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Buchschmuck

Achtes Kapitel.
Das Schwingfest auf der Scheideck.

Während die Gesellschaft speiste, fanden sich allmählich noch mehr Gäste von Lauterbrunnen her ein, die mit ihnen demselben Ziele zustrebten, obgleich auch schon andere von der kleinen Scheideck anlangten, die Grindelwald am frühen Morgen verlassen hatten. Franz Marssen hatte Jürgen und den Pferdeführern genau die Zeit ihres Aufbruchs bestimmt, und diese stellten sich pünktlich mit den Pferden ein, um den kurzen Weg nach der Scheideck anzutreten, wo man den Kaffee trinken und dabei in aller Gemütlichkeit dem Kampfe der sich schwingenden Schweizer zusehen wollte.

Als die Gesellschaft sich zur Abreise fertig gemacht hatte und die Absicht zum Aufsteigen kundgab, kam die hübsche Wirtin wieder zum Vorschein und stellte sich neben dem auf ihre Anordnung abseits geführten Fuchs auf. Miß Edda trat heran und sah sich nach einem Tritt um, der ihr das Aufsteigen erleichtern sollte, da niemand und namentlich kein Mann in ihrer Nähe war.

Die Wirtin bemerkte wohl, was die schöne Reiterin suchte, und lächelte dabei. »Sie brauchen keinen Tritt, mein Fräulein,« sagte sie, »und sollen mit meiner Hilfe schon in den Sattel kommen, wie ich Sie auch herausgebracht habe. So, treten Sie dreist in meine Hand, und Sie werden rascher als die andern bedient sein.«

Bei diesen Worten bückte sie sich und hielt ihre rechte Hand so tief hin, daß Miß Edda bequem den Fuß darauf stellen konnte. Diese jedoch besann sich eine Weile, ob sie es tun solle oder nicht, da sie aber einen ermutigenden Blick aus den freundlichen blauen Augen erhielt, setzte sie ihr zierliches Stiefelchen fest hinein, und alsbald hob die starke Frau sie empor, und im Nu hatte sie sich in den Sattel geschwungen.

»Sehen Sie wohl,« rief die Schweizerin, die augenscheinlich die schöne Schottin liebgewonnen, »wie leicht und gut das ging? So, und nun liegen auch Ihre Kleider, wie sie liegen müssen. Ach, was ist das für eine reizende Tracht, die Sie tragen, und wie hübsch steht sie Ihnen, wenn Sie zu Pferde sitzen! Wo trägt man eine solche, ich habe sie noch nie gesehen?«

»In Schottland, wenigstens eine ähnliche,« erwiderte Miß Edda, leicht errötend.

»Nun, da haben die Damen Geschmack, aber alle werden auch nicht aussehen wie Sie.«

Miß Edda nickte ihr dankbar zu, und als die anderen Damen schon abritten, sagte sie mit gewinnender Herzlichkeit: »Ich danke Ihnen, liebe Frau, und nun geben Sie mir auch so freundlich die Hand, wie Sie sie vorher Herrn Marssen gegeben. Ich kenne Sie zwar nicht so lange wie er, aber ich mache dieselben Ansprüche an Ihre Gefälligkeit.«

Die Schweizerin reichte ihre große weiße Hand der kleinen Rechten der Schottin hin und drückte sie warm. »Reisen Sie glücklich,« sagte sie, »und heitern Sie wo möglich Herrn Marssen auf, er sieht merkwürdig bedrückt und sorgenvoll aus. Früher war er heiterer als heute.«

»Sie kennen ihn wohl schon lange?« lautete die ernst gesprochene Gegenfrage.

»O nein, erst ein Jahr, aber ich weiß, daß er kein flüchtiger Wildfang ist, wie es viele andere sind, und daß er ein offenes Herz für alles Gute und Schöne hat. Das werden Sie ihm auch wohl schon angemerkt haben, nicht wahr?«

Miß Edda nickte und reichte der Frau noch einmal die Hand. »Leben Sie wohl,« sagte sie, »Ihr Wunsch soll möglichst erfüllt werden, und ich hoffe Sie noch öfter wiederzusehen.«

Mit diesen Worten ritt sie den beiden Damen nach, die schon auf sie warteten, während die Herren noch im Hause beschäftigt waren, dem Wirte die Zeche zu bezahlen, da weder der Ungar noch Franz Marssen zugeben wollten, daß der reiche Holländer, wie er es bereits hinter ihrem Rücken getan, die Rechnung allein abschloß.

Endlich aber hatten sie sich geeinigt, stiegen in die Sättel und ritten den sie erwartenden Damen nach. Nur der Maler bestieg seinen Schimmel nicht, vielmehr ging er, nachdem er der Wirtin die Hand gereicht und einige Worte mit ihr gewechselt, hinter den Herren zu Fuße her, und sein kluges Pferd folgte ihm Schritt vor Schritt auf den Fersen nach.

