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7. Capitel

Wie Karl ein Wallfischfänger wurde. Das Schiff.


Die Nacht brach indessen an, der Sturm nahm aber eher zu als ab. Das Schiff lag mit dicht gereeften Segeln am Wind, weiter und weiter in die Nordsee hinein an der holländischen Küste vorbei zu kommen, und der Orcan heulte durch die Blöcke und Taue der Takellage, daß es eine Lust war. Eben so wild und stürmisch brach der nächste Morgen an, nur mit dem Unterschied, daß sich der Sturm mehr nach Osten hinüber wandte, während der Regen in ordentlichen Güssen auf Deck niederschlug.

Die Schiffer in der Nordsee haben ein altes plattdeutsches Sprichwort:

NordOost mit Regen
Duert de drie Dage so duert' hee ook negen,

d. h. dauert er drei Tage, so dauert er auch neun. Derartige Winde sind gewöhnlich so bösartig wie hartnäckig, und der schlimmste Feind aller vom Atlantischen Ocean einlaufenden Schiffe, die kaum dagegen ankreuzen können. Für die Fahrzeuge aber, die auslaufen wollen, giebt es keine bessere »Gelegenheit«, wie das die Seeleute nennen, und sie können vor dem Winde, so rasch sie eben wollen, ihre Bahn verfolgen.

Der Kamehameha suchte denn auch den Wind nach besten Kräften zu benutzen. Als er erst so weit »aufräumte«, d. h. günstiger wurde, daß das Schiff nicht mehr den zu leewärts liegenden Strand zu fürchten brauchte und etwas mehr abfallen konnte, seinen richtigen »Cours« zu segeln, wurden wieder Segel auf Segel gesetzt, denn im Canal haben die Wallfischfänger Nichts zu fischen; je eher sie da hinaus und in offene See kommen, desto besser ist es für sie, und das wackere Schiff schäumte nur so durch die jetzt hinter ihm drein tanzenden und tobenden Wogen hin.

Die See ging dabei so hoch und wild, daß natürlich von den benachbarten Küsten gar keine Fischerboote abkommen konnten. Die kleinen Fahrzeuge suchten alle den Schutz eines sichern Hafens, das Unwetter abzuwarten, ihre Netze hätten sie doch nicht auswerfen können, und wenn der Capitain des Kamehameha seine neuen Passagiere auch wirklich hätte absetzen wollen, es wäre nicht einmal möglich gewesen.

Erst am vierten Tage kam Carl wieder zu sich; sein Körper hatte sich nach und nach an die schaukelnde, stoßende Bewegung des Schiffes gewöhnt, und er war im Stande, etwas Suppe zu sich zu nehmen, die ihm der Capitain aus der Kajüte schickte.

Der Erste, der zu ihm hinunter an die Koje kam, war Jacobs.

»Hallo, Kamerad!« rief er ihm zu, als Carl die Augen öffnete und ihn so stier und ängstlich ansah, als ob der vor ihm Stehende nur eines der schrecklichen Traumbilder wäre, die ihm die langen Tage und Nächte durch das Hirn gepeinigt, »wie gehts? – noch nicht ausgeschlafen? – nun Du nimmst's kaltblütig, mein Junge. Schwerebret noch einmal, wir schwimmen jetzt schon eine Weile im Atlantischen Ocean herum, und Du guckst nicht einmal heraus aus dem Nest.«

»Im Atlantischen Ocean?« rief Carl entsetzt; »aber ich muß zurück nach Helgoland – zu meinen Aeltern.«

»Ja, Helgoland,« lachte Jacobs still vor sich hin, »möchten wir wohl. Hat sich jetzt was zu Helgolanden; wenn wir den Wind noch eine kleine Weile fortbehalten, sind wir in ein paar Tagen an den Azoren, und im Passatwind – Helgoland – wo liegt Helgoland!«

»Aber ich muß zurück,« rief Carl, sich in Angst und Entsetzen in seiner Koje aufrichtend, »ich darf ja doch nicht meinen Aeltern davonlaufen; guter Gott, ich habe ihnen jetzt schon Angst und Kummer genug gemacht.«

