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Die Lieblingskatze.

Ein unaustilgbarer Volksglaube weiß zu erzählen, daß die Thiere einst mit der Sprache begabt gewesen seien; daher beginnt auch die Fabel noch heute mit den Worten: »Als die Thiere noch sprachen.« Die kindliche Vorwelt, die ein feineres Ohr für die leisen Aussprüche der Natur besaß, sah in der Stufenfolge aller lebenden Wesen nur eine einzige große Reihe von Ringen, die der ewige Lebensbaum in seiner unendlichen Entfaltung ansetzt, und das sinnige Volksgemüth hat diese schöne Anschauungsweise in treuer Verwahrung behalten. Wir sind zwar schnell bereit, diese Ahnungen von dem großen Einklange aller ton- und stimmbegabten Wesen mit eigensüchtigem Verstande in die Ammenstube zu verweisen; der »König der Schöpfung« will keine Kreatur mit einem angeborenen höhern Rechte neben sich anerkennen, und doch müssen wir so oft mit Demüthigung eingestehen, wie tief der Einfluß unserer geselligen Thiere manchmal mit der Entwicklung sittlicher Menschenverhältnisse verflochten ist. Das Schicksal einer guten Seele, deren Andenken unter meinen lieblichsten Kindheitserinnerungen steht, mag zu dieser allgemeinen Wahrnehmung einen neuen Beitrag liefern.

Tante Salome war einer von jenen Freude und Gaben spendenden Schutzengeln, die ein gütiges Geschick manchen Kindern noch außer dem älterlichen Hause beigesellt. Sie wohnte vor dem Städtchen an der Aare, in einem saubern Hause, das mitten in einem großen, von ziemlich hohen Mauern umschlossenen Garten stand. Das war unser Kinderparadies. Von der ersten sich röthenden Kirsche bis zum letzten Apfel, der das fallende Herbstlaub am kahlen Zweige überdauerte, war da Alles unbestrittenes Eigenthum unserer kindischen Freiherrlichkeit, das edle Naschwerk der großen Erd- und Stachelbeeren und Johannistrauben nicht einmal mit eingerechnet. Es kam die gute Tante sogar schwer an, uns Verweise zu geben, wenn wir mit ungebändigter Beutelust an ihren zierlichen und wohlgepflegten Blumenbeeten sündigten. Der milde Ernst, der beständig auf dem schmalen, bleichen Gesichte lag, wurde nur selten von einem unwilligen Worte unterbrochen, und wenn es aber auch zu bunt herging, genügte ein Blick ihrer großaufgeschlagenen, braunen Augen, uns in die immer nachsichtig weitgezogenen Grenzen zu weisen. Freilich, wenn ich mich dieser Blicke lebhaft erinnere, so wird mir wohl deutlich, was ich in spätern Jahren erfahren, daß Tante Salome in ihren jüngern Tagen nicht immer das stille, milde Wesen war, wie ich sie noch gekannt, und daß nur ein herbes Schicksal das angeborene, lebhafte und unnachgiebige Temperament in die nachsichtige und schonende Duldsamkeit umzuwandeln vermocht habe. Soweit meine Erinnerung reicht, war die hohe,, schlanke Gestalt unabänderlich, Tag für Tag, in ein schwarzes Kleid gehüllt, mit einer schmalen, weißen Halskrause, die immer noch vollen, dunkeln Haare unter einem kleinen, blendend weißen Spitzenhäubchen zusammengefaßt.

Unter den mancherlei Raritäten ihres zierlichen Hauswesens, die unsere kindliche Neugierde beschäftigten, befand sich vor Allem eine ausgestopfte Katze, die in schlafender Stellung zusammengeringelt auf einem schwarzen Kissen lag, das von einem halbrunden Wandtischchen ihres Besuchzimmers getragen wurde. Das prächtig aschgrau und schwarz gestreifte Thier sah in seiner künstlichen Unsterblichkeit so täuschend natürlich aus, daß man meinte, dasselbe müsse bei jeder Annäherung plötzlich den Kopf emporheben und von seinem Lager herunterspringen. Kein Stäubchen auf den feinen, weichen Haaren, oder den vorgestreckten, weißen Vorderpfötchen, auf denen der Kopf lag, verrieth, daß hier nur eine seltsame Mumie aufbewahrt werde. Durch die schlafgeschlossenen Augenlider war auch der widrig grelle Glanz des Blickes, der sonst an solchen Bildungen zu stören pflegt, glücklich vermieden. Zur Sommerszeit war das todte Thier gewöhnlich mit einer großen Glasglocke überwölbt und auch sonst wurden wir immer nur mit dem bestimmtesten Versprechen, die Schläferin durch keine Berührung aufwecken zu wollen, in das grüne Zimmer gelassen. Manchmal auch, wenn wir recht artig baten, hob uns die Tante einen kleinen, schwarzen Vorhang weg, der über der stillen Katze an der Wand hing. Dann kam ein bärtiger, schöner Soldat in rother Uniform zum Vorschein. Das sei der Onkel, der, schon lange gestorben, von bösen Menschen erschossen worden sei, sagte uns die Tante. Die Mutter aber befahl uns öfter, die Tante nicht zu plagen, den schwarzen Vorhang wegzuziehen. Später, als wir etwas verständiger geworden, unterließen wir dies auch ohne Befehl, da wir bemerkten, daß die gute Tante darnach allemal stiller und traurig wurde.