»Warum steigen Sie nicht auf?« rief ihm Miß Edda entgegen.

»Ich habe das Bedürfnis, eine Strecke zu gehen,« rief er ihr zu. »Der Weg nach der Scheideck ist so kurz und gut, daß man ihn ohne Mühe und mit Behagen zurücklegen kann.«

»O, dann wollen wir auch gehen!« rief die junge Holländerin. »Ich gehe so gern, und das Reiten macht die Glieder so steif.«

»Nein, meine Damen, Sie müssen noch zu Pferde bleiben,« erwiderte der Maler. »Sie haben unterwegs eine so reiche Augenweide, daß Sie zu langsam gehen würden, wenn Sie zu Fuße wären, und wir dürfen keine Sekunde Zeit verlieren. Übrigens werden Sie ihre Füße heute noch genug anstrengen müssen, denn nach Grindelwald hinab läßt es sich nur unbequem reiten, da der Weg steil und beschwerlich ist.«

»Gut, so reiten wir noch,« entschied Miß Edda. »Bleiben Sie aber gefälligst in unserer Nähe und nennen Sie uns die Namen der Berge, die hier zur Rechten aufeinander folgen.«

So schritt denn Franz Marssen hinter den Eltern zwischen den beiden jungen Reiterinnen her, denen sich der Ungar und Herr van der Hooft zunächst anschloß, während Jürgen mit dem leise wiehernden Schimmel die Nachhut bildete.

Selten nur mag man in der mit so vielen schönen Punkten gesegneten Schweiz einen Weg finden, der dem von der Wengernalp nach der kleinen Scheideck führenden gleicht. Über hügelartig gebildete grüne Matten, die von weidenden dunkelbraunen Kühen reich belebt sind, steigt er sanft bergan, und ihm zur Seite zieht sich die gewaltige Finsteraarhorngruppe entlang, deren Gipfel im Berner Oberlande am höchsten aufragen und deren Formationen, obwohl sie so reich und mannigfaltig sind, doch etwas Gemeinsames haben: eine imponierende Wirkung auf den Beschauer, die eben auf ihrer Größe und Mächtigkeit beruht und deren Schönheit in Bezug auf die zahlreichen Eisströme von keinem anderen Gebirge der Erde übertroffen wird.

Franz Marssen nannte den Damen die einzelnen Gipfel, die im blauen Äther bis zu ihren höchsten Schneespitzen klar sichtbar wurden, und sie verfolgten mit bewunderndem Auge die sich in Schlangenwindungen herabringelnden Gletscher, von denen hie und da noch immer eine Staublawine niederrauschte, deren gewaltigen Donnerton nun auch die Eltern der Braut vernahmen. So zog man denn von der im Mittagsglanze strahlenden Jungfrau fort, an dem schwarzen finsteren Mönch und dem doppelspitzigen Eiger vorüber, sah einen Augenblick das gewaltige Finsteraarhorn in der Ferne auftauchen und begrüßte auch das silbern glänzende Schreckhorn, dem dann die beiden Grindelwaldgletscher folgten, die man aber erst sieht, wenn man dicht in ihre Nähe gelangt ist.

»Die Natur scheint mir hier immer großartiger zu werden,« sagte Miß Edda einmal zu ihren Begleitern. »Hier folgt ein Gletscher dem andern, eine Schlucht öffnet sich in die andere, und das Rauschen in der Tiefe vermischt sich mit dem Donner in der Höhe, so daß man nicht weiß, wohin man sein Auge und sein Ohr wenden soll. Das ist köstlich, Elise, nicht wahr?«

Diese nickte, denn ihr Auge hing entzückt an den anmutig geschweiften Eisflüssen und den starren Schneehäuptern darüber, Franz Marssen aber erwiderte: »Ja, insofern man hier eine längere Reihe von Bergen mit ihren Gletschern mit einem Blick überschaut, wird die Natur noch großartiger als vorher. Auf der kleinen Scheideck haben Sie den ganzen Kranz vor sich und stehen obenein auf einer weiten, saftig grünen Wiesenfläche sicher und weich, und darum hat man auch das volkstümliche Schwingfest dahin verlegt, zu dem alle die Mädchen pilgern, die Sie da vorn im Sonntagsstaat einherziehen sehen.«

»Mädchen?« fragte Miß Edda. »Was haben denn die bei dem Kampfspiel der Männer zu tun?«

