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Du weißt nit, wie gut es ist!

Dutzl! Das ist für uns der von der modernen Kindererziehung so sehr verpönte Schnuller. – Weißbrot, je nach den Verhältnissen in Milch oder Wasser aufgeweicht und mit etwas Kandiszucker versüßt, in ein Leinenfleckchen gegeben und durch einen Zwirnfaden zu einem niedlichen, runden Knödelchen zusammengebunden, wird den kleinen Schreihälsen ins Mäulchen gestopft, um sie zur Ruhe anzuhalten. Ob das Wort etwa aus dem lateinischen dulcis == süß herstammt, weiß ich nicht, aber für unser Geschichtchen hat es wenigstens diese Bedeutung.

Über dem Heimatdörfchen mit seinem freiherrlichen Schlosse liegt auf etwa 50 Mieter höherem Hügel am Waldesrande eine alte Klause mit einem Kirchlein zu »Unserm Herrgott auf der Rast«. Seit vor etwa 200 Jahren der damalige Einsiedel von unbekannten Strolchen ermordet worden war, hatte kein Einsiedel mehr dort als Klausner gehaust, deshalb wurde dessen Herdstätte meist einem der in den Herrschaftswaldungen beschäftigten Arbeiter zur Wohnstelle überlassen. So war vor ungefähr 70 Jahren auch ein Holzhauer dort untergebracht, der aus den bayerischen Waldbergen zugewandert war. Er hatte zwei Buben und zwei Mädchen, aber nach seiner heimischen Art hießen die beiden Buben wie der Vater »Girgl« (Georg) und die beiden Mädchen nach der Mutter »Wabn« (Barbara), und das unterscheidende Rufzeichen war nur der Altersunterschied »dö kloan und dö grouß Wabn, da grouß und da kloan Girgl«. Und von diesem kleinen Girgl soll nun das folgende kleine Erlebnis künden.

Als er sechs Jahre alt geworden, mußte er mit seinen kurzen Beinchen die Viertelstunde talwärts stapfen zur Dorfschule, den Schulkeiler – ein rechteckiger Sack aus derbem Rupfen – mit seinem mageren Inhalte, Schreibtafel, Abcbuch und Griffelfisch, an starkem Bande an der Seite.

Der Kleine hatte aber noch etwas Besonderes an sich und für sich. Daheim hatte er nämlich noch heimlicherweise der Mutter ihren Spüllumpen mitgehen lassen und trollte nun seelenvergnügt an diesem Dutzl schnullend seinen einsamen Weg. Dieser Dutzl war aber nicht gerade klein, seine Endfetzen reichten dem Kleinen bis aus die Brust herab wie eines Zwergmännchens Bart und schön weiß war er auch beileibe nicht mehr, denn er hatte anscheinend schon länger seinem andern Zwecke gedient.

Da begegnete ihm nun eines Tages der Reichsrat Freiherr auf einem Morgenspaziergange und wie er das so adjustierte Büblein vor sich sah, konnte er nicht anders, er mußte ob des drolligen Bildes lächeln. Dann aber sprach er den Zungen an: »Ja Kleiner! schämst du dich denn nicht, als ein so großer Bube noch einen Dutzl zu haben und noch dazu ein so garstig Ding? Geh, wirf ihn weg!« Da war nun das Staunen aber auf der Seite des Jungen, treuherzig und verwundert schaute er zum Reichsrate auf und meinte: »Ja gelt, du sagst halt, aber du weißt nit, wie gut er is.« Und weiter trollte der Kleine seinen Schulweg froh und beglückt über seinen Dutzl.

16 Jahre später. – Aus dem kleinen Girgl war kein großer Girgl geworden, wohl aber doch ein stämmiger Altbayernbursche und er mußte mit in den Krieg von Anno 70, wo er schon in einer der ersten Schlachten von einer feindlichen Kugel verwundet wurde, so daß er mit einem Stelzfüße in seine Heimat zurückkam. Nach der Rückkehr unserer Soldaten aus dem Feindeslande gab der Sohn des Freiherrn allen Feldzugssoldaten der Umgebung ein Friedensfest und dabei begegneten sich der alte Reichsrat und unser Girgl wieder. Bei dieser Gelegenheit tischte nun der alte Herr das Erlebnis mit dem »guten Dutzl« wieder auf, es wurde ob des drolligen Vorkommnisses herzlichst gelacht und lang noch blieb es wie ein geflügeltes Wort im Volksmunde bestehen: »Ja! du sagst halt, aber du weißt nit, wie gut es is.«

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