Friedrich Gerstäcker
Unter dem Äquator
Friedrich Gerstäcker

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»Papperlapapp«, sagte der alte Herr, »boshaft? Was ist dabei boshaft; das kann eine ganz unschuldige Geschichte sein. Aber höllisch aufgeregt schien er an dem Tag, das ist wahr. Warte, mein Bursche, wenn er wieder herkommt, wollen wir ihn deshalb einmal tüchtig vorkriegen und sehen, was er für ein Gesicht dazu macht. So ein heimlicher Fuchs, was hat er da bei fremden jungen Damen herumzukriechen, wo hier ein Whisttisch mit drei leeren Stühlen steht. Komm du mir nur wieder vors Rohr; beichten soll er bis zum letzten Buchstaben.«

»Und ist die junge Dame schön?« fragte Marie, mit einem eigentümlichen Akzent auf dem Wort Dame, indem sie sich an den Hauptmann wandte.

»Ich habe sie allerdings nur einmal einen Moment, und selbst dann nicht richtig gesehen«, erwiderte der; »da kam sie mir freilich, wenn auch nicht schön, so doch sehr hübsch vor. Sie hält sich außerordentlich zurückgezogen.«

»Nimmt aber doch Herrenbesuche an«, warf Marie ein.

»Jedenfalls Geschäftssachen«, sagte Heffken trocken, »was sonst könnte denn auch Herrn Wagner, unseren solidesten aller soliden Kauf- und Handelsherren zu Batavia, bewogen haben, Besuche bei einer jungen hübschen Dame zu machen.«

»Was habt Ihr denn nur eigentlich gegen Wagner, Heffken?« sagte van Romelaer; »soviel ich weiß, standet Ihr doch sonst gut miteinander.«

»O gewiß!« rief Heffken, durch die direkte Frage etwas außer Fassung gebracht, »aber – ich ärgere mich nur immer, wenn ich jemanden finde, der äußerlich so außerordentlich fromm und ehrbar tut und dann eigentlich auch nicht besser ist als – wir alle miteinander.«

»Sie wissen aber doch gar nichts Bestimmtes gegen ihn«, sagte Marie.

»Ich weiß nichts Bestimmtes«, wiederholte Heffken, den Kopf ungeduldig herüber und hinüber wiegend, »ich weiß – aber versprechen Sie mir, daß Sie allerseits darüber schweigen wollen, denn als Freund dieses Hauses glaube ich gerade gegen Sie kein Geheimnis daraus machen zu dürfen.«

»Meine Frau verrät nichts«, sagte Romelaer trocken. Mevrouw van Romelaer, eine dicke, behäbige Dame, war nämlich schon bei der Erzählung des Hauptmanns sanft in ihrem Lehnstuhl eingenickt und das spätere Gespräch deshalb spurlos an ihr vorübergegangen. Van Romelaer selber aber mochte diese Art von Enthüllungen, hinter dem Rücken eines anderen, nicht leiden. Er achtete Wagner als einen offenen, ehrlichen Mann und tüchtigen Geschäftsmann dazu, und obgleich Heffken unbestritten das letztere ebenfalls war, zweifelte er doch sehr, ob er auch auf die ersteren Eigenschaften Anspruch erheben dürfe. Außerdem genierte ihn die Gegenwart des Hauptmann, den er doch noch nicht genau genug kannte, und er setzte deshalb nach einigem Zögern hinzu: »Ihr Geheimnis wäre überhaupt viel besser bewahrt, wenn Sie es für sich behielten.«

»Ach, er weiß ja gar nichts, Väterchen«, lachte aber Marie, die vor Neugierde brannte, zu erfahren, was Heffken sagen wollte.