Franz Marssen lachte. »Wo in der Welt, mein Fräulein,« sagte er, »wird ein öffentliches Fest begangen, an dem keine Frauen und Mädchen teilnähmen! Die einen lockt die Neugierde, die andern die Teilnahme an dem Geschick ihrer Verwandten, oder auch die Lust an Vergnügungen überhaupt. Wer unter den jungen starkknochigen Burschen heute siegt, trägt Monate lang einen großen Namen mit sich herum, und ein solcher Sieger hat etwas Anziehendes für das hiesige weibliche Geschlecht. Nach dem Kampf aber wird getanzt und gejodelt bis in die Nacht hinein, und da die Jungfern das schreckliche Kirschwasser, mit Honig und Safran versetzt, nicht sparen, das sie heute ihren Geliebten aus eigener Tasche kredenzen, so endet das Fest in der Regel lauter als es begonnen und artet nicht selten zu einem wilden Bacchanale aus, von dem mancher mit geschundenen Gliedern heimkehrt.«

»So. Wie lange werden wir dem Kampfe zuschauen?«

»Wir dürfen uns nur eine Stunde auf der Scheideck aufhalten, wenn wir die Eisgrotte im Grindelwaldgletscher besuchen und abends in Grindelwald selber die Führer zur morgenden Partie dingen wollen.«

»Ja, das wollen und müssen wir,« rief Miß Edda. »Elise und ich haben schon den Plan für morgen entworfen, und Sie werden ihm hoffentlich beistimmen.«

»Wenn er ausführbar ist, gewiß. Wie lautet der Plan?«

»Das sollen Sie heute abend als Dessert beim Abendtische erfahren.«

»Dann bitte ich, nicht zu spät zu speisen, da der Führer, den ich dingen werde, noch Vorbereitungen treffen und seine Kameraden zusammenrufen muß.«

Die beiden jungen Damen nickten beifällig und lächelten sich schelmisch zu.

»Die Damen haben einen großen Plan ausgeheckt,« sagte nun Herr van der Hooft, »aber ich hoffe, Sie werden ihm Ihre Beistimmung versagen, denn man kann doch unmöglich in den Bergen, am Ende gar auf dem Eise, eine Nacht unter freiem Himmel zubringen, und die beiden Damen sind abenteuerlich genug gesinnt, dergleichen für möglich zu halten.«

»Bei schlechtem Wetter ist es allerdings unmöglich,« erwiderte Franz. »Aber eine so weite und gewagte Exkursion werden die Damen doch nicht vorhaben. Übrigens gibt es in der Nähe des unteren Grindelwaldgletschers, den sie doch wohl nur zu besteigen gedenken, Hütten genug, die eine Rast für die Nacht darbieten, wenn sie nötig werden sollte, was ich indessen nicht glaube, da ein solches Nachtquartier mit Unbequemlichkeiten –«

»Still, still!« unterbrach ihn Miß Edda. »Diesmal entscheiden wir, und die gestrengen Herren werden sich fügen. Was nützt uns das Besteigen eines Gletschers, wenn wir nicht einen Blick in das geheime Weben und Walten der Natur tun dürfen, und gerade eine Nacht unter Eistrümmern soll köstlich und unvergeßlich sein. Wir beide lieben nun einmal dergleichen und sind keine Schwächlinge, wie Sie denken, Herr van der Hooft. Und schließlich, was andere Damen vor uns vollbracht haben, kann auch von uns gelöst werden. Da haben Sie es, doch so weit sind wir noch nicht und nur, wenn Herr Marssen als Sachverständiger seine Einwilligung absolut versagt, folge ich ihm. Das fürchte ich aber nicht. – Doch was ist das?«

Man war auf eine fast unabsehbar weite, grüne Matte hinausgetreten, die mit kräftig duftendem und kräuterreichem Alpgras bedeckt war. Zur Rechten senkte sie sich bald steiler, bald sanfter zu einem tiefen Abgrunde hinab und jenseits desselben ragten die vorhergenannten schneeigen Bergriesen auf. Die ganze Matte war überaus reich von schönen Kühen beweidet, die mit ihren am Halse hängenden großen Glocken ringsum ein harmonisches Geläut vernehmen ließen und teils gesättigt im Grase lagen und behaglich wiederkäueten, teils ruhig und langsam umherschlenderten und weiter fraßen. Zwischen ihnen hie und da tauchte ein malerischer Heustadel, eine Sennhütte oder auch ein Notstall für plötzlich ausbrechendes Unwetter auf, und das ganze große Landschaftsbild trug einen so überraschend friedfertigen und idyllischen Charakter, daß die so plötzlich darin Eintretenden sich gleichsam in eine neue Welt versetzt glaubten.