»Ja, das geht nun einmal nicht anders in der Welt,« lachte Jacobs; »wenn die jungen Vögel flügge sind, fliegen sie vom Neste, und die Alten haben das leere Nachsehen; das ist überall nicht anders, und Deine Alten werden sich auch wohl darüber trösten müssen. Soviel ist aber jetzt sicher, mein Junge, daß wir gerade auf dem Wege sind, einen Kreuzzug auf Wallfische mitzumachen, und da sich die Sache nun doch einmal nicht ändern läßt, wird es auch für Dich das Beste, jedenfalls das Gescheiteste sein, den Kopf oben zu behalten, und nicht hängen zu lassen. Die Leute an Bord lachen Dich sonst aus, und ändern kannst Du doch Nichts damit, nur höchstens noch schlimmer machen.«

Carl wußte kaum, wie ihm geschah – im Atlantischen Ocean – an den Azoren – es konnte ja nicht wahr sein, und der Mann wollte ihn nur zum Besten haben; aber mit zitternden Händen arbeitete er sich doch aus seiner engen, dumpfigen Koje heraus, um an Deck zu klettern und sich selber zu überzeugen, wo sie wären. Als er aber bleich und schwankend hinaus an die frische Luft kam und an die Reiling taumelte, um sich dort festzuhalten, lag das Meer, das weite, blaue wogende Meer um ihn her. Kein Land war zu sehen, selbst kein anderes Schiff weiter in Sicht, während das eigene Fahrzeug, mit allen Segeln den günstigen Wind gefaßt, einem Rennpferde gleich durch die Wogen brauste, daß der Schaum an seinem Bug emporspritzte.

Es war geschehen – die einzige, anscheinend so unbedeutende Uebertretung des Gebotes seines Vaters hatte die furchtbarsten, unabsehbarsten Folgen für den Knaben gehabt, und während daheim seine Aeltern in Gram und Schmerz vergingen, da sie nicht anders glauben konnten, als daß er in dem Sturme untergegangen und ertrunken sei, war er selber aus dem ihm angewiesenen Wirkungskreise hinaus und einer fremden Welt, einem fremden Leben in die Arme geworfen, das er noch nicht einmal fassen und begreifen konnte. Was sollte nun aus ihm werden? wann würde er im Stande sein, zu den Seinigen zurückzukehren, und welche Stellung konnte er selber indessen an Bord hier einnehmen, wo er von der See gar Nichts verstand, als vielleicht ein kleines Boot zu steuern und ein einfaches Segel darin zu setzen? – Wenn er nur wenigstens Vater und Mutter hätte Nachricht von sich geben können, daß sie sich nicht weiter um sein Leben ängstigten – aber auch das war unmöglich, wenigstens jetzt noch, denn selber zurückkehren konnte er ja nicht einmal. Wenn auch das Schiff an einer fremden Küste landete, was half es ihm? hatte er Geld, seine Passage nach Hause zu bezahlen? und würde irgend ein anderes Schiff ihn, den Fremden, auf einer so langen Reise umsonst mitgenommen haben?

Jedenfalls mußte er jetzt einmal mit dem Capitain sprechen, was mit ihm werden solle, und er bat einen der Harpunirer, der auf dem Quarterdeck die Wacht hatte, ihn hinunter zu ihm zu führen.

»Nun, mein kleiner Bursch!« redete ihn der Capitain ziemlich freundlich an, denn er sah wohl an Carl's Gesicht und ganzer zitternder Gestalt, was der arme Junge die letzten Tage und Nächte ausgestanden haben mußte – »wie geht Dir's? hast Du ausgeschlafen? kommt Dir wohl sonderbar vor, hier an Bord bei uns? müssen Dich nun schon mit fortnehmen, und Du kannst noch dazu froh sein, daß Du unser Schiff getroffen hast. So arg hat's lange nicht dort oben geweht, und so anhaltend, wie Dein Kamerad meint, der doch das Wasser in der Nordsee zu kennen scheint. Euer kleines Ding von einem Boot wäre nimmermehr an Land gekommen. Aber wo bist Du her? wer sind Deine Aeltern, und wie kamst Du den Abend allein hinaus in See? Jacobs hat mir erzählt, daß Du ihn ebenfalls erst, kurz vorher, ehe wir Euch fanden, aufgefischt hättest.«

Carl sollte jetzt über sich Bericht abstatten. Mit dem Englischen, denn der Amerikaner verstand keine andere Sprache, wollte es aber doch nicht so recht gehen; Capitain Holly wurde wenigstens nicht klug aus dem Berichte, den er ihm gab, und ließ endlich den dritten Harpunirer, einen Deutschen, den er in Hamburg an Bord genommen, herunter in die Kajüte rufen, um zwischen ihnen beiden den Dolmetscher zu machen.

