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XVI.
Die Cause célèbre des Jesuiten Girard und der Demoiselle Cadière.

Wir haben eine der skandalösesten Geschichten, welche in das Gebiet unserer Materie fällt und welche durch die übrigen damit verknüpften empörenden Thatsachen dem Jesuitenorden in Frankreich fast noch mehr, als die verübten und versuchten Königsmorde durch Jesuiten und deren Zöglinge einen tödtlichen Schlag versetzte, auf ein besonderes Kapitel verspart. Der Prozeß des Jesuiten Girard mit der Demoiselle Cadière enthüllte, wie keine andere Erscheinung, die ganze Abscheulichkeit der schaamlos-laxen Moral jenes Ordens, und die unerhörten Anstrengungen, mit welchen die Kollegen des Rektors von Toulon zu ringen hatten, um die daraus für die ganze Gesellschaft hervorgehende Schmach, so wie die Reihe von politisch-bürgerlichen Folgen abzuwenden, beweisen zur Genüge, wie sehr sie es fühlten, was alles dabei auf dem Spiele stand.

Der Prozeß, von dem wir reden, gewann demnach eine europäische Berühmtheit. Die Akten wurden mehr oder minder vollständig in verschiedenen europäischen Sprachen herausgegeben und selbst fromme Superintendenten und gelehrte Kirchenhistoriker, nicht nur der gottlose Spötter Voltaire, der Marquis d'Argens Das Hauptwerk ist die in 8 Bänden erschienene Bearbeitung: Récueil général des Pièces concernant le Prozès entre la Demoiselle Cadière et le Père Girard. 8. à la Haye. (D. h. Paris.) Ein Liebhaber von Lascivitäten besorgte einen Kupferband in Fol. dazu, den man abwechselnd dem Marquis d'Argens, dem Grafen Caylus und dem berühmten Mirabeau zuschrieb, welcher, wie bekannt, selbst seiner geliebten Sophie oft Stempel zu Kupfern und Vignetten des schändlichsten Inhalts zur Einsicht und Beurtheilung zusandte. Diese Materie war es, welche die Idee für das abscheuliche Buch: Justine ou le malheur de la Vertu, zuerst erzeugte, das scheußlichste Machwerk von Gotteslästerung, Wahnsinn, Wollust und Grausamkeit, welches je in eines Menschen Gehirn gekommen; ein sprechendes und bleibendes Denkmal französischer Frivolität und des gränzenlosen Sittenverderbnisses jener Periode und zwar um so scheußlicher, als das Buch lange Zeit in Jedermanns Händen sich befand. Napoleon ließ 10,000 Exemplare davon zerstampfen. Die Flagellomanie bildet immer die Grundidee. und die Mémoires de la Calotte In dem berüchtigten Büchlein: Thérèse Philosophe. beschäftigten sich damit Dieselben liefern die Spottgedichte auf Girard und Cadière..

Katharine Cadière, Tochter des Kaufmanns Joseph Cadière und der Elisabeth Pomet zu Toulon, ward den 12. November 1702 geboren. Ihr Vater starb, als sie noch minderjährig war und hinterließ außer ihr noch drei Söhne und ein standgemäßes Vermögen; die Wittwe erzog sämmtliche vier zur Frömmigkeit und Gottesfurcht auf. Der älteste Sohn, dem Wunsche der Mutter nachgebend, verheirathete sich; der zweite trat in den Dominikanerorden; der dritte wählte den Laienpriesterstand. Die Tochter blieb zurück, als der Mutter Augapfel, Trost und Stütze. Ihrer ward mit aller erdenklichen Sorgfalt gepflogen; sie blühete als ein schönes und sinniges Mägdlein heran, voll trefflicher Gemüths- und Geistesanlagen, rein und harmlos, vor allen ihren Gespielinnen durch Unschuld, Tugend und ächtjungfräulichen Liebesreiz ausgezeichnet. Die Leiter ihrer Jugend waren der Weltpriester Girard an der Hauptkirche zu Toulon und Herr Oulonne, Vikar des Kirchspieles St. Louis. Katharine schlug verschiedene vortheilhafte Heirathsanträge aus. Ihr Herz war ganz frei und, weil von einem tiefen, mystischen Zuge ergriffen, ganz nach andern, denn weltlichen Freuden, sehnsüchtig.

So standen die Sachen, als im April 1728 der Jesuit Pater Johann Baptist Girard, als Rektor des königlichen Seminars der Schiffsprediger zu Toulon anlangte. Er hatte früher zu Aix sich aufgehalten. Der große Ruf, welchen er sich daselbst durch hinreißende Kanzelvorträge und eine scheinbare strenge Sittlichkeit bei Alt und Jung erworben, verschaffte ihm in der Seestadt großen Kredit. Man strömte in seine Predigten, in seinen Beichtstuhl. Besonders gefiel er den Frauenzimmern. Alles wollte bei ihm beichten, alles suchte ihn als Direktor geistlicher Uebungen nach Weise jener Zeit. Eine Menge junger Mädchen trat in eine Art Orden, worin andächtige Exercitien vorgenommen wurden. Der Pater nahm seinen Vortheil wahr. Die Frauenzimmer machten ihm viele Freude; er redete ihnen in's tiefste Herz, kräftig und salbungsvoll. Er entwickelte das bekannte System des Molinismus mit einer Feinheit und Frechheit zugleich, welche dem jesuitischen Scharfsinn und Takte alle Ehre machte.