Da wurde der langsam vorschreitende und alles in Augenschein nehmende Zug dadurch aufgehalten, daß die voranreitende Frau van der Swinden plötzlich ihr Pferd anhielt und angstvoll zurückrief:

»O mein Gott, meine Herren, da ist ja eine Herde von mehr als tausend Kühen vor uns! Wo kommen denn die mit einem Male her? Es wird doch kein wilder Stier darunter sein, der uns angreift?«

Franz Marssen trat zu ihr heran und beruhigte sie, indem er ihr erzählte, daß die Kühe den ganzen Sommer hier versammelt blieben, daß sie ebenso klug und gutmütig wie auch an den Anblick der Menschen gewöhnt wären, und daß er selber in der Nähe keinen Stier wahrnähme.

»Vorwärts, vorwärts!« rief der kleine Mann im Nankingrock. »Haltet Euch nicht auf, Kinder, und du, Frau, fürchte dich nicht – ich habe Mut!«

So ließ die Dame denn ihr Pferd wieder gehen, sah sich aber mit angstvollen Blicken nach allen Seiten um, während die jüngeren Personen der Gesellschaft mit Vergnügen das anmutige Bild betrachteten und alle ungefährdet durch die Reihen der zahmen, hin und her wandelnden Tiere ritten, die sie mit klugen Augen anglotzten und bisweilen einem Pferde streckenweis zur Seite blieben, als wollten sie mit ihm freundliche Unterhaltung pflegen.

Die Matte aber dehnte sich immer weiter aus, bis an ihrem Ende ein neues hübsches Haus sichtbar wurde, in dessen Nähe, wie man schon aus der Ferne sah, eine große Menschenmenge versammelt war.

»Was ist das da vorn?« fragte Miß Edda den Maler, der wieder zu den jüngeren Damen zurückgerufen war, da diese ihn mit zahllosen Fragen zu bestürmen hatten.

»Das ist unser nächstes Ziel, die kleine Scheideck, mein Fräulein, und wir haben den Schauplatz des Schwingfestes sogleich erreicht. Von dem Hause an aber – es heißt mit Recht Hotel Bellevue – führt der Weg abwärts nach Grindelwald und von dort aus können Sie vier Stunden lang zu Fuß gehen, wenn Sie so viel Ausdauer besitzen.«

»O, wir haben Ausdauer genug,« rief die junge Holländerin: »Strapazen gibt es für uns nicht. Herr von Tekeli, Sie sind ja immer so gütig, reiten Sie doch geschwind voraus und bestellen Sie uns den Kaffee auf einen Platz, wo wir den Wettkampf überschauen können.«

Der diensteifrige Ungar wollte sein Pferd eben in Trab setzen, als Franz Marssen rief:

»Bleiben Sie hier, Herr von Tekeli, und Sie, mein Fräulein, empfangen die Meldung, daß ich, Ihren Wunsch schon früher erratend, für die Erfüllung desselben bereits gesorgt habe. Schon vor einer Stunde ist von der Wengernalp einer der Pferdeführer abgesandt, und Sie werden alles, was Sie bedürfen, vorbereitet finden.«

»Sie sind ein vortrefflicher Reisemarschall,« rief die alte Holländerin zurück, »und ich muß unsre gute Edda loben, daß sie uns Ihre Begleitung verschafft hat. Swinden, Mann! siehst du, wir finden den Kaffee bereit, und gleich dabei ein Schauspiel, was vielleicht noch kein Holländer mit Augen geschaut hat.«

Der alte Holländer drehte sich herum und zeigte sein rotes, schweißtriefendes Gesicht, das gleichwohl vor Freude und Zufriedenheit strahlte. »Sehr gut, Mynheer,« sagte er zu Franz Marssen und winkte ihm mit der Hand zu: »ich lobe Sie – Sie sind ein sehr – ein sehr guter Reisemarechal!« –

*

Als die Reisenden sich dem Hotel Bellevue näherten, fanden sie, daß links davon auf einem hervorragenden und mit dem weichsten Rasen bedeckten Platze mehr Menschen versammelt waren, als sie aus der Ferne wahrgenommen zu haben glaubten, nur hatten sie sich in einen großen Kreis zusammengedrängt und standen hier in vielen Reihen dicht geschart hintereinander, die von Kirschwasser und Leidenschaft erhitzten Gesichter nach dem Mittelpunkte des Kreises gerichtet, in dem soeben die Vorbereitungen zum ersten Wettkampfe getroffen wurden.

Jürgen, der aus Erfahrung wußte, daß sein Herr, der früher mit seiner Hilfe schon einmal so unsanft abgewiesen war, der jungen schottischen Dame niemals beim Auf- oder Absteigen behülflich war, trug eine zur Hand stehende bewegliche Treppe an den Fuchs heran, und so war Miß Edda die erste, die den Boden erreichte, während Herr van der Hooft zuerst seiner Braut und dann mit größerer Mühe seiner Schwiegermutter aus dem Sattel half.

