne sie selbst zu sprechen. Dann war sie eine Zeit lang durch die Anwesenheit ihres Gatten und die auf sie einstürmenden Aufregungen abgehalten worden, sich persönlich nach der armen Frau umzusehen, um von ihr zu erfahren, was der Kaiser zu wissen begehre. Nun aber fand sie Zeit und Gelegenheit dazu und sie suchte das arme Weib auf, um mit ihr über den Wunsch des Kaisers zu reden.

Die Frau hatte sich inzwischen mit Hilfe der reichlichen Unterstützung, die ihr zu teil geworden war, völlig wieder erholt und sie sowohl wie ihre Kinder strahlten in Frohsinn und Gesundheit.

Durch ihr Töchterchen hatte die Frau einigermaßen erfahren, was vorgefallen war und sie selbst hatte sich die Sache ergänzen können. Als die Herzogin nun die Frage an sie richtete, ob das Kind ihrem verstorbenen Manne ähnlich sei, lächelte sie wehmütig, schüttelte mit dem Kopfe und sagte:

303 »Ich will Euch die Veranlassung zu dieser Frage unsres guten Kaisers mitteilen, hohe Frau, aber nur unter der Bedingung, daß Ihr mir Verschwiegenheit zusagt, denn ich habe es mir in der Tiefe meines Herzens gelobt, unter keinen Umständen den Kaiser den Zusammenhang wissen zu lassen.«

Sie zog darauf ihr ältestes Töchterchen zu sich heran, drückte dessen Kopf dicht an den ihrigen und frug dann die Herzogin: »Seht selbst, hohe Frau, wem das Kind ähnlich sieht.«

Es war in der That unverkennbar, daß das Mädchen der Mutter wie aus dem Gesichte geschnitten war und die Herzogin bestätigte dies durch freundliche Zustimmung. Hierauf schickte die Frau die Kinder aus der Stube und begann dann zu erzählen:

»Wenn man Euch, Frau Herzogin, für einen Engel des Himmels halten wollte, würdet Ihr es durch Eure Milde und Tugend verdient haben, aber daß ich geringes und sündhaftes Weib einmal die Rolle eines solchen himmlischen Boten gespielt habe, ist gewiß seltsam und unglaublich, und eben deshalb würde es mir schlecht anstehen, davon zu sprechen; ich thue es auch nur in der festen Voraussetzung, daß Ihr mit niemand, am wenigsten aber mit unserm erhabenen Kaiser davon reden werdet. Es ist das erste Mal in meinem Leben, daß ich von dieser Geschichte spreche; dies ist die reine Wahrheit und ich will nicht selig werden, wenn es anders ist. Damals und die Jahre darauf schwieg ich aus einem andern Grunde und auch diesen würde ich niemand außer Euch mitteilen, denn ich bin jetzt eine arme alte Frau und man könnte mich für verrückt halten, wenn man etwas davon erführe. Mein Vater war Waldhüter und ich ein junges unbändiges Ding, das seine Wege ging und im Gebirge besser Bescheid wußte als irgend ein Mann. Wenn ich zwischen den Felsen umherkletterte – ich wußte oft selbst nicht, warum ich es that – begegnete ich zuweilen einem Gemsenjäger, oder sonst jemand, den die Jagdlust zu den gefährlichsten Stellen trieb; aber ich hatte mich um die Männer in unsrer Gegend wenig bekümmert, als ich eines Tags zwischen dem Gebüsche hindurch eine kleine vornehme Jagdgesellschaft sah, unter welcher sich ein Mann von stattlichem Wuchse und kühnen Gesichtszügen durch Unerschrockenheit besonders hervorthat. Immer war er den andern voraus und lachte, wenn sie ihm zu den gefährlichsten Stellen nicht folgen konnten. Ich beobachtete ihn öfter, denn ich selbst schweifte zuweilen stundenweit im Gebirge umher. Bis dahin war mir niemand vorgekommen, der völlig schwindelfrei und furchtlos wie ich selbst umherkletterte. Aber nun hatte ich meinen Meister gefunden. Es war offenbar ein vornehmer Mann, aber ich wußte nicht, wer er war, und obgleich ich nie ein Wort mit ihm gesprochen hatte, ja sogar wußte, daß sein Auge mich nie gesehen, faßte ich thörichtes und unerfahrenes Ding eine ganz gottlose – denn es war doch Hochmut, was mich dazu trieb – Neigung zu ihm, bis ich endlich eines Tags durch Zufall erfuhr, daß es unser Kaisersohn selbst sei, der 304 alljährlich zur Jagd kam und den ich erst jetzt von Angesicht gesehen hatte. Ich schämte mich meiner Thorheit, demütigte mich vor Gott und bat ihn, mir dieselbe zu verzeihen, und mir irgend eine Buße dafür aufzulegen.