»Desto besser; dann kann er auch nichts verraten«, meinte der Vater. »Aber hallo – da kommt wahrhaftig noch Besuch – das ist gescheit, und noch dazu Goedekamp und van der Tromp! Herein, Mannetjes, herein, Euch können wir hier gebrauchen; wir dürfen doch wahrhaftig nicht zu Bett gehen, ohne vorher unser Partiechen gemacht zu haben?«

Das Gespräch war dadurch vollständig abgebrochen. Mevrouw van Romelaer erwachte ebenfalls, und Romelaer, während er die Gäste mit seiner alten Herzlichkeit empfing, hatte jetzt vollauf Beschäftigung, so rasch wie möglich zu arrangieren, um noch weiter an Heffkens Mitteilungen denken zu können.

»Na, Heffken, wie ist es, macht Ihr ein L'Hombertche mit?« fragte Romelaer ihn, als die ersten Begrüßungen vorüber waren, denn beide neue Gäste kamen allerdings nur eines Spieles wegen.

»Wenn es sein muß«, erwiderte der, »sonst widme ich mich lieber den Damen.«

»Wel, gaat praten«, lachte Romelaer, »dann machen wir ein Whist mit dem Strohmann. Nun aber flink, alte Jongens, wir verbrennen Tageslicht, wenn wir noch länger zögern.«

»Wie, um Gottes willen, sind Sie denn aber wieder von den schrecklichen Menschenfressern fortgekommen, bester Herr Hauptmann«, wandte sich jetzt Mevrouw an diesen. Sie erinnerte sich noch dunkel, daß sie etwas von einer Gefangennahme habe erzählen hören, und da sie keine Ahnung davon hatte, eingeschlafen zu sein, glaubte sie natürlich, er wäre dabei stehengeblieben. Der Hauptmann begegnete einem spöttischen Blick Heffkens, war aber zu gutmütig oder zu zartfühlend, die alte freundliche Dame merken zu lassen, daß sie das Beste der Erzählung verträumt habe, und gab ihr – allerdings diesmal nur in Kürze – eine flüchtige Wiederholung der schon erzählten Szenen.

Heffken war ruhig am Tisch sitzen geblieben und nahm ein vor ihm liegendes Buch, irgendein englisches Bilderwerk mit Stahlstichen, in die Hand. Marie trat neben ihn, und ihre Hand auf seinen Stuhl stützend, sagte sie: »Sie wissen etwas, Herr Heffken, das Sie, wie Sie meinten, uns nicht vorenthalten dürften. Was ist es?«

»Mein liebes Fräulein«, lachte Heffken verschmitzt vor sich hin, »Sie behaupteten ja vorhin ganz bestimmt, daß ich nichts wisse.«

»Betrifft es uns?« fuhr Marie fort, ungeduldig den Kopf schüttelnd.

»Nein«, sagte aber Heffken, ernsthafter werdend, »beruhigen Sie sich, es hat nichts mit Ihnen oder Ihrer Familie zu tun und betrifft nur Herrn Wagner und jene junge Dame, also Ihnen vollkommen gleichgültige Personen.«

Marie biß sich auf die Lippe. Der kleine boshafte Mensch wußte recht gut, daß sie sich für Wagner mehr interessiere, als sie ihm hätte eingestehen mögen; durch ein weiteres Drängen täte sie das aber doch – deshalb schwieg sie und sah nur ärgerlich vor sich nieder.

Heffken hatte das Buch wieder aufgenommen, als ob die Sache damit erledigt wäre. Er erwartete jedenfalls weitere Fragen der jungen Dame; als die aber nicht kamen, mußte er selber einlenken. Eine so gute Gelegenheit, das, was er wußte, zu Wagners Schaden wieder auszustreuen, fand sich vielleicht so bald nicht wieder, und er durfte sie sich eben nicht entgehen lassen. Er sah zu dem noch immer neben ihm stehenden Mädchen auf, und als Marie ihr Gesicht halb von ihm abwandte, sagte er freundlich, indem er ebenfalls von seinem Stuhl aufstand: »Schauen Sie nicht so finster drein, Fräulein Marie, die Sache ist viel zu unbedeutend und verdient weder Ihren Zorn noch Ärger, höchstens Ihr Mitleid.«