Carl erzählte jetzt Diesem mit Thränen in den Augen treu und ehrlich Alles, was er von sich selber wußte: wie er in Deutschland zum Kaufmannsstand bestimmt gewesen und sich vor der düstern Schreibstube, in die er jetzt so gern zurückgekehrt wäre, gefürchtet hätte; wie dann seine Aeltern mit ihm nach Helgoland gefahren wären, welches Verbot ihm sein Vater gegeben, wie er es übertreten habe, und was dann die Folge gewesen.

Der Harpunirer, der Barthels hieß, mußte dem Capitain dazwischen Alles übersetzen, Capitain Holly lachte und schüttelte den Kopf dazu, und wollte die ganze Geschichte erst gar nicht glauben. Carl sah aber so treuherzig und ehrlich dabei aus, und die hellen Thränen liefen ihm fortwährend die bleichen Wangen hinunter; es konnte doch wohl möglich sein. An der Sache ließ sich aber trotzdem Nichts mehr ändern; was geschehen war, war einmal geschehen, und zurückbringen konnte er ihn nicht, soviel stand fest; nicht eine Stunde Weges wäre er sich deshalb aus seiner Richtung gesegelt.

»Nun, was thut's?« sagte der Capitain, »Du hast einmal Lust zur See und bist halb mit Deiner, halb ohne Deine Schuld an Bord gekommen; so beiß' die Zähne fest auf einander und führ' auch ordentlich durch, was Du doch nicht mehr ändern kannst. Findet sich vielleicht unterwegs eine Gelegenheit Dich zurückzuschicken, desto besser, dann magst Du die benutzen; findet sie sich aber nicht, nun, so machst Du einmal einen Kreuzzug auf Wallfische mit und lernst, wie es draußen in der Welt aussieht und zugeht, was Dir ebenfalls nicht schaden kann. Das Stubenhocken soll überhaupt der Böse holen, und Deine Aeltern wissen es mir später vielleicht noch einmal Dank, daß ich Dich bei mir einmal ein paar Jahre in die Lehre genommen habe, ohne daß sie Kostgeld für Dich zu zahlen brauchen. Arbeiten mußt Du freilich, denn Müßiggänger können wir nicht an Bord brauchen, dafür ist der Raum zu enge. Wenn Du Dich aber anstellig zeigst, mach' ich Dir bei der Rückkunft vielleicht auch einen Theil des Fanges aus, denn wir Alle segeln und fischen nur auf Theilung, wobei der Eine natürlich mehr, der Andere weniger bekommt, je nach der Stellung, die er einnimmt.«

»Mister Barthels,« wandte er sich dann an den Harpunirer, »seien Sie einmal so gut und schicken Sie mir nachher den Steward herunter; der junge Bursche, wie hieß er gleich – ah, Carl, also Carl muß natürlich von der Pike auf dienen und als Kajütswärter anfangen. Zeigt er sich dann anstellig, so mag er avanciren, und da er mit einem Boote umzugehen weiß, nehm' ich ihn vielleicht später in mein eigenes hinüber. Erst müssen wir aber sehen, wie er sich macht, ob er willig und fleißig ist; und die alten Landmucken muß er auch verlieren. Das giebt sich aber Alles schon von selber an Bord, und wenn Du erst einmal siehst, mein Junge, wie hier Jeder seine Schuldigkeit thun muß – vom Capitain herunter – so wirst Du es eben auch wie die Anderen machen. Heute magst Du übrigens noch ausruhen und Dich ein wenig erholen; Du siehst elend genug aus; dabei kannst Du Dich aber auch nach Deiner neuen Beschäftigung umsehen, und morgen früh fängst Du an; verstanden?«

Der Harpunirer erklärte ihm die Sache, von der der Knabe jedoch schon ziemlich gut wußte, was der Capitain meinte, und Carl zeigte sich auch gern bereit, jede Arbeit zu übernehmen, die ihm der Capitain anweisen würde; was blieb ihm denn jetzt auch anders übrig als zu gehorchen?