Unmittelbar neben dem Kreise der schaulustigen Schweizer hatte der vorausgesandte Führer zwei Tische zusammengestellt und Bänke ringsherum gerückt, vor denen er nun Wache stand, um sie den ihm zugehörigen Herrschaften ungeschmälert zu überweisen. Kaum war dies geschehen, so trug eine der Töchter des Hauses den bestellten Kaffee nebst Zubehör herbei, und nachdem die erwünschte Labung hastig eingenommen war, stiegen die Herren auf die Bänke, um so besser in den Kreis blicken zu können. Sehr bald standen auch die Damen neben ihnen, und nun hatten alle das seltsame Schauspiel dicht vor sich, welches alsbald seinen Anfang nehmen sollte.

Bekanntlich besteht der schweizerische Schwingkampf darin, daß sich zwei Männer, die sich messen wollen, gegenseitig um beide Oberschenkel ein festes Tuch knüpfen, welches beiden Kämpfern zu einer leicht faßlichen Handhabe dient. Damit diese nun einem jeden die möglichste Sicherheit bietet, knüpft ein Gegner dem anderen die Tücher um, die jedes Mädchen in Bereitschaft hält, und dies geschieht stets mit größter Sorgfalt, da von der Dauerhaftigkeit dieser Vorrichtung sehr viel und oft mehr als von der Kraft und Geschicklichkeit der Kämpfenden abhängt. Sitzen die Tücher fest, so beginnt das ernsthafte Spiel damit, daß beide Kämpfer sich in eine vornüber gebeugte Stellung begeben und ihre Köpfe gegen die rechte Schulter des Gegners stützen. Dann ergreift einer mit den Händen die Handhaben an den Schenkeln des anderen, und gegenseitig versuchen sie sich daran in die Höhe zu heben und, wenn dies gelungen, schließlich dergestalt auf die Erde zu werfen, daß der eine oder andere auf den Rücken fällt. Es dauert oft sehr lange, bis dies gelingt, und in der Regel stehen die Kämpfer, zumal wenn sie sich gewachsen sind, lange wie unbeweglich in der unbequemen Stellung, obgleich sie gewiß unausgesetzt alle ihre Kraft und List anwenden, um dem Gegner eine schwache Seite oder einen Moment des Nachlasses seines Griffes abzugewinnen, was sie ja sogleich an ihren eigenen Schenkeln fühlen müssen. Ist derselbe aber erst oder nur eins seiner Beine von der Erde gehoben, so schleppen und werfen sich die Kämpfenden unter dem Beifalls- oder Angstgeschrei der Zuschauer pfeilgeschwind herum, sind aber erst beide Beine vom Boden gehoben, so dauert das Spiel nicht mehr lange, der Stärkere schwingt den Besiegten in horizontaler Lage wütend um seinen eigenen Körper im Kreise herum, bis er ihn nicht mehr halten kann oder seines Sieges überdrüssig ist, und der Besiegte stürzt krachend mit dem Rücken zuerst auf den Boden, wobei der Sieger in der Regel über ihn hinfällt, da der Fallende den Werfenden fast immer krampfhaft an den Handhaben festhält. Anfangs pflegt das gewagte Spiel mit Ruhe und Gleichmut zu beginnen, je länger es aber dauert, um so erbitterter und erregter werden die Kämpfer, und zuletzt tragen ihre bleichen oder blau aufgeschwollenen Gesichter die Spuren der wildesten Leidenschaft und Kampfbegier, wobei es denn nicht selten geschieht, daß einer der Kämpfenden beim heftigen Niederstürzen einen ernstlichen Schaden nimmt. Häufig bekennt sich der einmal Geworfene nicht sogleich als besiegt und beginnt nach kurzer Erholung den Kampf von neuem, in der Regel aber wird er wieder geworfen, und hat sogar Schreiber dieses einen und denselben Mann siebenmal hintereinander von einem viel kleineren Gegner erbarmungslos zu Boden schleudern sehen, da nicht immer die Größe und Stärke, vielmehr die Gewandtheit und Geschicklichkeit wie bei allen dergleichen körperlichen Übungen den Ausschlag gibt.

Als nun unsere Gesellschaft ihre Aufmerksamkeit dem beginnenden Spiele zuwandte, wurden eben die Tücher geknüpft, und da dies eine ziemliche Zeit in Anspruch nahm, so hatte man Muße genug, die Gesichter der Zuschauer zu mustern, die hier mit Stolz und Freude, dort mit Sorge und Angst auf ihre befreundeten Kämpfer blickten.