Längere Zeit bemerkte man in seinem Benehmen nichts besonderes. Der Direktor begnügte sich mit entfernten Wendungen, zweideutigen Phrasen, mystisch-anregenden Redensarten; endlich wußte er die Fräuleins sich ganz geist- und leibeigen zu machen. Er schritt in der Bußtheorie vorwärts und fing an, denselben andere Strafen, als er bisher gewöhnt war, zur Sühne für ihre gebeichteten Sünden aufzuerlegen; endlich kam er, steigernd, auf Disciplinen. Er wußte die Mädchen, welche nach verrichteter Beichte die Züchtigung empfingen, von der Nützlichkeit dieses Aktes so vollkommen zu überzeugen, daß sie nicht im Entferntesten an etwas Schlimmes dabei dachten. Die bekanntesten Namen, welche dabei figurirt haben, sind die der Demoiselles Laugier, Batarelle, Gravier, Allemande, Reboul, namentlich aber der Guiol, einer sehr wohlgestalteten und zugleich gescheidten, durchtriebenen Dame, welche, obgleich einerseits der Mysticismus mit im Spiele gewesen sein mochte, doch auch andererseits wohl einsah, was denn eigentlich der Pater bei all' dem Vorgenommenen suche, welche jedoch aus sexuellen Gründen denselben gar nicht entgegen war und vielleicht auch aus finanziellen in alle seine Ideen einzugehen für zweckmäßig fand. Mademoiselle Guiolwurde bald die engste Vertraute Girard's und sie führte, als gleichsam eine Art Leithammel, die übrige Heerde von unerfahrnen Schäfleins, welche in ihr Verderben rannten, ohne den Mund aufzuthun und ohne die Schlachtbank zu ahnen, nach welcher sie geschleppt wurden.

Pater Girard hatte anfänglich sich mit der Flagellation seiner Beichtkinder auf fein jesuitisch-lüsterne Weise begnügt; später scheint er dem brutalen Triebe, der ihn beherrschte, zwangloser sich hingegeben zu haben. Er verband mit seinen Züchtigungen höchst frivole andere Akte; aber nichts destoweniger blieben die von ihm schwärmerisch eingenommenen Geschöpfe ihm unbedingt treu und waren begeisterte Lobrednerinnen seines heiligen Wandels und seines unermüdlichen Bekehrungseifers.

Er hatte auch Katharine Cadière in die Zahl seiner Pönitenten aufgenommen. Diese schöne, liebestrahlende und zugleich geistig-ansprechende Jungfrau flößte ihm zugleich sinnliche Lust und wirkliche Liebe ein. Er beschloß mit ihr, da ihr tugendhaftes und verständiges Wesen doppelte Vor- und Rücksicht gebot, etwas ausholender und systematischer zu verfahren, um ganz sich selbst und seine Beute zu sichern. Die Reize, welche er bei ihr längere Zeit nur oberflächlich kennen gelernt, hatten seine Phantasie außerordentlich entflammt. Der frivole Mann hatte fortan ausschließlich nur für Katharine Gedanken. Er theilte der Guiol seine Leidenschaft mit, wiewohl er auch hier molinistisch sie zu verschleiern wußte und die Dame, gerührt durch seine Leiden, verhieß ihm ihren Beistand.

Girard verfolgte seinen Operationsplan mit ungemeiner Gewandtheit. Er erkundigte sich zuerst auf das Fleißigste nach den Eltern, sprach beständig von der unbeschreiblichen Sorgfalt, welche er für das Heil ihrer Seele trage, von den wunderbaren Anlagen, welche sie in sich verschließe, von den noch wunderbareren Absichten, welche Gott hege und durch sie zu vollführen beschlossen; endlich, forderte er sie auf, sich, um die Erreichung solchen Zweckes und ihrer Verherrlichung vor den Menschen zu erleichtern, gänzlich seinem Willen zu überlassen.

Die Cadière schlürfte allmälig das Gift, ohne im Geringsten etwas zu gewahren. Noch war sie dem Rektor nicht so unbedingt ergeben, als er es wohl wünschen mochte. Nach dem Verlaufe eines Jahres machte ihr Girard, als sie im Refektorium der Jesuiten ihn besuchte, zärtliche Vorwürfe und besonders darüber, daß sie in ihrer letzten Krankheit ihn nicht habe rufen lassen. Ein Kuß, den er bei diesem Anlaß ihr gab, brannte ihr glühend in's innerste Herz und sie fühlte in sich eine wirkliche Flamme angeblasen, die sie zu seiner Geist- und Leibeigenen zugleich machte. Im Beichtstuhle, wohin sie ihm nun folgen mußte, forschte er genau nach ihren Neigungen, Stimmungen und Ideen, er befahl ihr, fleißig die verschiedenen Kirchen der Stadt zu besuchen und jeden Tag zu kommuniziren; auch weissagte er ihr baldige Visionen und ersuchte sie, ihm jedesmal solche, so wie überhaupt genaue Berichte über alle ihre geistigen und physischen Zustände mitzutheilen.