»Wenige Tage, nachdem ich zu dieser Erkenntnis gekommen war, ging ein Schreckensruf durch das ganze Gebirge. Der Kaiserssohn sei verunglückt, zwar lebe er noch, aber es sei unmöglich, daß ein Mensch zu ihm gelangen könne und er selbst finde keinen Rückweg mehr. Oben an der Martinswand, auf einem steilen Vorsprunge befand sich der verirrte Herr, wo das Gestein viele tausend Fuß senkrecht vor ihm in das Thal hinab und hinter ihm steil zum Himmel sich hob. Vergeblich hatten die besten Männer des Gebirges versucht, zu ihm zu gelangen, keinem war es geglückt und schon hatte man alle Hoffnung aufgegeben. Da war es mir, als wolle der Himmel mir einen Wink geben. Meine tolle Neigung konnte nichts andres zu bedeuten haben, als daß ich mein Leben für den allgeliebten Mann wagen mußte. Ohne an die Gefahr weiter zu denken, machte ich mich auf und suchte die Martinswand zu erreichen. War doch niemand so genau mit Weg und Steg umher bekannt wie ich. Mein Gefühl gab mir in Wahrheit Flügel und bevor ich selbst es dachte, war ich bei dem verirrten Herrn. Mein Herz klopfte hörbar, als ich das Gebüsch auseinander bog und ihn vor mir sah. Ich winkte ihm und führte ihn schweigend durch die Dämmerung des Waldes auf einen Weg, von welchem aus er dann rasch und sicher in das Thal gelangen konnte. Da ich mich zu dem gefährlichen Unternehmen so gekleidet hatte, daß ich nicht gern vor Männeraugen mich sehen ließ, so verschwand ich ohne Gruß und Abschied, ja ohne ein Wort geredet zu haben, sobald ich den kaiserlichen Herrn gerettet wußte. Dieser aber wurde unten mit unbeschreiblichem Jubel begrüßt und die Kunde seines wunderbaren Abenteuers war bald im Munde aller Menschen. Niemand dachte, daß ein Mädchen sich bis zu ihm hätte wagen können, und er selbst glaubte, sein Führer sei ein Jüngling gewesen. Vergeblich suchte man überall in der Gegend umher nach diesem vermeintlichen jungen Manne, setzte Belohnungen aus und gab allerlei Versprechungen, wenn ihn jemand entdecken werde. Endlich, da alles Forschen vergeblich blieb, bildete sich im Volke die Sage, ein Engel sei vom Himmel gekommen und habe dem guten Kaisersohne den Weg gezeigt. Ich verschloß mein Geheimnis in tiefster Brust, denn ich wußte, daß Gott keinen Engel vom Himmel, wohl aber die Liebe in mein Herz gesandt hatte, um dem Kaisersohne in der Stunde der Gefahr zur Seite zu stehen. Nach und nach wurde die Geschichte vergessen; ich verheiratete mich, wurde mit Kindern gesegnet und lebte zufrieden, bis mein Mann starb.«

»Aber habt Ihr denn nie daran gedacht, den Kaiser um eine Unterstützung anzugehen«, fragte darauf die Herzogin. »Wenn er erführe, daß Ihr ihn damals gerettet, so würde er Euch jede Bitte gewähren, für Euch und Eure Kinder sorgen, und Ihr hättet nicht mehr nötig, Euch um des Lebens Notdurft zu plagen.«