Die frische Luft wirkte übrigens vortrefflich auf ihn; er ging ein wenig an Deck auf und ab, wo ihm das Schaukeln des Schiffes auch nicht im Mindesten mehr unbehaglich vorkam, und mit dem Bewußtsein, daß ja, wie der Capitain auch gesagt, an seinem Schicksal doch für jetzt gar Nichts geändert werden konnte, wurde er auch ruhiger, zufriedener. »An Bord eines Wallfischfängers«, der Gedanke übte aber noch immer einen merkwürdigen Zauber auf ihn aus. Es war, als ob es fast gar nicht möglich sein könnte, daß sich das Alles so wunderbar gestaltet habe, sondern daß er jetzt noch immer träume – so lebhaft träume, als ob er wache, und in ein paar Stunden – vielleicht in der nächsten Minute schon – in dem dunklen Hause in Hannover aufwachen müsse.

Es war kein Traum; weder sein Ungehorsam, noch die Folgen desselben, und ein neues, wunderliches Leben lag jetzt vor ihm, dessen Möglichkeit ihn sonst wohl begeistert haben möchte, das aber doch jetzt, da es wirklich und ernst vor ihn trat, ihn mit einer eigenen Angst und Scheu erfüllte. Und seine Aeltern – großer Gott, an die durfte er gar nicht denken, wenn ihm das Herz nicht brechen sollte vor Weh und Reue. Seine Mutter, wie sie jetzt daheim saß und weinte um das gestorbene Kind, wie der Vater so still und traurig im Hause herumgehen würde, und die Geschwister nach ihm fragten, der Aeltern Schmerz nur noch immer mehr erhöhend. Und ein einziger leichtsinniger Augenblick hatte das gethan; ja, ob er jetzt todt war oder hier an Bord, blieb es nicht fast dasselbe? – konnte er etwa zurück, und riß ihn denn nicht das flüchtig dahin segelnde Schiff mit jeder Minute weiter von der Heimath fort? –

So traurig Carl übrigens auch war, und so schwer ihm das Herz geworden, wenn er des Vergangenen, wenn er jetzt der Zukunft dachte, so leicht schien sich Jacobs in die Veränderung seiner Lage hineingefunden zu haben, so wohl darin zu fühlen. Er war, wie er jetzt Carl erzählte, schon am ersten Tage von dem Capitain, der gerade etwas knapp an Leuten schien, einer Wacht zugetheilt und unter die ordentliche Schiffsmannschaft mit aufgenommen worden, und freute sich, wie er sich ausdrückte, »unmenschlich« auf die freie, fröhliche Fahrt, der sie entgegengingen.

»Da sollst Du einmal sehen, mein Junge,« setzte er hinzu, »was das für ein anderes Leben ist da draußen, als in dem kleinen Wasser da drinnen, in der Nordsee, wo man sein Schiff kaum wenden kann, ohne oben oder unten anzustoßen. Mitten hinein fahren wir in den stillen Ocean, landen, wo es uns paßt, und wo wir Früchte und frisches Fleisch bekommen können, und was für ein Leben ist dort! Und dann hetzen wir wieder hinter den unsinnig großen Fischen her, werfen ihnen die Harpunen in den Wanst, und füllen unsere Fässer mit prächtigem Thran – lauter baar Geld für uns, wie es hineinläuft. Der Teufel soll das Bootfahren holen, da um Helgoland herum, und es hätte uns nichts Besseres auf der Welt passiren können, als daß wir an dem Abend hier an Bord geblasen wurden. Es ist doch kein Wind so schlecht, er weht Jemandem Glück zu.«

Carl konnte freilich nicht recht in den Jubel mit einstimmen, wagte aber auch nicht, dem Manne Unrecht zu geben; doch war er froh, als Jener wieder zu seiner Beschäftigung abgerufen wurde und ihn allein ließ, daß er seinen eigenen Gedanken nachhängen konnte. Hierin störte ihn indessen der deutsche Harpunirer Barthels, ein freundlicher, schon ältlicher, doch noch derber, kräftiger Mann, dem der arme kleine, verlassene Bursche leid that, und der jetzt zu ihm trat, um sich mit ihm zu unterhalten. Auch Carl fühlte sich bald zu dem ehrlichen Gesicht des Mannes hingezogen, und als er ihm eine Weile von sich und seiner Heimath erzählt hatte, daß er früher eine solche Sehnsucht nach dem Meere gehabt, und jetzt sogar die Fahrt mitmachen und sich recht darauf freuen würde, wenn er nicht seine Aeltern seinethalben in Gram und Sorge wüßte, tröstete ihn Barthels freundlich und meinte, es hätte schon mancher junge Kerl in der Jugend einen dummen Streich gemacht, und sei darüber rettungslos zu Grunde gegangen. Wenn man sich aber wacker und brav halte, und Herz und Kopf auf der rechten Stelle habe, dann könne man auch Manches wieder gut machen, was früher verdorben gewesen. Der liebe Gott meine es viel zu gut mit den Menschen; daß er sie eben nur so um Nichts und wieder Nichts untergehen ließe, wenn sie sich selber nur ein klein Wenig oben halten wollten. Harte Arbeit würde er freilich an Bord finden, wenn sie erst einmal zwischen die Fische kämen, aber Arbeit giebt ja erst die rechte Lust zum Leben, und wenn der Mensch tüchtig zugreift und seine Pflicht erfüllt, wohin ihn das Schicksal nun auch gestellt hat, wird er den Kopf nie hängen lassen und nicht die ganze Welt um sich her schwarz sehen. Das Blut fließt dann rasch und lebendig durch die Adern, das Essen schmeckt, und mehr noch als das, wir sind mit uns selbst zufrieden.