Erst viele Jahre später, als ich mich bereits auf der Hochschule befand, nachdem die gute Tante ihre stille Gartenwohnung schon für immer mit einer noch stillern vertauscht hatte, erfuhr ich Sinn und Beziehung dieser Gegenstände, die einst meine kindische Neugier beschäftigt und ergötzt hatten. Die einfache Geschichte läßt sich in schlichten Worten nacherzählen.

Salome war eine frisch und stolz aufgeblühte Schönheit, als mein Onkel, ein älterer Bruder meines Vaters, aus holländischen Diensten in die Heimath zurückkehrte. Sie war die Tochter eines nicht sehr vermöglichen Mannes, der ganz in der Nähe auf einem bescheidenen Gute lebte. Mein Onkel, der noch fast als Knabe die Heimath verlassen, war bei seiner Rückkehr schon etwas über die ersten Mannsjahre hinaus, dabei aber eine stattlich imponirende Persönlichkeit. Er hatte sich in der Fremde weite Weltkenntnisse und ein gesichertes, hübsches Einkommen erworben und sehnte sich jetzt, von früher Jugend allem Familienleben entrissen, ein stilles Nestchen zu bauen, wie er sagte. Er kaufte das Haus, das die Tante später bewohnte, und begann nach einer Gefährtin, die ihm die Einsamkeit beleben sollte, sich umzusehen. Dabei mag er, wie seine Verhältnisse und sein gereifter Charakter, hinter dem die Stürme jugendlicher Leidenschaften sich bereits gelegt hatten, nicht mit allzuschwärmerischen Ansichten und Forderungen aufgetreten sein. Er wünschte, der glückliche Vater gesunder und glücklicher Kinder zu werden und suchte eine Gattin, die ein solches Glück zu versprechen schien. Die in jugendlicher Kraft und Schönheit blühende Salome konnte seinem Blicke nicht lange entgehen und kaum nach Verfluß eines halben Jahres führte er dieselbe beglückt und beglückend zum Altare.

Trotz dieses raschen Verlaufes mangelte dem neuen Bunde keineswegs die Weihe eines tiefern Zusammenhanges der Gemüther. Onkel David hatte mit seinem königlichen Namensvetter im alten Testamente nicht nur den ritterlichen Muth gemeinsam, sondern auch ein schönes Erbtheil reicher Gefühle und zarter Sinnigkeit, die sich unter dem Treiben des Lebens in der Fremde nicht verloren hatten. Die Zeit, wo diese lang im Verborgenen aufgespeicherten Schätze an's Licht treten konnten, war nun gekommen, und über das schöne, junge Weib ergoß sich eine Fülle liebreicher Aufmerksamkeit und herzlicher, hoffnungsfroher Zuneigung. Salome, in deren ganzem Wesen ein gewisser Stolz sich nicht verläugnen ließ, empfand vielleicht anfänglich durch die Huldigung des Mannes, der in den engbürgerlichen Verhältnissen des Städtchens durch seine ganze Persönlichkeit und Schicksale bedeutend hervortrat, mehr den Reiz befriedigter Eitelkeit als das Glück, das die Aussicht auf ein friedlich stilles Zusammenleben zu bieten vermag; aber unvermerkt und leise wußte die Ueberlegenheit des guten und gereiften Mannes sich all' ihres Empfindens und Denkens so völlig zu bemächtigen, daß sie bald mit der vollen Gewalt einer leidenschaftlichen Liebe an ihm hing. Sie theilte seine Wünsche und Hoffnungen mit der ganzen Innigkeit einer jungen Frau, die sich ihres schönen Berufes bewußt ist.

