Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil VI
Henry Fielding

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29 Sechstes Kapitel.

Mad. Miller besucht Sophien.

Es war keineswegs schwer, Zutritt bei der jungen Dame zu erhalten, denn sie stand jetzt auf vollkommen freundschaftlichem Fuße mit ihrer Tante und konnte jeden Besuch nach Belieben annehmen.

Sophie kleidete sich eben an, als man ihr meldete, daß eine Frau sie zu sprechen wünsche. Da sie sich weder fürchtete noch schämte, eine Frau bei sich zu sehen, so erhielt Mad. Miller sogleich die Erlaubniß einzutreten.

Nachdem die Knixe und die gewöhnlichen Complimente zwischen Frauen, die einander noch nicht kennen, vorüber waren, sagte Sophie: »ich habe nicht das Vergnügen, Sie zu kennen, Madame.«

»Nein,« antwortete Mad. Miller, »und ich muß deshalb um Verzeihung bitten, daß ich Sie störe. Wenn Sie aber werden erfahren haben, was mich dazu veranlaßt, so hoffe ich . . .«

»Was wünschen Sie?« unterbrach sie Sophie einigermaßen verlegen.

»Wir sind nicht allein, mein Fräulein,« erwiederte Mad. Miller.

»Verlaß uns,« sagte Sophie sogleich zu ihrem Kammermädchen.

Nachdem dieses sich entfernt hatte, fuhr Mad. Miller fort: »ein sehr unglücklicher junger Mann bat mich, Ihnen diesen Brief zu übergeben.«

Sophie wechselte die Farbe als sie die Adresse sah, da sie die Handschrift recht wohl kannte, und sagte nach einigem Zögern: »nach Ihrem Aussehen konnte ich nicht erwarten, daß etwas der Art Sie zu mir führte. Ich werde 30 den Brief nicht erbrechen, von wem Sie ihn auch bringen mögen. Es würde mir leid thun, einen ungerechten Argwohn von irgend Jemand zu hegen, aber Sie sind mir durchaus unbekannt.«

»Wenn Sie einen Augenblick Geduld haben wollen,« antwortete Mad. Miller, »so will ich Ihnen sagen, wer ich bin und wie ich zu diesem Briefe gekommen.«

»Ich bin durchaus nicht begierig, etwas zu erfahren,« sprach Sophie, »und muß Sie dringend bitten, den Brief an diejenige Person zurückzugeben, von welcher Sie ihn erhalten haben.«

Mad. Miller fiel da auf ihre Knie und bat sie mit den rührendsten Worten um Mitleid, worauf Sophie entgegnete: »es überrascht mich, daß Sie sich so sehr für diese Person interessiren. Ich möchte nicht gern glauben, Madame . . .«

»Nein, Fräulein,« fiel Mad. Miller ein, »Sie werden nichts als die Wahrheit glauben. Ich will Ihnen Alles sagen und Sie werden sich dann nicht wundern, daß ich mich für den jungen Mann interessire. Er ist der beste Mensch, den ich kenne.« Sie erzählte darauf die Geschichte von Henderson und setzte hinzu: »das, mein Fräulein, ist seine Gutherzigkeit: aber ich bin ihm noch weit größern Dank schuldig. Er hat mir mein Kind erhalten.« Unter Thränen erzählte sie alles darauf Bezügliche, ließ nur die Umstände weg, welche ein schlimmes Licht auf ihre Tochter geworfen haben würden und schloß mit den Worten: »nun, mein Fräulein, werden Sie beurtheilen können, ob ich jemals genug thun kann für einen so freundlichen, so gütigen, so edeln jungen Mann, der gewiß der beste und ehrenwertheste aller Menschen ist.«