Es that Carl unendlich wohl, als er den Mann so reden hörte; er war der Erste, der ihn wirklich getröstet hatte und es auch gut mit ihm zu meinen schien. Zum ersten Mal fing er an, einigermaßen das Vergangene zu vergessen und sich mit dem zu beschäftigen, was ihn umgab, was von jetzt an sein Wirkungskreis sein sollte für viele Monate – vielleicht Jahre lang.

Barthels beschloß jetzt, ihm vor allen Dingen das Schiff zu zeigen, und ihn mit den einzelnen Theilen desselben, die er überdies kennen lernen mußte, vertraut zu machen; er fand hier nun freilich, daß Carl von einem wirklichen großen Schiffe, einen Wallfischfänger ganz abgerechnet, noch wenig mehr als gar Nichts wußte. Daß die großen Masten darin mit den Querhölzern daran, an denen die Segel befestigt waren, dazu dienten, diese zu halten und das Schiff vorwärts zu treiben, war ihm allerdings bekannt, und eben nichts Anderes, als in seinem kleinen Boote, nur natürlich in einem viel größern Maßstabe; aber den Gebrauch der unzähligen Taue, die sich anscheinend nach allen Seiten hin verwirrten und kreuzten und nach allen Richtungen und Theilen führten, verstand er natürlich nicht, und es dauerte auch später eine geraume Zeit, bis er sich mit ihnen vertraut gemacht hatte.

Interessant waren für ihn die an der Seite, unter großen, besonders zu diesem Zwecke angebrachten Krahnen hängenden Boote, von denen das Schiff zwei auf jeder Seite führte, während über dem Quarterdeck auf einem besonderen Gestell noch vier andere, als Aushülfe, wenn die ersteren beschädigt werden sollten, umgekehrt, die Boden nach oben, lagen. Diese Boote waren ganz anders gebaut als die, welche Carl bis jetzt gesehen hatte. Sie mochten reichlich zwanzig Fuß lang sein, mit verhältnißmäßiger, aber nicht zu großer Breite, und schienen leicht und elastisch. Ueber die Rippen derselben, wie die Hölzer genannt werden, die von dem Kiel rippenähnlich nach oben laufen, waren dünne Bretter nicht in einander gepaßt, daß sie eine glatte Fläche bilden, sondern über einander gelegt, so daß der untere Rand des obersten immer auf das ihm nächst befestigte zu liegen kam, was ihnen besonders in hoher See mehr Stärke und Widerstandsfähigkeit geben soll. Dann liefen sie vorn wie hinten gleich scharf zu, nach jeder Richtung hin die Wogen leicht zu durchschneiden, und statt des Steuers wurde ebenfalls ein langes Ruder (Riemen) gebraucht, womit der Steuernde viel mehr Kraft in den Druck legen und das Boot rascher Herumwerfen kann.

Auf dem hintern Deck, zwischen dem mittelsten oder großen und hintern oder Besanmast, war der Eingang in die Kajüte, und zwischen dem großen und vordern oder Fockmast stand ein großer Backsteinofen mit drei eingemauerten Kesseln, der jetzt Carl's Aufmerksamkeit besonders fesselte. Unter den Kesseln war eine Feuerung angebracht, und in dieselben kam, wie Barthels dem jungen Burschen erklärte, der Speck eines gefangenen und eingeschnittenen Fisches, der darin vollkommen ausgekocht und dann in daneben befestigte große kupferne Gefäße gelassen wird, um auszukühlen. Noch warm wird er dann in die Fässer gefüllt, und zwei an Bord befindliche Böttcher haben nachher die Reifen derselben wieder fester anzuziehen, da die Fässer, wenn das noch warme Oel eine Zeit lang darin gestanden hat, sonst eintrocknen und auslaufen würden.