Ein Jahr, zwei Jahre vergingen, ohne daß sich eine Aussicht auf Erfüllung der zärtlichsten dieser Hoffnungen zeigte. Dies vermochte jedoch noch keinen Schatten in die heitern Tage der Gatten zu werfen. Die mannigfaltige Beschäftigung einer behaglichen Einrichtung, Veränderungen und Erweiterungen in Haus und Garten boten wechselnde Beschäftigung und ließen noch keinen heimlich verstimmenden Betrachtungen Raum; dabei schwebte Salome's stets reizender sich entfaltende Schönheit wie ein hoffnungsvolles Morgenroth über einem neuen, ersehnten Tage.

Sie hatte sich mit besonderer Vorliebe auf die Blumenpflege gelegt, zu welcher der weite und sonnig gelegene Garten trefflich geeignet war; der Onkel wußte dabei durch seine Verbindungen in Holland mit unermüdlicher Gefälligkeit behülflich zu sein und bald schmückte sich der Garten mit Blumen, die in der weiten Umgegend selten oder noch gänzlich unbekannt waren. Ein recht ungeschickter Gärtner aber war die große Dogge, die der Onkel als langjährige, treue Begleiterin aus der Fremde mitgebracht hatte. Es konnte nicht verhindert werden, daß das großpfotige Thier hie und da in die Blumenbeete tappte und mancherlei Verheerung anrichtete. Ein kaum leise geäußerter Wunsch Salome's, und das alte treue Thier wurde ohne Zögern fortgebracht. »Es ist auch sonst gut,« sagte der Onkel, »der Sultan konnte sich, so lieb und treu er mir war, zu meinem Verdrusse nie mit Kindern vertragen und da …« Salome durchschnitt die Weiterrede des gefälligen Mannes mit dankbaren Küssen.

Die Dogge hätte indessen der gerügten, schlimmen Eigenschaft wegen wohl noch ihre alten Tage bei ihrem Herrn verleben können. Es vergingen wieder zwei, drei Jahre, und die stille Wohnung wurde noch immer durch keinen frohen Kinderlärm belebt. Sie wurde vielmehr stiller von Jahr zu Jahr, und Salome mußte manchmal bereuen, daß sie zu der Entfernung des Hundes, mit dem ihr Mann früher manche Stunde heiter verplaudert und vertändelt hatte, Anlaß gegeben. Ueber den Onkel kam seitdem, immer häufiger wiederkehrend, ein stilles Sinnen, aus dem er oft, wie plötzlich aufwachend, nach seinem Sultan rief, oder wenn er aus dem Hause trat, pfiff er den Ruf, mit dem er früher den alten Begleiter gelockt hatte. Salome wollte ihm bisweilen einreden, sich einen andern Hund anzuschaffen. »Nein, nein,« gab der Onkel lächelnd zur Antwort, »so einen braven Kerl, wie der alte Sultan, gibt's doch nicht mehr; laß nur, das wird sich schon geben.« Es wollte sich aber nicht geben, und ein bedrückender Geist der Schweigsamkeit schien sein Hausrecht immer weiter ausdehnen zu wollen bei den einsamen Eheleuten. Der Onkel konnte lange ohne ein Wort zu sprechen an dem Fenster stehen. Er schaute träumend und sinnend hinaus auf den Garten. Da wogte blühend und duftend ein weiter, wechselnder Blumenflor. Das quoll und keimte, blühte und welkte, und über der sinkenden Tulpe schaukelte, vom leisen Lufthauche bewegt, eine frischaufbrechende Rosenknospe. Drüben von der Straße aber schauten durch das eiserne Gitterthor große, neugierige Kinderaugen auf die stille, verschlossene Herrlichkeit herein. Der Onkel fuhr langsam mit der Hand über die Stirn und wandte sich ab. Er hatte erst jetzt gehört, daß Salome, die am andern Ende des Zimmers saß, ihn leise angerufen. Sogleich aufstehend ging sie ihm entgegen und schloß ihn heftig, aber lautlos in die Arme. Die Gatten nahmen sich bei der Hand und gingen in den weiten, stillen Garten hinaus.