An vier Punkten, einander gegenüberstehend, war je ein älterer und erfahrener Mann als Kampfrichter aufgestellt, gleich hinter ihnen her drängten sich die Frauen und Mädchen in ihrem Putz mit lang flatternden bunten Bändern an den Mützen, in roten und schwarzen Miedern und Röcken, und dabei dieselbe Leidenschaftlichkeit wie die Männer auf den erhitzten Gesichtern tragend. Um die Weiber herum stand ein dichterer Kreis zuschauender Männer, Jünglinge und Knaben, die, so lange die Vorbereitungen dauerten, laut schrien und tobten, dagegen mäuschenstill wurden, sobald der Kampf begann.

An einer Seite aber innerhalb des Kreises standen diesmal auch Fremde, und mit Leichtigkeit erkannten die Mitglieder unserer Reisegesellschaft die sechs Engländer wieder, welche die hübsche Wirtin vom Jungfrauhotel so klüglich und schnell nach der Scheideck getrieben hatte.

Wenn viele der eingeborenen Zuschauer schon nicht mehr ganz in nüchternem Zustande waren, so ging es den Herren Briten nicht besser, und was die Leidenschaftlichkeit und Aufgeregtheit ihrer bärtigen Gesichter betraf, so konnten sie den Schweizern sogar zu Mustern dienen, denn ihre weit vorspringenden Augen glühten vor Kampfbegier, und die Erwartung in ihren Mienen hatte sich zur krampfhaften Spannung gesteigert, da sie nicht unbeträchtliche Wetten abgeschlossen, wer von den beiden zuerst Kämpfenden den Sieg davontragen würde.

Die ersten Kämpfer waren ein großer, langarmiger und breitschultriger Mann von einigen zwanzig Jahren mit fuchsrotem Haar und einem listigen unangenehmen Gesicht; der zweite aber ein viel kleinerer, muskelkräftigerer und behenderer. Dieser letztere war ein Kellner des Gasthauses selbst, und auf ihn blickten viele Mädchen mit Freude und Stolz, da er nicht allein ein hübscher Junge von neunzehn Jahren, sondern auch ein bekannter und geübter Schwinger war. Dagegen hatten nur zwei Engländer auf ihn als Sieger gewettet, während die vier anderen dem großen Manne im voraus den Preis zuerkannten.

Endlich waren die Tücher festgeknüpft und hinreichend geprüft, und nun legte sich wie auf einen Wink von höherer Hand das Getümmel und Geschrei, und eine fast atemlose Stille trat unter den Zuschauern ein. Jetzt senkten die Kämpfer ihre Köpfe wie die Stiere, die mit den Hörnern zusammenrennen wollen, und stemmten sich fest gegen die feindlichen Schultern, die Hände griffen in die Handhaben, und der Kampf begann.

Eine Zeitlang standen die beiden Männer unbeweglich, nur bisweilen bemerkte man einen Ruck, den irgend ein Arm versuchsweise ausübte, aber kein Bein wich vom Rasen, vielmehr schienen sich nur alle vier fester und fester in die Erde zu graben. Plötzlich aber kam Leben in die tote Gruppe; mit Gewalt schleuderten sie sich links und rechts, so daß der Kreis der Zuschauer flüchtend auseinander stob, aber er schloß sich von neuem wieder, sobald die Ringer wieder der Mitte zuwirbelten. Da, und niemand sah, wie es geschah, erhob der kleine Kellner mit einem Mal das eine Bein seines Gegners, dieser hüpfte stramm und fest auf dem andern mit ihm im Kreise herum, nach kurzer Zeit aber wurde auch das zweite widerstrebende Bein vom Boden erhoben, der lange Mann ward von dem kleinen wie eine tote Masse im Kreise herumgeschwungen, und gleich darauf dröhnte der Boden vom Falle seines schweren Körpers wieder, wobei der Kellner über ihn hinschlug, ihn aber so lange festhielt und geschickt zu drängen wußte, bis er völlig auf dem Rücken lag.

Die Kämpfer hatten keinen Schaden genommen und richteten sich unter tosendem Beifallsgeschrei der Zuschauer sogleich wieder auf. Ihre Gesichter sahen blaurot und geschwollen aus, und ihre Augen waren mit Blut unterlaufen. Nichtsdestoweniger packten sie sich nach einer Minute Rast mit atemloser Wut von neuem, und kurze Zeit darauf wurde der große Schweizer noch einmal so unsanft wie vorher und gleich auf den Rücken zu Boden geschleudert, so daß er eine Weile bewegungslos liegen blieb und sich erst erhob, als einige teilnehmende Mädchen sich über ihn niederbeugten und ihn ermunterten, aufzustehen, wenn er dazu imstande sei. Da sprang er wütend auf, ballte die Fäuste gegen seinen triumphierenden Gegner, schleuderte ihm einen drohenden Blick zu und verschwand in der Menge, um seinen Gegnern nicht länger zur Zielscheibe ihres Spottes zu dienen.

