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Zehntes Capitel.

Thiodolf hatte seine Kriegsobersten zusammen berufen, um zu entscheiden, wem unter ihnen der Preis dieses Tages gebühre. Da waren die Stimmen bald einig, denn Jedermann hatte den kühn entscheidenden Angriff des Kämmerlings Michael Androgenes gesehen, Niemand den vor her mit Thiodolf gehaltnen Zweysprach vernommen. Selbst einige Wäringerhauptleute drängten sich um ihn, und suchten durch Lobreden und Freundschaftsbezeugungen das Unrecht, welches sie ihm in früherer Verkennung angethan, wieder gut zu machen. Der allgemeinen Stimme folgend, rief der Heerführer den Kämmerling zu sich heran, und hing ihm eines der Ehrenzeichen, welche der Kaiser für ausgezeichnete Krieger mitgegeben hatte, um den Nacken. Indem sich der Geehrte neigte, den Preis zu empfangen, glühte doch sein Angesicht in Beschämung hell auf, aber Thiodolf sagte ihm ins Ohr:

»Schämt Euch nicht, Androgenes; Ihr habt Euch ermannt, und die Ehre vorangestellt. Alles andre ist ab und todt!« –

Und mit lauter Stimme setzte er hinzu:

»Glück auf von ganzem Herzen, mein wackrer Kriegsgenosse!« –

Philippos, der mit leichtberittnen Geschwadern in den Föhrenwald hinein gestreift war, um der Feinde Stellung zu erkunden, kam jetzt eben zurück, und berichtete wunderliche Dinge. Er hatte unter den Bulgaren, die sich bestrebten, durch Fällen der Bäume und Aufgraben der Hohlwege alles Durchdringen unmöglich zu machen, wunderliche Gestalten gesehen, in langen, weit hinflatternden Priesterkleidern, aber drüber mit schweren Cürassen gegürtet, hochgeschmückte Helme tragend, und überhaupt in lauter solchen Waffen, wie sie auf den Denkmalen der uralten Hellenen gebildet waren. –

»Es ist,« schloß er seinen Bericht, »als wären unsere Väter zürnend gegen uns selbst aufgestiegen, oder vielmehr, als hätte ein böslicher Zauberer sie hervorgerufen, und sie zugleich in häßliche Bulgarenleiber gebannt, ihnen nichts von der alten Herrlichkeit lassend, als ihre Rüstungen.«

Die Gefangnen, hierüber befragt, erwiederten:

»Du arm verlornes Christenvolk, das sind ja unsere Priester. Die tragen Waffen, aus den Zaubergräbern der Vorwelt heraufgewühlt, und kommen nicht sowohl, zu fechten in ihrem feyerlichen Harnischprunk, als vielmehr zu schlachten, was im Kriegsgetümmel schon den finstern Gottheiten verfallen ist, wie dieses Euer verunglücktes Heer!«

Dazu sangen und sprangen sie; aber Thiodolf sagte:

»Welche die oberste Gottheit ist, – ich hab' es noch immer nicht zu erkunden vermocht in meinem armen Herzen. Aber soviel weiß ich doch gewiß, sie thut sich auf diese Weise nicht kund, also vorwärts gegen die häßlichen Gaukler! Wenn wir das Schlechte zerstört haben, werden wir viele leicht gewürdigt, das Rechte zu erfahren.«

Er ließ die Heerhörner blasen, und in eines thauigen Herbstmorgens Frische rückte das Heer gegen die furchtbaren Schatten des Föhrenwaldes an, jedwede Schar wohl unterrichtet, auf wessen Rufen und Hornes klang sie zu hören habe, um beständig mit dem Willen des Feldherrn und den Bewegungen des Ganzen eins zu seyn.

In dem tief verworrenen Waldesdickicht mußte das Fußvolk Bahn machen, ehe die Reiter nur irgend vordringen konnten; ja, es gab Stellen, an welchen Mann und Roß sich trennen mußten, um weiter zu kommen. Wo nun die Pferde ihren Rittern durch sorgfältige Pflege und ernste Zucht gehorsam dienten, wie in der Wäringer Schar, kamen sie ihnen wohl von selbst nach; die andern aber prellten scheu aus dem von Waffen durchklirrten, von mannigfachem Feldruf durchtosten Forste zurück, und verwandelten Reiter in Fußknechte.

Auch Thiodolf hatte schon unterschiedliche Verhaue und Umwallungen an der Spitze seiner Wäringer zu Fuß erstürmt, denn hier galt es, vordringen, oder geschlagen werden, ohne daß des Feldherrn Auge in den immer dichtern Irrgängen gehörig zu herrschen vermocht hätte; nur durch das Blasen der Hörner, durch die Stimmen der Kriegsobersten und Hauptleute, konnte er vernehmen, was da und dorten geschah, und seine Befehle dagegen versenden; Philippos hielt sich mit den drey Lanzen dicht an seiner Seite, der treue Araberhengst arbeitete sich unverdrossen nach.