Diese einbrechenden, stillen Stunden sind für zwei Menschen, die zusammengehören, gar oft verhängnißvolle Erscheinungen. Ueber stillen Gründen schwebt es zuerst wie ein leichter, kaum sichtbarer Hauch. Es bewegt sich, vom leisesten Lüftchen bewegt, auf und nieder, und über der Bewegung wird der Hauch zum bläulichen Rauche, der sich dehnt und zusammenzieht, und ehe wir's versehen, wallt der graue Nebel das Thal herauf. Er zieht, durch sich selbst getrieben, hinüber an das Gebirge, steigt mächtigen Schrittes die Felsenwände herauf und bald schwingt er sich vom höchsten Gipfel als drohende Wolke über das Land hinaus. Ob diese als milder Regen oder zerstörendes Gewitter herniederfahren wird? – Vielleicht auch wandelt die Wolke weiter und läßt den blauen Himmel wieder über dem Thale schimmern.

Es wurde den still durch den stillen Garten hinwandelnden Gatten zu enge zwischen den hohen Mauern. Sie traten durch das Gitterthor auf die Straße und gingen hinaus nach dem väterlichen Hause Salome's.

Vor demselben schoß den Ankommenden der zottige Hofhund entgegen, der, von der Kette losgekommen, eine junge Katze verfolgte. Das gehetzte Thierchen schlang sich in leichten Windungen wie ein schlanker Blitz über den Platz weg und schwang sich auf der andern Seite an einem Baume empor. Während der ungeschlachte Verfolger in unmächtigem Zorne an dem Stamme aufsprang, setzte sich die Katze in ihrem Giebelaste in der zierlichsten Weise, wie ein aufwartendes Hündchen, auf die Hinterfüßchen, als ob sie dadurch den feindlichen Hausgenossen verspotten wolle. Onkel David brach über dies possirliche Spiel in ein helles Gelächter aus – etwas das ihm gewiß schon seit Langem nicht mehr begegnet war. Er verscheuchte den immer wüthender bellenden Hund und sogleich kam das Kätzchen ganz zutraulich vom Baume herunter, mit zierlicher Dankbarkeit um die Füße seines Befreiers herumschmeichelnd. »Das nehmen wir mit heim,« rief der Onkel, das Thierchen aufhebend; »siehst du, wie prächtig grau und schwarz gestreift, und die vier weißen Füßchen, und die herrlichen, großen, klugen Augen! Siehst du, wie sie dich freundlich anguckt?« – »Nun ja,« lächelte Salome über die plötzlich vergnügte Fröhlichkeit ihres Gatten; »bei uns daheim ist schon Platz und von Hunden wird der kleine Schelm auch nicht geplagt.« – »Nein, von Hunden schon lange nicht mehr … überhaupt von gar Niemandem geplagt.«

Salome hatte allen Grund, mit dem neuen, kleinen Hausgenossen zufrieden zu sein. Es war als ob der unheimliche Geist, der in dem Hause zu walten angefangen, plötzlich gewichen wäre. Der Onkel besaß ein feines Auge und einen gemüthlich empfänglichen Sinn für die charakteristischen Eigenthümlichkeiten der Thiere. Das Kätzchen wußte sich so possirlich und anhänglich zu betragen, daß er oft in ein herzliches Gelächter ausbrechen mußte. Er konnte ganze Stunden vertändeln oder beobachten und schien darüber sein stilles Brüten gänzlich zu vergessen. Ging er aus, so begleitete ihn Mizchen mit schmeichelnden Sprüngen bis an das Gartenthor; kam er zurück, so hatte es schon lange geduldig vor dem Hause gewartet und sprang ihm mit großem Geschrei entgegen, und saß er in der Stube, setzte sich das kluge Thier in zierlicher Stellung vor ihn hin, als ob es seine Befehle erwarte.

