Henry Fielding
Die Geschichte des Tom Jones / Theil I
Henry Fielding

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Siebentes Kapitel.

In welchem der Verfasser selbst auf der Bühne auftritt.

Obgleich Allworthy nicht geneigt war, die Dinge sogleich unter einem unvortheilhaften Lichte anzusehen und auf die öffentliche Stimme wenig achtete, die ja überhaupt selten zu einem Bruder oder einem Ehemanne dringt, ob 126 sie gleich in der ganzen Nachbarschaft laut genug spricht, so war doch diese Vorliebe der Mad. Blifil für Tom und der Vorzug, den sie ihm sichtbar vor ihrem eigenen Sohne gab, für denselben von dem größten Nachtheile.

Das Mitgefühl in Allworthy's Herz war von der Art, daß es nur von dem Schwerdte der Gerechtigkeit unterdrückt werden konnte. Unglücklich zu sein in irgend einer Hinsicht reichte hin, wenn nicht das schwerste Unrecht auf der andern Seite lag, die Waagschale des Mitleides des guten Mannes zum Sinken zu bringen und seine Freundschaft wie sein Wohlwollen zu erregen.

Als er also deutlich sah, daß der junge Blifil von seiner eigenen Mutter förmlich gehaßt wurde (was wirklich der Fall war), so fing er an, denselben mit mitleidigem Auge zu betrachten, und welche Wirkungen das Mitleid in gutmüthigen und wohlwollenden Herzen hat, brauche ich den meisten meiner Leser sicherlich nicht auseinander zu setzen.

Von dieser Zeit an sah er alles Gute an dem jungen Manne durch ein Vergrößerungsglas, die Fehler aber durch ein verkleinerndes, so daß sie kaum bemerkbar wurden. Dies mag sich durch die liebenswürdige Eigenschaft des Mitleides entschuldigen lassen; den nächsten Schritt aber kann nur die Schwäche der menschlichen Natur erklären; denn Allworthy bemerkte kaum den Vorzug, den Mad. Blifil dem Tom gab, als dieser arme junge Mensch, so unschuldig er auch war, in seiner Liebe zu sinken begann, wie er in der ihrigen stieg. Dies würde nun allerdings allein nie hingereicht haben, Jones aus seinem Herzen zu verbannen; es war demselben aber doch sehr nachtheilig und bereitete Allworthy's Gemüth zu den Eindrücken vor, welche später die gewaltigen Ereignisse hervorbrachten, die wir in dieser Geschichte werden kennen lernen und zu denen allerdings, wie sich nicht verschweigen läßt, der unglückliche 127 junge Mann durch seine eigene Unvorsichtigkeit und seinen Leichtsinn viel beitrug.

Wenn wir einige Beispiele dazu anführen, werden wir, sobald man uns richtig versteht, eine sehr nützliche Lehre jenen Jünglingen geben, die später diese Geschichte lesen, denn sie können darin finden, daß Herzensgüte und Offenheit, ob sie ihnen gleich im Herzen großen Genuß gewähren mögen, dennoch leider in der Welt keinen Vortheil bringen. Klugheit und Vorsicht bedarf auch selbst der beste Mensch. Sie sind gleichsam eine Schutzwache der Tugend, die ohne dieselbe nie sicher ist. Es reicht nicht hin, daß unsere Absichten, ja selbst unsere Handlungen an sich gut sind, wir müssen uns auch bestreben, daß sie so erscheinen. Möge unser Inneres noch so schön sein, man muß auch für eine gefällige Außenseite sorgen. Darauf muß man immer achten, weil sonst Bosheit und Neid nicht verabsäumen, sie so anzuschwärzen, daß selbst der Scharfsinn und die Gutmüthigkeit eines Allworthy nicht hindurchzublicken und die Schönheit darunter zu erkennen vermag. Meine jungen Leser, macht es Euch immer zum Grundsatze, daß kein Mensch so gut sein kann, daß er die Regeln der Klugheit darüber vernachlässigen dürfte, und daß selbst die Tugend nicht schön erscheint, wenn sie nicht auch äußerlich mit Bescheidenheit und Anstand geschmückt ist. Und diese Vorschrift, meine lieben Schüler, werdet Ihr, falls Ihr nur mit der gehörigen Aufmerksamkeit leset, durch Beispiele auf den folgenden Seiten hoffentlich genügend bestätiget finden.

Ich bitte um Entschuldigung für dieses mein kurzes Auftreten, gleichsam als Chor, auf der Bühne. Es geschieht wirklich um meinetwillen, damit, während ich die Klippen aufsuche, an denen Unschuld und Güte oftmals scheitern, man nicht etwa mich so mißverstehe, als empfehle ich meinen Lesern gerade die Mittel, die sie ins Verderben 128 führen. Dies mußte ich selbst erklären, da ich es keinem meiner Schauspieler in den Mund legen konnte.


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