Dieß geschah denn wirklich; Katharine verfiel in einen hysterisch-mystischen Zustand, in welchem sie häufig Gesichte erhielt, welche ihr Blut noch mehr erhitzten, und ihre Phantasie noch mehr steigerten. Ja die Sache nahm eine solche Wendung, daß sie dem Pater förmlich ihr Unvermögen klagte, laut zu beten und die heftige Liebe, womit sie zu ihm entzündet sei, ihm zu verbergen. Girard beruhigte seine Beichttochter mit folgenden Worten: »das Gebet ist nur ein Mittel zu Gott zu gelangen; hat man diesen Zweck einmal erreicht und ist man mit ihm vereinigt, so bedarf es desselben nicht mehr.« Die Liebe – fuhr er fort – so ihr zu mir traget, soll euch keinen Kummer machen; der liebe Gott will, daß wir beide mit einander vereinigt sein sollen. Ich trage euch in meinem Schoose und in meinem Herzen; fortan seid ihr nichts mehr als eine Seele in mir, ja die Seele meiner Seele. So lasset uns denn in dem heiligen Herzen Jesu einander recht brünstig lieben!« Alle die Briefe, welche Pater Girard jetzt und später an die Cadière schrieb, schlossen mit der Unterschrift: »Ich bin in dem heiligen Herzen Jesu mit euch vereinigt.«

Der listige Pfaffe wußte seinen Beichtkindern die Andacht so zu erleichtern, daß auch der weltliche Sinn fortwährend Nahrung erhielt. Er sorgte für gute Bedienung, für eine treffliche Küche, für Landpartieen, für Blumensträuße. Er beschäftigte sich zwar noch immer mit seinen älteren Sodalinnen so viel als möglich; aber Katharina blieb die Königin seiner Gedanken und mit Ungeduld wartete er den Tag ab, der seine frechen Wünsche krönen sollte.

Der Zustand des Mädchens war mittlerweile ein immer seltsamerer geworden. Sie hatte Träume eigener Art, davon Pater Girard der Hauptheld war; sie geberdete sich oft wie eine Besessene und stieß Flüche und Lästerungen wider die christliche Religion und die Heiligen aus. All' dieß war nach Annahme der ihr im Beichtstuhl aufgegebenen Formel: »Ich unterwerfe mich, ich übergebe mich, ich bin bereit, alles das zu sagen, zu thun und zu leiden, was man von mir verlangen wird.«

Gegen Ende des Jahres 1730 wiederholten sich diese Anfälle, Krämpfe, Ohnmachten und eben so die Flüche und Lästerungen; ihre zwei geistlichen Brüder, welche bisweilen Zeugen waren, entsetzten sich und beteten für sie, wurden aber stets von ihr vermaledeit. Es kam der Jungfrau hie und da vor, als spräche der Teufel zu ihr: Pater Girard's Person habe etwas ganz Bezauberndes an sich; zwischen ihnen beiden sei ein Bund geschlossen worden und der Pater predige deßhalb so trefflich, weil er, der Teufel, ihm beistehe; für solche Gunst habe jener erklärt, so viele Seelen als möglich ihm überliefern zu wollen.

Ueber all' dem Vorgegangenen schwebte jedoch ein tiefes Geheimniß; nur die übrigen Andächtigen waren Zeugen von den Erscheinungen; sie, gleich der Cadière erhielten Stigmata oder Wunderzeichen auf ihrem Körper. Kam auch etwas davon zum Vorschein, so gaben sie es als natürliche Krankheiten aus; den Eltern Katharinens redete Girard ein: das Mädchen würde binnen 24 Stunden sterben, so fern man nur ein Wort über solche Dinge fallen lassen würde.

Natürlicherweise verschaffte das Geschäft der Seelenleitung und der Stigmenuntersuchung dem Jesuiten freien Zutritt in dem Haus der Cadière; die Beiden schlossen sich stets in ihrer Kammer ein. Um aber allen Verdacht bei seinen eigenen Kollegen von sich abzulenken, gebrauchte Girard die Vorsicht, sich jedesmal von dem jungem Bruder der Cadière, welcher im Jesuiten-Kollegium gerade damals noch Theologie studirte, bis zur Thüre des Hauses mit zu nehmen und von demselben sich wiederum abholen zu lassen. Fehlte der junge Mann, so ging er allein hin und zurück, und bisweilen lief er ihm absichtlich voraus.

So oft nun beide beisammen waren und Katharine in ihre Zustände von Ohnmacht und hysterischen Krämpfe, die als Besessenheit galten, verfiel, wendete der Pater die ihm vergönnte Zeit zur Befriedigung seiner Lüste und zwar auf höchst brutale Weise an; wenn sie erwachte, befand sie sich in unanständiger Stellung und der Gewissensrath hinter ihr. Sie fühlte darüber Betrübniß und klagte diese auch der Guiol; allein diese ausgefeimte Person lachte nur darüber, schalt sie darum eine Thörin, daß sie etwas Unanständiges an der Sache finden könne. Eben solche Antwort erhielt sie auch von ihren Andachtsschwestern; dieselben erzählten ihr gegenseitig die Freiheiten, welche Girard mit ihnen sich zu nehmen erlaubt. Diese bestanden stets in Disciplinen auf den entblösten Leib und in grober Verhöhnung ihrer jungfräulichen Ehre.