Bald war der leichte Falkenspeer aus des Heerführers Hand verflogen, einen bulgarischen Kriegsmann, der sichtlich bestimmt war, mit Bothschaft nach einem andern Flügel hinüberzueilen, in sein Blut stürzend; die daraus entstehende Verwirrung zeigte, wie wichtig dessen Fall gewesen war. Siegrufend drangen die Griechenscharen vor.

Da funkelte es zwischen den Blättern, wie goldne Harnischpracht. Plötzlich aus Höhlen herauf steigend zeigte sich die Schar der mit alten Hellenenwaffen übergürteten Priester, scheusliche Hymnen anstimmend, und Mann und Roß erschreckend. Grade vor Thiodolf hin trat der Furchtbarste von ihnen, aus seiner Helmespracht ein wuthverzerrtes Antlitz vorstreckend, das allzuhäßlich gegen die edle Form der Bewaffnung abstach, um nicht einen Schauder durch des Heerführers Gebein zu gießen. Dazu sagte der Götzendiener, ein großes Opfermesser schwingend:

»Haltet ruhig; Kindlein. Hier ist der Oberpriester! Halt ruhig! Bist gebannt! Hübsch geduldig nur! Dann thut's nicht weh!« –

Und fast hatte er die furchtbare Schneide an seines Gegners Augen gesetzt, – denn es war in der That, als liege in seinen Worten etwas Lähmendes und Behexendes, – da ermannte sich Thiodolf noch zur rechten Zeit, riß zurückspringend die Bärenlanze aus Philippos Hand, und schleuderte sie gerade auf seines scheuslichen Widersachers Herz, und durch krachte sie durch Schild und Panzer; heulend im Todeskrampf sank der Götzenpfaff zu Boden, heulend flohen seine Genossen durch den Wald. Es war aber, als gehe eine hellere Sonne auf, und schauten die Bäume fröhlicher drein, und Thiodolf nahm den Königsspeer aus seines Waffenträgers Hand, sprechend:

»Siehe Philippos, nun hab ich gerade dies herrliche Gewaffen noch. Was gilt's, das ist dem Wladimir bestimmt, zur Todesrache unseres herrlichen Wäringerfürsten?«

Es kam anders, als er gemeint hatte. Denn plötzlich rollte sich unfern von ihm ein wildes Gewimmel durch das Gebüsch; an vielen Stricken schleiften Bulgaren einen Reiter und sein Roß, die Beyde in ihre Schlingen gestürzt waren, jubilirend mit sich fort, und Philippos rief:

»Bei Gott, da haben sie den alten, schweigenden Reitersmann!« –

»Können sie auch Geister fangen?« murmelte Thiodolf in sich hinein, aber gleich schwang er den Königsspeer zum Wurf, durchborte damit den Anführer der wilden Schar, und zwar so gewaltig, daß die Spitze, durch dessen Hals fahrend, noch in dem Arm des Nächsten haftend, Beyde miteinander zu Boden riß. Wie nun die Seile aus deren Händen fielen, löste sich die künstliche Verschlingung; das dunkle Roß hub sich furchtbar hauend empor, der alte Reitersmann konnte zwar noch nicht wieder auf, aber seine Klinge schwirrte doch kräftig umher, und traf zwey seiner nächsten Feinde. Indem auch sprangen Thiodolf und Philippos freudig in den Kampf, und kaum hatte Rottenbeißer einigemahl auf und nieder geblitzt, da war die wilde Schar auch schon auseinandergesprengt.

Thiodolf richtete den greisen Geharnischten in die Höhe, schaudernd, vielleicht unter der erznen Hülle das irre Gebein eines gespenstigen Leichnams zu heben, und Philippos bestrebte sich derweile, den Königsspeer aus den Wunden der zwey Gefällten zu lösen. Aber traurig nach dem Heerführer umgewandt, sagte er:

»Ach Meister, die edle Waffe ist gebrochen vor dem Sturz, in den sie die beyden Feinde niederriß.« –

»O,« seufzte Thiodolf, »und gab sie mir doch der große Helmfrid zu der schönsten That meines Kriegerlebens! Und Wladimir lebt, und ist frey!« –

»Thor!« – murmelte es aus dem Helmsturze des Greisen, der indeß wieder auf sein Roß gestiegen war, – »Thor! Und weißt du denn, was die schönste That deines Kriegerlebens war?« –

Und das mit spornte er sein Pferd nach einer lichtern Stelle des Waldes vor, plötzlich aus den Augen des staunenden Heerführers und seines Waffenträgers verschwindend.