305 »Vergeßt nicht, hohe Frau«, fiel ihr das einfache Weib in das Wort, »daß Ihr mir versprochen habt, mein Geheimnis zu bewahren und laßt mich nicht bereuen, zum erstenmal dasselbe über die Lippen gebracht zu haben, denn wenn mir alle Schätze der Welt geboten würden, möchte ich die That nicht verkaufen, die ich damals vollführen durfte. O nein, Frau Herzogin, so schlecht dürft Ihr nicht von uns geringen Leuten denken. Ich war das Werkzeug in Gottes Hand und ich würde glauben, meine Seligkeit verkauft zu haben, wenn ich Geld für diese That nehmen wollte. Bis jetzt haben wir noch nicht Not gelitten, nur während ich krank war, trat die Versuchung an mich heran, und seht, gerade damals hat der liebe Gott Euch uns zugeschickt und mich vor dem äußersten Elend gnädig bewahrt.«

Die Herzogin blickte gerührt auf die einfache Frau und Thränen traten in ihre Augen. In diesem schlichten Herzen wohnte ein solches Gottvertrauen: wie hätte sie selbst an der Barmherzigkeit des Himmels verzagen können! Sie gelobte sich aufs neue, alles in Geduld hinzunehmen, was das Schicksal über sie verhängen werde und im Glück wie im Unglück niemals das Vertrauen zu verlieren. Aber sie freute sich, daß sie in der Lage war, der einfachen Jägersfrau durch die That zu zeigen, wie sehr sie ihre treue Gesinnung zu schätzen wußte und in ihrem Herzen brachte sie Gott ein Opfer dar, indem sie dafür sorgte, daß jene für immer vor Not geschützt würde und auch über die Zukunft ihrer Kinder beruhigt sein konnte.

Schon in den nächsten Tagen empfand die Herzogin, wie nötig ihr Fassung und Ergebenheit waren, als sie traurige Nachrichten vom Schauplatze des Krieges erhielt und bald brach das Unglück mit voller Gewalt über sie herein. Die angeworbenen Truppen ihres Gatten wurden durch das verweichlichende Leben in den fruchtbaren Ebenen der Lombardei aller Ausdauer beraubt und konnten sich gegen das französische Heer nicht behaupten. Der tapfere Ludwig Moro wurde in die Enge getrieben, wiederholt geschlagen und endlich gefangen genommen. Auch der Kardinal Ascanio Sforza fiel in die Hände des Feindes, während andre Glieder der Familie glücklich nach Deutschland entkamen, wo sie bei dem Kaiser Maximilian Schutz suchten, der ihnen denn auch auf die Bitte der Kaiserin Bianka gewährt wurde.

Der Jammer, welcher sich Marias bemächtigte, als sie das Schicksal ihres Gatten vernahm, war unbeschreiblich.

Der König von Frankreich hatte den tapfern Herzog in das Innere seines Landes bringen lassen, und nachdem er ihm die Schmach angethan, ihn am hellen Tage gefesselt durch die Stadt Lyon führen zu lassen, schleppte man ihn in eine kleine französische Festung, wo er auf Lebenszeit eingekerkert wurde.

Von nun an hatte die Herzogin Maria nur noch einen Wunsch. Ihr Herz sehnte sich, in der Nähe ihres Gemahls leben und vielleicht von Zeit zu Zeit ihn sehen und sprechen zu dürfen, um ihm den Trost zu gewähren, 306 daß ihre Liebe ihm unwandelbar treu blieb und sie ihre Söhne in seinem Sinne erzog.

Aber der Erfüllung dieses Wunsches standen unüberwindliche Hindernisse entgegen, denn sie mußte befürchten, daß der König von Frankreich denselben nicht gewähren und sie vielleicht noch mit beleidigendem Hohne behandeln werde. Sie verlebte wieder einsame Tage voll von Kummer und ungestillter Sehnsucht. Neben der Erziehung ihrer Söhne, ihren religiösen Übungen und der Wohlthätigkeit gewährte ihr auch der Briefwechsel mit einigen Gliedern ihrer Familie und bewährten Freunden Trost und Erquickung.

Zu den wenigen treuen Freunden, mit denen sie regelmäßig Briefe wechselte, gehörte auch Leonardo da Vinci, der gerade damals sich wieder in Florenz aufhielt, wo er im großen Saale des Palastes der Signoria Fresken malte. Ihm, dem langjährigen Freunde, der auch ihrem Gemahl in wahrer Treue zugethan war, schüttete sie ihr Herz aus und machte ihren Klagen Luft, indem sie ihm mitteilte, wie sie sich an der vergeblichen Sehnsucht verzehre, in der Nähe ihres Gemahls leben zu dürfen.

