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III.
Der Wucherer

Er war kein Jude, sondern leider ein Christ. Wenigstens versichert das Pfarrbuch der protestantischen Gemeinde M. ausdrücklich, daß er dort an einem schönen Tage des Jahres 1822 getauft worden sei. Sonst hat man allerdings aus seinem ganzen Leben nichts Christliches vernommen. Von Gestalt war er untersetzt und sehr breitschulterig, sein dicker Kopf mußte jedem auffallen. Der sah genau aus wie der eines Nußknackers, viereckig, breitknochig mit mächtigen Zähnen, gleich denen eines mächtigen Raubtiers. Kurze, wollige, graue Haare bedeckten den Schädel, buschige Augenbrauen lagerten weit vor, die Augen waren grau, lauernd, scharf und kalt, wie die einer wilden Katze.

Als ich ihn zum ersten Male in seiner Zelle besuchte, saß er auf dem Rande einer großen, mit Papier gefüllten Kiste und heulte. Eines andern Ausdrucks kann ich mich nicht bedienen, denn er würde nicht passen. Es war ein leidenschaftlicher Ausbruch von Zorn und Verzweiflung zugleich.

»Was schafft Ihr da, Würger« – so wollen wir ihn heißen – »was hat das zu bedeuten?« fragte ich erstaunt den alten Sünder.

»Ach Gott,« stöhnte er, »Herr Pfarrer, 's ist alles verloren, ich bin ein ruinierter Mann.«

Allmählich brachte ich heraus, was das harte Herz so sehr erregte. Seine Frau hatte ihm die große Kiste geschickt, weil kein Geschäftsmann in ihrer Gegend, auch der geriebenste nicht, aus diesen Schuldverschreibungen und schlechten Akten klar werden konnte. Sie schrieb ihm, niemand wolle ihm jetzt etwas schuldig sein, mehrere von den Schuldnern seien auch schon durchgebrannt, er möge diese Papiere selbst ordnen, das Ergebnis klar zusammenstellen und dem Geschäftsmann mit der Kiste wieder herausschicken.

Mit innerm Schaudern betrachtete ich die vielen kleinen Röllchen, die mit Fäden umwickelt in dem Kasten lagen. An allen klebte das Blut armer, ausgesogener Leute; von wie vielen Thränen hätten sie erzählen können! Wie viele Ausbrüche von Verzweiflung hatten sie in armen Hütten gesehen, bis endlich die Rache Gottes den Frevler erreichte und in einem Zuchthause ebenfalls der Verzweiflung preisgab. – Wahre Genugthuung empfand ich, als ich das Raubtier in Menschengestalt beschaute, das wimmernd zu meinen Füßen saß. Ja, ich glaube, ein Lächeln spielte um meine Lippen, als ich mir vorstellte, wie so manches Opfer des hinter eiserne Gitter gebrachten Peinigers jetzt fröhlich und leichtfertig übers Wasser nach Amerika hüpfte. Es mag das kein christliches Gefühl gewesen sein, aber ich konnte mich desselben einmal nicht erwehren.

»Also das ist Euer einziger Schmerz, Würger, den Ihr jetzt im Zuchthaus habt, daß draußen irgend ein armer Teufel Euch durchgehen könnte. Es ist doch traurig, wenn ein Mensch sein Herz so ganz ans Geld gehängt hat. Hättet Ihr in Eurem Leben kein einziges derartiges Geschäft gemacht, das wäre für Euch und die Eurigen besser gewesen.«

»Ei, was denken Sie, Herr Pfarrer? Ich sehe, Sie gehören auch zu denen, welche den Stab über mich brechen. Lauter ehrliche Geschäfte hab' ich gemacht, geholfen hab' ich, wo ich nur konnte, und das ist nun mein Lohn!« Dem Menschenfreunde strömten die Thränen reichlich aus den Augen. – »Glauben Sie,« fuhr er fort, »daß mich der Herr Direktor die Papiere ordnen läßt?«

»Warum nicht? Sonst hätte er sie Euch nicht übergeben. Ich würde sie kurzer Hand verbrennen, Würger.«

Er machte einen Luftsprung vor Schrecken. »Verbrennen? Warum nicht gar? Hab ich mich darum geschunden und gequält und mit schlechten Leuten abgegeben? Und denken Sie, Herr Pfarrer, was würden dann Weib und Kind anfangen?«

»Macht, was Ihr wollt, Würger, und was Ihr vor Gott verantworten könnt!« Damit verließ ich die Zelle.

Zur Kennzeichnung dieses Mannes will ich nur zwei Vorfälle aus seinem Leben erzählen. Seine Frau, die einer guten Familie entstammte, hatte früher einmal eine Scheidungsklage gegen ihn eingeleitet. Ihr Anwalt betonte vor Gericht, welch schlechter Mensch dieser Würger sei, daß seine Klientin aber von allen diesen Dingen vor der Heirat kein Wort erfahren habe. Nun kam der Anwalt des Würger zum Wort. Mit wahrer Entrüstung rief er in den Saal: »Was? Die Gegenpartei will nicht gewußt haben, was mein Klient für ein Mensch ist? Die Spatzen pfeifen es von den Dächern, daß es keinen schlechtern Kerl in der ganzen Pfalz giebt, als den Würger. Sie werden gewiß nicht annehmen, meine Herren Richter, daß die Frau des Würger die einzige Person war, die davon nichts erfahren hat.« – Richtig wurde die Frau auch mit der Scheidungsklage abgewiesen; Würger aber rieb sich bei Verkündigung des Urteils schmunzelnd die Hände, trat auf den Anwalt zu, schlug ihm auf die Schulter und sagte: »das mit dem schlechten Kerl haben Sie gut gemacht, sehr gut!«

Als Würger in Untersuchungshaft verbracht wurde, saß dort ein armer Gemeindeeinnehmer, dem ein Revisor unglücklicher Weise gerade an einem Tage in das Haus fiel, wo die Kasse nicht klappte. Er war sonst ein gutmütiger, ordentlicher Mann, wie der Pfälzer sich in solchen Fällen ausdrückt, aber er litt an einem unbezwinglichen Durst. Er konnte gar nicht bestehen, wenn er nicht täglich seine zwölf Schoppen Bier hinter die Binde goß. In die Haft brachte er etwas Geld, eine silberne Uhr und einen goldenen Trauring mit.