Um die Fastenzeit 1729 schon hatte Cadière ein sehr wunderbares Gesicht gehabt. Sie hatte eine Stimme vernommen, welche zu ihr sprach: Ich will dich mit mir in die Wüste führen, wo du nicht mehr mit Menschen- sondern mit Engelskost gespeist werden sollst! Von dieser Zeit an konnte sie fast keine Speise mehr zu sich nehmen, und that sie es, so erfolgten heftige Erbrechungen. Sie bekam einen Blutsturz und mußte das Zimmer hüten. Girard und die Sodalen erklärten diesen Umstand für das Zeichen der ihr bald zu Theil werdenden Wundergabe. Das Fräulein kam von einer Verzückung in die andere. Auf ihrem Gesichte standen Blutstropfen; an ihrer linken Seite und an Händen und Füßen waren blutige Stigmen ersichtlich. Eine Art Krone bildete sich um ihr Haupt, von welchem der Pater die Haare abgeschnitten; er ließ sich das Tuch, womit man sie abgetrocknet und welches das Antlitz eines Ecce homo abgedrückt darwies, nebst der Haube mit dem herabgeronnenen Blute geben. Girard untersuchte fleißig die Wunden, besonders die auf der linken Seite. Er konnte sich nicht satt daran sehen.

Die Verklärungen dauerten fort und Fräulein Cadière fand zweimal Kruzifixe, welche der Rektor ihr als von Gott selbst durch einen Engel zugeschickt, hinstellte; leider waren sie nach der Erwachung wieder verschwunden; zur Entschädigung ließ sie sich drei kleinere machen und schenkte davon zwei nachmals der Frau von Rimbaud zu Ollioules.

Eines Tages sagte Girard seiner Pönitentin voraus: sie würde eine neue Erscheinung haben, und in ihrer Kammer in die Luft gezogen werden. Er selbst fand sich bei ihr ein, als einziger Zeuge des erwarteten Wunders. Als das Wunder sich einstellte und er bei Katharinen eine Anwandlung hochmüthiger Gedanken voraussetzte, tadelte er sie sehr; aber sie fuhr fort, sich mit beiden Händen an dem Stuhl zu halten, um zu verhindern, daß sie in die Höhe gezogen wurde. Vergebens ermahnte er sie, dem Geiste Gottes, der sie ergriffen, nicht zu widerstehen. Endlich verließ er zornig die Kammer. Gleich darauf kam die Guiol und verwies ihr ihren Ungehorsam und die dem ehrwürdigen Manne zugefügte Kränkung. Cadière gelobte Besserung für die Zukunft, Abbitte bei dem Pater und Unterwerfung unter jede Strafe.

Das nächstemal, als sie wieder bei ihm zur Beichte erschienen, schilderte er ihr die ganze Größe des begangenen Verbrechens und erklärte, daß sie hiefür angemessene Pönitenz werde thun müssen. Des folgenden Morgens kam er in ihre Kammer, schloß sie zu und zog eine Disciplin heraus mit den Worten: »Die Gerechtigkeit Gottes verlangt, daß, weil ihr euch geweigert habt, mit seinen Gaben euch bekleiden zu lassen, ihr euch jetzt nackt ausziehen sollt. Zwar hättet ihr verdient, daß die ganze Erde Zeuge davon wäre; doch gestattet der gnädige Gott, daß nur ich und diese Mauer, die nicht reden kann, Zeugen bleiben. Vorher aber schwört mir den Eid der Treue, daß ihr das Geheimniß bewahren wollt, denn die Entdeckung könnte mich und euch in's Verderben stürzen!«

Cadière that, wie er begehrt; darauf befahl er ihr, das Bette zu besteigen, wo er sie mit einem Pfuhle stützte. Er entblöste sie schaamlos und gab ihr einige Streiche auf die Hüften, die er sodann küßte. Damit nicht zufrieden, zwang er sie, die Kleider völlig abzuziehen und vor ihn demüthig sich hinzustellen. Das Fräulein fiel in eine Ohnmacht; endlich, als sie wieder zu sich gekommen, erklärte sie gehorchen zu wollen; fromm wie ein Kind, zog sie die letzte Hülle aus, knieete vor ihm nieder und empfing abermals einige Streiche. »Die Erzählung des Uebrigen – sagt der fromme protestantische Kirchenhistoriker, welcher den Prozeß in's Deutsche bearbeitet hat – ist kein Geheimniß der Zunge mehr, sondern nur der Gedanken. Concipe animo!«

So trieb Pater Girard die Sache noch längere Zeit. Der Mutter und dem Bruder, welche bisweilen ihn stören wollten, schlug er die Thüre vor der Nase zu; ja die Mutter selbst, als Pater Cadière, der Dominikaner, sich über ein solches Verfahren beklagte, hieß ihn schweigen und wies ihn sogar zum Hause hinaus. Die blödsinnige Frau war gleich sehr von der Heiligkeit der Jesuiten und der Heiligentugend ihrer Tochter überzeugt. Die Wundenuntersuchungen, die Küsse, die Betastungen der Seiten und des Busens gingen ununterbrochen vor sich. So oft das Fräulein minder andächtig, oder ungehorsam oder eigensinnig war, bekam sie von dem Pater die Ruthe.

Alle die Einzelnheiten, welche dabei vorfielen, zu beschreiben, widerstritte dem Sittlichkeitsgefühl; doch waren sie von der gröbsten und empörendsten Art.