Die Veränderung in den Zügen Sophiens hatte bisher ihre Schönheit nicht erhöhet, dem Gesichte vielmehr eine zu 31 große Blässe gegeben; jetzt färbten sich ihre Wangen wieder röther als Zinnober und sie sprach: »ich weiß nicht, was ich sagen soll; was aus der Dankbarkeit hervorgeht, kann sicherlich nicht zu tadeln sein. Aber was kann es Ihrem Freunde nützen, daß ich den Brief lese, da ich entschlossen bin, niemals . . .« Mad. Miller wiederholte ihre Bitten und sagte, die Dame möge ihr verzeihen, aber sie könnte den Brief nicht wieder mit fortnehmen. »Nun wohl,« entgegnete Sophie, »ich kann es nicht hindern, wenn Sie mir ihn aufnöthigen. Sie können ihn gewiß liegen lassen, ich mag es wünschen oder nicht.« Was Sophie damit meinte und ob sie überhaupt etwas dabei dachte, will ich nicht zu ermitteln versuchen; Mad. Miller aber verstand den Wink, legte den Brief sogleich auf den Tisch und entfernte sich, nachdem sie um die Erlaubniß gebeten hatte, ihren Besuch wiederholen zu dürfen, was Sophie weder bewilligte noch abwies.

Der Brief blieb auf dem Tische nicht länger liegen, als bis Mad. Miller die Thüre hinter sich zugemacht hatte, denn dann nahm ihn Sophie, erbrach und las ihn.

Der Brief erwies der Sache des Schreibers keinen großen Dienst, denn er bestand fast nur in Geständnissen seiner Unwürdigkeit, in bittern Klagen der Verzweiflung, den feierlichsten Betheuerungen seiner unveränderlichen Treue gegen Sophien, von der er sie noch zu überzeugen hoffe, wenn er jemals wieder die Ehre habe sollte, vor ihr zu erscheinen, so wie in Versicherungen, daß er den Brief an Lady Bellaston so erklären könne, daß, wenn es ihm auch nicht ein Recht auf ihre Verzeihung gewähre, er doch hoffen dürfe, diese von ihr zu erhalten. Er schloß endlich mit der Betheuerung, daß ihm niemals etwas weniger in den Sinn gekommen sei, als Lady Bellaston zu heirathen.

Obgleich Sophie den Brief zweimal mit großer 32 Aufmerksamkeit durchlas, so blieb die Bedeutung desselben ihr doch ein Räthsel; auch vermochte sie nichts zu erdenken, was Jones wohl zu entschuldigen vermöge. Sie zürnte ihm deshalb fortwährend, wenn auch auf Lady Bellaston soviel von ihrem Unwillen und ihrem Hasse kam, daß sie für eine andere Person wenig übrig behielt.

Diese Dame sollte zum Unglück gerade diesen Tag bei der Tante Western speisen und Nachmittags wollten alle drei, einer Verabredung gemäß, in die Oper und später in eine Gesellschaft gehen. Sophie hätte dies gern abgelehnt, aber sie mochte ihre Tante nicht beleidigen und da sie die Kunst, Krankheit zu heucheln, gar nicht verstand, so dachte sie nicht einmal an dieses Auskunftsmittel. Nachdem sie angekleidet war, ging sie hinunter, entschlossen alle Schrecken des Tages zu erdulden, der sich allerdings als ein höchst unangenehmer erwieß, denn Lady Bellaston benutzte jede Gelegenheit, sie mit höchster Artigkeit und Schlauheit zu kränken.

Ein anderer übler Umstand, der die arme Sophie traf, war die Gesellschaft Lord Fellamors, den sie im Theater und dann in der Gesellschaft traf. Obgleich an beiden Orten nichts Besonderes vorkommen konnte, so kamen ihr doch am ersteren die Musik und am zweiten die Karten noch mehr zu Hilfe.

Die Gesellschaft, die wir hier bereits mehrmals erwähnt haben, hieß damals eine Trommel (a drum) und bestand aus einer Anzahl wohlgekleideter Personen beider Geschlechter, von denen die meisten Karten spielten, die andern aber gar nichts thaten, während die Frau vom Hause die Rolle einer Gastwirthin spielte und wie eine solche stolz auf die große Anzahl ihrer Gäste war, ob sie gleich von denselben keinen Vortheil hatte.

Sophie befand sich in dieser Gesellschaft sehr unbehaglich 33 und freute sich, als sie endlich in ihrem Bette lag, wo wir sie lassen wollen, wenn wir auch fürchten, daß sie keinen Schlaf findet. Wir setzen unterdeß unsere Geschichte fort, die, wie uns Etwas zuflüstert, an dem Vorabende eines großen Ereignisses angekommen ist.


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