Das war ein Gegenstand für unsern Würger, der mit dem Unglücklichen die gleiche Zelle teilte.

Als das baare Geld vertrunken war, bekam der Einnehmer entsetzlichen Durst, der sich mehr und mehr steigerte, bis er zuletzt unerträglich wurde. Jetzt schlug für Würger, der ihn beobachtete, wie die Spinne ihr Opfer, die Stunde zum Handeln. Er machte ihm den Vorschlag, er wolle ihm die silberne Uhrkette abkaufen, und bot dafür ein wahres Spottgeld. Es gab ein Handeln und Feilschen, aber der Wucherer durchschaute seinen Mann und blieb unerbittlich. Mehrere Male rechnete er ihm vor, wie viel Schoppen Bier er sich für den Erlös kaufen könne. Jedesmal, so oft Würger den Namen Bier aussprach, seufzte der andere tief; immer verlockender stieg vor seinen Augen die Gestalt eines überschäumenden Seidels auf. Endlich streckte er die Waffen, der Handel wurde geschlossen, die Kette wanderte in die Hände Würgers, der sie nochmals in der Hand prüfend wog.

Die Tage schlichen dahin, die Untersuchung zog sich bei Beiden, wie gewöhnlich in solchen Fällen, ziemlich in die Länge. Der Erlös für die Uhrkette war vertrunken, wieder stellte sich schreckliche Ebbe bei dem durstigen Einnehmer ein. Nun begann der Kampf um die silberne Uhr. Der Handel dauerte etwas länger, der Widerstand war etwas hartnäckiger, aber Würger wußte, daß er Sieger bleiben werde. Und er blieb Sieger; eines schönen Tages, als die Hitze und der Durst nicht zu ertragen waren, wanderte die Uhr ebenfalls um einen Spottpreis in die Hände des Wucherers.

Wieder strichen die Tage dahin, und wieder nahm das Geld ein Ende. Nun gings an den goldenen Trauring! Den wollte der arme Einnehmer gewiß nicht hergeben, er schwur innerlich einen heiligen Eid, sich zu beherrschen und dies letzte, teure Kleinod nicht auszuliefern. Würger sagte einige Tage kein Wort, er schien auch die Qualen seines Zellengefährten nicht zu bemerken. Als das Seufzen und Stöhnen des Durstigen überhand nahm, erklärte er ihm, er könne das nicht mehr anhören, er wolle ihm helfen, aber nur gegen den goldnen Ring. Der Einnehmer bat, flehte kniefällig, er solle ihm das Geld leihen und den Ring blos in Versatz nehmen: Würger that, als hörte er gar nicht. Am andern Tage ließ er sich, was er nie gethan hatte, denn er war bedürfnislos, einen Schoppen Bier kommen, stellte ihn vor sich, schmatzte behaglich, so oft er trank, und leerte ihn vor den Augen seines Opfers so langsam, daß dieser fast verzweifelte. Am andern Tage wiederholte er dieses herzlose, teuflische Verfahren. Wie wahnsinnig riß sein Opfer den Trauring vom Finger und warf ihn vor die Füße des Wucherers, der ihn lächelnd einsteckte.

Ich denke, diese Schilderung wird genügen, um unsern Würger zu kennzeichnen. Ganz ähnlich verfuhr er mit seinen übrigen zahlreichen Opfern, die er auf's Stroh legte.

Im Zuchthaus benahm er sich kriechend und schleichend; er verstellte sich, so viel ihm dies möglich war. In der Kirche saß er stets mit gesenktem Haupte da, seine Gedanken beschäftigten sich augenscheinlich mit seinen Prozessen, mit dem Gold, dem einzigen Gotte, den er anbetete und vor dem er die Kniee beugte.

Seine Mitgefangenen behandelten ihn schlecht, sehr schlecht. Es war ihnen ein Wonnegefühl, den reichen Wucherer unter sich zu wissen, der so manchen armen Mann um den letzten Heller, und so manche arme Familie an den Bettelstab gebracht hatte. Sie hielten ihm des Sonntags das alles derb vor, kein Vorwurf blieb ihm erspart, er bekam manchen heimlichen Rippenstoß, manchmal haben sie des Nachts ihr Mütchen an ihm gekühlt, ohne daß er aus Furcht vor weiterer Züchtigung eine Silbe davon zu verlautbaren wagte.

Gegen Ende seiner Strafe kam er zu mir und kaufte sich eine Bibel. Ich wunderte mich anfangs sehr über diese Verschwendung des geizigen Mannes. Später wurde mir der Grund dieser Anschaffung klar. Ich bezog damals die Bibeln von einem Militärgeistlichen um einen billigern Preis und das hatte der Wucherer mit der Zeit herausgerechnet. Er konnte also die Bibel, wenn er sie gut hielt – das that er gewissenhaft – draußen mit Nutzen verkaufen.

Am Tage seiner Entlassung sah ich ihn nach der Eisenbahn eilen. Seine Bibel trug er sorgfältig eingewickelt unter dem Arme. Ich zweifle gar nicht, daß er damit später ein gewinnreiches Geschäft gemacht hat.


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