Die Folgen dieser mystisch-ascetischen Verbindung zeigten sich bald. Cadière fühlte sich schwanger, oder vielmehr merkte dieß der Jesuit, und sann auf Abhülfe. Unter allerlei Vorwänden bestimmte er sie, eine gewisse Flüssigkeit, die er ihr bereitet, einzunehmen. Das Mittel wirkte; die Frucht wurde abgetrieben, doch wäre beinahe durch Unvorsichtigkeit einer Magd die Sache entdeckt worden. Das Fräulein zeigte sich immer mehr geschwächt; aber Girard rieth ihr ab, von Aerzten sich untersuchen zu lassen, wie ihre Mutter, die von der eigentlichen Ursache ihres Uebels gar keine Ahnung hatte, anrieth. Er wußte ihr die Folgen einer solchen Untersuchung auf die annehmbarste Weise vorzustellen; Katharina beruhigte sich und nun entwarf Girard, um sein Geheimniß und die Beute zugleich sich zu sichern, das Mädchen als Nonne in das Kloster von St. Clara zu Ollioules unterzubringen. Ohne Wissen ihrer Familie schrieb er an die dortige Aebtissin, deren Bekanntschaft er früher gemacht, schilderte ihr in hinreißenden Farben die Frömmigkeit, die Tugend und die erhabene Bestimmung seiner Pönitentin. Er erhielt zusagende Antwort, unter der Bedingung, daß die Verwandten der Cadière einwilligen würden. Es ward dem Schlauen leicht, diese Zustimmung zu erhalten und schon am 6. Juli ging das Fräulein mit kräftigen Empfehlungsbriefen nach Ollioules ab, wo sie die beste Aufnahme fand.

Pater Girard erschien nach 14 Tagen persönlich im Kloster und wußte die Aebtissin dahin zu stimmen, daß sie seine Besuche bei der Cadière und den Briefwechsel mit ihr erlaubte. Von den Schreiben, welche er ihr sandte, zerriß er nachmals die Mehrzahl aus kluger Vorsicht, nachdem er sie dem Fräulein wieder abgenommen. Diejenigen, welche sich erhalten haben, sind in einem schwärmerisch-verliebten Tone abgefaßt und enthüllen das ganze System des raffinirtesten Molinismus, welchen dieser Priester zur Verführung der unglücklichen Geschöpfe angewendet. Einige Briefe, voll Moral und Unterweisung, wurden nur zum Scheine abgesendet, so daß sie der Aebtissin in die Hände fielen und sie von der Rechtschaffenheit seiner Absichten überzeugten.

Nichts destoweniger beging er einst die Unbesonnenheit, in Gegenwart der versammelten Nonnen, die Madame Rimbaud um den physischen Zustand seiner Klientin und ob sie keine neuen Blutverluste erlitten, auszufragen. Die Frauen sahen einander überrascht an; er fuhr gleichwohl fort und erzählte: daß Fräulein Katharine, als sie noch zu Toulon gewohnt, über 20 Pfund Blut verloren habe. Er beruhigte das Kloster wieder und setzte den Briefwechsel fort; in einem Schreiben, das von andern Nonnen gelesen wurde, drohete er sogar seiner geistlichen Tochter mit der Ruthe, wenn sie nicht bräver werden würde und er selbst, ihr lieber Vater, werde kommen und sie ihr geben. Dieser Brief, der zu den Akten jedoch nicht gekommen, aber von mehreren Seiten bezeugt worden ist, machte Aufsehen; dennoch entstand kein großer Verdacht.

Mehr erweckte solchen des Paters ungenirtes Benehmen bei seinen spätern Besuchen zu Ollioules. Man schränkte dieselben ein und untersagte sie zuletzt, bis er durch die Vermittlung eines Bekannten, des Pater Camelin, Provinzials der Ignorantiner oder Observantiner, einer Kapuziner-Abtheilung von der strengeren Regel, die Erlaubniß abermals von der eingeschüchterten, aber bereits auf ihn aufmerksam gewordenen Oberinn wieder zu erschleichen wußte.

Pater Girard trieb also das Unwesen weiter fort; er beobachtete Visionen, untersuchte Stigmen, betastete und küßte die Wunden und so oft es ihm nöthig oder angenehm däuchte, gab er seiner Beichttochter auf alte Weise die Disciplin. Der Umstand, daß er Stunden lang bei ihr eingeschlossen blieb und einzelne Aeußerungen der Cadière, die auf ihre Heiligkeit etwas sich einbildete und mit ihren geistlichen Genüssen bisweilen gegen andere Nonnen großthat, sodann die scherzhaft verliebten, höchst ungeistlichen Ausdrücke, welche er gegen sie sich erlaubte, z.+B. kleines Kind von 3 Jahren, kleine Schlemmerinn u. s. w., erschütterten das Vertrauen der Aebtissin doch zuletzt. Die Schwester Katharine ward fortan durch Klausur von Girard getrennt. Er wußte sich aber zu helfen. Mit einem Taschenmesser schnitt er dieselbe entzwei, saß Stunden lang vor ihr, und wenn er sich müde geküßt und andere Gedanken ihn anwandelten, beredete er seine Devote, sich durch die Oeffnung der Klausur mit halbem Leibe heraus zu legen und in dieser Situation von ihm die Disciplin zu empfangen. Selbst im Sanktuarium erlaubte er sich derlei Dinge, und wenn man ihn in geziemender Entfernung halten wollte, rief er unwillig: »Wie? ihr wollt mich von meiner Beichttochter trennen?« Hand in Hand gelegt, speisten sie bisweilen vor der Klausur, denn der Pater ließ sich sogar das Essen dahin bringen; ja nicht selten überraschten ihn Laienschwestern, wie er den Arm um den Leib des Fräuleins geschlungen hielt.