Leonardo da Vinci antwortete darauf nicht mit leeren Worten des Trostes. Nachdem die unglückliche Frau noch einige Monate in Trauer und Hoffnungslosigkeit verlebt hatte, erhielt sie einen Brief von ihm, in welchem er ihr die vom Könige von Frankreich eigenhändig unterschriebene Erlaubnis übersandte, ihren Aufenthalt in Frankreich nehmen zu können, wo sie wolle.

Und wie hatte Leonardo da Vinci dies erreicht? Von dem Augenblicke an, als er Marias Brief und durch denselben von dem tiefen Herzeleid der angebeteten Frau Kunde erhalten hatte, fand er keine Ruhe mehr bei der Arbeit. Die ehrenvollen Aufträge, welche ihm seine Vaterstadt zu teil werden ließ, hatten allen Reiz für ihn verloren. Ihn beschäftigte nur der eine Gedanke, wie er der unglücklichen Herzogin helfen und ihren sehnlichsten Wunsch in Erfüllung bringen könne.

Selbst der Wettstreit, welchen Michelangelo, der gleichfalls in der Signoria malte, mit ihm begonnen hatte, konnte ihn nicht abhalten, auf Mittel und Wege zu sinnen, um den König von Frankreich gnädig für die von ihm unwandelbar verehrte Frau zu stimmen. Es war kein leichter Entschluß für ihn, sich noch einmal dem Herzoge von Valentinois, Cäsar Borgia, zu nähern, aber Leonardo verstand es, diesen gefürchteten Mann günstig für sich zu stimmen.

Der eigentliche Zweck des Künstlers ging darauf aus, durch Cäsar Borgia dem Könige von Frankreich empfohlen zu werden, und es bedurfte für Ludwig XII. nur einer Andeutung, daß der ehemalige Günstling Ludwig Moros, der Schöpfer des Abendmahls zu Maria delle Grazie, in seine Dienste zu treten wünsche, um ihn sofort zu dessen Berufung nach Mailand zu veranlassen.

So kam Leonardo schon nach kurzer Zeit wieder nach der Stätte seines größten Ruhms und edelsten Schaffens zurück, und er bot in Mailand alles 307 auf, um sich das Wohlwollen des Königs in immer höherm Grade zu sichern, bis er endlich wagen durfte, sich von demselben als besondere Gnade jene Erlaubnis für Maria Pazzi zu erbitten, welche der Herzogin von Mailand auf ihr eignes Ansuchen niemals zugestanden worden wäre.

Dem ritterlichen Sinne des Königs gefielen die Mitteilungen, welche ihm Leonardo in bezug auf seine Beziehungen zur Familie Pazzi seit der ersten Begegnung auf Kastell Buonfidardo machte, und er ließ sich bewegen, nicht nur jene Erlaubnis zu unterzeichnen, sondern auch der unglücklichen Frau und ihren Knaben freies Geleite bis in die Gegend jenes Schlosses zu gewähren, wo ihr Gatte gefangen saß.

Dort in der Nähe des Meeres, in einer Gegend, welche an Schönheit und Erhabenheit nirgends übertroffen werden kann, blieb nun die ehemalige Herzogin von Mailand und führte lange Jahre hindurch das stille Leben fort, welches sie auf dem einsamen Bergschlößchen in Tirol geführt hatte. Zwar erhielt sie wenig Besuche von hohen Personen und regierenden Häuptern, aber oft genug hielt sich im nächsten Dorfe der Freund ihrer Jugend, Leonardo da Vinci, auf, der dem Könige von Frankreich in sein Land gefolgt war, vielleicht nur, weil auch in seinem Herzen eine unstillbare Sehnsucht nach der Nähe derjenigen Frau lebte, welche der gute Genius seines Lebens und Schaffens war. Zwar blieben die Schwingen seines künstlerischen Wirkens gelähmt, und er erhob sich nie wieder zu jener Höhe, auf welcher er damals stand, als er unter den Augen seiner Freundin das Abendmahl geschaffen und einen ganzen Kreis lernbegieriger Schüler um sich versammelt hatte; er gehörte eben nicht zu jenen titanischen Naturen, welche ein Gefühl von sich abschütteln und immer nur der Schaffensfreude leben können. 308

 

 


 << zurück weiter >>