Salome hatte, wie gesagt, anfänglich ihre innige Freude an diesem heitern Spiele; aber nach und nach begann sich in dieses Vergnügen ein nicht abzuwehrender Verdruß zu schleichen. Mizchen that, je anhänglicher es sich an den Onkel zeigte, gegen sie oft ungebärdig und wild; sie mochte schmeicheln und streicheln, das half Alles nichts. Mizchen war eben, wie alle geselligeren Geschöpfe seines Geschlechtes, eifersüchtig. Die Beobachtung gereichte dem Onkel oft zu großem Vergnügen, daß sich sein Liebling, sobald er mit seiner Gattin freundlich that, selbst von ihm abwandte und wie in gerechter Kränkung, mürrisch in eine Ecke schlich. – »Siehst du, Liebe,« scherzte der Onkel, »nun magst du dich in Acht nehmen, auch das standhafteste Herz läuft Gefahr, wenn es von zwei verschiedenen Seiten bestürmt wird.« – Salome mußte sich selbst schelten, daß sie über einen solchen Scherz empfindlich wurde, und doch – so ist einmal das wunderliche Menschenherz! hat eine leise, kaum geahnte Seelenregung nur erst im Worte einen bestimmten Ausdruck gefunden, so schlingt sie sich schnell erstarkend an demselben empor wie die Schlingpflanze an dem gefundenen Stabe. Salome wollte zuerst lächeln über diese Entdeckung; aber wenn ihr Gatte stundenlang mit dem Thierchen spielte und tändelte, und sie, wie es ihr vorkam, unbeachtet und fast zurückgesetzt daneben saß, sprach es unwillkürlich in ihr: ich und die Katze! – Sie mochte sich sträuben und sich selbst verspotten, die Empfindung wuchs und gewann festen Boden in ihrem Herzen, so daß sie hinausgehen mußte, um ihre Thränen zu verbergen.

Der Onkel fand sie mit verweinten Augen in der Gartenlaube sitzend. Die Katze war ihm in ihrer Gewohnheit nachgegangen, mit vergnüglichem Buckeln um seine Füße streichelnd. »Was hast du,« fragte er besorgt; »was fehlt dir, meine Liebe?« Salome stand auf und legte den Arm um seinen Hals. »Ich bitte dich,« sprach sie leise, aber hastig, »schaffe mir die Katze fort.« Der Onkel trat erstaunt zurück, während das Thierchen mit seinen Vorderpfötchen an ihm emporstand. »Die Katze fortschaffen, sagst du schon wieder … was thut denn die dir zu leid?« Der eigene Ton, mit dem diese Worte gesprochen wurden, schnitt Salome tief in's Herz. »Ich« – erwiderte sie stockend – »ich kann sie nicht mehr sehen.« – »Du kannst nicht sehen, was mir einige Zerstreuung gewährt,« sagte der Onkel langsam; »das Eine nicht, das Andere nicht und das Dritte …« er brach ab und trat aus der Laube. »Nein wahrhaftig, ich bin zu alt für solche Weiberlaunen,« rief er noch von draußen zurück. Er ging den Garten hinab der Aare zu; die Katze in frohen Sprüngen neben ihm her.

Salome mußte sich auf die Bank zurücklehnen. Ein heftiges Zittern bebte durch ihren ganzen Körper und die eben noch bleichen Wangen flammten in plötzlicher Purpurgluth. Als sie nach geraumer Weile die Laube verließ, preßte sie mühsam hervor: »Ich und die Katze – die Katze und ich – wir wollen sehen.«

Salome sah wirklich zu – sie sagte nichts mehr, obwohl sie zu bemerken glaubte, daß ihr Mann in den nächsten Tagen sich noch viel angelegentlicher mit seinem Lieblinge beschäftigte. Das war wohl auch wirklich der Fall. Salome konnte die Gereiztheit ihrer verletzten Gefühle, zu der sich immer lauter der beleidigte Stolz gesellte, hinter ihrer kalten Schweigsamkeit nicht verbergen. Der Onkel trotzte dagegen; er fand das Benehmen seiner Gattin ungefällig, fast herzlos. Er wollte eben deshalb seine Rechte wahren und eine, wie es ihm schien, so unschuldige und vergnügliche Angewöhnung nicht einer kindischen, mißgünstigen Laune opfern. Hätte er in diesem Augenblicke den ganzen Schmerz in der Seele seiner sich auf die schlimmste Art gekränkt und gehöhnt fühlenden Gattin zu lesen vermocht, er würde sicherlich anders gehandelt haben. Aber das eben ist die verhängnißvolle Macht der menschlichen Kurzsichtigkeit. Wir glauben mit den einzelnen Vorgängen, aus denen sich das entscheidende Lebensgeschick zusammenspinnt, noch spielen und sie nach Belieben lenken zu können, während wir schon lange deren eigener Spielball geworden.