Der Ehrgeiz oder die Ermüdung behauptete jedoch zuletzt die Oberhand über die Zärtlichkeit; er erklärte die Cadière für hinreichend vollkommen und beschloß sie in's Karthäuser-Nonnen-Kloster zu Premole oder Salete bei Lyon zu schaffen. Der Bischof von Toulon, welcher Gefallen daran getragen, daß eine Heilige, als welche die Pönitentin Girards in der öffentlichen Meinung galt, seine Diözese ziere und welcher eine Schmälerung des Ruhms derselben befürchtete, widersetzte sich diesem Vorhaben, von welchem ihn die Nonnen zu Ollioules in Kenntniß gesetzt. Er schrieb selbst an die Cadière und verbot ihr, ferner dem Pater Girard zu beichten oder an einen Ort sich zu begeben, wohin dieser sie weisen würde; doch erlaubte er ihr, Ollioules zu verlassen, und zu ihrer Familie zurückzukehren. Der Prälat sorgte für eine Kutsche, in welcher das Fräulein von seinem Aumonier, dem Abbé Camerle und ihrem Bruder, dem Pater Cadière, abgeholt und nach dem Landhause des Herrn Panque, ohnweit Toulon, gebracht wurde.

Girard vernahm die Nachricht von diesen Schritten des Bischofs mit Aerger und Schrecken zugleich. Vor allem suchte er die an Cadière geschriebenen Briefe zurückzuerhalten. Die Gravière, eine seiner Beichttöchter, die er früher besonders geliebt, unterzieht sich dem Auftrag. Fräulein Cadière, in nichts ahnender Gutmüthigkeit, gibt den ganzen Pack zurück, bis auf einen einzigen, der zufällig nicht in demselben Koffer verwahrt war; ebenso sendet sie auch alle übrigen, von Girard ihr zugestellten mystischen und mystifizirenden Schriften und Papiere; damit begiebt sie sich des besten Theils ihrer Waffen gegen den arglistigen Betrüger.

Obgleich der Jesuit später erklärt hat, daß er um diese Zeit bereits die Direktion über die Cadière aufzugeben gewünscht, so beweisen doch seine geheimen Versuche, sie von der Abreise aus Ollioules abzuhalten, ein Anderes.

Der Bischof übergab das Mädchen nunmehr dem neuen Prior des Karmeliter-Klosters zu Toulon, als eine Heilige, zur ferneren Aufsicht und Beschützung. Aus der Beichte, aus manchen phantastischen Aeußerungen und aus der schwärmerischen Weise und Anhänglichkeit an den Rektor, zu welchem sie mehrmals in's Jesuiten-Kloster heimlich entwischte, schöpfte der neue Gewissensrath Besorgniß, daß ganz eigene Dinge zwischen den Beiden vorgegangen sein müßten. Er forschte tiefer nach, setzte dem Gewissen des Fräuleins sehr zu, und erfuhr endlich mit Erstaunen das Geheimniß, den sowohl ihr, als der öffentlichen Meinung gespielten Betrug und die grenzenlose Lasterhaftigkeit P. Girards. Er setzte den Bischof davon alsogleich in Kenntniß. Dieser erschien persönlich auf dem Landhause des Hrn. Panque, und hörte aus ihrem Munde die ganze Reihe der vorgefallenen Abscheulichkeiten. Er schwur, die Stadt und die Gegend von dem reißenden Wolfe zu befreien. Cadière, auf den Knieen und in Thränen zerschwimmend, flehte ihn inständig um Stillschweigen an, um ihrer und ihrer Familie Ehre willen. Mit ihren Bitten vereinigten sich die ihres gerade ebenfalls anwesenden Bruders, des Dominikaners.

Der Prälat sicherte ihnen endlich die Verhüllung des Skandals zu und tröstete das unglückliche Schlachtopfer bestens. Da er sie noch bisweilen besessen glaubte, nahm er Exorcismen mit ihr vor. Inzwischen mußte der Prior nicht nur über sie, sondern auch über die anderen Beicht- und Zuchttöchter Girards die geistliche Leitung übernehmen. Nach einer allgemeinen Beicht und andern Uebungen verschwanden endlich die bösen Träume von Katharinen; die Stigmen heilten und blos einige Narben blieben an ihrer Seite und an den Füßen.

Der Bischof blieb nicht lange bei seinem eingeschlagenen Systeme; auf Anrathen des Jesuiten P. Sabatier, welcher die Bestrafung des großen Frevels für nöthig hielt, untersagte er im November plötzlich dem Karmeliter-Prior und dem Pater Cadière die Fortsetzung ihrer Amtsverrichtungen; acht Tage darauf ward das Fräulein selbst von einer bischöflichen Kommission (bestehend aus dem Offizial, seinen Promotoren, einem Sekretär und zwei Geistlichen) in's Verhör genommen.