»Was wollen mir die wirren Gedanken?« rief Thiodolf, und warf sich auf sein Roß, denn minder dicht bewachsen zog sich hier der Forst eine sanfte Höhe hinan, die gegen die Wladimirsburg hin zu führen schien. Er sprengte, in's Horn blasend, hinauf; Jeglicher, der sein Pferd noch bey sich hatte, ihm nach, und so ordnete er schnell am Ausgange der Waldung eine Reiterschar, hinreichend, reichend, den Aufmarsch der Unberittnen und Fußknechte, wie sie in zerstreuten Haufen durch das Gebüsch hervorbrachen, zu decken. Seinen Philippos, den der treue Gelbe auch nicht verlassen hatte, sandte er, das Aufstellen jener Kriegsleute zu beschleunigen, denn geschlagen flohen die Bulgaren über das Feld, und er durfte hoffen, durch einen schnellen Anfall des Fußvolks die Eroberung der Wladimirsburg sogleich ins Werk zu richten.

Unweit vor ihm lag inmitten vieler Bollwerke und Gräben das wunderliche Gebäu; mit eigensinnig geschwung'nen Dächern ragten Thürme daraus empor, an der einen Seite der Burg dicht zusammengedrängt, wie nahstehende Häuser, während es auf der andern gänzlich daran fehlte. In eben solcher Willkürlichkeit waren grelle Farben über Wände und Zinnen hingestrichen, und flackerten bald aus einer Luke, bald von einem Dach bunte Fähnlein herunter.

»Da lob ich mir mein und Oheim Nesiolfs Gehöft auf Island,« sagte Thiodolf. »Dem sieht man es doch an, daß ernsthafte Männer daran gebaut haben in großer Einigkeit, und die immerdar wußten, was sie wollten.«

Ein bulgarischer Reiter sprengte aus einer entferntern Seitengegend des Waldes hervor, jagte gegen die Burg zu, blieb aber alsbald der Reiterschar gegenüber halten, nahete sich alsdann, und rief:

»Bist du nicht der große Thiodolf, du dorten mit dem goldnen Helm, die kühn geschwungnen Silberhörner drauf? Wenn du es bist, hervor. Wir wollen unsere Sache einzeln mitsammen ausmachen. Ich bin der Wladimir!«

Thiodolf erkannte den kühnen Feldherrn aus jener Nacht her, wo Helmfrid gefallen war, sprengte sein Roß freudig an, und sprach:

»Allen Asgardsgöttern sey Dank, nun gilt's.« –

Aber Wladimir rief, ihm entgegen sprengend: »Wlasta!« und noch fröhlicher zuckte es durch Thiodolfs Sinn, denn er rief mit aller Kraft seiner tönenden Stimme: »Isolde!«

Die beyden jungen Feldherrn tummelten sich eine Zeitlang hin und her; Wladimir schien einen Wurfspeer schleudern, oder einen Pfeil vom Bogen versenden zu wollen, und hielt sich daher, zwar immer trotzend, und neckend, in der Ferne. Thiodolf, der seine drey Helmfridspeere heute schon rühmlich gebraucht, und zum Theil verloren hatte, wollte dagegen bloß mit der herrlichen Klinge Rottenbeißer entscheiden, und wartete nur den ersten Wurf oder Schuß seines Gegners ab, um blitzesschnell auf ihn einzufahren, und das entscheidende Gefecht, Schwert an Schwert, zu beginnen.

Da flog ein Pfeil Wladimirs dicht an Thiodolfs Goldhelm hin, und fast eben so schnell flog Thiodolf gegen seinen Widersacher an. Aber eben nur das schien dieser gewünscht zu haben, denn er und sein Pferd standen lauernd, wie durch Zauber gebannt, still, und wie Thiodolf die Sporen zum entscheidendsten Rennen andrückte, fühlte er auch schon das Fangeseil über seinen Nacken geworfen, und sich davon gegen den Boden gerissen.

»Schändlicher, unritterlicher, verfluchter Fechter!« rief er noch aus, aber da lag er bereits, und sein Pferd prellte schnaubend und schäumend zurück.

Wladimir spornte sein Roß abwärts, und zog an der Schlinge, wie damals, als der greise Helmfrid am Boden lag. Aber Thiodolf hatte sein Schwert mit unversehener Rüstigkeit in den Rasen gestoßen, half sich daran empor, und zog nun seinerseits, die beerzten Fersen tief in die Erde wurzelnd, so gewaltig an der Schlinge, daß Wladimir, der sie dicht um eine Hand gewunden hatte, vom Rosse herab mußte, und an seinen Gegner heran. Da kniete Thiodolf ihm auf die Brust, und sagte zu einigen Wäringerreitern:

»Bindet mir den Burschen mit seinen eignen Stricken, denn er hat gefochten wie ein Buschklepper, nicht aber wie ein Held.«


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