Vor diesen Kesseln stand die Kambüse, ein breiter, grünlackirter, etwas unbehülflicher Kasten, der mit breit geflochtenen Hanfgurten an in das Deck eingelassene eiserne Ringe festgeschnürt war. Ueberhaupt fand Carl bald, daß Alles, was sich an Deck befand, auf ähnliche Weise gegen das Schaukeln und Schwanken des Schiffes selber sowohl, als auch gegen überschlagende Seen, wie man die an Deck prallenden Wogen nennt, mit Tauen und Haspen fest und ängstlich versichert war. Wie die Pardunen und Stage (lang gespannte dicke Taue) die Masten nach allen Seiten hin hielten, daß sie nicht wanken und weichen konnten, so waren die an Deck liegenden Wasserfässer ebenfalls umschnürt und festgebunden. Eben so die beiden großen Anker, die vorn auf der Back lagen, wie die Nothspieren und Raaen (starke Hölzer, die zu den oberen Theilen der Masten benutzt werden können, wenn dem Schiff in einem Sturme von diesen Eines oder das Andere brechen sollte); der große Backstein-Auskochofen war ebenfalls mit Balken fest verbunden und mit eisernen Haspen und Stangen so eingeschraubt, daß er nicht wanken und weichen konnte.

Hinter der Kambüse oder Küche, in der ein großer amerikanischer, ebenfalls auf das Deck geschraubter Kochofen stand, befand sich auch eine kleine tragbare Schmiede, mit Tauen an den Vormast befestigt, um die nöthigen Waffen und Werkzeuge an Bord selber ausbessern, oder im Nothfall auch anfertigen zu können, denn ein Wallfischfänger bildet eine kleine Welt in sich selbst, muß sich selber erhalten und ergänzen können, und fährt Jahre lang bald in der, bald in jener Richtung in allen Meeren umher, nur seine Jagd im Auge. Wo er Beute findet, bleibt er, wo sie selten wird, zieht er fort, und kein freundliches Land, kein sicherer Hafen lockt ihn an, wenn er nicht gerade auf kurze Zeit da einmal anlaufen muß, um frisches Wasser an Bord zu nehmen, bis er endlich seinen Rumpf mit dem Ertrag seiner Jagden gefüllt hat, und dann freilich wieder mit fröhlich geblähten Segeln der Heimath zustrebt.

Welch eine Veränderung war aber mit dem Schiffe vorgegangen, seit es Carl an jenem Morgen bei Hamburg hatte liegen sehen! Wie schmutzig und mitgenommen, wie wetterzerschlagen und alt sah es damals aus, und wie blitzte und glänzte jetzt Alles dagegen. Das Deck war so rein und weiß gescheuert, alles Messingwerk darauf so blank geputzt, die unteren Theile, Kajütskappen, Reiling, die unteren Masten. Alles das war mit grüner und weißer Farbe sauber gemalt, das Tauwerk frisch und schwarz getheert, und selbst die Segel schienen fast alle neu zu sein und blähten sich weit und stramm der kräftigen Brise. An Bord ging dabei Alles seinen stillen, geregelten Gang; es war fast, als ob jeder Matrose schon selber wisse, was er zu thun habe, so wenigstens kam es Carl vor, denn kein Befehl wurde gehört – und wie hatten die Offiziere an jenem Abend so wild durch einander geschrien! Hier und da in den Raaen saß ein einzelner Seemann, mit dem Umwickeln irgend eines Taues oder Blockes beschäftigt und halblaut dabei ein Lied vor sich hin singend; und die weite und herrliche See dabei, wie das wogte und drängte mit den tiefblauen, wundervollen Wellen, auf denen der weiße blitzende Schaum wie blinkendes Silber hing! Carl ging das Herz ordentlich auf, als er das lebendige wundervolle Meer zum ersten Male in all' seiner Pracht und Herrlichkeit so um sich her ausgebreitet sah, und wenn er der Aeltern Angst daheim hätte vergessen können, er würde laut aufgejubelt haben in Lust und Seligkeit. Das aber lag ihm noch immer wie ein trüber Schatten auf der Seele, und fast unwillkürlich mußte er wieder und wieder den Blick zurückwenden, wo die verlassene Heimath, unerreichbar, lag.

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