Ihrer innern Unschuld sich bewußt und die Wahrheit höher setzend als die Schaam, gestand sie alles offenherzig, aber, weil sie ganz unvorbereitet war, auf so ziemlich unordentliche unchronologische Weise. Dieser Umstand, den die Gegner fleißig benützt, schadete ihr nachmals viel in dem Prozesse; manches auch ward von dem Offizial unrichtig zu Protokoll genommen, was den Handel ebenfalls erschwerte.

Er kam zuerst vor das in geistlichen Sachen verordnete Kriminalgericht Toulon, welches, gemeinsam mit dem Offizial, genaue Information über alle, in der von den Verbeiständeten der Cadière, angegebenen Species facti vornehmen ließ. Fünf Briefe Girards, davon drei an die Aebtissin zu Ollioules und zwei an die Cadière selbst, welche allein noch von den vielen aufzutreiben waren, wurden den Akten beigelegt.

Das Gericht verfuhr sehr unregelmäßig, und der Offizial handelte, im Interesse der Jesuiten, sehr partheiisch. Man forderte Zeugen ächt jesuitisch nur darum in's Verhör, um erdichtete Thatsachen, welche dem Angeklagten zum Vortheil dienten, und den Eindruck der Verbrechen Girards in der Meinung schwächen sollte; die meisten gehörten zu den Anhängern des Ordens, und die Frauenzimmer waren noch immer ergebene Beichttöchter des Rektors.

Eine Reihe der infamsten Ränke und Rechtsverletzungen wurden jetzt geraume Zeit getrieben und die arme Cadière auf das furchtbarste gequält, um sie selbst als Lügnerin, Verläumderin, Betrügerin und von den Feinden des Jesuitenordens bestochene Person von frechem Gemüthe und Charakter, ja als eine solche hinzustellen, welche Ketzerei und Zauberei zu treiben und den Heiligenschein auf allerlei verbotenen Wegen sich zu erwerben versucht habe.

Der König selbst hatte durch ein Dekret des Staatsraths die strengste Untersuchung anbefohlen, und die Sache kam vor den hohen Gerichtshof zu Aix. Die Jesuiten machten eine sie alle berührende Ehren- und Lebensfrage darauf; sie wendeten ihren ganzen Einfluß und über eine Million Franken daran, um die Affairen zu ihren Gunsten sich endigen zu lassen. Nun übergab Girard erst später geschriebene, unverfängliche Briefe, als solche, die der Cadière in der fraglichen Periode zugeschickt; man verwickelte den Karmeliter-Prior und den Dominikaner Cadière als Mitverschworene und Mitbetrüger hinein; man machte ihr Verhältniß zu dem Fräulein verdächtig; man bearbeitete die Nonnen von Ollioules zu ungünstigen Aussagen; man folterte Katharinen physisch und moralisch. Zu Ollioules bei den Ursulinerinnen (die mit den Jesuiten sehr befreundet waren und unter ihrer Regel standen) wurde sie in eine Kammer eingesperrt, worin kurz vorher eine Wahnsinnige gehaust, wo Gestank und Moder die Atmosphäre vergifteten und faules Stroh das Lager bildete. Man inquirirte, drohete, wendete Züchtigungen und andere Mißhandlungen gegen sie an. Das Schlimmste war, daß sie durch die Uebermacht der Feinde eingeschüchtert und durch feingelegte Fallstricke (besonders durch anonyme Briefe, worin man sie liebreich anredete und vor großem Unglück warnte) in Verwirrung gebracht, zu einem Widerrufe sich bequemt hatte, den sie später zurücknahm. Die Maasregeln gegen sie hatten daher einen Schein des Rechts. Diese Strenge ging aber so weit, daß man sogar in ihre und ihrer Mutter Schlafkammer, in dem Hause zu Aix, wohin sie später gebracht worden, Dragoner einlegte, so daß sie vor Angst und Schrecken weder zu Athem, noch zur Ruhe kam.

Der Gerichtshof zu Aix sprach endlich gegen sie aus, und man überlieferte sie als Gefangene einstweilen dem Visitantiner-Kloster dieser Stadt. Allein sie schlug den Weg der Appellation wegen Mißbrauch geistlicher Gerechtigkeit in dem über und wider sie eingeleiteten Verfahren ein, und die Sache kam vor das Parlament. Die Intriguen und Verfolgungen begannen aufs neue. Cadière beharrte darauf, daß sie unschuldig, von P. Girard auf die angedeutete Weise mißhandelt und im Verlaufe des Kriminalverhöres blos durch die heftigsten Drohungen zum Widerruf ihrer Aussagen bestimmt worden sei. Der königliche Prokurator, bei dem ganzen Handel äußerst partheiisch, trug endlich auf »Lossprache des P. Girard und auf die ordentliche und außerordentliche Folter, sodann aber auf Hinrichtung durch den Strick für Katharine Cadière« an.

Bei der Endabstimmung fielen von 24 Stimmen 12 dahin aus: P. Joh. Baptist Girard soll, in Anbetracht der an ihm sichtbar gewordenen Geistesschwäche (?), die ihn zum Gegenstande des Spotts seiner Beichtkinder gemacht, mit seiner Klage gegen dieselben vom Gerichte abzuweisen; die anderen 12 lauteten: er sei zum Tode durch das Feuer zu verurtheilen, wegen vollkommen erwiesener geistlicher Blutschande, Fruchtabtreibung und Erniedrigung seiner geistlichen Würde durch schändliche Leidenschaften und Verbrechen etc.