»Und warum das gerade?«

»Vielleicht nicht einmal das«, sagte Heffken; »auch ließe sich das Ganze vielleicht mit unseren javanischen Zuständen, wenn auch nicht in diesem speziellen Fall, entschuldigen. Aber ich will mich kurz fassen, denn es ist auch wirklich nicht vieler Worte wert. Die Firma Wagner und van Roeken hat sich also, wie das schon einige Male hier in Batavia vorgekommen ist, eine junge Dame aus Deutschland kommen lassen – ich will zu ihrer Ehre annehmen, in ganz ehrenhafter Absicht. Zu Anfang, als ich es erfuhr, glaubte ich, van Roeken habe es speziell für sich getan; da dieser aber bald darauf hier in Batavia heiratete, bleibt nur noch der andere Kompagnon übrig. Was ich bisher davon gesehen habe, bestätigt das. Weil ich nun Sie und Ihren Herrn Papa gern habe, und – andere Vermutungen hatte, hielt ich es für meine Pflicht als Freund dieses Hauses, der Sache näher auf den Zahn zu fühlen. Ich ging direkt zu jenem – Fräulein hin, um zu sondieren, wie weit die ihr gemachten Versprechungen reichten. Herr Wagner, der ein sehr fleißiger Besucher dort ist, traf mich bei ihr und behandelte mich – obgleich er auf mich nicht hätte eifersüchtig zu sein brauchen – in einer Weise, die ich – Ihnen nicht näher beschreiben kann.«

»Es ist abscheulich«, sagte Marie leise vor sich hin, und ihre kleine Hand umfaßte fast krampfhaft die Lehne des Stuhls, an der sie sich hielt.

»Hübsch war es nicht«, erwiderte Heffken trocken.

»Und – und haben Sie mir die reine, lautere Wahrheit erzählt? Bei Ihrem Leben?«

»Was für einen Grund sollte ich haben, mein wertes Fräulein, Sie anzulügen?«

»Sie hassen die Deutschen.«

»Daß ich sie nicht liebe, kann ich eingestehen, und das liederliche Gesindel, das sich hier in Batavia findet, sind gerade Deutsche; daß ich aber darin einen Unterschied zu machen weiß, dächt' ich, hätt' ich Ihnen ebenfalls bewiesen. Sie brauchen mir aber deswegen nicht zu glauben; fragen Sie Herrn Wagner selber. Natürlich wird er Ihnen gegenüber Ausflüchte machen; wie er sich aber dabei benimmt, wird Ihnen gewiß augenblicklich verraten, ob ich die Wahrheit gesagt habe oder nicht.«

»Heffken, kommen Sie her – beim Himmel! Zweimal hintereinander groß Schlemm gemacht«, rief Romelaer jubelnd. »Solch eine Karte hab' ich im Leben nicht gehalten.«

Heffken war froh, eine Ausrede zu haben, um Marie sich selber zu überlassen, denn alles, was er vorsichtigerweise tun konnte, war geschehen, nicht allein um sich an Wagner für die heutige Behandlung zu rächen, sondern auch einer möglichen Klage Wagners in dieser Familie gegen ihn die Spitze abzubrechen. Wagner mochte die Tatsachen nun so unumwunden darstellen, wie er wollte, sie erschienen in einem ganz andern Licht, und Heffken war abgesichert.

Mevrouw von Romelaer hatte sich indessen von dem Hauptmann noch einmal die ganze Geschichte erzählen lassen, und obgleich sie in der Mitte wieder ein paarmal einnickte, glückte es ihr doch gegen das Ende hin zu erwachen und ihr unbegrenztes Erstaunen über die Gefahren des Soldatenstandes auszusprechen. Marie setzte sich aber jetzt zu ihnen, und da sich ihnen auch Heffken bald wieder anschloß, wurde das Gespräch lebhaft fortgeführt, bis die Herren gegen elf Uhr mit dem Spielen aufhörten und dadurch das Zeichen zum Aufbruch der kleinen Gesellschaft gaben.


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