Der Onkel schickte sich zu einem Ausgange an, ohne seiner Gattin, die ebenfalls, ohne eine Frage an ihn zu richten, stumm bei ihrer Arbeit saß, ein einziges Wort zu sagen. Sie sah mit zornbleichem Gesichte nach, wie er mit der Katze, die ihm bis an's Gartenthor nachsprang, tändelte, und dort noch lange ihr allerlei Schmeichelworte zu sagen schien. Als er nach geraumer Weile zurückkehrte, sah er sich ringsum, die Katze war längs der Vorderseite des Hauses, wo sie sich sonst während seiner Abwesenheit aufzuhalten pflegte, nirgends sichtbar. Er ging um das Haus herum und bemerkte am andern Ende des Gartens einen Gärtnerburschen, der bei seinem Anblick eilig auf die dort befindliche Mauerthüre zuschritt. Die Thüre war geschlossen, der Bursche konnte nicht hinaus; er sah sich scheu um und warf rasch einen unter seiner Blouse verborgen gehaltenen Gegenstand über die Hecke. Der Onkel ging auf ihn zu. »Was hast du da,« fragte er, sich über die Hecke beugend. Der Bursche gab verwirrt und stotternd zur Antwort: »Die Frau hat mir's befohlen, Herr.«

Der Onkel lehnte sich mit ganzem Leibe hinüber und hob seine Katze auf. Sie war erwürgt. Er faßte sie bei den noch warmen Vorderpfötchen und ging langsam nach dem Hause hinüber. Auf der Flur trat ihm seine Gattin entgegen. »Hast du das befohlen?« fragte er, das todte Thier emporhebend. Salome vermochte keine Antwort zu geben; ihre Zunge war von einem lähmenden Schreck gebunden. Sie hatte sich auf einen Zornausbruch gefaßt gemacht, und ihr Mann stand in eisig kalter Ruhe vor ihr. »Hast du das befohlen?« fragte er nochmals langsam. Salome nickte: ja.

Der Onkel legte das todte Thier schweigend auf ein Fenstergesims und ging auf sein Zimmer, das er hinter sich abschloß. Salome war von einer drückenden Angst beklommen; sie wagte nicht, ihren Mann zum Mittagessen rufen zu lassen. Gegen Abend sah sie ihn ausgehen und bald darauf wieder mit einem ihr wohlbekannten Herrn aus der Stadt zurückkehren. Die Männer blieben bis nach eingebrochener Nacht eingeschlossen, dann ging der Fremde fort und der Onkel kam ungerufen zum Abendbrode. Er schien nachdenklich, aber ruhig, und sprach über gleichgültige Dinge einige freundliche Worte. Salome wagte nicht, an den Vorfall zu erinnern. Bald reichte er ihr die Hand und ging wieder auf sein Zimmer.

Salome konnte keinen Schlaf finden. Diese scheinbare Ruhe ihres Mannes lag als ein unheilverkündendes Bangniß auf ihrer Seele; erst lange nach Mitternacht kam ein unruhiger Schlummer mit beängstigenden Traumbildern über sie. Bei Tagesanbruch stand sie mit dem Entschlusse auf, ihrem Manne die ausgestandene Seelenqual ihrer krankhaften Eifersucht zu schildern und ihn reuevoll um Verzeihung ihres Begehens zu bitten. Sie klopfte schüchtern an seine Thüre; keine Antwort. Sie drückte auf die Klinke; die Thüre ging auf, aber das Zimmer war leer und das Bett stand unberührt. Auf dem Tische lag ein großes, verschlossenes Schreiben, an Salome überschrieben. Als die Magd später ihre Gebieterin suchte, fand sie dieselbe bewußtlos neben einem Stuhle zusammengesunken.

Das Schreiben enthielt eine amtlich besiegelte Abtretungsurkunde des Hauses und Gartens an Salome, mit einem kurzen Lebewohl und dem Wunsche Onkel Davids, daß man sich keine unnöthige Mühe geben möge, ihn von seinem gefaßten Entschlusse abzubringen. Gleichwohl reiste ihm Salome's Vater nach Holland nach; aber vergeblich. Er brachte blos die Nachricht zurück, sein Tochtermann habe sich nach den indischen Besitzungen der Holländer eingeschifft.

Nach kaum anderthalb Jahren gelangte der Todtenschein des Verschwundenen in die Heimath. Er hatte in einem Gefechte mit den Eingeborenen auf der Insel Borneo den wohl gesuchten Tod gefunden.

Tante Salome hat das damals angezogene Trauerkleid nie mehr abgelegt. Sie lebte noch etwa zwanzig Jahre, wie wir sie im Eingange der Erzählung gesehen, die verhängnißvolle Katze als stetes Wahrzeichen der Schuld und Sühne aufbewahrend.


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