Der Präsident entschied bei der Gleichheit der Stimmen, oder vielmehr man ließ beide Partheien zugleich ohne Strafe los. Der Antrag einiger Richter, der Cadière wenigstens eine kleine Züchtigung angedeihen zu lassen, wurde als ungerecht und inhuman verworfen, nachdem ein edel und hellgesinnter anderer Beisitzer feierlich ausgerufen: »Wir haben so eben vielleicht eines der größten Verbrechen freigesprochen, und sollten diesem Mädchen auch nur die geringste Strafe auflegen; eher sollte man diesen Pallast in Flammen aufgehen lassen.« Dagegen ward der Antrag, das Fräulein zu ihrer Mutter nach Hause zu entlassen und der Sorge derselben zu empfehlen, als Beschluß angenommen.

Eine ungeheure Menschenmenge erwartete auf den Straßen die Entscheidung des Gerichtshofes. Die Richter, welche gegen die Cadière gestimmt, wurden mit Zischen und Spottreden, die Gegner Girards mit Beifall und Segenswünschen begrüßt. Man bestrebte sich in die Wette, der armen Gemißhandelteri das zugefügte Leid durch freundliche Bewirthung und Tröstung zu versüßen. Allenthalben lud man sie ein; alles pries ihre, auch durch Kerker und Leiden nicht ganz zerstörte Schönheit; alles bemitleidete sie und verfluchte den Urheber ihres Unglücks. Der Pater ward bei dem Herausgehen aus dem Gefängniß mit Schimpfworten und Steinen empfangen; ja kaum brachte man ihn sicher durch die tobende Menge, und selbst dem Küchenjungen, der ihm das Essen gebracht, flogen Steine nach und Teller, Platten und Flaschen wurden in Trümmer geschlagen.

Girard starb ein Jahr darauf, und man ersah in diesem Umstände ein Gottesgericht. Die Jesuiten, consequent genug, dachten in allem Ernste daran, ihn als Heiligen kanonisiren zu lassen, und verglichen ihn frecherweise hinsichtlich seines Schicksals mit Christus. Aber selbst die Ehren- und Liebesbezeugungen wurden für die Cadière gefährlich.

Höhere Rücksichten walteten vor. Man gab ihr den gutgemeinten Rath, sobald als möglich sich aus Aix zu entfernen und verborgen zu halten. In der That reisete sie bald darauf ab. Sie verschwand darauf plötzlich, ohne daß man eine Spur mehr von ihr erhielt. Ob sie in ein fremdes Land unter anderem Namen ging, ob sie in einem Kloster ihr Leben endete, ist unbekannt geblieben. Die öffentliche Meinung in der Mehrzahl behauptete noch lange steif und fest, die Jesuiten hätten sie heimlich aus dem Wege geschafft Voltaire verfertigte unter ein Bild, das Girard und Cadière gemeinsam vorstellte, folgenden boshaften Vers:

Cette belle voit Dieu, Girard voit cette belle:
Ah! Girard est plus heureux qu'elle.

Ein größeres, frivoles Gedicht über denselben Gegenstand übergehen wir.
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Sie war von mittlerer Statur gewesen, eine Brünette von sehr regelmäßigem Körperbau und lieblichen, feinen Zügen. Die Zeitgenossen, welche bald scherz- bald ernsthaft mit ihr sich beschäftigten, priesen die außerordentliche Harmonie, Fülle und Frische von Reizen, welche die Quelle so vieler Schmach und Drangsal für sie wurden, ihre schwärmerisch-sanften, dunkelglühenden Augen und ihr schönes schwarzes Haar.

Eine ähnliche Geschichte, wie die der Cadière, fiel eine Anzahl Jahre später, kurz vor der Aufhebung des Jesuitenordens in Frankreich, mit der Tochter eines Parlaments-Präsidenten vor, welche der Erziehung und Leitung eines jesuitischen Hausfreundes anvertraut und von diesem mittelst der Flagellation zum Falle gebracht worden. Seine Obern gebrauchten jedoch die Vorsicht, den Angeschuldigten in ihrem Kloster, durch einen gewaltsam dazu genöthigten und durch kostbare Geschenke und einen Eid ihnen verpflichteten Wundarzt, verstümmeln zu lassen, um daraus den Beweis für die Unmöglichkeit der Thatsache zu gewinnen und die Ehre des Ordens zu retten. Später kam das Geheimniß gleichwohl heraus, und der Vater der Geschändeten soll einer der wüthendsten Gegner der Jesuiten geworden sein, und zu dem Parlamentsbeschlusse der Aufhebung wesentlich beigetragen haben. Also wenigstens hat dem Verfasser vor Jahren ein nun verstorbener berühmter Professor der Moral erzählt.

Ein dritter Handel voll nicht minderer und noch zahlreicherer Schändlichkeiten, der sich zu Salamanca mit dem Jesuiten P. Mena begeben, ist aus Gavins Passe partout bekannt. Ueberall spielte die Bußübung mittelst Disciplin den Vortrab zu den Verführungen des weiblichen Geschlechts.


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