Da aber erlitt die Fortsetzung des ernsten Spieles eine unerwartete Unterbrechung. Der eine Engländer, ein ungeheuer kräftiger und wohlgebauter junger Mann mit vollem Bacchusgesicht und mähnenartigem Bart, sprang in den Kreis und redete mit eifrigen Geberden die Kampfrichter an, die zuerst verwundert aufhorchten, dann unter sich nachdenklich beratschlagten, endlich aber dem Willen des Engländers geneigt zu werden schienen, als derselbe eine Hand voll Louisdor aus der Tasche zog und dem ältesten Kampfrichter einhändigte.

Gleich darauf wurde der siegreiche Kellner herbeigerufen und ihm eine Frage vorgelegt. Er besann sich nur kurze Zeit, sah den mächtigen Briten mit prüfendem Blick an, nickte lächelnd mit dem Kopfe, und die Sache war abgetan, der Wunsch des Fremden sollte erfüllt werden.

Unterdessen waren zwei andere Kämpfer mit schon geknüpften Tüchern in den Kreis getreten und ein neuer Kampf begann.

Miß Edda hatte eigentlich schon genug an diesem ersten Ringkampf. Sie schüttelte mißfällig das Haupt und blickte fragend nach ihrem Nachbar hin, der kein anderer als Franz Marssen war und dicht neben ihr auf der Bank Platz gefunden hatte.

»Geben Sie acht,« flüsterte er ihr zu, »es gibt eine Komödie. Dem übermütigen Engländer dort juckt das dicke Fell, und er hat nicht eher Ruhe, als bis er es auf der Erde reiben kann. Sehen Sie da, er zieht sich schon den schokoladenfarbigen Rock aus und wirft den Filz auf die Erde. Da gibt er auch seine Uhr und Brieftasche ab. Ha, ich hätte wahrhaftig selbst Lust, ihn etwas unsanft die Mutter Gäa küssen zu lassen.«

»O,« rief Miß Edda fast zürnend, »Sie werden doch dies grobe Spiel nicht mitmachen wollen? Denken Sie daran, welche Demütigung es für Sie und für uns alle wäre, wenn Sie geworfen würden!«

Franz Marssen lachte. »Nun,« sagte er heiter, »ich verstehe diese Kniffe auch ein wenig, aber ich denke wirklich nicht ernstlich daran, mich an dem Kampfe zu beteiligen, obgleich ich nicht so empfindlich gegen Demütigung bin wie Sie. Männer werden im Leben öfter gedemütigt als Frauen, und sie müssen es leider ertragen, ohne zu murren.«

»Aber, mein Gott, ich begreife nicht, wie man sich angesichts dieser ehrwürdigen weißen Berge balgen, Branntwein trinken und schreien kann. Am liebsten säße ich auf dem Rasen und starrte denkend und schweigend die Erde an, die mir hier schöner als der Himmel selber vorkommt.«

»Da haben Sie recht, und diesmal stimmen wir vollkommen miteinander überein. Doch sehen Sie da, der Engländer teilt nicht unsern Geschmack, er macht sich zur Arbeit fertig. Ha, und da liegen seine Louisdor auf einem Tisch. –«

»Ja, und der kleine Schweizer hat einen Frank daneben gelegt – das also ist die ganze Beute, die der edle Brite erjagen kann, wenn man den Ruhm nicht in Anschlag bringt, den er hier für ganz Old-England einerntet.«

Während dies Gespräch geführt wurde, war der zweite Kampf auch schon entschieden, und jetzt trat der Engländer mit dem Kellner in den Kreis, und dieser band ihm die Tücher um seine mächtigen Schenkel fest. Mit fest zusammengebissenen Zähnen und starr hervorspringenden Augen maß er dabei seinen gegen ihn zwerghaft erscheinenden Gegner, warf dabei seinen Landsleuten einen vielsagenden Blick zu, die eben eine neue Wette eingingen, und als dann zwei unparteiische Männer des Kellners Handhaben untersucht und geeignet gefunden hatten, schickten sich beide Kämpfer zu ihrem Vorhaben an.

Seltsam war es dabei zu sehen, wie steif und ungelenkig der Engländer seinen dicken Kopf gegen die Schulter des Schweizers beugte, und mit welcher Siegesgewißheit er mit seinen mächtigen Händen die Handhaben desselben ergriff. Wenn er aber geglaubt hatte, den kleinen Mann wie eine Feder emporheben und einer Schwalbe gleich durch die Luft wirbeln zu können, so irrte er sich, denn der Schweizer war wie an den starren Boden seiner Heimat gewachsen, und es gelang dem Engländer beim besten Willen nicht, ihn davon loszureißen. Bei dieser ungeheuren Anstrengung verlor sein Gesicht alle Ähnlichkeit mit dem Antlitz eines Menschen und nahm mehr und mehr das Aussehen der blaurot aufgeschwollenen Maske eines Pavians an; bald darauf waren auch seine feinen Beinkleider schon von dem gewaltigen Zerren und Heben des Schweizers zerrissen, ehe er noch einmal die Handhaben desselben von der Stelle bewegt hatte.

Unbeweglich standen auch diese Kämpfer eine geraume Zeit, keinen Zoll breit Erde gab der eine dem andern Raum – da stießen die fünf zuschauenden Engländer ein Jubelgeschrei aus, denn sie glaubten, den Sieg ihres heroischen Landsmannes in den Händen zu haben. Der kleine Schweizer war nämlich auf ein Knie gesunken, und es sah wirklich aus, als ob ihn die Wucht seines schweren Gegners zu Boden gedrückt habe. Plötzlich aber schnellte er wie eine Feder in die Höhe, und in demselben Augenblick war der Engländer emporgerissen, wirbelte wie ein Kreisel herum, und gleich darauf, in seinem bodenlosen Zustande nicht an das Festhalten des Gegners denkend, wurde er von diesem dicht vor den Füßen der Landsleute auf den Rasen geschleudert, so daß ringsum ein lauter Krach gehört ward.

Ein ungeheures, anhaltendes Jubelgeschrei aus allen Kehlen der anwesenden Schweizer dröhnte bis zu den ewigen Bergen hinüber, nur die Engländer schrien nicht mit, sondern standen mit bleichen und langen Gesichtern da, vor Verwunderung und Schrecken außerstande, ihrem verdutzten Freunde zu Hilfe zu kommen. Diesen aber weckte endlich das sich immer wiederholende Siegesgeschrei der Schweizer aus seinem Taumel. Er erhob sich erst langsam auf die Knie, dann auf die Füße, deren einer einen Schuh verloren hatte, und mit einem stieren Aufblick gegen seinen frohlockenden Besieger hin ballte er die Fäuste vor dem Leibe zusammen, als wollte er ihn damit nach Boxerart niederschlagen.

Da aber sprang ein Dutzend junger Männer auf ihn ein und drängte ihn und seine Gefährten gewaltsam aus dem Kreise, während der Kellner von den Kampfrichtern den ihm gebührenden goldenen Preis einzog, mit lachendem und vor Aufregung bleichem Gesicht sich durch die Menschenmenge Bahn brach und in das Gasthaus lief, aus dem er bald wieder mit einer blauen Schürze bekleidet herauskam, um als gekrönter Sieger dem weiteren Verlauf des Kampfspieles müßig zuzuschauen.

Miß Edda sprang von der Bank, und die Holländerinnen folgten ihr sogleich nach. »Ich habe genug gesehen,« sagte sie zu Franz Marssen, »und bin für heute und hoffentlich auch für immer gesättigt. Pfui, welche Roheit – nicht dieser Schweizer, die nur eine alt-wilde Sitte üben – sondern diese so gebildet sein wollenden Fremden, daß sie sich in eine Sache mischen, die sie nichts angeht. Nein, Herr Marssen, Sie haben recht, der Mensch muß nicht schwimmen wollen wie ein Fisch und fliegen wie ein Vogel, und der Engländer mag boxen, aber zum Schwingen taugt er nicht, denn dabei gerät er aus seinem Element. Ich bin froh, daß meine Mutter keine Zeugin dieses Schauspiels gewesen ist. Sie würde den Tod auf der Stelle gehabt haben, denn einen Landsmann, wenn er auch nur ein halber ist, unter dem Beifallsgejauchze und den Spottreden dieser Kuhhirten mit zerrissenen Kleidern am Boden liegen zu sehen, würde für sie eine unerträgliche Schmach gewesen sein. Kommen Sie, meine Herren und Damen, und lassen Sie uns unsern Kaffee austrinken, und dann, wenn die Pferde sich genügend geruht, wollen wir in Gottes Namen unsern Weg fortsetzen, ich sehne mich nach anderen Szenen, als diese war.«

Alle folgten ihrem Vorschlage gern, und nach etwa zwanzig Minuten wurden die Pferde vorgeführt, die Eltern der Braut stiegen auf, und die ganze Gesellschaft, alle übrigen zu Fuß, traten den Weg nach Grindelwald unter dem noch lange ihnen nachhallenden Jubelgeschrei der aufgeregten Schweizer an.


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